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Die poetischen Bücher

  • Poetischen Bücher
  • Hiob 1 - 2
  • Hiob 3-11
    Hiob 12-31
    Hiob 32-37
    Hiob 38-41
    Hiob   42
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    «Die Bücher der Bibel, die bis anhin unser Gegenstand waren, sind zum größten Teil einfach und klar, Berichte tatsächlicher Geschehnisse, welche auch der zügig Lesende verstehen kann, Berichte, welche für Kindlein Milch darreichen, wie solche eben aufzunehmen und zu verdauen vermögen, wodurch sie sowohl unterhalten als auch ernährt werden können. Die Wasser des Heiligtums haben bisher an die Knöchel oder allenfalls and Knie gereicht, so dass auch ein Lamm darin waten, sich waschen und daraus trinken kann. Hier nun eröffnet sich uns eine fortgeschrittenere und höhere Stufe der göttlichen Schule; es werden uns Bücher an die Hand gegeben, darin sich manches Dunkle und schwer zu Verstehende findet, deren Sinn wir nicht so schnell und so sicher erfassen, wie wir wünschten, deren Studium eine zuchtvollere Hingabe des Verstandes verlangt, eine größere Intensität des Nachdenkens und beharrlicheres Forschen, welches indes der darin enthaltene Schatz, wenn er gefunden wird, überreich vergilt. Die Wasser des Heiligtums reichen hier an die Lenden, und während wir weiter voranschreiten, werden wir finden, dass in den prophetischen Büchern die Wasser noch höher gestiegen sind, zu Wassern, in denen man schwimmen muß (Hes 47:3–5), Wasser, die man in keiner Weise überqueren kann – Tiefen, in denen auch kein Elefant Fußfeste findet, feste Speise für starke Männer.»

    (Matthew Henry)

     

    Die fünf Bücher Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger und Lied der Lieder fassen wir ihrer dichterischen Sprache wegen als die poetischen  zusammen. Dem Inhalt nach werden sie passenderweise auch Weisheitsbücher  genannt. Weisheit, wozu denn? Die historischen Bücher haben uns erzählt, wie das ganze Volk beharrlich von Gott wegstrebte und am Ende von dessen Angesicht weg verworfen wurde. Eine gesamthaft gottlose Nation mit einem meist gottlosen König an der Spitze mußte unter das Urteil jenes Gesetzes fallen, auf das die Nation sich selbst einst verpflichtet hatte (2Mo 19; 5Mo 28:36). In solcher Lage, wenn «die Treuen verschwunden sind unter den Menschenkindern» (Ps 12:1), fragt der Gerechte:

     

    «Wenn die Grundpfeiler umgerissen werden, was tut dann der Gerechte?» (Ps 11:3).

     

    Was tut der Gerechte, der selbst den Untergang der Nation nicht verschuldet hat, aber als Kind dieser Nation deren Untergang teilt? Auf solche Fragen antworten die Weisheitsbücher. Hatten die Gesetzesbücher und die historischen Bücher die gesamte Nation – das Kollektiv, um einen zwar häßlichen aber im vorliegenden Zusammenhang passenden Ausdruck zu gebrauchen – im Blickfeld, so behandeln die poetischen Bücher den Glauben und Wandel des einzelnen. Wir lernen aus den historischen Büchern die wichtige Wahrheit, dass jeder Mensch Teil eines größeren Ganzen ist, eben eines Kollektivs, und dass er daher dessen Ergehen teilt. Die poetischen Bücher lehren uns nun, dass der einzelne, der zwar dem zeitlichen Geschick der Gemeinschaft nicht entrinnen kann, wie wir an treuen Seelen wie einem Daniel etwa sehen können (Dan 1), dass er aber, was sein ewiges Geschick betrifft, seine göttlich gegebene Bestimmung erfüllen kann. Wir hatten oben die Frage von Ps 11:3 gestellt. Hören wir auch die Antwort:

     

    «Der EWIGE ist in seinem heiligen Palast. Der EWIGE – in den Himmeln ist sein Thron; seine Augen schauen, seine Augenlider prüfen die Menschenkinder» (Ps 11:4).

     

    Das ist eine frohe Botschaft. Wie groß die Untreue der Gesamtheit des Gottesvolkes auch sein mag, so bleibt dem einzelnen doch immer ein Weg offen, den er zur Ehre seines Gottes und zu seinem und damit auch der Brüder Wohl gehen kann. Der persönliche Glaube an den Herrn im Himmel, die Treue gegenüber Seinen Befehlen, die glückselige Abhängigkeit von Ihm, das Ausharren unter Seiner Hand auch unter widrigsten Umständen, der Trost der lebendigen Hoffnung auf das Kommen des Herrn – das sind die Themen, die in den vorliegenden fünf Büchern behandelt werden.

                Durch die Gottesfurcht und den innigen Umgang mit seinem Gott erkennt der einzelne nun den Weg, der ihn durch eine durch die Sünde verdorbene Welt führt, aber er lernt nicht nur seinen Weg, sondern gewinnt auch Einsicht in Gottes Absichten mit seinen Brüdern, seinem ganzen Volk, ja, der ganzen Erde. Dahin weitet sich deshalb der Blick des Heiligen immer wieder, der allein in Gottes Gegenwart getreten war und zunächst nur einen Weg für sich aus dem Dunkel gesucht hatte. Namentlich die Psalmen bieten dafür zahlreiche Beispiele.

     

    Das Thema der fünf poetischen Bücher

     

    Das Buch Hiob antwortet auf die Fragen, welche das nicht unmittelbar selbst verschuldete Leiden des Gerechten aufwerfen. Die Antwort auf solche Fragen gibt ein neutestamentlicher Autor: Jakobus. Er sagt, dass wir am Ende, das der Herr dem Hiob bestimmt hatte, begreifen, wozu alles Leiden dienen muß (Jk 5:11). So ist denn die Botschaft des Buches Hiob – vielleicht etwas unterwartet – die Hoffnung des Erlösten.

     

    Die Psalmen sind eine Sammlung von Gebeten, wobei hier das Wort im umfassendsten Sinn so zu verstehen ist, das es auch Danksagung, Lobpreis und Anbetung beinhaltet. Lobpreis und Gebet ist die Antwort des Erlösten auf Gottes Wort, das unter allen Umständen wahr bleibt, und auf Gottes Handeln unter allen nur erdenklichen Wechselfällen des Lebens. Wir können daher sagen: Das alle Psalmen umfassende Thema  ist der Glaube des Erlösten.

     

    Die Sprüche lehren den Erlösten göttliche Weisheit, und zwar jene Weisheit, die er braucht, um in einer sündigen Welt an allen Versuchungen und Fallstricken  vorbei den Weg des Gerechten an das Ziel sicher zu gehen. Das Thema ist mithin: göttliche Weisheit für den Weg des Erlösten durch diese Welt.

     

    Prediger lehrt den Erlösten ebenfalls göttliche Weisheit, und zwar jene Weisheit, die er braucht, um die siebzig, wenn’s hoch kommt achtzig Jahre seiner eitlen irdischen Existenz richtig zu leben. Das Thema von Prediger ist also göttliche Weisheit für das Leben des  Erlösten in dieser Welt.

