Home  Forum neu  Forum BBKR  Begriffserklärungen  Syngrammata  Lehre auf Youtube   Mal3.16 Website  Neben der Schrift Fakten zur Bibel


Home       Bibelkreis.ch

Zurück zu: Bellett

Die Welt vor der Flut und die Patriarchen

 J. G. Bellett

 Die Welt vor der Flut

1.Mose 1 – 5

 I

 Das erste Buch Mose hat stets eine große Anziehungskraft auf seine Leser ausgeübt, und dies hat seinen Grund wohl haupt­sächlich in der Einfachheit seiner Erzählungen. Das mensc11­liche Leben wird hier in seiner Kindheit und in noch völlig ungekünstelter Form dargestellt; die Szenen sind familiär, die Sitten einfach und die Zustände so, wie sie durch die Familien­pflichten und Neigungen gebildet wurden. Und gerade das ist es, was dieses Buch zu seiner so reichen Quelle der Freude für das Herz macht Wir fühlen uns von den einfachen, ja oft rührenden Bildern mächtig angezogen. Die Frau eines reichen Mannes, der seine Knechte nach Hunderten, und seine Herden nach Tausenden zählte, knetet Kuchen für den Wanderer, und die Tochter eines anderen, ebenfalls reichen Mannes wird von Fremden beim Tränken der Herden ihres Vaters angetroffen, ohne daß sie sich irgendwie veranlaßt fühlte, ein Wort zu ihrer Entschuldigung zu sagen.

 

Doch fehlte es bei diesem allem durchaus nicht an wahrem An­stande. Die Ehrerbietung, die man allen Menschen und vor allem dem Alter schuldig ist, wurde ebensowohl verstanden, wie die Liebe zu Freunden und Verwandten. Obgleich einfach und kunstlos, war es doch kein rohes Leben, sondern durch einen Einfluß gekennzeichnet und bestimmt, der das Leben in Wahrheit bilden und zieren kann, und dieser Einfluß war die Kenntnis Gottes. Obwohl jenen ersten Zeiten der Fortschritt und die sogenannten Verfeinerungen und Verbesserungen der Zivilisation völlig unbekannt waren, so waren die Zustände doch nicht roh, und dies, wie schon gesagt, deshalb nicht, weil die Kenntnis von Gott vorhanden war. Die Hand Gottes wurde gefühlt, während die Begriffe des verfeinerten Lebens weder Zeit noch Gelegenheit gehabt hatten, das Bild zu zieren oder zu beschmutzen.

 

Die Sitten jener frühesten Tage der menschlichen Geschichte mögen daher wohl hie und da etwas eigentümlich erscheinen, aber sie sind äußerst anziehend für einen einfachen Sinn. Es mag vielleicht heutzutage manchem sonderbar vorkommen, wenn er von einer vertrauten Freundschaft zwischen einem Herrn und seinem Knecht liest. Aber obwohl eine solche Freundschaft z. B. zwischen Abraham und Elieser bestand, so wurden dennoch die Rechte und Pflichten des gegenseitigen Verhältnisses gewissenhaft beobachtet. Ferner mag man es heute für geradezu unverantwortlich halten, wenn der zukünf­tige Mann einer der Töchter des Hauses, oder gar der Schwie­gersohn selbst, wie Jakob bei Laban, die Herden der Familie gegen Lohn hüten sollte. Dennoch lag in diesem allem nichts,

 

Was jedoch diesem Buch noch mehr Anziehungskraft und In­teresse für uns gibt, ist dies, daß der Herr Selbst darin gesehen wird, und zwar in einer Weise, wie sie jenen einfachen und ursprünglichen Zuständen angemessen war. So wie die Er­zählungen des Buches einfach und schmucklos sind, so ist auch die Handlungsweise Gottes. Er benutzt keine Propheten, son­dern tut persönlich Seinen Willen kund, und selbst wenn Er Engel gebraucht, so sind diese mehr Seine Begleiter als Seine Boten. Bei der Kühle des Tages wandelt Er im Garten Eden. Auf dem Felde unterhält Er Sich persönlich mit Kain. Er kommt auf das Geschrei von Babel und Sodom herab, um Sich zu überzeugen, ob die Zustände wirklich so schlecht und böse sind, wie Ihm berichtet worden ist. Immer wieder erscheint Er in vollkommener und persönlicher Vertraulichkeit dem Abra­ham, Isaak und Jakob, indem Er ihr Vertrauen erweckt, Seinem Missfallen über dies oder jenes Ausdruck gibt und ihnen Seine Pläne und Gedanken offenbart. Und obgleich im weiteren Verlauf des Buches diese Handlungsweise ein wenig nachlässt ' so wird sie doch in gewissem Sinn bis zum Ende hin beibehal­ten, selbst da, wo wir es am wenigsten erwarten sollten, denn auch Königen, die nicht aus dem Stamme Abrahams waren, erschien Jehova‑Gott in den Träumen der Nacht und erinnerte sie an ihre Pflichten, oder Er stellte ihnen ihre Gefahren vor.

 

Der Dienst der Propheten fand also zu jener Zeit noch keinen Raum. Er würde zu sehr aus der Ferne, zu zurückhaltend ge­wesen sein. Auch geschah die Mitteilung des göttlichen Willens nicht durch den Heiligen Geist oder durch Eingebung, wie es später gewöhnlich geschah, sondern durch die persönliche Dazwischenkunft Gottes, sei es in einem Gesicht oder in einem Traum, oder auf dem noch näheren Wege der Annahme menschlicher Gestalt und Eigenschaften von seiten Gottes, und zwar stellte Gott Sich nicht in einer sinnbildlichen Kleidung dar, wie später bei Jesaja, Daniel oder Johannes, sondern wie Einer, Der einen Menschen an seinem Wohnort und in seinen Umständen besucht. Wie ein Wanderer, der Gastfreundschaft bedarf, isst Er mit Abraham Fleisch und Kuchen in der Tür seines Zeltes. Wie ein Mensch mit seinem Genossen eine Streitsache ausficht, so kämpft und ringt Er mit Jakob.

 

Die gleiche Handlungsweise Gottes sehen wir auch bei Noah Gerade wie es bei uns der Fall sein würde, wird Sein Her2 bewegt durch das, was Er sieht, und gerade wie wir es tun würden, geht Er mit Sich zu Rate, wie Er Sich verhalten soll Ersah, "daß des Menschen Bosheit groß war auf Erden, und es schmerzte ihn in sein Herz hinein, und dann spricht Er "Ich will den Menschen, den ich geschaffen habe, von de Fläche des Erdbodens vertilgen". Und nachdem Er Seinen Entschluß gefaßt hat, teilt Er ihn dem Ohr, dem Herzen und dem Mitgefühl eines anderen mit. So ging der Herr mit Noah um wie ein Mensch mit seinem Freund. Er handelte gerade wie wir handeln würden denn auch wir lieben solche vertraute Freundschaft. "Das Ende alles Fleisches ist vor mich gekommen", sagte Er zu Noah, indem Er ihm erzählte, was in Seinem eigenen Herzen vorgegangen war, und später, in der Tagen der Wasserflut, als die Arche anfing, über der Stätte des Gerichts zu schwimmen, schloß der Herr in der gleichen gnädigen und freundschaftlichen Weise eigenhändig hinter ihm zu.

 

Das war innige Vertraulichkeit, das war lebendige, fühlbar( Nähe Gottes Seinem Geschöpf gegenüber, und alles das steh in völliger Übereinstimmung mit Seinen gewöhnlichen Handlungen und Mitteilungen in diesem Buch. Die Herrlichkeit hatte ihren Platz noch nicht hinter dem Vorhang genommen und sich noch nicht zwischen den Cherubim niedergelassen. In dieser Verbergung offenbarte sich Majestät und Größe, auch die unnahbare Heiligkeit Gottes, wie dies einer geordneten Haushaltung angemessen war, aber in den Zeiten, mit denen wir jetzt beschäftigt sind, waren die Dinge noch ungeregelt und ohne eine bestimmte Ordnung, und dementsprechend war der Herr in Person da, wann und wo die Gelegenheit es erforderte.

 

Auf solche Art also offenbart Sich Gott in diesem herrlichen Buch, das ebenso göttlich ist, wie jeder andere Teil des Wor­tes, und wir haben viel Ursache, den Herrn zu preisen, daß Er unseren Herzen ein solches Buch geschenkt hat. Wir sind nicht immer für die höheren Dinge empfänglich. Wir können sie nicht zu jeder Zeit erreichen, oder der Aufforderung, in die himmlischen Örter hinaufzusteigen, Folge leisten. Aber der Heilige Geist ist unserer Schwachheit zu Hilfe gekommen und hat für sie Vorsorge getroffen. Die Schrift bietet unseren See­len reiche Abwechslung dar. Was wir nötig haben, ist nur Geschmack und Esslust, sowie eine heilige Freude an den Dingen Gottes, seien es nun die Dinge der "Kinder" oder der "Väter", sei es Milch oder feste Speise.

 

Ich möchte indessen noch auf eine andere Sache in diesem Buch aufmerksam machen. In jenen Zeiten, oder, wie der Apostel sag: ‑ : "von Adam bis auf Moses", gab nicht das Gesetz dem Zustande des Volkes Gottes ein bestimmtes Gepräge. Adam stand in Eden unter einem Gebot, und die Kinder Israel be­saßen das Gesetz, nachdem sie am Berge Sinai gewesen waren. Anders verhielt es sich mit den Geschlechtern von Adam bis auf Moses. Die Sünde war in der Welt, aber kein Gesetz (Röm 5, ‑13. 14). Es fehlte sogar beinahe jede sittliche Vor­schrift und Unterweisung. Wohl gab es manche Offenbarungen des Willens und der Pläne Gottes, und unter der Leitung des Geistes wirkten diese Offenbarungen auf den Charakter und das Betragen der Gläubigen und regelten ihren Willen und ihre Wege ‑ das Böse wurde von ihnen gefühlt und durch Gott verurteilt, aber es war keine geschriebene Richtschnur über Recht und Unrecht vorhanden. Ohne daß ein Gesetz gegen den Mörder gegeben gewesen wäre, wird Kain vertrieben. ohne ein fünftes Gebot wird Ham gestraft wegen der Schmach, die er seinem Vater angetan hatte. Ebenso wird Jakobs Betrug, und die schlechte Handlungsweise der Brüder Josephs von dem Herrn heimgesucht und geahndet. Und ohne das Licht irgend­welcher Vorschrift kann die Seele eines Heiligen der Versu­chung mit den Worten begegnen: "Wie sollte ich dieses große Übel tun und wider Gott sündigen?“

 

Alles das fand statt, obgleich, wie gesagt, weder ein Gesetz noch eine sittliche Unterweisung gegeben war. Die Art und Weise, in der Gott Sich dem Glauben offenbarte, bildete unter der Leitung des Geistes den Charakter der Patriarchen. Abra­ham besaß keine Anweisung betreffs seines Altars und seines Zeltes, aber seine Berufung von seiten Gottes durch den Geist leitete ihn im Blick auf beides. Keine Vorschrift forderte seine hohe und edelmütige Behandlung Lots, aber sein Glaube und seine Hoffnung auf Gott gaben sie ihm ein und verlangten sie. Ohne eine Richtschnur für den betreffenden Fall leitete ihn seine Kenntnis Gottes und die Gesinnung Christi, die in ihm war, sich von dem Streit der Könige fernzuhalten, aber dann, sobald sein Verwandter ein Gefangener war, zu seiner Be­freiung aufzubrechen. Kein Wort, kein Ausspruch Gottes un­terschied für ihn zwischen dem König von Salem und dem König von Sodom, aber das Licht, das er besaß, leitete ihn in seinem Verhalten. Wir könnten noch manche andere Begeben­heit, die uns das i. Buch Mose erzählt, durchgehen und wür­den überall gleiche Dinge finden. Das heilige Urteil der Ge­sinnung, die in jenen Männern war, gab ihnen unter der Lei­tung des Geistes ihr Verhalten ein, und zwar mittels der Offen­barung, Verheißung und Berufung Gottes. Dies ist stets schön, SO oft wir wahre Beispiele oder Beweise davon finden.

 

Das also sind die besonderen Kennzeichen dieser frühesten Tage, des Kindesalters unserer Geschichte und des kostbaren Buches, in dem sie für uns aufgezeichnet stehen. Und diese früheste Methode in den Wegen des Herrn wird auch die letzte und bleibende sein. So wie Gott in jener Zeit, wie wir gesehen haben, in menschlicher Gestalt wirksam war, indem Er per­sönlich auf den Schauplatz trat und die innigsten Beziehungen zu Seinen Geschöpfen suchte, so wird es auch später sein, wenn die Zeitalter ihren Lauf vollendet haben: Gott, geoffenbart im Fleische, wird für immer gegenwärtig sein. Und so wie in Jenen Tagen die Gegenwart Gottes nicht als etwas Fremdes betrachtet wurde, oder als etwas, das nicht zu der Erde paßte oder nicht zu den Menschen gehörte, ‑ die göttliche Gnade wurde sozu­sagen freigegeben und arglos empfangen ‑, so wird auch am Ende in den Tagen der tausendjährigen Herrlichkeit Jehova ­Gott wieder persönlich auf dem Schauplatz erscheinen. Der Himmel wird geöffnet sein, und die Engel Gottes werden auf ­und niedersteigen auf den Sohn des Menschen.

 

Gehen wir jetzt zu einer etwas näheren Betrachtung der fünf ersten Kapitel des ‑1. Buches Mose über, die uns eine Schil­derung geben von den Zeiten oder der Welt vor der Flut.

 

Das Ganze beginnt selbstverständlich mit dem Werk der Schöpfung. Ich gehe hier nicht näher darauf ein, aber durch den Apostel belehrt, können wir sagen, daß nur der Glaube dieses große Werk von dem richtigen Gesichtspunkt aus betrachtet. Der Glaube stellt Gott über alles, was geschaffen ist oder gesehen wird. "Durch Glauben verstehen wir, daß die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind, so daß das, was man sieht, nicht aus Erscheinendem geworden ist" (Hebr 11, 3). Der Glaube ist der einzige Grundsatz in der Seele, der auf eine Gottes würdige Weise handelt. Gott bewohnt "ein unzugäng­liches Licht". Der Glaube erkennt dies an. Die Weisheit der Menschen aber möchte in dieses unzugängliche Licht eindrin­gen, um Gott zu sehen und zu prüfen. Gott hat große Dinge von Sich gezeigt, aber der Glaube weiß, daß "keiner der Men­schen ihn gesehen hat noch sehen kann‑ (i. Tim 6, 16). Er freut sich über alle Seine Offenbarungen, aber er maßt sich niemals an, Seinen Wohnplatz im Licht prüfen zu wollen.

 

Das zweite Kapitel stellt uns den Menschen, der im Bilde Gottes geschaffen ist, in seinem Zustande im Garten Eden vor Augen. Alles war ihm dort unterworfen, alles war für ihn da.

 

Er besaß Nahrung für alle Bedürfnisse und Wünsche seiner Natur, und alles, was er nur begehren konnte, war in Fülle vorhanden. Indes war der Mensch nicht allein zum Empfangen, sondern auch zum Mitteilen geschaffen, und das ist immer ein notwendiger Zug in dem Glück einer Seele, die sich in einem guten Zustande befindet. Adam war ebenso wichtig für den Garten, wie der Garten für ihn. Er hatte ihn "zu bebauen und zu bewahren". Er sah in seinem Wohnplatz die Quelle eines fruchtbaren Stromes, der Leben und Erfrischung über die ganze Erde verbreitete. Zugleich hörte er die Stimme des Herrn, aus dessen Mund das Gebot kam: „Von dem Baume der Er­kenntnis des Guten und Bösen, davon sollst du nicht essen". Aber dies war kein Eingriff in die Rechte Adams, kein Mißklang für sein Ohr. Gott will und kann Seine Ehre keinem anderen geben, und ein richtig denkendes Geschöpf muß sich darüber freuen, daß es so ist. Alles stand in Eden in voll­kommener, schöner Harmonie, und das Teil des Menschen war eine beständige Glückseligkeit.

 

Um jedoch seine Lage noch zu vervollkommnen, bereitete Gott für ihn einen Tag der Krönung und einen Tag der Vermählung. In allen diesen Dingen können wir eine bestimmte Ordnung erkennen. Zuerst geht der Herr mit Sich Selbst zu Rate betreffs der Vermählung Adams. Dann führt Er ihn auf den Schauplatz seiner Herrschaft. Er bringt _alles Getier des Feldes und alles Gevögel des Himmels zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde; und wie irgend der Mensch ein lebendiges Wesen nennen würde, so sollte sein Name sein". So bekleidet ihn Gott mit Herrschaft, indem Er ihn zum Herrn der Erde und ihrer Geschöpfe macht. Zuletzt bereitet Er eine Hilfe für ihn und stellt ihm Eva vor. Das ist die Reihenfolge dieser Er­eignisse, eine Reihenfolge, die einen heiligen und wichtigen Sinn in sich schließt. Es ist nicht die einfache Aufeinanderfolge von unter sich unabhängigen, in keiner Verbindung stehenden Tatsachen. Es ist sozusagen der Entwurf eines großen Mei­sters. Denn es gibt, wie wir wissen, ein Geheimnis, das »Verborgen war in Gott", einen "Vorsatz, den er gefaßt hat­ vor Grundlegung der Welt, Sein Geheimnis (Eph 3). Und hier­von ist diese Vermählung im Garten Eden das Vorbild (Eph 5).

 

Demgemäß bereitet der Herr in den Gedanken Seines Herzens die Hilfe für Adam, bevor Er ihn in seine Herrschaft einführt. Der Vorsatz, der das höchste Maß der Freude für Adam ent­hält, wird zuerst gefaßt. Die Hilfe an seiner Seite, die eine, die "seines Gleichen" war, seine Gefährtin, sollte für ihn mehr sein als alles andere, und daher bildete ihre Darstellung den ersten Gedanken in dem Herzen des Herrn. Er erwog es und sprach darüber mit Sich Selbst. Die Verleihung der Herrschaft wurde zu gleicher Zeit beschlossen und ausgeführt, aber dar­über, Adam eine Hilfe zu verschaffen, wurde vorher berat­schlagt und gesprochen.

 

Das ist der Weg, den die Liebe einschlägt. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie wir gern über das nachsinnen, was das Glück von jemand, den wir lieben, ausmacht. Aber wie köst­lich und bedeutungsvoll ist das alles für unsere Herzen! Müs­sen wir nicht bewundernd ausrufen: "Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat!"? Auch Adam erkannte dies an. "Diese ist einmal Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleische", sagte er, als er die Frau aus der Hand Gottes empfing, indem er so bekannte, daß jetzt alles vollständig war. Die Schlange mochte ihm nachher zuflüstern, daß es sich anders verhalte, aber sie log. In jenem ganzen Zustand gab es nicht ‑einen Fehler, nicht einen Flecken, nichts, was nicht an seinem Teil dazu beigetragen hätte, Adam zu segnen. Nichts fehlte ihm, was für ein Geschöpf von Segen sein kann.

 

Aber wegen all dieser Segnungen beneidete ihn sofort der große Widersacher Gottes und des Menschen, dessen Lust es ist, die Werke Gottes, soweit es in seiner Macht steht, zu zer­stören und den Menschen ins Verderben zu stürzen. Gott erlaubte ihm, in den Garten einzutreten, denn das Geschöpf sollte auf die Probe gestellt und seine Stärke versucht werden. Und ach! wir wissen, was das Ergebnis war. Alles um uns her verkündet laut den Sieg des Versuchers, der Schlange' die "listiger war als alles Getier des Feldes. Wir brauchen nicht zu sagen, wer diese Schlange war. Es war der Teufel, der Satan (vergl. Offb 12, 0; 20, 2).

 

im dritten Kapitel unseres Buches, in dem uns der Fall des Menschen mitgeteilt wird, finden wir "die gegenwärtige böse Welt", sowohl in ihrem sittlichen Zustande, als auch in ihren Umständen. Die Welt, wie sie jetzt ist, ist aus dem Abfall Adams hervorgegangen. Ihr Charakter und ihre Lage haben sich durch jene große Tat der Empörung so gestaltet, wie wir sie heute um uns her erblicken. Es ist sehr bemerkenswert, zu sehen, wie die drei Hauptgrundsätze der Welt, ‑ "die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens‑ in dem Herzen des Weibes zu wirken beginnen, sobald sie auf die Worte des Teufels lauscht. Die Seele, die Gott aufgibt, muß einen anderen Herrn und andere Hilfsquellen haben, und diese findet sie dann in der Welt. Die Welt hat kein Ver­trauen auf Gott, ‑sie hat nichts, was sie mit Ihm verbindet, nichts, was ihr Ruhe in Ihm gibt, sie hat keinen Sinn für Seine Liebe und Wahrheit. So ist sie gewesen seit jener Stunde, in welcher der Mensch dem Ankläger Gottes sein Ohr lieh, und deshalb hat sie andere Gegenstände des Genusses ausfindig­ gemacht.

 

Zugleich trat infolge der Sünde das Gewissen ins Dasein. "Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Und dieses Gewissen war damals, wie es bis zur heutigen Stunde ist, ein unruhiges Gewissen, ein Gewissen, das aus allen, die es besitzen, Feiglinge macht. "Ich fürchtete mich", sagt Adam, unfähig, Gott anzusehen, "denn ich bin nackt". Das Gewissen im Menschen muß diese Eigenschaft haben, denn es verdankt sein Dasein der Sünde. Adam besaß keine Erkenntnis des Guten und Bösen, bis er sündigte, und die auf diese Weise erlangte Erkenntnis mußte ihn in der Gegenwart des heiligen und gerechten Gottes zu einem Feig­ling machen.

 

Unwillkürlich machten sich Adam und Eva Schürzen, und so macht es der Mensch heute noch. Unser schuldiger Zustand läßt uns selbst unsere Mitmenschen meiden. Wir können selbst vor ihnen keine Prüfung aushalten. Wer Augen hat, zu sehen, kann täglich und stündlich dieses unausgesetzte Streben des Menschen wahrnehmen, einer völligen Beobachtung zu ent­gehen. Die Schürzen werden immer noch ersonnen, und sowohl die Religion in ihrer heutigen Richtung wie auch die Regeln und Grundsätze der menschlichen Gesellschaft erlauben und unterstützen dies. Aber die Gegenwart Gottes ist etwas ganz anderes als die Gegenwart unserer Mitmenschen. Keine Zere­monien und guten Sitten, keine Regeln, welche die gesellschaft­liche Ordnung aufrechtzuhalten bestimmt sind, werden jene Gegenwart auch nur für einen Augenblick erträglich machen. Alles das wird sich als Eitelkeit erweisen. Denn "alle sind ab­gewichen und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes". Sobald nur das Gewissen den Tritt Seiner Füße oder den Klang Seiner Stimme im Garten hört, werden alle jene Dinge, selbst alle religiöse Vorstellungen, vergehen wie Dunst, und nichts als Furcht und Schrecken wird zurückbleiben. Jene Dinge können weder Zutrauen zu Gott geben, noch den Zustand des Herzens ändern. Trotz seiner Schürze verbirgt sich Adam unter den Bäumen des Gartens. Verstehst du, mein Leser, die überaus wichtige und ernste Lehre, die hierin für einen jeden liegt?

 

Aber bei aller Furchtsamkeit ist doch auch noch Trotz vorhan­den. "Das Weib, das du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baume". Der Mensch legt das Unheil Gott zur Last. Er sagt gleichsam: Möge Gott zusehen! das Weib ist Sein Ge­schöpf, und Er ist es, Der sie mir gegeben hat. Welch eine seltsame und schreckliche Verbindung: ein trotziges Herz, das Gott die Schuld gibt, und dabei ein feiges Gewissen, das un­fähig ist, Ihm zu begegnen! Der Sünder mag prahlen und grosstun, er mag über Gott und seine eigene Lage streiten, oder Worte und Beweisgründe ersinnen, so gut wie Schürzen, aber trotz allem, womit er sich umgeben mag, wird er, wie Adam, sich vor sich selbst schämen und vor Gott fürchten. Der Mensch hat Gott beleidigt und flieht Ihn. Er beschuldigt Ihn, und doch, während er dies tut, fürchtet er sich, Ihm ins Angesicht zu schauen. Dies alles zeugt wider seinen Willen gegen ihn. " Aus deinem Munde werde ich dich richten", braucht der Herr nur zu sagen, und der Mensch wird, wie der böse Knecht in dem Gleichnis, verstummen.

 

Das also war der sittliche Zustand Adams, und so ist die menschliche Natur auch heute noch. Aber wie sah es mit seinen äußeren Umständen aus? Genauso wie es bei dem Menschen bis auf diese Stunde aussieht. Im Schweiße seines Angesichts mußte er da, wo Domen und Disteln wuchsen, sein Brot ge­winnen und im Kummer seines Herzens davon essen. Und das Weib sollte ebenfalls mit Schmerzen Kinder gebären, und das alles so lange, bis sie beide wieder zur Erde zurückkehrten, von der sie genommen waren. Auf diese Weise lebt der Mensch heute noch, außerhalb des Gartens in Kummer und Beschwer­de. Ein angenehmes, ruhiges Leben und ein fruchtbarer Erd­boden sind nicht sein Los. Er muß vielmehr mit Dornen und Disteln, einem unfreundlichen, widerstrebenden Boden und mit einem Leben voller Kampf und Mühseligkeit zufrieden sein.

 

Gott allein steht über dieser Flut des Elends, die über den Menschen hereingebrochen ist, und zwar mit einer Macht, die imstande ist, selbst hieraus Gutes hervorgehen zu lassen, denn die Erlösung ist weit mehr, als die Heilung des durch die Sünde verursachten Schadens, oder die Befreiung einer be­fleckten und ruinierten Schöpfung. Als die Sünde kam, war Gott, menschlich gesprochen, schon darauf vorbereitet, ihr durch Anordnungen zu begegnen, die vor Grundlegung der Welt festgesetzt waren. Dies zeigt uns Sein erstes Wort an die Schlange: "Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zer­malmen.

 

Hier zeigt sich der große Heilsplan Gottes in bezug auf uns. Der verheißene Same des Weibes ist die gesegnete Vorsorge, die Gott für den dem Tode und Verderben verfallenen Men­schen getroffen hat, gegenüber aller Bosheit und Wut des Feindes. Allerdings konnten die Ratschlüsse der erlösenden Liebe nur ausgeführt werden auf Kosten des Lebens des Soh­nes Gottes, ‑ denn die Schlange sollte Seine Ferse zermalmen. Aber dennoch sollte Er einen herrlichen Sieg erringen: Er sollte der Schlange den Kopf zertreten.

 

Diese frohe Botschaft, die in jener ersten Verheißung ange­sichts des Teufels selbst angekündigt wurde, ist in den letzten Tagen durch den Apostel angesichts der Menschen und der Engel gepredigt worden (Gal 1, 8). Dieses herrliche Evan­gelium ist immer dasselbe. Es ist "das Zeugnis Gottes, welches er gezeugt hat über seinen Sohn" (‑i. Joh 5, c». Es ist das Evan­gelium von dem zermalmten und doch siegreichen Samen des Weibes, an dessen herrlichem und vollkommenem Plan der Mensch keinen Anteil hat. Adam hatte nur zu hören, zu glauben und zu leben. Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Israel stand und sah die Rettung Jehovas. Das gleiche finden wir bei dem Hohenpriester Josua in Sacharja 3 und bei dem verlorenen Sohn. Zu handeln, ein Opfer zu bringen und die Gerechtigkeit für uns zu er­werben, ist Gottes Sache. Diese Gerechtigkeit schweigend an­zunehmen, ist unsere Sache. Angesichts eines solchen Geheim­nisses mögen wir wohl mit dem Apostel ausrufen: "O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!" ‑ Wie einfach ist alles für uns! Aber was hat es Ihn gekostet!

 

Es gibt nichts in dem Herzen des Menschen, das dem Glauben an dieses Evangelium gleichkäme. Der Glaube eines armen Sünders an die erlösende Gnade Gottes ist der schönste Zu­stand, in dem eine Seele sich befinden kann. Als Heilige und Geliebte mögen wir in betreff unserer Bedürfnisse auf Gott vertrauen und um Rat und Fürsorge zu Ihm aufblicken. Wir mögen bei Ihm Schutz suchen für unseren Weg, Trost im Schmerz und Kraft in den Schwierigkeiten. Aber der Glaube eines Sünders an die rechtfertigende Gnade und das Werk seines göttlichen Heilandes übersteigt das alles bei weitem. Nichts ist so köstlich, denn nichts erfaßt Gott in einem so glor­reichen Charakter, und nichts schenkt Ihn der Seele in einer so wunderbaren Beziehung. Der Glaube ist es, der die reichsten Hilfsquellen in Gott benutzt, und der auf Grund der geseg­netsten Offenbarungen von Ihm handelt. Wohl strahlt die Herrlichkeit Gottes überall hervor ‑ in Seiner Macht, in Seinem Trost und Seiner Weisheit für Seine hilfsbedürftigen Heiligen. Doch daß bei Ihm Gnade und Heil für Sünder zu finden ist, das übertrifft alles andere.

 

Der Geist Gottes teilt uns aus jenen ersten Zeiten einige schöne Beispiele dieses kostbaren Glaubens mit. Es ist, als ob Gott Seine Freude daran fände, uns gleich bei der ersten Gelegen­heit ein herrliches Bild davon zu zeigen. Obgleich sich Adam nach dem Fall auf einem Schauplatz des Todes befand und alles um ihn her von Fluch und Tod zeugte, was durch seine Schuld hervorgerufen und deshalb ein beständiges Zeugnis gegen ihn war, so redete er doch kraft seines Glaubens nur von Leben. Er war verurteilt, als ein Verbannter inmitten des Verderbens zu leben, das seine eigene Sünde verursacht hatte, ‑ und er wußte dies und erkannte es völlig an ‑ aber er hatte nicht umsonst auf die Geschichte des Kampfes zwischen seinem Verderber und dem Samen des Weibes gelauscht. Gerade auf der Stätte des Gerichts, inmitten der Bäume, wohin sein böses Gewissen ihn getrieben hatte, hatte sein Ohr den Klang des süßen Evangeliums der Gnade sowohl, als auch der Versöh­nung und des Sieges gehört, und er ging hinaus und redete von Leben. Er nannte sein Weib Heva", die Mutter aller Lebendigen. Bei der Schöpfung war er als das Haupt des Lebens eingesetzt worden. Gott hatte zu ihm gesagt: "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde". Aber das war jetzt verwirkt und vorbei. Er war das Haupt eines gefallenen und dem Tode geweihten Geschlechts geworden, und er wußte, daß jetzt alles wahre Leben in dem verheißenen Nachkommen, dem Erlöser, war und von Ihm allein ausgehen konnte.

 

Zugleich wurde auch die sittliche Herrlichkeit in wunderbarer Weise wiederhergestellt. Adam hatte sich der Majestät Gottes rächt unterworfen, sondern danach getrachtet, zu sein wie Gott. Aber jetzt unterwirft er sich der Gerechtigkeit Gottes. Er beugt sich nieder, um für seine Nacktheit die Decke zu empfangen, die Gottes eigene Hand für ihn bereitet hatte (vergl. Röm 10, 3). Er ehrt jetzt den Gott‑Heiland, obgleich er kurz vorher alles getan hatte, um den Gott‑Schöpfer zu verunehren. In so ein­facher Weise wurde er durch den Geist ‑ leitet, die göttliche Vorsorge, die in dem Evangelium von dem siegreichen Nach­kommen des Weibes für den Sünder getroffen ist, zu verstehen und zu schätzen.

 

So war es auch mit Eva. Sie hatte auch die Verheißung gehört, und deshalb legt sie, sobald sie ihren ersten Sohn geboren hat, Zeugnis davon ab, daß diese Verheißung in den Gedan­ken ihres Herzens lebte. "Ich habe einen Mann erworben mit Jehova", sagt sie. Sie übersah ihre eigene Person ebensosehr, wie Adam es tat, und rühmte sich nur in ihrem Samen. Sie hatte mit einem zu aufmerksamen Ohr auf die Verheißung gelauscht, um sich selbst mit ihrem Samen zu verwechseln. Allerdings befand sie sich selbst im. Irrtum, aber sie gab Zeug­nis davon, daß der Gegenstand des Glaubens ihre Gedanken erfüllte, und daß die Erwartungen des Glaubens in ihrem Her­zen lebten. Und als schreckliche Ereignisse ihren Irrtum offen­barten und ihr zeigten, daß dieser Erstgeborene etwas ganz anderes war als der verheißene Same, ‑ daß er, anstatt der Zermalmer des Kopfes der Schlange zu sein, sich als der Mör­der seines Bruders erwies ‑, sehen wir sie dennoch auf dem Felsen stehen, auf den der Glaube ihre Seele gestellt hatte. Über Seth ruft sie aus: "Gott hat mir einen anderen Samen gesetzt an Stelle Abels, weil Kain ihn erschlagen hat". Der eine Sohn war ein Mörder gewesen, der andere sein Opfer Den­noch zweifelt sie nicht an der Erfüllung der Verheißung.

 

Kostbarer Glaube! dürfen wir wohl sagen, gleich kostbar bei Adam wie bei uns. Den gleichen Glauben finden wir auch in Abel. Der Glaube in ihm bezog sich auf dieselbe Verheißung, auf dasselbe Evangelium. Das Wort hatte von einem zermalm­ten Befreier gesprochen, und demgemäß legte er ein Schlachtopfer, ein zermalmtes oder blutiges Opfer, auf den Altar Gottes. Aber nicht allein das. Er bringt auch das Fett des Schlacht­opfers dar. Er scheint die Wonne, die Gott Selbst an den Vor­kehrungen Seiner Gnade zur Errettung des Sünders hat, zu kennen und zu wissen, daß Er in der Erlösung wie in der Schöpfung Sich an dem Werke Seiner Hand erfreut, und des­halb legt er das köstlichste Teil des Schlachtopfers, das Fett des Tieres, auf den Altar, indem er es so zu dem Anteil des Herrn bei diesem Fest der Liebe und Freude macht.

 

Ein herrliches Beispiel von dem Glauben eines Sünders! Da gibt es kein Zweifeln an der Gnade Gottes, keine unruhige Erwägung der Wertlosigkeit des Geschöpfes, obgleich Ursache genug dazu vorhanden war. Die Kraft der Verheißung lebte in den Seelen jener Gläubigen, und ihr Glaube triumphierte auf diesem Grunde.

 

Ich möchte hinzufügen, daß auch wohl das Bekenntnis Lamechs die Äußerung eines überführten und glaubenden Sünders genannt werden kann und ein Ausdruck des kostbaren Glau­bens ist, den wir in Adam, Eva und Abel gefunden haben. Gottes Wort an Kain hatte die wichtige Wahrheit enthüllt, daß Gott und Gott allein es mit dem Sünder zu tun hat. Andere mögen, wie Abel, durch die Sünde zu leiden haben, aber jede Sünde wird unmittelbar gegen Gott begangen, und Er behauptet Sein Recht, allein Sich mit ihr zu beschäftigen. ,jeder, der Kain erschlägt, sagt der Herr deshalb, "sieben­fältig soll es gerächt werden. Diese große Wahrheit, so un­aussprechlich kostbar für den Glauben, scheint Lamech ver­standen zu haben. Er bekennt seine Sünde und rechnet auf Bewahrung vor ‑den Menschen von seiten Gottes. "Höret meine Stimme, Weiber Lamechs", sagt er, "horchet auf meine Rede! Einen Mann erschlug ich für meine Wunde und einen Jüngling für meine Strieme! Wenn Kain siebenfältig gerächt wird, so Lamech siebenundsiebenzigfältig". Er scheint etwas von verstanden zu haben, daß da, "wo die Sünde überströmend geworden, die Gnade noch überschwenglicher ge­worden ist.

 

Diese Wirkungen des Geistes durch die Verheißung in den Segen von Sündern sind wahrhaft schön. Die Schürze von Feigenblättern wird weggeworfen, sobald diese Wirksamkeit beginnt. Sie wird jetzt als unnötig erkannt, wie vorher als ungenügend. So geht es mit allen Erfindungen des Menschen; sie sind nichts anderes, als die Kunstgriffe des Bösen selbst, die Anstrengungen des Geschöpfes, und deshalb können sie nichts ausrichten. Sie sind ebenso unnötig wie ungenügend. Der Rock von Fellen, oder mit anderen Worten, das Werk Gottes Selbst, hat sie dazu gemacht.

 

Es gibt jedoch etwas, was durch diese herrliche, für den Sünder bereitete Erlösung nicht beseitigt wird. Die Domen und Disteln des verfluchten Erdbodens bleiben, und mit ihnen der Schweiß des Angesichts, der Kummer des Herzens und die Rückkehr des Staubes zum Staube bis zu dieser Stunde. Wir sind be­kleidet mit dem Kleide der "Gerechtigkeit Gottes", geschmückt und passend gemacht für Seine Gegenwart durch Seine eigene Hand; aber nichtsdestoweniger haben wir Plage, Hindernisse und viele Beschwerden bei dem Bebauen des Erdbodens zu erwarten. Schmerzen bringen uns in die Welt hinein. Schmer­zen begleiten uns, bis wir zum Staube zurückkehren, woher wir genommen sind. Ebensowenig entfernt diese Vorsorge der Gnade die Cherubim. Sie sind an den östlichen Eingang des Gartens gestellt, um mit ihrem flammenden Schwert den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen, und weder die Ver­heißung, noch die Bekleidung, die Adam empfing, vermochten etwas hieran zu ändern. Des Menschen Fähigkeit, jenen Baum und seine Frucht wiederzuerlangen, ist dahin, und zwar für immer und ewig. Nie wird er etwas anderes sein, als ein erretteter Sünder, mag er auch den Pfad der Herrlichkeit vom Paradiese bis zum Königtum, und vom Königtum bis zu den neuen Himmeln und der neuen Erde verfolgen. Nur durch die Erfüllung der ersten Verheißung Gottes, nur durch die Gabe Jesu, des Samens des Weibes, ist für den Menschen der Weg gebahnt worden, um von den Früchten des Baumes des Lebens essen zu können (vergl. Offb 2, 7).

 

II

 

Wir haben uns in dem Vorhergehenden mit den Geheimnissen Gottes und mit Seinen Ratschlüssen, so wie sie uns in dem wundervollen 3. Kapitel des 1. Buches Mose mitgeteilt werden, beschäftigt. Doch es List nötig, daß wir nicht allein diese kennenlernen, sondern auch den Menschen und seine Wege.

 

Von Kain wird durch den Geist Gottes in ‑i. Johannes 3, 12 gesagt, daß er "aus dem Bösen" war. Das erste, was wir bei ihm sehen, ist seine Religion. Er brachte Gott die Früchte des verfluchten Erdbodens, die Ergebnisse seiner eigenen Arbeit, als Opfer dar, und das war Unglaube. Er leugnete dadurch alles, was seit der Schöpfung geschehen war, und zwar können wir es die religiöse Leugnung desselben nennen. Sein Tun stand in unmittelbarem Gegensatz zu der Handlungsweise des Glaubens. Abel betrat den Weg der Verheißung Gottes, des blutigen Sieges des Samens des Weibes, des Todes und der Auferstehung Christi und opferte ein Lamm von seiner Herde. Aber Kain weigerte sich, das Verderben des Menschen und den Heilsweg Gottes zu sehen, indem er Gott die Früchte der sündigen, verfluchten Erde darbrachte. Trotz seines feierlichen Opferdienstes leugnete er die ganze Wahrheit. Sein Herz war weit von Gott entfernt.

 

Seine nächste Handlung stand in schrecklicher 10bereinstim­mung hiermit. Kain haßte seinen Bruder, weil er aus dem Bösen war, aus dem, der ein Mörder von Anfang ist (Joh 8, 44), und im Laufe der Zeit erschlug er seinen Bruder. Schreckliche Frucht der abtrünnigen und abgewichenen Natur! Er war der erste jener Klasse von Menschen, die Jesum über­lieferten, auf daß Er gekreuzigt würde ‑ selbstgerecht und mörderisch. Die Juden überlieferten Jesum aus Neid, und Kain erschlug Abel, weil seine eigenen Werke böse, diejenigen seines Bruders aber gerecht waren. "Wundert euch nicht, Brüder, wenn die Welt euch haßt. Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer den Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tode. Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder, und ihr wisset daß kein Menschenmörder ewiges Leben in sich bleibend hat­(i. Joh 3, 13‑15).

 

Der Herr ließ Sich in Seiner unendlichen Gnade mit Kain in eine Unterredung ein. Doch Kain verachtete diese Gnade, die sich noch in der letzten Stunde warnend an ihn wandte. "Dies ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse" (Joh 3, 19). Das Licht, das der Herr Jesus brachte, war das Licht des Lebens oder des Heils (Joh 8, ‑12; Jes 49, 6); aber die Menschen liebten die Finster­nis mehr als das Licht. So auch Kain. Er haßte dieses Licht und stieg es von sich. Als Jehova‑Gott in Gerechtigkeit und Heiligkeit in den Garten trat und rief: "Adam, wo bist du?" da vermochte Adam nicht in diesem Lichte zu stehen. Er hatte gesündigt und deshalb war ihm das Licht unerträglich. Er erreichte jene Herrlichkeit Zucht sondern floh vor ihr. Dann aber offenbarte Sich Gott in einem anderen Licht. Er gab die Verheißung, und damit veränderte sich der Charakter der Herrlichkeit. Gott stellte Sich in ein Licht, das der Sünder erreichen kann, und wir sehen dann auch, daß der glaubende Adam jetzt aus seinem Versteck hervorkommt. Dieses Licht, das Licht des Heils und der Ver­heißung, das Licht, in dem Gott Sich dem Menschen außerhalb des Gartens zeigt, verachtete Kain, und deshalb wurde er ver­flucht, was mit Adam nicht geschehen war.

 

Das ist die ernste Geschichte dieses ersten Ungläubigen. Aber die verderbte Natur, die in ihm war, blieb nicht bei jener ersten schrecklichen Tat, der Ermordung des Bruders, stehen. Sie zeigte sich in weiterer Bosheit. In Kain befand sich jene Quelle, die ein "Überfließen von Schlechtigkeit" hervorspru­delt. Er log und rechtfertigte sich selbst. Auf die Frage Gottes: „Wo ist dein Bruder Abel?" antwortete er: "Ich weiß nicht; bin ich meines Bruders Hüter?" Kain wollte die Begierden seines Vaters tun, und wenn der Teufel "die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben" (Joh 8, 44).

 

Doch das alles finden wir nicht nur in Kain, sondern auch in jedem Menschen von Natur. Es war das verderbte Herz des Menschen, das sich in dem Verhalten Kains offenbarte, und weil es das war, weil es die allgemeine Natur war, die in dieser Weise ans Licht trat, so entzog Gott das Gericht über sie dein Menschen. "jeder, der Kain erschlägt", sagt Er, "siebenfältig soll es gerächt werden"; denn niemand ist ohne Sünde. "Du bist nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst" (Röm 2, 1). Alle sind gleich verdammungswürdig. Keiner kann den Stein aufheben und ihn auf den anderen werfen. Und um diesen wichtigen Grundsatz auszudrücken und zu zeigen, daß Gott allein das Recht und die Befugnis hat, mit der Sünde zu handeln, ließ der Herr es nicht zu, daß der Brudermörder von seinen Mitmenschen angetastet wurde.

 

Als später die Regierung auf der Erde der Zweck der Offen­barung Gottes war, wurde gesagt: "Wer Menschenblut ver­gießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden" (Kap. 9, 6). Aber bis dahin war dies nicht so, und um die allgemeine Verderbtheit des Menschen zu lehren, wird keinem Gliede der ganzen menschlichen Familie erlaubt, den gottlosen Kain anzutasten. Und auch in der gegenwärtigen Zeit, wo es eine von Gott eingesetzte Regierung gibt, ist es nicht die Sünde als solche, mit der jene sich zu beschäftigen hat. Ver­brechen und Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, oder an einzelnen Personen begangenes Unrecht mögen durch den Menschen gerichtet werden. Aber Rache für Sünde, als solche, nehmen zu wollen, würde heißen, sich eine persönliche Schuld­losigkeit anzumaßen. "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe zuerst den Stein auf sie" (Joh 8, 7). Gott allein hat mit der Sünde abzurechnen.

 

Doch gehen wir in dieser schrecklichen Geschichte weiter. Der Mensch offenbart sich nicht immer in dieser abschreckenden Gestalt. Er erscheint nicht stets als Lügner und Mörder. Es gibt da gewisse Schranken, wie z. B. die Zügelung und Veredlung mittels der Erziehung, die zurückhaltende Hand Gottes und die Furcht vor Seiner Vorsehung und Seinem Gericht, die allge­meine Meinung und das Urteil der menschlichen Gesellschaft. Diese und ähnliche Einflüsse bringen eine gewisse Ordnung hervor, wodurch der Schauplatz des menschlichen Lebens und Wirkens nicht nur erträglich, sondern sogar bequem und an­genehm :wird. Der Schauplatz ist auf diese Weise erneuert worden; es ist aber keine neue Schöpfung hervorgerufen. Der Mensch ist Mensch geblieben, dasselbe Geschöpf nach dem Urteil Gottes, obgleich er in dein Charakter eines achtbaren Weltbürgers und nicht mehr als der Mörder seines Bruders erscheinen mag. Kain baut eine Stadt. Seine Familie wächst und gedeiht, und durch ihre Geschicklichkeit und Betriebsam­keit bekommt die Welt ein blühendes und gefälliges Aussehen. Der Mörder ist vergessen. Der Mensch hört nicht das Schreien des Bruderblutes, sondern den Ton der Laute und Pfeife. Seine Erfindungen haben sein Schuldbewußtsein unterdrückt. Kain ist ein ehrbarer Mann geworden, aber von der Gegenwart Gottes ist er noch ebenso weit entfernt wie damals, als seine Hand sich mit dem Blute seines Bruders befleckte.

 

Wie ernst ist der Gedanke, daß der Mensch als achtbarer Welt­bürger ebenso weit von Gott entfernt ist, wie als Mörder! Die Ruhe und Gleichgültigkeit, mit der Kain dem Herrn den Rücken kehren und seines Bruders Blut vergessen konnte, ist schrecklich. Er erhielt die Zusicherung des Schutzes von seiten Gottes, und das war alles, was er begehrte. Schnell füllte sich die Erde unter seiner Hand mit aller Art von Bequemlichkeit und Vergnügungen. Wie entsetzlich, nicht wahr? Und doch ist es nichts anderes als der Lauf der Welt. War es nicht der Mensch, der Jesum tötete? Und doch geht er mit der Ruhe und Gleichgültigkeit Kains in diesem höchsten Zustande der Schuld einher. Die Erde hat das Kreuz Christi getragen, und der Mensch beschäftigt sich damit, sie zu schmücken und zu zieren und das Leben auf ihr bequem und angenehm zu machen. Das ist genau das Verhalten Kains, wenn wir es in dem vollen göttlichen Licht betrachten. Kain wurde ein achtbarer Bürger der Welt, aber er vergaß in herzloser Weise die Leiden Abels. Seine Ruhe und Achtbarkeit bilden, wenn wir so sagen dürfen, ,das schwärzeste Blatt in seiner Geschichte. Er ging weg, sobald er die Zusicherung des göttlichen Schutzes erhalten hatte, und anstatt durch dieses Versprechen erweicht und durch das Be­wußtsein darüber, was sich ereignet hatte, zu Boden gedrückt zu werden, betrachtete er die Zusicherung Gottes als eine gute Gelegenheit, sich selbst zu befriedigen und zu verherrlichen. Wir lesen in dem Neuen Testament von dem "Wege Kains

und der Apostel Judas sagt uns, daß er auch von anderen be­treten wird. Doch welch ein schrecklicher Weg ist es! Kain war ein Ungläubiger oder ein Mann seiner eigenen Religion. Er war nicht im Glauben der Offenbarung Gottes gehorsam. Er tat die Werke des Lügners und Mörders von Anfang und haßte das Licht. Er widerstand, der gnädigen und warnenden Stimme Gottes. Er kümmerte sich weder um die Gegenwart Gottes, die er durch seine Sünde verloren hatte, noch um die Leiden seines Bruders, den seine Hand erschlagen hatte, und dabei konnte er sich da, wo alles gegen ihn zeugte, wo das Blut seines Bruders gegen ihn schrie, noch Mühe geben, sich selbst glücklich und geachtet zu machen. Das ist "der Weg Kains", und der Mensch ist, wie gesagt, heute noch ebenso. Er hat sich nicht verändert. Die Natur bleibt dieselbe trotz aller Schranken und Veredlungen, denn gerade am Ende der Geschichte der Christenheit wird von einer Generation gesagt: "Sie sind den Weg Kains gegangen".

 

Doch es gibt noch ein errettetes, abgesondertes Volk. Die Fami­lie Seths ist von einer ganz anderen Art, als Kain und sein Geschlecht. Sie wird nicht in Städten gesehen, die mit Bequem­lichkeiten und Vergnügungen geschmückt sind, fern von der Gegenwart des Herrn, sondern sie erscheint vor unseren Augen als die Familie Gottes, getrennt von der Welt, die in dem Bösen liegt, und zur Verherrlichung Seines Namens.

 

Die Stellung und das Zeugnis der Familie Seths enthält, wie ich glaube, manche Unterweisungen für unsere Seelen. Wie bei allem übrigen in diesen Kapiteln, finden wir allerdings nur kurze Notizen über sie. Aber diese sind inhaltsreich, und man kann im allgemeinen über diese Familie sagen: sie bildet das gerade Gegenteil von dem Wege Kains und versteht den Weg Gottes. Ihr Glaube ist der gleiche, dem wir in Adam, Eva und Abel begegnet sind, und mit dem wir uns bereits beschäftigt haben. Ich möchte jetzt ihre Stellung und ihr Zeugnis in der Welt etwas näher betrachten.

 

Wie wir gesehen haben, hatte Gott ein Zeichen an Kain ge­macht, "auf daß ihn nicht erschlüge, wer irgend ihn fände". Die Familie Seths beachtete dies, und kein Versuch wurde von ihren Gliedern gemacht, das Schreien des unschuldigen Blutes zu beantworten. Die Rache war nicht ihre Sache. Im Gehor­sam gegen das Wort des Herrn hörten sie nicht das Schreien des Blutes, sondern die Stimme Jehovas, der die Rache ver­boten hatte. Sie ertrugen das an ihrem Bruder geschehene Un­recht und waren so angenehm vor Gott.

 

Das unschuldige Blut sollte also nicht gerächt werden, wenig­stens damals nicht. Das war genug, um jenen Gläubigen ihre Fremdlingschaft auf Erden und ihre himmlische Berufung zu zeigen. Denn solange die Erde nicht von Unrecht und Gewalt­tat gereinigt werden soll, müssen die Auserwählten auf ihr Fremdlinge sein mit einer himmlischen Berufung. Das ist der Weg Gottes" der von jenen Heiligen vielleicht besser begriffen wurde, als von vielen unter uns, die wir bei den völligeren, Offenbarungen Gottesinder gegenwärtigen Zeit doch so viel belehrt ‑und unterrichtet worden sind. Aber es handelt sich nicht darum, ob wir den meisten Unterricht empfangen haben, sondern ob wir die Fähigkeit besitzen, in Ruhe zu lernen. David bedurfte solcher Fähigkeit, als er daran dachte, ein Haus von Zedern, eine feste Wohnung für Jehova zu bauen, wäh­rend das Land noch mit Blut befleckt war. Der Herr wollte, wenn ich so sagen darf, gleich den Heiligen vor der Flut, ein Fremdling auf Erden sein, ein Zeltbewohner, so lange Blut sie befleckte, und deshalb wies Er das Vorhaben des Königs von Israel zurück.

 

Wir können bei einiger Aufmerksamkeit manche Darstellun­gen dieses Weges Gottes unter verschiedenen Formen finden. So wollte der Herr zum Beispiel keinen Altar in Ägypten, dem unbeschnittenen Lande, haben, und ebensowenig ein Haus in Israel bis zu den Tagen Salomos, wo alles für Seine könig­liche Gegenwart geheiligt war. Später wurde die Herrlichkeit durch die Greuel, die in dem Tempel geschahen, verscheucht. In demselben Geiste hingen die gefangenen Juden ihre Harfen an die Weiden des Euphrat, denn wie konnten sie singen in einem fremden Lande oder die Gesänge Zions in Babylon er­schallen lassen? Absonderung war das Verhalten, das ein gött­lich belehrter Sinn vorschrieb, und Absonderung ist Heiligkeit. Hiermit befand sich die Familie Seths, die Haushaltung Gottes in den frühesten Tagen, in völliger Übereinstimmung.

 

Wir haben stets zu unterscheiden zwischen Gottes Behauptung Seiner Rechte auf die Erde und Seiner Berufung eines Volkes von der Erde. Diese beiden Dinge sind ‑im Laufe der Zeiten immer wieder dargestellt worden, und zwar, wie ich glaube, in abwechselnder Reihenfolge. So begann der Herr bei Adam ,damit, Seine Rechte auf die Erde darzulegen und geltend zu machen. Der Mensch im Garten hatte die Oberherrschaft Gottes anzuerkennen, und die Erde war der Ruheplatz und die Freude des Herrn und der Schauplatz Seiner Herrlichkeit. Als dann die Sünde kam und alles verunreinigte und diese Ver­unreinigung nicht beseitigt wurde, berief Gott in Seth ein Volk von der Erde zur Erbschaft im Himmel.

 

in Noah behauptet Gott dann wieder Seine Rechte an die Erde und benutzt sie als den Platz, auf dem Seine Auserwählten ihre Heimat finden und wo Seine Gegenwart gekannt ist. Abraham dagegen wird von seiner Verwandtschaft, von seinem Lande und von seines Vaters Hause abgesondert, um ein himmlischer Fremdling auf der Erde zu sein, mit einem Altar und einem Zelt, und in der Erwartung einer Stadt ‑stehend, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Sodann wird Israel im Lande Kanaan von neuem Zeuge von Gottes Oberherr­schaft:, die Bundeslade überschreitet den Jordan als "die Lade des Bundes ‑des Herrn der ganzen Erde". Und heute endlich steht die Kirche wieder da als die Zeugin der himmlischen Geheimnisse, und Fremdlingschaft hienieden ist der einzig göttliche Gedanke bis zu unserer Aufnahme, um dem Herrn in der Luft zu begegnen.

 

Diese wunderbare Darstellung, diese Zeiteinteilungen Gottes, die wie Tag und Nacht miteinander abwechselten, haben auf diese Weise von Anfang an geredet und reden noch. Und bald wird im tausendjährigen Reich die herrliche Wirklichkeit all dieser Schatten und Vorbilder ans Licht treten. Indes ist es beachtenswert, daß, so oft Gott in diesem Fortschreiten Seiner Pläne aufsteht, um Seine Rechte an die Erde geltend zu machen, Er damit beginnt, sie zu richten und zu reinigen. Bei einigem Nachdenken aber werden wir verstehen, daß dies nicht anders sein kann. Denn da der Schauplatz, auf dem Er Seine Herr­lichkeit und Gegenwart zu offenbaren im Begriff ‑steht, sich verderbt hat, so muß Er zuerst das Ärgernis wegnehmen, weil Seine Gegenwart keine Befleckung ertragen kann. Der Herr­schaft Noahs über die Erde ging dementsprechend die Flut

voraus, welche die Welt der Gottlosen beseitigte. Israels Besitz von Kanaan unter Jehova, als dem Herrn der ganzen Erde, wurde durch das Gericht der Amoriter und das Schwert Josuas vorbereitet. Und das zukünftige tausendjährige Königreich, während dessen die Erde wiederum den Schauplatz der gött­lichen Herrlichkeit bilden wird, muß, wie die ganze Schrift uns lehrt, durch große, schreckliche Gerichte und durch die Erscheinung des Herrn in Seiner richterlichen Majestät ein­geleitet werden, d. h. durch eine Säuberung der Erde von allem, was Böses tut und Ungerechtigkeit ausübt.

 

Die Berufung Gottes hat dagegen einen ganz anderen Charak­ter. Abraham war der Gegenstand dieser Berufung, und dem­entsprechend finden die Kanaaniter keinen Nebenbuhler in ihm. Er macht ihnen den Besitz des Landes nicht streitig. Er findet sie als Herren des Landes, und er läßt sie so. Er begehrt nur für eine Zeitlang in dem verheißenen Lande sein Zelt auf­zuschlagen, seinen Altar zu errichten und später seine Gebeine darin niederzulegen.

 

Ebenso ist es mit der Kirche in der jetzigen Zeit. Sie ist gleich­falls ein Gegenstand der Berufung Gottes, und deshalb werden die Ungläubigen in ihrer Macht durch sie nicht im geringsten beeinträchtigt. "jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten" (Röm ‑13, 1). Die Heiligen haben ohne Widerrede zu gehorchen oder geduldig zu leiden, je nachdem die an sie gestellten Forderungen mit ihrer Unterwerfung unter Christum und die Berufung Gottes vereinbar sind oder nicht. Sie haben nicht zu streiten. Petrus mußte sein Schwert einstecken, und Pilatus mußte lernen, daß das Reich Jesu nicht von dieser Welt war und deshalb auch Seine Diener nicht dafür kämpften. Ihr Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut. In dem Augenblick, da sie diesen Kampf beginnen, sind sie verloren. Die Berufung Gottes hat Seine Scharen den Fürstentümern und Gewalten in der Höhe gegenübergestellt, und der Kampf ist dort. Sie ver­bindet uns nicht mit der Erde. Wir bedürfen der Frucht des Bodens und der Arbeit der Hände, um das für unseren Leib Nötige zu beschaffen. Unsere Bedürfnisse verbinden uns also mit der Erde, aber unsere Berufung trennt uns von ihr. Josua betrat das Besitztum der Heiden, um es durch sein Schwert zum Besitztum des Herrn zu machen. Paulus dagegen ging zu den Heiden, um aus ihnen ein Volk für Gott zu sammeln, ein Volk, das verbunden ist mit dem "verworfenen Stein", verachtet und verworfen von den Menschen.

 

Die Familie Seths stand gleichfalls unter dieser Berufung Gottes. Dies wurde ihnen durch den Befehl, das Blut Abels ungerächt zu lassen, zu verstehen gegeben, und sie verstanden diese Andeutung. Wenn die Erde in ihrer Befleckung gelassen wird, so ist das der Beweis, daß Gott sie nicht für Sich begehrt, und deshalb begehrte jene Familie des Glaubens sie auch nicht. Kains Geschlecht war im Besitz der Erde, und Seths Familie ließ sie darin, ohne sie zu bekämpfen. Der Sinn Gottes in ihnen teilte ihnen diese Kenntnis des Weges Gottes mit. Ob­wohl sie, wie wir schon früher bemerkten, keine Vorschriften besaßen, so waren sie doch im Licht, wie Gott im Licht ist. Und so wie dem Abraham später nicht gesagt zu werden brauchte, daß er einen Altar und ein Zelt haben müsse, so wie er keine Vorschrift des Herrn darüber nötig hatte, in welcher Weise er die Heirat seines Sohnes ordnen, oder wie er dem Könige von Sodom antworten sollte, so verstanden auch diese Gläubigen in weit früheren Zeiten die Heiligkeit der Berufung Gottes und traten bei der Ankündigung der Befleckung der Erde ihre Reise nach einem himmlischen Lande an.

 

Wie bewunderungswürdig ist die Wirksamkeit des Geistes Gottes in Seinen auserwählten Gefäßen! Sie hörten im Geiste das Wort, bevor die Stimme des Geistes es aussprach: "Machet euch auf und ziehet hin! denn dieses Land ist der Ruheort nicht" (Micha 2, 10)! ‑ "Sie riefen den Namen Jehovas an". Der Name des Herrn ist die Offenbarung, die Er über Sich gibt, und den Namen Jehovas anrufen deutet die Stellung des Heiligen und seinen geistlichen Dienst oder seine Anbetung Gottes an. "Und es wird geschehen, ein jeder, der den Namen Jehovas anrufen wird, wird errettet werden" (Joel 2, 3.2; Röm :10, 13). "Dir will ich Opfer des Lobes opfern, und anrufen den Namen Jehovas" Ps 116, 17). Das war der Dienst jener ersten Gläubigen, ein Dienst in Glaube und Hoffnung, eine Anbetung im Geiste. Sie verehrten Gott, getrennt von der Welt, und warteten in Hoffnung. Kein Tempel, kein prunkvoller, fleisch­licher Dienst, keine menschlichen Einrichtungen und Verord­nungen waren da. In ihren Wegen und Gewohnheiten erschei­nen sie als ein Volk, das auf der Erde wandelt, bis ihre Leiber entweder in sie gelegt oder, wie bei Henoch, verwandelt und zum Himmel aufgenommen werden. Sie suchen keine Besitzun­gen und Städte. Nichts wird uns gesagt von ihren Wohnorten und Beschäftigungen. Sie waren ohne Ort und Namen. Die Erde kannte sie nicht. Sie sind die frühesten Zeugen einer himmlischen Fremdlingschaft.

 

Später ist ein solches Leben in anderen Heiligen, und zwar mehr in seinen schönen Einzelheiten, dargestellt worden, wie zum Beispiel in Isaak. Obwohl die Welt gegen ihn war, stritt er doch nicht mit ihr, weder in der Tat, noch mit Worten. Er antwortete nichts und setzte sich nicht zur Wehr. Die Philister fordern ihn auf, von ihnen zu gehen, und er geht auf ihr Ge­heiß. Sie verderben seine Arbeiten, und er läßt sie gewähren und trägt es in Geduld (i. Mo 26). So auch sein Vater Abra­ham. Nur ist es sehr betrübend zu sehen, daß es in diesem Fall ein Bruder ist, der den Platz der Welt einnimmt. Lot wählte, wie die Welt es getan haben würde, die wasserreiche Ebene. Abraham erträgt es geduldig, obgleich die undankbare und selbstsüchtige Handlungsweise eines Mannes, der mehr Einsicht hätte haben sollen und der Abraham alles verdankte, weit kränkender und verletzender war, als das Unrecht von seiten eines Philisters (1.MO 13).

 

Auch Israel nimmt in späteren Tagen die Beleidigung Edoms in diesem Geiste hin. Sie beanspruchen den Durchzug durch das Land Edoms auf Grund ihrer Verwandtschaft. Sie stellen ihnen ihre mannigfachen Beschwerden und Leiden vor, sowie ihre gegenwärtige Not als müde Pilger in einem wüsten Lande. Aber Edom verachtet sie und droht :ihnen. Sie bitten von neuem, aber wieder werden sie beleidigt, und sie erdulden es und schlagen einen anderen Weg ein (4. MO 20). Und gerade so machte es der Herr in den Tagen Seiner Pilgerschaft. Er ging nach einem anderen Dorf, als die Samariter sich weigerten, Ihn aufzunehmen (Lk 9). Wie köstlich ist es, den Herrn immer an der Spitze von allem Vortrefflichen zu sehen! Isaak leidet Unrecht von der Welt, Abraham von einem, der ihm alles verdankte. Israel leidet gleicherweise von seinen Ver­wandten, aber Jesus von solchen, denen Er diente und die Er segnete, obgleich es Ihn alles kostete, von der Welt, die Er geschaffen, und von dem Volk, das Er erwählt hatte. Und bei alledem setzt Er Seine Pilgerreise in Lebe und unermüdlichem Dienste fort.

 

In diesem Geiste verfolgte die Familie Seths in den Tagen vor der Flut ihren Pilgerpfad. Sie überließen die Welt Kain. Wir finden nicht das geringste Anzeichen von einem Streit, noch hören wir irgendeinen Laut der Klage. In ihren Lebensgewohn­heiten und den Grundsätzen ihrer Handlungsweise sind sie so verschieden von ihrem ungerechten Bruder, als ob sie von einem anderen Stamm oder in einer anderen Welt wären. Kains Familie macht gleichsam die ganze Weltgeschichte: sie bauen Städte, sie fördern die Künste, sie treiben Handel, sie ver­binden Vergnügungen und Zeitvertreib. Aber in diesem allem wird die Familie Seths nicht gesehen. Die einen nennen ihre Städte nach ihren eigenen Namen, die anderen nennen sich selbst nach dein Namen Gottes. Die einen tun alles mögliche, die Welt zu ihrem und nicht zu des Herrn Eigentum zu machen, die anderen geben sich selbst dem Herrn hin. Kain schreibt seinen eigenen Namen auf die Erde, Seth schreibt den Namen des Herrn auf sich selbst.

 

Wir haben alle Ursache, dem Herrn dankbar zu sein für diese Schilderung einer himmlischen Fremdlingschaft auf Erden und Ihn um die Gnade zu bitten, etwas von ihrer lebendigen Kraft in unseren Seelen zu verspüren. Wohl uns, wenn die Triebe unseres erneuerten Sinnes uns auf dem nämlichen himmlischen Pfade mit der gleichen Sicherheit und Klarheit leiten! Die Be­rufung Gottes stellt uns auf diesen Pfad, und alle Seine Unterweisungen fordern ihn von uns. Die Zerstreuungen und Ver­gnügungen der Kinder Kains waren nichts für solche Pilger. Die Erde gewährte ihnen keine Befriedigung. Sie begehrten das sie umgebende Land nicht, sondern trachteten nach einem besseren, das ist himmlischen*). Es kann deshalb mit allem Recht von ihnen gesagt werden, daß sie gerade das Gegenteil von dem Wege Kains bildeten, und daß sie den Weg Gottes verstanden.

_____________

*) Ich betrachte hier die Familie Seths nur nach dem, was wir in 1. Mose 5 von ihr hören. Ohne Zweifel haben sich auch hier, wie bei jeder anderen Probe des Menschen, Mängel und Verderben gezeigt; aber ich rede nur von ihrer Stellung und ihrem Zeugnis, wie wir sie hier finden. Söhne und Töchter wurden ihnen geboren, ein Geschlecht folgte dem anderen, und Ich zweifle nicht daran, daß auch unter sie der Same des Abfalls gesät wurde und Früchte hervorbrachte. Aber dies beeinträchtigt keineswegs die Unterweisung, die uns dieses Kapitel gibt.

 

So möchte der Herr auch uns haben, Geliebte ‑ in der Welt, aber nicht von ihr, vom Himmel, obgleich bis jetzt noch nicht in ihm. Paulus wünschte die Gläubigen als solche zu sehen, "deren Wandel in den Himmeln ist", Petrus als "Fremdlinge und als die ohne Bürgerrecht waren, die sich enthielten von den fleischlichen Lüsten, die wider die Seele streiten". Jakobus sagt uns, daß "die Freundschaft der Welt Feindschaft ist gegen Gott", und Johannes, daß "wir aus Gott sind und die ganze Welt in dem Bösen liegt".

 

Sicher geziemt es sich für die Kirche, in dieser Absonderung zu wandeln. Nichts anderes als das entspricht der Berufung Gottes und ist den himmlischen Hoffnungen angemessen. Wir atmen allerdings nur schwach und leuchten nur matt im Vergleich mit jenen treuen Zeugen. Welch einem Zustand der Seele begegnen wir z. B. in einem Kapitel wie Phil 4! Welche Tiefe, welch eine innige, feurige Hingebung! Welch eine Erhabenheit in allen Lagen und inmitten aller Umstände und Schwierigkeiten! Ach! leider sind die Worte des Apostels für uns fast dasselbe, als wenn wir die Sprache eines anderen Landes hören, oder als wenn Reisende uns von der Glut und Pracht eines anderen Himmels und Klimas erzählen.

 

Möge der Herr uns mehr und mehr trennen von der Welt und von allem, was in ihr ist, und uns Gnade schenken, als solche dazustehen, deren Wandel in den Himmeln ist! Möchten wir in Wahrheit singen können:

 

 

Dank Dir, o Herr, daß Gold und Schätze

Und Pracht und Schönheit dieser Welt,

Daß kein Ding je mich kann ergötzen,

Das mir die Welt vor Augen stellt!

 

Mein Jesus, Du bist meine Freude,

Mein Gold, mein Schatz, mein schönstes Bild;

Nur Du bist meine Lust und Weide,

Und was mein Herz für ewig stillt.

 

III

 

Nachdem wir uns in den beiden ersten Abschnitten mit dem Glauben und den Tugenden der Heiligen jener ersten Tage beschäftigt haben, bleibt uns noch übrig, einen Blick auf ihre Bestimmung und ihre Segnungen zu werfen.

 

Die Verwandlung und Aufnahme Henochs war das erste aus­drückliche Zeugnis von dem großen göttlichen Geheimnis, daß der Mensch einen Platz und ein Erbe in den Himmeln haben sollte. Durch die Schöpfung war er für die Erde gebildet wor­den. Der Garten war seine Wohnung und die ganze Erde sein Besitztum. Aber jetzt tritt der weit tiefere Vorsatz Gottes ans Licht, eine Auswahl aus den Menschen zu treffen, die Er in den ewigen Ratschlüssen Seiner überströmenden Gnade für den Himmel bestimmt hat. Bis dahin war dieser erhabene Vor­satz Gottes nur dunkel geoffenbart worden. In der Person Henochs aber leuchtet er auf einmal hell hervor. Die himm­lische Berufung in den Herzen jener auserwählten und begünstigten Familie zeigt sich in ihrem vollen Glanz. Dies große Ereignis unter den Patriarchen vor der Flut stellt die Aufnahme der Heiligen, um dem Herrn in den Wolken zu begegnen, vor­bildlich dar.

 

Das war die hohe Bestimmung dieses auserwählten Volkes. Die Prophezeiungen Henochs und Lamechs sind Beispiele ihrer Segnungen. Es waren in der Tat reiche Segnungen, denn jene Prophezeiungen durch den Heiligen Geist zeigen uns, daß ihnen herrliche Geheimnisse anvertraut waren. Sie wurden wie Freunde behandelt. "Soll ich vor ihnen verbergen, was ich tun will?" sagt der Herr gleichsam zu ihnen, wie später zu Abra­ham. Und wenn Abraham das Schicksal Sodoms vorher wußte, so war Henoch das Schicksal der ganzen Welt im voraus be­kannt. (Vergl. Jud 14 und 1.5). Seine Prophezeiung offenbart ein wunderbares und herrliches Geheimnis, daß nämlich die himmlischen Heiligen den Herrn an dem Tage Seiner Macht und des Gerichts begleiten werden. Später schildert Lamech den Schauplatz, der jenseits des Gerichts liegt, die Tage der tau­sendjährigen Segnung, die Tage des Himmels auf der Erde (:L. Mo 5, 29). Gott hat die Erde nicht für immer aufgegeben, und diese Heiligen konnten von diesem großen Geheimnis reden noch ehe der Bogen in den Wolken das sichtbare Zeichen davon wurde. Zugleich wußten sie, daß das Gericht erst über die Erde kommen mußte, und auch über dieses Geheimnis redeten sie, bevor die Brunnen der großen Tiefe geöffnet wurden.

 

Reiche geistliche Segnungen verbinden sich so mit ihrer hohen persönlichen Würde vor Gott, gerade wie jetzt bei der Kirche. Sie waren "Verwalter der Geheimnisse Gottes". Sie konnten "singen von Güte und Recht". Paulus war mit den näheren Umständen der himmlischen Berufung betraut. Er spricht von unserer Aufnahme, daß wir dem Herrn in der Luft begeg­nen werden, und von dieser großen Erwartung, als unserem Trost und als unserer Errettung vor dem Tage des Herrn und segnen Schrecken. Henoch stellte dieselbe Sache lange vorher in seiner eigenen Person dar. Johannes spricht von den auf­genommenen Heiligen, die den Herrn am Tage Seiner Macht begleiten und an der Kriegführung des Reiters auf dem weißen Pferde teilnehmen werden (Offb ig). Henoch bezeugte lange vorher dasselbe in seiner Prophezeiung. Die Propheten reden davon, daß die Erde einst erneuert werden soll, daß die Wild­nis jubeln, die Wüste blühen und anstatt der Dornen die Myrte grünen wird. Lamech hatte lange vorher von demselben Trost für die Erde und von der Ruhe des Menschen von dem Fluch des Erdbodens gesprochen.