     

    Das Lied der Lieder hat die Liebe zum Thema, und zwar die Liebe Gottes zu den Seinigen, die Liebe der Erlösten zu ihrem Gott, die Liebe von Erlösten als Mann und Frau zu einander. Wir können also sagen, das Thema des Hohenliedes ist die Liebe im Leben des Erlösten.

     

    So lehren uns denn drei der fünf Bücher die drei Kardinaltugenden des Erlösten: Glauben, Hoffnung und Liebe.

     

     

    Schautafel der fünf poetischen Bücher

    Hiob    lehrhaft              Schmerz             Hoffnung

    Psalmen            priesterlich        Freude             Glaube

    Sprüche            praktisch          Friede             Weisheit

    Prediger            philosophisch             Zufriedenheit             Weisheit

    Hoheslied            lyrisch             Entrückung       Liebe

     

    Die Sprache der poetischen Bücher

     

    Metaphern und Gleichnisse

    Die Sprache der Weisheitsliteratur ist reich an Metaphern (Metapher ist griechisch und bedeutet »Übertragenes») und Gleichnissen. Solche finden sich überall, wo Wahrheiten der Art von Sprüche und Prediger auch außerhalb dieser Bücher gelehrt werden.

       Nehmen wir die von Jotam  an die Bürger Sichems gerichtete Fabel von den Bäumen des Waldes (Ri 9:7–20). Die Bäume sind Metaphern für die Bürger einer Stadt, bzw. für deren König. Am Ende wird Abimelech mit einem Dornstrauch verglichen; wie dieser wird sich Abimelech zunächst als nutzlos, dann als lästig und am Ende als destruktiv erweisen: Vom Dornstrauch wird Feuer ausgehen und alle, die ihm zu nahe kommen, verzehren.

       Wir kennen diese Gattung auch in der europäischen Literatur, die freilich auf antiken Vorbildern fußt. Was etwa ein Lafontaine  schrieb, hatte er von Äsop übernommen. Dessen Fabeln wiederum können ihre eigentliche Herkunft aus dem Alten Orient nicht verleugnen. In der Tat ist vieles, das die deutsche Sprache an Spruchweisheiten besitzt, biblisches – und mithin orientalisches – Erbe.

       Es findet sich im Alten Testament außer der genannten nur noch eine Fabel (2Kö 14:9), in den eigentlichen Weisheitsbüchern finden wir also keine. Aber wie die Fabeln sind auch sie voll von Vergleichen:

      

    «Wie Schnee im Sommer und wie Regen in der Ernte, so ist Ehre dem Toren nicht geziemend» (Spr 26:1).

     

    «Wie eine Lilie inmitten der Dornen, so ist meine Freundin inmitten der Töchter» (Hoh 2:2).

     

    Knappste Ausdrucksweise

    Die Sprache der Weisheitsbücher ist poetisch. Sie ist nicht sachlich erzählend wie in den Geschichtsbüchern, noch auch sachlich statuierend wie in den Gesetzesbüchern. Was nun im Hebräischen die Poesie insonderheit Kennzeichnet ist nicht etwa Ausführlichkeit oder Weitschweifigkeit – wie sie uns aus europäischer Dichtung bekannt ist – sondern im Gegenteil: Dichterische Sprache ist im Munde der Hebräer denkbar knapp. Es ist, als ob sich darin das Wesen der Weisheit und der Weisen selbst widerspiegle; denn der Weise redet nicht lang und breit (Spr 10:19; Prd 5:2); hingegen gilt:

     

     «Der Tor wird laut durch viele Worte» (Prd 5:3).

     

    Weil die Sprache so knapp ist, wie sie nur sein kann, ist sie für nicht–hebräische Ohren oft mehrdeutig. Das erklärt, warum die Bibelübersetzungen in den poetischen Büchern am stärksten von einander abweichen. Ich nenne ein Beispiel:

                In Sprüche 12:9 steht in der alten Elberfelder: «Besser wer gering ist und einen Knecht hat, als wer vornehm tut und hat Mangel an Brot.» Ganz in dem Sinn übersetzt auch die englische AV. In der Übersetzung des (österreichischen) Juden Martin Buber lautet die Stelle:

     

    «Besser, wer gering bleibt und sein eigener Arbeiter (ist), als wer sich wichtig macht und es mangelt an Brot.»

     

    Mir scheint, Buber hat den Sinn besser getroffen; aber wie kann so verschieden übersetzt werden? Das Hebräische ist eben in seiner Kürze – für uns! – mehrdeutig:

       tob niqlæh we`æbæd lo...= «gut gering und Knecht ihm/sich.» Der zweite Teil kann nun bedeuten: Und ein Knecht ist ihm = er hat einen Knecht. Oder: Und ein Knecht ist er sich = er arbeitet selbst.

       Das Beispiel zeigt, dass es gerade beim Lesen in den poetischen Büchern des AT außergewöhnlich hilfreich, zuweilen gar notwendig ist, mehrere Übersetzungen zur Hand zu haben.

     

    Kontraste und Variationen

    Die besondere Form der Sprüche fällt jedem auf, der das Buch liest. Es besteht zum größten Teil eben aus»Sprüchen». Diese sind zumeist zweizeilig, wobei beide Zeilen zur gleichen Wahrheit etwas aussagen. Es kommen verschiedene Arten solcher paralleler Aussagen vor:

     

    • Vergleiche: «Wie Essig den Zähnen und wie der Rauch den Augen

    so ist der Faule denen, die ihn senden» (10:26; siehe auch 16:15; 25:18; 26:7–11)

     

    •Variationen: «Wer mit den Augen zwinkt, verursacht Kränkung, und ein närrischer Schwätzer kommt zu Fall» (10:10). Es wird zweimal etwas zum gleichen Problem (hier über verwerfliche Kommunikation) gesagt, und es werden zweimal die entsprechenden Folgen des im Grunde gleichen Tuns genannt. Weitere Beispiele dieser Art: 10:18,22; 15:26; 16:18,20; 23:27.

     

    • Kontraste: «Ein weiser Sohn erfreut den Vater, aber ein törichter Sohn ist seiner  Mutter Kummer» (10:1; auch 10:2,3,4 etc.) Beide Zeilen heben die gleiche Wahrheit hervor; in der ersten wird sie positiv, in der zweiten negativ formuliert.

     

    Rhythmus und Reim

    Eine Besonderheit hebräischer Poesie: Sie kennt keinen Endreim, wie sie seit dem Mittelalter für alle europäischen Sprachen typisch ist. Ebensowenig ist sie durch ein Metrum, rhytmischen Wechsel von langen und kurzen Silben, bestimmt wie die griechische und lateinische Dichtung. Die hebräische Dichtung lebt von gedanklichen Reimen und von inhaltlichem Rhythmus. Ich gebe ein Beispiel aus dem Psalmbuch und ein zweites aus dem Buch Hiob:

     

    «Der HERR hat in den Himmeln festgestellt seinen Thron,

     Und Sein Reich herrscht über alles» (103:19).

     

    «Denn gleich meinem Brote kommt mein Seufzen,

    und wie Wasser ergießt sich mein Gestöhn» (Hi 3:24).

     

    Ich nenne das gedanklichen Reim, weil die Wahrheit der ersten Zeile in der zweiten Zeile nachklingt. Der gleiche Gedanke wird mit anderen Worten wiederholt. Nicht Gleichklang von Lauten (Kuchen – suchen), sondern Verwandtschaft der Gedanken (Thron – Reich) macht hier den «Reim». Ein weiteres Beispiel:

     

    «O Glück des Mannes,

    der nicht ging im Rat der Frevler,

    den Weg der Sünder nicht beschritt,

    am Sitz der Dreisten nicht saß,

    sondern Lust hat an SEINER Weisung,

    über seiner Weisung murmelt tages und nachts!