 

Auch finden wir in diesen frühesten Äußerungen des prophe­tischen Geistes eine besondere Lebendigkeit. Gewöhnlich. bedeckt der Nebel der Entfernung die Mitteilungen, die wir von d« Zukunft erhalten. Die Ereignisse sind nicht klar, weil sie nicht im Vordergrunde stehen. Sie sind in Unbestimmtheit gekleidet. Und dies, im Gegensatz zu der näheren Landschaft, erhöht nur den Eindruck des Ganzen. Aber wenn zu Zeiten der Hintergrund beleuchtet wird, so können wir uns daran erfreuen, und in diesen frühesten Aufzeichnungen werden die letzten Szenen der göttlichen Handlungen mit außergewöhn­licher und schöner Bestimmtheit hervorgehoben.

 

in Henoch sehen wir also das Ende des Weges jener Familie Gottes. Es ist ebenso himmlisch wie der ganze Weg. Ich meine weniger die Tatsache des Endens im Himmel, als vielmehr die Art und Weise, wie dieser Weg endet. "Henoch. wandelte mit Gott; und er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn hinweg". Nichts besonderes kündigte jene herrliche Stunde an. Keine großen Erwartungen oder fremdartigen Ereignisse bezeichneten ihr Herannahen. Es war der naturgemäße himmlische Schlug einer unausgesetzt himmlischen Reise.

 

Anders war es später mit Noah. Große Vorbereitungen wurden für seine Rettung getroffen. Jahre gingen darüber hin, eine genau festgestellte Anzahl von Jahren. Noah wurde, durch das Gericht geführt. Henoch dagegen wurde, bevor das Gericht kam, an den Platz gebracht, von dem es ausging*). Aber wenn auch keine Zeichen dieses große, wunderbare Ereignis ankün­digten, war die Welt nicht Augenzeuge davon? War es nicht zu herrlich und zu groß, um im stillen und verborgenen ge­schehen zu können?

______________

*) Ich will hier nicht weiter auf die Anwendung von diesem allem eingehen, &WV es scheint mir, daß der Herr, wenn Er in Matthäus 24 von der jüdischen Auserwählung spricht, Noah zu Seinem Vorbilde nimmt, während der Apostel, der sich an die Kirche wendet, seine Worte vielmehr der Verwandlung Henochs entlehnt. Der jüdische Überrest wird wie Noah durch die Gerichte geführt werden. Die Heiligen dagegen, die jetzt gesammelt werden, sehen wir an dem Platze. von wo das Gericht ausgegossen werden soll. Wir werden wiederholt belehrt, wie ich schon bemerkte, daß die Ausübung der Macht mit dem Herrn an jenem Tage ein Teil der Herrlichkeit der Heiligen ist. (Vergleiche Kol 3, 4; Offb 2, 26; 17, 14; 19, 24).

 

Die kurze Beschreibung, die wir im Hebräerbrief von der Auf­nahme Henochs finden, scheint eine Antwort auf diese Fragen zu geben. Wir lesen dort: "Er wurde nicht gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte". Aus diesen Worten dürfen wir wohl schlie­ßen, daß die Menschen von jener herrlichen Stunde keine Kenntnis gehabt haben. Die Welt scheint Henoch gesucht und nach ihm geforscht zu haben, wie später die Söhne der Pro­pheten nach Elias; aber es war umsonst. Hieraus geht hervor, daß die Verwandlung vor den Menschen verborgen geblieben ist, denn wenn sie sie gesehen hätten, so würden sie nicht nach ihm gesucht haben.

 

Jede ähnliche Stelle der Schrift deutet das nämliche an. Die Herrlichkeit ist in keiner ihrer Formen und Handlungen für das Auge oder Ohr des natürlichen Menschen. Feurige Pferde und Wagen bedeckten die Berge, aber dein Diener des Pro­pheten mußten die Augen geöffnet werden, bevor er sie sehen konnte (2. Kön 6, ‑14‑‑17). Daniel sah einen herrlichen Mann und hörte seine Stimme, wie die Stimme einer Menge, aber die Männer, die bei ihm standen, sahen nichts, nur ein großer Schrecken fiel auf sie. Der Himmel öffnete sich über dem Haupte des Stephanus inmitten einer großen Menschenmenge, aber die Herrlichkeit wurde nur von ihm gesehen. Paulus wurde ins Paradies entrückt, aber kein Auge nahm seinen Flug dahin wahr. Und auch als der Herr auferstand aus einer in einen Felsen gehauenen Gruft und inmitten wachender Kriegs­knechte, bemerkte es kein Auge und kein Ohr. Es war eine Lüge, daß die Wächter des Grabes geschlafen haben sollten, aber es ist eine Wahrheit, daß sie nicht mehr von der Auf­erstehung gesehen haben, als wenn sie auch geschlafen hätten.

 

Stille und Verborgenheit kennzeichnen also alle diese herrlichen Begebenheiten. Gesichte, Auferstehungen, Himmelfahrten, das Herniederkommen der Herrlichkeit auf diese Erde und das öffnen des Himmels droben ‑ alle diese Dinge gehen vor sich, und der natürliche Mensch nimmt von allem nichts wahr. Mit der Aufnahme Henochs ist es sicherlich ebenso gewesen, und so wird auch bald eine andere noch herrlichere Stunde kommen, an der alle, die des Christus sind“, beteiligt sein werden.

 

Ich schließe hiermit die Betrachtung des fünften Kapitels. Der erste Teil des ersten Buches Mose ist hier zu Ende, denn diese fünf Kapitel bilden gleichsam einen Band für sich.

 

Das erste Kapitel eröffnet diesen Band mit dem Werk der Schöpfung.

 

Im zweiten findet der Herr als Schöpfer Seine Wonne an der vollendeten Schöpfung und setzt in ihre Mitte und über sie den Menschen, den Er in Seinem eigenen Bilde erschaffen hatte. Er umgibt ihn mit allen Segnungen und Besitzungen, um seine Stellung vollkommen zu machen.

 

Im dritten Kapitel sehen wir diesen Menschen versucht und überwunden, und dann den dadurch hervorgerufenen Ruin der Schöpfung und die von Gott vorgesehene Erlösung.

 

Das vierte und fünfte Kapitel zeigen uns den einen Zweig dieser gefallenen Familie, der die Trümmer dieses Verfalls erwählt, und den anderen, der sich in der Erlösung erfreut.

 

Wie einfach ist das alles und doch wie vollkommen! Es ist die Erzählung der Ereignisse früherer Tage, aber wir leben bis zu dieser Stunde in ihren Ergebnissen und Folgen. Es wird uns in diesem kleinen Bande die Darstellung einer auserwählten, gläubigen und himmlischen Familie gegeben, die in einer Weise auf der Erde wandelte, wie wir wandeln sollten, und die zu­gleich durch ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Bestim­mung dem Himmel gerade so nahe war wie wir.

 

Gibt es wohl etwas, was in der Gegenwart des Herrn mehr Demütigung hervorruft, als die Erkenntnis, wie wenig unsere Herzen Seine verheißene Herrlichkeit schätzen? Es ist schreck­lich, diese Entdeckung bei sich zu machen, und doch ist sie nicht schwer. Wir wissen, wie schnell die augenblicklichen Interessen uns bewegen, wie ein Verlust im Geschäft oder in der Familie uns niederdrückt und ein Vorteil uns erhebt, und ebenso wis­sen wir, wie schwach der Glanz der Herrlichkeit für uns ist, wenn nur eine Schwierigkeit oder eine Gefahr zwischen ihr und uns liegt.

 

Ruft diese Entdeckung wahre Betrübnis in unseren Herzen hervor, lieber Leser? Hat sie uns je zum Seufzen und Flehen vor unseren Gott gebracht? Wie traurig und ernst ist es, wir auf der Erde unser Teil suchen, wenn, die Vergnügung der Welt unsere Herzen erfüllen, oder wenn ihre Ehrenbezeigungen und Bestrebungen wieder die Gegenstände unserer Herzen werden! Lots Weib ging aus Sodom hinaus, und zwar in Begleitung eines Auserwählten, aber dann zeigte es sich, daß ihr Herz noch dort geblieben war.‑ sie blickte zurück und kam mit der Stadt um. Israel war schon in der Wüste Paran, und zwar in Begleitung der Lade Gottes, als es sich offenbarte' daß ihre Herzen und Gedanken noch bei den Fleischtöpfen Ägyptens verweilten. Welche ernsten Ermahnungen für uns alle! Welche feierlichen Warnungen, daß wir nicht mit jenen Lüsten und Genüssen spielen, gegen die wir einst wachsam waren, und die wir töteten!

 

"Von jenem Tage aber und jener Stunde weiß niemand", so lauten die ernsten Worte, durch die der Herr Sich weigert, den Augenblick Seiner Rückkehr zu dem jüdischen Überrest kund­zutun. Jener Augenblick wird plötzlich, unerwartet für sie kommen. So verhält es sich auch mit dem Tode oder auch mit unserer Aufnahme. In keinem Fall ist Tag oder Stunde mitge­teilt. Alles ist in einem Worte von tiefer und heiliger Wichtig­keit eingeschlossen, dies heißt: "Wachet!" Dies eine Wort wendet sich an alle: "was ich euch sage, sage ich allen: Wachet!" (Mark 13, 32.37)‑

 

Wir erwarten "seinen Sohn aus den Himmeln". Israel wird den "Tag des Sohnes des Menschen" zu erwarten haben. Aber niemand kennt die Stunde, in der das Warten sein Ende er­reichen wird. Insoweit befinden wir uns also in gleicher Lage wie sie. Andererseits aber gibt es dennoch einen Unterschied. Dem jüdischen Überrest sind Zeichen gegeben, das heißt, es sind ihnen gewisse Dinge genannt, die dem "Tage des Sohnes des Menschen" vorangehen müssen, obgleich sie den Tag und die Stunde Seiner Erscheinung nicht kennen (vergl. Mt 24, 32‑35). Den Heiligen der Jetztzeit aber, die "den Sohn Gottes aus den Himmeln" erwarten, sind weder solche Zeichen ge­geben, noch ist ihnen etwas von Begebenheiten gesagt, die notwendigerweise vorhergehen müssen.

 

Der Herr teilte dem Noah Sein Vorhaben in bezug auf das Gericht mit und gab ihm bestimmte Andeutungen über das Eintreffen des Gerichts. Noah wußte, daß es nicht eher kom­men konnte, bis seine Arche gebaut war. War ihm auch nicht der Tag bekannt, an dem die Wasser steigen sollten, so wußte er doch, daß es nicht eher geschehen konnte, bis er und die Seinen in Sicherheit gebracht waren. Ebenso ist es mit Israel. Verschiedene Begebenheiten müssen stattfinden, bevor der Sohn des Menschen wieder hier auf Erden sein kann. Anders aber war es mit Henoch. Kein Ereignis, das vorher stattfinden mußte, hielt seine Aufnahme auf. Sein Wandel mit Gott war alles, was seiner Himmelfahrt voranging. Gerade so verhält es sich mit der Kirche, die jetzt gesammelt wird. Sie wartet auf keine Umstände; keine Ereignisse bereiten ihren Weg zum Himmel vor. Dem jüdischen Überrest sagt der Herr, daß er auf bestimmte Zeichen und Ereignisse achthaben solle, um zu wissen, daß seine Erlösung nahe sei. Vorher zu sagen: "Die Zeit ist nahe gekommen, bezeichnet Er als Verführung (Mt 24, 33; Lk 21, 8). Uns dagegen sagt der Apostel, daß unsere Er­wartung stets nahe ist (Phil 4, 5; Jak 5, 8). Der Herr ermahnt den Überrest, zu wachen, damit der Tag sie nicht wie ein Dieb ergreife. Der Apostel ermahnt uns als solche, die vom Tage sind, und für die es sich geziemt, als Söhne des Tages zu wandeln (Mt 24, 43; 1. Thess 5, 5. 6). Hierin liegt ein großer, bedeutungsvoller Unterschied. Aber trotz dieses Unterschiedes werden alle gleichmäßig aufgefordert, zu wachen, und sicher kann der Herr dies mit allem Recht von uns erwarten. Denn da die angedrohten Gerichte so ernst und schrecklich sind und die Verheißungen so unaussprechlich herrlich, so ist es nur eine geringe Sache, wenn von uns verlangt wird, diese Dinge als etwas überaus Hohes und Wichtiges zu behandeln, d. h. mit anderen Worten, zu wachen.

 

Das Bewußtsein der Nähe der Herrlichkeit sollte von uns gepflegt werden, ich meine ihre Nähe sowohl in betreff des Raumes als der Zeit. Es kann uns keine Anstrengung kosten, uns von dieser Nähe zu überzeugen. Sie wird uns sehr klar und bestimmt gelehrt. Die Gemeinde Israels wurde am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft versammelt, und sobald der bestimmte Augenblick kam, erschien ihnen die Herrlichkeit (siehe 3. Mo 8 und 9). So war es auch bei der Errichtung dieses Zeltes und ebenso bei der Einführung der Bundeslade in den Tempel (2. MO 40; 2. Chro 5), Das gleiche sehen wir, wenn die Herrlichkeit (obgleich in verschiedenen Charakteren) etwas auszurichten hatte, sei es auf dem heiligen Berge, oder bei dem sterbenden Stephanus, oder bei Saulus auf dem Wege nach Damaskus. Was sie auch auszurichten hatte, und wozu sie auch berufen wurde, ob zu überzeugen, zu erfreuen und zu verwandeln, oder den Verfolger zu Boden zu werfen und den Märtyrer triumphieren zu lassen ‑ stets war sie in einem Augenblick, in einem Nu gegenwärtig. Es ist gleichsam nur ein dünner Schleier, der sie verbirgt oder von uns trennt. Der Pfad ist kurz, und unsere Reise nähert sich eilends ihrem Ende. Wir sollten den Gedanken daran pflegen. Das gibt Kraft und Trost. Und bald, wenn die Stunde der allgemeinen Verwand­lung gekommen ist, wenn die Stimme des Erzengels sie an­kündigt, wird die Herrlichkeit in einem Nu wieder erscheinen, um uns, angesichts der himmlischen Heerscharen, wie Henoch zu dem himmlischen Kanaan emporzutragen.

 

Dann wird der Herr in Seinen Heiligen verherrlicht sein, nicht wie jetzt in ihrem Gehorsam und Dienst, in ihrer Heiligkeit und in ihren Früchten, sondern in ihrer persönlichen Schönheit. Gekleidet in Weiß und glänzend in all der Herrlichkeit die uns zuteil werden wird, werden wir das wunderbare Zeugnis von dem sein, was Er für den Sünder, der sein Vertrauen auf Ihn setzte, getan hat. Und wie mir jüngst ein lieber Freund schrieb, so möchte auch ich dem gläubigen Leser dieser Zeilen sagen: "Keine Lerche stieg je an einem taufrischen Morgen so heiter und froh empor, um ihr liebliches Lied zu singen, wie Du und ich emporsteigen werden, um unserem Herrn in der Luft zu begegnen". Und ebenso möchte ich der Ermahnung, die mein Freund an diese Worte knüpfte, auch hier einen Platz geben. Sie lautete: "Stelle dies als eine lebendige Wirklichkeit vor Deine Seele, und dann warte geduldig auf die Erfüllung Deiner Hoffnung".

 

"Amen; komm, Herr Jesus!“

 

Noah

 

1. Mose 6 - 11

 

Durch Glauben bereitete Noah, als er einen göttlichen Ausspruch über das, was noch nicht zu sehen war, empfangen hatte, von Furcht bewegt, eine Arche zur Rettung seines Hauses, durch welche er die Welt verurteilte und Erbe der Gerechtigkeit wurde, die nach dem Glauben ist" (Hebr 11, 7).

 

I

 

Der erste Blick auf das, was uns von den Zeiten Noahs erzählt wird, läßt uns eine vollständige Veränderung des ganzen Zu­standes der Dinge seit den Tagen der Schöpfung erkennen. Der Grund dieser außerordentlichen Umwälzung ist nicht schwer zu finden. In der Schöpfung war Gott allein in Weis­heit und Güte tätig, und deshalb war alles gut und schön. Bei jeder Wiederkehr von Abend und Morgen ruhte das Auge Gottes mit Wohlgefallen auf dein, was Seine Hand bereitet hatte. Er sah, daß alles sehr gut war, und so ruhte Er am siebenten Tage und heiligte ihn. Aber jetzt ist nicht mehr die Hand Gottes beschäftigt, um ein vollkommenes Volk zu Seinem Wohlgefallen zu schaffen, sondern der gefallene Mensch füllt den Schauplatz mit Verderben und Gewalttat, zum Kummer und Schmerz Gottes. Darin liegt das Geheimnis der Verände­rung. Der Mensch ist an der Arbeit gewesen, nicht der leben­dige Gott. Daher ist die Erde voll Gewalttat. Riesen sind da, Helden, Männer von Ruhm, und das Dichten und Trachten derer, die damals "den gegenwärtigen bösen Zeitlauf" bildeten, war nur böse den ganzen Tag.

 

Die Veränderung ist eine vollständige Veränderung. Das Jubeln ,der Morgensterne, das Jauchzen der Söhne Gottes findet kein Echo mehr in der Schöpfung. Der Mensch hat sich ausgebreitet, aber nicht so, wie er aus den Händen Gottes hervorgegangen war, unschuldig und rein, sondern als ein verderbter Sünder, als ein verworfener, böser Arbeiter.

 

Das ist es, was den Anfang des sechsten Kapitels des ‑i. Buches Mose charakterisiert. Gibt es denn in der ganzen Schöpfung kein Heilmittel für dieses schreckliche ‑Verderben? Nein, kein Heilmittel, keine Hoffnung! Selbst die Söhne Gottes sind ver­derbt und mit in den Kot gezogen worden. Die Töchter der Menschen haben sie zur Hurerei verleitet, und sie, die einst reiner waren als Schnee und weißer als Milch, sind schwärzer geworden als Kohle. Wie einst Adam durch die List der Schlange, so sind jetzt die Söhne Gottes durch die Schönheit der Töchter der Menschen verführt worden, der Lust ihrer Augen und den Begierden ihres Herzens zu folgen. "Sie nah­men sich zu Weibern, welche sie irgend erwählten".

 

Die Zunahme des Verderbens hielt gleichen Schritt mit der Vermehrung der Menschen auf der Erde. Ähnliches finden wir in der Geschichte der Kirche. Als die Zahl der Jünger sich ver­mehrte, da entstand Murren und Streit. Dem Menschen ist eben nie zu trauen. Je köstlicher das Gut ist, das Gott ihm an­vertraut, desto schrecklicher wird er es verderben, und je mehr er an Zahl zunimmt, desto schlimmer stehen die Dinge. ja, was ist der Mensch! "Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, weil er alle kannte und nicht bedurfte, daß jemand Zeugnis gebe von dem Menschen; denn er selbst wußte, was in dem Menschen war" (Joh 2, 24. 25).

 

Das also war der Zustand auf der Erde in den Tagen Noahs, und über all das Verderben und die Gewalttat, welche die Erde bedeckten, wird das Gericht Gottes verkündigt: "Mein Geist soll nicht ewiglich mit dem Menschen rechten". Zwar gibt Gott in Seiner Langmut noch eine Frist, indem Er hinzufügt: "Seine Tage seien hundertundzwanzig Jahre"; ‑ aber das Gericht wird angekündigt, der Tag der Heimsuchung wird kommen, der Geist wird nicht ewiglich rechten.

 

Aber Gott sei Dank! Er ist nicht nur ein Gott des Gerichts, sondern auch der Rettung. Mag auch das Werk Seiner Hand Ihn getäuscht haben, wenn wir so reden dürfen, so wird Er doch Seine Freude an den Ratschlüssen Seines Herzens finden. "Noah fand Gnade in den Augen Jehovas". Der Mensch als Sünder wird jetzt der Gegenstand der auserwählenden, ver­gebenden und rechtfertigenden Liebe. Er setzt jetzt das Herz Gottes in Tätigkeit, wie er einst bei der Schöpfung Seine Hand beschäftigt hatte. Doch wollte Gott die Schöpfung nicht ein­fach wiederherstellen und in ihren früheren Zustand zurück­führen. Das wäre Seiner nicht würdig gewesen. Im Blick auf den Menschen konnte es Ihn nur reuen, daß Er ihn geschaffen hatte, und in betreff des Schauplatzes um ihn her waren die Gedanken Gottes für immer verändert. Der Mensch, so wie er aus der Erdscholle gemacht worden ist, kann nie wieder den Gegenstand der Wonne Gottes bilden, aber die Gnade kann einen neuen Gegenstand bereiten, indem sie nicht das ver­dorbene Gefäß verbessert, sondern ein neues bildet, nach dem Gutdünken und nach den Gedanken des Töpfers. In seinem alten Zustande war es ruiniert; aber die Gnade nimmt es genau so, wie es ist, um ein glückliches und wohlgefälliges Gefäß, voll der reichsten Schätze und aller möglichen Schönheit, dar­aus zu machen.

 

Noah fand also Gnade in den Augen Gottes und erhielt eine göttliche Unterweisung, denn ein auserwähltes Gefäß ist stets ein Gefäß für die Wirksamkeit des Geistes Gottes. Der Herr teilte ‑ihm Seine Gedanken mit. Er sagte ihm, daß das Gericht einer bösen Welt, deren Maß jetzt voll war, von Ihm be­schlossen sei, aber daß er selbst mit seinem Hause gerettet werden sollte. Diese Mitteilung hatte einen ernsten, aber auch einen sehr köstlichen Charakter. Sie entsprach dem, was Gott vorher in Seinem eigenen Herzen beschlossen hatte. So wie Er bei Seiner geheimen Beratschlagung gesagt hatte: "Mein Geist soll nicht ewiglich mit dem Menschen rechten", so teilte Er jetzt Seinem Auserwählten mit, daß das Ende alles Fleisches vor Ihn gekommen sei. Er machte ihn mit Seinen Gedanken und mit Seinem Urteil über den sittlichen Zustand der Erde bekannt, so wie Er sie vorher im Geheimen ausgesprochen hatte; und schließlich befahl Er ihm, eine Arche zur Rettung seines Hauses zu bauen, entsprechend der Tatsache, daß Noah nach den Ratschlüssen Seiner erwählenden Liebe schon lange vorher Gnade in Seinen Augen gefunden hatte.

 

Laßt uns diesen Umstand wohl beachten! Es wird sehr zur Befestigung unserer Herzen beitragen. Er zeigt uns, wie genau und wie vollständig die Offenbarung, die Gott uns gibt, uns Seine Gedanken mitteilt. "Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?" sagt Gott bei einer anderen Gelegenheit, als Er, wie hier, gleichsam mit Sich Selbst zu Rate gegangen war. Und der Herr Jesus sagt zu Seinen Jüngern: "Ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört euch kundgetan habe". Doch es gibt hierbei eine Ausnahme. Gott hatte i2o Jahre als Gnadenfrist festgesetzt, und Noahs Predigt währte genau so lange. Aber von diesem Vorsatz Gottes, von dieser genau vorher bestimmten Frist wurde Noah nichts mitgeteilt. Der Herr erwähnte diese be­stimmte Anzahl von Jahren in Seiner Unterredung mit ihm nicht. Wohl wußte Noah, daß die Wasser nicht überhand neh­men konnten, bis er und die Seinen in der Arche in Sicherheit waren. Aber wie lange ihr Bauen dauern, oder ob nach ihrer Fertigstellung noch eine Zeit vergehen würde, das wußte er nicht. Diesen Teil des göttlichen Ratschlusses hatte der Vater Seiner eigenen Macht vorbehalten. Es war eine Ausnahme in der Fülle der Offenbarung. Ereignisse mußten stattfinden und Zeichen dem Eintreffendes Gerichts vorhergehen. Wenigstens mußte die Arche fertiggestellt und mit den Tieren, die erhalten bleiben sollten, gefüllt werden. Hätte jemand zu Noah gesagt, die Wasser würden steigen, ehe die Arche fertig sei, so würde ihn das nicht im geringsten erschüttert oder beunruhigt haben. Das war unmöglich. Zu sagen: "die Zeit ist nahe gekommen", würde damals ebensosehr ein Betrug gewesen sein, wie es bald der Fall sein wird, wem der Überrest Israels, wie Noah, auf seine Erlösung warten wird (vergl. Lk 21, 8). Die Zeit selbst, die Frist der göttlichen Langmut, war in die Gewalt des Vaters gestellt und niemand wußte den Tag oder die Stunde. So reich und vollständig ist die Übereinstimmung zwischen früheren und späteren Tagen, zwischen den vorbildlichen Handlungen Gottes und ihrer Erfüllung. Noah war zu jener Zeit ein irdischer Mann, d. h. ein Auserwählter, bestimmt für ein Erbe auf der Erde, wie das Volk Israel es bald sein wird, und beide werden durch göttliche Unterweisung vor dem Betrug bewahrt, der sie beunruhigen und verführen könnte. Aber Tag und Stunde ihrer Rettung wird ihnen nicht mitgeteilt.

 

Die Arche war in ihrer Gestalt und ihrem Material vollständig von Gott vorgeschrieben. Noah hatte sie nur zu bauen. Der Herr bestimmte den Plan und die Einrichtung. Ihre Herstellung war nur eine Probe und ein Beweis des Glaubens. "Durch Glauben bereitete Noah, von Furcht bewegt, eine Arche". Die Anfertigung des Heiligtums von seiten Israels in späteren Tagen war eine eben solche Handlung des Glaubens. Sie rich­teten es auf mit willigem, dienstbereitem Herzen, indem sie ihre Armbänder, ihr Silber und Gold, ihre feine Leinwand, Dachsfelle, Akazienholz, öl, Räucherwerk und kostbare Steine dazu hergaben. Aber das alles war nur der Gehorsam des Glaubens, gegenüber dem Plan der Errettung, den Gott Selbst geoffenbart hatte. Ob die Israeliten das Heiligtum bauten, oder ob Noah die Arche baute, beides war nichts anderes als Glaube an die Verordnungen Gottes.

 

Und was ist heute das Evangelium und der Glaube daran anders, als eine Offenbarung der Vorkehrungen der Gnade Gottes und der Gehorsam gegen sie? Die Überzeugung der Aus­erwählten ist stets dieselbe gewesen ‑ "es ist aus Glauben, auf daß es nach Gnade sei". Der Glaube an Gottes unumschränkte Verordnung war im Anfang die Überzeugung Adams, dann diejenige Noahs. Später war es die Überzeugung Abrahams und eines jeden wahren Israeliten, und heute ist es unsere. Wir alle werden, wie Adam, von der Furcht und der Unruhe des Gewissens befreit durch die Verkündigung und Annahme des zermalmten und zermalmenden Samens des Weibes. Wir alle bereiten gleichsam, wie Noah, eine Arche zur Rettung und werden Erben der Gerechtigkeit, die nach dem Glauben ist. Wir alle nehmen, wie Israel, unsere Zuflucht von dem feurigen Berge zu dem Gnadenstuhl im Heiligtum ‑ und Jesus, Jesus ist der Name, der die ganze Linie der Patriarchen, Propheten, Apostel und Heiligen, ob Juden oder Heiden, ob Kleine oder Große, entlang erschallt in der volltönenden Melodie, die in Ewigkeit die Himmel erfreuen wird.

 

Doch das Evangelium enthält nicht nur Gnade oder eine ein­fache nackte Verheißung. Es ist Versöhnung und Sieg. Es sind ebensowohl erworbene als verheißene Segnungen. Werfen wir einen Blick in das Heiligtum Gottes, so werden wir finden, daß nicht bloß Gnade da ist. Es ist Gnade auf dem Thron, Gnade auf der Lade des Bundes, Gnade, aufrechterhalten durch das Werk und die Person des Sohnes Gottes. Der Glaube betrachtet ein solches Geheimnis mit Ehrfurcht. Er spricht nie von bloßer Gnade. Es kann ebensowenig von Gnade allein in Gott die Rede sein, wie von sittlicher Gerechtigkeit im Men­schen. Das Evangelium kennt solche Gedanken nicht, und des­halb kann der Glaube sie nicht annehmen. Gnade und Wahr­heit sind einander begegnet. In dem Lobgesang der Engel heißt es zuerst: Herrlichkeit Gott in der Höhe! und dann. Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen! Das ist die Art und Weise des Evangeliums. Die Gnade herrscht durch Gerechtig­keit. Der Glaube versteht diese Wahrheit sehr wohl und hat sie zu allen Zeiten verstanden und sich ihrer erfreut. Auch Noah wandelte in den Fußstapfen dieses Glaubens er­langte die Gerechtigkeit. "Dich habe ich gerecht vor r er­funden in diesem Geschlecht", sagt Gott zu, ihm. "Durch Glau­ben bereitete Noah, :als er einen göttlichen Ausspruch über das, was noch nicht zu sehen war, empfangen hatte, von Furcht bewegt, eine Arche zur Rettung seines Hauses, durch welche er die Welt verurteilte und Erbe der Gerechtigkeit wurde, die nach dem Glauben ist".

 

Glaube, Liebe und Hoffnung belebten seine Seele und waren der Ausdruck seines Lebens während jenes ernsten Zeitraumes von 120 Jahren. In wie schöner Weise sehen wir in Noah "das Werk des Glaubens, die Bemühung der Liebe und das Aus­harren der Hoffnung" der Thessalonicher! Er bereitet die Arche in jenem Glauben, der die göttliche Warnung erhalten hat. Er predigt in Liebe seinem Geschlecht Gerechtigkeit (2. Petr 2, 5), und zugleich wartet er mit Ausharren auf den Herrn. Seine eigene Sicherheit und Errettung ist geordnet und gewiß, das weiß er. Aber er trägt auch Sorge, daß sein Nachbar sie mit ihm teile. Der Geist rechtete durch sein Zeugnis mit dem Menschen, wie Er es heute noch tut. Aber jeder Schlag der Axt Noahs, jedes Niederfallen seines Hammers verkündeten der Welt, daß Er nicht ewiglich rechten würde.

 

Als die von Gott bestimmte Frist abgelaufen war, ging Noah mit den Seinigen in die Arche. Welch ein schönes Vorbild einer vollkommenen Errettung! Völlige Rettung und Sicherheit wäh­rend der Stunde des schrecklichen Gerichts war das Teil Noahs. Und gleich der Rettung Noahs, gleich der Rettung Israels in der Nacht des Verderbens in Ägypten, ist auch die Rettung durch das Evangelium. In Ägypten hatte dieselbe Hand, die das Schwert des Verderbens durch das ganze Land trug, das schirmende Blut für die Israeliten verordnet. Konnte das Schwert einen von ihnen treffen? Unmöglich! Und in dem Fall Noahs hatte der Gott, der in betreff des Gerichts dieser Welt mit Sich zu Rate ging, Seinen Auserwählten über die Art des Entfliehens unterwiesen. Die Hand, welche die Wasser hervorbrechen ließ, schloß hinter Noah zu. Konnten die Wasser des Gerichts etwas gegen ihn ausrichten? Unmöglich!

 

Aber alles das wurde von einer feierlichen Gerichtsszene be­gleitet. "Die Sonne ging auf über der Erde, als Lot in Zoar ankam". Und gerade diese sonnige Stunde war die Zeit für den Feuer‑ und Schwefelregen. Nichts konnte geschehen, bevor Lot in jene Stadt gekommen war, aber dann hielt auch nichts mehr das Gericht zurück. Der Augenblick der Heimsuchung war völlig verborgen. Die Bewohner Sodoms mögen wohl gesagt haben: "Friede und Sicherheit" als sie die Morgensonne wie gewöhnlich den östlichen Horizont vergolden sahen. Aber gerade dann kam ein plötzliches Verderben über sie, und niemand entfloh.

 

Die Menschen zu Noahs Zeit "aßen und tranken, sie heirateten und wurden verheiratet", als die Wasser zu steigen begannen. Da war kein Verbot, es sei denn Noahs Eintritt in die Arche. Aber das war nach ihrer Meinung ja Narrheit, sich selbst und all seine Habe auf trockenem Lande in ein Schiff einzuschlie­ßen! Doch die Flut kam in dem Augenblick, als Noah in Sicher­heit war, und verschlang sie alle. Das Wort Gottes, das Zeug­nis des "Predigers der Gerechtigkeit", war ihnen "nach ihrem  eigenen Willen verborgen". Ein plötzliches und sicheres Ver­derben kam über alle, die außerhalb der Arche waren, aber eine göttliche, unfehlbare Sicherheit war das Teil aller, die sich innerhalb der Arche befanden. Die Zufluchtsstädte in Israel waren von Gott verordnet, und ihre Mauern gaben unbedingt Rettung. Ebenso hat dieselbe Gerechtigkeit, die einen Fluch über jeden aussprechen mußte, der nicht alles hält, was in dem Buche des Gesetzes geschrieben steht, auch gesagt: "Verflucht ist jeder, der am Holze hängt" (Gal 3)! Könnte Gott nun Sein eigenes Heilmittel für den von dem Gesetz verfluchten Sünder verleugnen, wenn dieser sich im Glauben auf den für ihn am Kreuze zum Fluch gemachten Heiland beruft? Ganz unmöglich! "Jehova schloß hinter ihm zu‑. Die Hand des Herrn verlieh der Lage Noahs Seine eigene Stärke und Sicherheit. Es ist nicht zu kühn, zu sagen, daß alle innerhalb der Arche so sicher waren, wie Gott Selbst. Obgleich der Herr gleichsam zu Seinen Himmeln und auf Seinen Thron zurückkehrte, und Noah auf der Erde, dem Schauplatz des Gerichts, zurückblieb, war Noah doch so sicher wie der Herr Selbst. "Wir haben Freimütigkeit an dem Tage des Gerichts, daß, gleichwie er ist, auch wir sind in dieser Welt". Jesus ist in den Himmel zurückgekehrt, wäh­rend wir uns noch in dieser Welt befinden, deren Gericht von Gott beschlossen ist. Aber wir haben volle Freimütigkeit, da wir unserer Stellung nach Ihm gleich sind. Wie herrlich, dies aus­sprechen zu dürfen! Und diese geheimnisvolle, herrliche Sicher­heit ist in dem kurzen Wort eingeschlossen: „Jehova schloß hinter ihm zu". Die Hand Gott Selbst setzte Noah und alles, was sein war, in völlige Sicherheit.

 

Einige von aller Art lebenden Wesen wurden mit Noah von dem Schauplatz des Todes in die Arche der Rettung gebracht. "Acht Seelen", wie Petrus sagt, und mit ihnen eine Auswahl von Tieren der Erde, klein und groß, Gevögel und kriechende Tiere, alle wurden mit Noah unter ein Dach gebracht und ge­rettet. So war es auch später in Ägypten: nicht eine Klaue durfte zurückbleiben. Die große Errettung erstreckte sich an jenem Tage in gleicher Weise auf alle, auf Mose und die 600.000 Mann mit ihren Weibern und Kindern und auf all ihr Vieh. Alles erfuhr die rettende Kraft Gottes. So dachte Gott auch später in den Tagen Ninives neben den "mehr als hun­dertundzwanzigtausend Menschen, die nicht zu unterscheiden wußten zwischen ihrer Rechten und ihrer Linken", an das viele Vieh in der Stadt. Und so wird auch in den kommenden Tagen, wenn Christus Sein Erbteil antreten wird, Seine Herrschaft alle Werke der Hand Gottes umfassen, "Schafe und Rinder alle­samt und auch die Tiere des Feldes, das Gevögel des Himmels und die Fische des Meeres" (Ps 8, 7‑‑8). Und die Gefilde und Ströme, die Hügel und die Bäume des Waldes werden vor Ihm jubeln.

 

Welch ein herrliches Geheimnis! Sind sie nicht alle Seine Ge­schöpfe? Hat nicht Seine Hand sie alle gemacht, und Sein Auge und Sein Herz sich an ihnen erfreut? Sollte die Schöpfung für Ihn verloren sein? Darf Jona wegen des verdorrten Wunder­baumes zürnen? Sollte der Herr nicht vielmehr die Werke Seiner Hand zu Seiner bleibenden Freude erhalten? Er will das Angesicht der Erde erneuern, wie geschrieben steht: "Jehovas Herrlichkeit wird ewig sein, Jehova wird sich freuen seiner Werke" (Ps 104, 31). "Das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Schöp­fung ist der Eitelkeit unterworfen worden (nicht mit Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat), auf Hoffnung, daß auch selbst die Schöpfung freigemacht werden wird von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes‑ (Röm 8, 19-21).

 

II

 

Werfen wir jetzt einen kurzen Blick auf den Charakter der Tage Noahs in bezug auf die Verwaltung der Zeiten. Infolge des Abfalls Adams war die Erde nicht mehr der Schauplatz der Wonne Gottes, noch die Heimat Seines Volkes, und während all der Tage vor der Flut waren die Hoffnungen und das Erb­teil der Heiligen himmlisch. Zugleich enthüllte Gott ein ge­wisses Maß der großen Geheimnisse Seines Herzens und Seines Wohlgefallens, die Er Sich vorgesetzt hatte in Sich vor Grundlegung der Welt. Die Himmel wurden dem Menschen geöffnet, als Adam, der Mensch der Erde, fiel*).

_________________

*) Vergleiche das Kapitel Die Weit vor der Flut" S. 17 ff.

 

Aber obgleich der Himmel geöffnet war, hatte Gott deshalb doch nicht mit der Erde abgeschlossen. Der Ratschluß Gottes war, "alles unter ein Haupt zusammenzubringen indem Chri­stus, das, was in den Himmeln und das, was auf der Erde ist". Und da diese himmlische Berufung schon in der Geschichte der Heiligen vor der Flut geoffenbart worden war, so war jetzt die Zeit gekommen, Gottes großen Vorsatz betreffs der Erde zu enthüllen und zu zeigen, daß Er sie in bezug auf die Ver­waltung der Zeiten keineswegs aufgegeben habe, obgleich Er die Himmel geöffnet hatte.

 

So sehen wir in Offb 4, nachdem die himmlischen Heiligen, .die Vollzahl der Nationen", die geheimnisvollen Ältesten und die lebendigen Wesen ihre himmlischen Plätze eingenommen haben, wie die Gedanken Dessen, Der auf dem Throne sitzt' zu der Erde zurückkehren. Der Regenbogen wird auf einmal rings um den Thron gesehen ‑ ein Zeichen, daß der Bund, der der Erde ihre Sicherheit gibt, die Quelle der bevorstehenden Handlungen im Himmel sein würde. Ebenso war es in den Tagen Noahs. Als die himmlische Familie ihren Lauf beendet hatte und Henoch aufgenommen worden war, kehrten die Gedanken des Herrn zu der Erde zurück, denn das nächste charakteristische Merkmal der Wege Gottes ist die Prophe­zeiung Lamechs, durch welche die Gnade Gottes der Erde wie­der zugesichert und Noah auf den Schauplatz geführt wird: "Dieser (Noah) wird uns trösten über unser Tun und über die Mühsal unserer Hände wegen des Erdbodens, den Jehova ver­flucht hat".

 

Dies alles ist so einfach, daß es kaum mißverstanden werden kann. Die Prophezeiung Lamechs sagt uns, was wir vorbildlich in Noah zu erwarten haben und auch finden. Wir erfahren durch sie, daß die Erde wiederhergestellt werden soll, daß Gott aufs neue in ihr Seine Ruhe und Sein Wohlgefallen finden, und daß der Mensch auf ihr einen glücklichen und heiligen Aufenthalt haben wird. Die völlige Verwirklichung von diesem allem wird allerdings erst in den kommenden Zeitaltern des wahren Noah, indem allein alle Verheißungen Gottes ja und Amen sind, ans Licht treten.

 

jene Zeiten mußten indessen durch eine große Handlung ein­geleitet werden. Die Berufung des himmlischen Volkes war jetzt eine ganz andere als bei den Heiligen vor der Flut. Diese hatten nichts mit dem sie umgebenden Schauplatz zu tun ge­habt. Kains Familie war in dem ruhigen, ungestörten Besitz ihrer Städte und Reichtümer gelassen worden. Gott war nur beschäftigt gewesen, ein Volk abzusondern, ohne zum Ordnen und Richten der Welt zu schreiten. Er ließ, sie, wie Er sie fand. Aber sobald Gott Sich vornimmt, Seine Ansprüche an die Erde weder geltend zu machen, beschäftigt Er Sich sorgfältig mit allem, denn nur durch Gericht kann die Erde wieder gereinigt und für Seinen Fußschemel passend gemacht werden.

 

Diese Wahrheit bezüglich der Verwaltung der Zeiten wird uns hier vorbildlich gelehrt. Gott gedachte der Erde und fing an, Sich wieder mit ihr zu beschäftigen, aber durch reinigende Ge­richte. Auf alles wurde das Urteil des Todes geschrieben, damit es als etwas Neues in der Kraft und Gnade Dessen dastehen sollte, Der die Toten wieder ins Dasein ruft. Die Erde selbst war im Wasser oder unter dem Wasser, und der auserwählte Überrest wurde, ‑ wie in den später angeordneten Zufluchts­städten im Lande Kanaan ‑, vor der Hand des Rächers geret­tet, und dann erscheint alles aufs neue, wie in der Auferste­hung.

Vierfüßige und kriechende Tiere und Geflügel, einige von jeder Art, gingen mit in die Arche. Dort waren die Erlösten geborgen vor jeder Furcht und jedem Unheil. Ja, sie waren mehr als sicher. Es wurde ihrer gedacht ‑ "Gott gedachte des Noah und alles Getiers und alles Viehes, das mit ihm in der Arche war".

 

So wird auch bei einem anderen auserwählten Überrest in späteren Tagen vor dem Bundes‑Gott, der jetzt an Noah gedachte, "ein Gedenkbuch geschrieben sein für die, welche Jehova fürchten und seinen Namen achten" (Mal 3, r.6). Und kraft dieses Bundes‑Gedächtnisses ließ Gott einen Wind über die Erde fahren. Die Wasser sanken, und die Arche ruhte auf dem Gebirge Ararat. Dieses Gedenken Gottes war köstlich für Noah. Es war der verborgene Trost des Glaubens. Indessen gab es für ihn in seinem Zufluchtsort auch gesegnete Übungen des Geistes. Die Arche besaß ein Fenster. Die Tür wurde von dem Herrn verwahrt, aber das Fenster war für den Gebrauch Noahs bestimmt. Der, der ihn eingeschlossen hatte, konnte auch allein ihn wieder hinaus lassen. Die passende Zeit dafür stand in Seiner Hand. Aber obgleich die Zeit seiner Pilgrim­schaft nicht abgekürzt werden konnte, so wurde doch die Hoff­nung in ihm genährt und sein Geist auf gesegnete Weise ge­übt. Noah konnte das Fenster öffnen, hinaussehen und seine Boten aussenden, damit sie ihm über den Zustand der Erde Nachricht brächten.

 

In welcher Schönheit und Weisheit begegnen wir in diesem allem! Gott belehrt uns durch diese Erzählungen aus den frühesten Zeiten in vorbildlicher und sinnbildlicher Weise und teilt uns so die Geheimnisse des Evangeliums "die Erfahrungen der Seele und die persönliche Wirksamkeit des Geistes mit. Die großen Wahrheiten werden auf diese Weise unseren Her­zen tief eingeprägt. Das ganze erste Buch Mose ist voll von der solchen Bildern. Hier drückt die Sendung des Raben und Taube ;die Erfahrung des Heiligen aus in der einander ent­gegengesetzten Wirksamkeit des Fleisches und des Geistes, die in ihm streiten. Der Rabe kehrt nicht zurück. Die Erde mag noch ungereinigt sein, aber die unreine Natur kann sich da aufhalten. Die "gegenwärtige böse Welt" wird dem gefallenen, entehrten Menschen genügen. In der Tat, die Arche war für den unreinen Raben mehr ein Ort der Gefangenschaft, als der Sicherheit. Er kehrt nie wieder dahin zurück, nachdem er ihr einmal entschlüpft ist. Aber Noah traut ihm nicht. Der Rabe mag draußen bleiben, aber das ist noch kein Beweis für Noah, daß die Erde rein Ist. Er sendet ihm, daher einen reinen Vogel nach, und die Nachricht, die dieser bringt, lautet anders. Die Taube kam zurück. Für sie gab es keine Ruhe auf einem Boden, der noch unter dem Gericht Gottes stand und ungereinigt war.

 

Und Noah, in dem Bewußtsein, daß er ihr trauen kann, sendet sie zum zweiten und dritten Male aus. Er kann sich auf sie verlassen, denn sie hat nur an den Pfändern des Friedens und der neuen Schöpfung Gefallen. Bei ihrer zweiten Rückkehr trägt sie ein Ölblatt im Schnabel, und nach ihrer dritten Sen­dung kommt sie nicht wieder zurück.

 

Die Erde war jetzt von dem Fluch befreit, und die Taube konnte sich an dem neuen Zustand der Schöpfung erfreuen. Noah versteht das Ausbleiben dieses reinen Geschöpfes. Er nimmt gleich die Decke von der Arche ab und sieht sich um, und der Gott der Herrlichkeit führt ihn hinaus, wie vorher der Gott aller Gnade hinter ihm zugeschlossen hatte. Die ganze Handlung ist sehr bezeichnend und ausdrucksvoll.

 

Noahs Herz war durch keine Zweifel beunruhigt worden. Er hatte sich nicht damit beschäftigt, die Balken der Arche zu betrachten, ob sie auch imstande wären, die Wasser abzu­halten ‑ er zweifelte keineswegs daran. Und durch ein gleiches Vertrauen wird Jesus verherrlicht in bezug auf die Sicherheit, die Er dem Sünder gibt. Noah traute völlig auf die Seetüchtig­keit seines Fahrzeugs, weil Gott es angeordnet, ja, ich möchte fast sagen, weil Gott es gebaut hatte. Der Glaube gab seinem Herzen Ruhe und Sicherheit gegenüber dem Gericht. Zugleich war es erfüllt mit der Hoffnung der kommenden Herrlichkeit. Das ist die herrliche Stellung dieses "Gefangenen der Hoff­nung". Ein Gefangener der Hoffnung ist einer von den Titeln, die der Geist allen Heiligen Gottes gibt (vergl. Sach 9, 12). Jeremia war ein solcher. "Er war im Gefängnishofe einge­sperrt, der im Hause des Königs von Juda war", und zwar um Christi willen. Zu ihm wurde gesagt, daß er das Feld Hanamels kaufen solle (Jer 32, 7), und das war Nahrung für seine Hoff­nung, wie das Ölblatt im Schnabel der Taube, denn es zeigte dem Propheten, daß gute Tage kommen sollten, obgleich er in jenem Augenblick im Gefängnis saß, das Heer der Chaldäer vor den Toren der Stadt lag und das ganze Land verwüstet war. Die Wasser umgaben ihn sozusagen überall, aber die Arche des Propheten besaß, wie die Arche des Patriarchen, ein Fenster.

 

Gerade so verhielt es sich auch mit Israel in der Passahnacht. Die Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand und die Len­den gegürtet, so warteten die Israeliten inmitten der Gerichte des Herrn. Aber wie unser Patriarch, so warteten auch sie nur darauf, auszuziehen in das Erbe des Herrn. Und Jesus, der in allen Dingen den Vorrang hat, zeigt uns immer aufs neue den vollkommenen Weg eines Gefangenen der Hoffnung, der auf die Auferstehung seinen Blick richtet. So z. B. in Joh ‑12. Als Er nach Jerusalem kam und die jüdische Volksmenge und die heidnischen Fremden Ihn zu sehen wünschten, als es den An­schein hatte, als ob die ganze Würde und Freude des Sohnes Davids Seiner warteten, harrte Sein Herz doch auf die Hoff­nung der Auferstehung, auf die "vor ihm liegende Freude", und mit dieser Erwartung beschäftigt, sprach Er von dem Wei­zenkorn "das in die Erde fällt und stirbt. Mit Ausharren und Verlangen ruhte Sein Auge auf der Herrlichkeit, die nicht in jener Stunde, sondern jenseits von ihr lag. In völliger Hin­gebung und Aufopferung übergab Er Sich völlig dem Willen des Vaters, und die Stimme aus dem Himmel antwortete Ihm mit der Versicherung, daß für die Verherrlichung des Namens des Vaters zu Seiner Zeit gesorgt werden wurde.

 

Unvergleichlicher Jesus! Diese Stimme aus dem Himmel war köstliche Nahrung für den Gefangenen der Hoffnung, ebenso wie die Verwandlung auf dem heiligen Berge. Jesus hatte mit Seinen Jüngern über Seinen Tod gesprochen und sie ermuntert, nicht ihr Leben in dieser Welt zu lieben, und wenige Tage nachher strahlte der heilige Berg plötzlich in dem Licht der Auferstehung oder der tausendjährigen Herrlichkeit. Und was war das Erscheinen dieser Herrlichkeit anders, als die Trauben von Eskol, die aus Kanaan in das Lager Gottes in der Wüste gebracht wurden, oder als die Rückkehr der Taube zu Noah, mit dem Ölblatt in ihrem Munde?

 

Doch die Zeit kommt, "dem Gefangenen der Hoffnung das Doppelte zu erstatten" (Sach 9, 12). "Und Gott redete zu Noah und sprach: Gehe aus der Arche, du und dein Weib und deine Söhne und die Weiber deiner Söhne mit dir. Alles Getier, das bei dir ist, von allem Fleische, an Gevögel und an Vieh und an allem Gewürm, das sich auf der Erde regt, laß mit dir hin­ausgehen' (‑ MO 8, 17). ‑ Und Noah ging hinaus. Er landete auf der erneuerten Erde, wo in jenem Augenblick alles wieder in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes war, nicht mehr verderbt, wie damals, als er in ihrem alten Zustand auf ihr umherging, sondern rein infolge der Reinigung durch das Gericht.

 

Alles, was dreizehn Monate vorher in die Arche gegangen war, kam jetzt wieder aus ihr hervor. Klein und groß war darin gewesen, und das Kleine war so sicher wie das Große, das Gewürm war so frei von aller Gefahr wie Noah selbst. Kost­bare Wahrheit! Wir mögen klein sein, und wir sind es, wie unser Herz wohl weiß, aber der Himmel oder die kommende Herrlichkeit ist, wie die Arche, dafür eingerichtet, die Kleinen sowohl wie die Großen aufzunehmen. "Eine Stimme kam aus dem Throne hervor, welche sprach: Lobet unseren Gott, alle seine Knechte, und die ihr ihn fürchtet, die Kleinen und die Großen" (Offb ‑ic), 5)! Wir können ruhig sein, obgleich wir wissen, daß wir in jeder Hinsicht klein sind, wie das Gewürm, das mit Noah hineinging, denn dieses Kleine war gleichfalls in den Bund eingeschlossen, der alles und jedes in seiner Art und nach seinem Maße zu Erben der neuen Welt machte. Das Haus des Vaters droben ist sicher diesem Unterschied von klein und groß entsprechend eingerichtet. Clemens und andere Arbeiter waren kein Paulus, in betreff des Maßes ihrer Arbeit oder der Energie des Geistes, aber ihre Namen waren im Buche des Lebens so gut wie der Name des Paulus (Phil 4, 3). Der Vater hat Sein Haus in den Himmeln zu dem Zweck gebaut, die Heiligen ebensowohl wie Jesum Selbst darin aufzunehmen. Das ist ein Teil der ursprünglichen Bestimmung. Vor Grund­legung der Welt war dieser Plan festgesetzt. In den Ratschlüs­sen der ewigen Liebe war beschlossen, daß dieses Haus ein großes, mit vielen Wohnungen sein sollte, damit alle Kinder darin Platz finden möchten.

 

Was sollen wir dazu sagen? Entsprechen unsere Gedanken hierüber der Liebe Gottes? Ebensogut könnten wir sagen, daß unsere Ansicht von dem höchsten Berge der Schöpfung Gottes entspräche. Unser Blick kann nicht den zehntausendsten Teil der Erde erfassen, wieviel weniger "die Breite und Länge und Tiefe und Höhe ‑ und die die Erkenntnis Übersteigende Liebe des Christus!"

 

III

 

"Und Noah baute Jehova einen Altar; und er nahm von allem reinen Vieh und von allem reinen Gevögel und opferte Brand­opfer auf dem Altar" (Kap. 8, 2o). Als in späteren Tagen Salomo das Königreich empfing, geschah es auf Grund des Blutes Christi und im Glauben an das Blut. Es handelt sich hier nicht darum, wie weit das Verständnis Salomos ging, sondern um die wahre Grundlage, auf der ihm das Königtum zuteil wurde. Er ging hinauf auf die Höhe zu Gibeon, weil dort das Zelt war, das Mose in der Wüste gemacht hatte, und opferte tausend Brandopfer. So auch unser Patriarch. Sobald er sein Erbe empfing und seinen Fuß auf die "jetzige" Erde (wie Petrus sie nennt) setzte, bezeugte er durch den Altar und das Opfer, daß er durch die Kraft desselben Blutes in sein Besitztum eintrat; denn in dem Glauben daran betete er an. Die Antworten Gottes auf den einfältigen Glauben Seiner Knechte übertreffen alle Beschreibung. In der Nacht, die jenem Tage folgte, an dem Salomo sich vorbildlich auf das Blut Christi berufen hatte, erschien ihm Gott und sagte: "Bitte, was ich dir geben soll" (i. Kön 3, 5). So kostbar war das Blut in Seinen Augen, daß Er Sich dem Sünder, der es vor Ihn gebracht hatte, sogleich zur Verfügung stellte! Und auf Grund dieses Blutes und des Glaubens, der es vor Ihn bringt, dürfen auch wir jetzt zu einem jeden sagen: Bitte den Herrn, deinen Gott, um was du willst. Erbitte es in der Tiefe oder in der Höhe, ja, fordere von Ihm alles, was du bedarfst, alles, was Seine Hände bereitet haben! Er wird es dein Glaubenden nicht vorenthalten. Es verhält sich mit uns, wie mit Salomo. War er in sich besser oder vor Gott willkommener als wir? Nein, in keiner Hinsicht.

 

So war auch bei Noah nichts anderes vor Gott, als das Opfer und der Glaube, der sich auf das Opfer stützte. Und Jehova roch den lieblichen Geruch, und Jehova sprach in seinem Herzen: Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen um des Menschen willen; denn das Dichten des menschlichen Her­zens ist böse von seiner Jugend an; und nicht mehr will ich hinfort alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe. Forthin, alle Tage der Erde, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, und Frost und Hitze, und Sommer und Winter, und Tag und Nacht" (i. Mo 8, 21‑22). Die Reinigung der Erde durch die Wasser des Gerichts hatte keine Veränderung in dem Dichten und Trachten des menschlichen Herzens hervorgebracht. Es war noch böse und nur böse. Es war unverändert geblieben, denn: ,was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch". Es gab in dem Menschen keine Veränderung, die Gott Gedanken des Frie­dens über ihn hätte eingeben können. Es war einzig und allein das Blut, auf das der Glaube eines armen Sünders vor Ihm sich stützen konnte. Aber dieses Blut erweckte trotz des Bösen Gedanken des Friedens in Seinem Herzen. Christus stand vor den Augen Gottes, und das war genug. Ebenso wie es der Fall war an dem großen Versöhnungstage in Israel (3. Mo 16). Das Blut der Besprengung wurde da überall gesehen. Das war das große Geheimnis, der Hauptgrundsatz jenes vorbildlichen Tages. Das Blut des Lammes Gottes wurde in die Gegenwart Gottes gebracht, begleitet von der Weihrauchwolke, so daß Aaron selbst verborgen blieb, während zugleich kein Mensch in dem Zelte der Zusammenkunft sein durfte, so lange der heilige Dienst der Blutsprengung währte. Christus wurde vor­bildlich gesehen, und nur Er allein, und die Folge davon war, daß die Sünden hinweg getragen wurden in eine Wüste, in ein Ödes Land ‑ an einen Ort des Vergessens, wo es keine an­klagende, richtende oder verdammende Stimme mehr gab, ja, wo nichts gehört werden konnte als die Stimme jenes Blutes, das Besseres redet als das Blut Abels.

 

Jenes Blut stand auch in dem Falle Noahs vor dem Auge Je­hovas und bewegte Sein Herz. "Jehova sprach in seinem Her­zen: Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen". Wie der Herr Selbst sagt: Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse" (Joh 10,17). Das Herz Jehovas besiegelt die Annahme des Opfers, als der glaubende Noah sich vor­bildlich auf Jesum stützte. Die unbeschränkte Aufforderung Gottes: "Bitte, was ich dir geben soll!" besiegelte sie später für Salomo (2. Chron i.). In diesen und ähnlichen Zeugnissen, die sich wieder und wieder im Alten Testament in Vorbildern und Schatten finden, erkennen wir eine gesegnete Darstellung des Werkes des Kreuzes Christi vor Gott. Das Zeugnis des Vorhangs, das Erdbeben und die geöffneten Gräber zur Zeit, als das wahre Opfer ein für allemal dargebracht wurde, be­zeugen dasselbe. In der verschiedensten Weise wird die An­nahme des auf Golgatha geschehenen Werkes bestätigt und bezeugt.

 

Noah wird jetzt auch der Gegenstand neuer und vielfältiger Segnungen in der Herrlichkeit der neuen Erde, wie er vorher schon gesegnet war in der Erwählung der Gnade und in der Gerechtigkeit, die aus Glauben ist. "Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde; und die Furcht und der Schrecken vor euch sei auf allem Getier der Erde und auf allem Gevögel des Himmels! Alles, was sich auf dem Erdboden regt, und alle Fische des Meeres, in eure Hände sind sie gegeben" (i. Mo 9, 1‑2).

 

Diese Segnung brachte Noah auf der neuen Erde Besitz und Herrschaft und die freie Benutzung aller Geschöpfe, die gut zur Speise waren. "Alles, was sich regt, was da lebt, soll euch zur Speise sein". Das war ein großes Geschenk, so ausgedehnt, wie der Schauplatz, der ihn umgab. Er war Herrscher über alles, was er rings um sich her erblickte, Herr der neuen Erde, wie Adam Herr des Gartens gewesen war. Indes wird Noah nicht nur geehrt und bereichert, sondern auch unterrichtet. Er wird belehrt, daß das Blut der Tiere nicht mit ihrem Fleische gegessen werden sollte. "Das Fleisch mit seiner Seele, seinem Blute, sollt ihr nicht essen". Dieser Grundsatz zieht dein Ge­schenk, das Noah empfing, eine Grenze, so wie einst das Ge­schenk, das Adam empfing, eine Beschränkung erfahren hatte dadurch, daß der Baum in der Mitte des Gartens davon aus­geschlossen wurde.

 

Das Blut war das Leben, und deshalb ‑sollte der Mensch es nicht essen. Das würde bedeuten daß er eigenwillig wieder an sich reißen wolle, was er durch die Sünde verloren hatte. In­folge seines Falles war ihm der Weg zum Baum des Lebens für immer versperrt worden. Wie hätte er sich einen Durchgang durch das flammende Schwert der Cherubim erzwingen kön­nen? Diese Anordnung sagte dem Sünder, daß er sein Recht auf den Baum des Lebens für immer verloren hatte und in eigener Kraft nie wieder zu ihm gelangen konnte. Das Leben ist gleichsam wieder zu Gott zurückgekehrt. Das Blut gehört ihm. Und das Evangelium sagt uns, wie Er es dazu benutzt hat, um für den verlorenen, im Tode liegenden Sünder ein neues, unvergängliches und ewiges Leben zuzubereiten. Die Handlungsweise Gottes in dem Evangelium wird uns daher in der göttlichen Verordnung an Noah aufs neue dargestellt: ,Das Fleisch mit seiner Seele, seinem Blute, sollt ihr nicht essen". Der Altar Noahs hatte uns schon gesagt, daß Noah, wie Adam, an den Samen des Weibes glaubte, und daß jenes Geheimnis die Grundlage seiner Überzeugung und seiner An­betung bildete. Und hier, wo Gott ihm alle Dinge zum Besitz und zum Gebrauch gibt, übergeht Er diese große Ausnahme in Seinem Geschenk nicht, weil sie den Seinem Evangelium zu­grunde liegenden Hauptgedanken ausdrückt. Diese Ausnahme war, infolge der seit den ersten Tagen Adams eingetretenen großen Veränderung und im Blick auf den Unterschied zwischen einem unschuldigen Geschöpf und einem dem Verderben preis­gegebenen Sünder, ebenso passend und notwendig, wie die Ausnahme des Baumes der Erkenntnis, als Gott, der Schöpfer, einst alles dem Adam schenkte, womit Er den Schauplatz ge­schmückt und gefüllt hatte.

 

Wir empfangen Leben von Jesu, der durch Sein Blut Ver­söhnung gemacht hat, indem wir zugleich völlig anerkennen, daß wir es sonst nirgends erhalten können. Wir wissen, daß wir tot waren in Vergehungen und Sünden, aber wir wissen auch, daß wir jetzt Leben haben in Ihm, und in Ihm allein. Adam lernte dies durch die Verheißung des Samens des Wei­bes und durch das Schwert der Cherubim. Noah lernte und bezeugte es durch jene Verordnung und durch seinen Altar. Ja, das ganze Buch Gottes offenbart diese Wahrheit, und die Ewigkeit wird sie verherrlichen.

 

Doch mehr noch. Wir finden Noah mit dem Schwert der Ge­rechtigkeit in der Hand. Sein Mitmensch sollte beschützt und gerächt werden. Die Person des Menschen war geheiligt, und sein Leben oder sein Blut sollte gefordert werden von einem jeden, der es vergoß. "Und wahrlich, euer Blut nach euren Seelen, werde ich fordern; von jedem Tiere werde ich es for­dern, und von der Hand des Menschen, von der Hand eines jeden, seines Bruders, werde ich die Seele des Menschen for­dern. Wer Menschenblut vergießt durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden *).

_______________

*) In Noah wurde der Grundsatz der Regierung dargestellt, wie Adam der Vertreter der Schöpfung war.

 

Wer wird dein nicht zustimmen? Unser ganzes Gefühl urteilt, daß es richtig ist, die Person des Menschen als geheiligt zu behandeln. Während jedes andere lebende Wesen dem Ge­brauch des Menschen unterworfen wurde, sollte sein Mit­mensch in seinen Augen geheiligt sein, und zwar deshalb, weil er "im Bilde Gottes" geschaffen ist. Es ist eine Würde in dem Menschen, die er allein besitzt. Er ist das natürliche Haupt der Schöpfung. Er ist der Besitzer und Regierer, nicht aber ein Teil des übertragenen Erbes oder des anvertrauten Besitztums.

 

Wir kommen jetzt zu einem anderen wichtigen Gegenstand. "Mit dir will ich meinen Bund errichten", hatte Gott zu Noah gesagt, bevor die Arche gebaut war. Jetzt, nachdem das Gericht vorüber und die neue Erde in Besitz genommen ist wird jener Bund dem Auserwählten Gottes ausführlich vorgestellt und aufs neue zugesichert. Das Wort "Bund" wird bei Noah zuerst gebraucht. Die Bündnisse, von denen wir in der Schrift lesen, haben alle ihren besonderen Charakter. Die Personen, zwi­schen denen sie errichtet werden, sowie die Gegenstände, auf die sie sich beziehen, werden alle genau bezeichnet. Sie können nicht verwechselt werden. Mag es sich um den Bund mit Noah betreffs der Erde handeln, um den Bund mit Abraham und seinem Samen, um den Bund mit Pinehas betreffs des Priester­tums oder mit David in bezug auf den Thron ‑ stets werden die Personen und Gegenstände deutlich genannt. Aber alle diese Bündnisse, ob einzeln oder zusammengenommen, stellen nicht die besondere Berufung der Kirche dar. Geistliche Seg­nungen in den himmlischen Örtern und die Ergebnisse des Einsseins mit Christo werden durch sie weder beschrieben noch angedeutet. Das Alte Testament redet nichts von der beson­deren Stellung, Berufung und Hoffnung der Kirche. Dagegen offenbaren die Schriften des Neuen Testamentes in reichem Maße einen Vorsatz oder einen Ratschluß, den Gott gefaßt hat nach dem Wohlgefallen Seines Willens, ein Geheimnis, das ver Grundlegung der Welt in Gott verborgen war, und das die Kirche unmittelbar betrifft. (Siehe Röm ‑16, 25; 1. Kor 2, 7; Eph 1, 9; 3, 8‑11; Kol 1, 26; 2. Tim 1, 9).

 

Hier könnte die Frage entstehen: Nimmt denn dieser Vorsatz oder Ratschluß nicht die Form eines Bundes an? Hat er über­haupt nicht den Charakter eines Bundes? Er wird nie so ge­nannt, obwohl viele Dinge als mit ihm in Verbindung stehend angedeutet werden, welche die Natur eines Bundes haben. Es werden Verheißungen gegeben, Bedingungen aufgestellt und Anordnungen getroffen, wie es zwischen zwei Parteien ge­schieht. "In der Rolle des Buches steht von mir geschrieben« ‑"ich war eingesetzt von Ewigkeit her" ‑ und ähnliche Worte von hoher und heiliger Bedeutung mögen zur richtigen Beant­wortung dieser Frage beitragen. Nicht nur waren unsere Aus­erwählung und Bestimmung die Gegenstände der Ratschlüsse Gottes vor Grundlegung der Welt (Röm 8, 28. 29; Eph 1, 4‑ 5; i. Petr 1, 2), sondern wir wurden damals auch förmlich und tatsächlich von dem Vater Christo gegeben (Joh 6, 37. 39; 10, 29; 17, 2‑9). Auch hören wir, daß Gott das ewige Leben ver­heißen hat vor ewigen Zeiten (Tit 1, 2), ein Wort, das gleich­falls den Charakter eines Bundes andeutet.

 

Wie gesagt, wird der Ratschluß Gottes in bezug auf uns nicht ein Bund genannt, aber doch hat er manche Eigenschaften eines Bundes. Und wie wird der Geist eines Gläubigen erfreut durch die kostbare Wahrheit, daß bei jener großen Handlung die ganze Gottheit zugunsten unserer Seelen tätig war! So lesen wir z. B. in ‑i. Petr 1: "Auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehor­sam und zur Blutbesprengung Jesu Christi". Was für uner­schütterliche Grundlagen sind das! Welch eine wunderbare Offenbarung der Gnade! Gott Selbst ‑ Vater, Sohn und Heili­ger Geist ‑ beratschlagen und sind tätig für uns! In dem Evan­gelium der Gnade nimmt der Mensch nur den Platz des Sehens und Hörens ein, Gott den des Handelns. Und diese Handlun­gen Gottes sind, wie wir sehen, die Frucht köstlicher und wunderbarer Vorsätze, die Er ;in Sich Selbst faßte, bevor die Welten gegründet waren. Kann es für den Sünder wohl etwas geben, was die Unruhe seines Gewissens besser zu stillen vermöchte, als diese Handlungen und Opfer Gottes für ihn gemäß Seinen ewigen Ratschlüssen?

 

Noah erhielt die Verheißung, daß die Wasser nicht wieder zu einer Flut werden sollten, die Erde zu verderben, aber diese Verheißung ruhte auf den festen Grundlagen des Blutes eines Bundes. Noahs Altar hatte schon einen lieblichen Geruch, einen Geruch der Ruhe, zu Gott emporsteigen lassen, und in der Befriedigung und Freude darüber hatte der Herr gesagt: "Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen um des Men­schen willen". jenes Blut war die Grundlage der Verheißung. Es gibt keine verheißene Segnung, die nicht zugleich eine erworbene ist, keinen Thron der Gnade, der sich nicht auf die Lade des Bundes stützt.

 

Doch dem Bunde fehlt auch sein Siegel nicht. Der Bogen in den Wolken besiegelt ihn, wie das Blut ihn aufrecht erhält. Wun­derbare Gedanken treten in diesem allem vor unsere Seele. Die Grundlage und das Zeugnis, das Blut und das Siegel, der Beweggrund und die Bestätigung der großen Tat Gottes stehen hier vor uns. Aber alle diese Zeichen, so schön und köstlich sie auch sein mögen, verschwinden, sobald wir an das große Gegenbild dieser Dinge denken. Der Heilige Geist Selbst ist uns jetzt gegeben als das Siegel unserer Sohnschaft, als das Unterpfand unseres Erbes, das Zeugnis des vollendeten Wer­kes Jesu und seiner Annahme in all seiner Genugsamkeit und Kostbarkeit.

 

Wie köstlich ist der Gedanke, daß die Verheißung Gottes durch das Blut des Sohnes aufrecht erhalten und durch die Gegen­wart des Geistes bezeugt wird! Wie hat Gott Sich Selbst uns mitgeteilt in dieser wunderbaren Tat für Sünder! Die Seele kann nichts Höheres empfangen. Wir haben Anteil an gött­lichen Handlungen, und zwar an solchen Handlungen, die auf ewige Ratschlüsse gegründet sind und die uns den Namen Gottes offenbaren als Vater, Sohn und Heiliger Geist".

 

Die Betrachtung dieses Geheimnisses sollte unsere Herzen er­heben, und wir sollten, wie Mose, "hinzutreten, um dieses große Gesicht zu sehen". Möchten wir viel darüber nachden­ken. Das Geheimnis Jehovas ist für die, welche ihn fürchten, und sein Bund, um ihnen denselben kundzutun" (Ps 25, 14). Laßt uns diese große Handlung Gottes betrachten, die, bevor die Welten waren, angeordnet wurde. Laßt uns sie betrachten, wie sie alle Kräfte der göttlichen Liebe und Macht in dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist in Bewegung setzt und die tiefsten und wunderbarsten Vorsätze der Gnade und Herrlichkeit für die Auserwählten faßt. Laßt uns den Blick darauf richten, bis wir, wie Mose, Ihn entdecken, Der der Mittelpunkt von diesem allem ist.

 

Welch eine wunderbare Sache! Von Natur sind wir weit ent­fernt und entfremdet von Gott. Wir sind so in Gefangenschaft, daß wir nicht einen Schritt vorwärts kommen können. Aber Gott Selbst hat es unternommen, die unermeßliche Entfernung, die uns von Ihm trennte, zu beseitigen und das Haus unseres starken Feindes anzugreifen. Und in der Fleischwerdung Jesu Christi, in Seinen Leiden und Seinem Siege hat diese große Tat der Liebe ihre Erfüllung gefunden, und wir sind umgeben mit Rettungsjubell. Wäre es möglich, daß wir, während wir dies anstaunen, noch im geringsten fürchten könnten, der Ent­fernte sei nicht nahe gebracht oder der Gefangene nicht be­freit? Gewiß, bei Flut großer Wasser ‑ ihn werden sie nicht erreichen". Wir dürfen mit aller Gewißheit sagen. "Du bist ein Bergungsort für mich; vor Bedrängnis behütest du mich; du umgibst mich mit Rettungsjubel" (PS 32).

 

Diesen allgemeinen Gedanken über die Bündnisse und ihre Zeichen möchte ich noch eine Bemerkung über das Zeichen, das dem Noah gegeben wurde, hinzufügen. Es hat eine schöne Bedeutung. Der Bogen ruhte sozusagen triumphierend auf den Wolken. Sein Ansehen und seine Stellung waren die eines Siegers. Er rief den Wolken gleichsam zu: "Bis hierher sollt ihr kommen und nicht weiter". Die Erde sowohl wie der Bund, der jene sicherstellt, leben in dem Gedächtnis Gottes. "Der Bogen wird in den Wolken sein; und ich werde ihn ansehen, um zu gedenken des ewigen Bundes zwischen Gott und jedem lebendigen Wesen von allem Fleische, das auf Erden ist" (i. Mo 9, ‑16). Gott gedenkt also dieser Verheißung für die Erde und sieht den Bogen in den Wolken an zu aller Zeit und während all der verschiedenartigen Verwaltungen Gottes auf der Erde. Er gedachte daran, während die Herrlichkeit ihren Wohnsitz auf der Erde aufgeschlagen und Gott Selbst Sich zwischen den Cherubim in dem Tempel zu Jerusalem nieder­gelassen hatte. Und als der Thron Gottes jene Stadt verließ und das Heiligtum wegen der Greuel des Volkes die Herrlich­keit verlor, wurden der Thron und die Herrlichkeit durch den Regenbogen zum Himmel begleitet (Hes Und obgleich die Erde dann für eine Zeit aufhörte, der Wohnplatz Gottes zu sein, so blieb sie doch noch vor Ihm im Gedächtnis. Er wollte ihrer eingedenk sein als des Gegenstandes Seiner treuen Für­sorge gemäß Seiner Verheißung*).

_______________

*) So verhält es sich auch mit dem Thron Davids. Er liegt gegenwärtig in Trümmern. Aber der Herr gedenkt Seiner Verheißung in bezug auf ihn, wie der Verheißung betreffe der Erde. In Jeremia 33, 20‑26 finden wir diese beiden Verheißungen und Bündnisse miteinander verbunden. Obgleich jetzt mißachtet und von den Basen bespöttelt, sind diese Verheißungen doch noch im Gedächt­nis Gottes, und sie werden zu ihrer Zeit in Erfüllung gehen.

 

Daher sehen wir auch, wenn der Himmel vor unseren Blicken geöffnet wird, den Bogen den Thron umringen (Offb 4). Ferner zeigt er sich, wenn der Herr zur sofortigen und unmittelbaren Ausführung des Gerichts erscheint. In Offenbarung 10 gehen wir einen starken Engel, den göttlichen Vollstrecker des Tages des Herrn, herniederkommen auf die Erde, bekleidet mit einer Wolke, dem Symbol des Gerichts und dem schreck­lichen Gefäß der Rache. Aber auf Seinem Haupte glänzt der Regenbogen, und das zeigt uns, daß Gott bis zum Ende hin Seiner Verheißung betreffs der Erde gedenkt. Die Wolke muß allerdings herabkommen ‑ "sie werden den Sohn des Men­6chen kommen gehen auf den Wolken des Himmels". Das Gericht muß stattfinden. Die Bücher müssen aufgetan und die Schalen ausgegossen werden, aber es geschieht nur, um die­jenigen aus dein Reich zu entfernen, welche lästern, "um die zu verderben, welche die Erde verderben“. Wenn die Wolke ihren Auftrag ausführt, muß sie auf das Geheiß des Bogens innehalten. Der Tag des Herrn, oder das Gericht, muß der Gegenwart des Herrn, oder der Erquickung und Wiederher­stellung, Platz machen. "Es wird keine Frist mehr sein", mag der starke Engel rufen. Der gegenwärtige Zeitlauf mag wieder unterbrochen werden, wie einst in den Tagen Noahs, aber vor den Augen des Herrn glänzt der Bogen so herrlich wie je zuvor, und in Seinem Herzen lebt Seine Verheißung. Wie Israel um der Väter willen, so ist die Erde noch geliebt um Noahs willen, jenes wahren Noah, in dein (und in dem allein) alle Verheißungen Gottes Ja und Amen sind, und von dem in Seiner ganzen Fülle und Wahrheit gesagt werden wird: "Dieser wird ‑uns trösten über unsere Arbeit und über die Mühe unserer Hände wegen des Erdbodens, den Jehova verflucht hat.

 

Unsere Erde wird daher das Gericht überdauern. Sie wird den Stoß des Herniederkommens des starken Engels aushalten, obgleich er mit einer Wolke bekleidet ist und seinen rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde setzt und mit starker Stimme ruft, wie ein Löwe brüllt. Und wozu wird sie aufbewahrt? Noch zu etwas Höherem, als was der Bogen ihr verheißen hat. Sie wird nicht nur erhalten mit Saat und Ernte, Prost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht, sondern sie wird freigemacht werden "zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes". Das ist mehr, als verheißen war. So wird das Siegel anerkannt und das Pfand eingelöst werden. Welch ein herrliches Geheimnis: Gottes Verheißung mit dem Opfer des Sohnes als Grundlage und der Gegenwart des Geistes als Zeugnis!

 

Und wir? Sollten wir heute solchen Offenbarungen Gottes mit derselben Ruhe gegenüberstehen, mit der sie uns gegeben werden? Oder was geziemt sich für uns? Die Königin von Scheba stand den Herrlichkeiten Salomos durchaus nicht in derselben Weise gegenüber, in der Salomo unter ihnen wohnte. Salomo war in ihrer Mitte zu Hause. Sie waren alle sein eigen. Es war seine Weisheit und sein Haus, das er gebaut hatte, die Speise seines Tisches und das Sitzen seiner Knechte. Es war rein Aufgang, auf dem er hinaufging zum Hause Jehovas. Die Königin von Scheba aber kam aus dem fernen Süden und wurde in dies alles nur hinein geführt. Passend war es, daß Salomo darin ruhte, und passend, daß sie außer sich geriet. So sollte es auch sein mit dem Buch Gottes und dem Gläubigen. Alle die tiefen und kostbaren Geheimnisse, die der Geist darin entfaltet, sind Sein eigen, die Gedanken und Ratschlüsse des Herzens Gottes. Wir finden da keine Anstrengung, um durch die Art der Mitteilung Eindruck zu machen. Die Erzählung der Wunder der Gnade und Herrlichkeit ist ungekünstelt. Aber sollte die Seele, die in sie hinein geführt wird, ebenso unbe­wegt sein? Im Gegenteil! sie sollte noch viel mehr in Ent­zücken geraten als jene, die von den äußersten Enden der Erde kam, "denn mehr als Salomo ist hier".

 

Möchten wir mehr von diesem Entzücken kennen! Wir reden gar zu leicht von den Dingen Gottes in einer Weise, als ob nicht mehr Kostbarkeit darin enthalten wäre, als das, was unsere Herzen davon zu erfassen vermögen. Aber wenn vor unseren erstaunten Blicken ein Geheimnis nach dein anderen aus der Weisheit Dessen, Der größer ist als Salomo, hervor­kommt, dann sollte wahrlich auch die Sprache unserer Herzen sein: "Glückselig sind deine Leute, glückselig diese deine Knechte, die beständig vor dir stehen, die deine Weisheit hören!"

 

IV

 

Reich ausgestattet, gesegnet und geehrt, unterrichtet und zum Herrscher eingesetzt, und bei alledem in Ruhe und Sicherheit, So wurde Noah in die neue Welt eingeführt. Nichts Böses war ringsumher zu erblicken, kein Feind war zu sehen. Eine neue probe des Menschen unter neuen Umständen begann, und wie bei Adam in Eden, so war auch hier von Gottes Seite nichts unterlassen worden. Alles war in Ordnung. Aber wie steht es mit dem Menschen? Wenn Adam vor der Zeit Noahs fehlte und den Garten verlor, wenn Israel nach ihm fehlte und das Land von Milch und Honig einbüßte, so mag wohl auch zu Noah gesagt werden: "Liebst du mich mehr als diese?" In Christo und in Ihm allein ist unfehlbare Treue und Stärke. Noah fehlt, wie die übrigen, und der jungfräuliche Boden der neuen Welt wird wiederum schnell besudelt durch den Fuß des ersten Menschen, der ihn betritt.

 

Und Noah fing an ein Ackersmann zu werden und pflanzte einen Weinberg. Und er trank von dem Weine und ward trunken, und er entblößte sich in seinem Zelte".

 

So wurde Noah zuschanden. Gerade der erste Mensch, der Adam des neuen Systems, beginnt die Geschichte des zweiten Abfalls, so wie sein Vorfahr die des ersten begonnen hatte, und schnell nimmt das Böse zu. Ham freut sich über die Schan­de seines Vaters. "Ham, der Vater Kanaans, sah die Blöße seines Vaters und berichtete es seinen beiden Brüdern draußen". Das war ein schrecklicher Fortschritt im Bösen. Es war nicht nur ein "Übereilt werden von einem Fehltritt", sondern ein Wohlgefallen finden an der Ungerechtigkeit". Das natürlich sittliche Gefühl wendet sich mit Abscheu davon ab. Sein und Japhet "nahmen ein Gewand und legten es beide auf ihre Schultern und gingen rücklings und bedeckten die Blöße ihres Vaters". Noah erwacht von seinem Wein. Er, der übereilt worden war, kommt wieder zu sich selbst, wird wiederher­gestellt, und die Gnade Gottes gibt ihm einen großen und herr­lichen Triumph: der Wiederhergestellte richtet seinen Richter und verurteilt seinen Ankläger. Er sagt: "Verflucht sei Ka­naan! ein Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern!" Das war mehr als Wiederherstellung. Selbst das herrliche Wort des Apostels: "Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage er­heben?" drückt das nicht aus, denn in diesem Wort liegt nur das Verstummendes Anklägers, während hier die Anklage auf den Kläger zurückgeworfen wird. "Freue dich nicht über mich, meine Feindin! denn bin ich gefallen, so stehe ich wieder auf ... Und meine Feindin soll es sehen, und Scham soll sie bedecken, . . . nun wird sie zertreten werden wie Straßenkot" (Micha 7, 8-10).

 

Doch laßt uns einen Augenblick das Gemälde betrachten, das der Geist der Prophezeiung vor uns entrollt.

 

Der Fluch über Kanaan ist nur ein Teil der Prophezeiung Noahs. Noah sah im Geiste von der erneuerten Erde in die Zukunft hinaus. Er sah die Rückkehr des Verderbens und der Gewalttat vorher, aber auch daß die Gnade Gottes in deren Mitte ein Zeugnis aufrecht erhalten würde. Er sah, daß der eine Zweig (Sein) der menschlichen Familie, welche die Erde jetzt wieder bevölkern sollte, ausgezeichnet werden würde durch die Offenbarung und Gegenwart Gottes unter ihnen, der andere (Japhet) durch seinen Erfolg und sein Emporkommen in der Welt, ‑ ein Volk, das sich auf der Erde ausbreiten und berühmt werden würde ‑, und der dritte (Ham) durch das beständige und unveränderliche Zeichen der Erniedrigung und Knechtschaft. Seine Prophezeiung betrachtete sozusagen den Asiaten, den Europäer und den Afrikaner, oder den Hebräer im Osten, bei dem das Heiligtum Gottes sein sollte, den Heiden des Westens, der unter der Hand und der Vorsehung Gottes sich weit über seine Grenzen hinaus ausdehnen sollte, und den Sklaven des Südens, der wohl einen Wechsel seiner Herren kennen, aber selbst stets ein Sklave bleiben sollte.

 

So kurz diese Schilderung der Geschichte der Welt auch sein mag, so ist sie doch durchaus richtig und, soweit sie geht, voll­ständig und der Absicht des Geistes in Noah entsprechend.

 

Die drei Prophezeiungen, die wir in den frühesten Zeiten der menschlichen Geschichte finden, die von Henoch, von Lamech und von Noah, beschäftigen sich also alle mit der Erde und ihrer Geschichte, obgleich sie sich auf verschiedene Zeiten und Teile dieser Geschichte beziehen mögen, und sie geben zu­sammen ein vollständiges Bild des Ganzen. Wir müssen sie jedoch in dieser Reihenfolge betrachten: Noah, Henoch, Lamech.

 

Noahs Prophezeiung hat von alters her ihre Erfüllung gefun­den und bestätigt sich heute noch in all den Veränderungen, die es in der ernsten und interessanten Geschichte der Welt gibt. Henochs Prophezeiung (Judas 14) redet von Gericht und wird ihre volle Erfüllung finden, wenn der gegenwärtige Zeit­lauf zu Ende geht und der Tag des Herrn kommt, um die Gott­losen von allen ihren Werken der Gottlosigkeit, die sie gottlos verübt haben zu überführen. Lamechs Prophezeiung (i. Mo 5, 29) redet von Ruhe und wird erst dann erfüllt werden, wenn "der Tag des Herrn" das Gericht ausgeführt hat, und "die Gegenwart des Herrn" Wiederherstellung und Erquickung bringen wird.

 

Es wird uns also in diesen Prophezeiungen die Gegenwart und Zukunft der Weltgeschichte ‑ das Gute und Böse der Gegen­wart sowie das Gericht und die Herrlichkeit der Zukunft ‑geschildert, und es ist nicht schwer, diese Dinge zu unter­scheiden und die Reihenfolge und den Charakter jener früheren patriarchalischen Weissagungen zu verstehen.

 

Die Prophezeiung Noahs möchte ich jedoch noch etwas genauer betrachten, da wir uns hier hauptsächlich mit dieser beschäf­tigen. Sie wurde bei der Entdeckung des Bösen in seinem Sohne Ham ausgesprochen, und bevor wir diese Kapitel ver­lassen, wird der weitere Verlauf des Bösen bis zu seiner völ­ligen Reife ausführlich beschrieben. Die erste Erscheinung des Bösen in Noah selbst und seine vorgeschrittene Form in Ham haben wir bereits betrachtet. Sein weiteres Wachstum erblicken wir in der Erbauung Babels, einige hundert Jahre nach der Flut, und zwar in einer wahrhaft erschreckenden Weise.

 

Beim Beginn der neuen Welt war der Altar Noahs als Zeichen des Glaubens und der Anbetung errichtet worden, aber jetzt werden die Stadt und der Turm erbaut, als Zeichen des Trot­zes gegen Gott und der anmaßenden Unabhängigkeit des Menschen. Und so verschieden diese beiden Dinge sind, so verschieden ist auch die Antwort des Himmels auf sie. Der Altar Noahs rief Worte und Zeichen des Friedens und der Sicherheit hervor. Das Geschrei der Stadt und das Erbauen des Turmes rufen das Gericht herab. Verderben auf Erden und Rache von oben bezeichnen jetzt die Szene, statt wie damals, Anbetung hier auf Erden und Segen von Gott. Bei Noah ließ Gott das glänzende Zeichen Seines Bundes in den Wolken erscheinen, aber jetzt zerstreut Er die Gegenstände Seines gerechten Zornes über die ganze Erde.

 

Doch das ist noch nicht alles. Der hohe und stolze Turm mag umgestürzt, und die Erbauer mögen zerstreut werden, aber ihre Grundsätze bleiben bestehen. Das Gericht bessert den Menschen nicht. Der ganze Geist des Abfalls, der jene stolze und aufrührerische Vereinigung beseelt hatte, findet sich sehr bald in vollkommener Tätigkeit und Darstellung in einem ein­zelnen Menschen vereinigt. Nicht lange nach der Zerstreuung (es mögen ungefähr 30 Jahre sein) pflanzt Nimrod, der Enkel Hams, sein Zeichen gerade an der Stelle auf, die Zeugin des Gerichts Gottes gewesen war. "Der Anfang seines Reiches war Babel" (Kap. 10, 10). Er entrollt sein Banner angesichts Des­sen, Dem allein die Rache gehört, und ruft gleichsam: Wo ist der Gott des Gerichts? Er war wie der Tor in Psalm ‑14: "Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott". "Er fing an, ein Gewaltiger zu sein auf der Erde". Er jagte "vor Jehova". Gott zum Trotz trachtete er nach weltlicher Macht und Er­weiterung seines Reiches. Er fügte Haus zu Haus und Feld zu Feld in dem Streben, allein Herr zu sein. Erek und Akkad und Kalne sind Mutterstädte, und das mächtige Ninive mit Recho­both und Kalach und die große Stadt Resen sind nur Töchter­städte in dem Reiche dieses prahlerischen Abtrünnigen. Er hatte kein Herz für das, was Gott ihm geben konnte. Er unter­nahm es, selbst für sich zu sorgen, sein Glück selbst zu machen, um sich dann auch selbst allen Erfolg und alle Ehre zuschreiben zu können. Und gerade so ist der Mensch der Welt heutzutage. Sein Verstand und sein Fleiß, seine Geschicklichkeit und sein Mut machen ihn zu dem, was er ist, und ver­schaffen ihm das, wonach er strebt. So war Nimrod, dieser große Abtrünnige, das früheste Vorbild jenes Gesetzlosen, der am Ende der Tage seinen eigenen Willen tun und das Mag der Ungerechtigkeit des Menschen voll machen wird.

 

Wie wichtig ist es für unsere Seelen, das alles zu betrachten und darauf zu achten! Warten wir auf andere und reinere Dinge, und trachten unsere Herzen nach solchen Genüssen, die Gott gutheißen und Jesus mit uns teilen kann?

 

Hiermit schließt eigentlich der vorliegende Abschnitt. Die Szenen einer bösen und stolzen Empörung sind an unserem Auge vorübergegangen, und das 11. Kapitel endigt mit einem schwachen und entfernten Blick auf die Berufung eines anderen himmlischen und von der Welt getrennten Fremdlings. Aber das ist die Dämmerung eines neuen Tages, der Anbruch eines anderen Abschnitts der Wege Gottes, den wir hier nur in der Entfernung erblicken.

 

Wie schon früher bemerkt, schließt mit dem 11. Kapitel der zweite Teil des ersten Buches Mose. Er stellt eine vollständige abgeschlossene Handlung dar, die in passender Weise der vorhergehenden folgt und ebenso die folgende einleitet. In diesem Abschnitt (Kap. 6‑11) ist der Schauplatz der Hand­lung auf die Erde verlegt. Vorher, in Kap. ‑1‑5, stand die himmlische Familie vor unseren Augen, und ihr Lauf endete mit der Entrückung Henochs. Aber hier ist, wie im. Anfang im Garten Eden, die Erde wieder der Hauptgegenstand, und ich möchte, bevor wir schließen, den Inhalt dieses kleinen Bandes noch einmal kurz zusammenfassen.

 

Die Kapitel 6‑‑8 stellen die Sünde und das Gericht der Erde vor, sowie die Erwählung, den Glauben und die Befreiung der Heiligen.

 

Kapitel 9 zeigt uns die neue Stellung des Menschen in der neuen Welt, wie er in ihr ausgestattet und bereichert wird von dem Gott des Himmels und der Erde und wie dieser Gott ihn in der Gnade des Bundes sicherstellt und zum Vertreter und Vollstrecker der göttlichen Autorität macht.

 

Die Kapitel 10 und 11 endlich enthüllen vor unseren Blicken große Teile der Geschichte der neuen Welt, den Beginn, den Fortschritt und die Reife des Bösen, wodurch die Erde aufs neue in einen solchen Zustand gebracht wird, daß der Herr Sich zum zweiten Male zurückziehen muß und wieder ein Volk absondert, damit es, wie die Heiligen vor der Flut, auf der Erde ein Volk von himmlischen Fremdlingen bilde.

 

Himmel und Erde haben so wiederholt das Geheimnis zum voraus dargestellt, das sie in den kommenden Tagen, den Tagen der Herrlichkeit, entfalten werden, wenn "in dem Namen Jesu jedes Knie sich beugen wird, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekennen wird, daß Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters" (Phil 2, 10. 11).

 

"Das Land soll nicht für immer verkauft werden, sagt der Herr, "denn mein ist das Land" (3. MO 25, 23). Dem Men­schen ist eine bestimmte Anzahl von Jahren eingeräumt, wäh­rend derer es in seine Macht gestellt ist, die göttliche Ordnung zu stören. Neunundvierzig Jahre durfte in Israel das Land verkauft werden, aber im fünfzigsten Jahre machte Gott Sein Recht geltend und stellte alles nach Seinen eigenen Gedanken wieder her. Es gab eine Zeit der Erfrischung und Wiederher­stellung, als ob Er Selbst gegenwärtig wäre. ‑ Welch eine herr­liche und glückselige Hoffnung! "Jehovas ist die Erde und ihre Fülle", heißt es im Anfang von Psalm 24, und dann folgt die Frage: "Wer wird steigen auf den Berg Jehovas?« das heißt. wer wird die Regierung dieser Erde und ihrer Fülle über­nehmen? Die Antwort findet sich in der Aufforderung in Vers 7: "Erhebet, ihr Tore, eure Häupter, und erhebt euch, ewige Pforten, daß einziehe der König der Herrlichkeit! Wer ist dieser König der Herrlichkeit? Jehova, stark und mächtig! Jehova, mächtig im Kampf!" Einem ähnlichen Ausruf begegnen wir in Offb 5. Auf die Frage: "Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu brechen?" erfolgt die Antwort­. das Lamm, das geschlachtet ist der Löwe aus dem Stamme Juda!'. Der, der auf dem Throne sitzt, gibt diese Antwort da­durch, daß Er das Buch aus Seiner Hand in die Hand des Lammes übergehen läßt. Die vier lebendigen Wesen und die gekrönten Ältesten vereinigen sich mit dieser Antwort in dem neuen Liede, das mit der Aussicht auf ihre Herrschaft über die Erde endet. Die himmlischen Heerscharen schließen sich eben­falls dieser Antwort an, indem sie alle Stärke und Ehre und Herrlichkeit dein Lamme darbringen, und jedes Geschöpf, das im Himmel und auf der Erde, unter der Erde und in den Meeren ist, beeilt sich, in seiner Ordnung und nach seinem Maße die nämliche Antwort auszusprechen. Das Recht des Lammes, die Herrschaft auf der Erde zu übernehmen, wird also gerade an dem Platze anerkannt und bestätigt, wo allein alle Herrschaft und Würde rechtmäßig bestätigt werden kann: in der Gegenwart des Thrones im Himmel.

 

Der hochgeborene Mann ist in ein fernes Land gezogen, um ein Reich für Sich Selbst zu empfangen. Jesus, Der alle Macht von seiten des Gottes dieser Welt (Mt 4) und von seiten der Volksmenge (Joh 6) zurückwies, nimmt sie von Gott an, wie Er in Psalm 62 sagt: "Auf Gott ruht mein Heil und meine Herrlichkeit". Und zur rechten Zeit wird Er zurückkehren, und die, die Ihn in den Tagen Seiner Verwerfung anerkannt haben, werden mit Ihm glänzen an dem Tage Seiner Herrlichkeit. Die, welche Ihm hienieden gedient haben, werden dann einen anderen Platz mit Ihm einnehmen.

 

Im Blick auf diesen Tag sagt Paulus zu Timotheus: "Ich gebiete dir von Gott . . ., daß du das Gebot unbefleckt, unsträflich bewahrst bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, welche zu seiner Zeit zeigen wird der selige und alleinige Machthaber, der König der Könige und Herr der Herren. Und in derselben Voraussicht konnte der teure Apostel von sich selbst sagen: "Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fort­an liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tage; nicht allein aber mir, sondern auch allen, die seine Erscheinung liebhaben" (1 . Tim 5, 14‑ ‑15; 2. Tim 4, 7‑ 8)

 

Abraham

 

1. Mose 12‑25

 

.Durch Glauben war Abraham, als er gerufen wurde, gehorsam, auszuziehen an den Ort, den er zum Erbteil empfangen sollte; und er zog aus, ohne zu wissen, wohin er komme. Durch Glauben hielt er sich auf in dem Lande der Verheißung, wie in einem fremden, und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung; denn er erwartete die Stadt, welche Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist" (Hebr 11, 8‑‑10).

 

I

 

Während die Kapitel ‑1‑‑ii des i. Buches Mose die Geschichte der Heiligen vor der Flut oder der Zeiten von Adam bis auf Henoch, und weiter die Geschichte Noahs und seiner Nach­kommen bis zur Zerstreuung der Völker enthalten, wird uns VOM 12. bis ZUM 25. Kapitel die Geschichte Abrahams erzählt. Sie bildet den dritten Teil des ‑i. Buches Mose und stellt uns einen neuen Abschnitt in den Wegen Gottes dar. Dieser Wechsel ist nicht zufällig oder bedeutungslos, sondern wir entdecken darin bei näherer Untersuchung eine schöne Ord­nung und eine überraschende Entfaltung der Weisheit Gottes in bezug auf die Verwaltung der Zeiten. Himmel und Erde werden abwechselnd berufen, die wunderbare Erzählung jener Weisheit zu übernehmen und göttliche Geheimnisse darzu­stellen ‑ Geheimnisse, wie jenes, das "Gott sich vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus' das, was in den Himmeln und das, was auf der Erde ist" (Eph 1, 10).

 

Adam war im Zustande der Unschuld ein Mensch der Erde. Er sollte sich an ihr erfreuen in dem Bewußtsein, daß alles sein war. Aber sobald er aus Eden vertrieben war, wurde er ein Fremdling auf Erden. Er erhielt keinen Befehl, die Erde zu verbessern oder zu schmücken. Er hatte einfach den Boden für seinen Unterhalt zu bebauen. Auch zeigt uns die Verwandlung Henochs, daß die Bestimmung und das Erbe jener frühesten Haushaltung Gottes himmlisch war*).

_______________

*) Die Familie Kains stand in jenen Tagen vor der Flut in unmittelbarem Gegensatz hierzu. Allerdings bebaute auch sie den Boden, aber nicht, um einfach ihren Lebensunterhalt zu haben, sondern um das Leben zu verschönern und den Aufenthalt auf dieser Erde so angenehm wie möglich zu machen. Zweck und Ziel ihrer Arbeit waren die Kultur, der Gewinn und das Vergnügen. Dadurch unterschieden sich die beiden Familien. Die eine bildete sich unter dem Einfluß des Glaubens und des Gehorsams gegenüber den Offenbarungen Gottes, die andere wurde gekennzeichnet durch die Verachtung dieser Offenbarungen, gerade so wie es in der Welt bis zu diesem Tage ist.

 

In Noah hingegen ist der Vorsatz Gottes ein anderer. Noah ist wieder ein Mensch der Erde. Er verließ die Arche in einem ganz anderen Charakter, als Adam den Garten verlassen hatte. Noah trat aus der Arche mit dem Auftrag, als Richter und Regierer die Welt in Ordnung zu halten. Nicht ]Fremdling­schaft, sondern Bürgerschaft auf der Erde und Herrschaft über sie entsprach jetzt wieder der Absicht Gottes. Doch ein zweiter Abfall offenbarte sich unter den Nachkommen Noahs. Im Laufe der Zeit strebten sie nach Unabhängigkeit, indem sie die Furcht Gottes beiseite setzten und ohne Ihn fertig zu werden suchten, wie einst Adam im Garten es gemacht hatte, als er werden wollte wie Gott. Die Antwort Gottes auf den Hochmut des Menschen war die Sprachenverwirrung.

 

Nachher findet Abraham wieder Gnade in den Augen Gottes. Er wird von jenem Schauplatz des Abfalls abgerufen und aus seinem Hause und Lande geführt; und wie wir es nach der abwechselnden Darstellung himmlischer und irdischer Geheim­nisse nicht anders erwarten können, wird nach Noah, dem Menschen der Erde, Abraham wieder berufen, ein himmlischer Mensch zu sein. Der Herr sagt zu ihm: "Gehe aus deinem Lande und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause". Das war der Charakter der Berufung Abrahams. Es war weniger eine Berufung aus sittlichem Verderben, aus Göt­zendienst und dergleichen, sondern vielmehr eine Berufung aus den Verbindungen der Natur und der Erde. Sicher gab es auch Götzen zu verlassen (vergl. Josua 24, 2. 3), aber das bildete nicht die Natur der Berufung. Vielmehr finden wir Ähnlichkeit zwischen Abraham und Adam, nachdem dieser den Garten verlassen hatte. Abraham verließ Ur in Chaldäa, wie Adam Eden verließ. Er empfing nicht den Auftrag, dar, Land Kanaan für den Herrn zu bebauen oder zu erobern und die Völker dort zu regieren. Die Einrichtungen der Welt wur­den,so gelassen, wie sie waren. Abraham hatte mit den Völ­kern, durch die ihn sein Weg nach Kanaan führte, nichts zu schaffen, und auch als er jenes Land erreicht hatte und die Kanaaniter dort vorfand, trat er in keinerlei Verbindung mit ihnen. Er kümmerte sich gar nichtum sie.

 

In Noah war die Regierung Gottes auf der Erde eingeführt worden, wie Im Anfang die natürlichen Beziehungen in Adam. Abraham, aber wurde aus diesem allem herausgerufen. Er emp­fing Gott Selbst durch den Glauben. Sowohl die Beziehungen der Natur, die Adam ihm überliefert hatte, als auch die Re­gierung, die in Noah aufgerichtet worden war, wurden von ihm aufgegeben*).

________________

*) Später ist der Same Abrahams, das Volk Israel, wieder ein irdische, Volk und stellt deshalb gerade das Gegenteil von der Berufung und Stellung Abra­hams dar. Sie erschlagen die Völker Kanaans, und anstatt aus ihrem Lande und ihrer Verwandtschaft herausgerufen zu werden, werden sie gerade dahin geführt: Männer, Weiber, Kinder und selbst das Vieh reisen von Ägypten nach Kanaan ‑ aus dem Lande der Fremdlingschaft In das Land ihres Besitztums.

 

In unserem Patriarchen sehen wir also die Auserwählung und Berufung Gottes. Er gehörte der verderbten, abgefallenen Familie des Menschen an und hatte keinerlei Ansprüche an Gott zu machen. Aber eine unumschränkte Gnade, in deren Kraft alle Erlösten nach dem ewigen Ratschluß Gottes stehen, hatte ihn zu ihrem Gegenstand gemacht, und unter dieser Gnade ist er zu seiner Zeit als ein Auserwählter geoffenbart und von Gott berufen worden, als ein himmlischer Fremdling durch diese Welt zu pilgern. Die Schrift spricht von ihm als dein "Vater aller, die da glauben" (Röm 4, 1‑1. 12); und in der Tat, wir finden in ihm das Leben des Glaubens in einer über­aus köstlichen Weise dargestellt, und gerade das ist es, wobei ich in dieser Betrachtung hauptsächlich verweilen möchte.

 

In dem "Leben des Glaubens" finden wir nicht nur den Grund­satz der Abhängigkeit von Gott oder des Vertrauens auf Ihn,

obgleich das vielleicht der zunächstliegende Gedanke ist. Es bezeichnet weit mehr als das. Es ist ein Leben, das große und mannigfaltige Kräfte offenbart, denn der Glaube vertraut nicht nur auf Gott oder glaubt an Ihn, sondern er versteht auch Seine Wege und handelt in Übereinstimmung mit Seinen Grundsätzen und Absichten. Er empfängt Seine Verheißungen, erfreut sich in Seiner Gunst, führt Seine Befehle aus, erwartet Sein Reich, erringt in Seiner Kraft Siege und wandelt durch Sein Licht im Lichte. ~ Der Glaube stellt somit, obgleich in ver­schiedenartiger Weise, stets ein Leben dar, das Gott entspricht und durch die Gemeinschaft mit Ihm hervorgebracht wird. Demgemäß werden wir in dem Leben Abrahams Gelegenheiten finden, bei denen das Vertrauen auf Gott hervortritt. Zu ande­ren Zeiten offenbart sich Kraft, und Kämpfe werden bestan­den. Dann wieder zeigen sich die Tugenden des Glaubens in dem bereitwilligen Aufgeben von Rechten und in der stillen Unterwerfung unter zugefügtes Unrecht. Diese Verschieden­artigkeit in dem Leben des Glaubens ist schön, denn sie ist nichts anderes als das mannigfaltige Hervorleuchten desselben Sinnes, des Sinnes Christi in den Heiligen. Indes dürfen wir nicht meinen, daß Wir in dem Gläubigen immer nur diesem Licht und dieser Kraft des Glaubens begeg­nen. Vollkommenheit in dem Leben des Glaubens wird nir­gends gefunden, außer in dem Einen, der als "der Anfänger und Vollender des Glaubens" vor unsere Augen gestellt wird, und dessen Weg von Anfang bis zu Ende, und in jedem Au­genblick das Muster dieses Lebens in vollem, ungetrübtem Glanz war. Dennoch dürfen wir das Leben eines Abraham, eines Joseph, eines David oder eines Paulus als ein Leben des Glaubens bezeichnen, weil in diesen Männern jener Grundsatz des Glaubens vorhanden war, obgleich sie immer wieder und auf die verschiedenste Weise die Verderbtheit der Natur, die Wirkung des Unglaubens und die Ratschläge eines Herzens verrieten, das geneigt ist, mit Fleisch und Blut zu Rate zu gehen und die Wege einer abgefallenen Welt einzuschlagen.

 

Abraham begann dieses Leben des Glaubens mit einfältigem Herzen und heiligem ‑Ernst. Er zog aus, "ohne zu wissen, wohin er komme". Er nahm Gott zu seinem Schild und seinem Teil, und gerade darin zeigte sich sein Glaube, denn durch die Trennung von der Welt, auf Grund eines unbedingten Ver­trauens auf Gott, verlor er alles und erhielt dafür nichts, als das Wort Gottes.

 

Wir befinden uns nicht gern in solchen Umständen. Das menschliche Herz fühlt sich unbehaglich darin, aber der er­neuerte Sinn heißt sie gut und rechtfertigt Gott in ihnen. Die Leiden Christi kommen zuerst, danach die Herrlichkeiten (1. Petr 1, ‑11). Israel betrat das Land Kanaan nicht nach einer angenehmen Reise durch ein Land mit friedlichen Städten und Dörfern, mit wogenden Kornfeldern und fruchtbaren Wein­bergen, mit Strömen und Weideplätzen, sondern sie durch­zogen mühsam öde, unbewohnte Steppen und dürre, sandige Wüsteneien, in denen es nichts Ermunterndes für das natür­liche Auge und Herz gab. Ebenso wurde Abraham aus allem herausgerufen, was für die Natur angenehm war, und er zog seines Weges, ohne zu wissen, wo seine Reise enden würde. Nur das eine wußte er, daß Gott ihn gerufen hatte, und das war genug für den Glauben. "Er zog aus, um in das Land Kanaan zu gehen; und er kam in das Land Kanaan".

 

Indes kam er nicht, um einen festen Wohnplatz dort zu finden, sondern nur, um sich in dem Lande der Verheißung aufzu­halten. Er zog von Ort zu Ort und schlug überall nur ein Zelt auf. Der Gott der Herrlichkeit hatte ihm gesagt: "Gehe aus deinem Lande ... in das Land, das ich dir zeigen werde". Er sollte es für immer in seinem Samen besitzen, aber was seine eigene Person betraf, SO Sollte er es nur sehen. Und dement­sprechend finden wir auch, daß er es nur besieht, aber nichts davon in Besitz nimmt. Er geht zunächst nach Sichem, bis an die Terebinthe Mores. Von da zieht er südwärts in die Gegend von Bethel und Ai. Aber wohin er sich auch wenden mochte, überall wohnte er nur in einem Zelte. Es waren zu der Zeit die Kanaaniter im Lande". Sie waren die Besitzer des Landes, und Abraham machte keinen Versuch, ihnen auch nur einen Fußbreit Boden zu entreißen. Er betrachtete und besaß das Land nur in der Weise, wie der Glaube und ‑die Hoffnung es ihm gaben, aber er suchte kein persönliches, gegenwärtiges Besitztum darin. Die Verheißung lebte in seinem Innern, und sie bildete sowohl die Richtschnur seines Handelns, als auch die Freude seines Herzens.

 

Sehr bald aber steht in Abraham ein ganz anderer Mensch vor uns, denn obwohl er ein Mann Gottes war, so besaß er doch, wie wir alle, eine böse Natur, und es gibt, wie gesagt, keinen .in dem Leben des Glaubens Vollkommenen, außer den Herrn Selbst. Eine Hungersnot kam über das Land, in das die Be­rufung Gottes Abraham gebracht hatte. Das war ohne Zweifel eine befremdende Überraschung für ihn. Allein wäre der Glaube tätig gewesen, so würde er dadurch nicht erschreckt sein. Der Glaube in Paulus zeigte sich einer ähnlichen Überraschung gewachsen. Durch die Stimme Gottes nach Ma­cedonien gerufen, findet er dort Gefängnis und Bande. Aber Paulus hält diesen Stoß aus, während Abraham strauchelt. Paulus und sein Gefährte singen Loblieder in dem Gefängnis zu Philippi. Abraham aber nimmt seine Zuflucht zu einer Lüge, nachdem er vor der Hungersnot in Kanaan in einem anderen Lande Hilfe gesucht, von der die göttliche Berufung nicht das mindeste erwähnt hatte.

 

Solche Dinge sind zu allen Zeiten unter den Heiligen gefunden worden. Sie zeigen sich auch heute noch. Es gibt Kleinglauben und auch Unerschrockenheit unter den Auserwählten, so wie sich in jedem von ihnen Fleisch und Geist, die Natur und der erneuerte Sinn befinden. Aber bedenken wir wohl: wenn die Natur uns leitet, wird die Natur uns bloßstellen. Selbst ein irdischer Mann, der Pharao von Ägypten, machte Abraham beschämt, und anstatt in dem Zeugnis seines Zeltes und in der Freude seines Altars voranzugehen, war es eine Reise mit ermatteten Füßen, weil das Herz ihm Vorwürfe machte. Er mußte "die ersten Werke tun", die Stellung, die er verloren hatte, wiedergewinnen, und das ist stets eine schmerzliche Sache, ein kummervolles Werk. Er mußte aus Ägypten zurück­kehren bis zu dem Platze zwischen Bethel und Ai, wo er zuerst seinen Altar erbaut hatte.

 

Die Herden, die er in Ägypten erhalten hatte, begleiteten ihn nach Hause. Der Glanz des Goldes und Silbers, die Gaben eines Landes" das jenseits dessen lag, wohin der Gott der Herrlichkeit ihn berufen hatte, schmückte und zierte seine Rückkehr. So war es bei Abraham, und so kann es heute bei einem Gläubigen sein. Aber was sagen wir zu dem allem? Ist das Blöken und Brüllen solcher Herden in unseren Ohren gleich der sanften Musik eines guten und ruhigen Gewissens? Oder ist dieser blendende Reichtum gleich dem, Glanze der göttlichen Gegenwart, die Abraham verloren hatte? Ich glaube, ich darf für Abraham antworten, ‑ obgleich ich es von mir selbst nicht zu sagen wage ‑ daß sein Geist diesen Unterschied wohl erkannte. Das ermattete Herz fühlte sich wenig erleichtert durch das, was er aus dem Lande Ägypten oder aus dem Hause des Pharao mitbrachte. Es konnte bei einem solchen Manne nicht anders sein. "Wer an mir sündigt, tut seiner Seele Gewalt an" (Spr 8, 36), das muß auch er erfahren haben, und seine Handlungsweise in der Geschichte, die uns in un­mittelbarer Verbindung mit seiner Rückkehr erzählt wird, zeigt uns etwas davon.

 

Lot, sein jüngerer Bruder, oder vielmehr seines Bruders Sohn, der mit ihm aus Ur nach Kanaan gekommen war, wird jetzt ein Anlaß zur Versuchung für ihn, wie vorher die Hungersnot. Aber der Glaube in Abraham triumphiert dieses Mal in be­wunderungswürdiger Weise. Die Hirten der beiden Brüder können ihre Herden nicht mehr zusammen weiden. Sie müssen sich trennen. Das war der Anlaß zu der neuen Versuchung. Aber die Sprache Abrahams ist: "Lot möge wählen". Lot mag die wohl bewässerten Ebenen für sich nehmen. Abraham kann auf den Herrn des Landes vertrauen, obgleich er jene verliert. Er mag Brunnen graben müssen, anstatt sie zu finden. Aber ist es nicht besser, sie in der Kraft Gottes zu graben, als sie auf dem Wege der Habsucht zu finden? Ist es nicht besser, sozusagen in Kanaan auf sie zu warten, als ihretwegen wieder nach Ägypten zu gehen?

 

Das war eine herrliche Wiederherstellung. Und siehe da, jetzt besucht der Herr Seinen Knecht wieder, was Er in Ägypten nicht getan hatte und nicht hatte tun können. Der. Gott der Herrlichkeit, der Abraham nach Kanaan gerufen hatte, konnte nicht mit ihm nach Ägypten gehen, aber Er hatte Sein Wohl­gefallen daran, Sich dem Manne zu zeigen, der in der Freude des wiederhergestellten Vertrauens im Begriff stand, das Beste des Landes seinem jüngeren Bruder zu überlassen.

 

Und nun laßt mich fragen: Wo befinden wir uns? Wo ist unser Herz? Auf welchem Wege wandeln wir in diesem Augenblick? Kennen wir Ägypten in der Bitterkeit der Selbstanklage? oder genießen wir ein wiedererlangtes Kanaan in der Freude der Gunst Gottes? Wandeln wir täglich mit Gott? Da , 9 Leben des Glaubens kennt sehr wohl den Unterschied zwischen der Enge eines weltlichen und der Weite eines gläubigen Herzens. Abra­ham kannte diese Dinge. Er wußte, was Ägypten war, die Stätte des Goldes und Silbers, der Vorwürfe und des Todes. Er wußte, was es war, Ai wiederzugewinnen, ohne unterwegs einen Altar zu haben, und er wußte auch, was es war, wieder mit Altar und Zelt unter den Terebinthen Mamres zu ruhen.

 

So beginnt das mannigfaltige Leben des Glaubens. Doch es enthält noch weit mehr als das. Gerade bei dieser Verschieden­artigkeit der Handlungen zeigt sich die Einsicht des Glauben­den, die Wirksamkeit des Geistes Christi oder des geistlichen Sinnes, der die Dinge unterscheidet, wie sie sind, und der die Fähigkeit besitzt, Zeiten und Gelegenheiten Gott gemäß zu erkennen. Dieses feine Unterscheidungsvermögen des Heiligen finden wir in Abraham in dem jetzt folgenden Teil seiner Geschichte. Die Schlacht der "vier Könige gegen die fünf" wird uns in Kapitel 14 erzählt. So lange es nur ein Streit zwischen jenen Königen war, hatte Abraham nichts damit zu tun, aber sobald er hörte, daß sein Verwandter Lot in den Streit ver­wickelt war, regte er sich.

 

Alles ist schön zu seiner Zeit. "Abbrechen hat seine Zeit und Bauen hat seine Zeit". Es gab für Abraham eine Zeit stille zu sein, und eine Zeit, in Tätigkeit zu treten, und er verstand die Zeit. Die Grundsätze Gottes waren Abrahams Richtschnur. Lot war gefangengenommen worden, und jetzt war es Abrahams Sache, seine Bruderpflichten zu erfüllen. Das Schlachtfeld im Tale Siddim war nunmehr sein Platz, wie bis dahin das Zelt unter den Terebinthen Mamres. Es gab jetzt eine andere Auf­gabe für ihn zu lernen, und die Zeit war da, das Schweigen zu brechen. Sie rief ihn, an der Spitze seiner waffengeübten Knechte, hinaus aufs Schlachtfeld.

 

Diese Einsicht des Sinnes Christi in dem Heiligen ist in der Tat schön. Jedes Ding ist nur schön zu seiner Zeit. Außer der Zeit ist dieselbe Handlung verkehrt und entstellt. Elia mochte von dem Gipfel des Berges Feuer vom Himmel auf die Ober­sten und ihre Fünfzig herabrufen (2. Kön 1), und ebenso mögen die beiden Zeugen in den Tagen von Offb 11 ihre Feinde verzehren durch das Feuer, das aus ihrem Munde geht. Aber für die Begleiter des demütigen und verworfenen Jesus war es unpassend, in solcher Weise mit den samaritischen Dörfern zu handeln (Lk 9). Nur zu seiner Zeit ist jedes Ding wirklich richtig. Wie wurde der Garten Gethsemane, der durch die Leiden des göttlichen Märtyrers geheiligt war, durch das Blut, das ‑das Schwert Petri dort vergoß, entweiht! Aber ein anderes Schwert verrichtet den rechten Dienst, als es Agag in Stücke hieb (i. Sam 15), oder als es in der Hand der Leviten in die Mitte Israels trat und weder Eltern noch Kinder ver­schonte (2. MO 32). Denn wenn Rache befohlen ist, wenn die Trompete des Heiligtums zum Kampfe bläst, dann sind Rache und Kampf ebenso vollkommen, wie zu anderer Zeit Gnade und Langmut. Es ist Gottes Sache, zu bestimmen und zu offen­baren, welche Handlungsweise und welche Wahrheit der Zeit entsprechend sind. Und wenn Gott Seine Gedanken kund­gegeben hat, so zeigt sich das Leben des Glaubens immer in einer Weise und in einem Charakter, die dieser Offenbarung entsprechen. Die Pflichten und der Dienst des Glaubens fließen aus anvertrauten Wahrheiten hervor. Wenn die Wahrheit ver­nachlässigt wird, so ist es unmöglich, die Pflichten und den Dienst zu erfüllen. Und der wohlgefällige Wille Gottes, oder Seine geoffenbarte Weisheit in der Verwaltung der Zeiten, ist in dem Wechsel der Zeitalter verschieden. Das ist sehr beach­tenswert; denn die richtige Unterscheidung der Dinge und die richtige Teilung des Wortes Gottes oder der Wahrheit wird unter anderen Tugenden in dem Leben des Glaubens erwartet. Abraham war mit diesem schönen Unterscheidungsvermögen ausgerüstet. Er kannte den Ton der silbernen Trompete, mochte sie nun zum Zelte der Zusammenkunft oder zur Schlacht rufen.

 

Doch wir finden bei dieser Gelegenheit noch etwas anderes bei unserem Patriarchen. Er wird durch zwei Siege ausgezeich­net, und zwar erringt er den einen über die Heere der Könige und den anderen über die Anerbietung des Königs von Sodom. Der erste wurde Abraham zuteil, weil er den Schlag genau zu Gottes Zeit führte. Er zog nicht früher und nicht später in die Schlacht, als Gott es wollte. Daher war der Sieg sicher; denn der Kampf war des Herrn, nicht des Abraham. Sein Arm wurde durch den Herrn Selbst gestärkt. Dieser Sieg Abrahams gleicht dem Siege Davids über Goliath, oder dem Siege Jona­thans und seines Waffenträgers über das Heer der Philister (i. Sam 1.4. ‑17), denn Abraham hatte nur eine Schar gegen­über den Heeren von vier verbündeten Königen. Der zweite Sieg, noch glänzender als der erste, wurde, wie alle geistlichen Triumphe, in der Kraft der Gemeinschaft mit den Quellen göttlicher Stärke errungen. Der Geist des Patriarchen siegte hier, wie vorher sein Arm. Er hatte so viel genossen in der Gemeinschaft des Königs von Salem, dieses königlichen und priesterlichen Fremden, daß der König von Sodom ihm vergeblich alle Habe anbot. Die Seele Abrahams war im Himmel ge­wesen, und so konnte er nicht wieder zu der Erde zurück­kehren. Das war die gesegnete Erfahrung des Vaters der Gläu­bigen im Tal Schawe. Welch ein Glück wird seine Seele erfüllt haben! Gewiß, er hat mehr dort genossen, als in Worten aus­gedrückt werden kann.

 

Doch wir finden hier noch mehr als die Siege des Glaubens. Die nächste Szene in Kapitel m5 zeigt uns die Kühnheit des Glaubens. Und ich möchte fragen, gibt es für Gott Selbst wohl etwas Köstlicheres, als diese Kühnheit? Die Einsicht des Glau­bens ist herrlich und seine Siege sind glorreich, aber seine Kühnheit, indem er auf den Gott aller Gnade rechnet, über­steigt beides.

 

Nach dem Siege Abrahams über die Welt oder die Anerbietun­gen des Königs von Sodom kommt der Herr mit großen Ver­heißungen zu ihm. "Nach diesen Dingen geschah das Wort Jehovas zu Abram in einem Gesicht also: Fürchte dich nicht, Abram; ich bin dir ein Schild, dein sehr großer Lohn­(Kap. 15, 1). Nach der Hitze des vorhergehenden Tages wollte Gott in Seiner Gnade Seinen Knecht aufs neue anerkennen und ermutigen. Aber der Glaube ist kühn und strebt scheinbar noch höher, als die Vorsätze und Unternehmungen der Gnade gehen. Abraham scheint die Worte des , Herrn zurückzuweisen. "Ich bin dir ein Schild, dein sehr großer Lohn", sagt der Herr. "Was willst du mir geben?", erwidert Abraham, "ich gehe ja kinderlos dahin, und der Erbe meines Hauses, das ist Elieser von Damaskus".

 

Das war kühn, aber nicht zu kühn für das Ohr des Herrn, der Seine höchste Freude an einer solchen Sprache des Glaubens findet. Abraham mußte etwas Besseres haben, als einen Schild und einen sehr großen Lohn. Es ist gut, ein Teil zu haben, aber Abraham suchte einen Gegenstand für sein Herz. Adam erging es einst ebenso. Eden war für ihn nicht das, was Eva war. Der Garten mit allem, was er darbot,: genügte ihm nicht. Erst die Gehilfin befriedigte ihn völlig. So ist auch für Christum Selbst die Kirche mehr als alle Herrlichkeit des Reiches, wie in dem Gleichnis die Perle und der Schatz größeren Wert hatten für den Mann, der sie fand, als alle seine Besit­zungen, denn er verkaufte alles, was er hatte, um sie zu be­sitzen. Das verirrte Schaf, die verlorene Drachme und der verlorene Sohn bieten dein Himmel ‑ dem Vater, dem Hirten, dem Geist und den Engeln ‑ eine größere Veranlassung zur Freude, als alles übrige, und zwar deshalb, weil das Herz seinen Gegenstand erhält und die Liebe ihre Erwiderung findet. Liebe und Zuneigung bringen das Herz in Tätigkeit. Es kann in nichts anderem Ruhe finden als in dem Gegenstand seiner Liebe.

 

Es war in der Tat ein kühner Glaube, der Abraham befähigte, die Worte Gottes gleichsam zurückzuweisen. Aber er war köst­lich für Gott, denn ein Glaube, der so handelt und auf solche Weise fordert, spricht die Gedanken und Gefühle des gött­lichen Herzens Selbst aus. Gott Selbst verlangt nach Kindern, so wie Abraham es tat. Nicht der Geist der Knechtschaft soll das Haus Gottes erfüllen, sondern der Geist der Sohnschaft. Nicht Knechte, sondern Kinder will Er um Sich haben. Er hat uns zuvorbestimmt zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst'. Er hat in Seinen Kindern einen Gegenstand für Sich Selbst gefunden, und Abraham sprach deshalb nur jenes Geheimnis aus, das dem Herzen Gottes und seinem eigenen gemeinsam war. Und sofort wird sein Wunsch beant­wortet. Der Anblick des Sternenhimmels wird benutzt, um dem Patriarchen etwas Besseres zuzusichern, als alle Erbteile ,und Segnungen, alle Schilde und Belohnungen. "Und er führte ihn hinaus und sprach: Blicke doch gen Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie, zählen kannst! ... Also wird dein Same sein!"

 

 

Wir können in der Tat sagen, daß der Glaube nie richtiger handelt, als wenn er hoch strebt und mit kühner Hand zugreift. Je höher die Grenze ist, die er sich steckt, desto mehr ent­spricht sie der Absicht Gottes. "Fordere dir ein Zeichen von Jehova, deinem Gott", sagt der Prophet Jesaja zu Ahas, "for­dere es in der Tiefe oder oben in der Höhe"; d. h. nimm alle ,göttlichen Hilfsquellen und benutze sie. Aber Ahas wollte nicht. Er antwortete dem Propheten: Ich will nicht fordern und will Jehova nicht versuchen" (Jes 7,               Was der König Ahas nicht tun wollte, indem er durch seinen Unglauben und die Trägheit seines Herzens Gott ermüdete, das tat Abra­ham wiederholt. Seine Seele ging in der Kraft des Glaubens bis zum Ende jener Unterhaltung mit Jehova voran. Ich will dir dieses Land geben, es zu besitzen", sagt der Herr kurz nachher zu ihm. "Woran soll ich erkennen, daß ich es besitzen werde?" ist seine Antwort. Diese Worte zeigen denselben Charakter, und weil es so ist, weil sie die Kühnheit des Glau­bens verraten, so sind auch sie überaus angenehm vor dem Herrn. Abraham suchte etwas mehr als eine Verheißung. Nicht daß er an ihr gezweifelt hätte. Im Gegenteil, er war völlig gewiß, daß sie nie fehlen könnte, daß eher Himmel und Erde vergehen würden, als daß ein Wort von der göttlichen Ver­heißung ausfiele. Aber er begehrte einen "Eid und Blut" zu ihrer Besiegelung. Sein Glaube begehrte nach einem Bunde, als der Grundlage für seine Ansprüche, und er verlangte nichts mehr, als was die Gnade, der Vorsatz und das unumschränkte Wohlgefallen Gottes schon für ihn bestimmt hatten.

 

Welch ein reicher und kräftiger Trost liegt in diesem allem! Der Glaube ist nie zu kühn. Nein, je kühner er ist desto mehr gefällt er Gott. Der Herr tadelte in den Tagen Seines Fleisches oft die Zurückhaltung und den Argwohn des Kleinglaubens, nie aber die Kraft und Bestimmtheit eines Glaubens, der so­zusagen nach allem strebte und ohne Segnung sich nicht ab­weisen ließ. Auch die Worte, mit denen Gott in unserem Kapitel den Glauben Seines Dieners beantwortet, zeigen uns die Wonne, die Er an dessen Kühnheit empfand. Gerade die Art der Antwort drückt dies aus, wie auch in späteren Tagen bei dem Gichtbrüchigen in Mt 8. Dort lassen uns die Worte: .Sei gutes Mutes, Kind, deine Sünden sind dir vergeben", erkennen, wie sehr das Herz des Herrn, des Gottes Abrahams, durch den Glauben erquickt worden war, der ohne weiteres das Dach des Hauses abdeckte, um zu Ihm zu gelangen. Das gleiche finden wir hier. Der kühne, nicht zweifelnde Glaube Abrahams begehrt ein Kind, und noch in derselben Nacht fuhrt der Herr Seinen Knecht hinaus und sagt indem Er ihm den gestirnten Himmel zeigt: Also wird dein Same sein". Derselbe Glaube wünscht das Land durch mehr als ein Wort der Verheißung zugesichert zu haben, und siehe da, der Herr bekräftigt den Bund dadurch, daß Er eine Feuerflamme zwischen den Opfer­stücken hindurchfahren läßt.

 

Diese Handlungsweise ist sehr bezeichnend. Sie drückt in beredter Weise die Gedanken Gottes aus. Der Herr begnügt Sich nicht mit der bloßen Verheißung eines Kindes, oder mit bloßen Versicherungen, daß das Land das Erbe des Samens Abrahams sein solle, sondern Er vollzieht in beiden Fällen mit erhabener und ergreifender Feierlichkeit Handlungen, aus denen wir unwillkürlich die Freude herausfühlen, mit der Er auf diese Forderungen des Glaubens gelauscht hatte.

 

Möchten wir unseren Gott doch mehr kennen, wie Er gekannt werden muß, zu Seinem Preise und zu unserem Trost! Die Liebe freut sich, wenn sie in Anspruch genommen wird. Sie ermüdet, wenn man zu viel Umstände macht; das wäre gewis­sermaßen eine Beeinträchtigung ihrer wahren Natur und der ihr eigentümlichen Handlungsweise. Die Zuneigung zwischen Familiengliedern z. B. beseitigt alles umständliche Wesen. Im Familienkreise herrscht Vertraulichkeit, nicht Form. Die Liebe bewirkt in dem einen wie in dem anderen, daß er mit Bereit­willigkeit seine häuslichen Arbeiten verrichtet, und das gegen­seitige Vertrauen aller erlaubt, daß es im Geist der Liebe ge­schieht. So ist es auch zwischen dein Herrn und uns. Die Ver­traulichkeit des Glaubens ist Seiner Gnade angemessen und Seinem Herzen angenehm. Viele Umstände und Formen sind nur eine Ermüdung für Ihn.

 

Die Gnade ist ein Meer ohne Ufer, und wir werden ermuntert, mit vollen Segeln hineinzufahren. Der Ölkrug würde uner­schöpflich gewesen sein, wenn der Glaube des Weibes noch weiter daraus ausgegossen hätte, und die Siege des Königs von Israel würden nicht aufgehört haben, bis zur völligen Ver­tilgung der Syrer, wenn sein Glaube das Schlachtfeld in dem Bewußtsein betreten hätte, daß es nur das Feld des Sieges sei (2. Kön 4 und 13). Doch die Kühnheit des Glaubens ist zu unbegreiflich, zu hoch für das enge Herz des Menschen, das nicht auf den Herrn vertrauen kann. Aber wie herrlich ist es, daß gerade diese Kühnheit der unendlichen Gnade Gottes entspricht und sie benutzt!

 

Ein glaubendes Herz ist auch ein glückliches Herz. Es ist gehorsam und verherrlicht Gott. Es ist dankbar, und deshalb ist es geeignet, den Heiligen zum Dienst bereitzumachen und von dein Bösen getrennt zu halten. Es ist sicher gut, wachsam zu sein, in stetem Selbstgericht voranzugehen und sorgfältig dar­über zu wachen, daß wir in allein, was wir tun, gerecht sind. Aber dabei das Herz durch die Übung eines einfachen, kind­lichen und gläubigen Sinnes im Lichte der Gunst Gottes zu erhalten, das ist es, was Ihn verherrlicht, was Seiner Gnade entspricht, und wodurch wir Ihm, mit dem wir zu tun haben, am meisten unseren Dank beweisen. Wir haben mittels des Glaubens Zugang zu dieser Gnade, in welcher wir stehen". Nicht Vollkommenheit, nicht Wachsamkeit, nicht Dienste öder erfüllte Pflichten berechtigen uns, diesen herrlichen Platz in der Gunst Gottes einzunehmen. Nein, mittels des Glaubens haben wir Zugang zu dieser Gnade".

 

II

 

Wir haben im ersten Teil unserer Betrachtung Abraham be­gleitet auf seiner Reise von Ur in Chaldäa nach Kanaan, auf seinem Zuge nach Ägypten, auf seiner Rückkehr von dort nach Bethel und Ai, wo er zuerst sein Zelt aufgeschlagen und seinen Altar errichtet hatte. Wir haben ihn gesehen im Tale Schawe und seiner Unterhaltung mit Gott gelauscht und haben reiche Belehrungen aus der Geschichte unseres Patriarchen geschöpft. Aber wir werden in ihrem weiteren Verlauf noch eine Menge anderer Unterweisungen und Darstellungen des Lebens des Glaubens . finden, und der Herr wolle ihre Betrachtung zu unserer Ermahnung und Ermunterung gesegnet sein lassen.

 

In den Kapiteln 16 und 17 tritt Sara zum ersten Mal selbstän­dig handelnd auf. Die Hungersnot hatte Abraham verleitet, das Land Ägypten aufzusuchen, und er hatte die Hilfsquellen jenes Landes mit Scham und Schmerz benutzt, und eine er­müdende Rückreise nach Kanaan war das Ergebnis gewesen. Jetzt überredet ihn Sara, sich der Magd aus Ägypten zuzu­wenden. Wir wissen aus der göttlichen Unterweisung des Galaterbriefes, daß diese ägyptische Magd das Bündnis vom Berge Sinai darstellt, das Gesetz, die Religion der Satzungen, während Sara in ihrer Aufforderung an Abraham, diese Ägyp­terin zu nehmen, ein Bild der Natur ist, die nicht nur ihre Auswege und Hilfsquellen, sondern auch ihre Religion und alles andere in "Fleisch und Blut" findet.

 

Der Geist hatte sich, wie es scheint, noch nicht mit Saras Seele beschäftigt. Wenigstens haben wir keinen Beweis dafür. Sie war sicherlich eine Auserwählte, aber unsere Auserwählung hat stattgefunden, lange bevor wir ein Gegenstand der göttlichen Wirksamkeit geworden sind. Und bis dahin hatte sich bei Sara weder das geistliche Leben, das Leben des Glaubens, noch die Wirkung der Wahrheit durch den Heiligen Geist auf ihre Seele gezeigt. Von seiten des Herrn war bisher noch nicht von ihr die Rede gewesen. Sie war weder in der 10bung des Geistes vor Gott die Gefährtin ihres Mannes gewesen, noch seine Mitschülerin in der Schule Gottes. Sie war nicht mit Abraham hinausgeführt worden, um die Sterne zu zählen, noch das Opfer zu bewachen. Sie befand sich noch sozusagen in der Stellung der Natur, und demgemäß forderte sie ihren Mann auf, ihr durch ihre ägyptische Magd Samen zu geben.

 

Das war die Stellung Saras in dieser Sache, und Abraham wurde durch die Natur, betrogen und auf den Weg der Natur geleitet, so wie er früher durch eine Versuchung von dieser Seite überrascht wurden war und dem Druck der Hungersnot nachgegeben hatte. Alles das war Unglaube und ein Abweichen von Gott. Es war die Handlungsweise des Menschen oder der Natur, nicht aber die des Glaubens oder des Geistes. Die Hagars und Pharaos sind armselige Zufluchtsstätten für die Auserwählten Gottes. Aber Gott hielt, wie wir zu unserem Trost sehen werden, Sein Auge auf Abraham gerichtet. Gott hatte Seinen Platz in Abraham, so gut wie die Natur, und Er behauptete ihn zur Wiederherstellung Seines Knechtes. Er er­scheint ihm in einer neuen Offenbarung und fordert ihn aufs neue zum Glaubensgehorsam auf: "Ich bin Gott, der Allmächtige; wandle vor meinem Angesicht und sei vollkommen". Die Seele Abrahams hatte diese Wahrheit verloren. Er war zu Hagar eingegangen. Er hatte sein Vertrauen auf das Fleisch gesetzt. Er hatte den Boden verlassen, auf dem er in Kapitel ‑15 gestanden hatte. Doch der Herr will und kann dies nicht erlauben, und deshalb erscheint Er dem Geist Seines Heiligen in einer neuen Offenbarung Seiner Selbst, und es ist ein Er­scheinen "mit Heilung unter seinen Flügeln". Abraham fällt auf sein Angesicht, überführt und beschämt, und seine Seele wird zu den Pfaden der Gerechtigkeit zurückgebracht.

 

Sicherlich gibt es auch heute noch solche Augenblicke in der Geschichte derer, die da glauben", gerade so wie bei ihrem „Vater Abraham". Als der Herr in Kapitel 15 ihm erschien und mit ihm sprach, fiel Abraham nicht auf sein Angesicht. Da stand er vor dem Herrn in dem Bewußtsein, daß er im Lichte war. Aber jetzt war Finsternis über seine Seele gekommen, und er war nicht bereit für die Gegenwart des Herrn. Er steht nicht aufrecht um mit aller Kühnheit die Anliegen des Glau­bens vor den Herrn zu bringen, sondern er liegt auf seinem Angesicht, schweigend und bestürzt. Der Wechsel in seiner Erfahrung ist groß, aber bei dem Herrn ist keine Veränderung, denn die Liebe ist immer die gleiche, mag sie nun tadeln oder trösten. Wenn wir in dem Lichte wandeln, so haben wir Gemeinschaft mit Ihm. Wenn wir unsere Sünden bekennen, so finden wir Vergebung bei Ihm. Wenn wir fähig sind vor Ihm zu stehen, so wird Er uns nähren und stärken. Wenn wir in Seiner Gegenwart überführt niederfallen müssen, so wird Er uns wieder aufrichten.

 

Entfernung von Gott erweist sich steh als Bitterkeit, aber Gott offenbart Sich der Seele als Wiederherstellung und Friede. Unter Seiner gnädigen Hand wird der Glaube wieder kühn gemacht, und Abraham läßt seine Anliegen in der früheren Kraft vor Gott kund werden und begehrt von Gott, daß Ismael vor Ihm leben möge. Da ist Wirklichkeit, Wirklichkeit in der Betrübnis wie in der Freude, in dem Licht des göttlichen Antlitzes wie in dem Verbergen des eigenen Angesichts im Staube.

 

In den Kapiteln 18 und 19 finden wir im Blick auf das Leben Abrahams noch etwas anderes als diese Übungen des Glaubens. Gewisse göttliche Geheimnisse werden vor unsere Seele ge­stellt, allerdings unter der Form von einfachen Erzählungen. Die Begebenheiten ereigneten sich gerade so, wie sie aufgezeichnet sind. Aber es liegt ihnen eine zwiefache Absicht zugrunde: zunächst haben sie den Zweck, Beispiele des Glau­benslebens in einem Heiligen zu geben, und dann sollen sie Wege und Vorsätze Gottes darstellen. In dieser Art hat die Weisheit Gottes die göttlichen Ratschlüsse und Geheimnisse in der ganzen Schrift veranschaulicht. Was war z. B. das Zelt der Zusammenkunft oder der Tempel anderes, als ein Ort für die beständige Erzählung des Geheimnisses von der Versöhnung und Stellvertretung? Was waren die verschiedenen Anord­nungen Gottes in bezug auf die Anbetung, die Bedienung Seines Hauses oder den Dienst der Gnade: die Opfer, die Dienstverrichtungen, die Feste und die heiligen Tage und Jubeljahre? Was war der Auszug aus Ägypten, der Durchzug durch das Rote Meer, die Reise durch die Wüste, der Einzug               in Kanaan, die Kriege in dem Lande und der Thron des Friede­fürsten? Waren nicht alle diese Dinge, seien es Einrichtungen des Heiligtums oder Tatsachen der Geschichte, Veranschau­lichungen der verborgenen, ewigen Ratschlüsse des Herzens Gottes?

 

Die Kapitel i8,und ‑ig gehören zusammen. Sie geben uns eine lebendige Darstellung von gewissen Wahrheiten, die für uns

jetzt wenigstens die gleiche Bedeutung haben wie die Ereig­nisse selbst damals für Abraham und seine Zeitgenossen. So­dom war zu jener Zeit «die Welt. Es war gewarnt worden, hatte aber die Ermahnung zurückgewiesen. Es war völlig von Gott abgewichen, und jede Möglichkeit der Besserung war abge­schnitten. Sodom war heimgesucht und gezüchtigt worden durch den Sieg der verbündeten Könige (Kap. 14);,aber es war Sodom geblieben. Es war womöglich noch gottloser geworden und befand sich in einem Zustand völligen Abfalls von Gott. Sein letzter Zustand war ärger und schlechter als der erste. Sodom stellt uns "die gegenwärtige böse Welt‑ dar, die sich selbst für das Gericht Gottes reif macht, gerade so wie ein anderes Geschlecht in den Tagen Noahs. (Vergl. Mt 24; Lk 17)‑

 

Doch mit diesem Tage des Gerichts über Sodom sind, wie mit jedem anderen ähnlichen Tage, zwei Umstände verbunden, die unsere eingehende Beachtung verdienen. Es sind: Befreiung aus dem Gericht und Absonderung, bevor das Gericht kommt. Lot wurde befreit, als die Stunde des Gerichts da war. Abra­ham war abgesondert, bevor sie kam. Gericht, Befreiung und Absonderung ‑ das sind die Grundzüge der vorliegenden Handlungen. Sie sind voll von Bedeutung und finden ihre Anwendung auf unsere eigene Geschichte, was die Kirche Gottes und die Welt um uns her betrifft. Bevor diese Handlung ihren Anfang nahm, befand sich Abraham in einer himm­lischen Stellung. Er war ein Fremdling hienieden. Er besaß nichts als ein Zelt und einen Altar, und er wanderte von Ort zu Ort, ohne einen Fußbreit Landes sein eigen zu nennen. Und als das Gericht kam, war er völlig davon getrennt, wie Henoch an einem früheren Gerichtstage. Beide befanden sich außer­halb oder über dem Schauplatz des Verderbens, nicht nur befreit aus dem Gericht, als es da war, sondern abgesondert, bevor es kam.

 

Abraham war vor dem Eintreffen des Gerichts mit dem Herrn aus der Ebene Mamres gekommen und hatte mit Ihm auf einer Anhöhe gestanden, von der aus man Sodom übersehen konnte. Und als das Gericht sich über die abtrünnige, verderbte Stadt ergoß, da stand er wieder auf jenem hohen Platz und überschaute von dort aus die einst so fruchtbare Ebene, jetzt ein Bild der schrecklichen Verwüstung. Er war in der Beglei­tung Dessen gewesen, der das Gericht ausübte, während Lot nur aus dem Verderben gerettet wurde. Wie Abraham der Henoch, so ist Lot der Noah dieses Gerichtstages. Er wird aus der verfluchten Stadt herausgeführt.

 

Welche ernsten Wahrheiten betreffs der Ratschlüsse Gottes werden uns hier aufs neue zu unserer Belehrung vor Augen geführt! Wir brauchen nicht erst zu fragen, auf welchem Boden wir hier stehen. In Sodom empfängt die Welt vorbildlich ihr Gericht. Der gerechte Überrest wird (in Lot) in der Stunde der Rache gerettet, und die Kirche ist (in Abraham) schon abge­sondert und nach oben gebracht und blickt von dort auf den Schauplatz der gewaltigen Zerstörung herab. Ohne Zweifel stehen diese Geheimnisse' in der Geschichte des Untergangs Sodoms ver uns. Zugleich finden wir Henoch, Noah und die überschwemmte Schöpfung in Abraham, Lot und den ver­fluchten Städten der Ebene wieder.

 

Das sind wunderbare Geheimnisse, und mit ihnen ist das Buch Gottes angefüllt. Immer aufs neue wird uns bezeugt, was wir sind, und wo wir uns befinden. Obgleich wir scheinbar in dem gewohnten Geleise des täglichen Lebens vorangehen, mit einem Geschlecht, das heute wie stets in seinem Herzen sagt: "Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an" (2. Petr 3), obgleich keine sichtbaren Zeichen das herannahende Gericht ankündigen,. so wissen wir doch, daß wir uns in einer Welt befinden, die dem Gericht entgegenreift, und daß der schreckliche Tag des Gerichts nahe ist.

 

Es gibt in dieser wunderbaren Erzählung noch. manche Dinge, die unserer besonderen Beachtung wert sind, wie z. B. der Besuch des Sohnes Gottes bei Abraham, Abrahams Bitte für Sodom, die Zurückhaltung der Engel Lot gegenüber. und die verschiedenartigen Charaktere der beiden Heiligen ‑ des Hei­ligen des Zeltes und des Heiligen in Sodom. Doch es würde uns hier zu weit führen, wenn wir in alle diese Einzelheiten näher eingehen wollten. Nur möchte ich, ehe wir diesen Gegen­stand verlassen, die Frage an uns richten: Verstehen wir wirk­lich die Zeit, in der wir leben? Was denken wir darüber, daß ,ider Tag des Menschen" in seinem höchsten Glanze vor uns steht? Nehmen wir daran teil, wenn die Menschen einander zu diesem Zustande der Welt beglückwünschen? Oder miß­trauen wir all dieser Pracht und verwerfen sie als den sicheren Vorboten des Gerichtes Gottes? Wissen wir, daß der Gott dieser Welt gerade ein "gekehrtes und geschmücktes  Haus für seine böse und verderbliche Tätigkeit passend findet, wie einst das reiche und mächtige Sodom? Glauben wir mit unseren Zeitgenossen, daß das unmöglich sei? oder halten wir im Ge­dächtnis, daß er gerade in einem solchen Hause am Schluß der Geschichte der Christenheit wirken will? Warten wir auf den Sohn Gottes, um uns zu jener geheimnisvollen Anhöhe zu bringen, auf die Er vor Zeiten unseren Patriarchen führte? Der Herr gebe uns Gnade, diesen Boden zu betreten! Und wir werden das um so leichter tun können, ja, es wird naturgemäß für uns sein, wenn wir, wie Abraham, nicht Heilige der Stadt, sondern Heilige des Zeltes sind, die sich "bei der Hitze des Tages" der Gemeinschaft des Herrn der Herrlichkeit erfreuen.

 

Wir folgen jetzt unserem Patriarchen in das Land der Philister, in dem er sich während der Zeiten des 2o. und 21. Kapitels aufhielt. Hier wird die alte Übereinkunft zwischen ihm und Sara nach langer Zeit wieder einmal wirksam, wie früher in Ägypten. Sie war zwischen ihnen getroffen worden, ehe sie ihr Heimatland verließen. Sie stammte gleichsam aus ihrem Ge­burtsort und war, wie ich sagen möchte, älter in ihnen, als irgend etwas von seiten Gottes. Ach! trotz so mancher Ver­änderungen und Übungen hatten sich Abraham und Sara in dieser Beziehung nicht geändert.