    Der wird sein

    wie ein Baum, an Wassergräben verpflanzt,

    der zu seiner Zeit gibt seine Frucht

    und sein Laub welkt nicht:

    was alles er tut, gelingt» (Ps 1:1–3 nach M. Buber).

     

    Wer kann diese Zeilen lesen, ohne vom Rhythmus der Aufzählung erfaßt zu werden?

     

    Verschlungene Rede

    Der Sinn dieser besonderen Form der Unterweisung – in Sprüchen – ist ein zweifacher:

     

    Zum einen prägen sich solche Sprüche mit ihren farbigen Vergleichen und ihrer scharfen Prägnanz besonders gut ein und vermögen so das Gewissen zu treffen und das Herz zu regieren:

     

    «Die Worte der Weisen sind wie Treibstacheln, und wie eingeschlagene Nägel die gesammelten Sprüche» (Prd 12:11).

     

    Zum andern sorgt diese Form der Unterweisung dafür, dass nur der Sohn der Weisheit sie wirklich versteht. Wer sich demütigt und dem göttlichen Lehrer – der durch diese Sprüche spricht – sein Ohr neigt, der allein vermag

     

    «einen Spruch zu verstehen und verschlungene Rede, die Worte der Weisen und ihre Rätsel» (Spr 1:6).

     

    Der «Spruch» erscheint dem menschlichen Verstand oft als «verschlungene Rede», als «dark saying» (AV). Was der christliche Gelehrte und Denker Blaise Pascal zur Bibel allgemein sagte, gilt besonders für die Weisheitsbücher mit ihrer besonderen Sprache:

     

    «In der Bibel ist genug Klarheit, um die Erwählten zu erleuchten, und genug Dunkelheit, um sie zu demütigen.  Den Erwählten wirken alle Dinge zusammen zum Guten, auch die Dunkelheiten der Schrift, welche sie um ihrer göttlichen Klarheit und Schönheit willen ehren und fürchten. Keine Gelehrsamkeit ist hinreichend, damit der Stolze die Wahrheit Gottes verstehe, es sei denn, er habe sich zuerst gedemütigt.»

     

    Lord Bacon fügt dem hinzu:

     

    «Wenn Schwierigkeiten bleiben, dann lehren uns diese, wenn nichts anderes, so doch unsere eigene Blindheit.»

     

    Wir sind beim Lesen der Bücher Salomos darauf angewiesen, dass Gott uns lehre. In uns ist weder Wissen noch Weisheit; wir wollen uns demütigen und bekennen, dass wir vor Gott Unwissende und Toren sind, dass wir im hellen Mittag göttlicher Offenbarung tappen wie die Blinden. Und verspüren wir unseren Mangel, dürfen wir vertrauensvoll bitten, dass Gott uns diesen ausfülle (vgl. Jk 1:5):

     

    «Vertraue auf den HERRN mit deinem ganzen Herzen und stütze dich nicht auf deinen Verstand ... Sei nicht weise in deinen Augen» (3:5,7).

    «Denn der HERR gibt Weisheit» (2:6).

     

     

     

    Das Buch Hiob

     

     

    «Die hier niedergeschriebene Geschichte zeigt uns, wie wir in Gottes Hand sind, und wie es an Ihm liegt, unser Leben zu bestimmen und gemäß seinem Wohlgefallen über dasselbe zu verfügen; und dass es unsere Pflicht ist, uns in aller Demut und in allem Gehorsam Ihm zu unterwerfen; und dass guter Grund besteht, warum wir ihm völlig ergeben sein sollten, sowohl um zu leben als auch um zu sterben; und besonders, wenn es ihm gefällt, seine Hand auf uns zu senken, wiewohl wir nicht verstehen, um welcher Ursache willen er solches tut, sollten wir ihm beständig Ehre geben, bekennend, dass er gerecht und unsträflich ist, und nicht gegen ihn murren, noch auch unterfangen, wider ihn zu streiten.»

                (Johannes Calvin; Predigten über das Buch Hiob)

               

    Es gehört dieses Buch zu den wohl bekannteren aber weniger studierten Büchern der Bibel. Das ist darum um so erstaunlicher, als es in mancherlei Hinsicht einzigartig ist. Zum einen ist es das älteste Buch der Bibel; zum anderen ist es das einzige Buch der Bibel, dessen  Protagonist nicht zur Familie Abrahams gehörte. Was dem Buch seine Bedeutung gibt ist indes seine Botschaft. Ohne das Buch Hiob können wir das Leben der Erlösten in der Zeit nicht richtig verstehen. Das Buch antwortet nämlich auf eine besondere Frage, welche die Gerechten und Heiligen seit jeher gestellt haben:

     

    Warum müssen die Gerechten leiden? Und warum darf Böses triumphieren?

     

     Die Antwort vermag der natürliche Mensch nicht zu finden; sie ist bei Gott verborgen. Ein ganzes Kapitel gegen Ende des Buches (Kap 28) sagt uns, dass kein Geschaffenes Wesen die Weisheit zu finden vermag; er kann in dieser Schöpfung mit den Mitteln des Geschöpfes noch so suchen, sie bleibt ihm verborgen, jene Weisheit, derer es bedarf um Gott und Seine gerechten Wege in einer vom Bösen befallenen Schöpfung zu verstehen.

                Weil die Antwort auf Woher und Wozu des Leidens verborgen ist, wird sie im Buch der Offenbarung «Geheimnis Gottes» genannt, das Er freilich - Ihm sei Dank dafür! - «seinen eigenen Knechten, den Propheten...verkündigt» (Off 10:7)  hat. Zu diesen Seinen Knechten, denen Gott das Geheimnis des Leidens der Gerechten und des zeitweiligen Triumphierens des Bösen geoffenbart hat, gehört auch Hiob. Er hat in seinem Buch den Weg aufgezeigt, den Gott ihn führte, um ihm dieses Geheimnis beibringen zu können. Das alles «ist zu unserer Belehrung geschrieben, auf dass wir durch das Ausharren und durch die Ermunterungen der Schriften die Hoffnung haben» (Röm 15:4).

               

    Jakobus  ist der einzige neutestamentliche Schreiber, der Hiob erwähnt (Jk5:11).  Und Jakobus beginnt seinen Brief mit einer Erklärung, die für menschliche Weisheit Torheit ist:

     

    «Achtet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchung fallet» (Jak 1:2).

     

    Dies wollen wir nicht so ohne weiteres begreifen; es fehlt uns der entsprechende Verstand dazu, weshalb wir ermuntert werden, um das zu bitten, was uns fehlt: «Wenn aber jemanden von euch Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der allen willig gibt» (1:5).

                Jakobus gibt uns im ersten Kapitel eine Reihe von Begründungen, warum wir uns über Widerwärtiges freuen können. Am Ende seines Briefes schließlich verweist er auf das Beispiel Hiobs. Dieser hatte in einer langen Schule des Leidens von Gott selbst gelernt; was Hiob gelernt hat, wollen auch wir lernen, um mit ihm weise zu werden.

     

     

    Wer schrieb das Buch?