 

Diese Übereinkunft war eine böge Sache, sowohl listig als unrein. Sie war falsch, so harmlos sie scheinen mochte, und schmeckte stark nach der Schlange, nach dem, der ein Lügner und der Vater der Lüge ist. Abraham sah sich gezwungen, sie dem Könige von Gerar, so schlecht sie war, mitzuteilen: "Es geschah, als Gott mich wandern ließ, aus meines Vaters Hause, da sprach ich zu ihr: Dies sei deine Güte, die du mir erweisen mögest:, an jedem Orte, wohin wir kommen werden, sage von mir: Er ist mein Bruder". Das war schlecht und böse. Es gibt keinen Grundsatz indem Leben des Glaubens, der nicht durch diese niedrige Übereinkunft verleugnet worden wäre. So ist das Fleisch, die angeborene Verderbtheit. Der Weg des Flei­sches bringt, so oft er eingeschlagen wird, tiefe Beschämung und Schande. Er erniedrigt einen Heiligen selbst vor den Men­schen. Abraham wurde durch das Fleisch vor Abimelech be­schämt und bloßgestellt. Und dieses kann nie verändert, nie verbessert oder beseitigt werden. Es ist sich gleich in Ägypten und in Gerar. Es lebt noch in uns und folgt uns überallhin. Wir empfangen es bei unserer Geburt als Nachkommen Adams, und während der ganzen Dauer unseres Weges als Berufene Gottes haben wir es zu töten und zu verwerfen. Es ist wirklich betrübend, so etwas sehen zu müssen. Doch der Geist Gottes verbirgt nichts. Da liegt sie, diese häßliche und böse Sache, durch den Geist aufgezeichnet, vor uns. Doch Gott sei Dank! wir finden auch andere, glücklichere Gegenstände.

 

Verweilen wir zunächst einen Augenblick bei den Fortschritten, welche die Seele Saras unter dem Licht und der Leitung des Herrn auf ihrem besonderen und lehrreichen Wege machte. Unter dem Einfluß des Fleisches hatte sie anfangs mit Abra­ham jene unreine Übereinkunft getroffen, von der wir soeben gesprochen haben. Im Unglauben gab sie später die Hagar ihrem Manne zum Weibe, und dann nahm sie in der Hast und Empörung ihres Herzens die Folgen ihres Unglaubens übel auf und trieb die Magd, die sie selbst erwählt und in die Familie aufgenommen hatte, fort. Aber auf den Befehl des Herrn kehrte Hagar zu ihr zurück, und jetzt zur Zeit von Kapitel 2‑1, hatte Sara bereits vierzehn Jahre mit ihr zusam­mengelebt. Allerdings hatte sich der erneuerte Sinn oder das Leben des Glaubens ‑in Sara bis dahin wenig oder gar nicht geoffenbart. Gerade während dieser Zeit hatte sie am Eingang des Zeltes ungläubig über die Verheißung Jehovas gelacht. Aber doch war sie in gewissem Sinn in der Schule gewesen, und sie scheint etwas gelernt zu haben, denn sie unterwirft sich geduldig und ohne Widerspruch der Gegenwart der Magd und ihres Sohnes in der Wohnung ihres Mannes. Wir hören von keinen neuen Streitigkeiten zwischen ihr und Hagar. Das ist wenigstens ein Zeugnis dafür, daß sie sich in der Hand und Schule Gottes befand, und daß sie darin lernte, bis sie zuletzt durch Glauben Kraft empfing, einen Samen zu gründen (Hebr ‑i:t). Dann aber nimmt ihr Geist einen höheren Flug. Sie geht selbst ihrem Manne voraus. Gehorsam dem Befehl Jehovas (Kap. 17, ‑ig), nennt Abraham das Kind Isaak, aber Sara deutet jenen Namen. Dazu gehörte eine tiefere Übung der Seele im Blick auf die Gabe Gottes. Dein Worte Gottes zu gehorchen ist gut, aber dies zu tun in der Freude eines geübten Herzens und in dem Verständnis eines Sinnes, der die göttliche Bedeutung jenes Wortes versteht, ist besser. "Abraham gab seinem Sohne, der ihm geboren worden, den Namen Isaak ...und Sara sprach: Gott hat mir ein Lachen bereitet; jeder, der es hört, wird mit mir lachen". Das Wort des Herrn in Kapitel 17, 19 war für sie mehr als ein Gebot, das beobachtet werden mußte. Es war voll Licht und Bedeutung für das geöffnete Ver­ständnis Saras. Und das führte sie weiter, um mit Kraft und Entschiedenheit zu handeln. "Treibe diese Magd und ihren Sohn hinaus", sagt sie zu Abraham, denn sie war glücklich in der Freiheit der Gnade und Verheißung, während Abraham noch unter den Ansprüchen der Natur und unter den Forde­rungen schmachtete, die seine eigenen Lenden erzeugt hatten. .Treibe diese Magd und ihren Sohn hinaus; denn der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohne, mit Isaak!" Das war die Sprache der Schrift, wie wir in Galater 4 lesen ‑es war die Stimme Gottes. Dieser Entschiedenheit des Glaubens in der Freiheit der Gnade drückt der Herr mit eigener Hand das Siegel auf. Was sprach mehr zu dem Herzen des Herrn in den Tagen Seines Fleisches als ein gleich kühner und frei­mütiger Glaube, ein Glaube, der durch eine Volksmenge hin­durch Ihn erreichte, oder trotz der Vorwürfe eines falsch ur­teilenden Pharisäers zu Ihm drang?

 

Diese Kühnheit des Glaubens in Sara, diese Verwerfung der Magd, dieses Verlangen, sich in ihrem Isaak ganz allein zu erfreuen, ist die Sprache der Schrift. Sara redete in der Tat Gott gemäß. In Abraham wirkte jetzt die Natur. Er wollte Ismael gern behalten. In Sara aber wirkte der Glaube. Doch die Natur in Abraham muß sich unterwerfen. Das Haus muß von Ismael befreit werden, denn es soll nur in Isaak aufgebaut werden. "Der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohne der Freien".

 

Alles das trägt schnell seine Früchte. Nachdem Hagar entfernt und das Haus gemäß dieser Forderung des Glaubens in Isaak errichtet ist tritt die Herrlichkeit ein. Das ist die göttliche Ord­nung. Da wir "Zugang haben zu der Gnade, in welcher wir stehen, . . . rühmen wir uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes". Das ist die Ordnung des Geistes in der Seele eines Heiligen, und das ist jetzt auch die Ordnung im Hause Abra­hams.

 

Abraham wird von den Heiden besucht. Das ist sehr bedeu­tungsvoll. In den Tagen der Not und des Hungers suchte Abra­ham die Heiden auf, sei es in Ägypten oder in Philistäa. Jetzt aber kommen die Heiden zu Abraham. Abrahams Haus ist jetzt in Gnade errichtet. Ismael ist entlassen und Isaak erhöht. In vorbildlichem Sinne hat sich Israel zum Herrn gewandt, die Decke ist weggenommen und Jerusalem hat zu Christo gesagt: "Gesegnet, der da kommt in dem Namen des Herrn!" Sein Kampf ist deshalb zu Ende und es empfängt doppelt. Der Heide sucht Israel auf. Abimelech und Pikol, der König und sein Kriegsoberster, kommen zu Abraham.

 

Das bezeichnet eine große Veränderung in den Wegen Gottes. Israel ist jetzt das Haupt und nicht mehr der Schwanz. Der Zipfel des Juden wird jetzt von dem Heiden ergriffen, denn der Jude hat durch Glauben den Herrn ergriffen und die Nationen sagen: "Gott ist mit dir" (Kap. 2‑1, 22; Sach 8, 23). Abraham ist daher ‑ durch den Geist geleitet ‑ in seinen Gedanken mit der Herrlichkeit und dem Reiche beschäftigt. Und das mit Recht, denn wenn der Jude von dein Heiden aufgesucht wird, anstatt von ihm zertreten zu werden, so ist das Reich nahe. Demgemäß errichtet unser Patriarch jetzt einen neuen Altar, nicht den Altar eines himmlischen Fremdlings, wie im 12. Ka­pitel, sondern einen Altar "dem ewigen Gott"*).

_________________

*) Der Herr Jesus erkennt zu einer späteren Zeit dasselbe Pfand oder Symptom des Reiches. Als die Griechen auf das Fest kommen und Ihn zu sehen wünschen, wie der Heide hier Abraham aufsucht, sind Seine Gedanken sogleich auf die Herrlichkeit gerichtet. Er weiß allerdings, daß die Herrlichkeit nur durch Seinen Tod erlangt werden kann, und Er bezeugt das; aber doch geben Seine Gedanken sogleich zu der Herrlichkeit hin. (Vergl. Joh 12, 23).

 

Diese Einsicht des Glaubens in Abraham ist bewunderungswürdig. Wir haben sie schon einige Male in ihm gesehen kannte die Zeit des Friedens und die Zeit des Krieges, und er handelte dementsprechend am Tage der Schlacht der Könige. Er kannte seine Pflichten gegen Lot, seinen Bruder, und er kannte seinen himmlischen Platz, als das Feuer des Herrn Städte der Ebene zerstörte. Er wußte auch, wie uns das vorliegende Kapitel in besonderer Weise zeigt, wann es galt, Unrecht zu leiden, und wann, es zurückzuweisen, wann, duldsam zu sein, und wann, seine Rechte geltend zu machen. Denn jetzt, wo der Heide ihn aufsucht, straft er Abimelech wegen eines Wasserbrunnens, den dessen Knechte mit Gewalt genommen hatten. Bis dahin hatte er sich über dieses Unrecht nicht beklagt, denn Abimelech sagt zu ihm : "Ich weiß wer das getan hat; weder hast du es mir berichtet, noch habe ich davon gehört außer heute. Das ist außerordentlich schön. Abraham hatte bis dahin Unrecht gelitten und es geduldig ertragen, weil er ein himmlischer Fremdling hienieden war und bei einem solchen ist geduldiges Leiden angenehm vor Gott. Aber jetzt sind die Zeiten verändert. Der himmlische Fremdling ist das Haupt der Nationen geworden und wird aufgesucht von dem Heiden. Jetzt muß Recht und Unrecht festgestellt und der Schrei des Unterdrückten gehört werden.

 

Das alles enthält so viel sittliche Schönheit, daß man das Werk des Geistes in Abraham nicht genug bewundern kann. Er war ein Israelit, der die Zeiten des Jahres kannte, der da wußte, wann er bei dem Passah und wann er bei dem Laubhüttenfest zu sein hatte. Gott teilte durch den Geist dem Abraham dieses schöne geistliche Verständnis mit. Zu einer anderen Zeit be­gehrte er nicht so viel von der Erde zu besitzen, daß er seinen Fuß darauf hätte setzen können. Er überließ Lot die Wahl des Landes. Er ließ die Kanaaniter, wo er sie fand. Er weigerte sich, durch den König von Sodom sich bereichern zu lassen, sei es auch nur um einen Faden oder Schuhriemen. Er wanderte hin und her mit seinem Zelte, als ein himmlischer Fremdling. Aber jetzt, zu einer Zeit, die durch die Hand Gottes bezeichnet war, kann er auch ein anderer Mann sein. Er kennt seinen Platz als Vater des Israels Gottes und als ihr Stellvertreter als Haupt der Nationen. Er weiß das Fest der Laubhütten zu seiner Zeit zu feiern. Er straft Abimelech, er bewirtet und bereichert ihn, und er macht einen Bund mit ihm, und das alles mit einer ruhigen, bewußten Würde, die unser Erstaunen wachruft. Dann baut er einen neuen Altar oder ruft Gott in einem neuen Charakter an. So sehen wir hier in Abraham einen ganz anderen Mann vor uns als früher. Alle jene Dinge zeigen, daß eine den Gedanken Gottes entsprechende Verwandlung, wenn ich es so nennen darf, in ihm stattgefunden hatte.

 

Doch es gibt noch mehr zu betrachten in jenem herrlichen Glaubensleben, das unser Vater Abraham durch die Gnade bis zum Ende hin führte. Es war ein Leben, das in der Kraft der Auferstehung verbracht wurde; ja es war das Leben eines gestorbenen und auferstandenen Menschen. Es ist eine aller­dings schwer zu lernende Aufgabe (obwohl die praktische Auf­gabe unseres Lebens), daß wir ein gestorbenes und auferstan­denes Volk sind. Abraham zeigte sich von Anfang an in diesem Charakter. Er ließ alles zurück, was die Natur oder die Welt ihm gegeben hatte. Er gab das Land, in das seine Geburt ihn gebracht hatte, auf für dasjenige, wohin der Glaube ihn führte. Und wie der Anfang, so war die Fortsetzung und das Ende seines Weges. Allerdings machte er wiederholt Fehltritte, aber bis zum Ende hin blieb er ein Mann des Glaubens, ein gestorbener und auferstandener Mensch.

 

Als ein solcher hatte er Isaak empfangen "und sah nicht seinen eigenen schon erstorbenen Leib an und das Absterben des Mutterleibes der Sara"; und als ein solcher opferte er ihn etwa zwanzig Jahre später auf dem Altar auf das Geheiß des Herrn. Die Verheißung war die Verheißung Gottes ‑ das war genug für ihn. Der Glaube wird nie überwunden. Er hat unbegrenzte göttliche Hilfsquellen. Der Gläubige fehlt immer wieder, aber der Glaube wird nie besiegt, wird nie in seiner Erwartung zuschanden (Kap. 22). Und den überwindenden Glauben, den wir bei der Opferung Isaaks in Abraham finden, entdecken wir auch nachher bei der Beerdigung Saras. Der Glaube, der Isaak empfangen und geopfert hatte, beerdigt jetzt Sara. Abra­ham glaubte an die Auferstehung und an Gott als den Gott der Auferstehung. Er kannte den Gott, Aer die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre". Die Höhle Machpela zeigt uns dies. Erde zur Erde, Staub zum Staube, Asche zur Asche, in gewisser und sicherer Hoffnung ‑das war hier die Sprache des Herzens Abrahams. Das sorg­fältige Kaufen jenes Platzes, um ihn zu seinem Eigentum zu machen und ihn als sein Besitztum zu haben, während er sonst nicht einen Fußbreit von dem ganzen Lande begehrte, redet in lebendiger Sprache von dem Glauben Abrahams an die Auf­erstehung. Sein Handeln mit den Kindern Heth um ein Erb­begräbnis gleicht dem Worte, das er am Fuß des Berges Morija zu seinen Knechten sprach: "Bleibet ihr hier mit dem Esel; ich aber und der Knabe wollen bis dorthin gehen und anbeten, und dann zu euch zurückkehren". Beides deutete im voraus seine Gedanken betreffs Isaaks und Saras an. Er übergab beide in die Hände Dessen, Der die Toten lebendig macht. Er wußte, daß das sterbende Weizenkorn wieder leben, daß die Handvoll Staub wieder eingesammelt werden würde. Angesichts des Todes errang sein Glaube den gleichen Sieg wie auf dem Berge

 

Morija, als er das Holz auf den Altar ‑legte und ;das geliebte Schlachtopfer band, um es Jehova zu opfern (Kap. 23)*).

__________________

*) Außer den Darstellungen des Glaubens gibt es in diesen Dingen auch herrliche Geheimnisse. Das Opfer Isaaks auf dem Berge Morija Ist, wie nie­mand bezweifeln wird, ein wunderbares, geheimnisvolles Vorbild. Ebenso die Geschichte von Hagar und Ismael in Kapitel 11, die ein Bild des gegenwärtigen beiseite gesetzten, aber von Gott bewahrten luden ‑ eines heimatlosen Flüchtlings ist der aber für zukünftige Vorsätze der Gnade bestimmt Ist. (Vergl. Gal 4, 25).

 

Der Glaube in unserem Patriarchen trug der Reihe nach über alle Umstände den Sieg davon. Herrliche Siege eines kostbaren Glaubens! Und die gleichen Siege werden heute noch errungen. Der Glaube triumphiert auch heute noch über die Umstände. Er begegnet unserem eigenen persönlichen Zustande, ah "tot in Vergehungen und Sünden". Er begegnet den mancherlei Schwierigkeiten und Versuchungen des Weges. Er begegnet dem letzten großen Feind.. Ich brauche das, was mir auf der Reise oder an ihrem Ende begegnet, nicht mehr zu fürchten, nachdem ich das bereits überwunden habe, was n* bei Beginn des Weges entgegenstand. Dem Glauben fällt es nicht schwer, zu dem Berge Morija oder zu der Höhle Machpela zu gehen, wenn er bereits zu Hebron mit dem Herrn in die sternenhelle Nacht hinausgegangen ist. Wenn er in meiner eigenen Person dem Tode begegnet ist, so kann er ihm auch in meinem Isaak oder in meiner Sara begegnen. Wir sprechen, der Herr weiß es, von Seiner Gnade und nicht von unseren eigenen armseligen Erfahrungen. Aber dennoch darf jeder Gläubige von sich sagen: Habe ich nicht Frieden mit Gott? Weiß ich nicht, daß Er für mich ist? Weiß ich nicht, daß Seine Gnade meinem Zustand der Sünde, der Schuld und Verdammnis begegnet ist? Weiß ich nicht, daß ich abgewaschen, aufgenommen und in die Stellung eines Kindes gebracht bin? Habe ich nicht mit Abra­ham ein Heilmittel gefunden für meinen eigenen Zustand von Natur, und sollte ich nun auf meinem Wege ängstlich zagen, obgleich die Versuchung des Berges Morija oder der Tod und die Beerdigung zu Machpela meiner warten mögen? Wenn der Glaube schon der Sünde begegnet ist, so muß er sich auch als Sieger über den Tod kennen. Unsere Seelen sollten sich an den Gedanken gewöhnen, daß der herrlichste Sieg des Glaubens am Anfang des Weges errungen worden ist, und daß wir wenn wir trotz der Sünde Frieden mit Gott haben, auch auf Stärke und Trost von Seiner Seite rechnen können, ungeachtet der Versuchungen des Weges, und auf Kraft und Triumph in Ihm, ungeachtet des Endes des Weges. Der Glaube, der sein erstes Werk getan hat, hat damit auch sein größtes Werk voll­bracht. "Wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden" (Vergl. auch Röm 8, 32).

 

Der Glaube benutzt die Macht des Lebens über den Tod, und von dieser Kraft des siegreichen Lebens besaß Abraham etwas durch den Glauben. Das Erstorbensein seines eigenen Leibes, der Altar seines Isaak und das Grab seiner Sara wurden von ihm als einem auferstandenen Menschen betrachtet, und zwar im lichte des Glaubens an Den, Der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre.

 

III

 

Wenn wir die wechselvolle und ereignisreiche Geschichte Abra­hams weiter verfolgen, finden wir, daß er bis zum Ende hin auf demselben Boden steht und die früheren Siege davonträgt. Durch die Gnade aufrecht erhalten, behauptet er die nämliche Stellung, die er von Anfang an einnahm, als er durch Glauben der Berufung Gottes folgte.

 

Diese Berufung hatte mit oder vielmehr für Abraham zweier­lei getan: sie hatte ihn von Mesopotamien getrennt und ihn doch in Kanaan als Fremdling gelassen. Aus seinem Lande, aus seiner Verwandtschaft und aus seines Vaters Hause wurde er fortgeführt; aber doch sollte er inmitten des Landes und Volkes, zu dem er kam, nur als Pilger weilen und, welchen Teil des Landes er auch durchziehen oder besuchen mochte, in einem Zelt wohnen.

 

Seine Stellung war eine heilige, seine Trennung eine zwiefache: zunächst von den natürlichen Verbindungen, in denen er sich durch seine Geburt in Mesopotamien befunden hatte, und dann von dem Verderben, dem er in Kanaan begegnete. Er stand unter der Berufung des Gottes der Herrlichkeit, und eine solche Berufung macht dem Fleisch oder der Welt keinerlei Zugeständnisse.

 

Er war der Erbe des Landes, in dem er sich als Fremdling auf­hielt. Die Verheißung Gottes gehörte ihm ebenso sicher wie die Berufung Gottes. Er wußte, daß er durch göttlichen, un­antastbaren Vorsatz zu Würden hoher Art bestimmt war. Allein bis zum Ende hin war er bereit, ganz und gar unge­kannt zu bleiben.

 

Zu den Kindern des Landes redete er von sich selbst als von einem Fremdling und Pilgrim. Er wollte nicht einen Fußbreit Boden von den Kindern Heth unbezahlt annehmen. Er trachtete nicht danach, in ihrer Mitte etwas zu sein. Er sprach nie von den Würden, die, wie er doch während dieser ganzen Zeit wußte, sein verheißenes Teil waren. In späteren Tagen finden wir bei David etwas ähnliches. Er hatte das Öl Samuels, die Salbung Gottes für den Thron Israels, bereits auf seinem Haupte, und dennoch wollte er in dem gleichen Geiste wie Abraham verborgen bleiben und dankte einem reichen Nach­barn in seiner Not für ein Stück Brot. Diese Männer Gottes wollten sich selbst nicht kennen. Solcher Tugend begegnen wir in vollkommener Weise bei Dem, Der in dieser gefallenen, bösen Welt Sich zu nichts machte und der Diener aller wurde, obwohl Er der Gott des Himmels und der Erde war.

 

Welche herrlichen Tugenden entfalten sich unter der Macht der Berufung Gottes durch den Heiligen Geist! Mesopotamien ist verfallen, Kanaan ein fremdes Land geworden, und die eigene Person ist vergessen und verborgen! Die Berufung Gottes bezweckt heute mit uns dasselbe wie damals mit Abra­ham. Sie möchte uns gern mit sich in Übereinstimmung brin­gen. Ihre Autorität ist unumschränkt. Nicht, daß Vaterland oder Verwandtschaft an und für sich notwendigerweise be­fleckend wären. Die Natur erklärt sie für berechtigt, und selbst das Gesetz Gottes erkennt sie zu seiner Zeit an. Aber die Berufung Gottes ist unumschränkt und fordert eine Trennung von hoher und besonderer Art. Und diese Berufung richtete

 

sich an Abraham in Mesopotamien, dem Ort seiner Geburt, seiner Verwandtschaft und seiner natürlichen Beziehungen, und sie hallte beständig in seinem Herzen wider während der Zeit seines Aufenthalts in Kanaan. Er war durchaus nicht berufen, jene Dinge als böse anzuerkennen, aber es waren Dinge, von denen die Berufung Gottes ihn getrennt hatte. Nicht länger bildete das sittlich Böse oder die Verderbtheit einer Sache die Richtschnur seines Handelns, sondern vielmehr ihre Unver­einbarkeit mit der Berufung Gottes. Er mochte das Recht und die Ansprüche von tausenderlei Dingen zugestehen, aber nur die Stimme des Gottes der Herrlichkeit, auf die er im Glauben schon gehorcht hatte, durfte ihn leiten und regieren. "Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat und zurückblickt, ist geschickt zum Reiche Gottes"*).

______________

*) Der Herr Jesus handelte in den Tagen Seines Fleisches genau so wie der Gott, der vor Alters Abraham berief. Er trat mit den unumschränkten Ansprüchen Gottes auf: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich", sagt Er, ist meiner nicht würdig". Und wiederum: Folge mir, und laß die Toten ihre Toten begraben«. Wer, außer Gott, könnte zwischen uns und solche Beziehungen und Verpflichtungen treten? Derartige Pflichten und Zuneigungen wer­den , wie oben bereits bemerkt, durch die Natur als richtig anerkannt und durch das Gesetz Gottes selbst bestätigt; aber die Berufung Gottes ist unumschränkt, und der Herr Jesus machte in den Tagen Seiner Erniedrigung Anspruch auf diese Unumschränktheit.

 

Abraham entsprach dieser Berufung sehr treu. Gemäß ihr w er anfangs ausgezogen, nicht wissend, wohin er ging, und indem er alles verließ, was, abgesehen von dem wohlgefälligen Willen Gottes, selbst von der Natur anerkannt werden mußte. Er ging voran in der Kraft dieser Berufung, indem er sich in Zelten aufhielt, ungekannt und ohne Besitztum, als ein Fremd­ling in der Welt, ohne einen Schritt rückwärts zu tun. Und am Ende finden wir die Kraft seiner Berufung so frisch wie je in seiner Seele wirksam. Er handelt so ernst und einfältig im 24. Kapitel, wie er es im 12. getan hatte, und er befiehlt Elieser an, genau in derselben Weise zu handeln, wie er selbst von Anfang an gehandelt hatte. Abraham wollte Isaak auf dem Platze der Absonderung erhalten, mochte es kosten, was es wollte. Was auch die Folgen sein mochten, Isaak sollte weder nach Mesopotamien zurückgebracht, noch mit Kanaan verbunden werden. Waren die Umstände auch noch so schwierig, Isaak mußte an seinem wahren Platz unter der Berufung Gottes erhalten bleiben. Diese Handlungsweise zeigt uns den Charakter Abrahams in außerordentlich klarem Licht.

 

Das herrliche Kapitel 24 enthält, wie wir wissen, auch ein höchst treffendes Vorbild von Christo und der Berufung Seiner Braut. Doch hierauf möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Lieber möchte ich dem ernsten, einfältigen Pfade nachspüren, den der in unserem Vater Abraham wirkende Glaube von Anfang bis zu Ende hin verfolgte. Die Stimme des Gottes der Herrlichkeit wurde immer noch von ihm ver­nommen. Er war nach wie vor der abgesonderte Mensch. Er zeigte deutlich, daß er ein himmlisches Vaterland suchte. Er hätte wohl Gelegenheit gehabt, in seine irdische Heimat zu­rückzukehren. Gerade die Reise des Elieser zeigt, daß er den Weg dahin nicht vergessen hatte. Aber er kehrte nicht dahin zurück, und er wollte es auch nicht.

 

Diese Fremdlingschaft unseres Patriarchen auf der Erde ist wirklich bewunderungswürdig. Er verließ Mesopotamien, hielt sich in Kanaan auf und verbarg und vergaß sich selbst. Er machte sich zu nichts und bekannte in Gegenwart der Kinder Heth, daß er nichts weiter sei als "ein Fremdling und ohne Bürgerschaft" in ihrer Mitte, und doch war er zugleich der, dem kraft der Verheißungen Gottes das ganze Land gehörte. Das alles bewies eine wirkliche, aufrichtige Fremdlingschaft in :dieser Welt. Das Bewußtsein seines himmlischen Bürger­rechts machte Abraham so bereitwillig, hienieden ein Fremd­ling zu sein. Weil er Besitztümer in Aussicht hatte, brauchte er nichts in der Hand zu haben. Das Land der Verheißung war für ihn nur ein fremdes Land, weil er, eben nur ein Land der Verheißung und nicht des Besitztums war. Er sah den Tag Christi und freute sich, aber er sah ihn "von ferne" (Hebr 11, 9‑‑14)‑

 

So finden wir also denselben Charakter, den Abraham im Anfang seiner Berufung geoffenbart hatte, bis zum Ende hin bei ihm hervortreten. Mochte er auch während des Weges nicht selten in der praktischen Betätigung des Glaubens fehlen, so ist er doch am Ende seiner Reise noch der gleiche himmlische Fremdling wie im Anfang. Und wahrlich, die nämliche Fremd­lingschaft sollte bei uns gefunden werden, da ja ein wohl­bekanntes Bürgerrecht in den Himmeln auch unser Teil ist. Dieselbe Trennung von der Welt geziemt uns, weil wir in einem schon auferstandenen Christus verbunden und eins­gemacht sind. Dies kann, solange wir hienieden sind, durch nichts verändert werden; wir sollten das Angesicht eines ver­worfenen Christus unverrückt anschauen, denn nur so kann diese Fremdlingschaft kräftig von uns aufrecht erhalten wer­den. Nur insoweit Christus von größerem Wert für uns ist als alles, was uns umgibt werden wir den Geist und Charak­ter himmlischer Fremdlinge zur Schau tragen. Aber gerade weil es so viel an diesem steten Anschauen Christi fehlt, begnügen

wir uns so gern mit der Welt und ihren Dingen. Wir haben noch nicht gelernt, was Mose gelernt hatte, nämlich die Schmach des Christus für größeren Reichtum zu halten als die Schätze Ägyptens".

 

Das zu lernen ist schwer, aber gesegnet. Abraham verstand etwas davon. Er hätte nach Mesopotamien zurückkehren kön­nen. Er hatte, wie gesagt, den Weg dahin nicht vergessen, und kein Feind war da, um seine Reise zu verhindern. Aber die Berufung Gottes hatte sein Herz befestigt, und er richtete seinen Blick nur dahin, wohin Gottes Berufung ihn führte. Möchten unsere Seelen diese Dinge mit größerer Kraft festhalten! Wahrlich, unser Herz versteht wenig von ihnen, und doch sind sie die köstliche Frucht der göttlichen Energie in den Aus­erwählten Gottes.

 

Wir kommen jetzt zu einem Ereignis in der Geschichte Abra­hams, das sich von allen vorhergehenden völlig unterscheidet. Ich meine seine Heirat mit Ketura. Diese Verbindung und die Kinder, die aus ihr hervorgingen, bilden, wie ich nicht zweifle, ein bestimmtes Vorbild. Abraham stellt hier einen neuen Zug der göttlichen Weisheit dar, ein weiteres Geheimnis in den Wegen der göttlichen Verwaltung der Zeiten. In diesen Kin­dern der zweiten Frau erblicken wir vorbildlich die Nationen, welche die Erde in den Tagen des tausendjährigen Reiches bevölkern werden, Zweige der großen Familie Gottes zu jener Zeit und Kinder Abrahams. Sie mögen weit ab, gleichsam an den Enden der Erde, wohnen, aber sie haben ihren Anteil an den Segnungen des Reiches und werden anerkannt werden, als zu der einen ausgedehnten tausendjährigen Familie ge­hörig. "Frohlocket, ihr Nationen, mit seinem Volke!" so wird zu ihnen gesagt werden. Die Enden der Erde werden dann ebenso gewiß das Erbteil Christi bilden, wie die Kirche in Ihm und mit Ihm in den Himmeln verherrlicht sein wird. Sie wer­den ebenso gewiß Ihm gehören wie der Thron Davids und das Erbe Israels, die in dem Lande ihrer Väter wieder aufgerichtet und ins Leben gerufen sein werden. Kinder Abrahams werden über die ganze Erde hin zerstreut wohnen. Denn in jenen Tagen der Herrlichkeit wird der König Israels der Gott der ganzen Erde sein. Christus ist der "Vater der Ewigkeit". Und wenn Israel einst durch Ihn verherrlicht ist, dann werden alle Nationen in Ihm gesegnet werden. Er ist sowohl "ein Licht zur Offenbarung der Nationen", als auch "zur Herrlichkeit seines Volkes Israel". Die Kinder Keturas, in andere Länder zerstreut, stellen dieses Geheimnis vorbildlich dar. Sie werden allerdings nicht Israel gleich stehen, aber dennoch werden sie auserwählt und geliebt sein, wie wir hier lesen: "Und Abraham gab dem Isaak alles, was er hatte. Und den Söhnen der Kebs­weiber, die Abraham hatte, gab Abraham Geschenke; und er ließ sie, während er noch lebte, von seinem Sohne Isaak weg­ziehen nach Osten, in das Land des Ostens" (Kap. 25, 5. 6)*).

________________

*) Ich zweifle nicht daran, daß wir das nämliche Vorbild in der Heirat Moses mit der Äthiopierin und in der Heirat Salomos mit der Tochter des Pharao dargestellt finden. Moses zweite Frau steht, was ihre Würde betrifft, unter Zippora, die In 2. Mose 18 besondere Ehre empfängt; und die Tochter des Pharao, obgleich sie durch den König zu Jerusalem völlig anerkannt wird, erhält keinen Platz in der Stadt Davids.

 

Das ist, wie ich glaube, die vorbildliche Bedeutung dieser neuen Familie Abrahams, und mit diesem außergewöhnlichen und wunderbaren Gegenstande schließt seine Geschichte. Durch sie hat Gott den großen und verschiedenartigen Offenbarungen Seiner Ratschlüsse und Geheimnisse ein neues, sehr beachtens­wertes Zeugnis hinzugefügt. Zu Zeiten wird in Abraham der Vater gesehen, so z. B. in seinem Verlangen nach Kindern, in der Opferung seines Sohnes, in der Sendung Eliesers, um für seinen Sohn ein Weib zu suchen. Zu anderen Zeiten erblicken wir Christum in ihm, als den Einen, in welchem alle Geschlech­ter der Erde gesegnet werden sollen, als das Haupt der Nati­onen, als den Vater des tausendjährigen Zeitalters. Dann wieder wird die Kirche oder das himmlische Volk in der Ge­schichte Abrahams dargestellt, und wieder zu anderen Zeiten befinden wir uns auf der Erde oder bei Israel.

 

Auf diese Weise hat unser anbetungswürdiger Gott und Vater, dem alle Seine Werke von Anbeginn der Welt an bekannt sind, in den Einzelheiten und mannigfaltigen Ereignissen des Lebens Abrahams verschiedene Teile Seiner Wege vorbildlich vor unser Auge gestellt. In Sara und ihrem Samen, in Hagar und ihrem Samen, sowie in Ketura und ihrem Samen sahen wir das Geheimnis Jerusalems, als "unser aller Mutter", dann Israel, das mit seinen Kindern jetzt in Knechtschaft ist, und endlich die Sammlung der Nationen der ganzen Welt, als Zweige der einen ausgebreiteten tausendjährigen Familie. Ein Geheimnis nach dem anderen wird sondern Leben Abrahams behandelt, und wir empfangen über die verschiedensten Teile der "mannigfaltigen Weisheit Gottes" darin Belehrung.

 

Es mag sein, daß die lebenden oder persönlichen Vorbilder ebensowenig gewußt haben, was sie unter der Leitung Gottes darstellten, wie die sachlichen Bilder. Hagar war sich ihres vorbildlichen Charakters ohne Zweifel so wenig bewußt wie das Gold, das den Tisch der Schaubrote bedeckte, oder das Wasser, mit dem das eherne Waschbecken angefüllt war. Aber die Lehre, die für uns in den Personen wie in den Dingen liegt, wird dadurch nicht im geringsten berührt. Wir erblicken die Herrlichkeit Christi in der Stellung Salomos und die tiefe und köstliche Vorsorge Seiner Gnade in der goldenen Platte auf Aarons Stirn, aber wir denken nicht daran, zu untersuchen, was Salomo persönlich in dieser Beziehung war, ebensowenig wie es uns in den Sinn kommt, dies bei dem Golde zu tun. Der schlafende Adam belehrt uns über den Tod des Christus Gottes, und das Entzücken des erwachenden Adam über Eva zeigt uns die Genugtuung und Freude Christi über die Frucht der Mühsal Seiner Seele, aber wir fragen nicht danach, ob Adam auch gewußt habe, was er für uns war und tat. Wir können aus der Geschichte Hagars mancherlei Belehrungen über den ersten Bund schöpfen, so wie uns der Altar über das Reinigende des Blutes Christi belehrt, aber beide waren sich dessen nicht bewußt. Ebenso forschen wir auch bei Abraham, wenn er inmitten all dieser verschiedenen und wunderbaren Geheimnisse seinen Platz einnimmt, nicht nach dem Maße seines Verständnisses über diese Dinge. Die Weisheit Gottes ‑ Christus, welcher der Gegenstand der ewigen Ratschlüsse war ‑ kann sagen: "Siehe, ich und die Kinder, die Jehova mir gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern"; aber inwieweit Abraham dies sagen konnte, und in welchem Maße er selbst in die Bedeutung des Vorbildes, das er darstellte, oder in die Geheimnisse, die er wie in einer unbekannten Sprache ausdrückte, eingedrungen ist, haben wir nicht zu untersuchen. "Gott ist sein eigener Ausleger".

 

Unser Patriarch ist jetzt an dem Ende seiner Wege und Übun­gen angekommen, und seine Augen schließen sich für dieses Leben. "Und dies sind die Tage der Lebensjahre Abrahams, die er gelebt hat: hundertfünfundsiebenzig Jahre. Und Abraham verschied und starb in gutem Alter, alt und der Tage satt" (Kap. 25, 7. 8).

 

Er hatte das Land gesehen, aber er sollte es nicht besitzen. Er war der Mose eines früheren Geschlechts. Er war wie jener, ein himmlischer Mensch, ein Mann der Wüste, nicht des Erb­teils, ein Mann des Zeltes, ein Kind der Auferstehung. Er wurde zu seinen Völkern versammelt bevor das Land, der Verheißung gemäß, durch das Israel Gottes betreten wurde. Er sah das Land wie im Spiegel der Vorsätze Gottes und im Licht des Glaubens, aber er trat nicht in seinen Besitz ein. Er starb als ein Fremdling und ist bestimmt, mit Henoch vor ihm und Mose nach ihm, in der himmlischen Herrlichkeit des Soh­nes des Menschen zu glänzen.

 

Hiermit haben wir den dritten Abschnitt des ersten Buches Mose beendet und damit die Szenen und Umstände des Lebens Abrahams. In diesen Bruchstücken, die der Heilige Geist für uns gesammelt und aufbewahrt hat, haben wir den Glauben gesehen, wie er seinen Großmut ausübt und seine Genossen erfreut, und endlich wie er seine Tröstungen und Verheißungen empfängt. Aber wir sind auch der Einsicht dieses Glaubens begegnet und haben erfahren, wie der Glaube in dem Licht oder entsprechend dem Urteil des Sinnes Christi wandelt.

 

Es ist außerordentlich schön, diese Verbindung in dem Manne des Glaubens zu sehen. Wir finden unter uns nicht oft die Einsicht des Glaubens mit seiner sittlichen Kraft vereinigt. In manchen Gläubigen ist eine ernste, ausharrende Kraft des Glaubens vorhanden, die gerade, treu und aufrichtig voran­geht aber oft in dem Erkennen der Weisheit Gottes betreffs der Verwaltung der Zeiten fehlt. In anderen findet sich ein wohlunterrichteter Sinn, verbunden mit tiefem, geistlichem Verständnis und der Fähigkeit, in die Weisheit Gottes einzu­gehen, aber ohne die nötige Kraft zur Ausübung des Dienstes, den ein einfältigerer und ernsterer Glaube beharrlich ausüben würde. In Abraham dagegen finden wir diese beiden Dinge, wenn auch neben manchen Mängeln, miteinander vereinigt.

 

Nicht nur sollten unsere Herzen stets für die Gegenwart und Freude Gottes geöffnet und unsere Gewissen für Seine For­derungen und für Seinen Willen empfänglich sein, sondern es sollte sich in unserem Wandel mit Gott ebensosehr das Licht der Kenntnis Seiner Gedanken offenbaren. Das Leben des Glaubens ist sehr unvollständig, wenn wir nicht wie Abra­ham, die von Gott gekennzeichneten Zeiten verstehen, wenn wir nicht wissen, wann es nötig ist, zu kämpfen, und wann stille zu sein, wann das Unrecht eines Abimelech schweigend zu erdulden, und wann es entschieden zurückzuweisen, wann den Altar eines pilgernden Fremdlings zu errichten, und wann den Namen des ewigen Gottes anzurufen. Mit anderen Wor­ten: wir sollten wissen, was der Herr Seinem eigenen ewigen Ratschluß entsprechend vorhat, und was Er in Seiner mannig­faltigen Weisheit der Vollendung entgegen führt. Das ist wahrer, einsichtsvoller Gehorsam, wenn das Verhalten des Heiligen der Weisheit Gottes in bezug auf die Verwaltung der betreffenden Zeiten entspricht. So war es im Leben Abrahams.

 

Doch die höchste Stufe sittlicher Würde in ihm bestand darin, daß er ein Fremdling auf der Erde war. Das überstrahlt bei weitem alles andere. Gerade darum schämte Sich Gott nicht, Sein Gott genannt zu werden. Gott kann Sich zu einer Seele bekennen, die das Bürgerrecht in dieser gefallenen, verderbten Welt zurückweist. "Gott liebt den Fremdling" (5‑ MO 10, ‑18). Er liebt den armen, freundlosen Fremdling mit der Liebe des Erbarmens und der Gnade, und Er sorgt für ihn. Aber mit dem abgesonderten Fremdling, der diesem ganzen verderbten Schauplatz den Rücken gewandt hat, verbindet Gott Seinen Namen und Seine Ehre und bekennt Sich zu ihm, ohne Sich seiner zu schämen (Hebr ‑11, 13‑16).

 

Wie herrlich begann Abraham seine Reise! Der Herr und Seine Verheißungen waren alles, was er besaß. Er verließ seine natürliche Heimat, ohne daß er erwartet hätte, an dem Ziel seiner Reise eine andere Heimat zu finden. Er wußte, daß er auf Erden ein Fremdling und Pilgrim mit Gott "ein sollte. Er verließ Mesopotamien, ohne Kanaan an dessen Stelle zu über­nehmen. Demgemäß war er während seines ganzen Lebens, oder während seines ungefähr hundertjährigen Aufenthalts in Kanaan von allen daselbst wohnenden Völkern getrennt. Kanaan war für ihn, den himmlischen Menschen, die Welt, und er hatte während seines ganzen Lebens so wenig wie möglich mit ihr zu tun. Wenn die Umstände es erforderten, oder soweit seine Angelegenheiten ihn dazu nötigten, beschäftigte er sich mit dem Lande. Er wird gewiß mit den Bewohnern Kanaans Handel getrieben haben, soweit dies erforderlich war, aber seine Zuneigungen besagen sie nicht. Er bedurfte eines Be­gräbnisplatzes, und er kaufte ihn von den Kindern Heth. Er trug kein Bedenken, mit ihnen wegen eines notwendigen Kaufs oder Verkaufs zu unterhandeln, aber er wollte lieber kaufen, als irgend etwas als Geschenk annehmen. Er wollte nicht ihr Schuldner sein oder durch sie bereichert werden. Eben­sowenig waren sie seine Gesellschafter. Das nehmen wir überall wahr. Als Aner, Eskol und Mamre (vielleicht angezogen durch das, was sie in Abraham sahen) ein Bündnis mit ihm eingehen wollten, wies er ihre Bundesgenossenschaft allerdings nicht zurück, aber es war eine Gelegenheit von allgemeinem Interesse, was von dein Gott, der ihn berufen hatte, anerkannt und gutgeheißen wurde. Aber niemals bildeten die Kanaaniter seine Gesellschafter. Diese bestanden in seinem Weibe, seiner Haushaltung und seinem Mitheiligen Lot, dem Sohn seines Bruders, der mit ihm aus Mesopotamien gekommen war ‑wenigstens so lange dieser als ein abgesonderter Mensch in Kanaan wandelte. Sobald Lot sich nicht mehr von dein Volk des Landes unterschied, war auch er für Abraham ebenso ein Fremder wie jene.

 

In diesem allem liegt eine ernste Lehre für uns. Zu Zeiten finden wir Engel in Abrahams Gesellschaft und nicht selten den Herrn der Engel Selbst, und zu allen Zeiten waren sein Altar und sein Zelt bei ihm, sowie die Geheimnisse oder Wahr­heiten Gottes, wie sie ihm bekannt gemacht worden waren. Aber die Bewohner des Landes, die Menschen dieser Welt, waren nicht nach seinem Geschmack und erlangten deshalb weder seine Zuneigung, noch sein Vertrauen. Er war unter ihnen, aber nicht von ihnen, und lieber wollte er sein Haus ungebaut und Isaak unverheiratet sehen, als daß er ihm eine Tochter Kanaans zum Weibe genommen hätte.

 

Manchen unter uns scheint ein so entschiedener Bruch mit allem Irdischen und Natürlichen etwas Schreckliches zu sein. Allein wenn Jesus mehr geliebt würde, so würden alle diese Dinge nicht so hoch angeschlagen werden. Würde Sein Wert für uns innerhalb des Vorhangs mehr in unseren Herzen er­wogen und geschätzt werden, so wurden wir mit' festerem und sichererem Schritt zu Ihm hinausgehen außerhalb des Lagers. "Ich habe erfahren", hat einst ein Märtyrer gesagt, "daß es keine Freiheit gibt, die derjenigen eines Herzens gleichkommt das alles für Christum aufgegeben hat, keine Weisheit gleich derjenigen, die zu Seinen Füßen gelernt wird, keine Poesie, gleich der ruhigen Voraussicht auf die kommende Herrlichkeit". Von Abraham und seinen Gefährten in diesem Leben des Glaubens, die bekannten, daß sie Fremdlinge und ohne Bür­gerschaft auf der Erde seien, sagt die Schrift: "Die solches sagen, zeigen deutlich, daß sie ein Vaterland suchen. Und wenn sie an jenes gedacht hätten, von welchem sie ausgegangen waren, so hätten sie Zeit gehabt zurückzukehren. Jetzt aber trachten sie nach einem besseren, das ist himmlischen. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott genannt zu werden, denn er hat ihnen eine Stadt bereitet" (Hebr 11, 14‑16).

 

Wir sind berufen, Fremdlinge zu sein, solche Fremdlinge, zu denen Gott Sich bekennen kann. Wenn die Welt nicht der Gegenstand der Wünsche und Zuneigungen Abrahams ge­wesen ist, so sollten wir fühlen, daß sie noch weit weniger der Gegenstand unserer Wünsche sein sollte. Die Berufung des Gottes der Herrlichkeit machte Abraham zu einem Fremdling auf Erden. Das Kreuz Christi, das dieser Berufung noch hin­zugefügt ist, sollte uns noch weit mehr zu Fremdfingen machen. "Ihr seid gestorben", sagt der Apostel, "und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott". Das ist eine Fremdling­schaft der höchsten Art, die Fremdlingschaft des Sohnes Gottes Selbst. "Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat".

 

Isaak

 

1. Mose 25‑27

 

» Durch Glauben segnete Isaak, in bezug auf zukünftige Dinge, den Jakob und den Esau' (Hebr 11, 20).

 

I

 

Über die Geschichte Isaaks, wie auch über seinen Charakter, finden wir verhältnismäßig nur wenige Andeutungen. In man­cher Hinsicht ist das von geringer Bedeutung, denn, ob viel oder wenig, sein Name ist in unser aller Gedächtnis, die wir die Wege des Gottes der Gnade kennengelernt haben ‑ "des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs", denn das ist "Sein Name in Ewigkeit und sein Gedächtnis von Geschlecht zu Geschlecht".

 

Isaak war ein Fremdling auf der Erde, ein himmlischer Fremd­ling, wie es sein Vater gewesen war. Gleich Abraham sehen wir ihn in Verbindung mit einem Zelt und einem Altar und hören auch, daß Jehova ihm Verheißungen gibt, wie Er sie Abraham gegeben hatte. "Durch den Glauben hielt Abraham auf in dem Lande der Verheißung, wie in einem fremden, und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben der­selben Verheißung".

 

Dieses Zeltleben der Patriarchen ist sehr bezeichnend. (Vergl. Hebr 11, 9. 10). Es sagt uns, daß jene Männer damit zufrieden waren, gleichsam nur auf der Oberfläche dieser Welt zu woh­nen. Ein Zelt hat bekanntlich keine Grundlagen. Es kann in einem Augenblick aufgeschlagen und im nächsten wieder ab­gebrochen werden. Mit einer so losen und vorübergehenden Verbindung mit dieser Erde und dem Leben auf ihr waren die Patriarchen zufrieden, nur eine solche suchten sie. Sie trach­teten nicht eher nach einer Stadt oder nach Grundlagen, bis Gott zu bauen begann. So lange Sein Bauwerk nicht geoffenbart war, zogen sie als Pilgrime auf der Oberfläche der Erde einher, ohne Wurzel in ihr zu fassen.

 

Das ist die Sprache, welche die Zelte der wandernden Patri­archen zu uns reden. Und wie ihre Zelte diese himmlische Fremdlingschaft ausdrückten, so verriet ihr Altar ihre An­betung, ihre wahre Anbetung, denn sie errichteten den Altar Dem, Der ihnen erschienen war. Sie maßten sich nicht an, Gott durch ihre eigene Weisheit zu finden und Ihn dann nach dem Licht ihrer Vernunft und nach den Eingebungen ihrer Gedanken anzubeten. Sie glichen nicht denen, "welche, indem sie sich für Weise ausgaben, zu Narren geworden sind". Nein, sie kannten und verehrten Gott gemäß Seiner eigenen Offen­barung. Der Altar, auf dein sie opferten, trug nicht die In­schrift: "Dem unbekannten Gott", sondern sie dienten und beteten an "in Wahrheit". So war der patriarchalische Altar in seiner Art ebenso ‑schön wie das patriarchalische Zelt. Wäh­rend das Zelt ihr Verhältnis zu der Welt um sie her zum Aus­druck brachte, versetzte der Altar sie in die passende Bezie­hung zu Jehova, dem Gott des Himmels und der Erde über ihnen.

 

Abraham, Isaak und Jakob sind sich hierin gleich. In Isaak wurde kein neues Geheimnis in bezug auf die Verwaltung der Zeiten, kein anderer Vorsatz der göttlichen Ratschlüsse ent­hüllt, als dies in Abraham geschehen war. Aber dennoch gab es eine weitere Entfaltung jener Herrlichkeiten, durch welche die Berufung, die schon dem Abraham bekannt war, bestätigt wurde, eine Entfaltung, die wir, wenn wir anders göttliche Gesinnungen besitzen, sehr hoch schätzen werden. Ich meine dies: die himmlische Berufung oder Fremdlingschaft auf der Erde war beiden Männern gemeinsam, aber während in Abra­ham in ausgeprägter Weise die Auserwählung dargestellt wird, tritt in Isaak vor allem die Sohnschaft vor unsere Blicke.

 

Gott berief Abraham aus der Welt. Er holte ihn aus seinem Lande, aus seiner Verwandtschaft und aus seines Vaters Hause und sonderte ihn für Sich und für Seine Verheißungen ab. Isaak dagegen war schon auserwählt, berufen und geheiligt, während er sich im Hause seines Vaters befand. Er war von seiner Geburt an zu Hause, und er war dort mit Gott, da er zufolge der Verheißung und durch eine Kraft, die den schon Gestorbenen belebte, geboren war, und in diesem allem stellt er in lieblichster Weise die Wahrheit der Sohnschaft dar. In Isaak sehen wir jene Familie, die "nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dein Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren" ist, und die in der Freiheit steht, wie der Apostel sagt: "Ihr aber, Brüder, seid, gleichwie Isaak, Kinder der Verheißung". Wir sind, wenn wir denn Christo angehören, Abrahams Samen, Kinder der Freien.

 

Zugleich gibt es in der Darstellung jener beiden Geheimnisse der Sohnschaft und der Auserwählung eine göttliche Ordnung. Denn die Auserwählung Gottes geschieht zur Sohnschaft, wie wir lesen. "Er hat uns zuvor bestimmt zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst" (Eph :L, 5). Und weil dies so ist, weil dieses hohe persönliche Vorrecht in Isaak vorgebildet wird, finden wir im Laufe seiner Geschichte das Geheimnis des Sohnes der Freien außerordentlich schön und ausführlich ent­hüllt. Sowohl seine Geburt als auch seine Entwöhnung wird uns erzählt, und jedes dieser Ereignisse war eine Veranlassung zur Freude im Hause des Vaters. Bei seiner Geburt nannte man das Kind "Lacher", und bei seiner Entwöhnung wurde ein Fest gefeiert.

 

Das sind zwei wunderbare und liebliche Vorbilder. Der Vater erfreut Sich darin, Kinder zu haben, und es ist ebensosehr Seine Freude, daß die Kinder wissen, daß sie Kinder sind. Diese beiden Wahrheiten finden in der Geburt und der Entwöhnung Isaaks eine lebendige Darstellung und sie werden nach langer, langer Zeit im Galaterbrief wieder hervorgehoben. Denn was in Isaak vorgebildet war, ist in uns durch den Geist verwirklicht. In dem genannten Brief hören wir, daß wir durch den Glauben an Jesum Christum Kinder sind, und zugleich, daß wir, weil wir Kinder sind, den Geist der Sohnschaft empfan­gen haben. Wir sind nicht nur geboren, sondern auch ent­wöhnt. Paulus ruft den Galatern zu: Meine Kindlein, um die ich abermals Geburtswehen habe, bis Christus in euch gestaltet Worden ist". Christus ist in dieser Stelle Christus, der Sohn, und der Wunsch und. die, Bemühung des Apostels Singen dahin, die Galater in die, Stellung Isaaks" d. ‑ h. zu der Freiheit einer bewußten Sohnschaft zu bringen. Sie waren in Gefahr, sich aufs neue von der Milch der Gebote zu nähren, die nur Knechtschaft hervorbrachten, die von. den Vormündern und Verwaltern einer früheren Haushaltung bestimmt worden waren. Der Apostel aber wollte, sie wieder zu der. Freiheit zurückrufen, da er selbst deren Kraft in seiner eigenen Seele er­fahren hatte, Es hatte Gott wohlgefallen, "Seinen Sohn in ihm zu offenbaren". Was er jetzt lebte im Fleische, lebte er durch den Glauben an den Sohn, der ihn liebte. Er konnte deshalb nach Arabien ziehen, ohne mit Fleisch und Blut zu Rate zu gehen. Er brauchte kein Jerusalem, keine Stadt des feierlichen Gottesdienstes, keine Apostel und Einsetzungen, kein Priester­tum nach einer fleischlichen Ordnung, kein weltliches Heilig­tum, um durch diese Dinge Ansehen zu erhalten, versiegelt oder vollkommen gemacht zu werden. Er hatte nichts von dem nötig, was irgendein Mensch oder was alle Menschen zusammen ihm hätten geben können, denn der Sohn war in ihm geoffen­bart. Er war ein entwöhnter Isaak, und er wünschte sehnlich, die Galater in dem Genuß desselben Verhältnisses zu gehen und das Wort zu hören, das einst im Hause Abrahams über Isaak gehört worden war: "stoße hinaus die Magd und ihren Sohn, denn der Sohn der Magd soll rächt erben mit dem Sohne der Freien".

 

Dies alles wird uns in Isaak, dem Sohn der Freien, vorbildlich dargestellt, und es hat Gott wohlgefallen, es uns im Galater­brief ausführlich und nachdrücklich in seiner vollen Bedeutung zu zeigen.

 

Wenn wir uns mit den Ratschlüssen Gottes beschäftigen, so dürfen wir nicht allein an die Herrlichkeit denken. Seine Vorsätze in bezug auf uns gehen noch weiter. Wir sind ebenso gewiß für einen Zustand, zuvorbestimmt, in weichem alle Ge­fühle befriedigt sind, wie für einen Platz, wo die Herrlichkeit zur vollen Entfaltung kommt, sowohl zur "Sohnschaft" und um "vor ihm in Liebe" zu sein, als auch zu Erben aller Dinge (Eph i). Und der Geist, den wir schon empfangen haben, ist in uns ebenso sicher die Kraft ' Abba, Vater!' zu rufen, wie Er die Versiegelung des Anspruchs auf die kommende Erlösung ist.

 

Wir sind geneigt dies zu vergessen. Wir denken an unsere Berufung und Vorherbestimmung gewöhnlich weit mehr in Verbindung mit der Herrlichkeit, als in Verbindung mit der Liebe, dem Einssein, der Heimat und dem Vaterhause. Und dennoch wird gerade das Verhältnis, in dem wir zu Gott stehen, dem Erbe oder der Herrlichkeit den Charakter de* höchsten Glücks verleihen. Das jüngste Kind des Königs er­freut sich in ganz anderer Weise des königlichen Palastes, als der höchste Würdenträger im Reiche. Das Kind befindet sich dort infolge seiner Beziehung zum König, nicht infolge seines Ranges. Es ist dort, weil es Kind ist. Die Großen des Landes mögen auch am Hofe sein, aber sie sind es auf Grund ihrer Würde oder ihres Dienstes. Und die Freude des Kindes an dem Palast ist nicht nur, wie ich sagte, eine andere, sondern auch eine weit höhere Freude. Sie ist persönlich, nicht amtlich. Der Palast ist für das Kind nicht nur der Hof des Königs, sondern eine Heimat.

 

Das ist es, was wir vorbildlich in Isaak sehen: Er ist der Sohn, das Kind im Hause, das alle Vorrechte der Verwandtschaft genießt.. Er wurde zu Hause behalten, gepflegt, ernährt und mit allem ausgestattet. Der Wohlstand und die Annehmlich­keiten des Hauses seines Vaters gehörten ihm, wie wir lesen, in Abraham gab dem Isaak alles was er hatte. Und den Söhnen der Kebsweiber, die Abraham hatte, gab Abraham Geschenke; und er ließ sie, während er noch lebte, von seinem Sohne Isaak wegziehen nach Osten, in das Land des Ostens",

 

Vorbildlich betrachtet steht Isaak also vor uns als ein Sohn der Freien, geboren durch Verheißung, geboren aus Gott. Ich werde wieder zu dir kommen, und Sara wird einen Sohn haben". Er stellt uns jene Familie dar, "die zur Sohnschaft bestimmt" und "begnadigt ist in dem Geliebten", welche die Freude des Sohnes genießt und Seinen Geist atmet.

 

Isaak ist jedoch nicht nur in seiner Person ein Vorbild, sondern auch in seinem Leben und Charakter. Indes sind die Grund­lagen, die uns das Wort hierfür an die Hand gibt, gering. Es werden uns nur wenige geschichtliche Einzelheiten aus seinem Leben mitgeteilt, und deshalb empfangen wir auch nur spär­lichen Aufschluß über seinen Charakter. Das ist ein Trost für uns. Wir finden zu Zeiten unter den Auserwählten Gottes solche mit sehr schönen natürlichen Anlagen, mit einem edlen Charakter, oder mit anziehenden menschlichen Tugenden, zu anderen Zeiten auch solche mit geringen Anlagen und selbst mit sehr schlechten menschlichen Eigenschaften. Und das ge­währt unseren armen Herzen Erleichterung, weil wir ‑ infolge besserer Bekanntschaft mit uns selbst als mit anderen ‑ uns gern mit solchen vergleichen, in denen wir dasselbe erblicken wie in uns. Es liegt ein gewisser Trost darin, unter dem Volke Gottes Naturen zu finden, die uns ähnlich sind.

 

In Isaaks Charakter zeigen sich Mängel. Er besaß weder vor­treffliche noch schlechte natürliche Eigenschaften. Es gab vieles in ihm, was wir liebenswürdig nennen würden und was nach menschlicher Schätzung anziehend war. Doch fehlte etwas in seinem Charakter. Man mag dies zum Teil der Art seiner Erziehung zuschreiben. Als das einzige Kind seiner Mutter war er, wenn wir so sagen dürfen, in zärtlicher Weise erzogen worden. Er war das Kind ihres Alters und war stets an ihrer Seite gewesen. Dies hatte ihn verweichlicht und in ihm ein natürlich liebenswürdiges und sanftes Temperament hervor­gerufen. Ruhe und Zurückgezogenheit, eine Natur, die lieber nachgibt, als sich wehrt, und dies verbunden mit der Verzär­telung eines bequemen häuslichen Lebens, das ist es, was wir in ihm finden. Wir dürfen ruhig annehmen, daß er in der Erfüllung seiner Pflichten als Kind und Ehemann tadellos, liebevoll und pünktlich war, und daß er sich das Wohlwollen und die Zuneigung seiner Nachbarn erwarb. Aber es fehlte ihm etwas von jener Energie, die ihn befähigt hätte, ein ande­res Zeugnis unter ihnen abzulegen als nur das der Absonde­rung, die seine Beschneidung, sein Altar und sein Zelt mit sich brachten. Und ein solches Leben ist kein reich gesegnetes. Seinem Zelt und Altar blieb Isaak im allgemeinen treu, aber er errichtete sie mit einer zu schwachen Hand.

 

Isaak war vierzig Jahre alt, als er Rebekka zum Weibe bekam. Zwanzig Jahre lang blieben sie kinderlos, aber in dieser Prü­fung verhielten sie sich besser, als Abraham und Sara es getan hatten. Als Sara erkannte, daß sie unfruchtbar war, suchte sie sich selbst zu helfen, indem sie Abraham ihre Magd zum Weibe gab, und Abraham hörte auf die Stimme Saras. Isaak und Rebekka aber flehten in gleichen Umständen zu Jehova und warteten auf Seine Gnade. Das war ein großer Unterschied, und für einen Augenblick waren die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten. Solche geistliche Verschie­denheiten finden wir bis zum heutigen Tage unter dem Volke Gottes.

 

Aber auch die Kinder von beiden Elternpaaren stellen uns verschiedene göttliche Vorbilder dar, so wie ihre Eltern uns verschiedene sittliche Belehrungen darbieten. Die Söhne Abra­hams, Isaak und Ismael, stammten von zwei Frauen her, die Söhne Isaaks, Jakob und Esau, von einer Frau. Die Feindschaft zwischen den Söhnen Abrahams begann, als Ismael, ein Knabe von 14 Jahren, den entwöhnten Isaak verspottete. Aber der Kampf zwischen den Söhnen Isaaks fand schon im Mutterleib statt. Zwei Nationen befanden sich in Rebekka, wie Jehova zu ihr gesagt hatte: "Zwei Völkerschaften werden sich scheiden aus deinem Innern". Und nach dem Worte Jehovas geschah es. Der Mensch Gottes wurde in Jakob gefunden, der Mensch der Welt in Esau. In dein einen herrschte der Grundsatz des Glau­bens, in dem anderen der Grundsatz der Natur. "Die Freund­schaft der Welt ist Feindschaft gegen Gott". So war es mit Esau, und demgemäß machte er die Erde zum Schauplatz seiner Tätigkeit, seiner Genüsse und Erwartungen. Er war "ein jagd­kundiger Mann, ein Mann des Feldes". Seine Familie kam voran. Er liebte das Feld und wußte es zu benutzen. Er richtete sein Herz auf das gegenwärtige Leben und verstand es, das, was es darbot, zu seinem Genuß zu verwenden. Seine Söhne wurden bald Fürsten und hatten ihre eigenen Städte, wie die Söhne Ismaels ihre Gehöfte und Zeltlager besaßen. Ihre Würde und Größe entsprangen aus ihnen selbst, und die Welt war Zeugin ihrer Herrlichkeit.

 

Jakob dagegen war "ein sanfter (oder ruhiger, häuslicher) Mann "der in den Zelten blieb'. Er war seinen Vätern ähnlich. Gleich Abraham und Isaak war er ein Fremdling hienieden und wanderte eine Zeitlang auf der Erde, indem sein Auge auf die Verheißung gerichtet war. Und während Esaus Kinder Fürsten waren und in ihren Besitzungen in Würde und Wohlfahrt wohnten, mußten, Jakobs Nachkommen von einem Volk zum anderen wandern, die Bedrückung und die Ungerechtigkeiten Ägyptens erdulden oder als Pilgrime die pfadlose, öde Wüste durchschreiten.

 

Esau war "ein Ungöttlicher. Seine Hoffnungen und sein Herz waren einzig und allein an das Leben in dieser Welt gekettet, denn er sagte: "Ich gehe hin zu sterben, und wozu mir da das Erstgeburtsrecht?‑ Gleich den Gadarenern und gleich Judas wollte er sein Anrecht an Christo verkaufen. Jakob dagegen besaß Glauben und war bereit zu kaufen, was Esau verkaufen  wollte.

 

Aus dem allem sehen wir, daß wirklich zwei Völkerschaften sich aus Rebekkas Innern geschieden hatten. Schon bei der Geburt der Kinder zeigte sich dies, und ihre frühesten Ge­wohnheiten, ihre ersten Handlungen sind charakteristisch. Wir sehen hier nicht bloß die Magd und die Freie, oder die Kinder der zwei Bündnisse, wie Ismael und Isaak es gewesen waren. Wohl finden wir dieselben Naturen, aber sie sind vollständiger ausgeprägt: die eine, verworfene, die von Adam herrührt und, ungöttlich oder weltlich, ihr Teil auf dieser Erde und nicht in Gott sucht, die andere, göttliche, die von Christo stammt, die glaubt, hofft, auf die Fürsorge Gottes blickt und das Reich erwartet.

 

Diese beiden verschiedenen Charaktere finden sich bis zum heutigen Tage, und die genannten Dinge stehen in mannig­faltigen Beispielen um uns her und in unserer Mitte in Blüte. Die Kains, Nimrods, Ismaels und Esaus sind noch auf der Erde verbreitet, und jene Erzählungen und Darstellungen aus einer Zeit, die schon Jahrtausende hinter uns hegt, enthalten die wichtigsten Belehrungen für unsere Seelen. Sie sind wunderbar in ihrer Einfachheit, aber zu tief für die Weisheit dieser Welt und. zu rein für die Liebe zu ihr.

 

Doch kehren wir jetzt wieder zu Isaak zurück.

 

Wie schon bemerkt, wuchs Isaak im Zelt seiner Mutter auf. Er war sozusagen mehr das Kind seiner Mutter als seines Vaters, wie das ja bei uns allen in unserer frühesten Kindheit mehr oder weniger der Fall gewesen sein wird. Doch bei Isaak blieb dieses Verhältnis bis zum Tode seiner Mutter bestehen, und damals muß er weit über dreißig Jahre alt gewesen sein. Er kannte das Zelt Saras besser als die Verkehrsorte und Be­schäftigungen der Menschen. Ihr Zelt war gleichsam seine Amme und Lehrmeisterin gewesen, und diese Erziehung ließ in seinem Charakter Eindrücke zurück, die nie wieder verwischt wurden. Wir finden ein beiläufiges, aber doch sehr deutliches Zeugnis von der Stärke des mütterlichen Einflusses auf ihn in Kap. 24, 67: Und Isaak führte sie (Rebekka) in das Zelt seiner Mutter Sara. Und Isaak tröstete sich nach dem Tode seiner Mutter".

 

Dies läßt sehr deutlich die Richtung seines Jugendlebens er­kennen und dementsprechend hatte sich sein Charakter ge­bildet. Er war der ruhige, sanfte, widerstandslose Isaak, oder wie ich schon sagte, fromm, tadellos und liebenswürdig.

 

Doch obwohl ich überzeugt bin, daß sein Charakter so war, möchte ich dennoch fragen: War es nur Natur oder nur Cha­rakter, was ihn dahin brachte, widerstandslos den Weg zum Berge Morija zu gehen? War es nur kindliche Frömmigkeit, was ihn dann befähigte, sich wie ein Lamm zur Schlachtung binden zu lassen, ohne seinen Mund aufzutun? Können wir annehmen' daß dies nur Charakterstärke war? Ich glaube nicht. Das war zu viel für menschliche Sanftmut und Unterwürfigkeit, zu viel, um selbst bei einem Isaak oder bei einer Tochter Jephthas (Rich 11) gefunden zu werden. Ich möchte lieber sagen: die Hand des Herrn war bei jener Gelegenheit über ihm, wie in späteren Tagen über dem Eigentümer der Eselin, die erforderlich war, um Christum als König nach Jerusalem zu tragen, sowie über der Menge, die Ihn. auf diesem Wege begleitete und begrüßte, oder endlich über dem Mann mit dein Wasserkrug, der das Gastzimmer für das letzte Passahmahl des Herrn mit Seinen Jüngern zubereitete. Die mächtige Hand des Herrn brachte in diesen Fällen die Menschen dahin, ergeben und willfährig zu sein und die Wichtigkeit des Augenblicks zu erfassen. So war es auch in den Tagen Samuels, als die Kühe die Lade Gottes geradewegs nach Beth‑Semes fuhren, obgleich dies ganz und gar gegen ihre Natur war, da man ihre Kälber zu Hause eingesperrt hatte (i. Sam 6). Die Macht Gottes war über jenen Tieren. Und ebenso befand sich Isaak bei Gelegen­heit seiner Opferung unter einer göttlichen Macht, unter der Hand Gottes, ohne Zweifel willig, aber willig gemacht wie an einem Tage der Kraft, denn er sollte das Vorbild von einem Größeren als er sein. Das Siegel war in einer starken Hand, und der Abdruck mußte klar, tief und deutlich sein. Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun", so lautete die Inschrift dieses Siegels. "Wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern, und er tat seinen Mund nicht auf".

 

Das war ein wichtiger Augenblick im Leben Isaaks, ein Ereig­nis von großer Bedeutung. Etwas ähnliches finden wir bei dem Empfang Rebekkas. (Siehe Kap. 24). Darin, daß Isaak ein Weib nahm, nicht nach seiner eigenen Wahl, sondern nach der Bestimmung seines Vaters Abraham, können wir die näm­liche starke Hand über ihm wahrnehmen. In diesem Falle mochten wohl mehr menschliche Unterwürfigkeit und kindliche Liebe mitwirken, als bei dem Opfer auf dem Berge Morija, aber dennoch war es ein Ereignis, das ihn kennzeichnete. Diese Heirat war ebensosehr ein Vorbild wie jenes Opfer. Das Weib, das zu dem Sohn und Erben des Vaters heimgeführt wurde durch den Diener, der das volle Vertrauen des Vaters genoß, war ein Vorbild, und wiederum mußte das Material es sich gefallen lassen, den Stempel von der Hand Dessen zu erhalten, der es benutzte. Der Töpfer machte Gefäße für den Gebrauch der Haushaltung, und der Ton mußte sich dann ergeben. Die Kinder des Propheten, Jahrhunderte nachher, erhielten Namen, wie es dem Herrn gefiel, und der Prophet mußte von ihnen sagen ‑ Siehe, ich und die Kinder, die Jehova mir, gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern" (Jes 8, ‑18). Und so waren auch Isaak und Rebekka in den Umständen ihrer Heirat Bilder "zu einem Zeichen und Wunder". Das war ihre höchste Würde: sie erzählen die Geheimnisse Gottes. Ihre Geschichte ist zugleich ein Gleichnis. Sie waren Zeichen in der Zeit, oder in dem Lauf der Geschichte der Erde, eben wie Sonne, Mond und Sterne zu Zeichen am Himmel gesetzt sind. Alle jene Männer und Weiber tragen eine Unterschrift von der Hand Gottes. "Ich will eingraben seine Eingrabung, spricht Jehova der Heerscharen". Er hat mit eigener Hand auf sie und ihre Geschichte das Bild von einigen Seiner ewigen Ratschlüsse gedrückt.

 

Doch wenn auch die sanfte und unterwürfige Natur in Isaak nicht zu solchen Opfern und solcher Ergebung fähig war, so kennzeichnet sie doch seinen Charakter. Zuzeiten handelte sie liebenswürdig und anziehend, aber zuzeiten verführte sie ihn auch auf beklagenswerte Weise. Doch stets und unter allen Umständen bei den wenigen Begebenheiten, die von ihm erzählt werden, finden wir den willigen, sanften, unterwür­figen Isaak. Daß dies ein Fehler ist, brauche ich kaum zu sagen. Das Vorhandensein nur ein und derselben Tugend bei jeder Gelegenheit verrät hinsichtlich des Charakters einen Mangel. Die Vereinigung verschiedener Tugenden verrät Charakter und göttliche Bearbeitung. "Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geiste". Es ist sowohl stark als auch gnädig und erfreuend. Sittliche Herrlichkeit ist viel­seitig, so wie das eine fleckenlose Licht, dessen wir uns er­freuen und das wir bewundern, in vielen farbigen Strahlen von dem Tautropfen zurück blitzt. Aber dieses Licht strahlt weder von Isaak noch von irgendeinem anderen Menschen in seiner ganzen Schönheit zurück, mit Ausnahme des Einzigen, in Dem alle Herrlichkeiten in ihren verschiedenen Wirkungen sich vereinigten und erglänzten.

 

Alles ist schön zu seiner Zeit, aber auch nur dann. Sanftmut verliert ihre Schönheit, wenn Eifer und Unwille am Platze sind. Die Worte in Psalm i: "Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und dessen Blatt nicht verwelkt; und alles, was er tut, gelingt", passen nicht auf einen Mann von nur einer Tugend. Sie setzen Charakter, Bestimmtheit und Unterscheidungsvermögen voraus, und das finden wir nicht bei Isaak. In gewissem Maße, und sicher im Gegensatz zu Isaak, ist diese Vereinigung von Tugenden in Abraham zu sehen, und der Unterschied zwischen diesen beiden Männern zeigt sich in ihrer verschiedenen Hand­lungsweise unter ähnlichen Umständen (vergl. Kap. 2‑1 Mit Kap. 26).

 

Isaak war von den Philistern sehr schlecht behandelt worden. Die Brunnen, die er gegraben hatte, hatten sie ihm einen nach dem anderen mit Gewalt weggenommen und die Brunnen seines Vaters mit Erde ausgefüllt. Er hatte dieses Unrecht mit Sanftmut und in Gnade ertragen, in einem Geiste, der sich für einen Fremdling und Pilgrim Gottes, der ein Bürgerrecht in einer anderen Welt erwartet, geziemte. Und als die Philister immer wieder mit ihm haderten und ihn verdrängten, zog er von Ort zu Ort. Dies entsprach der Gesinnung, die ihn, wie gesagt, bei jedem Vorfall seines Lebens kennzeichnete. Leidend drohte er nicht. Gutes tuend und dafür leidend, ertrug er die ihm zugefügte Unbill geduldig, und das ist, wie wir wissen, vor Gott angenehm (i. Petr 2, 20). Gott bestätigt das auch hier, indem Er Sich in dieser Sache zu Seinem Knechte bekennt und bei der Nacht zu ihm kommt, wie Er einst auch zu Abraham gekommen war und ihn getröstet hatte. Aber, nachdem die Philister besseren Sinnes geworden waren und der König Abi­melech mit Achusat, seinem Freunde und Pikol, seinem Heer­obersten, Isaak aufsuchte und einen Bund mit ihm zu machen wünschte, wurde Isaak da nicht durch seinen Charakter ver­leitet?

 

Sicher war es richtig von Isaak, jene Männer zu empfangen, sie seiner Freundschaft zu versichern und ihnen gute Nachbar­schaft zu geloben. Denn wir sollen vergeben, und sei es auch siebenzig mal sieben des Tages. Doch bei dem allem ist zu seiner Zeit auch Aufrichtigkeit erforderlich ‑ Aufrichtigkeit so gut wie Vergeltung. "Wenn dein Bruder sündigt, so ver­weise es ihm, und wenn er es bereut, so vergib ihm. Aber Isaak war dieser kraftvolleren Tugend nicht fähig. Er beklagt sich wohl bei Abimelech, aber in so zarten und sanften Aus­drücken, daß es keinen Eindruck auf dessen Gewissen gemacht zu haben scheint. Ebenso handelt er bei dem Abschluß des Bündnisses. Er macht für den König von Gerar ein Mahl. Er schwört ihm und entläßt ihn dann als seinen Bundesgenossen, ohne daß dieser zu irgendwelcher Anerkennung des Unrechts gebracht worden wäre, das sein Volk dem Mann zugefügt hatte, dessen Freundschaft er jetzt suchte und erlangte. Auch hören wir von seiten Isaaks nicht ein Wort der Widerlegung, als Abimelech behauptete, er habe Isaak nur Gutes getan wäh­rend der ganzen Zeit, die er in seinem Lande gewesen sei. Soweit wir aus dieser Unterhaltung ersehen können, ist der König von Gerar von Isaak nicht überführt worden. Er kehrt mit seinen Freunden zurück, zufrieden mit sich selbst wie mit Isaak. Isaak hatte seine Klagen wohl dem Ohr, aber nicht dem Gewissen Abimelechs verständlich gemacht. Es mangelte ihm dazu an Charakter und Kraft, und daran war teilweise seine Naturschuld.

 

Doch auch bei manchem unter uns nehmen wir zuzeiten eine solche Schwäche wahr. Eine gewisse Art menschlicher natür­licher Liebenswürdigkeit ist gewiß angenehm, aber beachten wir wohl, daß wir damit Gott nicht dienen.

 

Wie ganz anders war es bei Abraham! Ein anderer König von Gerar hatte in seinen Tagen Abraham aus demselben Grunde und mit dem gleichen Wunsch besucht, wie jener den Isaak. Abraham begegnet ihm in einem ebenso edlen Geiste der Ver­gebung, wie Isaak, mit derselben Bereitwilligkeit, ihn zu emp­fangen und ihm zu schwören. Aber bei alledem tadelt er ihn und läßt ihn diesen Tadel fühlen. "Abraham stellte Abimelech zur Rede" wie wir lesen. Das wird uns von Isaak nicht gesagt. Abraham ließ den König nicht ziehen, zufrieden mit sich selbst, wie Isaak es tat, und mit einer unbeantworteten Prahlerei über seine und seines Volkes Tugenden auf seinen Lippen. Er war Zwar ebenso bereit wie Isaak zur Vergeltung und Versöhnung, aber obwohl er ihm verzieh, verbarg er vor Abimelech doch, daß dessen Gewissen ihm Vorwürfe zu machen hatte. Er ließ ihn fühlen, daß er Klagen zu erheben ‑hatte, die nicht durch das Mahl und die Freundschaft Abrahams beseitigt werden konnten.

 

Das war Wirklichkeit vor Gott, und dadurch gelangte Abra­ham, dahin, Abimelech segnen und nicht nur ihm gefällig sein zu können. Mit Isaak war es anders und dies läßt in unseren Herzen die Frage entstehen: War es nur die Natur oder war es die erneuerte Gesinnung in Isaak, die ihn so handeln ließ? eine Frage, die im Laufe unserer Betrachtung noch mehrmals wiederkehren wird.

 

Gewiß war Isaak ein Auserwählter, so gut wie Abraham, ein Pilger Gottes auf der Erde' einer, der seinen Altar nicht nur, errichtet hatte, sondern auch benutzte. Er weilte sinnend auf dein Felde, als Rebekka zu ihm kam, und als ihm Esau und Jakob geschenkt wurden, hatte er um diese Gnade gefleht. Wir sprechen nur von seinem Charakter, wenn wir ihn in dieser Weise mit anderen vergleichen. Wir betrachten seinen praktischen Wandel und entdecken, daß an seinem Zeugnis für Gott nach außen hin etwas mangelte, obwohl er zu Hause liebenswürdig und fromm war. Und wie wir schon wiederholt bemerkten: Ähnliche Dinge finden sich noch heute, wie vielen von uns zu unserer Beschämung wohl bekannt ist. So sagte einmal jemand zu mir: "Es gibt manches, was von anderen für geistlich gehalten wird, weil es für das Auge und nach dem Geschmack unserer Mitchristen, nicht aber wie in der Gegenwart Gottes mit einem einfältigen Herzen für Ihn getan ist11.

 

Das ist in der Tat so, und es ist wohl geeignet, unsere Herzen zu ihrem Nutzen zu erforschen. Aber wenn auch solche Be­merkungen über unser tägliches Leben uns überführen mögen, so brauchen sie uns doch in keiner Weise zu entmutigen. Im Gegenteil, wir sollten sie, als zu unserer Segnung dienend, willkommen heißen.

 

Am Ende von Kapitel 26 lesen wir: "Und Esau war vierzig Jahre alt, da nahm er zum Weibe Judith, die Tochter Beeris, des Hethiters, und Basmath, die Tochter Elons, des Hethiters. Und sie waren ein Herzeleid für Isaak und Rebekka".

 

Darin liegt eine ernste Ermahnung für uns. Um diese jedoch in der rechten Weise darzustellen, muß ich auf ähnliche oder gleiche Dinge in der Geschichte Abrahams zurückkommen und zugleich die Geschichte Jakobs und seines Sohnes Juda mit einigen Worten berühren.

 

Von Anfang an gab Gott dem Volke Israel Befehl, in ganz besonderer Weise Seinen Willen bezüglich der Heiraten zu beachten. Sie durften ihre Töchter durchaus nicht den Söhnen der Kanaaniter geben, noch die Töchter der Kanaaniter für ihre Söhne nehmen (5‑ MO 7, 3). Wenn sie es taten, liefen sie Gefahr, von Gott nicht mehr als Sein Volk anerkannt, son­dern aus dem "guten Lande" ausgerottet zu werden. (Vergl. JOS 23). Dementsprechend werden die Tage des Abfalls Salo­mos gerade, durch Ungehorsam in dieser Sache gekennzeichnet (1. Kön 11); und als in späteren Tagen der Überrest aus Babylon zurückgekehrt war, konnte keine wirkliche Wieder­herstellung vor Gott stattfinden, bevor nicht die fremden Weiber aus der Mitte des Volkes hinweggetan waren (vergl. Esra 10; Nehem 13).

 

Der Gehorsam in dieser Sache bildete daher stets einen beson­deren Prüfstein für den Zustand des Volkes, und deshalb möchte ich auch gern untersuchen, wie es sich im ersten Teil des ersten Buches Mose damit verhielt. Denn obwohl damals das Gesetz Gottes noch nicht gegeben war, wurden doch gött­liche Grundsätze wohl verstanden. Und das Verhalten in dieser Sache kann in jener Zeit ebensowohl als ein Zeugnis von dem Zustande der Familien‑Gottesverehrung betrachtet werden, wie später von dem Zustande der Volks‑Gottesverehrung

Abraham betritt in dieser Sache in entschiedener Weise „den Weg des Herrn", ebenso Elieser, einer "aus seinem Hause", und Isaak, eins seiner "Kinder". Abraham sendet eine beson­dere Gesandtschaft in ein fernes Land, um für seinen Sohn ein Weib in dem Herrn" zu holen. Elieser richtet diese Ge­sandtschaft mit willigem Herzen aus, und Isaak wartet ge­duldig auf ihren Erfolg und sucht keinerlei Verbindung mit dein Volke um ihn her, und obgleich er betrübt und einsam ist, hält er sich bereit für die vom Herrn ihm bestimmte Ge­hilfin. Wie Abraham, so wartet auch er auf eine Gehilfin aus der Hand des Herrn, wiewohl es ihn Geduld und einsame Stunden kostete. Dies scheint sein Sinnen auf dem Felde zur Abendzeit anzudeuten. Er harrte aus. Er hätte eine Tochter Kanaans nehmen können, aber er harrte aus. Er wollte lieber unter dein Aufschieben der Erfüllung seiner Hoffnung leiden, als nicht "in dem Herrn" heiraten, oder sich ein Weib nach seiner eigenen Wahl nehmen. Das alles war außerordentlich schön in dem ersten Geschlecht dieser auserwählten Familie. Der Vater, der Knecht und der Sohn, jeder an seinem Platz, bezeugen, wie Abraham sein Haus Gott gemäß geordnet hatte, wie er seine Kinder und seine Hausgenossen den Weg des Herrn lehrte (vergl. Kap. ‑18, ‑19).

 

Doch wir werden nach und nach ein trauriges Abweichen von diesem Grundsatz bis zur Offenbarung des gänzlichen Abfalls wahrnehmen.

 

Nach dem Tode Abrahams wurde Isaak das Haupt der Familie. Aber im Vergleich mit seinem Vater war er überaus sorglos im Blick auf die Verheiratung seiner Söhne, wie uns das Ende des 26. Kapitels dies zeigt. Er überwachte ihre Wege nicht, um Unheil zu verhüten, wie Abraham es getan hatte. Esau, sein Sohn, heiratet eine Tochter der Hethiter. Allerdings war das für Isaak und Rebekka ein Herzeleid, denn sie hatten gerechte Seelen, die fühlten, wie sie hierdurch "gequält" wurden. Aber ihre eigene Sorglosigkeit hatte diese Qual über sie gebracht. Das können wir nicht schön nennen, aber es war doch noch etwas Gutes dabei: eine gequälte gerechte Seele, ein Herz, das die Befleckung fühlte. Und das war gut. Jakob dagegen weicht noch weiter ab. Er kommt nicht nur nicht dem Unheil zuvor, wie Abraham, noch bekümmert es ihn, wenn es da ist, wie Isaak, sondern mit einem gleichgültigen Herzen, soweit wir dies seiner Geschichte entnehmen können, erlaubt er seinen Kindern, jede ihnen zusagende Verbindung einzugehen und Weiber zu nehmen aus allen, die sie erwählten.

 

Das ist traurig. Hier gibt es keine Freude für das Herz, wie bei dem Gehorsam Abrahams. Hier ist auch nichts, was den Schmerz des Herzens lindern könnte, wie bei dem Kummer Isaaks. Hier ist nur Anlaß zu schmerzlicher Betrübnis.

 

Doch Juda geht später in schrecklicher Weise noch über das alles hinaus. Er stellt das vierte Geschlecht dieser auserwählten Familie dar. Er verhütet nicht nur nicht das Unheil dadurch, daß er in seiner Familie alles in Ordnung hält, wie Abraham. Er betrübt sich auch nicht darüber, wenn es vorhanden ist, wie Isaak. Es ist ihm auch nicht einfach gleichgültig, wie Jakob. Nein, er führt das Böse tatsächlich in seiner Familie ein. Er selbst nimmt seinem Sohn ein Weib von den Töchtern der Kanaaniter. Das überstieg alles Vorhergegangene. Das hieß sündigen mit erhobener Hand. So finden wir denn in dieser Geschichte der vier Geschlechter der Patriarchen einen allmäh­lichen, aber ernsten Verfall und schließlich den vollständigen Abfall von dem Wege des Herrn.

 

Wie ernst ist das, und welch eine Warnung enthält es für uns! Es ist geschrieben "zu unserer Belehrung um uns zu warnen, daß wir nicht von den Grundsätzen Gottes abweichen. Was damals in derselben auserwählten Familie Geschlecht nach Ge­schlecht stattfand, kann heute auch mit derselben auserwählten Person Jahr nach Jahr geschehen. Die Grundsätze Gottes mögen nur allmählich, in ganz kleinen Abstufungen, verlassen werden. Sie werden vielleicht zuerst nur gelockert, dann aber vergessen und schließlich verachtet. Sie geraten aus einer festen Hand in eine schwache, von da in eine gleichgültige, und schließlich werden sie von einer rebellischen völlig beiseite­ geworfen. Manche haben im Anfang trotz vieler Schwierig­keiten auf den Grundsätzen Gottes bestanden, wie Abraham. Dann waren sie nur betrübt über ihr Aufgeben, wie Isaak. Später wurden sie gleichgültig über ihren Verlust, wie Jakob, und endlich haben sie sich ganz von ihnen abgewandt, wie Juda.

 

Möchten wir deshalb die ernste Warnung beachten, die auch für uns in dieser Erzählung liegt, und uns vor dem ersten Abweichen von den Grundsätzen Gottes hüten!

 

II

 

Wenn wir die Geschichte Isaaks nach dieser Begebenheit weiter verfolgen, werden wir finden, daß sein sanfter und nachgiebiger Charakter ihn nicht nur zu Schwachheiten, son­dern sogar zu Handlungen verleitete, die ihn verunreinigten und entehrten, ‑und die nur zur Befriedigung der niedrigen Triebe seiner Natur dienten. Die Schlußhandlung seines Le­bens, die Segnung Esaus und Jakobs, ist eine Szene voll ernster Warnung und Ermahnung.

 

Obwohl Isaak, wie wir, gesehen haben, über die Heirat Esaus mit einer Tochter der Hethiter betrübt war, hören wir doch gleich nachher, daß derselbe Esau die stärksten Zuneigungen des väterlichen Herzens wachrief und besaß, Zuneigungen, denen Isaak, wenn er gekonnt hätte, alles geopfert haben würde. Wie betrübend war das! Es erinnert uns an den König Josaphat. Josaphat besaß auch göttliche Gefühle, aber es man­gelte ihm an göttlicher Energie. Infolge seiner Eitelkeit sün­digte er, indem er sich zuerst mit Ahab verschwägerte und dann mit ihm in den Krieg zog. Aber dennoch hatte er Ge­fühle, die der Geist Gottes in ihm hervorgebracht hatte, denn in der Mitte der Propheten Baals fühlte er sich nicht wohl. Eine Stimme in seinem Innern sagte ihm, daß das Zeugnis jener Propheten nicht genüge, und deshalb fragte er: Ast hier kein Prophet Jehovas mehr, daß wir durch ihn fragen?" Aber dennoch zog er wider Ramoth‑Gilead in den Streit, und zwar .n Verbindung mit Ahab, mit dem, der die besten Gefühle seiner Seele in so schmerzlicher Weise verletzt hatte, und der vor seinen eigenen Augen, als sie zusammen auf dem Thron sagen, in dem Geiste vollständigen Abfalls von dem Gott Israels die Propheten Baals um Rat gefragt hatte.

 

Das war befremdend und schrecklich zugleich. Aber etwas ganz ähnliches sehen wir in unserem Isaak bei der eben erwähnten Gelegenheit. Auch er besaß Gefühle, aber nicht die entspre­chende Energie. Mit einer göttlichen Gesinnung trauerte er über Esaus Heirat mit einer Tochter Heths, und doch war der nämliche Esau, der auf diese Weise das Zeugnis in seinem Innern in so gröblicher Weise verletzt hatte, gerade derjenige, der die tiefsten Gefühle und wärmsten Zuneigungen seines Herzens besaß, und zwar in einem Maße, daß Isaak nicht ver­mochte, sich von ihnen zu befreien und für Gott zu handeln.

 

Nicht durch Eitelkeit fehlte Isaak in solch trauriger und be­fremdender Weise, wie späterhin Josaphat, sondern durch die allgemeine Verderbtheit seines Charakters, der sich uns als durchweg schlaff gezeigt hat. Doch mag der Beweggrund seines Handelns auch ein anderer gewesen sein, so war Isaak doch, ich möchte sagen, verstrickt durch einen früheren Ahab, obwohl seine Seele ein Gefühl von dem Abfall dieses Ahab hatte. Er tat, was er konnte, um Esau zu dem Segen Abrahams zu ver­helfen, gerade so wie Josaphat nach Kräften dem König von Israel zu dem Sieg bei Ramoth‑Gilead zu verhelfen suchte. Welche traurigen Dinge eröffnen sich hier unseren Blicken, welche ernsten Belehrungen und Warnungen enthalten sie!

 

Doch wir müssen jene Familienszene in Kapitel 27 ein wenig genauer betrachten. Es gibt da noch andere Personen außer Isaak.

Abrahams Knecht Elieser (vergl. Kap. 24) hatte aus dem Hause seines Herrn zwei verschiedene Dinge mitgebracht, als er das Haus Bethuels besuchte. Er brachte einen Bericht von allem, was Jehova an Abraham getan hatte, und Geschenke. Diese beiden Dinge wurden zu Prüfsteinen für jene Haus­haltung in Mesopotamien. Der Bericht teilte zukünftige und ferne Dinge mit und stand notwendigerweise in Verbindung mit Gott. Die Geschenke konnten unabhängig von Ihm sein und waren ein gegenwärtiger Gewinn. Rebekka wurde durch den Bericht bewegt. Sie nahm zwar die Kostbarkeiten an, aber die Nachrichten, die der Knecht brachte, waren für sie die Hauptsache. Der Bericht von dem, was ihrer in einer in fernem Lande wohnenden Familie, die Jehova gesegnet hatte, wartete, war mächtig genug, sie abzusondern. Es handelte sich nicht allein um Isaak oder um den Reichtum Abrahams. Ihr Vater besaß auch Reichtümer, und sie hätte nicht weit zu gehen brauchen, um sich ein eigenes Heim und die Annehmlichkeiten eines solchen zu verschaffen. Aber Jehova hatte Abraham gesegnet und hatte jetzt Glück zu der Reise seines Knechtes gegeben. Es handelte sich für Rebekka nicht um die Frage, ob sie Isaak zum Manne nehmen und an Abrahams Reichtum teil­nehmen, oder aber arm und einsam bleiben wollte. Nein' für sie galt die Frage: Willst du das Teil annehmen, das der Herr dir jetzt anbietet, oder das Teil, das deine Verwandtschaft und deine Stellung in der Welt dir zusichern?

 

Und gerade so ist es mit uns Gläubigen. Die Frage ist nicht: Willst du den Himmel oder nichts? sondern: Willst du den Himmel oder die Welt? Willst du das Glück wählen, das der Herr in Seinen Verheißungen dir gibt, oder das Glück, das der gegenwärtige Zeitlauf, die Welt mit ihren Dingen, dir dar­bietet? Verlangen wir wirklich nach göttlicher Freude und himmlischen Gütern? Können wir zu dem Herrn Jesus sagen: Wähle Du unser Erbteil für uns? Ist das ferne Land, über das wir einen Bericht erhalten haben, unser Gegenstand? Bei Re­bekka war es so. Sie konnte diese Frage mit einem freudigen ja! beantworten. Wir würden ihr Unrecht tun, wenn wir der Meinung Raum gäben, dem Reichtum Abrahams und der Hand Isaaks hätte auf der anderen Seite gar nichts gegenüberge­standen. Wie schon gesagt, und wie die ganze Erzählung es uns verbürgt, besaß sie in jeder Hinsicht große Erwartungen, wenn sie daheim blieb. Sie hatte nicht nötig, eine lange, un­bekannte Reise mit einem fremden Mann und zu einem frem­den Volk zu unternehmen. Aber alle jene Erwartungen ver­loren ihre Bedeutung und ihren Wert, sobald sie den Bericht Eliesers im Glauben aufgenommen hatte. Sie folgt ohne Zögern dem Ruf Gottes.

 

Rebekka war eine echte Tochter Abrahams. Abraham hatte auf den Ruf des Gottes der Herrlichkeit die Wüste durchschritten, und Rebekka durchschreitet jetzt dieselbe Wüste infolge des Berichtes von dem, was der Gott der Herrlichkeit an Abraham getan hatte. Sie hatte denselben Geist des Glaubens". In Abraham mögen wir wohl einen stärkeren Ausdruck davon finden, aber es war "derselbe Geist des Glaubens". Abraham war im Glauben an eine Berufung, die durch nichts Sichtbares bezeugt war, vorangegangen, während Rebekka gleichsam einem beglaubigten Bericht folgte. Es war keine Traube von Eskol aus Kanaan nach Ur in Chaldäa gebracht worden, um Abraham zu ermutigen, seine Reise anzutreten, wohl aber wurde ein: "Dies ist seine Frucht" zu Rebekka gesagt in den Knechten und Kamelen, dem Gold und den Geschmeiden, die Elieser mitbrachte. Der Bericht wurde für Rebekka durch diese Dinge beglaubigt. Bei Abraham war das nicht der Fall. Er wanderte auf einem Pfade, den noch niemand zu gehen ver­sucht hatte, während Rebekka nur den Fußstapfen der Herde folgte. Beide aber befanden sich auf demselben Wege und erreichten dasselbe Ziel. Was wir hier in Rebekka sehen, ist einfach und schön. Es ist der Weg des Glaubens bis zur heutigen Stunde, die Art und Weise, wie er handelt. Aber wir finden hier noch mehr, und zwar etwas ganz anderes. Rebekkas Charakter hatte sich be­reits gebildet, ehe Elieser kam, wie es wohl bei uns allen der Fall ist, bevor wir von Gott lebendig gemacht werden. Der Augenblick, in dein wir durch Seine Gnade und Macht gött­liches Leben empfangen und aus der Welt herausgerufen wer­den, findet uns schon in einem bestimmten Charakter, in einer ausgeprägten Gemütsart. Er findet uns vielleicht als Kreter (Tit i), oder als Brüder und Schwestern Labans, oder als solche, die den Stempel einer besonderen Verderbtheit der Natur tragen. Und diesen Charakter und diese Gemütsart, die wir von Natur, durch Erziehung, durch die Einflüsse unserer Umgebung und dergleichen besitzen, nehmen wir, nachdem wir aus dem Geiste geboren sind, mit und tragen sie in uns durch die Wüste von Paddan‑Aram bis zum Zelte Abrahams. Das ist sehr beachtenswert. Es ist eine ernste Sache, daß uns bei der Wiedergeburt durch den Geist Gottes die Natur oder die Macht früherer Gewohnheiten, der Erziehung oder des Familiencharakters anhaften bleiben. Kreter sind immer Lüg­ner".

               

Laban, mit dem Rebekka zusammen aufgewachsen war, war ein listiger, kluger und weltlicher Mann. Offenbar wurde er bei dem Besuch Eliesers nur durch die mitgebrachten Geschenke geleitet. Sie ebneten dem Knecht Abrahams den Weg, wie wir in Sprüche ‑18, 16 lesen: "Das Geschenk des Menschen macht ihm Raum". Laban war augenscheinlich die treibende, tätige und wichtigste Person im Hause seines Vaters Bethuel. Er hatte Gefallen an Geschäften, deren Erledigung Gewandtheit erforderte. Das alles ist ein böses Zeichen. Es ist nicht gut, wenn man frühzeitig klug und schlau ist und sich gern mit Angelegenheiten zu schaffen macht, deren Ordnung Gewandt­heit oder gar Verschlagenheit erheischt. Aber ein solcher Mann war Laban, und Laban war Rebekkas Bruder. Rebekka hatte bis zu ihrer Heirat stets mit ihm zusammengelebt, und der Familiencharakter offenbart sich in jener einen wichtigen Hand­lung, an der sie teilzunehmen berufen wurde, in häßlicher Weise.

 

Wie Abraham und Sara einst jenen bösen, unreinen Vertrag miteinander abschlossen (l. MO 12), als sie ihres Vaters Haus verließen, um mit Gott zu wandeln, so brachte Rebekka diesen Familiencharakter, diesen Labans‑Sauerteig mit. Wir tragen nach unserer Bekehrung die Natur in ihrer Verderbtheit in uns, und neben dieser allgemeinen Verderbtheit auch noch unsere besonderen fleischlichen Charaktereigentümlichkeiten, und es ist unsere ernste Pflicht, diese scharf zu verurteilen, damit wir gesund seien, sittlich gesund im Glauben (Tit 1, ‑‑3). Dies wird uns durch die Geschichte Rebekkas, die in Kapitel 24 in so schönem Licht vor unsere Augen tritt, aufs neue eingeprägt.

 

Doch wir finden hier noch mehr dieser Art. Geradeso wie bei Rebekka bildeten sich auch bei Jakob Gemüt und Charakter durch den nämlichen frühesten Einfluß. Er war sein Leben lang, ich meine so lange er Kraft besaß, tätig aufzutreten, ein trägherziger, berechnender Mann, und als solchen finden wir ihn auch in den Ereignissen des Kapitels 27. Er war ein nur zu williger und gelehriger Schüler seiner Mutter, der Schwester Labans, deren Lieblingskind er von seiner Geburt an gewesen war. Ach! wie Laban seine Schwester Rebekka verdorben hatte, so verdarb diese ihren Sohn Jakob.

 

Aber das ist noch nicht alles. Wir finden noch mehr in diesem Kapitel. Isaak, dessen Gemüt und Charakter, wie wir gesehen haben, in so auffallender Weise durch sein früheres Leben im Zelte Saras beeinflußt worden waren, sinkt herab zu der Sucht, die niedrigen Begierden seiner Natur zu befriedigen. Er liebte seinen Sohn Esau, weil er von dessen Wildbret aß. Das war eine armselige Sache, mehr als armselig. Und wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß diese Liebhaberei Isaaks für Wildbret Esau nur noch mehr zur Jagd ermuntert haben wird. Ebenso wie Rebekkas List und Gewandtheit, die sie aus dem Hause ihres Bruders in Paddan‑Aram mitgebracht hatte, auf das Gemüt und den Charakter ihres Lieblings Jakob ein­wirkten. So trug denn der Vater zum Verderben des einen Kindes, und die Mutter zum Verderben des anderen Kindes bei.

 

Wieviel Verkehrtes und Trauriges, welch eine Verunreinigung der Herzen von Eltern und Kindern zeigt sich in dieser Fa­milienszene! Und ach! wir sind noch nicht zu Ende damit. Das Herz ist nicht nur für solche Verunreinigungen empfänglich, sondern zu Zeiten wagt es selbst, seine Verderbtheit in das Heiligtum zu bringen. "Wenig fehlte, so wäre ich in allem Bösen gewesen, inmitten der Versammlung und der Gemeinde" (Spr 5, ‑14).

 

Jahrhunderte nachher wurde zu Aaron gesagt: "Wein und starkes Getränk sollst du nicht trinken, du und deine Söhne mit dir, wenn ihr in das Zelt der Zusammenkunft hineingeht­(3‑ Mo 10, 9). Die Natur darf nicht aufgeweckt werden, wenn es sich darum handelt, des Dienstes Gottes zu warten. Sie darf nicht dadurch, daß man ihr Nahrung gibt, in Tätigkeit gesetzt werden, um die Pflichten des Heiligtums zu verrichten. Starkes Getränk mag erheitern und sinnliche Geister in Wallung bringen, aber es befähigt nicht zum Priesterdienst im Hause Gottes.

 

Aber selbst zu einer solchen Entweihung scheint Isaak verleitet worden zu sein. "Und nun nimm doch", so sagt er zu Esau, .dein Jagdgerät, deinen Köcher und deinen Bogen, und gehe hinaus aufs Feld und erjage mir ein Wildbret; und bereite mir ein schmackhaftes Gericht, wie ich es gern habe, und bringe es mir her, daß ich esse, damit meine Seele dich segne, ehe ich sterbe". Er stand im Begriff, die letzte religiöse Handlung eines patriarchalischen Priesters zu verrichten, und er forderte so­zusagen Wein und starkes Getränk, die Nahrung des bloß natürlichen Lebens, um dadurch aufgeweckt und zu diesem Dienst befähigt zu werden.

Es war wahrhaftig sehr traurig, in einem solchen Augenblick an Wildbret zu denken. Wir werden uns alle bewußt sein, wie­viel von der Natur oft unsere heiligen Handlungen befleckt, wie oft bloße Erregung des Fleisches irrtümlich für die Wirksam­keit des Geistes gehalten wird. Wir sollten an dem Ort der Gemeinschaft ernstlich dagegen wachen. Es sollte Betrübnis und Demütigung in uns wachrufen, wenn wir entdecken, daß die Natur uns da irgendwie leitet oder beeinflußt. Wir sollten es als etwas Böses, oder doch wenigstens als Schwachheit bekennen und immer dagegen auf der Hut sein. Wie schreck­lich aber ist es, sich gar in ähnlicher Weise, wie Isaak, darauf vorzubereiten, den Wein und das starke Getränk sorgfältig zu mischen, um einen vollen Schluck davon nehmen zu können. Das ist wahrlich eine ganz außerordentliche Befleckung.

 

Und nichts anderes als Unehre und Verlust kann die Folge einer solchen Handlungsweise sein. Das ganze Verderben, das sich hier in dieser Familie offenbart, wird nach der Heiligkeit Gottes gerichtet, denn es war eine Familie Gottes auf der Erde. Gott konnte das Böse nicht ungestraft lassen. "Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich alle eure Missetaten an euch heimsuchen" (Amos 3, 2). Isaak wird beiseitegesetzt. Rebekka sieht Jakob nie wieder. Und Jakob selbst, dieser klug berechnende "ÜI>erlister", weilt zwan­zig Jahre lang fern vom Hause seines Vaters, von Mühsalen, Ungerechtigkeit und Bedrückung umgeben und wird selbst immer wieder überlistet und betrogen. Nichts kam bei allem heraus, mögen wir nun die sich hin und her windende Klug­heit der einen Partei oder die fleischlichen Neigungen und Bevorzugungen der anderen betrachten, nichts als Enttäuschung und Beschämung, verbunden mit den Vorwürfen des Gewis­sens gegenüber der Heiligkeit des Herrn.

 

Die außerordentlich trübe und traurige Familienszene, die wir soeben betrachtet haben, wird indessen durch einen sehr wich­tigen Umstand gemildert. Wir lesen nämlich in Hebr 11, 2o‑

 

"Durdi Glauben segnete Isaak, in bezug auf zukünftige Dinge, den Jakob und den Esau". Das sind die eigenen Worte des Heiligen Geistes, wenn Er von den Vorgängen redet, die uns indem vorigen Abschnitt beschäftigt haben.

 

Bevor ich jedoch über die Milderung oder den Trost spreche, der in diesem Umstand bei dem Gedanken an Isaak liegt, möchte ich fragen: Was war eigentlich die Natur oder der Cha­rakter jenes Segens, den die Patriarchen über ihre Kinder aus­sprachen, und den wir an so manchen Stellen des ersten Buches Mose finden?

 

Ein Segen war in der Hand Melchisedeks (Kap. ‑14), ebenso wie lange nachher in der Hand Aarons (4. Mo 6, 23‑27). Diese Beispiele sind leicht zu verstehen, denn diese Segnungen wur­den gleichsam von Amts wegen ausgeteilt oder ausgesprochen. Sie gelangten durch das von Gott verordnete Priestertum zu denen, für die sie bestimmt waren. Es gab in ihnen nichts Prophetisches oder Orakelhaftes. Die Worte, die diese Priester aussprachen, waren mehr vorbereitet als eingegeben. Sie waren durch die Fürsorge Gottes bereits vorgeschrieben und wurden nicht in dem betreffenden Augenblick durch göttliche Erleuch­tung mitgeteilt. Wenigstens war dies bei Aaron nicht der Fall.

 

Mit dem patriarchalischen Segen verhielt es sich indessen ganz anders. In Isaaks Worten über Esau und Jakob (Kap. 27) war eine Prophezeiung oder eine geheimnisvolle Weissagung ent­halten, und ebenso später in den Worten Jakobs über seine Söhne (Kap. 49) und über die Söhne Josephs (Kap. 48). Ähn­liches finden wir auch schon früher in den Worten Noahs über Sein, Ham und Japhet.

 

Aber warum, möchte ich fragen, wurde diese wichtige Sache den Patriarchen in solcher Weise anvertraut? Die Antwort auf diese Frage enthält, wenn ich nicht irre, einige der Geheimnisse der patriarchalischen Gottesverehrung, ihrer Anbetung und ihres Dienstes.

 

Die Gottesverehrung besaß, was ihren Geist und Grundsatz betrifft, in diesen frühesten Tagen die nämlichen großen Wahr­heiten, die sie heute noch besitzt. Der Fall und die Wiederher­stellung des Menschen oder das Verderben und die Erlösung waren damals bekannte Dinge, und sie wurden durch den Glau­ben angenommen. Die Altäre der Väter und die Verordnung über das Reine und Unreine reden zu uns von dem Glauben und dem Verständnis des Glaubens in jenen Tagen. Das Zelt der lebenden Patriarchen und das Machpela der gestorbenen (Kap. 23) sagen uns, daß sie die Berufung eines Fremdlings und die Wahrheit von einer zukünftigen Auferstehung verstanden; und Abrahams Tamariske zu Beerseba endlich (Kap. 2‑1) sowie sein Bund mit den Heiden bei dem Eidesbrunnen erzählen uns in klarer, obwohl symbolischer Sprache, daß die Väter etwas von den herrlichen und köstlichen Geheimnissen des tausend­jährigen Reiches oder "des zukünftigen Zeitalters" begriffen haben.

 

Anbetung und Dienst trugen in jenen Tagen der Kindheit die einfachsten Formen. Die Natur gab es sozusagen an die Hand, daß der Vater oder das Familienhaupt zugleich Prophet, Prie­ster und König war. In späteren Zeiten, als alle Verhältnisse sich ausdehnten und mit der Ausdehnung und dem Alter das Verderben eindrang, erforderte die Heiligkeit Gottes ein ab­gesondertes und beschnittenes Volk, und in Verbindung damit ein abgesondertes oder gesalbtes Priestertum. In unserer Zeit, in den Tagen des Reiches Gottes, das, wie wir wissen, "nicht im Wort, sondern in Kraft" besteht, muß der Dienst noch etwas mehr sein, als was die Natur an die Hand geben oder die Heiligkeit erfordern würde. Es muß Kraft vorhanden sein, wie sie der Geist selbst hervorbringt und mitteilt. Aber in jenen Kindheitstagen des ersten Buches Mose lauschte man auf die Stimme der Natur, und das war richtig und der Zeit ent­sprechend. Demgemäß war auch das Familienhaupt der Diener Gottes der Familie gegenüber, und in ihm vereinigten sich sowohl die Würde als auch der Dienst des Propheten, Priesters und Königs innerhalb des Hauses.

 

Die Segnung der Kinder scheint hieraus hervorgeflossen zu sein. Sie war eine Handlung, die in der Vereinigung der Tugenden eines Propheten und eines Priesters ausgeübt wurde, die, wie wir gesehen haben, die Familienväter in ihrer Person besaßen. Sie empfingen eine Mitteilung der göttlichen Ge­danken und verkündigten diese dann als "Aussprüche Gottes", und da sie für ihre Kinder abgesonderte oder priesterliche Stellvertreter Gottes waren, so sprachen sie Seinen Segen, den Segen Gottes, über sie aus. Diese Würde scheinen sie in dem ganzen ersten Buch Mose behalten zu haben.

 

Bei unserem Isaak ist es in der Tat betrübend zu sehen, in welcher Weise diese Würde von ihm ausgeübt wurde. Ach! er mißbrauchte sie, wie es mit solch hohen Gaben stets geschehen ist. So sehen wir zum Beispiel diesen Mißbrauch im Blick auf die priesterliche Würde in der Person Elis, und bezüglich der königlichen Autorität in einem besonders schrecklichen Falle selbst bei dem geliebten und geehrten Sohn Isais.

 

Ebenso wollte Isaak sein Amt nicht nur seinen eigenen partei­lichen Gefühlen unterordnen, sondern es selbst zur Befrie­digung seiner Begierden benutzen, und das sogar angesichts einer feierlichen göttlichen Warnung. Denn über seine Kinder war vorher das Wort ergangen: "Der Ältere wird dem jünge­ren dienen". Aber die fleischlichen Neigungen und Begierden Isaaks hatten ihn völlig sorglos und vergeßlich gemacht, und er würde gern den älteren, Esau, zum Erben der Verheißung gemacht haben.

 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, daß auch Kajaphas zu seiner Zeit, wie früher Isaak, den Propheten und Priester in seiner Person vereinigte. Und Kajaphas würde gern sein Amt und seine Gabe zur Erfüllung seiner eigenen .bösen Absichten und Wünsche mißbraucht haben. Er sprach eine wahre Prophezeiung aus, verbunden mit einem Anschlag auf das Leben des Herrn Jesus (Joh 11). In früheren Tagen erblicken wir in dem Propheten Bileam einen Mann von der­selben Art. Er war ein Gefäß des göttlichen Lichtes, ein Zeuge und Offenbarer der Gedanken Gottes. Aber er tat alles Mög­liche, um seine Gabe im Dienste seiner Begierden zu gebrau­chen. Gott aber ließ ihm nicht seinen Willen und zwang seine Lippen, den Spruch der Gerechtigkeit und das Urteil der Wahr­heit auszusprechen. Und obgleich es betrübend ist, Isaak mit solchen Männern, wenn auch nur im Blick auf eine einzige Handlung, zusammenzustellen, so können wir doch nicht um­hin, es zu tun. Der Isaak von i. MO 27 gleicht jenen beiden Männern nur zu sehr. Obwohl er ein geheiligtes und gefülltes Gefäß war, würde er doch bei der Benutzung des ihm anver­trauten Schatzes den Wünschen seines eigenen törichten Her­zens gefolgt sein, wenn nicht Gott ihm entgegengetreten wäre und ihn als Verkündiger Seines bestimmten, unumschränkten Ratschlusses benutzt hätte. Ich sage noch einmal, es ist be­trübend, solche Männer wie Isaak und Bileam in einer gemein­samen sittlichen Handlung nebeneinander zu stellen, aber wir wissen. "was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch'. Das Wasser, das in der Quelle schmutzig ist, kann in dem Eimer nicht rein sein. Das Fleisch in einem Isaak ist dasselbe Fleisch wie in einem Bileam, und die Welt in den Herzen beider Män­ner ist dieselbe Welt.

 

Aber die beiden sind nicht bis zum Ende hin gleich. Das ist der große Trost, von dem ich vorhin sprach. Bileam ist Bileam geblieben, ein Mann, der den Lohn der Ungerechtigkeit liebte und um dieses Lohnes willen seinem eigenen Irrtum gierig nachjagte. Er ging als Bileam voran, indem er Balak den Rat gab, dem Volke Gottes einen Fallstrick zu legen, und schließ­lich wurde er als Bileam mit den Unbeschnittenen durch das Schwert erschlagen, "gleich denen, die in die Grube hinab­fahren". Isaak dagegen bereute sein Tun mit göttlicher Betrüb­nis zu einer nicht zu bereuenden Buße. Als sein Auge geöffnet und. ihm gezeigt wurde, was er zu tun im Begriff gewesen war, und wie Jakob den Segen erhalten hatte, den er dem Esau zugedacht hatte, als es ihn, mit einem Wort, zum Bewußtsein kam, daß er Gott widerstrebt hatte und deshalb unmöglich obsiegen konnte, da scheint seine Seele wie vom Schlaf erwacht und sich aller dieser Dinge bewußt geworden zu sein. Denn wir lesen von ihm: "Da erschrak Isaak mit großem Schrecken über die Maßen". Der Anblick des Platzes, den er eingenom­men hatte und das innere Gefühl darüber setzten seine Seele in Furcht. Er erschrak und zitterte. Das Fleisch, das er in sich genährt hatte, konnte ihm in einem solchen Augenblick nicht helfen, und er verlangte auch nicht danach ‑ es war ihm in seiner ganzen Schlechtigkeit gezeigt worden. In dem Licht und der Kraft eines besseren Lebens handelt er dem Glauben ge­mäß und sagt, indem er jetzt von Jakob und nicht mehr von Esau redet. "Ich habe ihn gesegnet; er wird auch gesegnet sein“.

 

Davon finden wir bei Bileam keine Spur. Bileam kehrte nicht um. Als der Engel ihm in dem schmalen Weg entgegentrat und sein Esel sich unter ihm niederlegte, da war nichts von dieser göttlichen Betrübnis, die eine wahre Buße bewirkt zu bemer­ken. Er zog ruhig auf dem Wege weiter, auf den die Sucht nach dem Lohn seinen Fuß bereits gestellt hatte. Doch unser Isaak wird wiederhergestellt. Er schlägt einen anderen Weg ein und folgt von diesem Augenblick an den Gedanken Gottes. Es ist daher nicht "die Torheit des Propheten", die der Heilige Geist in dem Falle Isaaks zu berichten hat, wie Er es bei Bileam tun muß, sondern der Glaube des Propheten. Denn in dieser Stunde einer glücklich wiederhergestellten Gemeinschaft mit den Gedanken Gottes, nachdem Isaak "mit großem Schrecken über die Maßen" erschrocken war, wird der Weg unseres Patriarchen durch den Heiligen Geist besiegelt und aufgezeich­net: „durch Glauben segnete Isaak, in bezug auf zukünftige Dinge, den Jakob und den Esau". Das ist das einzige aus dem Leben Isaaks, was in jenem herrlichen Kapitel (Hebr 11) von dem Heiligen Geiste erwähnt wird. Aber es ist beachtenswert, und der Geist hat es besonders hervorgehoben.

 

Die Glaubenssiege, die Mose davontrug, sind sehr schön. Er begegnete sowohl den Reizen, als auch den Schrecken Ägyp­tens, indem er sich weigerte, ein Sohn der Tochter des Pharao zu heißen und das Land verließ, ohne die Wut des Königs zu fürchten. Das waren glänzende Siege. Aber es gibt auch Siege, die zwar viel weniger ins Auge fallen, und dennoch Siege sind, und deshalb in jenem Kapitel, das die Taten des Glaubens ver­herrlicht, erzählt werden. Solchen Siegen begegnen wir in Isaak und in Jakob. Jeder dieser Glaubenszeugen segnete zu seiner Zeit die Kinder oder Söhne in Übereinstimmung mit Gott, ob­gleich es der Natur entgegen war. Isaak würde den Esau, und Joseph den Manasse vorgezogen haben; aber Isaak bestand auf der Segnung Jakobs, und Jakob auf der Segnung Ephraims, und in diesem Punkte wurde die Natur überwunden. Es war allerdings nicht die Welt mit ihren Fallstricken und Gefahren, welche die Stärke des Glaubens in diesen Heiligen auf die Probe stellte, aber dennoch war ein Widersacher vorhanden. Und dieser Widersacher war die Natur mit ihren Einflüste­rungen, ihren Neigungen und parteilichen Gefühlen. Und wäh­rend wir die glänzenden Siege eines Moses oder Abrahams bewundern mögen, laßt uns daran denken und darauf achten, daß wir den Kampf des Glaubens mit der Natur kämpfen und auch in dieser Beziehung mit Isaak und Jakob das Feld be­halten.

 

Was Jakobs Anteil an der ganzen bisher betrachteten Familien­szene betrifft, so können wir sicher sagen: Hätte er nur seine Sache ruhig in der Hand des Herrn gelassen, in der sie von Anfang an, schon vor seiner Geburt, gelegen hatte, und hätte nicht zugegeben, daß seine Mutter sie in ihre Hand nahm, dann würde er viel besser gefahren sein. Wie oft hat manch ein Jakob seit jenen Tagen das gleiche erfahren! Der Herr hatte ihm den Segen ohne irgendeine Bedingung verheißen: "der Ältere wird dem jüngeren dienen". Aber Jakob war nicht im­stande, mit der Geduld des Glaubens die Zeit und die Weise des Herrn, Seine Verheißung wahrzumachen, abzuwarten. Und deshalb wurde die Verheißung mit Vorbehalten, Schwierig­keiten und Bürden belastet. Sie wird sicherlich in Erfüllung gehen. Die Verheißung des Herrn ist gewiß und ist noch nie gebrochen worden. Er ist imstande, sie aufrecht zu erhalten. Der Ältere wird dem Jüngeren dienen, aber zugleich wird, wegen des Unglaubens und der List Jakobs, der Ältere dem jüngeren allerlei Ungelegenheiten bereiten. Da der jüngere meint, in eigener Schlauheit und Geschicklichkeit bezüglich der Verheißung richtig handeln zu können, darf er sie erst nach langer Frist, nach Kummer und Beschämung erlangen.

 

Demgemäß bekommt auch Esau bei dieser Gelegenheit durch seinen Vater Isaak von dem Herrn eine Verheißung, die der Vorsatz und die Gnade Gottes Jakob gegenüber von Anfang an nicht beabsichtigt hatten. Sein Vater Isaak antwortete und sprach zu ihm: Siehe, fern von der Fettigkeit der Erde wird dein Wohnsitz sein und ohne den Tau des Himmels von oben her. Und von deinem Schwerte wirst du leben, und deinem Bruder wirst du dienen; und es wird geschehen, wenn du um­herschweifst, wirst du sein Joch zerbrechen von deinem Halse'.

 

Dies alles ist in Erfüllung gegangen. David, der von Jakob abstammte, legte Besatzungen in Edom, und die Edomiter wurden seine Knechte und brachten Geschenke. Joram aber, der auch ein Nachkomme Jakobs war, verlor später die Edo­miter als seine Knechte und Tributpflichtigen. Sie empörten sich und blieben unabhängig bis auf den heutigen Tag (2. Sam 8, 14; z. Chron 21, 8).

 

Dereinst allerdings "werden Retter auf den Berg Zion ziehen, um das Gebirge Esaus zu richten" (Obadja 2‑1). Die Hütte Davids, die jetzt verfallen ist, wird wieder aufgebaut werden, und Israel wird den Überrest Edoms und alle Nationen als Erbteil besitzen. (Vergl. Amos 9, ‑11. 12). Dies wird zu seiner Zeit in Erfüllung gehen, denn der Ältere wird dem jüngeren dienen, Die Verheißung Gottes ist ja und Amen. Aber seit den Tagen Jorams, des Sohnes Josaphats, aus dem Hause Davids und dem Geschlechte Jakobs, ist Esau oder Edom in Empörung gegen Jakob gewesen, und so ist die Verheißung aufgeschoben, verwickelt und durch Umstände erschwert worden, welche die Gnade Gottes und die Gabe in Gnade nie vorgesehen hatten und durch die Jakob nicht hätte zu gehen brauchen, wenn sein Glaube einfältiger gewesen wäre.

 

Ähnliches findet man auch oft in der Erfahrung des Christen. Betrachten wir zum Beispiel die Jünger am galiläischen See in Markus 4. Der Herr hatte zu ihnen gesagt: "Laßt uns über­setzen an das jenseitige Ufer". Das war eine Bürgschaft für sie, daß sie das andere Ufer sicher erreichen würden. Sie brauchten sich nicht zu fürchten. Sie hätten sich, wenn sie wollten, mit ihrem Meister schlafen legen können. Aber nein, sie fürchteten sich und gingen mit Fleisch und Blut zu Rate. Und deshalb erreichten sie das andere Ufer unter Schrecken und Zittern und mit tiefer Beschämung. Ihre Befürchtungen

 

beschwerten ihren Geist mit diesen Bürden, die ihnen erspart geblieben wären, wenn sie die Erfüllung des Wortes Dem über­lassen hätten, Der es gegeben hatte. Ebenso belastete der Un­glaube Jakobs in i. MO 27, der ihn die Verheißung Gottes in die Hand seiner Mutter legen ließ, die Geschichte seines Hauses mit den schon erwähnten Verwicklungen, Wider­sprüchen und Wechselfällen, die allesamt der Verheißung fremd waren, wie sie die Gnade von Anfang an beabsichtigt und gegeben hatte.

 

Noch manche andere ähnliche Erfahrungen machten die jünger infolge ihres Unglaubens während der Zeit, in welcher der Herr unter ihnen ein ‑ und ausging, und manche ähnliche Er­fahrungen sind auch uns, Seinen Heiligen in der Jetztzeit, be­kannt. Unsere Herzen ernten Schrecken und Beschämung, wäh­rend wir die ruhigen und herrlichen Genüsse des Glaubens erfahren könnten, wenn wir nur einfältig auf Jesum blickten, sollte Er auch zu schlafen scheinen, und Ihn mehr kennten als Den, Der trotz Sturm und Wogen drang alle Seine Verheißun­gen wahrmachen kann und wird.

 

Das erfuhr auch Jakob, entsprechend seiner traurigen Hand­lungsweise. Esau war hier nicht der Schuldige. Er war eher der beleidigte Teil. Und deshalb ist er in der Hand Dessen, von Dem die Handlungen gewogen werden, der einzige, der bei dieser Gelegenheit gewinnt. Alle anderen haben zu lernen, wohin der Weg, den ihre eigenen Herzen wählen, führt. Isaak, Rebekka und Jakob müssen dies in gleicher Weise erfahren. Soweit Esau der Beleidigte ist, gewinnt er, wie wir gesehen haben, etwas dabei: von seinem Schwerte soll er leben und eine Zeitlang das Joch seines jüngeren Bruders von seinem Nacken zerbrechen.

 

III

 

Am Ende seiner Wege, obwohl nicht seiner Tage, sendet Isaak auf den Wunsch der argwöhnischen und erschreckten Rebekka den Jakob fort. Diese Handlung geschieht mit einem Aus­druck des Kummers, der Beschämung und Enttäuschung, der bitteren Frucht, die ihre eigenen Wege für sie hervorgebracht hatten. Alles würde ganz anders gewesen sein, wenn der Geist und Gehorsam des Glaubens sie in dem Wege des Herrn er­halten hätten.

 

Und damit sind wir, wie gesagt, am Ende des Lebens unseres Patriarchen angelangt, wenigstens in praktischer Beziehung. Er lebte allerdings nachher noch vierzig Jahre, vielleicht noch länger, aber er ist für uns verloren. Es ist, als wäre er nicht mehr da. Am Schluß von Kapitel 35 lesen wir: "Und Jakob kam zu seinem Vater Isaak nach Mamre, nach Kirjath‑Arba, das ist Hebron, woselbst Abraham und Isaak als Fremdlinge geweilt hatten. Und die Tage Isaaks waren hundertundachtzig Jahre. Und Isaak verschied und starb, und wurde versammelt zu seinen Völkern, alt und der Tage satt. Und Esau und Jakob, reine Söhne, begruben ihn".

 

Abraham hatte sich bei dem Tode Saras mit Sorgfalt in den Besitz von Machpela gebracht. Dort hatte er Sara begraben. Dort war er von Isaak und Ismael begraben worden. Dort begruben jetzt Jakob und Esau den Isaak, und dort wurde auch später Jakob von seinen zwölf Söhnen begraben.

 

Der Kauf dieses Grundstücks und die Sorgfalt, welche die Patriarchen im Blick auf ihre Beerdigung an jener Stätte an den Tag legten, reden zu uns von ihrem Glauben an eine glück­liche Auferstehung, sowie an die damit in Verbindung stehende Besitznahme des Landes. Es zeigt uns, daß ebensowohl Hoffn­ung als Glaube in ihren Herzen vorhanden war, daß sie nicht nur ohne irgendwelchen Zweifel in der Gewißheit ihrer Be­rufung und Annahme ruhten, sondern auch mit gleicher Si­cherheit das Leben und Erbteil erwarteten, die in der zukünf­tigen Welt für sie bereitet sind. Sie lebten im Glauben, und sie starben im Glauben. Sie waren Männer, in deren Seele das Leben des Glaubens und der Hoffnung gekannt und genossen wurde. Wohl zeigt sich immer wieder die Natur in ihnen: sie irren, sie gleiten aus und handeln oft sogar treulos gegen Gott durch ihren Unglauben. Sie ziehen sich Strafen und Verweise zu und werden zuweilen vor den Menschen erniedrigt. Aber sie scheinen nie an der gesegneten Tatsache gezweifelt zu haben, daß sie von dem Gott der Herrlichkeit erwählt und mit großen Verheißungen ausgestattet waren. Glaube und Hoff­nung lebten in ihren Seelen. Ich sage nicht, daß sie hatten, was wir besitzen. Wir haben jetzt eine Salbung, ein Unterpfand und ein Zeugnis als Frucht der Gabe und Inwohnung des Heiligen Geistes, der unserer Zeit rächt nur die Kraft, sondern auch den Charakter verleiht. Aber die Patriarchen, in jenem Zeitalter der Kindheit, scheinen nie gezweifelt zu haben. Und das ist köstlich. Sogar bei den frühesten Offenbarungen Seiner Selbst, in jenen Kindestagen des ersten Buches Mose, wurde Gott von Seinen Auserwählten gekannt als Einer, auf Den man sowohl, für die Gegenwart als auch für die Zukunft ver­trauen kann.

 

Ich wiederhole, das ist köstlich. Der Geist ruft in der Seele des Auserwählten ebenso gewiß Hoffnung hervor wie Glauben. Machpela zeigt uns das im Blick auf die Patriarchen. Aber es war schon vor ihnen so und ist auch nach ihnen immer so gewesen. Adam besaß sowohl Hoffnung als Glauben. Sobald er glaubte, hoffte er auch. Er wandelte als ein Fremdling auf der Erde, geradeso wie in dem bewußten Besitz des Lebens, und mit ihm und gleich ihm die Heiligen vor der Flut.

 

Die Kinder Israel Werten später die letzte Nacht ihres Ver­weilens in Ägypten mit dem Stabe in der Hand und den Schuhen an den Füßen, und sie taten das mit der gleichen Ein­falt und Sicherheit, wie sie das Blut an die Türpfosten ge­strichen hatten. Sie hofften ebenso gewiß auf etwas jenseits Ägyptens, wie sie auf ihre Sicherheit in Ägypten rechneten.

 

Später bezeugte Mose diese Stellung Israels (eine Stellung, die dem Heerlager Gottes in der Kraft des Glaubens und der Hoffnung allein geziemte), indem er zu Hobab sagte: "wir brechen auf nach dem Orte, von welchem Jehova gesagt hat: ich will ihn euch geben". So sagte auch Paulus in seiner Ver­teidigungsrede vor dem König Agrippa: "Und nun stehe ich vor Gericht wegen der Hoffnung auf die von Gott an unsere Väter geschehene Verheißung, zu welcher unser zwölfstämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hoffte“.

 

Das Öl in den Lampen der klugen Jungfrauen ist ebenfalls &.r Ausdruck der Kraft der Hoffnung. Diese Jungfrauen trugen Sorge für das Verziehen des Bräutigams, auf dessen Rückkehr, sie warteten, mochte er nun noch weit entfernt oder nahe sein.

Doch um der Hoffnung ihre höchste und herrlichste Schönheit zu verleihen, hat Gott uns wissen lassen, daß der gegenwärtige Himmel selbst ein Himmel der Hoffnung, ist. Obgleich der Herr Jesus Sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat, wartet Er doch, wie wir wissen, "bis ich seine Feinde lege zum Schemel seiner Füge". Und diese Gesinnung ihres verherr­lichten Herrn wird dereinst auch die Gesinnung der verherr­lichten Kirche werden, denn der Himmel in Offb 5 ist auch ‑ein Himmel der Hoffnung. "Du bist würdig", sagen die vier lebendigen Wesen und die auf Thronen sitzenden Ältesten jenes Himmels, "das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation, und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen!"

 

In diesem Leben des Glaubens und der Hoffnung zeigen sich die Patriarchen völlig eins, und es ist köstlich, das zu wissen. Sie stellen verschiedenartige Geheimnisse dar und geben uns verschiedene sittliche Belehrungen. Aber in diesem Leben des Glaubens und der Hoffnung sind sie eins, und jeder von ihnen' Abraham, Isaak und Jakob, wird in gleicher Weise zu seinen Völkern versammelt. jeder ist eine Handvoll geheiligten Staubes, niedergelegt in der Höhle Machpela in der sicheren und gewissen Hoffnung auf eine Auferstehung zum Leben und zur Erbschaft.

 

Ein englisches Sprichwort sagt: Besser abgenutzt werden als verrosten. Aber dieses bessere Teil hat Isaak nicht erwählt. Er verrostete. Das war das naturgemäße Ende eines solchen. lebens.

 

War Isaak ein Gefäß, das dem Töpfer mißraten war? War er, ein Gefäß, das beiseitegestellt wurde, weil es für den Ge­brauch des Meisters nicht taugte oder wenigstens nicht länger tauglich war? Seine Geschichte scheint dies zu lehren. Abra­ham war ein anderer Mann gewesen. Alle Kennzeichen eines Fremdlings auf Erden, alle geziemenden Früchte jener Energie, die ihn von Anfang an beseelte, wurden bis zum Ende hin bei ihm gefunden. Wir haben dies bereits bei unserer früheren Betrachtung über Abraham gesehen. Abrahams Blatt verwelkte nicht. Er brachte noch Frucht im Alter. So war es auch mit Mose, mit David und Paulus. Sie starben in ihrer Rüstung, am Pfluge oder im Kampf. Fehler, und Schlimmeres noch als Fehler, machten sie auf dem Wege, in ihrem Lauf oder in ihrem Werk. Aber sie wurden nie beiseitegesetzt. Mose gibt noch an den Ufern des Jordan dem Heere seine Ratschläge. David ordnete vor seinem Tode alles und legte das Königtum (in seiner Schönheit und Macht) in die Hand Salomos. Paulus steht da mit umgürteten Lenden und angetan mit der Waffen­rüstung Gottes. Als die Zeit ihres Abscheidens vorhanden war, fand der Herr diese Männer, wie es in Lk 12 heißt, "also tuend", wie Knechte gefunden werden sollten. Doch bei Isaak war es anders. Er wird beiseitegesetzt. Während vierzig langer Jahre hören wir nichts von ihm. Er welkte und schwand gleichsam dahin. Das Gefäß rostete, bis es völlig verrostet war.

 

In all diesem liegt sicher eine tiefe Bedeutung, eine ernste Ermahnung für uns. Und doch ‑ so fruchtbar und voll Be­lehrung sind die Zeugnisse Gottes ‑ gibt es in der Schrift andere Männer aus anderen Zeiten, die uns zu noch ernsterer Belehrung und Warnung dienen. Es ist demütigend, beiseite­gesetzt zu werden, als nicht länger für den Gebrauch des Meisters geeignet,. aber traurig ist es, nur zu dem Zweck, hier gelassen zu werden, um wieder zu sich selbst zu kommen, und schrecklich ist es, zu bleiben, um sich selbst zu verderben. Und in den Zeugnissen Gottes finden wir Beispiele von dieser sitt­lichen Verschiedenheit. Jakob ist in seinen letzten Tagen in Ägypten nicht als ein beiseite gesetztes Gefäß, sondern er kommt dort wieder zu sich selbst. Ich weiß wohl, daß manches sehr Köstliche in ihm gefunden wird während der siebenzehn Jahre, die er in jenem Lande zubrachte, und wir könnten die Unterweisung nicht entbehren, die uns der Geist in dem Leben Jakobs in Ägypten gibt. Aber doch erblicken wir in ihm einen Heiligen, der unter einer heiligen Zucht gewesen ist, und der nun zu sich selbst kommt und Frucht bringt, die der Wieder­herstellung entspricht. Es bedarf nur eines kurzen Nachden­kens, um zu erkennen, daß das nur eine armselige Sache ist. Doch in Salomo begegnen wir einer noch schlimmeren Sache. Er bleibt am Leben, um sich selbst zu verderben, so traurig und schrecklich es auch sein mag, dies auszusprechen. Das tat weder Isaak noch Jakob. Salomo war weder ein Heiliger, der einfach beiseitegesetzt wurde, noch wurde er hier gelassen, um wieder zu sich selbst zu kommen. Isaak war, im allgemein sitt­lichen Sinne, tadellos bis zum Ende hin, und Jakobs; letzte Tage waren seine besten, aber von Salomo lesen wir: "Und es geschah zur Zeit, als Salomo alt war, da neigten seine Weiber sein Herz anderen Göttern nachm.

 

So sind die Belehrungen, die uns Isaak und Jakob und Salomo in ihren Wegen geben, so die genauen und mannigfachen Unterweisungen, die in den fruchtbringenden und lebendigen Blättern der Heiligen Schrift für uns niedergelegt sind. Sie zeigen uns in dem Hause Gottes Gefäße, die nützlich waren zum Gebrauch, und die bis zum Ende hin benutzt wurden, ferner Gefäße, die beiseitegesetzt wurden, um zu verrosten, anstatt ausgenutzt zu werden, Gefäße endlich, deren bester Dienst darin bestand, sich selbst wieder zu reinigen, und Ge­fäße, die zu ihrer eigenen Schande am Ende ihres Dienstes sich aufs neue beschmutzten.

 

Bewunderungswürdig und mannigfaltig sind die Unterweisun­gen und Wege der Gnade, der überströmenden Gnade Gottes! Ach, wie leicht nimmt die Seele Vorstellungen von Gott in sich auf, die den Eingebungen der Natur entsprechen, statt daß sie Ihn nach dein Glauben kennt. Die Natur stellt Ihn der Seele vor als einen Richter oder als einen Gesetzgeber, oder als einen Vollstrecker der Gerechtigkeit, als Einen, Der die Waagschale in Seiner Hand hält, um jeden Gedanken, jedes Werk ab­zuwägen, als Einen, Der äußerst empfindlich ist gegen die geringste Berührung mit dem Bösen. Aber der Glaube zeigt Ihn einem staunenden, anbetenden Auge und Herzen als den Einen, Der uns immer liebt, mag Er tun oder reden, was Er will. Denn "der Glaube wirkt durch die Liebe" (Gal 5, 6); er wirkt zu dem Gott der Lebe hin und daher in einem Geiste des Vertrauens und der Freiheit. Wenn unsere Seelen sich unter dein Druck eines Geistes der Furcht, der Knechtschaft oder der Ungewißheit befinden, dann können wir überzeugt sein, daß sie die sanfte Hand des Glaubens haben fahren lassen, und daß sie sich von solchen Vormündern und Ver­waltern leiten lassen, wie die Natur sie gibt. Das sollte nicht so sein. Wir sollten wissen, daß wir es stets mit der Liebe zu tun haben. Wenn wir lesen, wenn wir beten, wenn wir uns unterhalten, wenn wir bekennen, wenn wir dienen, wenn wir gingen, wenn wir Gottes Hand in der Vorsehung betrachten oder im verborgenen Seines Namens gedenken ‑ möge dann die Glaubensgemeinschaft mit Gott stets unser Teil sein! Er liebt uns. Die Beziehung, in der wir zu Ihm stehen, und von der unser Isaak die Darstellung war, macht diese Wahrheit zu einer Notwendigkeit.

 

Gott hat "uns zuvorbestimmt zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Wil­lens" (Eph 1, 5). Diese Worte für sich selbst" drücken Gottes Freude an der Zuvorbestimmung und Annahme der Auser­wählten zu Seinen Söhnen aus, so wie es Abrahams Freude war, als Isaak entwöhnt wurde. Christus stellt die Versamm­lung Sich Selbst dar (Eph 5, 27), und der Vater sammelt die Auserwählten als Söhne für Sich Selbst. Vater und Sohn haben ein persönliches Interesse und eine persönliche Freude an den Vorsätzen der Gnade. Wie gesegnet ist dies alles für unsere Herzen! Das Haus ist jetzt in dem Sohne aufgerichtet, nicht in einem Knecht in Isaak, nicht in Elieser. "Der Vater sucht solche, die ihn anbeten". Wunderbare Worte, voll überströ­mender Gnade!

 

Jakob

 

1. Mose 28‑37

 

.Durch Glauben segnete Jakob sterbend einen jeden der Söhne Josephs und betete an über der Spitze seines Stabes" (Hebr 11, 21).

 

I

 

Das Leben Jakobs ist voll mannigfaltiger Tätigkeit. Es hat einen ganz anderen Charakter als dasjenige seines Vaters Isaak. Die Weisheit Gottes gibt hierfür leicht die Erklärung, da ja der Zusammenstellung dieser Geschichten eine göttliche Absicht zugrunde liegt, ebenso wie ihrer Erzählung göttliche Wahrhaftigkeit innewohnt. Wir werden mit tatsächlichen Er­eignissen und Umständen bekanntgemacht und zugleich in göttlichen Geheimnissen unterwiesen.

 

Die Auserwählung und Berufung Gottes in der unumschränk­ten Ausübung Seiner Gnade fand in Abraham ihre Darstel­lung. Die Sohnschaft, zu der uns die Auserwählung führt (denn wir sind zuvorbestimmt zur Sohnschaft), trat dann in Isaak hervor. Und nun wird uns zur rechten Zeit und am rech­ten Platze die Zucht oder Erziehung eines Sohnes (denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt)? in Jakob vorgestellt.

 

Jakob war so gut ein Sohn wie Isaak, aber er befand sich in der Schule und unter der Zucht, nicht wie Isaak unter der häuslichen Obhut und Erziehung seines Vaters. Er steht nicht so sehr vor uns als einer, dem die Kenntnis und der Genuß der Vorrechte und Würden eines ‑Sohnes und Erben gegeben werden, sondern vielmehr als ein Mann, der die Liebe, die tätige Liebe, die züchtigt und bessert, kennenlernen sollte. Doch wir dürfen nicht vergessen, daß wir niemals wirklicher Kinder sind, als wenn wir uns unter einer solchen Zucht befin­den. Die Zucht setzt die Kindschaft voraus. Die Ermahnung­ oder Züchtigung spricht zu uns als zu Söhnen. Die Züchtigung mag im Vordergrunde stehen, aber hinter ihr verbirgt sich die väterliche Liebe.

 

Ich schicke indes diese Bemerkung über Jakob, als Sohn unter der Zucht, nur als ein allgemeines Kennzeichen seiner Ge­schichte voraus. Was ihre mannigfaltigen und ergreifenden Einzelheiten betrifft, so können wir sie in vier Zeitabschnitte einteilen:

 

1. Seine Geburt und sein Leben in seines Vaters Haus im Lande Kanaan.

 

2. Seine Reise nach Paddan‑Aram und sein zwanzigjähriger Aufenthalt dort im Hause Labans, des Syrers.

 

3. Seine Rückreise von Paddan‑Aram und sein zweiter Auf­enthalt in Kanaan.

 

4. Seine Reise von Kanaan nach Ägypten und sein Aufenthalt und Tod daselbst.

 

Der Leser wolle dies gleichsam als ein einfaches und sich von selbst ergebendes Inhaltsverzeichnis ansehen dem ich in diesen Betrachtungen folgen werde.

 

Der erste Teil der Geschichte Jakobs, seine Geburt und sein Leben im Hause seines Vaters im Lande Kanaan, bis er unge­fähr 70 Jahre alt war,*) ist in der Betrachtung über "Isaak' bereits behandelt worden. Dies war notwendig, weil dieser Teil in jenen Kapiteln des ‑1. Buches Mose enthalten ist, in denen Isaak die Hauptperson bildet.

________________

*) In den jüdischen Schriften wird gesagt, daß er 77 Jahre alt war.

 

Mit Kapitel 28 beginnt der zweite Teil der Geschichte Jakobs, und von da an sehen wir ihn unter der Zucht.

 

Auf seiner Reise nach Paddan, aber noch bevor er die Grenzen Kanaans verließ, begegnet ihm der Herr in Lus. Das war nicht seines Vaters Schlafgemach, in welchem er gesündigt hatte, sondern ein einsamer, schrecklicher und entlegener Ort, wohin

 

die Sünde ihn vertrieb und wo die Zucht seines himmlischen Vaters sich mit ihm beschäftigte. An einem solchen Ort kann Gott uns begegnen. Er kann uns nicht auf dem Schauplatz unserer Vergehungen erscheinen, wohl aber an dem Ort Seiner Züchtigung. Und das war Lus für Jakob. Es war ein trostloser Ort. Die Steine des Ortes bildeten sein Kopfkissen, und der Himmel über ihm seine Decke. Er hatte keinen Freund, der ihn begleitete und tröstete. Er besaß nichts als seinen Stab. Doch der Gott seiner Väter kommt dort zu ihm. Er verändert nicht die Umstände Jakobs, noch hebt er die Züchtigung auf. Viel­mehr läßt Er ihn seinen freundlosen Weg fortsetzen, um an dessen Ende zwanzig Jahre harten Dienstes unter der Hand eines Fremden, verbunden mit mancher Ungerechtigkeit und Kränkung, zu finden. Aber Er gibt ihm himmlische Versiche­rungen, daß Heere aus der Höhe ihn behüten und über ihm wachen sollten.

 

Jehova hatte dem Abraham, wie wir wissen, große Verhei­ßungen geschenkt. Diese wurden dem Isaak wiederholt, und jetzt werden sie in Bethel dem Jakob gegeben. Aber hier wird diesen gemeinsamen Verheißungen noch etwas Besonderes hinzugefügt: "Und siehe, ich bin mit dir, und ich will dich behü4‑en überall, wohin du gehst, und dich zurückbringen in dieses Land; denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich getan was ich zu dir geredet habe". Das war eine neue Verheißung, eine hinzugefügte Gnade, und zwar gerade weil Jakob sie be­durfte, was bei Abraham und Isaak nicht der Fall gewesen war. Jakob war der einzige von den dreien, der es nötig hatte, daß der Herr mit ihm war, wo er hinging, und ihn wieder nach Hause brachte. Jakob hatte durch seine eigene Schuld diese ver­mehrte Barmherzigkeit für sich notwendig gemacht und der Herr schenkt sie ihm in Seiner überströmenden Gnade. Das Gesicht von der Leiter ist die Bürgschaft für die Erfüllung der göttlichen Verheißung. Die Verheißungen an Abraham und Isaak hatten diese himmlische Behütung durch die Engel nicht enthalten. Die beiden waren im Lande geblieben. Jakob da­gegen hatte sich selbst eine Verbannung bereitet, welche die Obhut und die Bewahrung durch eine besondere Beauf­sichtigung vom Himmel notwendig machte, und er bekommt sie. Und ich glaube, daß Jakob hierauf anspielt, wenn er zu Joseph sagt: "Die Segnungen deines Vaters Überragen die Seg­nungen meiner Voreltern" (Kap. 49, 26). Diese Obhut seitens .der Engel, die auf unmittelbaren Befehl vom Himmel über ihn wachten in den Tagen seiner Verbannung und Knechtschaft, ‑einer Knechtschaft, die seine eigene Verirrung herbeigeführt hatte, ‑ zeichnete ihn aus als einen Gegenstand der Gnade und gab ihm Segnungen, die die Segnungen seiner Voreltern über­ragten. Und in diesem Sinne erreichte er "die Grenze der ewigen Hügel". Er war ein Erbe des Reiches durch jene über­strömende Gnade, die ihm half und ihn inmitten der bitteren Früchte seiner eigenen Verkehrtheit aufrecht erhielt, ähnlich wie David zu seiner Zeit in "dem ewigen Bunde" triumphieren, obwohl für die Gegenwart sein Haus durch seine eigene Sünde in Verfall war (2. Sam 23).