    Wiewohl wir den Verfasser nicht mit Sicherheit nennen können, weil er sich nicht vorstellt, wissen wir doch, dass es ein von Gottes Geist inspiriertes Buch ist; denn Jakobus erwähnt Hiob namentlich und verweist auf sein Geschick (Jk 5:13), und der Apostel Paulus zitiert aus dem Buch, indem er das Zitat mit jenem Vermerk einleitet, der die göttliche Autorität des Zitierten ausweist: «Es steht geschrieben» (1Kor 3:19). Darum haben die Juden, welchen «die Aussprüche Gottes anvertraut» wurden (Röm 3:2), das Buch Hiob immer als Teil des göttlichen Kanons überliefert. Einige haben nun die Meinung vertreten, Mose habe das Buch während seines vierzigjährigen Aufenthaltes im Lande Midian geschrieben, andere sehen auf Grund von gewissen sprachlichen Ähnlichkeiten mit den salomonischen Weisheitsbüchern in Salomo den Schreiber (z.B. Luther). Diese Ähnlichkeiten lassen sich indes auch ganz anders und, wie mir scheint, weit einleuchtender Erklären: Stand das Buch Hiob am Anfang der biblischen Weisheitsliteratur, dann gab es das sprachliche und literarische Vorbild ab, das sich in aller nachfolgenden Weisheitsliteratur niederschlug: Salomo lernte von der Sprache Hiobs. dass Mose aber seine Hand in der Entstehung des Buches hatte, ist sehr gut möglich. Beachten wir dies: In den beiden ersten und in den fünf letzten Kapiteln des Buches steht häufig der Name Jahwe, der im Mittelteil des Buches außer an einer Stelle (12:9) nicht vorkommt. Daher ist es denkbar, dass Mose zum Buch die einleitenden und abschließenden Kapitel beisteuerte.

     

     

    Hiob und seine Zeit

    Die Nachrichten zur Identität und Zeit des Erzvaters sind einigermaßen aufschlußreich. Wenn Hiob, wie sich mit großer Sicherheit darlegen läßt, ein Zeitgenosse Abrhams und seiner Söhne war, dann können wir den Ortsnamen Uz wiefolgt erklären: Uz war der erstgeborene Sohn Nahors, des Bruders Abrahams (1Mo 11:27; 22:21); das Land, in dem sich dieser niedergelassen hatte, wurde nach ihm genannt. Elihu stammte aus dem Land Bus (32:2), das seinen Namen vom jüngeren Bruder Uz’ bekam. Hiob war ein Zeitgenosse der Erzväter. Darauf lassen folgende Beobachtungen schließen:

     

              Hiob lebte nach seiner Wiederherstellung noch «hundertundvierzig Jahre...und Hiob starb alt und der Tage satt» (42:16,17).  Wenn Hiob von all seinen Gütern das Doppelte erhielt, dann mag er auch noch einmal das Doppelte an Lebensjahren erhalten haben und insgesamt 210 Jahre alt geworden sein. Abraham wurde 175; und wie Hiob starb auch er «alt und der Tage satt»  (1Mo 25:7,8).             

     

              In 22:15,16 wird die Sintflut erwähnt; unter den großen Werken Gottes in Schöpfung, Errettung und Gericht wird aber die Errettung Israels aus Ägypten nicht erwähnt. Hiob lebte demzufolge wohl nach der Sintflut aber noch vor Mose.

     

              Es müssen noch Saurier gelebt haben, spricht doch Gott von solchen in den Kapiteln 40 und 41: vom «Behemoth»  und vom «Leviathan».

     

              Hiob bringt Opfer dar, was gegen das Gesetz verstoßen hätte, hätte es bereits existiert;  dieses wird aber im ganzen Buch nie zitiert.

     

              Die im Buch erwähnten Opfer heißen stets ´olah, das ist das hebräische Wort für «Brandopfer». Wie in 1Mo wird nicht unterschieden zwischen den verschiedenen Opferarten wie Brandopfer, Speisopfer, Friedensopfer, Sündopfer und Schuldopfer; denn jene Unterscheidungen begannen erst mit der Gabe des Gesetzes am Sinai.

     

              Der Titel Gottes ist in diesem Buche meistens «der Allmächtige», Schaddai,  und in den Tagen der Erzväter war Gott mehr unter diesem Namen als unter dem Namen Jahwe bekannt (2Mo 6:3).

     

              Hiob lebte in einer Zeit, da der allgemeine und universale Abfall vom Glauben an den Schöpfer Gott noch nicht eingetreten war, wie die Reden Hiobs und seiner Freunde erkennen läßt. Der Götzendienst war noch nicht in die Welt eingeführt worden; die einzige Form der Abgötterei, die bereits existierte, war die Verehrung der Himmelskörper (31:26–28), die aber noch von den Richtern bestraft wurde.

     

              Es wird als gängige Währung die Kesita genannt (42:11), was ebenfalls in die Zeit der Erzväter verweist (1Mo 33:19).

     

     

    Das Thema des Buches

    «Im Buch Hiob sehen wir, wie Gottes Vorsehung Leiden über einen seiner geehrtesten Knechte bringt, damit dessen Glaube erprobt, dessen Geduld geübt, dessen selbstgerechter Stolz gedemütigt und dessen Gottseligkeit größer werde; und wir sehen die Manifestation der göttlichen Macht, welche ihn vor dem Fallen bewahrt. Hier lernen wir, dass Leiden zu weisen und guten Zwecken von Gott über Sein Volk gesandt und verhängt wird;  dass Er sie nicht unter diesen Leiden belassen, und dass Er den Satan unter ihre Füße zertreten wird.»

    (Alexander Carson: The History of Providence).

     

    Das Thema des Buches wird von Jakobus verraten:

               

    «Von dem Ausharren Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen, dass der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist» (5:11).

     

    Das Ende des Buches läßt uns erst seine Aussage verstehen. Sie lautet : Hoffnung im Leiden - Hoffnung aber im neutestamentlichen Sinn, und das bedeutet: Gewißheit kommender Herrlichkeit.  Das Ende der Wege Gottes ist herrlicher als der Anfang und herrlicher als alles, was auf dem Weg selbst geschehen mag. Welche großartige Botschaft! Eine solche aber nur für den, der sich Gottes Regierung unterwirft:

     

    «Die hier niedergeschriebene Geschichte zeigt uns, wie wir in Gottes Hand sind, und wie es an Ihm liegt, unser Leben zu bestimmen und gemäß seinem Wohlgefallen über dasselbe zu verfügen; und dass es unsere Pflicht ist, uns in aller Demut und in allem Gehorsam Ihm zu unterwerfen; und dass guter Grund besteht, warum wir ihm völlig ergeben sein sollten, sowohl um zu leben als auch um zu sterben; und besonders, wenn es ihm gefällt, seine Hand auf uns zu senken, wiewohl wir nicht verstehen, um welcher Ursachewillen er solches tut, sollten wir ihm beständig Ehre geben, bekennend, dass er gerecht und unsträflich ist, und nicht gegen ihn zu murren, noch auch unterfangen, wider ihn zu streiten.»