 

So sind die Wege Gottes mit den Seinen. Sie sind wunderbar und vollkommen in ihrer Vereinigung von Gnade und Heilig­keit. Lagt uns zugleich beachten, daß es in allen Umständen zwei Dinge gibt, von denen die Natur das eine, der Glaube das andere betrachtet. So finden wir bei der göttlichen Zucht, wie Jakob sie jetzt erfahren mußte, zunächst die Rute, und dann die Hand, welche die Rute gebrauchte. Die Natur sieht die erste, der Glaube erkennt die zweite. Jakob brach unter der Rute zusammen, weil er sich nur mit ihr beschäftigte. Hätte er seinen Blick auf die Absicht Gottes, auf das Herz oder die Hand, welche die Rute anwandte, gerichtet (wozu wir in Micha 6, 9 ermahnt werden), so würde er standgehalten haben. Aber die Natur hatte die Oberhand in ihm. Er richtete seinen Blick auf die Rute, und diese war zu schwer für ihn.

 

Und wie bei den Schwierigkeiten, so verhält es sich auch bei den Fehltritten. Es gibt da zweierlei Dinge. Das Gewissen beschäftigt sich mit der einen, der Glaube mit der anderen Sache. Aber dem Gewissen sollte nicht gestattet werden, den Glauben seiner Schätze zu berauben, der Schätze der wiederherstellen­den, vergebenden Gnade nämlich, welche die Liebe Gottes stets für ihn bereit hält.

 

Darin liegt ein großer Trost. Die Natur soll nicht zuviel den Umständen und das Gewissen nicht zuviel mit den Fehltritten beschäftigt sein. Wohl muß die Natur fühlen, daß keine Züchtigung für die Gegenwart Freude ist, und das Gewissen oder das Herz muß gebrochen sein, aber in beiden Fällen sollte der Glaube auf seinem Posten sein und seine Pflicht tun; und der Heilige Geist ist in den Briefen vielfach in Gnade bemüht, den Glauben hierzu zu ermuntern. Die Apostel erfuhren die gleichen Gefahren und Versuchungen, denen wir von Natur unterworfen sind, und während wiederholt darauf gedrungen wird, daß das Gewissen lebendig und wachsam sei, wird doch verlangt, daß der Glaube gerade ihm gegenüber sich behaupten solle.

 

Gott in Gnade zu kennen, dient zu Seinem Lob und zu unserer Freude. Nach den Gedanken einer verderbten Natur stellen wie uns Ihn vor als einen Gott, der Gehorsam verlangt und Dienst erwartet. Aber der Glaube kennt Ihn als einen Gott, Der mitteilt, Der von Vorrechten und von Freiheit zu uns redet und von unseren gesegneten Beziehungen zu Ihm spricht.

 

Aber Jakobs Seele befand sich nicht auf der Höhe dieser Gnade. Er fand den Ort, an dem er die Leiter und die Engel gesehen hatte, und wo der Gott seiner Väter mit ihm geredet hatte, "furchtbar". In gewisser Beziehung war das, was er sah und erfuhr, zuviel für ihn, so wie es lange nachher bei Petrus auf dem heiligen Berge der Fall war. Doch wenn Jakob auch sagt: "wie furchtbar ist dieser Ort!" und wenn Petrus und seine Gefährten sich auch fürchten, so reicht dennoch die Leiter bis an den Himmel, und die Engel steigen an ihr auf und nieder angesichts des Patriarchen, und die Herrlichkeit auf dem Berge strahlt dennoch in unvermindertem Glanz. Denn die Gnade Gottes ist weit größer, als die Vorstellungen, die sich die Seele von ihr macht. Gott strahlt in Seinem eigenen Glanz weit über unsere Vorstellungen und Erfahrungen hinaus. Und so müssen wir Ihn kennen, und nicht nach den Eindrücken unserer Erfahrung. Doch in gewissem Sinne fand Jakob, wie Petrus auf dem Berge es gut, in Lus zu sein, und er nannte den Ort Bethel. Es war für ihn das Haus Gottes, denn Gott war dort bei ihm gewesen und hatte mit ihm geredet. Es war in seinen Augen die Pforte des Himmels, denn er hatte dort die Engel gesehen, wie sie von ihrem Platz in der Höhe herabstiegen. "Dies ist nichts anderes als Gottes Haus", sagt er, "und dies die Pforte des Himmels".

 

Gott offenbart Seinen Namen und Er verherrlicht ihn auch. Zuerst. offenbart Er ihn, und der Glaube nimmt ihn an. Dann bestätigt Er zu seiner Zeit die Offenbarung oder das Zeugnis, indem Er das Verheißene erfüllt, und verherrlicht so Seinen Namen. Und wo irgend es Ihm gefällt, Seinen Namen zu Offenbaren, da ist Sein Haus. Ornans Tenne erhielt später die gleiche Würde, wie hier Lus, und zwar aus dem gleichen Grunde. "Dieses hier soll das Haus Jehovas Gottes sein, und dies der Altar zum Brandopfer für Israel", sagt David von jenem Orte der Jebusiter (1. Chron 22, ‑1). Denn wie das Bethel unseres Patriarchen, so war die Tenne Omans der Platz, wo die Barmherzigkeit über das Gericht triumphierte, und wo Gott Sich in Seiner überströmenden Gnade offenbarte, und da ent­deckt der Glaube das Haus Gottes. Jakob und David waren, ein jeder zu seiner Zeit, Heilige unter der Zucht, aber der Herr begegnete ihnen in Seiner vorsorgenden Liebe, indem Er Sich Selbst ihnen offenbarte und Seinen Namen kundtat. Und das war für sie Sein Haus.

 

Doch es ist leichter, das Haus einzuweihen, als die Aufgabe zu lernen, die dort gelehrt wird. Unter der Macht der Eindrücke, die das Gesicht notwendigerweise hervorrufen mußte, schüttet Jakob sogleich sein Herz aus, aber es ist in seinem Geiste noch etwas von dem alten Jakob zurückgeblieben. Die schlechte Ge­sinnung seines Herzens ist noch in Tätigkeit, und er scheint zu berechnen, einen Handel abzuschließen und Bedingungen zu stellen, obwohl der Herr in der Sprache der Verheißung, in freier, unumschränkter, überströmender Güte mit ihm geredet hatte. Die Natur regt sich immer wieder trotz so mancher Stöße und so mancher Niederlagen. Ja, sie überlebt selbst das, was ihr für einen Augenblick den Todesstoß gegeben zu haben schien. Jakob läßt seine Natur ebensowenig in Bethel zurück, wie er sie vorher im Zelt seiner Mutter zurückgelassen hatte. Jakob setzt seine Reise fort, und die Gnade begleitet den gezüchtigten Heiligen, bis er "nach dem Lande der Kinder des Ostens" kommt, bis er Paddan‑Aram erreicht, wohin der Rat seiner Mutter ihn gewiesen und wohin ohne Zweifel die Hand Gottes ihn jetzt geleitet hatte.

Er fand Rahel bei dem Brunnen und bei der Herde, so wie Elieser Rebekka gefunden hatte, und Elieser war Isaaks Stell­vertreter. Aber Jakob war ein armer Mann, Isaak ein wohl­habender. Isaak konnte Rebekka mit goldenen Ringen und Armspangen, den Beweisen seiner guten Verhältnisse, beschen­ken. Jakob hat nur seine Arbeit und den Schweiß seines An­gesichts. Der eine erschien als der Sohn und Erbe, der andere als ein Mann, der sich selbst an den Bettelstab gebracht hatte, und der sich mit Gottes Hilfe so gut wie möglich durchzu­schlagen suchen mußte. "Jakob entfloh nach dem Gefilde von Aram, und Israel diente um ein Weib und hütete um ein Weib" (Hos ‑12, 13). Er fand einen harten Dienst, aber er trat ihn ohne weiteres an und hielt zwanzig Jahre lang darin aus (Kap. 29‑31).

 

Wir betreten jetzt mit ihm das Haus Labans, des Bruders seiner Mutter, und begegnen dort bald den verschiedensten Zustän­den und Handlungen. Wir finden da nicht nur Jakob und Laban, sondern auch die beiden Weiber, Lea und Rahel, mit ihren beiden Mägden, Silpa und Bilha.

Jakob befand sich erst kurze Zeit unter den Versuchungen und Leiden seines Aufenthalts bei Laban, als er genau nach dem Muster seines eigenen Vergehens heimgesucht wurde. Er hatte seinen Vater betreffs seines Bruders und des Segens betrogen, und jetzt betrügt Laban ihn betreffs Rahels und der Heirat. Indes sehen wir in seinem Verhalten während der zwanzig Jahre, die er bei Laban zubrachte, auch manches Schöne. Die Kraft und der Einfluß des Bewußtseins, unter der züchtigenden Hand Gottes zu stehen, wird notwendigerweise von einem Herzen gefühlt, das in irgendwelcher Verbindung mit Gott ist. Allerdings wird die Natur unter einem solchen Druck weder verändert noch gebrochen, aber sie muß doch mehr oder weniger im Zaum gehalten werden. Als David getadelt, ge­straft und gedemütigt wurde, verhielt er sich wirklich schön. Seine Worte an Ittai, Zadok und Husai, sein Zorn über die Tat der Söhne der Zeruja, seine Demütigung, seine Klage über Absalom, sowie die Benutzung des Sieges als wenn es eine Niederlage gewesen wäre ‑ alles das und vieles andere der Art zeigt uns ein gesegnetes Werk des Geistes in seiner Seele. Bei Jakob in Paddan‑Aram finden wir allerdings nichts, was dem eben Genannten gleichkäme, aber doch irren wir wohl nicht, wem wir in ihm einen Heiligen unter der Zucht er­blicken, der sich dieser Zucht bewußt ist und seine augenblick­liche Lage unter der Hand Gottes versteht, der ferner fühlt, daß der Tadel des Herrn ein gerechter Tadel ist und der de­mütig und vorsichtig wandelt. Er unterwirft sich schweigend dem Unrecht, das Laban ihm zufügt. Er dient geduldig und leidet, ohne zu klagen. Sein Lohn wird zehnmal verändert, und er spricht nicht dagegen. In diesem allem zeigt er sich ge­demütigt unter die mächtige Hand Gottes, als einer, der sich gern seiner eigenen Vergangenheit erinnert. Und am Ende von zwanzig Jahren, voll harter Arbeit und schlechter Behandlung, ist er imstande, seine Treue feierlich zu bezeugen, und Gott Selbst scheint dieses Zeugnis zu besiegeln. Durch die Fürsorge Seiner Hand, durch Offenbarungen Seines Geistes, sowie durch eine unmittelbare Dazwischenkunft bei Laban schützt, segnet und rechtfertigt Gott Seinen Knecht.

 

Darin liegt viel Schönes. Ich sage nicht, daß die Natur getötet, ,daß die Wurzel der Bitterkeit gerichtet war. Ich weiß wohl, daß wir Jakob nachher als den alten Jakob wiederfinden wer­den, der sich auf traurige Weise durch den Sauerteig verleiten läßt, der von Anfang an in ihm wirksam war. Aber während seines Aufenthalts im Hause des Aramäers verhielt er sich wirklich wie einer, der weiß, daß er unter der mächtigen und züchtigenden Hand Gottes steht. Er rechtfertigte sich nicht gegenüber Vorwürfen, noch bestand er auf seinem Recht gegenüber Beleidigungen und Ungerechtigkeiten.

 

Was Laban betrifft, so war er ein durchaus weltlicher Mann, als Jakob sein Haus betrat, und als Jakob wieder heimwärts zog, war er noch derselbe. In allen seinen Handlungen von Anfang bis zu Ende hatte er nur seinen eigenen Vorteil im Auge. Er sah sich gezwungen anzuerkennen, daß die Hand Gottes mit Jakob war, aber er hätte gern durch Jakob jene Hand sich selbst dienstbar gemacht und Jakobs Anrecht an Gott zu seinem eigenen Vorteil verwendet. Zwanzig Jahre lang hatte er das Zeugnis der Hand Gottes und die Wirkungen Seiner Gnade und Macht in seinem Hause vor Augen, und das jeden Tag, aber dennoch blieb er ein Weltmensch. Gott trat ihm in den Handlungen Seiner Allmacht nahe, wie Er es später bei Chorazin und Bethsaida tat, aber da war keine Buße. Und zuletzt glich Jakobs Abreise aus dem Hause Labans einer Flucht aus der Hand des Feindes, einem Entrinnen aus dem Garn des Vogelstellers. Jakob zog mit seiner Familie in ähnlicher Weise aus, wie später das ganze Volk aus Ägypten. Laban war für unseren Patriarchen wie der Pharao, und Paddan‑Aram wie Ägypten. Laban wollte Jakob gerne noch länger als seinen niedrigen Knecht behalten, oder ihn allenfalls als Bettler ziehen lassen, doch der Herr trat bei ihm für Jakob ein, wie Er es später bei dem Pharao für Israel tat. Laban und der Pharao haben, ein jeder zu seiner Zeit, die Wirksamkeit Gottes be­zeugt, aber keiner von beiden wurde ein Gegenstand von ihr.

 

Laban war durch und durch ein Freund der Welt und wurde nie etwas anderes. Er war ein listiger Mann und dabei ein Heuchler, was man ja häufig vereinigt findet. Zuletzt, als alle seine Anschläge zunichte gemacht sind, und keine Zauberei wider Jakob gelingen will, (wir finden das später auch in bezug auf Israel), tut er, der erbärmlichen Art und Weise eines listi­gen Herzens entsprechend, alles mögliche, um den fehlgeschla­genen Plan zu verdecken und sich noch einen schönen Schein zu geben. Er stellt sich, als ob Jakob nur aus Sehnsucht nach seiner Heimat ihn verlassen habe, während sein Gewissen ihm doch mancherlei andere Gründe genannt haben muß. Er stellt sich betrübt und entrüstet, daß er keine Gelegenheit gehabt habe, seine Töchter und Enkel zu küssen und sie mit Ehren zu entlassen, während sein Gewissen ihn daran erinnert haben muß, wie schnöde er sie verkauft hatte. Er scheint betrübt darüber zu sein, daß sie jetzt in der Hand Jakobs sind, als ob seine Hand jemals die eines Vaters für sie gewesen wäre. Er gibt vor, daß er Jakob aus religiöser Furcht vor dem Worte Gottes verschone, während er doch gefühlt haben muß, daß er (so wie Bileam in späteren Tagen) durch Gott vollständig im Zaume gehalten wurde, mochte er wollen oder nicht, mochte er gottesfürchtig oder gottlos sein. Und er macht eine ernste Miene zu dem letzten Handel zwischen ihm und Jakob, indem er den Namen des Gottes Abrahams anruft, ob gleicher gerade damit beschäftigt gewesen war, nach seinen Götzen zu suchen, und sich anschickte, in jenes Land zurückzukehren, aus dem Gott den Abraham gerufen hatte, und dort weiter zu leben als ein herzloser Weltmensch und als ein Verehrer seiner eigenen hölzernen und steinernen Götter. Welch ein erbärmlicher Mann! Und welch eine ernste Lehre gibt er uns!

 

Wir müssen indes noch einen Blick auf die Weiber und Kinder in Paddan‑Aram werfen. Die Weiber und Kinder im ersten Buch Mose stellen stets Geheimnisse oder Vorbilder dar. Wir sehen das in Eva und ihren drei Kindern, sowie in den drei Frauen Abrahams, Sara, Hagar und Ketura, und in den Kin­dern einer jeden von ihnen. Demselben vorbildlichen Charakter begegneten wir in unserer früheren Betrachtung über Isaak auch bei Rebekka und ihren Kindern, Esau und Jakob. Alle stellen Teile und Bruchstücke der Vorsätze Gottes in Bildern dar. Und das gleiche finden wir jetzt in den Frauen, die mit Jakob in Paddan‑Aram in Verbindung traten, sowie in den Kindern dieser Frauen.

In den Kindern Israels, d. h. indem Volke dem Samen Abra­hams, begegnen wir drei verschiedenen Klassen: 1.. dein frühe­ren Israel nach dem Fleische, das auf Grund seiner fleischlichen Verbindung mit Abraham in das Land gebracht wurde; 2. dem jetzigen Israel, dem Volk in Knechtschaft, welches das Joch der Nationen kennenlernen muß, und 3. dein zukünftigen Israel, das unter die Gnade gebracht, erlöst und ;in die zu den Vätern geschehenen Verheißungen wieder eingesetzt wird. Das sind gleichsam drei verschiedene Generationen des Volkes Israel: die eine, wie das Volk war, die andere, wie es jetzt ist, und die dritte, wie es dereinst sein wird. Und die Schatten davon er­blicken wir, wie ich glaube, in den Familien Jakobs in Paddan­-Aram, d. h. in den Kindern Leas, die dem Fleische nach An­sprüche hatte, dann in den Kindern der Mägde und endlich in den Kindern Rahels, der Geliebten, die von Natur keine Kraft besaß deren Same aber nach Verheißung oder von Gott war. So offenbaren sich hier die Wege der Weisheit Gottes in den Frauen und Kindern (Kap. 29‑‑‑3‑1), wie es auch bei den frühe­ren Familienszenen in diesem wunderbaren Buch der Fall war. Sobald Joseph, das Kind der Verheißung, der Sohn Rahels, der Geliebten, ihm gegeben ist, spricht Jakob davon, Paddan‑Aram, den Ort der Verbannung und Knechtschaft, zu verlassen (siehe Kap. 30‑25. 26). So einfach und unbedeutend dieser Umstand auch scheinen mag, so ist er doch gewiß nicht ohne Bedeu­tung. Die Stellung eines Fremden und eines Dieners paßte nicht mehr für Jakob, sobald er den Samen empfangen hatte, der ihm die Macht Gottes zu seinen Gunsten bezeugte. Er mag instinktmäßig etwas davon gefühlt haben, daß es jetzt für ihn an der Zeit sei, seine Freiheit zu verlangen und an seine Hei­mat und an sein Erbe zu denken. Ich will nicht sagen, daß Jakob dies wirklich verstanden hat, noch entscheiden, ob es eine Art von Inspiration war, was er aussprach und was in seiner vollen Bedeutung sein Verständnis überstieg, aber tat­sächlich sagte er unmittelbar nach der Geburt Josephs zu Laban: Entlaß mich, daß ich an meinen Ort und in mein Land ziehe".

 

Bei Abraham fanden wir ja auch manches, was große Ähnlich­keit hiermit hat. Sobald Isaak entwöhnt war, veränderte sich sogleich der Schauplatz um Abraham her. Der Sohn der Magd mußte das Haus verlassen, und Abraham bekam den Vorrang vor den Heiden. (Siehe Kap. 2‑1). Die Entwöhnung Isaaks war der Wendepunkt in Abrahams Stellung. Im Geiste trat er für einen Augenblick in das Königtum ein; indem er einen neuen Altar baute, einen Altar dem "ewigen Gott" und eine Tama­riske pflanzte. Die Schönheit und Bedeutung dieser Handlung habe ich in der früheren Betrachtung über Abraham hervor­gehoben. Ähnliches finden wir jetzt bei Jakob. Sobald Joseph, das Kind der Verheißung, das die Gnade und Macht Gottes bezeugte ihm gegeben war, dachte er sogleich an Freiheit und Heimat.

 

Wahrlich, ein schöner und treffender Beweis von dem Ver­ständnis, das der neue Sinn in Jakob besaß! Und bei dieser Gelegenheit zeigt sich auch der Glaube in Rahel, denn sie nennt ihren Sohn "Joseph", d. h.: "Er füge hinzu", in der Überzeugung, daß der Herr, der Seine Barmherzigkeit gegen sie zu erweisen begonnen hatte, sie auch fortsetzen und voll­enden werde. So redet auch heute der Glaube in unseren Her­zen indem selben Geiste: "Er, der doch seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?" Infolge der Gabe Gottes hielt sich Rahel nicht nur für berechtigt, um mehr zu bitten, sondern in noch kühnerem, glücklicherem Glauben vertraut sie auch auf Gott, daß Er noch mehr tun werde.

 

Doch obschon dies alles so war, wurde doch die Verbindung zwischen Laban und Jakob auch nach der Geburt Josephs noch eine Zeitlang unterhalten, bis die Trennung unter dem Druck ganz anderer Umstände stattfand, indem Laban wie eine Art Salzsäule oder wie ein feierliches Zeichen von dem, wozu unsere armen Herzen fähig sind, zurückblieb.

 

II

 

Mit Kapitel 31 endigt die Zeit der Knechtschaft Jakobs. Wir finden ihn dann auf der Rückkehr von Paddan‑Aram nach Kanaan, wobei namentlich zwei Szenen unsere besondere Auf­merksamkeit in Anspruch nehmen. die eine auf dem Gebirge Gilead gleich nach seinem Auszug, die andere in Machanaim, nahe bei der Furt des Jabbok, kurz vor seinem Eintritt in das Land.

 

Auf dem Gebirge Gilead fand die Trennung zwischen Jakob und Laban statt, denn bis dahin hatte Laban ihn verfolgt. Indes machten die beiden Männer, bevor sie schieden, einen Bund miteinander, indem sie Schlachtopfer opferten und dann gleichsam über dem Opfer zusammen aßen.

 

Eine solche Szene zeigt uns in einem Bilde unsere Segnung. Denn wir erfreuen uns eines Friedensbundes, der durch ein Opfer sichergestellt und durch ein Fest bezeugt wird. So finden wir auch in der Nacht der Errettung Israels aus Ägypten den Altar und den Tisch, oder das Opfer und das Fest. Das Blut war an den Türpfosten, und die durch das Blut erlöste und geborgene Haushaltung befand sich innerhalb und nährte sich von dem Lamme, dessen Blut sie schützte und befreite.

 

Beachten wir bei dieser Gelegenheit auch, daß Jakob es ist, der das Opfer darbringt. Dies ist sehr bemerkenswert und charakteristisch. Es zeigt uns, daß Jakob seinen Platz und seine Würde vor Gott kannte. Laban besaß alle Ansprüche, welche die Natur, das Fleisch oder die Verwandtschaft verleihen konn­ten, aber Jakob ist dennoch die handelnde Person. Laban war der ältere. Er war der Herr und der Schwiegervater. Dennoch nimmt Jakob den Platz des "Besseren" ein und bringt das Opfer dar, in dem gleichen Geist des Glaubens wie Abraham, als er mit dem König von Gerar einen Bund machte (Kap. 21), oder wie Jethro am Berge Horeb inmitten des Israels Gottes und in der Gegenwart Aarons (2. MO 18).

 

Das sind Beispiele der Triumphe des Glaubens, und es sind keine geringen Triumphe. Unsere hohen Vorrechte in Christo zu erkennen und uns durch nichts daraus verdrängen zu lassen, selbst wenn die Umstände dazu angetan sind, uns zu demütigen, das ist keine leichte Sache. Jakob war in Paddan-­Aram unter der Zucht. Er hatte dort keinen Altar. Vor Gott war er eher ein Büßender als ein Anbeter. Aber Laban gegen­über bekennt er sich selbst als einen Heiligen. Hier auf dem Gebirge Gilead hat er seinen Denkstein, sein Opfer und sein Fest, und er betätigt jenen Glauben, der ihn ermutigt allen Ansprüchen von Fleisch und Blut gegenüber gemäß seiner Würde als Heiliger und Priester Gottes zu handeln.

 

Es ist sehr ermutigend, bei so manchen Gelegenheiten solche Bruchstücke der Gesinnung und des Geistes Christi in den Gläubigen hervortreten zu sehen. Jakob zweifelte nie an seinen Vorrechten von Anfang bis zu Ende seines Weges, obwohl er sein ganzes Leben ‑hindurch unter der Zucht stand. Und es ist stets gesegnet, den Platz einzunehmen, den die Gnade in ihrem überströmenden Reichtum uns gibt. Ich glaube nicht, daß Petrus in Joh 21, wenn er als ein Büßender dem Herrn hätte nahen wollen, sich so sehr beeilt hätte, zu Ihm zu kommen. Ein Büßender würde sich mit mehr zögerndem Schritt ge­nähert haben. Aber Petrus dachte nicht an die soeben erst geschehene Verleugnung seines Herrn, sondern an diesen Herrn Selbst. Sein Schritt war deshalb eilig und fest. Er hatte allerdings schwer gegen seinen Herrn gesündigt und wohl hätte er bei dem Gedanken daran zaudern und beschämt sein können. Aber ‑ und das ist wunderbar ‑ so wie Petrus als Büßender seinen Weg nicht so bereitwillig und eifrig ange­treten hätte, ebenso würde er auch als solcher seinem Meister nicht so willkommen gewesen sein, wie er es jetzt war, als er ihm, trotz seines Fehltritts, im Vertrauen nahte. Darin zeigen sich die Gnade und das Herz des Herrn, mit dem wir es zu tun haben.

 

Indes sind dies nur einzelne Bruchstücke, gleichsam gebrochene Säulen in den Tempeln Gottes. Die Natur bleibt immer die Natur, und Jakob verrät sich bald nachher wieder als der alte Jakob.

 

Wenn der Herr bei Hiob Seine Hand leichter gemacht hätte, nachdem die erste Versuchung vorüber war, dann würde Hiob der Segnung verlustig gegangen sein. Es trat ein Augenblick der Ruhe ein, und man hätte denken können, daß alles zu Ende gewesen wäre. Aber das Ende des Herrn in Gnade war noch nicht erreicht, und wir können überzeugt sein, daß auch Satans Bosheit noch nicht befriedigt war. Der unermüdliche Gegner beginnt von neuem. Der Herr gibt ihm wieder Raum, und Hiob wird zum zweiten Male heimgesucht.

 

Aber die Natur ist geradeso unermüdlich wie Satan. Magst du sie auch in diesem Augenblick vertreiben, in dem nächsten wird sie wiederkommen. Wir haben soeben jene kurze Unter­brechung in den Handlungen und Wegen der Natur bei Jakob auf dem Gebirge Gilead betrachtet und für einen Augenblick die bessere Gesinnung in ihm wirksam gesehen, aber bald, leider nur zu bald, werden wir den alten Jakob wiederfinden.

 

Er wandert weiter vom Gebirge Gilead, und als er die Grenzen des Landes erreicht, begegnen ihm die Engel Gottes. Jakob erkennt sie sofort. "Dies ist das Heerlager Gottes', sagt er. ,Und er gab jenem Ort den Namen Machanaim" (Zwei‑Lager). Hier befinden wir uns auf heil11gern. Boden. Die in Kapitel 28 begonnene Reise ist ausgeführt, die Zusicherungen und Ver­heißungen von Bethel sind eingelöst. Dem entsprechend er­blicken wir hier keine Leiter mehr. Die fürsorgende Obhut der Engel hatte ihren Dienst erfüllt. Jakob war in dem fernen Lande bewahrt und wieder zu seinem eigenen Lande zurück­geführt worden. Die Leiter kann deshalb verschwinden, und statt daß die Engel gleichsam zwischen dem Himmel und dem Patriarchen auf ‑ und niedersteigen, begegnen sie ihm jetzt. Sie stehen vor ihm, wie um ihn zu begrüßen oder ihn bei seiner Rückkehr willkommen zu heißen. Jehova, der Gott seiner Väter und der Gott der Verheißungen, bewillkommnet unseren Patriarchen in der Heimat, und die Diener der himmlischen Höfe werden ausgesandt, um der Gesinnung ihres Königs gegen ihn Ausdruck zu geben.

 

Das hieß für Jakob "gepfiffen", und Jakob hätte "tanzen" sollen. Sein Geist hätte frohlocken, er hätte jubeln und trium­phieren sollen, bevor der Kampf gestritten, ja, ‑bevor noch die Heere aufgestellt waren. Er hätte das Schlachtfeld betreten sollen mit Lobgesängen wie Josaphat (2. Chron 20). Wenn die himmlischen Heerscharen so zu seinen Diensten standen, so seiner warteten, was hatte er dann von den Heeren Esaus zu fürchten? "Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?" Aber ach! so war es nicht bei Jakob. Er "wehklagt“ auf dieses Pfeifen, anstatt zu tanzen. Er zittert und fleht und berechnet. Er ordnet seine Streitmacht, als ob der Kampf sein wäre. Das alles war gewissenhaft, aber es war auch zu gleicher Zeit alles Unglaube, und wir können überzeugt sein, daß dem Herrn dies sehr miß­fällig war. Es war ein häßlicher Mißklang für sein Ohr. Ob­wohl Er unseren Patriarchen mit allen Zeichen eines ernstge­meinten, ehrenvollen Willkommens bei seiner Heimkehr be­grüßt hatte, zeigte sich Jakob doch völlig verzagt und mutlos.

 

Der Herr wünscht immer mit uns eins zu sein, und daß auch wir mit Ihm eins seien. Es ist Ihm niemals wohlgefällig, wenn zwischen Ihm und uns kein Einklang herrscht. So widersteht Er Jakob. "Es rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte aufging". Das war Gottes Antwort auf das Gebet Jakobs. Und wahrlich, dies alles ist sehr bezeichnend und lehrreich für uns.

 

Wir finden es viel leichter, auf den Herrn zu vertrauen in Fragen, die zwischen Ihm und uns entstehen, als Ihn hinein­zubringen, Ihn zu benutzen und Ihm zu vertrauen in Sachen, die zwischen uns und anderen liegen. Wir finden es leichter, Ihm zu vertrauen für die Ewigkeit, als für morgen, weil die Ewigkeit vollständig in Seiner Hand liegt, während das "Mor­gen" nach unserer Meinung mehr oder weniger zwischen Ihm und anderen geteilt ist und ebensowohl in der Macht der Um­stände wie in der Seinigen ruht. Abraham verriet zu seiner Zeit dieselbe Neigung. Er folgte dem Ruf des Gottes der Herr­lichkeit ohne Zögern und verließ sein Land, seine Verwandt­schaft und seines Vaters Haus, aber sobald eine Hungersnot eintrat, hörte sein Glaube auf, und anstatt angesichts der Um­stände auf den Herrn zu vertrauen, zog er nach Ägypten hinab.

 

Jakob offenbart zu Machanaim dieselbe natürliche Gesinnung. Er ist unfähig, Esau gegenüber auf Gott zu vertrauen. Esaus vierhundert Mann erschrecken ihn, und er will zunächst seine Boten mit Worten des Friedens und der Freundschaft und dann seine Geschenke ins Mittel treten lassen, um durch das eine oder das andere den Zorn seines Bruders zu besänftigen. Sein Glaube an Gott ist nicht stark genug, um Ihn zwischen sich und Esau zu bringen. Er zittert und fleht, er berechnet und teilt seine Haushaltung ein. Die Umstände erweisen sich als zu schwer für ihn. Aber gleich nachher, wenn der Herr Selbst ihm widersteht, wenn es sich um eine Sache zwischen ihm und Gott handelt, da ist er kühn und trägt den Sieg da­von. Er ermattet nicht, wenn auch der Herr ihm die Hüfte verrenkt. Er beträgt sich wie ein Glaubensstreiter und erlangt Anerkennung. Er tritt auf wie ein Fürst und gewinnt neue Ehren. Das ist eine Erfahrung, die allgemein gemacht und hier in der Geschichte Jakobs an der Furt des Jabbok dargestellt wird.

 

Indes liegt in einem solchen Siege nicht notwendigerweise ein Heilmittel für jenen Kleinmut, der den vorhergehenden Kampf veranlaßt hatte. Und Jakob steht im Begriff, dies zu unserer weiteren Ermahnung zu beweisen. Gleich in dem folgenden Kapitel, das eigentlich nur die Fortsetzung derselben Handlung oder einen weiteren Abschnitt in ihr schildert, tritt uns der nämliche furchtsame, ungläubige, berechnende Mann entgegen, den wir in Jakob gefunden haben, bevor er über den Kämpfer an der Furt des Jabbok den Sieg davontrug.

 

Das enthält eine ernste Ermahnung für uns. Es kann sehr wohl Übung des Geistes vor Gott vorhanden sein und doch wenig Fortschritt in der Kraft der Seele bezüglich der Fortsetzung des Kampfes mit der Welt. In keinem Abschnitt seiner Geschichte erscheint Jakob sittlich auf einem niedrigeren Boden, als in den Ereignissen, die unmittelbar auf Pniel folgten. Er ist kei­neswegs von sich selbst gereinigt. Er berechnet, er macht Aus­flüchte, er heuchelt Liebenswürdigkeit und Vertrauen, er lügt und schmeichelt. Dem Mann an der Furt des Jabbok wider­stand er. Er war stark im Glauben und verherrlichte die Gnade Gottes, selbst dann, wenn Gott ihm entgegentrat und mit ihm stritt. Aber Esau gegenüber stellt er den alten Menschen in tief beschämender Vollendung dar. Er macht sich von seinem Bruder los unter einem durchaus unwahren Vorwande. Er ist nicht besser als ein Ohrenbläser, ein knechtischer Schmeichler, indem er schamlos von dem Angesicht Esaus wie von Gottes Angesicht spricht. Das ganze Schauspiel ist erbärmlich ‑ ein demütigendes Bild von dem sittlichen Zustande, in den ein Heiliger für eine Zeit kommen kann, wenn die Natur die Ober­hand gewinnt.

 

Es gibt Augenblicke der Ermunterung und Freude für den Geist, und wir sollten sicher dankbar dafür sein. Wenn Jakob in dem vorhergehenden Kapitel sagt: "Dies ist das Heerlager Gottes", und nachher: "Ich habe Gott von Angesicht zu An­gesicht gesehen, und meine Seele ist gerettet worden!" so waren das solche Augenblicke der Freude des Geistes. Aber es kann wohl sein, daß es nur Erquickungen sind, und daß sie nicht zur wahren Erbauung dienen. Und es ist in der Tat be­trübend zu sehen, wie ein Heiliger so bald nachher wieder zu sich selbst zurückkehren kann.

 

Und wer möchte seinem eigenen Herzen trauen, wenn wir sehen, wie untreu das Herz Jakobs war? Jakob hatte die Kennt­nis des Namens Gottes verloren. Er mußte danach fragen, anstatt ihn zu benutzen und sich in ihm zu erfreuen. Dieser Name war "der Allmächtige", ein Name, der ihm die All­genugsamkeit für alle seine Bedürfnisse kundtat. Doch Jakob hatte ihn in Kapitel 32 verloren, und indem folgenden Kapitel beträgt er sich nicht wie einer, der Um wiedergefunden hat. Er selbst ist auf dem Plan und erfindet Listen und Ausflüchte. Auch wir können in derselben Weise den Namen, der uns geoffenbart ist, verlieren. Dieser Name heißt "Vater", ein Name, welcher der Seele dauernde Ruhe und Kraft und Frei­heit zu geben vermag. Er bereitet dem Herzen eine Heimat. "Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott". Diese Heimat genügt, um "unsere Freude völlig zu machen", wie Johannes sagt. Und obwohl wir, wie Jakob, unter der züchtigenden Hand Gottes stehen mögen, so sollten wir doch die Kraft jenes Namens, die vollkommene, verborgene und unveränderliche Liebe eines Vaters kennen. Wenn es nicht so bei uns ist, so haben unsere Seelen, wie Jakob in diesen beiden Kapiteln, die Kenntnis des Namens Gottes verloren. "Ihr habt der Ermahnung vergessen, die zu euch als zu Söhnen spricht", ruft der Apostel uns zu. Wir brauchen uns deshalb nicht länger über Jakob zu wundern. Ich glaube vielmehr, daß wir zu Zeiten weit größere Ursache haben, uns über uns selbst zu wundern.

 

Nachdem Jakob und Esau sich getrennt hatten, kam Jakob nach Sukkoth und von dort nach Sichem. Damit war seine Rückkehr nach Kanaan vollendet. Aber ach! es wird immer schlechter und schlechter mit ihm. Es scheint, als ob er eine Zeitlang sich selbst und die Berufung Gottes vollständig vergessen hätte. Und was anders als Unheil kann die Folge einer solchen Er­scheinung sein?

Gott erwartet von uns Festigkeit in bezug auf unsere Berufung. Wohl können wir alle in tausenderlei Weise ihr untreu werden und fehlen, und wir tun dies leider nur zu oft, aber das ist doch noch etwas anderes, als wenn jene Be­rufung aus freien Stücken durch ein leichtfertiges und er­schlafftes Gewissen vernachlässigt und anscheinend völlig auf­gegeben wird. Denn dann wird bald jeder sittliche Halt ver­lorengehen. Wahrlich, Lauterkeit und Aufrichtigkeit werden verschwinden und am Ende werden Verunreinigungen her­vortreten, wie sie selbst, wie der Apostel sagt, unter den Hei­den nicht gefunden werden.

 

In Sukkoth, wohin unser Patriarch zuerst kam, baut er ein Haus, und in Sichern kauft er ein Feld, was Abraham und Isaak, weil sie der Berufung Gottes treuer blieben, nie taten und nie getan haben würden. Das Zelt wurde mit einem Hause vertauscht, und der pilgernde Fremdling wurde zu einem Bürger und Grundeigentümer inmitten der Unbeschnittenen. Zeigte das nicht, daß Jakob vergessen hatte, daß er sich unter der Berufung Gottes befand? Viele Jahrhunderte später läßt der Herr durch Seinen Diener Nathan dem David kundtun, daß ein Unterschied zwischen einem Haus und einem Zelt bestehe, und daß Er wünsche, daß dieser Unterschied aufrecht erhalten werde (1. Chron 17). Aber hier in Sukkoth übertritt Jakob den Willen Gottes. Das göttliche Denkzeichen der Patriarchen bestand darin, daß sie in Zelten wohnten (Hebr 11, 9), aber hier in Sukkoth macht sich Jakob aus freien Stücken dieses Denkzeichens verlustig. Ferner gab der Herr dem Abraham nicht so viel Land, daß er seine Fußsohle hätte darauf setzen können (Apg 7, 5). Aber Jakob will dennoch in Sichem ein Grundstück haben und es als erblichen Besitz kaufen.

 

Der Altar der auf das Haus und das Feld folgt, mag auf den ersten Blick als eine Milderung, als etwas Heiligendes erschei­nen, als das einzige Gute inmitten des Verderbens. Aber bei näherer Betrachtung erkennen wir gerade in dem Altar wo­möglich das Schlechteste von allem. Er wurde nicht für Den­jenigen errichtet, der Jakob erschienen war. Weder in Sukkoth noch in Sichem hatte wahre Gemeinschaft zwischen dem Herrn und Jakob stattgefunden. Sichem war rächt Bethel, und das Grundstück, auf dem jener Altar, den Jakob "Gott, der Gott Israels" nannte, aufgerichtet wurde, war nicht der steinige und öde Ort, wo die überströmende Gnade aus einem geöffneten Himmel auf das Haupt des Patriarchen herab geschienen hatte. Nein, es bildete vielmehr einen Teil des Feldes, das Jakob von den Söhnen Hemors, des Vaters Sichems, gekauft hatte. Der Altar wurde auch nicht von einem himmlischen Fremdling für den Gott errichtet, der ihn besuchte, sondern er erhob sich in der Mitte der Unbeschnittenen. Es sieht fast aus wie ein Ver­such, die Billigung des Herrn dafür zu erlangen, daß Jakob den Charakter eines Abgesonderten, eines Pilgrims und eines Nasirs aufgegeben hatte, oder den Namen Gottes und Seine Anbetung mit dem zu verbinden, worüber Gott Sein ernstes Urteil ausgesprochen und wogegen Seine Langmut sich erzeigt hatte, bis das Maß der Ungerechtigkeit voll war.

 

Wahrlich, wir sehen hier eher einen unbeschnittenen Jakob, als beschnittene Sichemiter. Alles ist verdorben. Ist das ein Sohn Abrahams? Ist das ein Heiliger Gottes? Ist das einer von Gottes Fremdlingen in einer Welt, die von Ihm abgefallen ist? Werden wir nicht unwillkürlich an die religiöse Tätigkeit des Christentums erinnert, das den Namen Christi mit einer Welt in Verbindung gebracht hat, die sich unter Seinem Gericht befindet und nur in Seiner Langmut noch getragen wird? Es ist dasselbe, als wenn das Volk Israel in späteren Tagen dem Pharao nachgegeben und Jehova in Ägypten einen Altar ge­baut hätte. Aber solche Altäre sind keine Altäre ‑ wie ein anderes Evangelium kein anderes ist. Ein solcher Gottesdienst ist eitel, mag er nun in jenen frühesten Zeiten in Sichem aus­geübt werden, oder in unserem christlichen Zeitalter unter den Völkern einer gerichteten, verurteilten Welt, von der uns zu trennen wir von Gott berufen sind. Aber das ist nicht alles. Während ein angenehmer Verkehr mit der Welt fortgesetzt und der eingeschlagene Weg begierig verfolgt wird, werden zu derselben Zeit Familiengottesdienste und religiöse Gebräuche (der moderne Altar in Sichem) verrichtet.

 

Es war eine der Früchte von diesem allem, daß Jakob später sagen mußte: "Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung" (Kap. 49, 6)! Denn mit diesen Worten spielt der sterbende Patriarch auf das in Kapitel 34 Erzählte an. Am Ende seines Lebens sieht er den wahren Charakter jener Dinge, die Frucht seines Aufenthalts in Sichern, ein. Im Zorn war dort ein Mann erschlagen und ein Kämpfer niedergeworfen worden. Und doch hatte Jakob selbst kurz vorher den Kämpfer Gottes übermocht. Den Trennungswall, den die Berufung Gottes zwischen dem Reinen und Unreinen, zwischen der Beschneidung und den heidnischen Völkern, errichtet hatte, räumte Jakob selbst hin­weg, indem er sich als Bürger und Eigentümer auf seinem gekauften Grund und Boden in Sichem niederließ. Und Simeon und Levi vervollständigten die Sache, sobald es ihnen gefiel.

 

"Und Dina, die Tochter Leas, die sie dem Jakob geboren hatte, ging aus, die Töchter des Landes zu sehen". War das die Hand­lungsweise des Hauses Abrahams? War das die Familie des abgesonderten Patriarchen, der in den Wegen des Herrn wan­delte? Hatte sich Abraham jemals in solcher Weise nachlässig gezeigt? Welchen Verkehr hatte er mit den Söhnen oder den Töchtern des Landes betreffs seiner Kinder? Keinen.

 

Das alles ist höchst traurig und verkündet seine eigene Schande. Sichem liegt nicht weit von Sodom, obwohl ich zugebe, daß es nicht gleich Sodom ist. Jakob ist auch nicht Lot. Wir können und müssen einen Unterschied machen, obwohl das Unter­scheiden in dieser Beziehung eine traurige Arbeit ist. Die Natur hatte in all den Heiligen Gottes, die wir betrachtet haben, zu Zeiten die Oberhand, in dem einen mehr, in dem anderen weniger. Aber trotz des Vorherrschens der Natur finden wir doch in sittlicher Hinsicht eine Verschiedenheit, und verschiedenartige Dinge unter den Heiligen müssen von uns auch als verschiedenartig betrachtet werden. Es gibt ein be­flecktes Kleid und ein gemischtes Kleid, wenn wir es so nen­nen dürfen, und wir sollten unter der Leitung des Geistes unser Kleid sowohl unbefleckt als auch ungemischt bewahren, oder wie Jakobus sagt: "uns selbst von der Welt unbefleckt erhalten". Aber doch ist ein beflecktes Kleid noch kein ge­mischtes, oder, um mit den Worten der Schrift zu reden, kein Kleid "von verschiedenartigem Stoff, Wolle und Leinen zu­sammen". Auch dürfen wir ein Kleid, in dem sich hier und da ein Faden von einem anderen Stoff zeigt, nicht mit einem ge­mischten Kleid verwechseln, d. h. mit einem Kleid, dessen Ge­webe grundsätzlich aus Wolle und Leinen hergestellt ist. So finden wir in der Schrift, die ja in jeder Hinsicht vollkommen ist, Charaktere, die durch das, was man »gemischte Grund­sätze" nennt, gebildet sind, und andererseits solche Charaktere, die zwar gelegentlich etwas Gemischtes verraten, aber nicht durch und durch so sind. Das Leben Lots wurde vollständig durch gemischte Grundsätze beeinflußt und gekennzeichnet. Sobald die Versuchung an ihn herantrat, vereinigte er sich mit dem Bösen. Obwohl er mit der Berufung Gottes verbunden war, war er doch ein Mann der Erde und mußte wie durch Feuer gerettet werden. Das Kleid, das Lot trug, war von ver­schiedenartigem Stoff, von Wolle und Leinen. Abraham da­gegen trug zu Zeiten wohl ein beflecktes Kleid, aber nie ein gemischtes. Lot war der Berufung Gottes vom Beginn bis zum Ende seiner Laufbahn untreu. Er wurde da ein Bürger, wo er ein Fremdling hätte sein sollen, indem er in der Stadt Sodom ein Haus baute, während Abraham, das Land durchziehend, sein Zelt bald hier bald dort aufschlug. Und dieses Leben nach falschen Grundsätzen brachte Lot in Trübsale, die seine Schan­de waren, und das allein kann man eigentlich nur den Schmerz der Trübsale nennen. Er hatte keinen Trost in seinem Leid. Er quälte seine gerechte Seele, wie es heißt, mit den gottlosen Werken, die er täglich anschauen mußte, aber in seinem Geiste gab es keine Freude, keine Klarheit, keinen Triumph. Die Engel waren äußerst zurückhaltend ihm gegenüber, und er mußte unter Zurücklassung all seiner Habe fliehen und rettete nur das nackte Leben.

 

Jakob, unser Patriarch, war von anderer Art. Wir dürfen nicht von ihm sagen, daß er ein Mann von gemischten Grundsätzen war, oder daß er ein Kleid von verschiedenartigem Stoff, von Wolle und Leinen, trug. Wohl aber zeigte sich sein Kleid ziem­lich oft beschmutzt, und hier in Sukkoth und Sichem trug er ein Gewand, in das Fäden von einem anderen Stoff eingewebt waren. Seine Pläne und Berechnungen bewirkten das erstere: sie verunstalteten ihn und beschmutzten sein Kleid. In Sukkoth ein Haus bauen und in Sichem ein Feld erwerben, ent­gegen der Berufung Gottes und dem Zeltleben seiner Väter, das sieht dagegen einem Kleide mit Fäden von anderem Stoff sehr ähnlich.

 

Dennoch ist Jakob nicht mit Lot auf eine Stufe zu stellen. Sein Leben wurde nicht durch gemischte Grundsätze gebildet. Er war in der Tat ein Fremdling, der mit Gott hienieden wandelte. Aber wie Lot, hielt auch er sich freiwillig andern Ort der Un­beschnittenen auf, und so mußte er die Bitterkeit dieses eigenen Weges fühlen. Manches, was Sodom einst für Lot war, wurde Sichern jetzt für Jakob. Er wird gerettet, aber ist es nicht auch wie durch Feuer? Die Sünde, die Simeon und Levi mit ihren Werkzeugen der Gewalttat begehen, schmettert den armen Jakob ganz zu Boden. Er ist mit seiner Weisheit zu Ende unter jenem Volke, von dem er seinen Grundbesitz erworben, und in dessen Nachbarschaft er sich gleich Lot hatte niederlassen wollen.

 

Doch damit sind die Dinge auch auf ihrer untersten Stufe an­gekommen. Durch die Gnade Gottes werden wir Jakob bald aus dem allen entfliehen sehen und von Sichem und seinen Befleckungen errettet finden.

 

III

 

"Ein Wort zu seiner Zeit, wie gut!" Das erfahren wir oft selbst. Zu Zeiten bewirkt ein Wort mehr in und für uns als lange und sorgfältige Unterredungen. Denn "die Kraft ist Gottes". Ein "Folge mir nach!' von den Lippen Jesu hatte die Kraft, Levi von seiner Beschäftigung als Zolleinnehmer los­zumachen, während Petrus in demselben Kapitel eine ganze Rede ohne Erfolg anhörte, indem er nach wie vor der gut­herzige, liebenswürdige und dienstfertige Petrus blieb (siehe Lk 5). "Dein Volk wird voller Willigkeit sein am Tage deiner Macht", dasselbe Volk, von dem früher gesagt werden mußte. .Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volke".

 

Ein Beispiel von dieser Kraft finden wir jetzt in der Geschichte Jakobs in Kapitel 35, 1.

 

,Mache dich auf, ziehe hinauf nach Bethel", sagt der Herr zu ihm, "und wohne daselbst, und mache daselbst einen Altar dem Gott, der dir erschienen ist als du vor deinem Bruder Esau flohest".

 

Diese wenigen Worte waren von Kraft begleitet. Sie bildeten, wie mir scheint, den Wendepunkt in dem Leben Jakobs, oder vielmehr in der Geschichte seiner Seele. Sie waren kurz und einfach. Nichts Fremdartiges oder Staunenerregendes begleitete sie. Kein Gesicht, kein Wunder stand mit ihnen in Verbindung. Aber es war ein Tag der Kraft. Das Gesicht der Leiter in Bethel, die herrliche Erscheinung der himmlischen Heerscharen, das Ringen mit dem göttlichen Fremden in Pniel, das alles hatte Jakob kaum geholfen noch ihn gefördert in der Energie seiner Seele. Aber jetzt kommt Kraft über ihn, und die Kraft Gottes kann ein Werkzeug benutzen, so schwach es auch sein mag. Auf die geringere oder größere Kraft des Werkzeugs kommt es nicht an. Die Hand Gottes kann das Werk Gottes ausführen, wenn sie auch nichts anderes als eine Schlinge und einen Stein, einen Eselskinnbacken oder gar nur Fackeln und Krüge hat. Und der Geist Gottes kann das Werk Gottes in einer Seele ausführen, obwohl Er nur ein Wort, einen Blick oder einen Seufzer dazu benutzen mag.

 

Durch jene kurzen Worte, mit denen das Kapitel 35 beginnt, wird Jakob überwältigt. "Mache dich auf, ziehe hinauf nach Bethel!" Bethel wird gleichsam durch den Finger Gottes aufs neue auf sein Herz und Gewissen geschrieben. Er bricht davor zusammen, wie einst Abraham vor dem Namen "Gott, der Allmächtige , oder wie Petrus (in Lk 22) vor dem Blick des Herrn Jesus.

 

Die Kraft ist stets ihr eigener Zeuge. Sie offenbart sich als das was sie ist, ebenso wie das Licht. Die obigen Worte wer­den, indem sie die Kraft Gottes in sich tragen, jetzt alles für die Seele unseres Patriarchen. Sie äußern ihre Wirkung sofort, ähnlich wie das einmalige Anrühren des Kleides des Herrn seitens des blutflüssigen Weibes inmitten der Volksmenge. Sobald Jakob sie hört, reinigt er, ohne einen besonderen Be­fehl dazu abzuwarten, seine Haushaltung und will aus seinen Zelten alle jene Götzen entfernt wissen, die seine Kinder aus Paddan‑Aram mitgebracht hatten. Im Geiste befand er sich schon in Bethel, an dem Orte, wo Gott ihm am Tage seiner Erniedrigung und Trübsal in dem Reichtum Seiner Gnade begegnet war. Bethel wurde aufs neue seinem Herzen bekannt gemacht, ja, lebendiger als je seiner Seele geoffenbart. Klarer als je zuvor las er jetzt die Geschichte der Gnade, und das Bewußtsein der Gnade erweckte in ihm das Verlangen nach Heiligkeit. So ist es stets. Gnade ohne Heiligkeit ist undenkbar. Das Fest der ungesäuerten Brote folgt auf das Passahfest. Die heilbringende Gnade Gottes unterweist uns, die Gott­losigkeit und die weltlichen Lüste zu verleugnen. Denn die Gnade, ich wiederhole es, verlangt nach Heiligkeit. So will Jakob, nachdem er in der Kraft des Geistes von Bethel gehört hat, sein Haus und seine Haushaltung rein haben, ohne daß es einer Anleitung, einer Aufforderung oder eines Gebotes dazu bedurft hätte.

 

Das ist schön und bedeutungsvoll. Befleckung kann unmöglich von jemand geduldet werden, der sich einer überströmenden Gnade bewußt ist und erfreut. Götter und Ohrringe, Götzen­bilder und Eitelkeiten, alles zusammen wird unter einer Tere­binthe bei Sichem vergraben, und dann wird Sichem verlassen. Der Patriarch macht sich auf mit allem, was sein ist und be­findet sich bald auf dem Wege nach Bethel. Er hatte gleichsam das Fest der ungesäuerten Brote in Verbindung mit dem Passah gefeiert, wie später das Volk in Ägypten es tat, aber auch wie Israel verläßt er sogleich sein Ägypten mit dem Stabe in der Hand und den Schuhen an den Füßen. Und der Herr begleitet ihn, wie Er es später in den Tagen des Auszugs bei Israel tat. Auch begleitet Er ihn mit Macht, denn wie der Stab Moses angesichts der Feinde für Israel den Weg öffnete, und Er, Der Sich in der Wolke befand, das Heer der Ägypter verwirrte, so lesen wir jetzt betreffs Jakobs und seiner Haushaltung: "Sie brachen auf. Und der Schrecken Gottes kam über die Städte, die rings um sie her waren, so daß sie den Söhnen Jakobs nicht nachjagten'.

 

Das alles ist in der Tat schön und bedeutungsvoll. Wir finden Wer Gnade und Segnung, aber zugleich auch Demütigung. Israel hatte die Kraft des Namens Gottes verloren, und Jakob muß jetzt lernen, daß er auch die Ehre seines eigenen Namens eingebüßt hat. Aber alles soll ihm jetzt zurückgegeben werden. "Gott der Allmächtige", und "Israel" und "Bethel" werden in diesem Augenblick der Wiederbelebung aufs neue geoffenbart.

 

Gott muß als der Gott des Heils angebetet werden. Das ist notwendig in einer Welt wie der gegenwärtigen. Eine solche Anbetung ist die einzige Anbetung "in Wahrheit" (Joh 4, 23). In 3. MO 17 und 5. MO 12 wird der Eifer Gottes im Blick hier­auf deutlich ausgedrückt. Als "Heiland" läßt Er Seines Namens gedenken auf einem Schauplatz der Sünde und des Todes. Er sagt durch den Mund Seines Propheten: "Es ist sonst kein Gott außer mir; ein gerechter und rettender Gott ist keiner außer mir" (Jes 45, 21)! Das ist eine Offenbarung von Ihm, und auf diese Offenbarung gründet sich jede Anbetung. In Bethel hat Gott Seinen Namen so genannt. Dort war gleichsam Sein Haus, und dort bringt jetzt Jakob seine Opfer dar. Er er­richtet einen Altar und nennt den Ort El‑Bethel (Gott des Gotteshauses). Für Jakob war dies sozusagen die Stiftshütte der Wüste oder der Tempel auf dem Berge Morija, der Tempel auf der Tenne Omans (1. Chron 22, 1). Sein Tun war unend­lich angenehm für Gott, und laut und unmittelbar gibt Gott Zeugnis von dieser Annehmlichkeit: Er erscheint ihm sogleich bei dem Altar, segnet ihn und spricht: "Dein Name soll hinfort nicht Jakob heißen, sondern Israel soll dein Name sein. Und Er gab ihm den Namen Israel. Und Gott sprach zu ihm: Ich bin Gott, der Allmächtige, sei fruchtbar und mehre dich; eine Nation und ein Haufe von Nationen soll aus dir werden, und Könige sollen aus deinen Lenden hervorkommen. Und das Land, das ich Abraham und Isaak gegeben habe, dir will ich es geben, und deinem Samen nach dir will ich das Land geben. Und Gott fuhr von ihm auf an dem Orte, wo er mit ihm ge­redet hatte" (V‑ 10‑‑13)‑

 

Das war der Ausdruck der Annehmlichkeit dessen, was Jakob tat, sowie der Wonne Gottes an dem Altar Jakobs zu Bethel. Es war ähnlich so, wie wenn später die Herrlichkeit die Stifts­hütte (2. MO 40) und nachher den Tempel (2. Chron 5) erfüllte. Der Gott der Gnade und des Heils nahm mit Freuden Besitz von Seiner Wohnung und nahm die Anbetung an, die Ihm ein armer Sünder, der eine überströmende Gnade geschmeckt hatte, darbrachte. Nichts kann die Köstlichkeit eines solchen Augen­blicks übertreffen. Salomo fühlte das, es überwältigte ihn. Als er sah, wie die Herrlichkeit das Haus, das er gebaut hatte, erfüllte, schüttete er sein Herz in jenen bewunderungswürdigen Worten aus: "Jehova hat gesagt, daß er im Dunkel wohnen wolle. Gebaut habe ich dir ein Haus zur Wohnung, eine Stätte zu deinem Sitze für Ewigkeiten". Der Tempel, in welchem es ans Licht trat, daß die Barmherzigkeit sich wider das Gericht rühmte, hatte die Macht, Jehova aus dem Dunkel, dem zurück­gezogenen Sitz der Gerechtigkeit, in die Mitte Seines anbe­tenden Volkes herab zu ziehen.

 

Wie unübertrefflich schön war das! Und wir sehen das gleiche zur Zeit der Patriarchen bei jenem Altar oder Tempel zu Bethel. Die Herrlichkeit war da. Jehova erschien und sprach mit Jakob, wie später mit Salomo. Lus und die Tenne Ornans wurden beide zu dem Hause Gottes. Und Jakob nannte den Ort zum zweiten Male Bethel, jedoch ohne einen jener Zweifel, die seinen Geist befleckt hatten, als er zum ersten Male dort war. jetzt ist er dort in dem Geiste, in dem Salomo vor der Herrlichkeit in dem Tempel stand, in dem Bewußtsein, daß Gott Sich wieder zu ihm gewandt hat, und im Genuß Seiner Nähe und Gegenwart.

 

Hierauf setzt unser Patriarch, in der Freiheit und Kraft von diesem allem, seine Reise fort. Er geht von Bethel nach Beth­lehem, und von da nach Mamre im Süden des Landes, wo sein Vater Isaak wohnte. Aber an keinem dieser Orte hören wir wieder von der Erbauung eines Hauses oder von dem Erwerb eines Grundeigentums. Es wird uns erzählt von dem Zelt und Altar Jakobs, von seinem Umherziehen, von dem Begräbnis seines alten Vaters, und schließlich hören wir, daß er in dem Lande wohnte, in dem seine Väter vor ihm gewohnt hatten (siehe Kap. 37, 1).

 

Diese Reise war in ihrem sittlichen Charakter in der Tat völlig verschieden von jener, die er früher von Paddan nach dem Gebirge Gilead, und weiter über Machanaim und Sukkoth nach Sichem gemacht hatte. Jakob erhält jetzt keinen Verweis. Wir hören von keinem Ringen, wie zu Pniel. Keine Stimme ertönt, die ihn in bestimmter Weise zur Abreise aus Sichem auffordert. Keine Befürchtungen werden in unserem Herzen erweckt, daß Jakob sein Zelt wieder verlassen oder die Berufung Gottes nochmals vergessen könnte. Das Wort "Bethel" auf den Lippen des Herrn und in dem Ohr Jakobs hatte Wunder getan. "Ein Wort zu seiner Zeit, wie gut!" mögen wir wohl wiederholen. "Siehe, Gott handelt erhaben in seiner Macht; wer ist ein Lehrer wie er" (11i 36, 22)? Und Er hätte sicher Sein irrendes, aber nun überführtes Kind nach dieser zweiten Szene zu Bethel ermuntern und mit den Worten Jesajas zu ihm sagen können: "So spricht Jehova, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich bin Jehova, dein Gott, der dich lehrt, zu tun was dir frommt, der dich leitet auf dem Wege, den du gehen sollst" (Jes 48, 17)‑

 

Indessen ist auch jetzt noch nicht alles vollendet. Rubens Mis­setat zeigt uns das auf sehr betrübende Weise. Doch hat etwas überaus Wichtiges in Jakob stattgefunden: er hat sich über den Boden der Natur erhoben, und sein Herz hat sich dem Geiste der Welt entwunden. Auch befindet er sich bis jetzt keineswegs außerhalb des Platzes der Zucht. Im Gegenteil­er findet Rebekka nicht mehr bei Isaak zu Mamre. Er sieh; seine Mutter nie wieder, die Mutter, die ihn so zärtlich gepflegt und so innig geliebt hatte. Er begräbt die Amme seiner Mutter, und mehr als das, er verliert seine geliebte Rahel. Er besitzt allerdings das Unterpfand der Kraft in dem "Sohn seiner Rechten", aber in diesem Sohn zugleich die stete Erinnerung an den Verlust Rahels. Und so steht er immer noch unter der Zucht. Aber er befindet sich jetzt ebensowohl auf dem Wege Gottes, wie unter der Hand Gottes. Darin liegt die Verände­rung. Die Zucht macht sich ihm fühlbar, und sie belehrt ihn und erreicht ihren Zweck. Der Pfad ist hell, und seine letzte Stunde wird sich bald als seine herrlichste erweisen.

 

IV

 

Wenn wir jetzt zur Betrachtung von Kapitel 37 übergehen, so finden wir, daß Joseph den ersten Platz sowohl in der Ge­schichte als auch in den Gedanken des Geistes Gottes einnimmt. Das geht deutlich aus Vers 2 hervor, wo wir lesen: "Dies ist die Geschichte Jakobs: Joseph, siebenzehn Jahre alt, weidete die Herde mit seinen Brüdern usw." Doch finden wir bis zum Ende des Buches vereinzelte Mitteilungen über Jakob, in denen uns der letzte Teil seiner Geschichte erzählt wird.

 

Er war jetzt sozusagen ein Witwer. Er erscheint vor uns als ein einsamer, zurückgezogener Mann, der mehr in Erinnerungen als in gegenwärtiger Tätigkeit lebt. Allerdings war er der Patriarch, der Vater und das gemeinsame Haupt aller Haus­haltungen seiner Kinder, und als solcher wurde er auch von ihnen anerkannt. Aber die Angelegenheiten der Familie lagen jetzt mehr in den Händen jener, und er brachte seine Witwer­schaft zu ohne, zu versuchen, aufs neue der rührige, energische und talentvolle Weltmann zu sein, der er einst gewesen war.

 

Seine Zurückgezogenheit war jedoch nicht der seines Vaters Isaak gleich. Isaak wird während der letzten vierzig Jahre seines Lebens nicht mehr gesehen. Er erscheint als beiseite­gesetzt, als ein für den Gebrauch ungeeignetes Gefäß, das nicht im Dienst abgenutzt wurde, sondern allmählich verrostete. (vergl. das vorige Kapitel). So waren Jakobs letzte Lebensjahre nicht. Er war allerdings nicht länger ein geschäftiger Mann, aber seine Zurückgezogenheit war keine Untätigkeit. Die reich­sten, glücklichsten und reinsten Übungen seiner Seele scheinen gerade jetzt stattzufinden, und sie erweitern und vertiefen sich, je mehr sie fortschreiten. Bestraft und gezüchtigt, wie wir ge­sehen haben, beginnt seine Seele jetzt die Frucht der göttlichen Bearbeitung zu bringen. Wir können nicht sagen, daß Jakob je völlig die hohe Würde erreicht hat, ein Diener Gottes zu sein, aber doch dürfen wir, am Ende seiner Geschichte stehend, sagen, daß er fruchtbringend für Gott gewesen ist.

 

Es besteht ein Unterschied zwischen Dienst und Fruchtbarkeit. Der Dienst ist mehr offenbar und tätig, die Fruchtbarkeit kam verborgen sein. Hand und Fuß mögen dienen und sie sollten es tun. Benetzt mit dem Blut und dem 01 (vergl. 2. MO 29, 20; 3. MO 14, 14), sollten sie Werkzeuge in der Hand des Haus­herrn sein, allein es ist in dem Verborgenen des Herzens, wo die Bearbeitung des Heiligen durch die Wahrheit in der Kraft des Geistes Frucht für Gott hervorbringen muß. Fruchtbarkeit gibt sich in der Ausbildung jener Tugenden kund, die dem Volke Gottes seinen wirklichen und wahren Charakter ver­leihen, ‑ jener Gewohnheiten, Neigungen und Eigenschaften des inneren Menschen, die vor Gott so kostbar sind. Innerlich, oder aus dem Herzen heraus wachsen jene Kräuter, die für Ihn, der die Seele zubereitet, so wohlriechend und schön sind, und die von der befruchtenden Kraft jenes Regens zeugen, der vom Himmel auf sie gefallen ist.

 

Diese Fruchtbarkeit findet sich, wie ich glaube, bei unserem Jakob in dem letzten Abschnitt seiner Pilgerschaft. Schwache Anzeichen davon haben wir bereits gesehen, als er noch in Kanaan weilte, doch die weit reichere Ernte wird während der siebzehn Jahre, die er in Ägypten zubrachte, eingesammelt. Denn diese Teilnahme an der Heiligkeit Gottes, diese Frucht der Zucht des Vaters der Geister, ist gewöhnlich eine stufen­weise fortschreitende, indem das Licht mehr und mehr zu­nimmt bis zum vollen Mittagsglanz. So werden wir es auch bei Jakob finden: seine letzte Stunde ist die herrlichste.

 

Im Verlauf des Kapitels 37 wird uns erzählt, daß die Brüder Josephs auszogen, um zu Sichem ihre Herden zu weiden. Wes­halb diese Rückkehr nach Sichem? Geschah sie, weil sich dort das erworbene Grundstück, der Familienbesitz, befand?*) Es war gefährlich, mit diesem Ort in Verbindung zu sein. Er hatte sich als ein Fallstrick für die ganze Familie erwiesen, und der Herr hatte sie von dort weggerufen. Wäre Jakob so wachsam gewesen, wie er es hätte sein sollen, ‑so würden wir jetzt wohl

_______________

*) Dieser, Grundstück wird allerdings zuletzt nur ein Begräbnisplatz wie Machpela. Allein es wurde nicht wie Machpela von vornherein zu diesem Zweck gekauft.

 

nicht wieder von Sichem hören. Aber doch ist es schön zu sehen, daß sich in seinem Herzen Zeichen der Unruhe darüber kundgeben: er sendet Joseph aus, um zu erfahren, wie es seinen Brüdern und ihren Herden dort gehe. Es scheint also in seinem Herzen Besorgnis wegen ihres Aufenthalts an einem so verdächtigen Ort gewesen zu sein. Und das dürfen wir wohl als ein wenn auch schwaches Anzeichen, des Wiederauflebens der Seele unseres Patriarchen betrachten.

 

So befiehlt er auch später, bei der zweiten Sendung nach Ägyp­ten (Kap. 43), seine Söhne der Hand des "allmächtigen" Got­tes. "Gott, der Allmächtige", sagt er, "gebe euch Barmherzig­keit vor dem Manne, daß er euch euren anderen Bruder und Benjamin loslasse". Dies zeigt uns, daß Jakob wenigstens einigermaßen die Kraft jenes Namens wiedererkannt hatte, den er einst verloren hatte, und den selbst die ernste Übung zu Pniel ihm nicht zurückgegeben hatte.

 

Auf Grund dieser Zeugnisse dürfen wir wohl sagen, daß Jakob in jenen Tagen auf göttliche Weise geübt wurde. Im übrigen finden wir aber nicht viel Bemerkenswertes, bis wir ihn seine Vorbereitungen treffen sehen, um nach Ägypten hinabzuziehen. Dieser Augenblick aber ist so wichtig im Blick auf den Fortschritt seiner Seele, daß wir ihn etwas näher betrachten müssen.

 

Als Jakob hörte, daß Joseph noch am Leben und Herrscher über das ganze Land Ägypten sei, "erstarrte sein Herz, denn er glaubte ihnen nicht". Es war das Tun des Herrn, und es war wunderbar in Jakobs Augen. Er glaubte nicht vor Freude und Verwunderung, denn er erhielt Joseph gleichsam aus den Toten zurück. Das war anfänglich zuviel für ihn. Doch als er die Wagen sah, die der Pharao gesandt hatte, um ihn und alles, was sein war, nach Ägypten hinab zu bringen, da lebte sein Geist wieder auf, und ohne weiter zu zögern sagt er: ,Genug! Joseph, mein Sohn, lebt noch! Ich will hinziehen und ihn sehen, ehe ich sterbe.

 

So sprach die Natur in Jakob, sobald er der Botschaft Glauben schenkte, und ohne weitere Aufforderung trat er die Reise nach Ägypten an. Doch ein ruhigerer Augenblick folgte, ein Augenblick, in dem die Handlungsweise der Natur gleichsam zur Rechenschaft gezogen wurde.

 

"Und Israel brach auf und alles was er hatte, und kam nach Beerseba; und er opferte Schlachtopfer dem Gott seines Vaters Isaak'. Das ist bemerkenswert. Weshalb diese Schlachtopfer zu Beerseba? Bei der Abreise von Mamre hatte es keine gegeben. Weshalb also macht Jakob in Beerseba Halt und dient dort dem Gott Isaaks? Dies mag auf den ersten Blick unsere Ver­wunderung erregen, doch wir werden finden, daß es nur zu gewöhnlich (fast hätte ich gesagt, notwendig) in den Wegen des Volkes Gottes ist.

 

Die Natur war in Jakob in Tätigkeit getreten, sobald er die Erzählung über Joseph glaubte, und sie hatte ihn sofort auf den Weg nach Ägypten gebracht. Aber jetzt erwachten die geistlichen Gefühle und ziehen die Entschließungen und die Handlungsweise der Natur zur Rechenschaft. Das kommt sehr oft vor. Der gläubige Jakob hat jetzt ein Gefühl der Zurück­haltung, das der Vater Jakob nicht gehabt hatte. Jakob hatte nicht mit dein Herrn beraten, als er diese Reise begonnen hatte, aber der Sinn Christi in ihm bekommt jetzt die Oberhand, und das Urteil der Natur wird geprüft, und zwar geprüft im Lichte des Herrn.

 

Viele Jahre vorher hatte der Herr zu Isaak gesagt: "Ziehe nicht hinab nach Ägypten" (Kap. 26, 2), und zwar in einer Zeit der Hungersnot, wie die gegenwärtige war. Und daran erinnerte sich Jakob, als er Beerseba, den letzten Ort im Süden des Landes, erreichte, der auf dem Wege nach Ägypten lag, und von wo aus sich ihm ein Blick in jenes Land darbot, vor dem Isaak so bestimmt gewarnt worden war.

 

Diese Erwägungen verleihen den Opfern Jakobs, die er dem Gott seines Vaters Isaak darbrachte, eine tiefe sittliche Be­deutung. Es ging ohne Zweifel eine mächtige Bewegung in Jakobs Seele vor, die dem Herrn überaus wohlgefällig war. Wir finden etwas ähnliches in den Tagen der Belagerung Samarias. Die armen Aussätzigen außerhalb der Stadt denken zunächst nur daran, sich selbst zu sättigen und in den Zelten der Syrer für sich zu plündern. Das war naturgemäß. Sie konnten kaum anders handeln. Aber bald nachher beginnt eine andere Gesinnung sich in ihnen zu regen, wie hier in unserem Patriarchen, und sie sagen: "Wir tun nicht recht. Dieser Tag ist ein Tag guter Botschaft; schweigen wir aber und warten, bis der Morgen hell wird, so wird uns Schuld treffen. Und nun kommt und laßt uns hineingehen und es im Hause des Königs berichten" (2. Kön 7). Eine bessere Gesinnung begann in ihnen zu tagen, ähnlich der Regung in der Seele unseres Patriarchen. Und dieses Erwachen Jakobs ist vor dem Herrn so wohlgefällig, daß Er sogleich mit den tröstlichen Worten zu ihm kommt: "ich bin Gott, der Gott deines Vaters; fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen; denn zu einer großen Nation will ich dich daselbst machen. Ich will mit dir nach Ägypten hinabziehen, und ich will dich auch gewißlich heraufführen; und Joseph soll seine Hand auf deine Augen legen

 

Welch eine Mitteilung! Wie zeigte sie unserem Patriarchen, daß der Herr in seinem Herzen alles gelesen hatte, sowohl ,seine jetzigen Befürchtungen, als auch seine früheren Gefühle: die Gesinnung des Vaters und die Gesinnung des Heiligen, die Wünsche der Natur und die Regungen des Geistes. Die Worte: "Fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen", beschwich­tigten die Unruhe seiner erneuerten Gesinnung, und die Ver­heißung: "Joseph soll seine Hand auf deine Augen legen", befriedigte die Wünsche seines Vaterherzens betreffs seines lange verlorenen Kindes. Wie herrlich und vollkommen war das alles! Wie bewies es die Wirklichkeit des Mitgefühls des Herrn mit allem, was sich in Seinem Auserwählten regte! Jakob fand in Ihm Barmherzigkeit und Gnade zur rechtzeitigen Hilfe. "Als mein Geist in mir ermattete, da kanntest du meinen Pfad", sagt David in späteren Tagen, und sicherlich wurde hier von Jakob dasselbe gefühlt und verstanden. Sein Seufzen hatte in seiner ganzen Bedeutung das Ohr Dessen erreicht, der das Herz erforscht. Und danach kann Jakob sich nicht länger in Beerseba aufhalten, noch seine Weiterreise nach Ägypten in Frage ziehen.