    (Johannes Calvin; Predigten über das Buch Hiob)

     

    Eine Inhaltsübersicht

    Das Buch zerfällt ganz organisch in fünf Teile: Es beginnt mit Geschichte, einer Schilderung Hiobs und seines Unglücks. Es endet mit Geschichte, einer Schilderung Hiobs und seines Glücks. Dazwischen liegen drei längere Abschnitte mit Reden: Zuerst die Reden und Gegenreden Hiobs und seiner Freunde; sodann die Reden Elihus; schließlich die Reden Gottes.

                Anfang und Ende des Buches sind beschreibende Prosa; die drei Mittelteile des Buches sind in poetischer Sprache verfaßt.

     

    Eine Einteilung des Buches

     

    I.     Einleitung:                                   Geschichte            Kap. 1&2

                                                                      Hiobs Feind: Satan

     

    II.    Erstes Hauptstück:                  Dialoge                                                   Kap. 3-31 

                                                                      Hiobs Ankläger:  die drei Freunde

     

    III.   Zweites Hauptstück:              Reden                                        Kap. 32-37 

                                                                      Hiobs Mittler: Elihu

     

    IV.   Drittes Hauptstück:              Reden                                    Kap. 38-42:6

                                                                     Hiobs Schöpfer

     

    V.    Schluß:                                       Geschichte                                  Kap. 42:7-17

                                                                   Hiobs Helfer: Gott

     

    Diese fünf Teile sind in ihrer Abfolge vollkommen aufeinander abgestimmt, wie folgende Übersicht zeigen will:

     

    I.          Hiob wird erprobt, indem ihm Gott alles nimmt.

     

    II.        Die Hilflosigkeit des Menschen, wenn es darum geht, Gottes Wege zu                                  verstehen; die tiefsitzende  Selbstgerechtigkeit auch des Gerechten.

     

    III.       Ein Mittler führt Hiob in Gottes Gegenwart.

     

    IV.       Gottes Reden demütigt Hiob in den Staub.

     

    V.        Hiob erkennt Gott, sich selbst und wird in der Folge mehr gesegnet als im              Anfang.

     

    Der Titel des Buches

    Der Titel des Buches entspricht dem Namen des Protagonisten Hiob. Dieser Name ist zum einen ein weiterer Beleg für das Alter des Buches, zum anderen drückt er in knappster Form das Problem und damit das Thema des Buches aus.

     

    Hiob, hebräisch ´ijjob, bedeutet «Wo ist der Vater?». Diese Art von Namen nennt man in der Sprachwissenschaft «Satznamen».  Solche waren im Alten Orient im frühen 2. Jahrtausend gebräuchlich. Zwei der Erzväter haben ebensolche Namen:

     

              Isaak, hebräisch jitzchaq, bedeutet «Er lacht».

              Jakob, hebräisch ja´aqob, bedeutet «Er hält die Ferse».

     

    Der Name Hiobs paßt also genau in die Zeit, die wir postuliert hatten. Aber er paßt auch zum Thema des Buches. «Wo ist der Vater?» ist ja genau die Frage, die Hiob stellt, die Frage, die der bedrängte Erlöste, nicht aber der Gottlose stellt. Das Kind Gottes fragt, wenn er von nicht verschuldeter Not heimgesucht wird, wo denn Gott, sein Vater sei, ob er ihn nicht vergessen habe, ob er ihn denn noch immer liebe. Der Gottlose reckt in seiner Not die Faust gegen den Himmel und fragt herausfordernd: «Wo ist da ein Gott?»

                dass Gott bei allem, was Hiob befällt, sein Vater ist, erfährt der Leser, der ja weiß, dass Gott es nicht zuläßt, dass der Satan ihn verschlingt, und dass Er am Ende seinen treuen Knecht segnen wird. Hiob weiß das Ende zwar nicht; aber er weiß die ganze Zeit, dass Gott über allem steht und alles lenkt. Darum wendet er sich in seiner Klage ja wiederholt an Gott als den einzigen, der ihm antworten und aus seiner Not heraushelfen kann. So schwarz die Nacht ist, in der sich Hiob befindet, bricht doch immer wieder ein Lichtschimmer durch; in all seiner Verzweiflung bleibt doch die letzte Gewißheit, die nur das Kind Gottes haben kann, das trotz allem Gott als seinen Vater kennt:

     

                «Ich weiß, dass mein Erlöser lebt» (19:25).

     

    Und am Ende erfährt Hiob, dass dort, wo seine Frau ihn in seiner Bestürzung alleingelassen, seine Brüder und Schwestern ihn vergessen und seine Freunde sich gegen ihn gewandt haben, sein Herr und sein Gott zu ihm steht, die ganze Zeit zu ihm gestanden ist:

     

    «Denn hätten mein Vater und meine Mutter mich verlassen, so nähme doch der HERR mich auf» (Ps 27:10).

     

    Die Auslegung des Buches

    Wie in den meisten Büchern des Alten Testaments lassen sich auch im Buch Hiob mindestens drei Ebenen der Auslegung unterscheiden. Diese schließen sich nicht gegenseitig aus; vielmehr sind sie, indem sie einander ergänzen, ein kräftiges Zeugnis von der Schönheit, Vollkommenheit und Unerschöpflichkeit der Schrift.

     

     

    1. Historisch

    Es ist die historische stets die als erste zu beachtende, da für alles weitere Verständnis grundlegende Ebene der Schrift. Das bedeutet, dass wir die biographischen und topographischen Angaben dieses Buches zum Nennwert nehmen müssen. Der Mann Hiob hat gelebt, und zwar in dem Land, das in diesem Buch genannt wird. Es ist bestürzend naiv zu glauben, das Land Uz habe es aus dem einfachen Grund nie gegeben, weil die außerbiblische Geschichtsschreibung von ihm nichts weiß. Als ob wir Nachrichten von jeder Region der Erde aus allen Zeiten ihres Bestehens hätten! Wir merken, dass hinter solchem Urteil das von vornherein feststehende Urteil steht, die Bibel sei nicht vertrauenswürdig; vertrauenswürdig sei hingegen alles, was nicht-biblische Quellen bezeugen.

                Als Bibelleser und als Kinder des Gottes, den auch Hiob seinen Gott und Vater nannte, wissen wir, dass die Bibel als historische Quelle das vertrauenswürdigste aller Bücher ist. So weisen wir mit aller Entschiedenheit diese im Grund nur dummdreiste Behauptung zurück, es existierten über Hiob und über seine Zeit keine historischen Quellen.

                Außerdem besitzen wir das Zeugnis zweier absolut glaubwürdiger Männer, dass Hiob eine historische Gestalt ist: Hesekiel spricht von ihm im Alten Testament, und Jakobus im Neuen (Hes 14:14,20; Jk 5:11).

                Die Überzeugung, dass unser Buch historisch glaubwürdig ist, bildet  die Grundlage für die zweite Ebene der Auslegung:

     

    2. Sittlich

    Was Hiob zu seiner Zeit und unter seinen Umständen erfuhr, ist für die Menschen aller nachfolgenden Zeiten und aller Orte zur Belehrung geschrieben (Röm 15:4).  Das gilt für alle im Alten Testament niedergeschriebenen Ereignisse, angefangen vom historischen Ereignis der Schöpfung und des Sündenfalles über die Berufung und das Leben Abrahams, die Errettung Israels aus Ägypten bis zur Entstehung und zum Untergang des israelitischen Königtums.

                So lernen wir an Hiob zeitlos gültige Wahrheiten über das Woher und Wozu allen Leidens im Leben der Erlösten, über Glauben und über Ausharren in der Hoffnung.

     

    3. Prophetisch

    Das Ergehen Hiobs ist auch eine verhüllte Weissagung über die Wege, die Gott mit Israel gehen wird, um es an sein Ziel zu bringen.

     

              Hiobs Selbstgerechtigkeit (29:14,15) entspricht der Selbstgerechtigkeit Israels (Röm 2:19)

     

              Hiobs Drangsal, welche ihn zur Erkenntnis Gottes und seiner Selbst brachte, entspricht der «Drangsal Jakobs» (Jer 30:7), die in Israel die gleiche Erkenntnis wecken wird.

     

              Satan schlägt Hiob; der Satan wird, für kurze Zeit auf die Erde herabgekommen, Israel verfolgen (Off 12:3-7,12-17).

     

              Hiobs Todessehnsucht findet in der Todessehnsucht der Juden ihre Entsprechung (Off 9:6).

     

              Hiobs Sehnsucht nach einem Mittler (9:33)  und sein Glaube an die Auferstehung (19:26)  werden durch die Drangsal geweckt; ebenso wird es bei Israel sein.

     

              Am Ende sieht Hiob seinen Gott mit seinen Augen; ebenso wird Israel seinen Schöpfer und Erlöser sehen (Jes 40:9,10).

     

              Wie bei Hiob wird erst das Schauen des Herrn bei Israel Selbsterkenntnis und Buße auslösen (Sach 12:10)

     

              Darauf wird Gott wie bei Hiob auch Israels Gefangenschaft wenden (Ps 126), und sein Ende mehr segnen als seinen Anfang (5Mo 30:5; Jes 61:7;  Hes 36:11; Sach 9:12).

     

              Wie damals die Freunde Hiobs zu diesem gehen und ein Opfer darbringen mußten, werden alle Nationen nach Jerusalem strömen, um dem Gott Israels Opfer darzubringen, und wie Hiob für seine Freunde betete, wird Israel als eine priesterliche Nation alle Nationen lehren und für sie ein Segen sein (Jes 2:2,3; 55:4,5; 60:7; 66:19).

     

    Das Buch der Psalmen

     

    «Obwohl alle Schrift die Gnade Gottes atmet, so ist doch das Buch der Psalmen köstlicher als alle anderen. Geschichte unterweist, Gesetz lehrt, Prophetie kündigt an, rügt und straft, Sittlichkeit überführt; aber im Buch der Psalmen haben wir die Frucht all dieser Genannten, eine Arznei zum Heil der Menschen.»

     

    So urteilte im 4. Jahrhundert Ambrosius von Mailand.  Sein geistliches Kind Augustin lies kurz nach seiner Bekehrung besonders in den Psalmen und rief entzückt:

     

    »Was hab ich, du mein Gott, zu dir gerufen, da ich die Psalmen Davids las, die Lieder des Glaubens und den Sang der Frömmigkeit, so frei und fern von allem Geist des Stolzes! Ich war Neuling noch in deiner echten Liebe...Wie schrie ich damals auf zu dir, da ich die Psalmen las, und wie geriet an ihnen ich in Glut zu dir und wie hätte ich gerne, wenn ich es gekonnt, dem ganzen Erdenkreise sie gelesen, zum trotz dem Stolz der Menschheit!« (Confessiones, IX, 4).

    1300 Jahre später schreibt der gottbegnadete puritanische Bibelausleger Matthew Henry  in seiner Einleitung zu den Psalmen ganz Ähnliches:

     

    «Wir haben jetzt eine der erlesensten und herrlichsten Teile des ganzen Alten Testaments vor uns; ja, so viel ist darin von Christus und seinem Evangelium wie auch von Gott und von seinem Gesetz, dass man es eine Zusammenfassung beider Testamente genannt hat.»

     

    1. Der Titel des Buches

    Das Buch der Psalmen heißt auf hebräisch sêfær tehillîm,  das bedeutet «Buch der Lobpreisungen». Lobpreis und Anbetung geben dem Buch seinen Charakter; als Buch der Anbetung ist es das Buch des Heiligtums  ohne gleichen. Wie der griechische Name des Buches, Yalmoi (Psalmoi = Psalmen),  sagt, sind es gesungene Gebete. Wir haben ein Buch erlesenster Dichtung, höchster Lyrik vor uns, und Lyrik bedeutet, dass das Buch voller Gefühl ist, und Lied heißt Bewegung. Solcherlei ist das sprachliche Gewand, das wahrlich in all den starken Farben des Heiligtums schillert. Ist aber nicht der Leib mehr als die Kleidung? So übertrifft die Substanz der Psalmen sogar noch das prächtige Gewand, in das sie gehüllt sind.

                Wohl hat das Buch auch seinen dispensationellen Charakter, der bei der Auslegung verschiedener Psalmen berücksichtigt sein will; aber über alle Zeitalter hinaus haben alle Heiligen Gottes den Glauben Abrahams gehabt, sind wie Mose als Pilger auf einem langen, oft beschwerlichen Weg durch die Wüste unterwegs gewesen, haben einem David gleich die Kämpfe Gottes gekämpft. Ihre Seelen lechzten dabei nach Gott, ihr ganzes Wesen rief laut nach den Wohnungen Gottes. Wo ist ein anderes Buch, so durchzuckt von den heftigen Regungen heiliger Leidenschaft wie dieses? In welchem anderen Buch finden wir wie hier die Bewegungen der Seele in Worte gekleidet, die so vollkommen unseren eigenen Gefühlen entsprechen, dass wir sie nachbeten können, als wären es unsere eigenen Worte? Wo, fragen wir schließlich, macht sich der Geist unseres Herrn so sehr mit dem Schreiber und auch mit dem Beter eins, dass wir zuweilen nicht wissen, ob Christus oder David der redende ist, wie das in etlichen Psalmen der Fall ist?

                            Dies alles ist es, das die Psalmen zum meistgelesenen und bestgeliebten Teil der ganzen Bibel gemacht hat. Als C.H. Spurgeon sein monumentales Werk der Psalmenauslegung nach zwanzig Jahren Arbeit beendet hatte, schrieb er im Vorwort zum letzten Teilband:

     

    «Ein Hauch von Wehmut legt sich auf meinen Geist, da ich von der ‹Schatzkammer Davids› scheide, werde ich doch auf Erden keine reichere Vorratskammer  finden als diese, wiewohl mir der ganze Palast göttlicher Offenbarung offensteht. Gesegnet sind sie gewesen, die Tage, die ich zusammen mit David verbrachte, mit ihm trauerte, hoffte, glaubte und frohlockte. Darf ich erwarten, diesseits der goldenen Tore Stunden tieferer Freude zu verbringen? Vielleicht nicht, denn es sind auserlesenste Stunden gewesen, in denen die Harfe des großen Sängers des Heiligtums mein Ohr bezaubert hat ... Das Buch der Psalmen lehrt uns den Gebrauch der Schwingen wie auch der Worte: Es läßt uns auffahren in die Höhen, und es läßt uns singen.»

     

    2. Das meistzitierte Buch im NT

    Kein Buch wird im NT sowohl vom Herrn als von den Apostels so häufig zitiert wie dieses. Nicht weniger als 50 Psalmen werden im Neuen Testament entweder wörtlich  oder in etwas freierer Anspielung zitiert. Diese zahlreichen Zitate beweisen, dass die Psalmen in besonders hohem Grad prophetisch  sind; und das darf als einigermaßen erstaunlich gelten, da doch der erste und richtige Eindruck, den uns die Lektüre irgend eines oder mehrerer Psalmen gibt, der eines eminent persönlichen Buches ist.