 

Er vollendet sie, und der erste Anblick Josephs wird, wie wir erwarten dürfen, zu einer Gelegenheit der völligsten Freude für sein so lange beraubtes Herz. Ich möchte hier bemerken, daß Jakob in seinen letzten Jahren den Eindruck eines sehr liebe­vollen alten Mannes macht, und das ist ein weiterer Beweis von dem verbesserten Zustand seines Herzens. Denn ein berechnender Mann, wie Jakob in seinem früheren Leben ge­wesen war, denkt gewöhnlich wenig an die Bedürfnisse und Wunsche anderer. Er hat naturgemäß sich selbst zuviel zum Gegenstand. Doch mit Jakob ist es jetzt nicht mehr so. Sein Kummer bei dem Verlust Josephs war tief. Ebenso bitterlich beweint er Simeon, und er will lieber die Schrecken der Hun­gersnot ertragen, als sich der Möglichkeit des Verlustes noch eines seiner Kinder aussetzen. Die Adoptierung der Söhne Josephs, sein Mitgefühl mit Joseph bei dessen Betrübnis wegen der Bevorzugung des jüngeren, seine Bezugnahme auf Rahel und ihr Begräbnis zu Bethlehem, seine Erwähnung Leas, sowie seiner Väter und ihrer Frauen in Verbindung mit Machpela, ‑alles das kommt ebenfalls aus einem liebevollen Herzen. Und der allgemeine Schmerz, den sein Tod hervorruft, zeigt uns, daß er bei seiner Umgebung ein geliebter und liebevoller alter Mann gewesen war.

 

Doch beidem allem finden wir, daß er in seiner Person und Handlungsweise in Ägypten der zurückgezogene Mann blieb, der er vordem jahrelang in Kanaan gewesen war, obwohl starke Versuchungen zu einem anderen Verhalten an ihn her­antraten. Er hielt an seiner Fremdlingschaft fest, obwohl er jetzt Gelegenheit hatte, die Erde wiederum zum Schauplatz seiner Anstrengungen und Erwartungen zu machen. Wir haben es gern, wenn die Würde eines der Unsrigen auch auf uns ihre Strahlen fallen läßt. Wenn wir der Natur freien Lauf lassen, so werden wir sicher aus unserer Verwandtschaft und unseren Verbindungen möglichst viel Nutzen zu ziehen suchen. Ach! wie gern redet man vor anderen von seiner Verbindung mit irgend jemand, der in dieser Welt hoch angesehen ist! Jakob hatte in Ägypten die allerbeste Gelegenheit, sein Herz in dieser Hinsicht zu befriedigen. Sein Sohn war damals der Stolz des Landes. Joseph war der zweite Mann in dem Königreich, und Joseph war Jakobs Sohn. Hierin lag eine Versuchung für Jakob, an die Öffentlichkeit zu treten und sich der Welt zu zeigen. Würden sich nicht aller Augen auf ihn, den Vater Josephs, gerichtet haben? Würde man ihm nicht Platz gemacht haben, wann und wo er nur erschienen wäre? Der Geist der Welt muß ihm das zugeflüstert haben, wie lange nachher zu einem Größeren als Jakob, der nicht erborgte sondern lauter persönliche Herrlichkeiten zur Schau zu stellen hatte, gesagt wurde: "Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt" (Joh 7, 4). Aber in dem Geist eines Menschen, der in seiner Weise die Welt überwunden hat, bleibt Jakob während der ganzen siebzehn Jahre seines Aufenthaltes in Ägypten ein zurückgezogener Mann. Er bleibt da ein Fremdling, wo sich alles vereinigte, um ihn zu veranlassen, ein Bürger zu werden.

 

So weit ich es zu verstehen vermag, ist dies eine auserlesene Frucht eines gezüchtigten Herzens, eine Frucht göttlicher Zucht, der Beweis eines weitgehenden Teilnehmens an der Heiligkeit Gottes, einer Heiligkeit, die der Berufung Gottes geziemte, denn diese Berufung hatte Jakob zu einem Fremdling und Pilgrim auf der Erde gemacht. In Sichem erinnerte Jakob uns leider an Lot in Sodom, aber hier erinnert er uns an Abraham in seinem Siege über alle Anerbietungen des Königs von Sodom.

 

Doch in Verbindung mit dieser Trennung von der Welt finden wir nichts von falscher Demut und Erniedrigung. Obwohl Jakob seiner Fremdlingschaft einen so offenbaren, praktischen Ausdruck gibt, kennt er doch seine Würde vor Gott und legt sie auch an den Tag. Wenn er ver den Pharao tritt, und wenn er ihn wieder verläßt, segnet er ihn (Kap. 47). Das ist be­achtenswert. Wohl bekennt er sich in der Gegenwart des Königs als einen Fremdling auf der Erde, und sogar als einen armen und müden Pilgrim, aber doch segnet ‑er ihn bei seinem Eingang und Ausgang, wie einer, der weiß, was er durch die Auserwählung und Gnade Gottes ist, denn "ohne allen Wider­spruch wird das Geringere von dein Besseren gesegnet". Er fordert nichts von dem König, obgleich er die Erfüllung aller seiner Wünsche sicher erwarten konnte. Er verhält sich schwei­gend und ablehnend gegenüber allem, was der Pharao oder Ägypten für ihn tun konnte, aber er redet als ‑der Bessere, der den Geringeren wieder und wieder segnet. Sein Verhalten gleicht dem Verhalten des gebundenen Paulus vor den römi­schen Großen und Würdenträgern. Den König Agrippa und alle, die bei ihm waren, läßt der Apostel wissen, daß er, ihr Gefangener, das gute Teil besitzt und daß er ihnen allen nichts besseres wünschen kann, als daß sie werden möchten wie er. Das ist Glaube, und fürwahr ein kostbarer Glaube, mag er sich nun in einem gefangenen Apostel oder in einem als Fremd­ling weilenden Patriarchen finden. Er verherrlicht die Gnade, und das ist die eigentliche Beschäftigung des Glaubens. Rom und Ägypten besitzen den Reichtum und die Macht der Welt, nach denen die Menschen eifersüchtig begehren, und die sie rühmen. Paulus und Jakob aber tragen ein Geheimnis in sich, das sie eine völlig andere Sprache reden läßt.

 

Das ist sehr bedeutungsvoll bei unserem Jakob. Die Herrlich­keit ist in einem irdenen Gefäß verborgen, aber sie ist da, und das Gefäß weiß, daß sie da ist. Jakob tut nichts in Ägypten, um seinen Namen in der Geschichte der Welt bekanntzu­machen. Er bekümmert sich weder um Ägypten, noch um das, was darin vorgeht. Er kennt aber ein Geheimnis, das seinen Geist über das Land und dessen Bewohner erhebt. Andere mögen in Ägypten grünen und gedeihen. Er bringt nur den Rest seiner Jahre dort zu (siehe Kap. 47, 27. 28).

 

Müssen wir nicht diesen Weg des Geistes Gottes mit Jakob bewundern? Zu einem Leben, wie das seinige gewesen war, paßte ein solches Ende durchaus. Es ist allerdings betrübend, eines solchen Ruhepunktes am Ende der Reise zu bedürfen, aber wenn er erforderlich ist, so ist es wenigstens schön zu sehen, daß er in dieser Weise fruchtbringend ist. Während der langen Bearbeitung seiner Seele durch den "Vater der Geister" im Laufe jener siebzehn Jahre in Ägypten saß Jakob, wie ich anzunehmen wage, zu den Füßen des Herrn und überdachte mit einiger Beschämung des Angesichts die hinter ihm liegende Zeit, und damit begann die Läuterung in seiner Seele.

 

Doch als jene stillen und zurückgezogenen Jahre sich ihrem Ende nahten, finden wir ihn auf einmal rührig und eifrig. Er redet mit Joseph bezüglich seines Begräbnisses. Er verlangt von ihm nicht nur das Versprechen, sondern auch den Schwur, daß er ihn in dem Lande seiner Väter begraben wolle (Kap. 47, 30). Auch das ist sehr schön. Wir hören nicht, daß er im Blick auf die Umstände seines Lebens in Ägypten je besorgt gewesen wäre. Er ist bereit, das zu nehmen, was man ihm gibt, und das zu sein, was man aus ihm macht. Aber wenn es sich um sein Begräbnis handelt, so tritt er mit aller Entschiedenheit auf. Er will es mit einem Eide bekräftigt haben, daß sein Sohn seinen Leichnam in das Land bringen werde, das die von Gott zu ihm geschehene Verheißung bezeugte. Er ist jetzt so eifrig und bestimmt, wie er vorher unbekümmert und gleichmütig ge­wesen war. Denn der Glaube will seinen Rechtstitel gern deut­lich, vollständig und unverletzlich sehen. Abraham wollte das Erbteil durch einen Bund zugesichert haben, rächt nur durch ein Wort (Kap. 15), und Jakob verlangt jetzt von Joseph, daß er ihm ein Begräbnis, wie es mit den Hoffnungen eines Kindes Abrahams im Einklang stand, nicht nur verspreche, sondern auch eidlich zusichere.

 

Alles das zeigt uns einen anderen Jakob, als wir ihn früher kennengelernt haben. Er ist jetzt ein Teilnehmer der Heilig­keit Gottes. Seine Gesinnung und sein Charakter sind in Übereinstimmung mit der Berufung Gottes. Er ist ein Fremd­ling mit Gott auf der Erde, aber er steht in der sicheren und gewissen Hoffnung des verheißenen Erbes. Das ist nicht Dienst, aber es ist eine schöne Frucht in dem inneren Men­schen.

 

In dem folgenden Kapitel 48 begegnen wir jener einen Hand­lung in seinem Leben, die durch den Geist als eine Handlung des Glaubens gekennzeichnet wird. (Vergl. Hebr 11, 21). Doch das ganze Kapitel ist schön. Auf seiten Gottes ist alles Gnade, und in dem Herzen Jakobs alles Glaube. Der Glaube in Jakob nimmt die Entscheidungen an, welche die Gnade Gottes trifft. Die Gnade nimmt die Söhne Josephs, die nach dem Fleische kein Anrecht hatten, zu Kindern an und gibt ihnen den Platz und das Teil des Erstgeborenen, das doppelte Teil, als ob sie Ruben und Simeon wären. Die Gnade stellt den jüngeren über den älteren. Und die Gnade auch gibt Joseph, oder dem zum Erstgeborenen Angenommenen, ein Unterpfand seines zu­künftigen Erbteils (V. 22). Diesem allem unterwirft sich Jakob und ist gehorsam. Im Glauben erkennt er die Entscheidungen der Gnade an. Die Natur mag sich dagegen sträuben, aber Jakob ist dem ihm anvertrauten Wort der Gnade treu. Joseph war bewegt, als Jakob Ephraim über Manasse stellte. Jakob fühlte mit ihm, aber er erfüllte das ihm übertragene Wort Gottes, mag auch die Natur in Joseph dadurch überrascht oder verwundet werden. Lange Jahre vorher hatte er bei einer ähn­lichen Gelegenheit auf die Stimme der Natur in seiner Mutter Rebekka gelauscht, aber jetzt hört er nicht mehr auf sie.

 

Es ist wirklich schön zu sehen, wie der Glaube so die Ent­scheidungen der Gnade annimmt. Doch in allem diesem war Jakob auch Gottes Mund. Er war nicht allein dem Vorsatz und Ratschluß der Gnade gehorsam, sondern wurde auch von Gott als ein Gefäß Seines Hauses benutzt, um Seine Gedanken aus­zulegen und Seine Vorsätze in diesen Geheimnissen der Gnade: die Sohnschaft, das Erbteil und das Unterpfand, dar­zustellen. Und da dieses Gefäß sich so tauglich für den Ge­brauch des Hausherrn erweist, wird es noch weiter benutzt. Im Kapitel 49,dient Jakob immer noch als der Mund Gottes, als Verkünder Seiner Aussprüche. Er ruft seine zwölf Söhne herbei und segnet sie. Unter der Leitung des Geistes spricht er die Worte und Urteile Gottes über sie aus. Doch dieser Augen­blick stellte ihn auf eine harte Probe. Er kostete ihn weit mehr als alles bisher Dagewesene. Bei der Bevorzugung Ephraims hatte er nicht auf die Stimme der Natur in seinem Sohn ge­achtet, jetzt aber darf er dieser Stimme in sich selbst kein Gehör schenken. Er geht durch diese schmerzliche und demü­tigende Szene, indem er ihre Bitterkeit ohne Zweifel wieder­holt fühlt, aber er geht bis zum Ende hindurch. Er muß jetzt unter der Leitung des Geistes und als der Mund Gottes die Wege seiner Söhne in den vergangenen Tagen wieder durch­gehen und die Frucht dieser Wege in der Zukunft schildern.

 

Vieles konnte er gewiß nur mit einem verwundeten Herzen und mit Erinnerungen aussprechen, die sehr demütigend für ihn selbst war en. Denn diese Worte über seine Söhne waren eine Art Gericht über ihn selbst wegen seiner früheren Sorg­losigkeit betreffs seiner Kinder. Aber trotz allein geht er voran und beendigt seinen Dienst als Verkünder der Aussprüche Gottes, und zwar mit Gefühlen und Gesinnungen, die uns neue Beweise von seinem gereinigten Seelenzustand geben.

 

Levis und Simeons Missetat kommt vor ihn, aber er empfindet sie jetzt in einer Weise, von der wir an dem Tage, da sie begangen wurde, keine Spur in ihm wahrnehmen. Damals beunruhigte sie ihn wegen des Unheils, das sie ihm möglicherweise von seiten seiner Nachbarn bereiten konnte. "Ihr habt mich in Trübsal gebracht“, sagte er, "indem ihr mich stinkend machet unter den Bewohnern des Landes, unter den Kanaanitern und unter den Perisitern. Ich aber bin ein zähl­bares Häuflein, und sie werden sich wider mich versammeln und mich schlagen, und ich werde vertilgt werden, ich und mein Haus" (Kap. 34, 30). Das war seine Gesinnung, während er sich als Bürger zu Sichem befand. Aber jetzt steht er auf einem weit höheren und reineren Boden. Seine Seele verwirft die Missetat selbst. Die Söhne hatten eine traurige Sünde be­gangen. Das genügt, und er will nicht, daß seine Ehre sich damit vereinige.

 

Wenn er dann seine Augen auf die Unreinigkeit Rubens rich­tet, so ist er tief betroffen. Und wenn endlich die Abtrünnig­keit Dans vor ihn kommt so gerät seine ganze Seele in Be­wegung, und er nimmt seine Zuflucht zu der Hoffnung auf die Rettung Jehovas. "Dan wird eine Schlange sein am Wege, eine Hornotter am Pfade, die da beißt in die Fersen des Rosses, und rücklings fällt sein Reiter. Auf deine Rettung harre ich, Jehova!"

 

Welche Gefühle finden wir hier, welch eine Kraft war vor­handen! Wie schön erfüllt dieses Gefäß seinen Dienst in dem Hause Gottes. David fühlte auch mehr als Kummer bei dem Verlust Absaloms. Die Ermordung seines Sohnes brachte ihm seine Sünde ins Gedächtnis zurück. Und hier wird Jakob in die Ratschlüsse Gottes eingeweiht, indem er völlig und persönlich mitleidet und sein eigenes Teil erhält in Erinnerungen, die sein Gewissen tief berührt haben müssen. Der sterbende Patriarch kündigte nicht nur diese Urteilssprüche Gottes an, sondern er fühlte sie auch. Er war nicht bloß ein Gefäß, sondern ein leben­diges Gefäß. Und er war Dem treu, Der ihn zu Seinem Dienst bestimmt hatte, mochte der Dienst auch voll Demütigung und Bitterkeit für ihn sein.

 

Wir haben Jakob "eine Zeitlang stumm" gesehen. Das war der Charakter mancher Jahre unseres Patriarchen gegen das Ende seines Lebens hin. Aber jetzt ist sein Mund durch den Glauben geöffnet, und einmal geöffnet, gebraucht Gott ihn in reichern Maße, um Seine Aussprüche zu verkünden. Ähnliches finden wir bei Zacharias in Lukas ‑1. Dieser war auch, wie wir wissen, eine Zeitlang stumm. Aber im Glauben schrieb er seines Kindes Namen auf eine Tafel, und dann benutzte ihn der Herr als Seinen Propheten.

 

Hiermit endet die Geschichte Jakobs. Ich denke, daß wir die Nutzanwendung für uns aus ihr gezogen haben. Die Wege des Herrn mit Jakob zeigen uns, wie unermüdlich Er allezeit mit Seinen törichten und verkehrten Kindern beschäftigt ist. In dieser beständigen inneren Bearbeitung sehen wir sowohl Mannigfaltigkeit als Geduld. Jakob hatte verschiedene Auf­gaben zu lernen, und Der, mit Dem er es zu tun hatte, setzte Sich gleichsam in geduldiger Gnade hin, um sie ihn alle zu lehren. Bethel, Pniel, dann wieder Bethel und endlich Beerseba bezeugen dies, wie wir gesehen haben. Und während eines wechselvollen Lebens zu Hause und in der Ferne, in der Jugend und im Mannesalter, unter Fremden und an der Seite seiner Eltern, zeigt Jakob vieles, was eine Züchtigung nötig machte, und immer aufs neue wird er über dieselbe Aufgabe belehrt.

 

Dies erinnert uns an die jünger in den Tagen des Herrn. In wie mannigfacher Weise mußte der Herr sie zurechtweisen und belehren! Und am Ende war es noch so wie im Anfang, aber die Geduld ihres göttlichen Lehrers blieb ebenfalls gleich bis ans Ende. Die Unwissenheit und Selbstsucht, welche die     Jünger verrieten, die fortwährenden Fehler, die sie machten, die mancherlei Wege, durch die sie der Gesinnung ihres Mei­sters. zuwider handelten, alles das verherrlicht die Gute, die sie leitete. Es erinnert uns auch an Den, Welcher das Ver­halten Israels in der Wüste vierzig Jahre lang ertrug. Und es mag auch uns selbst die viele Geduld und Gnade ins Gedächt­nis rufen, die wir täglich von derselben Hand erfahren.

 

Wie wir bei Beginn dieser Betrachtung sagten und in ihrem Verlauf gesehen haben, wird uns in Jakob die Zucht eines Kindes dargestellt. Und Zucht ist heilsam und tut gut wie Arznei! Wenn wir sie nötig haben, ist sie das einzig Richtige für uns. Als in den Tagen Samuels Israel einen König forderte, würde es da gut für sie gewesen sein, wenn der Herr ihnen einen David gegeben hätte? Der Herr hatte David für sie im Rückhalt, aber würde es wohl an der Zeit, würde es heilsam für sie gewesen sein, wenn David ihnen gleich gegeben wor­den wäre, als sie mit einem aufrührerischen Willen nach einem König verlangten? Keineswegs. Sie mußten vielmehr erst zur Erkenntnis der Bitterkeit ihres eigenen Weges gebracht wer­den. Ein Saul muß gegeben werden, wenn Israel einen König fordert. Das war Zucht, und es war das einzige, was heilsam für ‑,sie sein konnte. Aber wenn sie die Bitterkeit ihres eigenen Weges geschmeckt haben, dann holt der Herr in gnädigem Erbarmen das hervor, was Er für sie im Rückhalt hat: einen Mann nach Seinem Herzen, der Sein ganzes Wohlgefallen tun wird.

 

Wie vollkommen ist das alles! Die Liebe ist immer die Liebe, mag sie nun Zucht ausüben oder Trost spenden, Arznei dar­reichen oder Nahrung geben. Und dies ist die besondere Unter­weisung, die uns in der Geschichte unseres Patriarchen gegeben wird.

 

Mit Machpela und seinem Begräbnis endigt Jakob seine letzten Unterredungen mit seinen Söhnen, wie er sie damit begonnen hatte (Kap. 47, 29; 49, 29). Er besaß bereits Josephs eidliche Zusage betreffs der Überführung seines Leibes nach Kanaan, aber jetzt legt er noch einmal allen dieselbe Verpflichtung auf. Der Tod war wichtiger für Jakob als das Leben. Das Leben hielt ihn in Ägypten fest, der Tod sollte ihn wieder nach Kanaan bringen. Der Tod vereinigte ihn mit dem Gott und den Verheißungen seiner Väter. Die Hoffnungen des Glaubens lagen jenseits des Lebens und außerhalb Ägyptens. Im Geiste sagte er gleichsam: "ich möchte lieber ausheimisch von dein Leibe und einheimisch bei dem Herrn sein" (vergl. 2. Kor 5, 8). Soweit der Glaube eines Patriarchen dies ausdrücken konnte, sprach Jakob es aus. Und am Schluß lesen wir: "Als Jakob geendet hatte, Seinen Söhnen Befehle zu geben, zog er seine Füße aufs Bett herauf und verschied, und wurde versammelt zu seinen Völkern".

 

Es war sicher keine dürre und unfruchtbare Zeit, die er in Ägypten zugebracht hatte. Obwohl die Geschäftigkeit des Lebens für ihn und seine Hände vorüber war, so verrostete er doch nicht, wie wir das von Isaak sagen mußten. Wir sehen mit Freude, daß seine letzten Tage seine besten waren, und wir freuen uns noch mehr über die Gnade, die seiner Reise ein solches Ende bereitete.

 

Es ist in der Tat köstlich für alle Auserwählten Gottes, hier eine solche Probe (wenn ich es so nennen darf) von göttlicher Geduld, Weisheit und Güte vor sich zu haben. Sie nimmt wirklich einen besonderen Platz ein unter all den mannig­faltigen Formen und Charakterzügen, welche die Gnade in bezug auf die Bedürfnisse der Heiligen annimmt. Jakobs letzte Tage waren seine goldenen Tage. Für andere mag Ägypten ein Land Gosen gewesen sein wegen ihrer Herden. Für Jakob war es das nicht. Für seine Seele aber war es das reichste, schönste und am besten bewässerte Land, dessen sich sein Geist je erfreut hatte. Es war für ihn noch wirklicher die Pforte des Himmels, als Bethel es gewesen war, und er befand sich hier mehr vor dein Angesicht Gottes, als einst zu Pniel. Er hatte hier den Herrn im verborgenen und in der Stille bei sich, aber in wirklicher, lebendiger Kraft. Inmitten von dem, was ihm die Erde hätte heimisch machen können, war er ein Fremdling. In Ägypten war Jakob ein befreiter und von allem losgemach­ter Mann, so wie er von Anfang an und auf dem ganzen Wege ein Auserwählter und Berufener gewesen war.

 

Joseph

 

1. Mose 37‑50

 

,Durch Glauben gedachte Joseph sterbend des Auszuges der Söhne Israels und gab Befehl wegen seiner Gebeine' (Hebr 11, 22).

 

Von Kapitel 37 des 1. Buches Mose ab bildet Joseph die Haupt­person und bleibt es auch bis ans Ende des Buches. Seine Ge­schichte hat, wie alle anderen in diesem Buche, ihren beson­deren Platz, ihr eigenes Geheimnis und ihre charakteristische Nutzanwendung. In Abraham wurde, wie wir gesehen haben, die Auserwählung dargestellt, in Isaak die Sohnschaft oder die Annahme des Auserwählten zum Sohne, und in Jakob die Zucht des zum Sohne Angenommenen. In Joseph nun tritt die Erbschaft vor unsere Augen.

 

Das alles ist in göttlicher Ordnung. Und in Übereinstimmung mit dem Gesagten finden wir bei Joseph, daß der Herrlichkeit oder der Ererbung des Reiches Leiden vorangehen, sodaß sich das Wort des Apostels bestätigt: "wenn aber Kinder, so auch Erben ‑ wenn wir anders mitleiden, auf daß wir auch mit­verherrlicht werden". Denn während Zucht unser Teil als Kinder ist, müssen wir durch Leiden gehen, bevor wir unser Erbe antreten, und das zeigt uns den Unterschied zwischen Jakob und Joseph. Bei Jakob sahen wir Zucht, und zwar eine Zucht, die ihn als Kind, unter der Hand des Vaters der Geister, der Heiligkeit Gottes teilhaftig werden ließ. Bei Joseph finden wir Leiden, Leiden eines Märtyrers, Leiden um der Gerechtig­keit willen. Leiden bezeichnen seinen Pfad zur Herrlichkeit.

 

Dies ist die Krönung des Gebäudes, und darum kommt es erst am Schluß dieses wunderbaren Buches, das sich auf diese Weise als ebenso vollkommen in seiner Zusammenstellung erweist, wie es in seinen Erzählungen wahr ist. Eine Beleh­rung nach der anderen wird behandelt, ein Geheimnis nach dem anderen wird enthüllt in den ungekünstelten Familien­szenen, die den Stoff dieses Buches bilden, und in ihnen lernen wir unsere Berufung, die Ursprünge und Ausgänge unserer Geschichte, kennen, von der Auserwählung bis zum Antritt des Erbes.

 

Dagegen gibt es in diesem Buche kein Gesetz. Wir werden in Römer 5, 13 darüber belehrt. Indes hätte unser Gefühl uns das auch schon sagen können, denn in der Verwaltung der Zeiten bildet die Zeit dieses Buches gleichsam das Zeitalter der Kindheit. Die Auserwählten waren wie Kinder, die nie die Heimat verlassen hatten, noch jemals unter einem Zuchtmeister gewesen waren.

 

Ebensowenig gab es Wunder, ich meine Wunder, die durch die Hand des Menschen gewirkt wurden. Denn Kraft würde nicht besser zu solchen Händen gepaßt haben, als das Gesetz oder ein Zuchtmeister zu einem solchen Zeitabschnitt. Ferner gab es weder eine Mission noch eine Apostelschaft zu be­siegeln. Wunder und Zeichen waren als Beglaubigung einer Sendung nicht erforderlich. Aber sobald wir dieses Buch ver­lassen und in das 2. Buch Mose eintreten, finden wir eine Mission oder eine Apostelschaft, und dementsprechend auch sofort Wunder, um die Sendung zu beglaubigen.

 

So ist die Abwesenheit dessen, was wir nicht finden, ebenso passend wie das Vorhandensein dessen, was wir finden. Weder Kraft noch Gesetz würden der Zeit entsprechend gewesen sein und darum finden wir weder das eine noch das andere.

 

Doch gehen wir jetzt zur Betrachtung der Geschichte Joseph oder der Kapitel 37‑50 unseres Buches über.

 

Die Gegenstände, die wir in diesen Kapiteln finden, lassen sich in vier Teile einteilen:

 

1. Die früheste Zeit Josephs im Hause seines Vaters im Lande Kanaan.

 

2. Sein Leben als ein Abgesonderter in Ägypten.

 

3. Seine Wiedervereinigung mit seinem Vater und seinen Brüdern sowie die Folgen dieser Wiedervereinigung.

 

4. Seine letzte Zeit im Lande Ägypten bis zu seinem Tode.

 

Das ist in kurzem der Inhalt der Geschichte Josephs. Die Art und Weise, in der sie erzählt wird, hat zu allen Zeiten die Teilnahme und die Gefühle Tausender von Herzen erweckt.

 

I

 

Gleich bei Beginn der Geschichte erblicken wir in Joseph den Erben. Seine Träume haben die Herrlichkeit zum Gegenstand. Aber ebenso schnell bringt die Wirklichkeit ihm Leiden.

 

Die Erzählung beginnt mit der Stellung Josephs als Zeuge an und gegen seine Brüder. Er erzählt seinem Vater ihre bösen Taten und ihnen selbst teilt er seine Träume mit. Ich kann ihn in beidem nicht tadeln. Ich sage nicht, inwieweit die Natur ihn bei diesen Handlungen befleckt haben mag, aber die Zeug­nisse selbst geschahen, wie ich glaube, unter göttlicher Auto­rität. Es hat Einen gegeben, Der in allem vollkommen war, in allem, was Er tat oder sagte, und Er zeugte gegen die Welt und von Seiner eigenen Herrlichkeit. Ein Mangel in betreff des passenden Augenblicks oder des richtigen Maßes mag diesen Dienst bei Joseph befleckt haben, denn eine Handlung, die nicht zur passenden Zeit geschieht oder über das rechte Maß hinausgeht, bringt, obwohl sie an und für sich richtig sein mag, Befleckung mit sich. Ein Gefäß im Hause des Herrn hat den Schatz, der in ihm ist, zu Zeiten zu verbergen und sollte wissen wann, wo und wie er benutzt werden muß. David hatte das Öl Samuels, die Salbung des Herrn, auf sich, und er wußte, daß das Königtum ihm gehören sollte, aber er verbarg seine Herrlichkeit, bis Abigail sie durch den Glauben erkannte. Und hierin mag David Joseph übertroffen haben. Aber daß Joseph erzählte, was der Geist ihm in seinen Träumen oder Gesichten mitgeteilt hatte, war von Gott.

 

Seine Leiden waren eine Folge davon. Der Herr bezeichnet ihn als den Erben der Herrlichkeit. Joseph spricht von der Gunst die ihm zuteil geworden war, und von dem hohen Vorsatz Gottes betreffs seiner, und seine Brüder hassen ihn. Sie be­neiden ihn, und wer kann dein Neid gegenüber bestehen? Sie hatten ihn schon wegen der Liebe seines Vaters beneidet, und jetzt hassen sie ihn wegen der Gunst Gottes. Sie hassen ihn um seiner Worte und seiner Träume willen, und als sie zu­sammen auf dem Felde waren (wie vor alters Kain und Abel), beratschlagen sie, ob sie ihn töten oder in eine Grube werfen oder an Fremde verkaufen sollen.

 

Und das geschah zu einer Zeit, als er ihnen diente. Er war weither gekommen, um sich nach ihrem Wohlergehen zu er­kundigen und ihnen einen Segen aus dem Vaterhause samt den Grüßen ihres Vaters zu überbringen und dem Vater Ant­wort von ihnen zurückzubringen. Ein solcher Augenblick war eine passende Gelegenheit für sie. Sie nehmen ihn nicht auf als den Überbringer guter Nachrichten, sondern empfangen ihn mit den Worten: "Siehe, da kommt jener Träumer!" "Dieser ist der Erbe" (Mt 21, 38) ‑ das war der Sinn ihrer Worte. Aus Neid überliefern sie ihn. Wegen seiner Liebe sind sie seine Feinde, und schließlich verkaufen sie ihn an die Isma­eliter für zwanzig Silbersekel.

 

Diese allen Brüdern Josephs gemeinsame Feindschaft mag sich nicht bei allen in gleicher Stärke offenbaren, aber alle stehen auf einem Boden, sind von einem Geschlecht. Ruben war Jakobs Erstgeborener, und wir dürfen annehmen, daß er sich seinem alten Vater gegenüber betreffs des Knaben für ver­antwortlicher hielt als die übrigen. Er rettet Joseph vom Tode. Juda schlägt vor, ihn den Ismaelitern zu verkaufen, anstatt ihn in der Grube zu lassen. So gibt es wohl ein verschiedenes Maß bei der allen gemeinsamen Feindschaft, wie die einen auch von Jesu sagten: Er ist gut, andere: "Nein, sondern Er verführt die Volksmenge'; oder wie in dem Gleichnis von "der Hochzeit des Königssohnes" die einen auf den Acker gingen, andere an den Handel, während wieder andere die Knechte ergriffen und töteten. Aber der Herr betrachtet sie alle als ein Geschlecht, indem Er sagt. die übrigen aber ergriffen seine Knechte, mißhandelten und töteten sie". Der Richter der gan­zen Erde wird sicherlich Recht tun, und die Sünden werden dem einen viel, dem anderen wenig Schläge einbringen, aber die Welt ‑hat Jesum verworfen, und die Welt ist die Welt. So auch hier: Alle sind die schuldigen Brüder Josephs, und er wird infolge ihrer Ratschläge und ihres gemeinsamen Hasses an die Ismaeliter verkauft und von diesen auf den Markt nach Ägypten gebracht, um dort mit Gewinn weiter verkauft zu werden.

 

Was dabei am meisten unseren Unwillen erregt, ist ihre Ge­fühllosigkeit, und gerade das ist es auch, was der Prophet Amos unter der Leitung des Heiligen Geistes so feierlich be­tont, wenn er von solchen spricht, "die sich nicht grämen über die Wunde Josephs' (Kap. 6,6). Und auch wir mögen heutigen­tags wohl unser Teil von dem Tadel des Propheten hinnehmen, denn wir machen uns einer ähnlichen Gefühllosigkeit schuldig, wenn wir willig die Welt lieben können, die den wahren Joseph verwirft. Und was sollen wir sagen, wenn wir auf den gepriesenen Fortschritt von allem in dieser Welt, sowie auf die Kunstfertigkeit blicken, mit der man unaufhörlich sich bemüht, jenes Haus zu fegen und zu schmücken, das mit Jesu Blut befleckt ist? Die elfenbeinernen Betten, der Klang der Harfen, der Wein und die Salbungen mit dem besten 01 sind nie in solchem Überfluß vorhanden gewesen wie in unseren Tagen. Und wenn das Leben in einer solchen Welt unsere Herzen an­ziehen kann, sind wir dann, wie wir es doch sein sollten, dem Kreuze Christi treu? Wahrlich, ein gefühlloses Herz haben wir, und in einer gefühllosen Welt leben wir, und es sind ge­fühllose Brüder Josephs, die wir hier betrachten. Ein jeder weiß das für sich selbst sehr wohl. Und ich wiederhole, gerade diese Gefühllosigkeit ist es, die (wenn ich für andere reden darf) unseren Unwillen erregt, so wie sie auch dem Geist in Amos so überaus anstößig war. Wir sind nicht bekümmert über die Wunde Josephs, wie wir es sein sollten. Wir sind nicht treu gegenüber der Verwerfung Christ1. Bedenken wir es wohl: Weltlichkeit ist Gefühllosigkeit gegen Ihn.

 

Welche Tiefen des Verderbens gibt es doch in uns! Hören wir nur, was die Brüder Josephs taten: sie tauchten den langen Leibrock, den der alte Vater seinem geliebten Kinde hatte machen lassen, in Blut und sandten ihn ihrem Vater mit den Worten: "Dieses haben wir gefunden; erkenne doch, ob es der Leibrock deines Sohnes ist oder nicht". Das ist die Sprache Kains: Bin ich meines Bruders Hüter?" Kain schob die Schuld an Abels Tod dem Herrn zu, indem er durch seine Worte an­deutete, daß der Herr Abels Hüter hätte sein sollen, da Er ja ein solches Wohlgefallen an ihm und seinem Opfer gehabt hatte. So scheinen auch die Worte der Brüder Josephs die Schuld an Josephs Tod auf den betagten Vater zu werfen, der, wenn er Joseph wirklich so liebte, wie das lange Gewand zu sagen schien, besser auf ihn hätte achten sollen, als er es laut des Blutes getan hatte.

 

Wahrlich, welche Tiefen gibt es in dem abtrünnigen, verderb­ten Herzen des Menschen! Wie deckt die Versuchung zuweilen diese Tiefen auf 1 Die Brüder Josephs sündigten in diesem allem gegen ihren betagten Vater und gegen ihren harmlosen Bruder, und zwar zu einer Zeit, als die Liebe des Vaters in Gnade und Segen eine Botschaft an sie gesandt hatte, und die Liebe des Bruders diese Botschaft überbracht hatte. ja, in sitt­licher und vorbildlicher Weise stellten sie jene Personen dar, von denen gesagt wird: "sie gefallen Gott nicht und sind allen Menschen entgegen" (‑1. Thess 2, ‑15).

 

Wahrlich, eine schwarze Tat! Josephs Blut ist auf ihnen, mögen sie es noch so eifrig zu verbergen suchen, und der Tag wird kommen, an dem ihre Sünde sie finden und das Blut an Josephs Rock laut wider sie zeugen wird. Für den Augenblick allerdings geht es ihnen gut. Sie schreiten in ihrer Gottlosig­keit voran, damit sie ihr Maß vollmachen. Der Lauf der Ge­schichte Josephs wird unterbrochen, um uns in Kapitel 38 (während der Trennung Josephs von seinen Brüdern) ein Bild von diesem Zustande zu geben, und wir sehen da in der Tat Abfall und ein völliges Abweichen von dem "Wege Jehovas", in welchem Abraham gewandelt, und in dem zu wandeln er seinen Kindern und seinem Hause nach ihm befohlen hatte. Der heilige Same vermischt sich mit dem Samen der Men­schen. Er entweiht den Bund seiner Väter. Juda handelt treu­los, indem er die Tochter eines kanaanitischen Mannes heiratet.

 

Allerdings wird die Gnade sich noch überschwenglicher er­weisen, aber die Sünde war wahrlich überströmend. Der Weg des Herrn wurde von Juda aufs äußerste verachtet und ver­lassen*). Doch auch hier handelt Gott in Gnade, und Perez, ein zweiter Überlister, wird die Hoffnung Israels, der Stamm­vater des Herrn. Ein Segen ist in der Traube, aber wahrlich, es ist eine Traube von einem wilden Weinstock, die abge­schnitten zu werden verdiente, wenn nicht die unumschränkte, überströmende Gnade sagte: "Verdirb sie nicht, denn ein Segen ist in ihr" (Jes 65, 8; vergl. Mt :1. 3).

______________

*) Vergl. das Kapitel über Isaak.

 

Und wie die Sünde ihres Vaters Juda, so ist auch die Sünde des Volkes Israel, aber auch dieselbe Gnade wird diesem Volke in späteren Tagen widerfahren. Gnade wird dann in der Ge­schichte Israels herrschen, wie sie es jetzt tut in der Person eines jeden Heiligen, der nach dem unumschränkten Wohl­gefallen Gottes auserwählt und als ein Denkmal der erretten­den Macht Christi hingestellt ist.

 

Wir sind auf diese Gnade Gottes in einigen ihrer besonders hervorragenden Offenbarungen vielleicht nicht vorbereitet. Wahrscheinlich sind wir weniger empfänglich dafür, als wir selbst denken. Jona, Ananias und Petrus waren auch nicht darauf vorbereitet. (Vergl. Jona 4; Apg 9 und 10). Wir sind nicht immer Wiegemeister, die in dem Gebrauch der Waagen, Gewichte und Maße des Heiligtums geübt und geschickt sind. Halten wir die Gefühllosigkeit in Kapitel 37 und die Beflek­kung in Kapitel 38, und noch dazu wenn beides vereinigt ge­funden wird, für zu schlecht, um dabei an "Buße und Verge­bung der Sünden" in der Gnade Gottes zu denken? Das sitt­liche Gefühl, das natürliche Gewissen, die Selbstgerechtigkeit, die gesellschaftlichen Regeln und die Urteile der Menschen versehen uns n‑tit falschen Maßen und Gewichten, und wir tragen diese mehr mit uns herum, als wir uns bewußt sind. Aber sie sind ein Greuel (5. Mo 25, 16). Nach unseren Ge­danken sind die Handlungen der Huren und Zöllner schlechter als der gefällige und achtbare Lauf der Welt. Hätten wir die Waage des Heiligtums, so würden wir die Dinge anders wägen. "Was unter den Menschen hoch ist, ist ein Greuel vor Gott'.

 

II

 

 

In den Kapiteln 39‑41, die nach unserer Einteilung den zwei­ten Teil bilden, finden wir das Leben Josephs, während er sich als ein Abgesonderter im Lande Ägypten befand. In die­sem Abschnitt tritt der Anfang seines Tages oder seine Er­höhung vor unser Auge. Vorher jedoch sind wir noch Zeugen seiner weiteren Leiden, und zwar seiner Leiden von der Hand Fremder.

 

Wir denken vielleicht, und in gewissem Sinne ist das auch naturgemäß, daß der Jude in besonderer Weise schuldig sei, soweit es sich um die sittliche Geschichte dieser Welt handelt ‑ in besonderer Weise verantwortlich wegen der Sünde gegen den Herrn. Doch das ist nicht ganz zutreffend. Allerdings hat der Jude einen besonderen Anteil an den Leiden Christi, und als Volk betrachtet befindet sich Israel auch unter einem beson­deren Gericht. Allein der Heide ist, wenn auch unterschieden, so doch nicht verschieden von dem Juden. Der Dienst des Herrn Jesus stellte sowohl "die Welt" als auch "das Seinige" auf die Probe. Die Schrift sagt betreffs des Kreuzes: "In dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit wider deinen ‑heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, sowohl Herodes als Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels' (Apg 4,27). Alle waren schuldig, wie auch der Apostel der Heiden in seiner Lehre sagt, daß "die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei". Juden und Heiden haben sich in gleicher Weise als unter der Sünde erwiesen.

 

Das vorliegende Kapitel deutet dies ebenfalls an. Josephs Trüb­sal, die unter seinen Brüdern begonnen hatte, setzt sich jetzt inmitten der Fremden fort. Seine Brüder hatten ihn schon gehaßt, in die Grabe geworfen und ihn wieder herausgezogen, um ihn als Sklaven zu verkaufen. jetzt klagt ihn eine schlechte Frau in Ägypten fälschlich an und bringt ihn ins Gefängnis, und ein anderer Ägypter, dem er gedient und Freundschaft erwiesen hatte, vergißt und verläßt ihn. Doch wie es auch mit ihm stehen mag, ob er daheim oder in der Fremde ist, Gott ist mit ihm. Das kennzeichnet nunmehr in charakteristischer Weise seine ganze Geschichte. (Vergl. Kap. 39 mit Apg 7, 9. 10). Denn in den Wegen Gottes mit Seinen Auserwählten kommt Sein Mitgefühl zuerst und dann Seine Macht. Sein Mit­gefühl begleitet sie durch die Trübsal, und dann befreit sie Seine Macht aus ihr. Wir sind stets geneigt, augenblicklich Erleichterung zu wünschen und möchten gern jede Unbequemlichkeit und Widerwärtigkeit sofort beseitigt sehen. Doch das ist nicht Seine Handlungsweise. In dem Hause zu Bethanien "weinte Jesus", und erst nachher sagte Er: "Lazarus, komm heraus!" Die Natur würde gern den Tod, der die Tränen her­vorgerufen hatte, verhindert haben. Nach unserer Meinung hätte uns manche Trübsal erspart bleiben können, und unser Verstand zieht den klaren und unwiderleglichen Schluß, daß Gott ja die Macht dazu besessen hätte, gerade so wie die Freunde der Familie zu Bethanien sagten: "Konnte dieser, der die Augen des Blinden auftat, nicht machen, daß auch dieser nicht gestorben wäre“ Aber ihr Urteil war unvollkommen, weil sie nur die eine Seite ins Auge faßten, nämlich die Macht Christi.

 

Wir sollten die Zeit Seines Mitgefühls viel höher schätzen, als wir es gewöhnlich tun. Sie bringt Ihn Selbst uns nahe in einer ganz besonderen Weise. Joseph erfuhr dieses Mitgefühl des Herrn in den Tagen seiner Trübsal in reichem Maße. Wie ge­sagt, die Worte "Gott war mit ihm" kennzeichneten seine Lage' und er erhielt davon Beweise in Fülle. Sobald er im Hause Potiphars ist, gedeiht unter seiner Hand alles, was sein Herr ihm anvertraut. Und ob auch der Schauplatz sich ver­ändern mag, in dieser Beziehung tritt keine Veränderung ein, denn sobald er im Gefängnis ist, lesen wir dasselbe von ihm, wie vorher in dein Hause des Ägypters. Der Oberste der Feste setzt das gleiche Vertrauen in ihn, wie Potiphar es getan hatte, und unter seiner Hand gelingt auch im Gefängnis alles, so daß Joseph ein vollkommenes Zeugnis von Gott hatte, daß Gott für ihn genug war.

 

Für einen solchen Mann war es nicht am Platze, die Hilfe des Herrn für die Hilfe des Geschöpfes aufzugeben. Aber Joseph trachtet nach dem Mitgefühl des Schenken und bittet ihn, seiner zu gedenken und ein gutes Wort bei dem König für ihn einzulegen. Das war ganz natürlich. Joseph hatte dem Schen­ken des Königs einen Freundschaftsdienst erwiesen und dieser war imstande, für ihn das auch zu tun. Wir können deshalb sein Verlangen nach dem Mitgefühl des Schenken weder aus natürlichen und menschlichen, noch selbst aus sittlichen Grün­den verurteilen. Ob es aber Josephs ganz würdig war, so zu handeln, mag dahingestellt bleiben, wie auch, ob es genau der Weg war, den der Glaube ihm angewiesen haben würde*). Und es führte zu nichts. Der Schenke vergißt ihn, wie wir wissen, und er bleibt noch zwei lange Jahre im Gefängnis, denn Gott wollte alles für ihn sein. Hilfe sollte kommen, aber sie sollte von Ihm Selbst kommen. Mit dein Herrn wird der Kum­mer der Nacht sicher der Freude des Morgens weichen, und ehe noch die Zeit der Trennung von seinen Brüdern zu Ende ging, wurde Joseph freigelassen, gesegnet und geehrt. Diese Zeit wurde zur Blütezeit seiner Herrlichkeit.

_________________

*) So war auch seine spätere Handlungsweise ganz natürlich, als er die rechte Hand seines Vaters von Ephraims Haupt wegnehmen wollte. Die Natur recht­fertigte das, aber es war nicht vom Geiste (vergl. das Kapitel Ober Jakob). 50 glaube ich auch hier, daß Joseph einigermaßen auf dem Boden der Natur und nicht völlig auf dem des Glaubens stand.

 

Wahrlich, herrliche Dinge finden wir bei Joseph in dem Zu­stande seiner Absonderung ‑ Dinge, die unsere Gedanken auf Den hinlenken, Der größer ist als Joseph. Ich möchte viererlei besonders hervorheben.

 

Zunächst seine große sittliche Schönheit. Er war ein Nasir, so rein wie Daniel in ähnlichen Umständen, als ein Gefangener unter den Unbeschnittenen, der seine Beschneidung, seine Ab­sonderung für Gott, unverletzt aufrecht erhielt. Sodann die kostbare geistliche Gabe in ihm. Er war ein Gefäß im Hause Gottes, das den Geist Christi besaß und dadurch, wie Daniel, Träume deutete und, obwohl er selbst noch im Zustande der Erniedrigung war, sogar Königen kundtat, was auf der Erde geschehen würde. Ferner ist der Platz zur Rechten der Macht und Würde für ihn. Er erhält seinen Platz in der nächsten Nähe des Thrones und kommt in den Besitz seiner Hilfs­quellen, von denen binnen kurzem seine Brüder, die ihn ver­worfen hatten, sowie die ganze Welt betreffs ihrer Erhaltung auf der Erde abhängig sein sollten. Schließlich finden wir Freude, eine besondere Freude, für ihn bereitet. Der König macht eine Hochzeit für ihn, und er wird das Haupt einer Familie unter den Heiden, und das ist eine Quelle solcher Freude für ihn, daß er in gewissem Sinne, wie die Namen seiner Kinder uns anzeigen, seine Verwandten vergessen und sogar in seiner Trübsal sich freuen kann.

 

Das sind sicher herrliche Dinge, die wir in Joseph finden, während er Von seinen Brüdern getrennt war. Wir erblicken in ihnen den Herrn Selbst in der gegenwärtigen Zeit, der Zeit Seiner Trennung von Israel. Ein Kind könnte die Ähnlichkeit erkennen, und Er, Der Unmündigen und Säuglingen Seine Offenbarungen gibt, hat uns hierin den Weg gezeigt. In den wundervollen Worten des Stephanus in Apostelgeschichte 7 werden Joseph und andere auf einen verwandten Platz und in gleichartige Umstände mit dem Herrn gestellt, Der dort der Gerechte" genannt wird. Und das ist so voll von Interesse, daß wir, wenn auch nur für einen Augenblick, den Faden unserer Betrachtung unterbrechen und auf jene wichtige Stimme des Geistes Gottes horchen wollen.

 

Stephanus erscheint nur vorübergehend im Lauf der göttlichen Geschichte, aber er nimmt einen sehr hervorragenden und aus­gezeichneten Platz ein. Die Gelegenheit, bei der er gesehen wird und handelnd auftritt, ist überaus bedeutungsvoll. Die jüdische Feindschaft vollbrachte wieder eine ihrer schwarzen Taten, und der Gott der Herrlichkeit offenbarte wieder Seine herrlicheren Vorsätze.

 

Stephanus ist ein weiterer Zeuge des Herrn, der von der Erde zum Himmel ging, die Erde eine Zeitlang ihrem Unglauben und Abfall überließ und ein Volk für die himmlischen Örter berief. Auch war die Zeit des Stephanus von neuem eine Zeit der Absonderung. Die Zeit Abrahams war bereits eine solche Zeit gewesen, ebenso die Zeit Josephs, die Zeit Moses und die des "Gerechten", Jesu. Die Umstände der Absonderung von der Verwandtschaft zu Fremdlingen (das ist von der Erde zum Himmel) mögen verschieden sein, aber die Absonderung ist die gleiche. Abraham wurde abgesondert, weil Gott eine ver­derbte Welt ungerichtet ließ, und ungerichtetes Verderben kann Gott nicht zu Seiner Wohnstätte machen, noch erlauben, daß es der Wohnplatz Seiner Auserwählten se1. Die Welt nach der Flut hatte sich verderbt, und der Herr überließ sie ihrem Verderben, indem Er sie nicht durch eine zweite Flut reinigte, und in Übereinstimmung damit wird Er Selbst ein Fremdling in ihr und ruft Seinen Auserwählten mit sich aus ihr heraus. So wurde Abraham ein abgesonderter Mann. Joseph war zu seiner Zeit auch ein solcher, abgesondert von Haus und Ver­wandtschaft wie Abraham. Ebenso Moses. Aber Joseph und Moses waren nicht in derselben Weise abgesondert wie Abra­ham, indem Gott sie einfach aus dem ungerichteten Verderben berief, sondern sie waren es durch die Feindschaft und die Verfolgungen ihrer Brüder. Geradeso war es mit Jesu. "Das Seinige" (Sein Volk Israel) und "die Welt, die durch ihn ge­worden war", nahmen Ihn nicht an und wollten nichts von Ihm wissen. Gottlose Hände brachten Ihn um, und der Him­mel nahm Ihn auf. Dasselbe finden wir bei Stephanus.

 

Auf diese Weise befindet sich Stephanus in der Gesellschaft dieser Abgesonderten: des Abraham, des Joseph, des Moses und endlich des Gerechten" selbst. Und er wird ganz natur­gemäß durch den Geist dahin geleitet, ihre Geschichte in jenem wunderbaren Kapitel (Apg 7) der Reihe nach zu betrachten. Diese Abgesonderten haben in verschiedenen Zeiten und Zwi­schenräumen, in der fortschreitenden Entwicklung der Wege Gottes auf der Erde, Seine höheren und herrlicheren Vorsätze betreffs des Himmels vorbildlich dargestellt. Denn ihre Zeiten waren sozusagen Übergangszeiten.

So war es auch mit der Zeit des Stephanus. Bis dahin war die Erde der Schauplatz der Apostelgeschichte gewesen. Im 1. Ka­pitel hatte der auferstandene Herr zu Seinen Aposteln von dem "Reiche Gottes" gesprochen. In demselben Kapitel fordern die Engel die Männer von Galiläa (wie sie die Jünger nennen) auf, nicht länger gen Himmel zu schauen, indem sie ihnen die Verheißung geben, daß Jesus wieder auf die Erde zurück­kommen werde. Wenn im 2. Kapitel der Heilige Geist gegeben wird, so reden die Apostel unter Seinem Einfluß von Dingen der Erde. Sie bezeugen, daß Jesus zur Rechten Gottes im Him­mel sitzen solle, bis Seine Feinde auf Erden zu Seinem Fuß­schemel gemacht würden. Dann predigen sie, daß auf die Buße Israels hin Jesus zur Erde zurückkehren würde mit Zeiten der Erquickung und der Wiederherstellung aller Dinge, und daß Er erhöht worden sei, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben. Israel ist also das Volk, und die Erde ist der Schauplatz in den Handlungen oder dem Zeugnis des Geistes in den Aposteln in diesen ersten Kapiteln.

 

Doch die jüdische Feindschaft geht wieder ihren Weg wie zu so manchen anderen Zeiten, ja, wie von Anfang an, und die göttliche Gnade geht ebenfalls ihren Weg, wie sie es zu jenen anderen Zeiten getan hatte. Und Stephanus nimmt, unter der Leitung des Geistes Gottes, einen solchen Augenblick gleich­sam zu seinem Text. Er blickt zurück auf den Weg des Volkes, das, unbeschnitten an Herzen und Ohren, dem Herrn in dem einen oder anderen Seiner Zeugen widerstrebt hatte, aber er blickt auch zurück auf den Weg des Gottes der Herrlichkeit, Der diejenigen, die durch irdisches Verderben oder jüdische Feindschaft abgesondert oder ausgestoßen wurden, zu neuer und besonderer Segnung berief.

 

Seine eigene Lage in jenem Augenblick bildete also seinen Text, geradeso wie die Lage der Dinge in 2. Kapitel der Ge­genstand der Rede Petri gewesen war. Petrus predigte Über die Gabe der Sprachen, Stephanus, wenn ich so sagen darf, Über sein eigenes Antlitz, das in jenem Augenblick glänzte wie eines Engels Antlitz, sowie über die Feindschaft der Juden, die ihn bedrängte und bedrohte. Der Geist in Stephanus erfaßte den Augenblick. Es war ein Wendepunkt, eine Übergangszeit. Es war die Stunde des glänzenden Antlitzes und der mörde­rischen Steine, der Feindschaft der Erde und der noch herr­licheren und reicheren Entfaltung einer Gnade, die zum Him­mel berief.

 

Es war ein ähnlicher Wendepunkt hier in der Apostelgeschich­te, wie einst bei Joseph in dem 1. Buch Mose, und dies gibt dem Heiligen Geist in Stephanus eine natürliche Veranlassung, Sich auf Joseph zu beziehen. Doch wenn die Erde Stephanus einen Platz verweigert, wie die Brüder Josephs diesem einen Platz in dein Lande seiner Väter verweigert hatten, so tut sich der Himmel für Stephanus auf. Ist die Feindschaft im Men­schen tätig, so bleibt die Gnade in Gott nicht müßig. Der Himmel öffnet sich, und ein Strahl himmlischen Lichts findet von dort seinen Weg und verklärt glänzend das Antlitz des Stephanus, als das Volk der Erde ihn hinausstößt. Und so besiegelt vom Himmel und für den Himmel, spricht er vom Himmel. Der Himmel selbst tut sich ihm auf, und dann richtet der Heilige Geist sein Auge zum Himmel empor, und sein Geist wird von dem Herrn Jesus in den Himmel aufgenommen. Alles ist hier der Himmel. Wir hören von nichts anderem. Stephanus empfängt zuerst das Unterpfand des Himmels, dann den Aufblick in seine weit geöffneten Herrlichkeiten und end­lich seinen Platz in ihm bei Jesu.

 

Nichts kann, solange man noch im Leibe ist, den Glanz eines solchen Augenblicks übertreffen. Es war gleichsam die "Ver­klärung" der Apostelgeschichte. Es ging über das Bethel des Patriarchen hinaus, denn hier war die Spitze der Leiter enthüllt, und dem Stephanus wurde zu erkennen gegeben, daß sein Platz droben bei dem Herrn sei, und nicht nur am Fuße der Leiter, bei Jakob. Der Augenblick war ein Wendepunkt, was der Zeitabschnitt von 1. Mose 28 nicht gewesen war. Er hatte sein Vorbild eher in dem verworfenen, ausgestoßenen Joseph, der seine größeren Freuden und glänzenderen Ehren unter den fernen Heiden in Ägypten fand. Oder wenn man will, die Ge­schichte Josephs wie die des Stephanus sind jede zu ihrer Zeit und in ihrem verschiedenen Charakter ein Vorbild und Unter­pfand jener Herrlichkeit und jenes Erbteils im Himmel, zu denen die Kirche, die Auserwählten der Jetztzeit, berufen sind.

 

In ganz naturgemäßer und notwendiger Weise werden daher Joseph und Stephanus in Apostelgeschichte 7 miteinander in Verbindung gebracht. Jeder von ihnen füllte denselben Übergangsplatz aus, obwohl dies, und zwar mit Recht, bei Stepha­nus stärker hervortritt. Alles war bei Stephanus neu und himmlisch. Er wird nicht aufgefordert, nach unten, sondern nach oben zu blicken. Die Engel hatten die Männer von Gali­läa in Kap. ‑i veranlaßt, ihre Augen vom Himmel wegzuwen­den. Hier in Kapitel 7 aber heißt der Geist selbst Stephanus seinen Blick geradewegs in den Himmel hinein richten. Die Herrlichkeit des Irdischen war eine Sache gewesen, die Herr­lichkeit des Himmlischen war jetzt eine zweite. Selbst die Gabe der Sprachen in Kapitel 2 war für die jünger nicht ein Unter­pfand des Himmels gewesen. Es fand bei dieser Gelegenheit keine Verklärung statt. Es gab kein Angesicht, das wie eines Engels Angesicht glänzte. Der Heilige Geist ruhte auf der Ver­sammlung zu Jerusalem, aber die Versammlung selbst befand sich nicht im Angesicht des Himmels als ihrer Heimat und ihres Erbteils. Stephanus dagegen stand auf der Grenze der beiden Welten. Sein Leib war das Opfer der Feindschaft der Welt des Menschen und sein Geist stand im Begriff, in die Herrlichkeiten der Welt Christi aufgenommen zu werden. Er wurde von seinen Brüdern verworfen, von Gott aufgenommen. Alles deutete einen Übergang an, und so war es am Platze, daß er auf Joseph und Moses zurückblickte, die vor ihm in einer ähnlichen Lage gewesen waren.

 

M dieser Anspielung auf Joseph und andere in Apostelge­schichte 7 möchte ich darauf hinweisen, daß wir über diesen vorbildlichen und gleichnisartigen Charakter der Geschichten des Alten Testaments nicht erstaunt sein sollten, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: Gott, handelnd in diesen Ge­schichten, ist in ihnen tätig, Sich und Seinen Ratschlüssen ent­sprechend. Und infolgedessen werden diese Geschichten zu ebenso vielen Offenbarungen Seiner Selbst und der Vorsätze, die Er zur Ausführung bringen will.

 

Die Gewißheit, daß die Erzählung göttlich inspiriert ist, läßt uns darum noch nicht im vollen Sinne des Wortes Gott in ihr finden. Die Erzählung ist nicht nur völlig wahr, sondern sie enthält auch eine Absicht. Es tritt uns in ihr nicht nur die Tat­sache der göttlichen Eingebung, sondern auch ein Vorbild­ entgegen. "Diese Dinge widerfuhren jenen als Vorbilder“. Die Ereignisse trugen sich so zu, wie sie erzählt werden. Sie sind geschichtlich wahr. Aber Gott ließ sie geschehen, damit sie "Vorbilder" seien, und so lange wir nicht dieses Vorbild, d. h. die göttliche Absicht in der Geschichte, finden, haben wir nicht Gott in ihr gefunden. Wir sollten an diese Erzählungen, sei es nun die von Joseph oder von irgendeinem anderen, in dem Geiste herantreten, wie der Prophet in das Haus des Töpfers gehen mußte (Jer ia). Er sollte dort eine tatsächliche Arbeit sehen, Gefäße, die von der Hand und durch die Geschicklichkeit des Töpfers gemacht wurden. "Siehe, er machte eine Arbeit auf der Scheibe" (V. 3). Doch in dieser Arbeit lag zugleich eine Unterweisung. Sie hatte eine bildliche Bedeutung, denn der Prophet sollte ebensogut Gott Selbst an der Scheibe sehen wie den Töpfer. So ist es auch mit diesen Geschichten, die uns die Schrift mitteilt. Es ist Wirklichkeit in ihnen, genaue Wahr­heit, wie sie uns die Inspiration verbürgt. Aber es liegt auch eine Bedeutung in ihnen, und so lange wir nicht diese ent­decken und Gott und Seine Absicht in der Geschichte wahr­nehmen, sind wir noch nicht wirklich in das Haus des Töpfers gegangen.

 

Doch ich erwähne dies nur nebenbei, veranlaßt durch den Ge­brauch, den der Geist selbst durch Stephanus von den alttesta­mentlichen Geschichten von Abraham, Joseph und Moses in diesem wunderbaren Kapitel (Apg 7) macht.

 

III

 

Wir kommen jetzt zu dem Teil der Geschichte Josephs in dem er seinen Vater und seine Brüder wiederfindet, sowie zu den Folgen des Wiederfindens.

 

Unter den Dingen, die Joseph und seine Umstände während seiner Trennung von seinen Brüdern kennzeichneten, sahen wir namentlich dies: daß er in den Besitz jener Hilfsquellen gebracht wurde, von denen seine Brüder selbst, wie auch die ganze Welt, bezüglich ihrer Erhaltung auf der Erde abhängig sein sollten (vergl. S. 205). Die Zeit für die Welt diese Hilfsquellen in Anspruch zu nehmen, war jetzt gekommen, und damit auch für Joseph die Zeit, mit seinen Brüdern wieder vereinigt zu werden.

 

Joseph steht jetzt in Ansehen und Würden. Der Tag der Er­niedrigung und der Trübsal ist für ihn vorüber. Er befindet sich zur Rechten des Thrones von Ägypten und übt Macht und Herrschaft im Lande. Ohne ihn kann niemand weder Hand noch Fuß aufheben. Er hat den Ring des Königs bekommen und fährt in dem zweiten Wagen. Er ist der Schatzmeister und Verwalter des ganzen Vermögens der Nation, der einzige, der ihre Vorratshäuser öffnen oder schließen konnte, wie es ihm gefiel. Er, der einst in der Grube war, ist jetzt auf dem Thron.

 

So ist Joseph gleichsam auferstanden. Ich sage: gleichsam auf­erstanden, denn die Sache selbst (die Auferstehung aus den Toten) mußte auf den Tag des Sohnes des lebendigen Gottes warten, Der in Seiner eigenen Person aus den Toten wieder lebend hervorkommen sollte. Doch wenn wir auch "das Eben­bild" dieses großen Geheimnisses im Alten Testament nicht finden können, so finden wir doch "Schatten" davon, sowohl in gewissen Anordnungen des Gesetzes, als auch in den Ge­schichten der Auserwählten. Unter anderem sind der geschlach­tete und der lebendige Vogel in 3. MO 14 und die zwei Böcke in Kapitel ‑16 desselben Buches solche Anordnungen, und manche geschichtliche Szenen, wie z. B. das Losbinden Isaaks von dem Altar auf dem Berge Morija, oder Jonas Befreiung aus dem Bauche des großen Fisches, stellen dasselbe dar. Ebenso ist es mit diesem Abschnitt in der Geschichte Josephs, als dem Tage seiner Macht und Herrschaft in Ägypten nach den schweren Trübsalen in der Grube und im Gefängnis.

 

Der Geist Gottes, der im 49. Kapitel Seine Gedanken Jakob in den Mund legt, blickt auf Joseph in dieser Lage zurück und preist ihn dementsprechend: "Sohn eines Fruchtbaumes ist Joseph, Sohn eines Fruchtbaumes am Quell; die Schößlinge treiben über die Mauer. Und es reizen ihn und schießen, und es befehden ihn die Bogenschützen; aber sein Bogen bleibt fest, und gelenkig sind die Arme seiner Hände, durch die Hände des Mächtigen Jakobs". Und nachdem der Geist dies von Joseph gesagt hat, benutzt Er es als ein Bild von einem Größeren als Joseph, denn Jakob fügt hinzu: "Von dannen ist der Hirte, der Stein Israels". Wir erblicken Christum in Joseph. Der auferstandene Christus wird hier wie in einem Bilde ge­sehen. Alle Macht ist jetzt in Ihm im Himmel und auf Erden. Er sitzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Seine Ansprüche auf alle Hilfsquellen der Schöpfung sind. gesichert, besiegelt durch die Würde des Platzes, den Er jetzt einnimmt. Und die Hilfsquellen, die Ihm jetzt gehören, wird Er dereinst gebrau­chen für Israel und für die ganze Erde, gemäß dem Muster dieses Geheimnisses, wie es uns in Joseph gezeigt wird.

 

Am Ende von Kapitel 41 beginnt die Hungersnot und mit ihr das öffnen der Vorratshäuser Josephs. Aber dann verändert sich die Szene für einen Augenblick, und die Erzählung der Reue seiner Brüder und ihre Annahme wird als eine Art Zwischenhandlung eingeschoben. Doch gerade das ist von besonderer Schönheit, da die Wiederherstellung aller Dinge, wie wir wissen, auf die Buße und Vollzahl Israels wartet. Die Vorgänge in Ägypten und das völlige Öffnen der Vorrats­häuser Josephs für Ägypten und die ganze Erde wird erst später zur passenden Zeit in Kapitel 47 erzählt. Denn "was wird die Annahme anders sein, als Leben aus den Toten"? fragt der Apostel, indem er unter der Leitung des Geistes die Geschichte Israels aufzeichnet (Röm 11). "Wenn ihr Fall der Reichtum der Welt ist, und ihr Verlust der Reichtum der Nati­onen, wieviel mehr ihre Vollzahl! So können wir es denn nicht anders erwarten, als daß die Buße der Brüder der vollen Segnung der Erde vorangeht.

 

Wir können nicht umhin, bei diesem Vorgang des Weichwer­dens ihrer Herzen unter der Hand Josephs für einen Augen­blick zu verweilen. Er ist voll der schönsten Züge wahrer Zu­neigung, tief in der Entfaltung der sittlichen Grundsätze unse­rer Natur ‑und wichtig im Blick auf das Gemälde, das Er von dem Wirken Gottes vermittels Seines Geistes entwirft, indem Er Sünder durch Überführung und durch die Erkenntnis ihres verderbten Zustandes zur Buße und Neuheit des Lebens leitet.

 

Dieses Wirken Gottes vollzieht sich in einer Zeit der Not und der Drangsal, wie das gewöhnlich in den Wegen des Gottes aller Gnade der Fall ist, denn Er weigert sich nicht, von uns gesucht zu werden, wenn wir keinen Ausweg mehr sehen. So war es bei dem verlorenen Sohn. So bei Josephs Brüdern. Und bald wird es sich ohne Zweifel zeigen, daß es so bei sehr vielen von denen der Fall war, die bestimmt sind, Seinen Namen ewig zu preisen. Der verlorene Sohn wußte nicht mehr aus noch ein. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu seinem Vater und seines Vaters Haus zurückzukehren. Josephs Brüder wissen sich nicht mehr zu helfen, und so müssen sie hinab nach Ägyp­ten und zu Ägyptens Vorratshäusern. Es mag eine niedrige und schlechte Gesinnung in dem Herzen des Menschen ver­raten, daß er sich erst dann zu Gott wendet, wenn alles andere ihn im Stich gelassen hat, aber der Herr läßt Sich von solch schlechten und selbstsüchtigen Herzen finden. Er läßt Sich her­ab, durch diese verächtlichen Türen der Natur einzutreten. Zwanzig lange Jahre hatten Josephs Brüder behaglich und gut gelebt, mit aufgespeicherten Gütern und reichen Segnungen um sich her, und Joseph und seine Trübsale waren ganz und gar in Vergessenheit geraten. Eine Zeitlang besaß der verlorene Sohn sein Geld, das Erbteil seines Vaters, das ihm zu gefallen war, und so lange sein Geld vorhielt, suchte er sein Vergnü­gen und kehrte seinem Vater den Rücken. Aber die Hungers­not überfällt "das ferne Land" und "das Land Kanaan", und dann müssen, ob freiwillig oder unfreiwillig, das Vaterhaus und Josephs Vorratshäuser aufgesucht werden (siehe Hos 5, 15).

 

So kamen Josephs Brüder nach Ägypten hinab, um Speise zu kaufen. Sobald Joseph sie sah, erkannte er sie. "Und Joseph gedachte der Träume, die er von ihnen gehabt hatte". Und so­gleich reifte der Entschluß in ihm, ihre Seelen wiederherzustel­len. Das ist auffallend, aber zugleich von großer Schönheit. Seine Träume hatten nur von seiner Erhebung über sie ge­handelt. Wenn er deshalb nur danach getrachtet. hätte, diese Träume wahr zu machen, so würde er sich seinen Brüdern sofort zu erkennen gegeben haben, und, wie die bevorzugte Garbe auf dem Felde oder wie die Sonne am Himmel, sie vor sich auf ihren Angesichtern liegend gesehen haben. Aber seine unmittelbare Absicht war, ihre Seelen wiederherzustellen, nicht etwa, sich selbst zu erheben. Das war der Entschluß, der in seinem Herzen aufkam, als er den Augenblick vor sich sah, in dem er seine eigene Größe und ihre Erniedrigung hätte ver­wirklichen können. Wie erhaben und schön ist das! Es gab Einen in späteren Tagen, Der, indem Er wußte, daß Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hinging und daß der Vater Ihm alles in die Hände gegeben hatte, aufstand und Sich um­gürtete und anfing, die Füße Seiner jünger zu waschen. Das Bewußtsein Seiner Würden leitete Ihn nur dahin, den Bedürf­nissen Seiner Heiligen zu dienen. Wer könnte den Charakter eines solchen Augenblicks schildern? Doch Joseph erinnert hier in seinem Maße daran. "Er gedachte seiner Träume" ‑ Träume, die ihn erhöhten und nur erhöhten, und dennoch wendet er sich sogleich zu den beschmutzten Füßen, den schuldigen Her­zen und verunreinigten Gewissen seiner Brüder, um sie zu waschen, zu heilen und wiederherzustellen.

 

Das ist, ich wiederhole es, auffallend. Zwischen jener Erinne­rung an die Träume und einer solchen Handlungsweise gibt es keine Verbindung, es sei denn, daß Gnade, göttliche Gnade, deren Zeuge Joseph war, gekannt, und daß das Beispiel des Herrn von Johannes 13 verstanden wird.

 

"Joseph gedachte der Träume, die er von ihnen gehabt hatte, und er sprach zu ihnen: Ihr seid Kundschafter; zu sehen, wo das Land offen ist, seid ihr gekommen". Das hieß das gute Werk der Wiederherstellung ihrer Seele beginnen, obwohl der Vorgang demütigend und schmerzlich war. Das Gewissen muß mit aller Treue behandelt werden, wenn etwas erreicht werden soll. Und darauf arbeitet Joseph sogleich hin. Er stellt sich fremd gegen sie. Er spricht mit ihnen durch einen Dolmetscher, und er redet hart. Er muß ihr Gewissen in Tätigkeit bringen, wie schwer das auch für seine persönlichen Gefühle sein mochte. Seine Liebe muß für den Augenblick streng sein. Die Stunde der Rührung und der Zärtlichkeit wird auch kommen. Die Liebe wird einmal belohnt werden, jetzt aber muß sie dienen. An dem Tage ihrer Sünde hatten die Brüder von ihm gesagt: "Siehe, da kommt jener Träumer!" und jetzt, am Tage ihrer Überführung, sagt er zu ihnen: "Ihr seid Kundschafter; zu sehen, wo das Land offen ist, seid ihr gekommen". Sie hatten einst ihren armen Bruder gebunden und verkauft, als ihr Herz kein Erbarmen kannte. jetzt wird mit aller Entschie­denheit, die keine Zurückhaltung kennt, einer von ihnen ge­nommen und gebunden. Doch das alles geschah nur in der gnädigen Absicht, den Pfeil tief in das Gewissen eindringen zu lassen, damit sein Gift dort wirke und das Urteil des Todes dort niederschreibe. Und dieser Zweck wurde erreicht. Wenn Gott handelt, so dient die Macht des Geistes dem Vorsatz der Liebe. "Wenn sie mit Fesseln gebunden sind, in Stricken des Elends gefangen werden, dann macht er ihnen kund ihr Tun und ihre Übertretungen, daß sie sich trotzig gebärdeten" (Hi36, a. 9). "Fürwahr, wir sind schuldig wegen unseres Bruders", sagen sie alle wie mit einem Gewissen, "dessen Seelenangst wir sahen, als er zu uns flehte, und wir hörten nicht; darum ist diese Drangsal über uns gekommen".