                Was lernen wir daraus? Dies:  Weissagung ist so praktisch wie nur irgend etwas; etwas, das die Herzen der Heiligen in ihrem Innersten rührt. Kann denn etwas unser Gemüt mehr ergreifen als die Erkenntnis des Gottes, der von Anfang an das Ende verkündigt, der bevor die Sünde in die Welt kam einen Weg durch das Trümmerfeld der Sünde gesehen und markiert hat, auf dem Sein Gerechter Sünder erlösen, zu Heiligen machen und als Söhne zur Herrlicheit führen würde? Was ist das doch für ein Gott, bei dem die Finsternis licht ist wie der helle Tag (139:12), der vom Überhandnehmen des Bösen nicht in Verlegenheit gebracht wird, sondern durch das aufgewühlte Meer einer Welt der Gottlosigkeit (Jes 57:20) Seinen Pfad gebahnt hat (Ps 77:19). Das ist der Gott Davids, der Gott Asaphs, der Gott eines jeden gläubigen und gottesfürchtigen Herzens. Diesen ewigen Herrn betet er an, den Gott, der von Anfang an das Ende sieht, der jeden Augenblick alles lenkt und den Glaubenden von allen Seiten – von aller Ewigkeit her in alle Ewigkeit hinein – umgibt, der vor Grundegung der Welt ihn liebend und sich aneignend zvorerkannt hat (Ps 139:1–5, 16). Vor diesem ewigen und unumschränkten Herrn beugen sich Wille und Gemüt in Anbetung nieder und rufen in sprachloser Verwunderung:

                «Kenntnis, zu wunderbar für mich, zu hoch: ich vermag sie nicht zu erfassen!»  Und: «Wie köstlich sind mir deine Gedanken, o Gott! Wie gewaltig sind ihre Summen!»

    (Psa 139:6,17).

    Wir finden in den Psalmen Weissagungen

              über den Messias: Geburt und Gottessohnschaft deklariert (Ps 2);  der Menschensohn als der             kommende universale             Herrscher (Ps 8);  Auferstehung (Ps 16); Leiden und Tod (Ps 22); Verrat (Ps             41; 69); Wiederkunft in Macht un             Herrlichkeit (Ps 24).

              über den treuen und leidenden Überrest Israels (Ps 42; 43)

              Über die Wiederherstellung Israels und die herrliche Regierung von dessen Messias zum unaussprechlichen Glück dieser             armen Erde (Ps 72; 100; 146–150).

     

    Es sind diese  Weissagungen nicht dürre Lehrsätze, geformt im Reich menschlicher Gedanken, sondern lebendige Aussprüche dessen, der lebt, dessen Wort einst die Welten ins Dasein rief (Ps 33:6), dessen Stimme mit unwiderstehlicher Gewalt den ragenden Stolz von Sündern bricht (Ps 29:5) und deren Willen unter Seinen ewigen Gnadenwillen beugt (Ps 143:10). Kann es denn verwundern, dass das Herz des Menschen Jesus von den Worten dieses Buches erfüllt war, dass Seine Jünger sie fertig auf der Zunge hatten und allezeit zitierten (Apg 1:20; 2:25; 4:25), sie den Aposteln und Propheten des Neuen Testaments so häufig aus der Feder flossen?

    Der Herr Jesus und das Buch der Psalmen

    Beachten wir, wie oft und bei welchen Gelegenheiten der Herr Jesus aus den Psalmen zitierte:

     

    «Unser Herr verwendete Psalmen vielleicht öfter als irgend ein anderes Buch des Alten Testaments. Unser Herr zitierte Psalmen in Seinem öffentlichen Dienst. Er stopfte die Ihn versuchenden Pharisäer, indem Er ihnen eine Frage aus dem 110. Psalm stellte. Mit größter Waschscheinlichkeit schüttet Er vor Seinem Gott und Vater Sein Herz in den Worten der Psalmen aus, als Er ganze Nächte im Gebet verharrte. Als Er in Jerusalem einzog, wurde Er mit dem Jubelruf ‹Hosanna dem Sohne Davids› empfangen, und als Seine Feinde murrten,verwies Er sie auf die Vorhersage des 8. Psalmes. Die letzten Worte, die Er an Jerusalem richtete, waren ein Zitat aus dem Buch der Psalmen: ‹Gepriesen ist, der da kommt im Namen des Herrn› (118:26). Bevor Er in den Garten Gethsemane trat, sang er mit Seinen Jüngern ein Loblied. Es war dies das sogenannte Hallel, das noch immer von orthodoxen Juden beim Passah gesungen wird (Psalmen 113–118). In Seinem Leiden erfüllte Er alle in den Psalmen über Ihn gemachten Weissagungen, und als Er, auf dass die Schrift erfüllt würde, sagte: ‹Mich dürstet› (Joh 19:28), sprach Er ein Wort aus Ps 69:21 aus. In den finstern Stunden am Kreuz kam von Seinen Lippen der in Psalm 22 vorhergesagte Schmerzensruf: ‹Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?›. Nahezu das erste Wort nach Seiner Auferstehung war dem selben Psalm entnommen: ‹Gehe aber zu meinen Brüdern›; denn in Ps 22:22 steht geschrieben: ‹Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern.› Als Er als der verherrlichte Mensch in den Himmel auffuhr und in die Gegenwart des Vaters trat, wurde er ‹von Gott begrüßt als Hoherpriester in der Ordnung Melchisedeks› (Hb 5:10), und wie im Psalm 110 vorhergesagt worden war, setzte Er sich zur Rechten Gottes. Wo Er aus der Herrlichkeit zu den Überwindern in Thyatira spricht, verwendet Er abermals Worte aus den Psalmen (Off 2:26,27; vgl. Ps 2).»

    (Arno C. Gaebelein: The Psalms)

     

    3. Eine Bibel im kleinen

    Das Buch der Psalmen ist ein Bibel im kleinen:

              Es ist das umfangreichste aller biblischen Bücher.

              Es hat eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie die ganze Bibel.

              Es hat mehrere Verfasser: 102 Psalmen werden 7 Verfassern zugeordnet; 48 Psalmen werden niemandem zugeschrieben.

              Das Buch ist über einen Zeitraum von etwa eintausend Jahren entstanden; der älteste Psalm stammt von Mose (Ps 90),             also aus dem 15. Jahrhundert v. Chr.; der  Ps 137 entstand im babylonischen Exil entstand, also im 6. Jahrundert, der 126.     Psalm vielleicht erst nach der Rückkehr aus Babylon, also im 5. Jahrundert.

              In den Psalmen findet sich fast die ganze Fülle aller in der Bibel behandelten Themen. Wir finden in ihnen Lehre:  über             Gott und Seine Werke in der Schöpfung und Erlösung, über das Gericht, über das erste und zweite Kommen des Messias,             über dessen Leiden und Auferstehung, über den Antichristen, über den verfolgten treuen Überrest, über die             Wiederherstellung Israels, über das Tausendjährige Reich. Wir finden in ihnen Ermunterung zum Glauben, Aufforderung und             Anleitung zur Gottesfurcht, Hilfen und Vorbilder zum Gebet und zur Anbetung.       