 

Das war schon etwas, ja, es war viel, aber Joseph muß in dem Dienst der Liebe noch weiter gehen. Hätte er von Anfang an seinen Namen berücksichtigt, so würde er sich gleich geoffen­bart und als der Geehrte inmitten seiner beschämten und ge­demütigten Brüder gestanden haben. Hätte er jetzt sein Herz zu Rate gezogen, so würde er sich geoffenbart und als der Befriedigte an der Brust seiner überführten, trauernden Brüder gelegen haben. Doch er tat weder das eine noch das andere. Die Liebe war mit dem Dienst beschäftigt, und der Ackers­mann der Seele muß zu Zeiten, gleich dem Bearbeiter des Erd­bodens, lange Geduld haben und auf den Früh‑ und Spätregen warten.

 

Das war ein glücklicher und verheißungsvoller Anfang, weil es ein richtiger Anfang war. Joseph muß nunmehr erfahren, ob Gefühle kindlicher und brüderlicher Liebe in seinen Brüdern vorhanden sind, oder ob sie sich immer noch, wie früher, um das Geschrei eines Bruders und den Kummer eines Vaters nicht kümmern. Deshalb stellt er sie weiter auf die Probe. Härte und Freundlichkeit, Ermunterung und Erschrecken, Forderungen

 

und Gastmähler, Gunstbezeugungen und Vorwürfe, alles wird benutzt, und alles muß zusammenwirken. Doch alle diese Dinge sind nach der Schätzung eines schuldigen Gewissens wenig verschieden. Nach den Vorstellungen eines solchen Ge­wissens ist Jesus der aus den Toten auferstandene Johannes der Täufer. Für ein schuldiges Gewissen ist ein fallendes Blatt ein bewaffneter Feind. Die Brüder sind erschreckt, weil sie in das Haus Josephs gebracht werden. Sie fürchten sich, wo kein Grund zur Furcht ist. Aber das alles bewirkt eine nie zu be­reuende Buße, und die einer solchen Buße würdige Frucht muß bald hervorkommen.

 

Joseph entwirft einen Plan, um völlig zu erproben, ob jetzt wirklich die Gefühle eines Kindes und eines Bruders in ihnen sind. Als sie im Begriff stehen, zum zweiten Male mit Speise für sich und ihre Haushaltungen nach Kanaan zurückzukehren, wird der Kelch Josephs in Benjamins Sack getan ‑ wir kennen die Erzählung ja alle ‑ und sie treten ihre Reise an. Damit haben wir, so einfach die Sache auch scheinen mag, den Wen­depunkt erreicht. Ihre eigenen Lippen werden jetzt das Urteil sprechen müssen, denn es handelt sich nunmehr um die Frage, ob sie noch sind, wie sie früher waren, oder ob ihnen ein Herz von Fleisch gegeben worden ist. Wird die Trübsal Benjamins sie bewegen, wozu die Angstrufe Josephs einst nicht imstande waren? Wird der Kummer des betagten Vaters daheim zu ihren Herzen reden, was er einst nicht getan hatte? Wir stehen hier gleichsam wieder auf dem Felde zu Dothan. Die Brüder werden im Geist wieder an den Ort zurückgeführt, wo sie einst ihre Missetat begangen haben. Auf dem Felde zu Dothan (in Kapitel 37) handelte es sich um die Frage, ob sie ihren unschul­digen Bruder Joseph ihren Lüsten, ihrem Neid und ihrer Bos­heit opfern wollten. Hier, wo Benjamin zum Gefangenen ge­fordert wird, weil der Kelch in seinem Sack gefunden wurde ‑gefordert als einer, der Leben und Freiheit bei dem Herrn von Ägyptenland verwirkt hatte ‑ werden sie auf dieselbe Weise vor die Frage gestellt, ob sie ihn opfern und dann leichtfertig, sorglos und zufrieden ihres Weges nach Hause weiterziehen wollen, oder nicht.

 

Nichts könnte die Weisheit Josephs Übertreffen, die sich darin kundgibt, daß er seine Brüder im Geiste zu dem Feld bei Dothan zurückführt. Hier wie dort wird dieselbe Frage er­ hoben und ihnen in ernster Weise vorgelegt. Juda, "den seine Brüder loben werden", gibt Antwort auf diese Frage. Was den Kelch betrifft, so sind sie allerdings unschuldig. Doch das hat für ihre Gewissen nichts zu bedeuten und wird von Juda gar nicht erwähnt. Wenn das Gewissen einmal erwacht und über­führt ist, dann wird an nichts anderes mehr gedacht als an die Sünde. "Ich kenne meine Übertretungen, und meine Sünde ist beständig vor mir". Die Bruder hätten von ihrer Unschuld sprechen und einigermaßen darüber verletzt sein können, daß sie von Joseph immer wieder falsch verstanden und beschuldigt wurden. Sie waren Kundschafter genannt worden, als sie auf­ richtige Männer waren, und jetzt wurden sie als gemeine Diebe behandelt, obwohl sie ehrlich waren. Sie hätten sagen können, das sei zu arg. Sie hätten manches beleidigende Wort, manche harte Behandlung ertragen können, aber so behandelt zu wer­den, war doch etwas zuviel für Fleisch und Blut, um es still und ruhig hinzunehmen. Aber nein, nichts von dem allem hören wir. So waren Josephs Brüder jetzt nicht mehr. Sie hatten einst ihre Schuld hinter der Lügenbotschaft, die sie ihrem Vater sandten, versteckt. Jetzt sind sie bereit, ihre Un­schuld betreffs des Kelches unter dem Bekenntnis, das sie Joseph machen, zu verbergen. Juda tritt auf, um diese neue Gesinnung in ihnen darzustellen. Sie waren in der Tat schuld­los in allen diesen Dingen, von Anfang bis zu Ende. Sie waren weder Kundschafter noch Diebe. Aber einige zwanzig Jahre früher hatten sie sich einer Sache schuldig gemacht, von der dieser Fremdling in Ägypten (wie sie nicht anders voraus­setzen konnten) nichts wußte, die aber Gott und ihr Gewissen kannte. Sie mögen augenblicklich unschuldig sein, aber damals waren sie schuldig gewesen, und ihre Sünde, und diese allein, steht jetzt vor ihnen. Bekenntnis und nicht Rechtfertigung ist ihre Sprache. "Was sollen wir reden", sagt Juda, und wie uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden". Joseph stellt sich einen Augenblick so, als ob ihn das alles nichts anginge. Das sei ihre Sache, aber Benjamin gehöre ihm.

 

Benjamin war der Schuldige, soweit es den großen Mann in Ägypten betraf. Er muß bleiben, die übrigen können, so rasch es ihnen gefällt, nach Hause zurückkehren. "Der Mann, in dessen Hand der Kelch gefunden worden ist, der soll mein Knecht sein; und ihr, ziehet in Frieden hinauf zu eurem Vater“.

 

Was könnte die Weisheit Josephs übertreffen! War die Weis­heit Salomos größer, als er den Streit zwischen den beiden Huren entschied? Wenn er, in einem Richt‑Geiste, der für einen auf dem Richterstuhl Sitzenden passend war, das Herz einer Mutter ausfindig machte, deckte dann nicht Joseph hier mit derselben göttlichen Weisheit in wirklich bewunderungswürdiger Weise das Herz seiner Brüder auf?

 

Nach jenen Worten Josephs tritt Juda mit den Gefühlen eines Sohnes und Bruders für Jakob und Benjamin ein. "Der Knabe" und "der alte Vater" bilden den Hauptinhalt seiner Rede, denn sein Herz ist jetzt von ihnen erfüllt. Er will ein Knecht seines Herrn bleiben, wenn nur "der Knabe" zu "seinem Vater" zu­rückkehren kann. Wenn nur das Herz des Vaters getröstet wird und Benjamins Unschuld ihn bewahrt, so will Juda dank­bar sein, mag mit ihm selbst geschehen was da will.

 

Der Erfolg, den Joseph von Anfang an im Auge hatte, ist jetzt erreicht. Die Güte Gottes hat zur Buße geleitet. Joseph war in der Tat erhöht. Die Garbe hatte sich aufgerichtet und stand aufrecht, doch der Zweck von allem war, ihre Sünde hinweg­ zu nehmen. So ist auch Christus jetzt, wie wir lesen, "zum Führer und Heiland erhöht worden, um Israel Buße und Ver­gebung der Sünden zu geben" (Apg 5, 3‑1).

 

Und nun kann der Schleier zerrissen werden, und er wird zer­rissen. Joseph wird sich seinen Brüdern zu erkennen geben. Doch das war ein Augenblick, der außergewöhnliche Weisheit erforderte. Das Wiedererscheinen dessen' den sie gehaßt und verkauft hatten, und bei dessen Andenken ihre Seele eben noch so tief erschüttert worden war, konnte zu überwältigend für sie sein. Joseph muß dieses Licht für ihre Augen dämpfen, damit es sich nicht unerträglich für sie erweise. Doch die Liebe ist erfinderisch und hat für jede Gelegenheit die passenden Mittel und Wege. "Ich bin Joseph", sagt er zu seinen Brüdern, fügt aber sozusagen in demselben Atemzug hinzu: "Lebt mein Vater noch?"

 

Welch ein schöner Beweis von der Größe der Gnade und von der Erfindungsgabe der Liebe! Joseph hätte sich diese Frage selbst beantworten können. Judas Worte (die ihm sicherlich noch in den Ohren klangen, da sie zu kostbar für ihn waren, als daß er sie so rasch hätte vergessen können) hatten ihm schon gesagt, daß sein Vater noch am Leben se1. Aber Joseph beeilte sich, die Gedanken seiner Brüder auf eine dritte Per­son hinzulenken. Die Aufseher und Diener des Palastes durf­ten nicht gegenwärtig sein, wenn er sich seinen Brüdern zu erkennen gab, denn das hätte sie vor jenen bloßgestellt. Aber ebensosehr fürchtete Joseph, mit ihnen allein zu sein, weil er dies für zu schwer für sie hielt. Darum brachte er eine dritte Person hinein, und er hätte keine passendere finden können als gerade die, welche er durch seine Worte einführte.

 

Das war in der Tat an seinem Platze vollkommen. Es erinnert mich an die Szene am Brunnen zu Sichar. "Ich bin's, der mit dir redet", sagt der Herr zu dem Weibe, das gerade durch Ihn dahin gebracht worden war, sich selbst in ihren vielen Sün­den zu erkennen. Er sagt nicht nur: "Ich bin's", sondern: "Ich bin's, der mit dir redet". In diesen Worten offenbart Er Seine Herrlichkeit. Er steht vor ihr als der Messias, der nach ihren eigenen Worten alles verkündigen konnte, und der ihr, wie sie es gerade erfahren hatte, wirklich alles gesagt hatte, und zwar Dinge, die für das Ohr eines erwachten Gewissens schrecklich waren. Aber Er offenbart zugleich mit Seiner Herrlichkeit auch die liebliche, herablassende und einladende Gnade Dessen, Der da saß und mit ihr, dem sündigen Weibe, redete. Und auf diesem Grunde fand ihre Seele Freimütigkeit, während man meinen möchte, sie hätte überwältigt werden müssen.

 

Ja, die Liebe weiß immer das rechte Wort und den rechten Weg zu finden. Doch wir werden noch mehr davon bei Joseph sehen.

 

Kurz nachher sagt er ihnen nochmals: "Ich bin Joseph", und fügt dann hinzu: "den ihr nach Ägypten verkauft habt". Aber in unmittelbarer Verbindung damit setzt er ihnen Gottes Vor­sätze bezüglich dieser ganzen Sache weitläufig auseinander und sagt ihnen, wie wichtig es für den Pharao, für Ägypten und für die ganze Welt, ja selbst für sie und ihre Haushaltungen gewesen sei und noch sein werde, daß er seine Heimat ver­lassen habe. Die Liebe läßt ihnen somit keine Zeit, sich mit Gedanken über sich selbst zu beschäftigen. Joseph erfüllt ihre Herzen mit einer Menge anderer Gedanken ‑ und dann küßt er sie und weint mit ihnen.

 

Jetzt, nachdem dies alles geschehen ist, mögen auch die Leute des Pharao wieder zugegen sein und in den Fremden aus Ka­naan nicht Josephs Verfolger, sondern seine Brüder erkennen. Nur in diesem Charakter werden sie in den Palast geführt. Gerade wie in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn: der Vater allein will ihn in seinem Elend sehen, und während er noch mit Lumpen bedeckt, in Hunger und Schande ist, küßt und bewill­kommt er ihn. Aber die Hausangehörigen sollen ihn als Sohn am Tische sehen. "Laßt jedermann von mir hinausgehen", hatte Joseph gesagt, als er im Begriff stand, sich seinen Brü­dern zu erkennen zu geben, aber jetzt soll das ganze Haus des Pharao hören, daß Josephs Brüder angekommen sind. Alles das atmet den Geist des Hochgelobten, von dem uns die Evangelien erzählen. Wir befinden uns gleichsam in Joh 4 und Lk ‑15, wenn wir 1. Mo 45 betrachten.

 

Es gibt Zeiten und Verhältnisse im menschlichen Leben, wo das Herz ganz und gar in den Vordergrund tritt und seine Rechte geltend macht. Wir alle kommen zuweilen in eine solche Lage, wie auch der Herr Selbst es tat. In Seinem Verkehr mit den Jüngern finden wir eine nie wankende Treue. Er ließ ihre Fehler nicht ungestraft durchgehen. Vielmehr tadelte Er sie oft, weil Er sie vollkommen liebte. Es lag Ihm mehr daran, ihre Seelen zu erziehen und zu üben, als Sein eigenes Herz zu befriedigen. Doch es kam ein Augenblick, wo die Treue der Zärtlichkeit Platz machen mußte. Ich meine die Stunde der Trennung, Wie sie uns in Joh 14‑16 beschrieben wird. Da war es nicht mehr an der Zeit, treu zu sein. Die Erziehung der Seele unter den Zurechtweisungen eines Hirten sollte nicht mehr länger fortgesetzt werden. Kein: "0 ihr Kleingläubigen l" oder: ..Wie, verstehet ihr noch nicht?" wurde mehr gehört. Die Stunde der Trennung war gekommen, und das Herz hatte Freiheit, sie für sich auszunutzen.

 

Nun, eine Versöhnungsstunde gleicht in dieser Beziehung einer Scheidestunde. Das Herz nimmt sie ganz für sich in Anspruch Zärtlichkeit allein paßt für sie. Treue würde nicht am Platze sein. Und so finden wir es denn auch jetzt bei Joseph. Er weinte laut, so daß das ganze Haus des Pharao es hörte. Er weinte an dem Halse aller seiner Brüder. Er fiel seinem Bruder Benjamin um den Hals und weinte und küßte ihn. Und wenn er inmitten dieser strömenden Tränen sprach, so geschah es nur, um ihre Herzen zu ermutigen und ihnen Versicherungen und Erklärungen zu geben, die dazu geeignet waren, ihnen volles Vertrauen und Zuversicht in seiner Gegenwart zu geben*).

_________________

*) Weder dem Pharao, noch seinem Hause, noch irgendeinem Menschen In Ägypten scheint jemals etwas von der Sünde der Brüder mitgeteilt worden zu sein.

 

Doch als diese Stunde vorüber war und er sie in den Palast des Pharao geführt hatte, und als sie wiederum im Begriff waren, nach Kanaan zurückzukehren, um ihren alten Vater nach Ägypten zu holen, ja, als sie so dastanden, Benjamin und Simeon bei ihnen, alle überglücklich in dem Genuß dieser frohen Stunde, da war wohl ein Wort der Warnung am Platze, und Joseph hatte es auch für sie. Er sagt zu ihnen: "Erzürnet euch nicht auf dem Wege". Die Frage. "Simon, Sohn Jona, hast du mich lieb?" wurde in ähnlicher Weise und in einem verwandten Augenblick an das Herz des Petrus gerichtet, als die Versöhnung, wenn ich sie so nennen darf, vollendet war, das Netz des Petrus hundertdreiundfünfzig Fische umschlossen und er mit dem von ihm verleugneten Herrn am Ufer des Sees gegessen hatte.

 

Dies alles ist von Anfang bis zu Ende wirklich vollkommen. Es gibt in der Schrift eine sittliche Schönheit, die sie in Wahrheit zu dem vorzüglichsten, wie wir wohl sagen dürfen, unter den Werken Gottes macht. Sein Geist weht überall darin. Ihre Zartheit, ihre Erhabenheit und ihre Tiefe sind alle gleicher­weise Sein. Der Ausgang der Geschichte Josephs und seiner Brüder ist außerordentlich schön. Den Rechten Josephs und dem Unrecht, das ihm widerfahren war, den Ansprüchen, die er gemacht, und den Beleidigungen, denen er ausgesetzt ge­wesen war, allem wurde in wunderbarer Weise entsprochen. Welche erhabenen Würden ihm seine Träume auch zuge­sprochen haben mochten, sie wurden ihm alle in vollem Maße zuteil. Wie groß auch das Unrecht war, das er erduldet hatte, es wurde alles gerächt, und zwar in einer Weise, die auch sein eigenes Herz gewählt haben würde. Das Gericht über die an ihm verübte Sünde wurde in den Herzen der Brüder selbst ausgeübt. Nicht ein hartes Wort betreffs ihrer kam von An­fang bis zu Ende über die Lippen Josephs.

 

Bei der Betrachtung dieser wunderbaren Ausgänge der Ge­schichte Josephs und seiner Brüder werden wir unwillkürlich an das Wort des Propheten erinnert: "Auch dieses geht aus von Jehova der Heerscharen; er ist wunderbar in seinem Rat, groß an Verstand" (Jes 28, 29).

 

Doch ich möchte noch auf etwas anderes aufmerksam machen. Die Überführung des Gewissens kann eine bloß natürliche sein, die gewöhnliche, notwendige Tätigkeit der Seele, deren Mangel einen unreinen, verhärteten Zustand verraten würde. Wenn jene Überführung dagegen mehr ist als eine bloße Auf­rüttelung der Seele unter der Wirksamkeit der Natur, wenn der Geist Gottes sie hervorgebracht hat, so nimmt dieser gleichsam Sein eigenes Werkzeug zur Hand und arbeitet damit. David, von dem Geiste überführt, sagt: "Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen" (PS 51, 4). Und so wird es auch mit dem Volke Israel am Tage seiner Überführung sein. Ihr Gewissen wird sie dann auf den einst verworfenen und gekreuzigten Jesus hinweisen, wie der Herr durch den Propheten sagt: "Ich werde über das Haus Davids und über die Bewohner von Jerusalem den Geist der Gnade und des Flehens ausgießen; und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben' und werden über ihn wehklagen gleich der Wehklage über den Eingeborenen, und bitterlich über ihn leidtragen wie man bitterlich über den Erstgeborenen leidträgt" (Sach ‑12). So ist die Oberführung, wenn der Geist Gottes jene Arbeit aus der Hand der Natur in Seine eigene Hand nimmt, und so tut das Gewissen sein Werk "in dem Heiligen Geiste", wie der Apostel es ausdrückt. An einem solchen Tage und unter so mächtiger Einwirkung wird Israel sich dereinst unmittelbar an Jesum wenden. Jes 53 zeigt uns dieselbe Sache in einer anderen Form. Und wahrlich, dies ist ein köstliches Werk in der Seele, ja, nicht nur köstlich, sondern auch notwendig in einem jeden von uns.

 

Nun, dieses Werk sehen wir in den Brüdern Josephs, und es ist wirklich unserer eingehenden Betrachtung wert. Ihre Sünde gegen Joseph war es, die sie sich am Tage ihrer Bedrängnis ins Gedächtnis zurückriefen. "Fürwahr, wir sind schuldig wegen unseres Bruders", sagen sie, „dessen Seelenangst wir sahen, als er zu uns flehte, und wir hörten nicht". Andere Sünden mochten zu gleicher Zeit ver ihrem Gewissen stehen. Ruben mochte an die Schändung des Bettes seines Vaters denken, Simeon und Levi an ihr Blutvergießen und ihre Treu­losigkeit, und Juda an seine Ehe mit der Tamar. Aber bis ins Herz bewegt, nicht bloß durch die Trübsal, die über sie ge­kommen war, sondern durch den Geist selbst, gedenken sie der gemeinsamen Sünde und sprechen, wie aus einem Ge­wissen, von ihrer Bosheit gegen Joseph. Und das ist es, was das Werk des Geistes bei dieser Überführung verrät.

Dies ist, ich wiederhole es, ein notwendiges Werk in einem jeden von uns. Aber die Quelle der Gnade muß ebensogut ihr Werk tun, wie der Geist der Gnade. Joseph gab, wie wir ge­sehen haben, eine Erklärung seiner Trübsale, obwohl diese sehr verschieden war von der Erklärung, die ihre Befürchtun­gen und ihr Schuldbewußtsein den Brüdern gegeben hatte. Sie sagen, und zwar mit allem Recht: "Fürwahr, wir sind schuldig wegen unseres Bruders". Er sagt und er sagt es der Wahrheit gemäß: "Gott hat mich vor euch hergesandt,

 

Leben zu erhalten". Gerade so ist das Evangelium. Wir wer­den überführt, aber gerettet. Wir lernen, daß wir uns selbst zugrunde gerichtet haben, aber zugleich auch, daß in Ihm unsere Hilfe ist. Die Quelle der Gnade öffnet sich uns gerade in jenen Wunden, die unsere eigenen Hände geschlagen haben. Dasselbe wird der jüdische Überrest (dessen Geschichte, wie wir wissen, in derjenigen der Brüder Josephs vorbildlich dargestellt ist) in jenen Tagen erfahren, von denen Jes 53 und Sach 13 reden. Das Kreuz ist das Zeugnis. Der Glaube steht vor ihm und lernt dort Verderben und Erlösung kennen.

 

Im Verlauf dieser wunderbaren Geschichte ist die Versöhnung also eine völlige Versöhnung geworden. Joseph hat seine Br11­der angenommen, und infolgedessen ist alles zu Israels völliger Segnung bereit. Auf die Bekehrung muß die Wiederherstellung folgen. "Zeiten der Erquickung und der Wiederherstellung" (Apg 3) müssen kommen, wenn Israel Buße tut. Der betagte Vater wird mit seiner Haushaltung und seinen Herden aus Kanaan geholt und mit seinen Söhnen vor den Pharao ge­stellt, und der allerbeste Teil des Landes, das Land Gosen, wird ihnen zum Wohnsitz gegeben*).

__________________

*) Auf die Einzelheiten der Reise Jakobs und ihre Folgen, sowie auf seine Einführung bei dem Pharao gehe ich hier nicht ein, da dies bereits in dem Kapitel über Jakob geschehen ist.

 

Sie waren aufgefordert worden, ihren ganzen Hausrat zurück­zulassen, da ja das Beste des ganzen Landes Ägypten vor ihnen se1. Und so erwies es sich auch. Ihre leeren Säcke waren das erste Mal nach Ägypten gekommen, um dort gefüllt zu wer­den, und jetzt sollten sie aufs neue erfahren, daß es ein Herz und eine Hand in Ägypten gab, die sowohl fähig als auch be­reit waren, ohne Maß zu geben, und je leerer sie hinab kamen, desto reichlicher und herrlicher sollten sie dies erfahren.

 

Sie waren allerdings nur Hirten, und solche waren den Ägyp­tern ein Greuel, aber Joseph schämte sich nicht, sie Brüder zu nennen". Sie waren Fremdlinge und Beisassen, aber ich wie­derhole, der Mann jenes Tages, der Herr von Ägypten, "schämte sich nicht, sie Brüder zu nennen". Er erkennt sie an in Gegenwart des Königs, des Palastes und des Volkes. Und der König zeigt die gleiche Gesinnung. Daß sie Josephs Brüder waren, war für den Pharao genug. Wahrlich, das redet laut und verständlich zu uns. Ein Tag ist nahe, an dem diese Vor­bilder ihre volle Verwirklichung finden werden in Christo und Israel. Er wird sich wieder zu ihm wenden und sagen: "mein Volk", und Israel wird sagen: "Jehova ist mein Gott".

 

Doch so groß und erhaben dies auch sein mag, so ist es doch noch nicht alles. Die Erde selbst muß geordnet und gesegnet, das Erbe muß in Besitz genommen und vor aller Augen ge­zeigt werden. Dazu kommen wir jetzt. Joseph wird in Kapitel 47 der Erhalter der Welt in bezug auf Leben und Ord­nung. Durch ihn wird das Leben auf der Erde erhalten und die Ordnung bewahrt, und das ganze Volk ist willig gemacht am Tage seiner Macht. (Vergl. Ps 11o, 3). Alles was Joseph tut, ist recht in den Augen des ganzen Volkes. Ihr Geld, ihr Vieh, ihr Land und sogar sie selbst werden in den Besitz des Pharao gebracht, und doch sind sie mit allem einverstanden, denn sie verdanken Joseph ihr Leben. Das Ägypten jener Tage war ein Vorbild von der neuen Welt, von der durch Erlösung wieder für Gott erworbenen Welt. Es war ein erworbener Besitz", was ja auch die Erde im tausendjährigen Reich sein soll (Eph 1, 14). Es war eine versöhnte Schöpfung, von dem Verderben der Hungersnot, von Tod und Fluch befreit durch die Hand eines Retters. Josephs Korn hatte das Land, das Vieh und das Volk gekauft. Alles gehörte dem Pharao in einem neuen Charakter, als ein erworbener Besitz, der unter der Gnade der Erlösung stand. Der Pharao, der einst König des Landes war, ist auch noch König, aber er ist jetzt mit einem anderen, einem Erlöser des Landes und des Volkes verbunden, was vorher nicht der Fall war. Ebenso wird der Thron im tausendjährigen Reich "der Thron Gottes und des Lammes" sein. Welch ein Bild hat die Hand Gottes hier für uns aufgezeichnet! Welch ein Unter­pfand, ja welch ein Beispiel haben wir hier von der Erde an den Tagen des Reiches, wenn die Erde eine Zeitlang den wahren Joseph als Herrn bekennen wird zur Verherrlichung Gottes, des Vaters, und der Thron Gottes und des Lammes aufgerichtet ist!

 

Der Pharao hatte im Anfang Joseph Vertrauen geschenkt, und Joseph hatte dem Pharao Versicherungen gegeben, bevor ir­gend etwas geschehen war. Ehe das Wort Josephs in Erfüllung ging, hatte der Pharao ihn in Macht und Würden eingesetzt, ihm ein Weib gegeben aus den Töchtern der Ersten des Landes und ihm einen Namen beigelegt, der einem jeden, der ihn zu deuten verstand, sagte, was der Pharao von ihm dachte, und wie er ihn betrachtete*). Und Joseph hatte im Vertrauen dar­auf, daß alles nach der Traumdeutung, die Gott ihm zu ver­künden gegeben hatte, geschehen würde, dies alles aus der Hand des Pharao angenommen, und dann erst kamen die Jahre des Überflusses, eines nach dein anderen, um die Ver­sicherungen, die Joseph dein Pharao gegeben hatte, wahrzu­machen und alle die Ehrenbezeugungen, die der Pharao Joseph erwiesen hatte, zu rechtfertigen (siehe Kap. 41).

________________

*) Wie man sagt bedeutet Zaphnath-Pahneach in der altägyptischen Sprache: .Erhalter der Welt.

 

Das sind kostbare Aufzeichnungen von alledem, was sein Ur­bild, seine zuvor beschlossene und ewige Verwirklichung in den Geheimnissen findet, die zwischen Gott und Seinem Ge­salbten von jeher bestanden haben. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns niederzubeugen und anzubeten, und, wenn wir die Beute und die Reichtümer des Wortes Gottes ein­sammeln, uns daran zu erfreuen und dankbar zu sein. "Ich freue mich über dein Wort wie einer, der große Beute findet". "An dem Wege deiner Zeugnisse habe ich mich erfreut wie über allen Reichtum" (Ps 119).

 

Es ist ganz naturgemäß, daß wir dieses Muster der neuen Welt oder des zukünftigen Zustandes der Erde im tausendjährigen Reich in der Geschichte Josephs finden, denn, wie ich im An­fang sagte, er ist der Erbe, und er war dazu gesetzt, einen solchen unter der Gnade Gottes darzustellen, nachdem jeder seiner Väter unter derselben fruchtbringenden und überströ­menden Gnade seinen besonderen Teil der Gedanken Gottes vorbildlich ausgedruckt hatte. In Abraham fanden wir die Erwählung, in Isaak die Sohnschaft, zu der uns die Erwählung zuvorbestimmt hat, in Jakob die Zucht, unter welche die Sohnschaft uns bringt und jetzt in Joseph den Erben und die Erb­schaft, die der Sohnschaft folgt. Damit schließt dann die Ent­hüllung des Geheimnisses, das die Gnade sich vorgesetzt hat, und damit schließt das erste Buch Mose.

 

Hier ist keine Rede oder Sprache, aber das geöffnete Ohr ver­nimmt eine Stimme, die klar, voll und harmonisch klingt. Und wenn wir auf die Geschichte Josephs allein zurückblicken, so haben wir ein Blatt der Heiligen Schrift vor uns, das voll von Jesus ist. Zuerst sehen wir einen verworfenen Jesus, dann einen auferstandenen und verherrlichten Jesus, und schließlich den Jesus des tausendjährigen Reiches in Seinem Erbe und Königreich ‑ Wie groß und wunderbar ist Gott! Ihm sind alle Seine Werke von Anfang an bekannt. Er hat das Licht und die Finsternis gebildet.

 

Doch das, was wir hier nicht finden, ist ebenso lehrreich wie das, was wir finden. In der herrlichen Darstellung der Erb­schaft tritt eine, die wir vielleicht hauptsächlich zu sehen er­warten hätten, gar nicht hervor. Asnath, das Weib Josephs, wird hier nicht gefunden. Sie und ihre Kinder erhalten kein Teil bei diesem Ordnen aller Dinge im Lande. Sie werden dabei nicht einmal erwähnt. Sollten sie etwa vergessen worden sein? Das wäre unmöglich. Nein, die Ursache ist eine andere. Sie war das Bild der himmlischen Braut, das Weib, das dem Joseph aus den Nationen gegeben wurde während seiner Ab­sonderung von seiner Verwandtschaft, und ihr Teil ist er­habener als was das Land in seinem besten Zustand ihr hätte bieten können. Ihr Teil ist in ihm und mit ihm, der der Herr und der Verwalter von allem ist. Asnath geht in Joseph auf oder wird nur in Joseph gesehen.

 

Und so wird uns das volle Ende von Anfang an mitgeteilt, denn alles, was wir hier im ersten Buch Mose finden, stellt "die Verwaltung der Fülle der Zeiten« dar, wenn Gott alles unter ein Haupt zusammenbringen wird in dem Christus, das was in den Himmeln und das was auf der Erde ist. Und wirk­lich, es ist köstlich, angesichts der gegenwärtigen Verwirrung in der Welt und inmitten des Streites menschlicher Meinungen, wovon wir stets umgeben sind, aus dem Munde solcher Zeugen zu erfahren, daß das Ende so ver Gott steht und von Anfang an so vor Ihm gestanden hat. "Der Ratschluß Jehovas besteht ewiglich, die Gedanken seines Herzens von Geschlecht zu Ge­schlecht" (Ps 33, ‑11). Sein Volk und Seine Ratschlüsse betreffs Seines Volkes stehen in gleicher Weise vor Ihm, und solche Wahrheiten trösteten auch die Apostel, als sie inmitten des Verfalls der Kirche Enttäuschung auf Enttäuschung erfuhren (siehe 2. Tim 2, ‑19).

 

IV

 

Die Kapitel 48‑50 bilden mehr einen Anhang als einen Teil der Geschichte Josephs. Sie erzählen einige für sich dastehende Handlungen aus seinen späteren Tagen. Das erste Ereignis, dem wir hier begegnen, trägt indes einen der ganzen Geschichte Josephs verwandten Charakter. Das Kapitel 48 teilt uns näm­lich die Verleihung des Erstgeburtsrechtes an Joseph mit, und Erstgeburtsrecht und Erbschaft sind in gewissem Sinne das ­gleiche.

 

In Israel (oder unter dem Gesetz) trug das Erstgeburtsrecht ein doppeltes Teil ein. Der Erstgeborene erhielt zwei Teile von den Gütern des Vaters, und das Gesetz erklärte dies für ein unverletzliches Recht, das nicht umgestoßen werden durfte. Das doppelte Teil durfte weder auf Grund einer persönlichen Zuneigung noch infolge irgendwelcher Parteilichkeit einer,. anderen Kinde der Familie gegeben werden (siehe 5. MO 21', ‑15‑‑17).

 

Doch obwohl dies so war, konnte das Erstgeburtsrecht doch von dem Erstgeborenen selbst verkauft oder verwirkt werden. Seine eigenen Handlungen konnten es ihm entziehen. Und wir finden, daß beides vorgekommen ist. Esau verkaufte es, und Ruben verwirkte es (‑1. MO 25; ‑1. Chron 5). Bei dem Verkauf durch Esau empfing naturgemäß Jakob, der es kaufte, das Anrecht daran. Der Kauf und Verkauf machten es zu seinem Eigentum. Aber wer sollte es in dem Fall der Verwirkung durch Ruben erhalten? Es fiel auf den Vater zurück. Aber welchem seiner Söhne würde er es verleihen? Das war die Frage, und diese Frage beantwortet das vorliegende Kapitel. Es zeigt uns den betagten Vater, den sterbenden Jakob, wie er in feierlicher Weise Joseph in das Erstgeburtsrecht einsetzt, das Ruben, sein Erstgeborenen, verwirkt hatte. Auf die Nachricht von der Erkrankung seines Vaters eilt Joseph an dessen Bett und bringt seine beiden Söhne Manasse und Ephraim mit. Keiner der anderen Söhne Jakobs war bei dieser bedeutsamen Handlung gegenwärtig. Der Geist Gottes hatte durch Jakob etwas Besonderes mit Joseph zu tun.

 

Jakob erinnert zunächst Joseph daran, daß Gott ihnen das Land Kanaan geschenkt habe. Er weist auf das Familiengut hin, das er seinen Kindern zu hinterlassen hatte. Darauf adoptiert er die Söhne Josephs, denn das war notwendig, um ihnen Kindes­rechte zu verleihen, da sie in streng gesetzlichem Sinne nicht zu Abraham gehörten. Ihre Mutter war eine Ägypterin. Sie waren, deshalb ein Same, den das Gesetz zur Zeit seiner Gel­tung beiseitegesetzt haben würde (vergl. Esra 10, 3). Doch Jakob adoptierte sie. Er nimmt sie in die Familie auf. "Und nun", sagt er zu Joseph, "deine beiden Söhne, die dir geboren sind im Lande Ägypten, ehe ich zu dir gekommen bin nach Ägypten, sollen mein sein". Sie werden dem Samen Abrahams einverleibt und zu Kindern Jakobs gemacht, und nachdem dies geschehen ist, versetzt Jakob sie sofort an den Platz des Erst­geborenen, indem er hinzufügt: "sie sollen mein sein wie Ruben und Simeon".

 

Das war ein feierlicher Verleihungsakt, durch den die Rechte des Ältesten, das doppelte Teil, in der Person seiner beiden Söhne auf Joseph überging. (Siehe 1.. Chron 5; Hes 47,13)*).

______________

*) Das hier verliehene Anrecht wurde später verwirklicht, als das Familien­gut das Land Kanaan, unter die Stämme verteilt wurde. Joseph bekam da In seinen beiden Söhnen zwei Teile, indem diese behandelt wurden, als ob sie zwei verschiedene Söhne Jakobs gewesen wären.

 

Doch die Frage bleibt: Warum wurde Joseph so bevorzugt? War es einfach Gnade? Ich glaube nicht. Ich weiß wohl, daß die Gnade auch bei dieser Gelegenheit ihren Weg ging, aber doch möchte ich lieber sagen, daß Joseph das Erstgeburtsrecht sich erworben habe. Wir haben bereits seinen Weg bis zur Besitzergreifung des Erbes angedeutet. Es war ein Pfad gleich dem seines göttlichen Meisters, dessen ferner Schatten er war, ein Pfad der Schmerzen, der Verwerfung, der Absonderung, und doch der Gerechtigkeit und des treuen Zeugnisses. Und dieser Pfad hatte sein Ende gefunden in Lob und Ehre und Herrlichkeit in dem Reiche oder dem Erbe, und Erstgeburts­recht und Erbe sind, wie wir bereits gesagt haben, verwandte Begriffe.

 

Es ist deshalb natürlich zu sagen, daß Joseph sich das Erst­geburtsrecht erwerben habe. Juda erwarb das Königtum, Levi das Priestertum, und so Joseph das doppelte Teil. Auch gibt ihm sein Vater ein Pfand, "ein Unterpfand des Erbes", denn am Schluß dieser Begebenheit sagt er zu ihm: "Ich gebe dir einen Landstrich über deine Brüder hinaus, den ich von der Hand der Amoriter genommen habe mit meinem Schwerte und mit meinem Bogen". Das war ein Unterpfand und zugleich ein charakteristisches Beispiel von dem Erbe Josephs. Diesen Land­strich hatte das Schwert Jakobs erworben, so wie das Aus­harren Josephs das Erbe und das Erstgeburtsrecht erworben hatte, und demgemäß preist ihn nachher der sterbende Vater. "Die Segnungen deines Vaters überragen die Segnungen meiner Voreltern bis zur Grenze der ewigen Hügel. Sie werden sein auf dem Haupte Josephs und auf dem Scheitel des Ab­gesonderten unter seinen Brüdern". Oder wie Moses' der Mann Gottes, von ihm sagt: "Es komme der Segen auf das Haupt Josephs und auf den Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern" (5‑ MO 33, 16).

 

Der Apostel spricht von der "Vergeltung des Erbes", Worte, die gerade nicht so lauten, als ob sie genau zusammenpaßten, denn ein Erbe ist aus Gnaden, eine Vergeltung aber die Folge eines Werkes. So spricht auch der Herr davon, daß Er eine "Krone des Lebens" geben wolle, Worte, die auch fast so klin­gen, als ob ‑sie nicht zusammengehörten, denn Leben ist eine Gnadengabe, und eine Krone ist eine Belohnung. Doch die Seele versteht diese Dinge und macht keine Schwierigkeit daraus, denn in einem Sinne sind die Segnungen alle erworben, in einem anderen verheißen oder geschenkt. Und Joseph empfing, meine ich, auf diese Weise das Erstgeburtsrecht oder das Erbe. Es war für ihn "die Vergeltung des Erbes". Es war etwas Erworbenes und doch Geschenktes, etwas Verdientes und doch eine freie Gabe. In seiner Erteilung erblicken wir einerseits Gnade, andererseits aber auch die Frucht oder den Ausgang des dornenvollen Pfades eines Märtyrers, den er, und er allein unter allen Söhnen Jakobs, geduldig und trium­phierend gegangen war.

 

Die Handlung des Kapitels 48 steht daher in völliger Über­einstimmung mit dem besonderen Charakter der Geschichte Josephs. Wir sehen in ihm den Erben, und als solchem wird ihm das Erstgeburtsrecht, das zweifache Teil, und zugleich da­mit das Pfand, "das Unterpfand des Erbes", übertragen.

 

Im folgenden Kapitel wird Joseph nur als einer der vielen Söhne Jakobs betrachtet, indem Jakob, der Vater, hier die Hauptperson ist. Joseph und seine Brüder befinden sich in Gegenwart und vor den Gedanken des sterbenden Patriarchen, der, durch den Geist geleitet, ihnen kundtut, was ihnen am Ende der Tage begegnen würde. Doch ich will hier nicht näher darauf eingehen, da dies bereits in der Betrachtung über "Jakob" geschehen ist.

 

In dem letzten Kapitel tritt Joseph wieder in den Vordergrund, jedoch weniger als Vorbild, sondern mehr persönlich, d.. h. nicht als Erbe, sondern mehr als Mensch. Wir erblicken hier Joseph selbst, seinen Charakter und seine Tugenden, weniger den Herrn von Ägypten mit dessen Stellung und Würden. Und persönlich betrachtet ist er vielleicht der anziehendste Charak­ter im ganzen ersten Buche Mose. Bei ihm offenbart sich mehr Frucht und Kraft der Gottseligkeit als bei irgendeinem seiner Vorväter. Wir finden bei ihm den stetigsten, sich allezeit gleichbleibenden Wandel in den Wegen Gottes. Wohl zeigt sich nicht die Erhabenheit wie bei Abraham, und selbstver­ständlich auch weniger Übung des Geistes als bei Jakob. Aber durch alle Umstände, Versuchungen, Ehren und Wechsel hin­durch bleibt Joseph stets der Mann Gottes, der in der Furcht Gottes und vor Gott wandelt. Seine Geschichte besteht nicht aus Fehltritten und Wiederherstellungen, noch weist sie die Notwendigkeit einer Rückkehr zu den ersten Werken auf. Sie ist vielmehr ein Pfad des Lichtes, und wenn dieses Licht auch nicht fort und fort bis zur Tageshöhe zunahm, so schien es doch klar und ruhig und beständig. In seiner Geschichte hören wir nichts von Besuchen seitens der Engel, oder von Erschei­nungen des Herrn, oder vom Empfangen göttlicher Aussprüche, Aber wir erblicken in Joseph selbst ein Gefäß, das von Gott benutzt wurde, weil es von Ihm erprobt war ‑ etwas sehr Köstliches bei Gott. Wir begegnen keiner Wiederholung von Pniel oder Beerseba, keinen gelegentlichen Erfrischungen und Erleuchtungen, sondern vielmehr einem bleibenden inneren Zeugnis, so daß Joseph den Weg Gottes kannte und ihn ging. "Das Wort Jehovas läuterte ihn" (Ps io5, 1.9). Die Autorität, die Ägypten zu seiner Zeit in ihm anerkannte, hatte er vorher in dein Herrn anerkannt. Er war selbst der Gehorsame, und dann wurde er der Eine, dem alles untertan war. Er harrte gleichsam mit Christo in Seinen Versuchungen aus, und dann wurde er zum Königtum bestimmt. Unterwerfung war sein Pfad zur Verherrlichung, und das ist der rechte Pfad aller Erben desselben Königtums.

 

Außer dem bereits Berührten gibt es noch einige besondere Umstände in der Geschichte Josephs. So finden wir z. B. bei ihm weder Altar noch Zelt, wie bei seinen Vätern, weil uns in ihm rächt Fremdlingschaft auf der Erde vor Augen gestellt wird, sondern Erbschaft und Königtum, nach Leiden und Er­niedrigung. Statt des Zeltes seiner Väter finden wir die Grube und das Gefängnis, und diese sind nur sein Teil, rächt das Teil seiner Väter. Zelt und Altar waren die passenden Symbole ihrer Berufung. Grube und Gefängnis, und nachher der Thron, sind die Symbole seiner Berufung.

 

Weiter ist zu erwähnen, daß der Herr niemals der Gott Josephs genannt wird, wie Er "der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs" heißt. Auch das hat seinen besonderen Grund. Joseph gehörte eher zu den Söhnen als zu den Vätern. Mit ihm war nicht der Bund gemacht worden, wie mit Abra­ham, Isaak und Jakob, noch war irgend jemand beiseitegesetzt worden, um ihm die Segnung zuteil werden zu lassen. Der Bund war mit Abraham gemacht worden, als er von Seinem Vaterland, von seiner Verwandtschaft und von seines Vaters Haus abgesondert wurde. Er war mit Isaak erneuert worden, wodurch Ismael beiseitegesetzt wurde, und wiederum mit Jakob, was die Beiseitesetzung Esaus herbeiführte. Aber mit Joseph wurde er nicht erneuert, denn er war nur einer der Söhne Jakobs, die alle gleichen Anteil daran hatten. Sie alle gehörten zu dem Samen, auf den der Bund sich bezog, und zwar Joseph rächt mehr als jeder der übrigen. So war kein Grund vorhanden für den besonderen Namen: „der Gott Josephs". Denn während die Gnade sich offenbarte in der Be­rufung Abrahams und darauf in der Auswahl Isaaks, des Jüngeren, und schließlich in der Auswahl Jakobs, des jüngeren, entfaltete sie sich bei Joseph nur in dem gewöhnlichen Maße zugunsten des ganzen Samens, ohne im Blick auf Joseph eine Ausnahme zu machen*).

_______________

*) Später wird Gott „der Gott Israels" genannt, wie Er zuvor der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" hieß, weil Sein Bund mit dem Volke Israel errichtet wurde.

 

So ist Joseph an unseren Blicken vorübergezogen in seinem sittlichen, wie in seinem vorbildlichen Charakter, mit den ihm eigenen Tugenden, wie in seiner besonderen symbolischen Stellung. Doch sind wir noch nicht ganz mit ihm fertig.

 

Er war auch ein Mann der Tränen. Paulus sagt, daß er "ein­gedenk sei der Tränen des Timotheus, und manche Tränen waren bei verschiedenen Gelegenheiten in den Augen Josephs, deren wir wohl eingedenk sein sollten. Inmitten der aner­zogenen und höflichen Umgangsformen unserer Tage tun uns ernste, wahre und herzliche Gefühle wirklich not. Tränen sind oft etwas Kostbares und zuweilen sogar etwas Heiliges.

 

Im Anfang, als Joseph sah, daß ein Schuldbewußtsein in den Herzen seiner Brüder erwachte, weinte er. Das waren Tränen des Schmerzes und zugleich der Freude. Er fühlte den Kampf in ihren Seelen mit ihnen, und doch muß er sich gefreut haben, zu sehen, wie der Pfeil sie ins Mark traf und die Wunden an­fingen zu bluten.

 

Er weinte aufs neue, als er Benjamin sah, den Sohn seiner eigenen Mutter, dessen Geburt zugleich ihr Tod gewesen war, und den einzigen unter den Söhnen seines Vaters, der sich nicht seines Blutes schuldig gemacht hatte. Diese Tränen waren daher mehr eine Folge natürlicher Gefühle.

 

Wiederum weinte er, als er sah, daß das Werk der Buße in seinen Brüdern Fortschritte machte. In seiner Weise sehnte er sich nach ihnen mit dem Herzen Jesu Christi, bis zuletzt Judas Worte zuviel für ihn wurden. Die Überführung des Gewissens endete in der Wiederherstellung des Herzens. Der alte Vater" und der Knabe", von denen Juda wieder und wieder in be­redtester Weise sprach, wirkten so mächtig auf ihn, daß er sich nicht länger bezwingen konnte. Er schluchzte laut, und das ganze Haus des Pharao hörte ihn. Das war mehr als die Tränen der Natur. Es waren die Gefühle Christi, oder die Tränen des Vaters am Halse des verlorenen Sohnes.

 

Doch wir sind noch nicht fertig. Joseph fiel auch auf das An­gesicht seines Vaters und weinte, als dieser den Geist auf­gegeben hatte. Es war für ihn dasselbe wie das Grab des Lazarus für Maria und Martha, und da konnten er und sein Herr zusammen weinen.

 

Ferner weinte er, als nach dem Tode seines Vaters seine Brüder anfingen, seiner Liebe zu mißtrauen. Er war enttäuscht. Diese unwürdige Antwort auf alle die Wege und Handlungen einer stetigen, ausharrenden und dienenden Liebe brachte ihn zum Weinen ‑ in dem Geiste Dessen, möchte ich sagen, Der in späteren Tagen über Jerusalem weinte. jahrelang hatte er alles getan, was er konnte, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Er hatte sie und ihre Kinder versorgt. Jahre waren vergangen, und weder in seinem lieben noch in seiner Handlungsweise hatte sich irgendein Tadel ihnen gegenüber gezeigt. Die Trauer über ihren heimgegangenen Vater hatte ihnen eben erst aufs neue gezeigt, welche gemeinsamen Gefühle sie miteinander ver­banden. Joseph hatte ihnen wahrlich alle Ursache gegeben, ihm zu vertrauen, und doch, nach allen diesen Dingen fürchteten sie sich vor ihm. Das war ein harter Stoß für ein Herz wie das des Joseph. Doch er verwies es ihnen nicht, außer durch seine Tränen. Er gab ihnen vielmehr aufs neue Versicherungen seiner rastlosen, treuen Liebe. Und sind nicht solche Tränen, möchte ich fragen, von so kostbarer Art, wie Tränen je sein können? Sie gleichen den Äußerungen des schmerzlich verletzten Gei­stes des Hein, wenn Er sagt: "Bis wann soll ich bei euch sein?" "Was seid ihr furchtsam?" "So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus?« Jesus weinte heilige Tränen und machte sie, wie alles andere, was von Ihm zu Gott emporstieg, zu einem Opfer lieblichen Wohlgeruchs. Joseph, Paulus, Timotheus und andere weinten kostbare Tränen und legten sie gleichsam in der Schatzkammer des Geistes im Schoß der Kirche nieder.

 

So steht Joseph vor uns, und ich wiederhole, vielleicht als der anziehendste Charakter im ganzen 1. Buch Mose. Wir sehen in ihm die Gnade und das tadellose Leben, dem wir bei Isaak begegneten. Frömmigkeit kennzeichnete ihn in allen Lebens­lagen. Zugleich aber finden wir bei ihm, was wir bei Isaak vermißten: Sein Zartgefühl war mit Festigkeit und Energie verbunden, was bei Isaak nicht der Fall war.

 

Joseph hat jetzt noch einen letzten Liebesdienst dem Andenken seines Vaters zu weihen, und er übt ihn in aller Schönheit und Treue aus. Er beerdigt seinen Vater, wie dieser es gewollt hatte, im Lande Kanaan. Die ganze Handlung geht mit großer Feier­lichkeit und in einer Weise ver sich, daß wir noch einen Augen­blick dabei verweilen müssen.

 

In früheren Zeiten war der Gottesdienst mit prächtigen feier­lichen Gebräuchen verbunden. Tempel, Altäre, Feste, Opfer und dergleichen riefen diese Pracht hervor, und Diener ver­sc1‑Liedener Ordnungen, mit entsprechenden Gewändern be­kleidet verrichteten den Dienst. Warum das alles? In jenen Tagen wies der Gottesdienst vorwärts auf gewisse große Ge­heimnisse, die damals bildlich dargestellt werden sollten. Da aber jetzt diese Geheimnisse in der Offenbarung Christi, in Seiner Person, Seinem Werke, Seinen Leiden und Siegen, ihre Erfüllung gefunden haben, so würde ein prunkvoller Gottes­dienst jetzt nur eine Herabsetzung alles dessen sein, was in seiner vollen Wirklichkeit und Kraft in Ihm gefunden wird.

 

Wie mit dem Gottesdienst, so ist es auch mit Leichenbegäng­nissen. In früheren Zeiten waren sie mit Recht prunkvoll, weil die Auferstehung nur in der Ferne gesehen wurde, und die Leichenbegängnisse eine Art Unterpfand der erwarteten Auf­erstehung bildeten. Es war ganz in der Ordnung, daß das Unterpfand prachtvoll war, entsprechend der Herrlichkeit dessen, was es verbürgte. Aber jetzt, nachdem die Auferste­hung in der Person des Herrn Jesus, des Sohnes Gottes, ihre Verwirklichung gefunden hat, ist ein prunkvolles Leichengängnis, ebenso wie ein zeremonieller Gottesdienst, eher eine Herabsetzung oder Schmähung, als ob das große Geheimnis selbst noch nicht in seiner Wirklichkeit und Kraft geoffenbart worden wäre. Denn jetzt ist nicht der Pomp eines Leichenbe­gängnisses das Unterpfand unserer künftigen Auferstehung, sondern vielmehr die Auferstehung des Herrn, sie, die Erst­lingsfrucht einer verheißenen Ernte.

 

Demgemäß sollte jetzt dieselbe Einfachheit beim Gottesdienst wie bei der Beerdigung den Glauben der Kirche an erfüllte Geheimnisse verraten. Wir haben jetzt den Sieg des Herrn Jesus vor Augen. Wir geben oder empfangen nicht mehr ein Unterpfand davon, wie in den Satzungen und Verordnun­gen früherer Tage, sondern Wir feiern ‑ihn. Joseph von Ari­mathia bereitete dem Leibe unseres Heilandes ein prunkvolles Begräbnis, wie es Joseph, der Sohn Jakobs, hier dem Leibe seines geliebten und verehrten Vaters tat. Wir lesen von Jesu: "Man hat sein Grab bei Gesetzlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tode". In den Tagen Josephs von Arimathia war das Grab noch nicht vernichtet, und des­halb mochte noch ein Unterpfand ‑ ein gleiches Unterpfand wie in den Tagen des Patriarchen ‑ gegeben werden. Aber bei der Beerdigung des Herrn Jesus sehen wir mit Recht dieses Unterpfand zum letzten Mal, weil wir in Ihm die Erstlings­frucht der Vernichtung des Hades erblicken. Jesus ist auferstanden. Die Grabtücher lagen in dem leeren Grab als Beute eines glorreichen Krieges und als Trophäen eines herrlichen Sieges. Der Tod war zunichte gemacht, und jetzt feiert der Glaube das, was Satzungen und Gebräuche*), Verordnungen und Zeremonien einst nur verbürgt und vorgebildet hatten. Und ich möchte hinzufügen, der Glaube verstand dies, denn bei dem Begräbnis, das auf das Begräbnis des Herrn Jesus folgte, hören wir weder von Einbalsamierung noch von irgend­welcher Prachtentfaltung. Es wurde ganz einfach veranstaltet, gewiß in aller Ehrerbietung und Liebe, aber doch ohne beson­dere Feierlichkeit. "Gottesfürchtige Männer bestatteten den Stephanus und stellten eine große Klage über ihn an".

________________

*) Ein Leichenbegräbnis war keine Verordnung, sondern ein Brauch, eine Sitte. (Vergl. Joh 19, 40). Wir hören nicht, daß es den Patriarchen aufgetragen worden, oder daß es in dem Gesetzbuch Israels enthalten gewesen wäre, Leichenbegängnisse zu veranstalten. Machpela wurde von Abraham ohne ein unmittelbares Gebot Gottes gekauft. Aber Leichenbegängnisse wurden durch den Glauben an die Auferstehung eingegeben, und zwar mit Recht. Die Auferste­hung war das, was der Glaube zu erlangen hoffte (Apg 26).

 

Wenn wir Glauben hätten, würden wir dies alles hoch schät­zen. Unsere Vorrechte sind wahrlich groß. In dem Dienst des Hauses Gottes ist der Tisch an die Stelle des Altars getreten, und statt eines Opfers haben wir ein Fest auf Grund eines Opfers. Und so haben wir auch Tod und Beerdigung im Lichte der Auferstehung Jesu zu betrachten.

 

Der Tod Jakobs hatte auch eine sittliche Wirkung auf die Familie, indem er etwas aufdeckte, was vorher nicht wahr­genommen wurde. Das ist oft der Fall, wenn ein Familienhaupt weggenommen wird. Hierauf möchte ich noch etwas näher ein­gehen.

 

Die Einfalt des Glaubens der Patriarchen ist sehr bemerkens­wert. Ihr Glaube wie ihre Gewohnheiten waren schön, weil sie ungekünstelt waren. Es gab nichts von dem Geist der Knechtschaft in diesen Heiligen des 1. Buches Mose. Die Patri­archen wandelten in der Gewißheit, daß Gott ihr Gott war, daß Seine Verheißungen ihnen gehörten, und daß die Stadt und das Land der Herrlichkeit ihr Erbteil ausmachten. Sie lebten und starben in diesem Geist des Glaubens. Kein Arg­wohn, kein überlegen, kein Mißtrauen hinsichtlich der Gnade befleckte ihre Seelen. Und das ist um so befremdender als wir diesem Geist der Knechtschaft sonst überall in der ganzen Schrift begegnen, sobald wir das erste Buch Mose verlassen. Es würde unmöglich sein, alle die Beispiele davon in der Schrift zu verfolgen. Er wirkt naturgemäß und leider in ausgedehntem Maße auch in uns. Wahrlich, wir haben ihn bei uns selbst kennengelernt und sehen ihn rund um uns her.

 

Woher kommt es nun, daß er sich nicht in den Patriarchen verrät? Lag es daran, daß sie für sich selbst so beständige Zeugender Gnade und der Auserwählung Gottes waren und die Stimme des Gesetzes nie gehört hatten? Sicherlich trug, dies dazu bei, ihre Gesinnung zu bilden, aber abgesehen davon stand das Fehlen des Geistes der Knechtschaft in lieblicher 0bereinstimmung mit ihrer derzeitigen Stellung, da sie wie Kinder waren, die nie vom Hause entfernt gewesen sind. Sie befanden sich in dem Kindesalter und konnten daher ebenso­wenig in der Gegenwart Gottes in einem Geist der Furcht und Ungewißheit wandeln, wie ein Kind, bevor es das Elternhaus verläßt, in die Versuchung kommen kann, seinen Anspruch an Unterhalt und Obdach in seines Vaters Hause in Zweifel zu ziehen. Und es gehört mit zu der Schönheit und Vollkommen­heit des 1. Buches Mose in den Heiligen Gottes dort diesen kindlichen, nicht zweifelnden Glauben zu sehen. Sie fehlen wohl, und auch zu Zeiten durch Mangel an Glauben unter dem Druck gewisser Umstände, aber ihre Seelen verunreinigen sich nie durch einen Geist des Mißtrauens und der Knechtschaft. Wir finden diesen Geist erst, wenn wir im Begriff stehen, von diesem Buch Abschied zu nehmen, und über seinen eigentlichen patriarchalischen Charakter hinauskommen, und zwar ent­decken wir ihn in Josephs Brüdern, sobald das Begräbnis Jakobs vorüber ist.

 

Da stellte es sich heraus, daß sie ihrem Bruder nicht in arg­loser, glücklicher Weise Vertrauen geschenkt hatten. Es hatte einen Gegenstand gemeinsamen Interesses zwischen ihnen ge­geben, und auf diesen hatte sich ihr Vertrauen viel mehr gegründet als auf Joseph selbst. Ihre Zuversicht beruhte rächt auf dem, was Joseph war oder getan hatte, sondern auf den Um­ständen. Jakobs Gegenwart war die Stütze ihrer Herzen. Sie hatten Buße getan. Sie waren überführt und dann gleichsam lebendig gemacht worden. Aber dennoch ehrten sie Joseph nicht durch ihr Vertrauen, wie er es doch so reichlich um sie verdient hätte.

 

Liegt hierin nicht auch eine Mahnung für uns? Wir mögen uns wohl fragen: Wenn Gott uns einmal die Stütze und die Ge­meinschaft anderer entzöge, würde es sich dann zeigen, daß unser ganzes Vertrauen allezeit auf Jesum gerichtet gewesen wäret daß wir die Gnade so kennengelernt hätten, um die Gegenwart einer unverhüllten Herrlichkeit ertragen zu kön­nen?, daß die Wegnahme eines Jakob nicht die Atmosphäre umwölkte, in der unsere Seelen sich aufzuhalten gewöhnt waren?

 

Wir sind jetzt am Ende der Geschichte Josephs angelangt. Be­vor ich jedoch von seinem Tode spreche, möchte ich noch auf ein schönes Beispiel der Bekanntschaft des Glaubens n* dem Lauf der Weltgeschichte hinweisen. Ich meine rächt die Kennt­nis eines Propheten bezüglich dessen, was unter den Nationen sich ereignen wird, wie sie z. B. ein Daniel besaß, als er von den vier Tieren und von dein großen Bilde redete. Solche Kenntnis wurde durch den Geist mitgeteilt, indem der Herr das Herz Daniels oder anderer Propheten mit Seinem Licht erfüllte. Ich rede nur von der Kenntnis, die der Glaube von dem Lauf der Geschichte der Nationen besitzt.

 

Joseph sagt zu seinen Brüdern. "Ich sterbe; und Gott wird euch gewißlich heimsuchen und euch aus diesem Lande her­aufführen in das Land, das er Abraham, Isaak und Jakob zu­geschworen hat".

 

Die Kinder Israel waren zu jener Zeit im Lande Ägypten sehr glücklich. Sie genossen die volle Gunst des Königs, besaßen den besten Teil des ganzen Landes und sahen einen aus ihrer Mitte auf dem zweiten Platz im Reiche. Es war nicht das ge­ringste Anzeichen einer Gefahr oder Veränderung ihrer Um stände wahrzunehmen, und Joseph selbst war so glücklich, wie die Umstände ihn nur machen konnten. "Ersah von Ephraim Kinder des dritten Gliedes; auch die Söhne Makirs, des Sohnes Manasses, wurden auf die Knie Josephs geboren". Aber bei alledem spricht Joseph davon, daß Gott sie heimsuchen würde, und diese Worte deuten an, daß Tage der Trübsal im Anzuge waren, Tage, in denen Gott ihr einziger Freund und Helfer sein würde.

 

Das war sonderbar, sehr sonderbar! Wer konnte es glauben? Hatte Joseph geträumt? so würden Staatsmänner und Politiker gefragt haben. Aber nein, Joseph hatte nicht geträumt. Das Wort Gottes war seine Weisheit. Der göttliche Ausspruch in Kapitel 15 hatte zuvor angekündigt, daß die Ägypter Israel be­drücken würden, daß aber Gott Sich als ihr Freund erweisen und sie nach Kanaan zurückbringen würde, und dieses Wort aus dem Munde Gottes galt für Joseph und für den Glauben alles. Der äußere Schein galt nichts. Gott hatte gesprochen. Joseph glaubte dem göttlichen Ausspruch und gedachte daran. Und daher sah er durch den Glauben Israels Bedrückung zu einer Zeit, als das Volk s11ch in den glänzendsten und glück­verheißendsten Umständen befand. Er sah die Feindschaft Ägyptens zur Zeit seiner Freundschaft. Durch denselben Glau­ben hatte einst Noah hundertzwanzig Jahre lang das Gericht der Welt vorhergesehen, während um ihn her Saat und Ernte, Wein und Ährenlese, Kaufen und Verkaufen, Pflanzen und Bauen seinen ruhigen Fortgang nahm.

 

Solche Kenntnis hatte der Glaube von dem zukünftigen Lauf der Dinge, und wahrlich, er sollte auch heutzutage ein solcher Politiker sein und durch das Licht des Wortes Gottes etwas von der Zukunft wissen, trotz allem äußeren Scheins. Dies ist auch der einzige Akt in Josephs Leben, der als eine Handlung des Glaubens in Hebr 11 aufgezeichnet und auf diese Weise be­sonders hervorgehoben ist unter so vielen Handlungen des Glaubens und der Gottseligkeit, und bei einem solchen un­unterbrochenen Wandel mit Gott, wie wir ihn bei Joseph gesehen haben. Aber er war auch wert, so aufgezeichnet zu wer­den. Er war ein lautes Zeugnis dafür, daß Joseph inmitten der Verlockungen und Beschäftigungen der Welt von dem Wort Gottes lebte, und zwar mit einem Herzen, das über alle Äußer­lichkeiten erhaben war. Abraham war durch göttliche Gesichte und Aussprüche über die zukünftige Geschichte Israels belehrt worden. Joseph benutzte nur, was Abraham empfangen hatte. Er erhielt keine Besuche von seiten des Herrn wie Abraham. Joseph stand vielleicht nicht auf der Höhe Abrahams, aber wir finden in ihm, was in sittlicher Hinsicht das Vorzüglichste ist, nämlich das Licht und die Gewißheit eines gläubigen Herzens, das Verständnis und das entschiedene Urteilen des Glaubens. Er gedachte dessen, was Abraham gehört hatte, und handelte demgemäß. Was ihm an persönlicher Erhabenheit fehlte, (in­dem er nicht wie Abraham die Aussprüche Gottes empfing) besaß er an sittlicher Kraft als ein an Gott Glaubender. Und wenn ich gezwungen wäre, zwischen beidem zu wählen, so möchte ich lieber glauben, als inspiriert sein. Und Joseph glaubte, als er, wie wir lesen, ",des Auszugs der Söhne Israels gedachte, und Befehl gab wegen seiner Gebeine" (Hebr 11, 22). Dieses politische Verständnis des Glaubens (wenn ich es so nennen darf) Über das, was auf der Erde geschehen wird, machte einen Noah und einen Joseph weiser als alle Staats­männer der weltlichen Reiche. Wir wissen ja, wie genau Josephs Worte eintrafen, und in wie unerwarteter Weise Zie­gelhütten das blühende Land Gosen schändeten, und Treiber Israel zur Arbeit antrieben, gerade so wie früher in den Tagen Noahs das Wasser die höchsten Spitzen der Berge bedeckte und ein Schiff, das scheinbar in großer Torheit für trockenes Land erbaut worden war, die einzige Arche der Rettung wurde.

 

Aber sollte es mit dem Glauben nicht auch heute noch so sein? möchte ich fragen. Haben wir nicht durch den Glauben an das Wort Gottes eine Gewähr, den Lauf dieser Welt kennen zu können, trotz ihrer wachsenden Verfeinerung und ihrer Fort­schritte auf allen Gebieten? Haben wir keinen Grund dafür, zu wissen, daß sie &ich auf dem Wege zum Gericht befindet? Sicher. Der Herr Jesus ist in dieser Welt verworfen worden.

 

Das ist es, was der Welt vor Gott ihren Charakter aufprägt. Kein Fortschritt in Gesittung und Kultur, selbst nicht die Aus­breitung der göttlichen Wahrheit unter den Völkern, vermag die Welt von dem Gericht zu befreien, das sie wegen jener schrecklichen Tat zu erwarten hat. Und wäre auch der Tag so glänzend, wie er es zur Zeit Josephs für Israel war, so weiß der Glaube doch, daß die schimmernde Oberfläche bald zer­stört werden wird. Die Umstände können nie dein Glauben einen Gegenstand bieten. Das kann nur das Wort Gottes. Und den Umständen und Erscheinungen sollte nie gestattet werden, das Auge des Glaubens von seinem Gegenstand abzuziehen. Das Haus, gekehrt und geschmückt wie es heute ist, scheint viel zu verheißen. Das tat auch das Land Gosen und die Freundschaft des Pharao in jenen Tagen. Aber solche Ver­heißungen sind für das Ohr des Glaubens leere Worte. Es achtet nicht darauf. Wie Jeremia, als das verbündete Heer an­gekommen und das feindliche abgezogen war, zu dem König von Juda sagte: "Täuschet euch nicht selbst" (Jer 37, 9), so sagt heute der Glaube zu der sich ihrer Fortschritte rühmenden Welt: "Täuschet euch nicht selbst". Der Glaube sagt das mit aller Kühnheit, denn er weiß genau, daß der letzte Zustand des gekehrten und geschmückten Hauses ärger sein wird als der erste.

 

Joseph lieferte also den Beweis, daß er glaubte, was er be­zeugte. Wie das Herz Jakobs, so war auch sein Herz in Kana­an, dem Lande des Bundes und der Gräber seiner Väter. Und wie Jakob, so ließ auch er seine Brüder schwören und sprach: "Gott wird euch gewißlich heimsuchen; so führet meine Ge­beine von hier hinauf". Die unsichtbare Welt war für ihn das Wahre und Wirkliche, wie sie es auch für seine Väter gewesen war. Die Berufung Gottes hatte sie alle mit dem verbunden, was jenseits des Todes liegt, und dort waren ihre Gedanken und ihre Herzen, bevor sie selbst dahin gelangten. Zu sterben war für sie so natürlich wie zu leben.

 

„Joseph starb, hundertzehn Jahre alt". Seine Brüder, die Kin­der Israel, benahmen sich treu gegen ihn, wie er es gegen seinen Vater Jakob getan hatte. Sie balsamierten seinen Leib sogleich ein. Später nahm Moses in mit aus Ägypten, und schließlich beerdigte ihn Josua in Sichem im Lande Kanaan. (Siehe ‑1. MO 50, 26; 2. MO 13, 19; 10 24, 32).

 

Die Geschichte Josephs ist hiermit zu Ende und damit auch das ‑1. Buch Mose, das Buch der Schöpfung und der ersten Wege Gottes mit dem Menschen, das Buch der Patriarchen, der ersten Familien der Menschenkinder und des Kindesalters der Auserwählten Gottes.

 

Ich glaube, wir alle fühlen, daß wir beim Verlassen dieses Buches in gewisser Beziehung einen niedrigeren Boden betre­ten. Im ersten Buche Mose offenbart Gott mehr Sich Selbst, nachher das was der Mensch ist. Der Mensch war, wie wir wiederholt bemerkten, noch nicht unter Gesetz gestellt. Er sollte Gott unter mancherlei verschiedenen Offenbarungen Seiner Selbst kennenlernen. Aber sobald das Gesetz kommt, tritt der Mensch notwendigerweise mehr in den Vordergrund, und wir haben dann ihn zu betrachten, und zwar nicht einfach unter der Berufung Gottes, sondern. in seiner eigenen Stellung und in seinem Charakter. Das wird sicher genügen, um uns fühlen zu lassen, daß wir uns in gewisser Beziehung auf einem niedrigeren Boden befinden. Selbstredend begegnen wir ande­rerseits in der Enthüllung der Ratschlüsse, in der Darstellung der Hilfsquellen Gottes gegenüber dem Fehlen des Menschen, sowie in den ferneren Offenbarungen Seiner Selbst gegenüber der Bloßstellung des Menschen einem steten Fortschreiten in dem ganzen Wort Gottes von Anfang bis zu Ende.

 

Doch so mannigfach und wunderbar die Ratschlüsse sind, deren fortschreitende Enthüllung uns bei der Erforschung der Schrif­ten entgegentritt, und so mannigfaltig die Weisheit Gottes auch sein mag, so können wir doch sagen, daß jeder einzelne Teil von ihnen in irgendeiner Weise in dem ersten Buche Mose eine Erwähnung oder ein Vorbild findet, allerdings schwach und dunkel, aber die Grundzüge von allem sind darin enthalten. Versöhnung, Glaube, Gericht, Herrlichkeit, Regie­rung, Berufung, das Reich, die Kirche, Israel, die Nationen, Bündnisse, Verheißungen, Prophezeiungen, neben dem hoch­gelobten Gott Selbst in Seiner Heiligkeit, Liebe und Wahr­heit, das Tun Seiner Hand und die Arbeit und die Früchte Seines Geistes ‑ alles das und noch manches Ähnliche kommt in diesem Buche zum Vorschein. Im Beginn wird die Schöp­fung dargestellt. Nachdem diese unter der Hand des Men­schen befleckt und verdorben ist, wird die Erlösung geoffen­bart. Sodann zeigt sich in den Erzählungen von Henoch und Noah, daß Himmel und Erde die Schauplätze der Erlösung sind (wie sie auch anfangs die der Schöpfung gewesen waren). Weiter finden wir in Abraham, Isaak, Jakob und Joseph den Menschen (den Hauptgegenstand der Erlösung) in seiner Aus­erwählung, Sohnschaft Zucht und Besitznahme des Erbes. Alle diese Geheimnisse liegen offen vor unseren Augen, sind beachtenswert für unsere Seele und rufen unsere ungeteilte Bewunderung wach.

 

Möchten wir zum Preise Gottes sagen lernen, daß, wie die Himmel die Herrlichkeit Gottes erzählen, und die Ausdehnung Seiner Hände Werk verkündet, so auch die Blätter der Heiligen Schrift mit nicht geringerer Klarheit und Bestimmtheit das Wehen Seines Geistes verraten!