     

    4. Das persönlichste Buch der Bibel

    In diesem Buch treten wir mit dem Beter in die stille Kammer, wo er seine Empfindungen vor seinem Gott ausbreitet; wir nehmen Teil an seiner Freude und an seiner Traurigkeit, an seinen Ängsten und Gewißheiten; denn: Sind es nicht unsere eigenen? Martin Luther sagt in der Vorrede zum Psalter von 1545:

     

                ”Da siehest du allen Heiligen ins Herz.”

     

    «Dieses Buch pflege ich als eine Anatomie all der verschiedenen Teile der Seele zu bezeichnen; denn niemand wird in sich eine einzige Gefühlsregung finden, die nicht in diesem Spiegel reflektiert würde. Ja, alle Kümmernisse, Sorgen, Ängste, Zweifel, Hoffnungen, Befürchtungen – kurz, alle jene tumultuösen Regungen, die den menschlichen Geist umtreiben –, der Heilige Geist hat sie hier alle dem Leben nachgebildet.»  (Johannes Calvin)

     

    Die Hauptnote, die bei aller Erschütterung immer wieder durchbricht, ist  Dank, Lobpreis und Bewunderung. In fast jedem Psalm verdrängt am Ende Lob angesichts der Gewißheit der Treue Gottes die anfängliche Trauer oder Angst. Die einzige Ausnahme bildet der Psalm 88, der von Anfang bis Ende Klage ist. Aber auch dieser Psalm ist nicht ohne sein Licht; denn die Klage des Psalmisten richtet sich an den HERRN, «den Gott meiner Rettung». So weiß er, wenn gleich sein Herz vergeht, dass der Herr sein Fels und seines Herzens Teil bleibt (Ps 73:26).

                Der Glaube obsiegt darum, weil der Beter seine Empfindungen, seine gegenwärtige Lage, so schwarz sie sein mag, stets in Beziehung setzt zum ewigen Gott und zu den zwei großen Grundtatsachen seiner Existenz: zur Schöpfung (z.B. Ps 121:2; 124:8) und zur Erlösung. Die damit verknüpften Verheißungen gelten, so lange als diese Schöpfung besteht, und sie gelten über diese Schöpfung hinaus. Wenn auch die Berge ins Meer wanken mögen (46:2) und sich alle Feinde gegen die Heiligen verbündet haben (Ps 83:4,5), so bleibt der Gott Jakobs den Seinen – die nicht besser sind als ein Jakob in seinen dunkelsten Tagen – ihre hohe Feste (46:11).

     

    5. Die Verfasser der Psalmen

    David: Von  ihm, dem «lieblichen in Gesängen Israels» (2Sam 23:1), stammen sicher 73 Psalmen, aber wahrscheinlich mehr, wie uns Apg 4:25 und Hb 4:7 vermuten lassen.

    Asaph: Er, dem David den Auftrag gegeben hatte, «den EWIGEN zu preisen» (1Chr 16:7)  schrieb 12 Psalmen.  Vielleicht ist auch Ps 105 ein Psalm Asaphs (vgl. 1Chr 16:7,8).

    Die Söhne Korahs: Von ihnen stammen 11 Psalmen.

    Mose, Salomo, Ethan und Heman: Von ihnen besitzen wir je einen Psalm, von Salomo, je nachdem wie man die Überschrift von Ps 72 auffaßt, möglicherweise zwei. Und wenn wir den Psalm 91 auch Mose zuzählen, wofür vieles spricht, dann hat auch er deren zwei verfaßt.

     

    Die Söhne Korahs

    Die Söhne Korahs hätten in der Sünde ihres Vaters umkommen müssen (4Mo 16: 31,32); sie wurden aber, wie uns 4Mo 26:9–11 erklärt, geschont – geschont, damit sie Gott lobsängen in Seinem Haus. Können wir, müssen wir das nicht auf uns übertragen. Hätten nicht auch wir in der Sünde unseres Vaters sterben müssen? Und hat uns Gott nicht ebenso geschont? Fragen wir warum, können wir dafür keine Erklärung geben, außer der, dass Gott es so wollte. Und fragen wir wozu, dann sagen wir, dass Er genau deshalb alles tat, um Sünder aus dem Gericht heraushalten zu können, damit wir wie ein anderer aus der Grube Geretteter, wie König Hiskia «das Seitenspiel rühren alle Tage unseres Lebens im Hause des EWIGEN» (Jes 38:20).

     

    Die Entstehung einiger Psalmen Davids

     

    «Wir lesen von keinem Mann, der mehr Drangsale und Gewissenskämpfe hatte, der größeren Wechselfällen äußerer und innerer Art untworfen war, häufigere Erfahrungen seiner eigenen Schwachheit, Ratlosigkeit und Sündigkeit sowie der dazugehörigen gnädigen Führungen, Tröstungen und Befreiungen durch Gott machte als eben David. Diesen Mann machte Gott durch die unmittelbare Inspiration des Heiligen Geistes zum passenden Werkzeug zur Erbauung des Volkes Gottes, um seine Kämpfe und seine glücklichen Errettungen daraus auszudrücken.»

    (David Dickson)

     

    Unter dem Alten Bund war niemand, der Gott mehr liebte als er, und niemand war von Gott mehr geliebt als er. Die Wege des Glaubens und der Liebe, in denen er wandelte, sind für die meisten von uns wie der Weg eines Adlers am Himmel: zu hoch und zu schwer für uns. Dennoch hallen die Schreie dieses Mannes nach Gottes eigenem Herzen bis zum heutigen Tag in useren Ohren wider. Manchmal klagt er über zerschlagene Gebeine, manchmal über Wassertiefen, manchmal über Wogen und Wassergüsse, manchmal über Wunden und Krankheit, manchmal über Zorn und über die Kümmernisse des Scheol - überall über seine Sünden, über die Last und die Not derselben. Einige seiner Anlässe der Tiefen, Finsternisse, Verstrickungen und Bedrängnisse kennen wir alle. So wie niemand mehr Gnade erfuhr und kannte als er, so ist auch keiner ein stärkeres Beispiel für die Macht der Sünde und der Wirkungen ihrer Schuld auf das Gewissen.»

    (John Owen über Psalm 130).

     

    Das an Höhen und Tiefen ungemein reiche Leben Davids ließ ihn in den verschiedensten Umständen die Gnade und die Strenge, die Liebe und die Heiligkeit Gottes erproben. Er war in verschiedenen Phasen seines Lebens alles gewesen: Hirtenjunge und König, siegreicher Krieger und gejagter Rechtloser, gedemütigter Sünder, vor Gott im Staube liegend, und triumphierender Heiliger, vor der Bundeslade Tanzend. Ähnlich wie später ein Paulus hätte er wohl sagen mögen: «Ich weiß sowohl erniedrigt zu sein, als ich weiß, Überfluß zu haben; in jedem und in allem bin ich unterwiesen, sowohl satt zu sein als zu hungern, sowohl Überfluß zu haben als Mangel zu leiden» (Phil 4:12).  Und was hatte ihn solches gelehrt, wenn nicht die beständige Zuflucht zu seinem Gott und Herrn in Gebet und Danksagung?  In 14 Psalmen Davids wird uns in der Überschrift gesagt, unter welchen Uständen sie je entstanden waren (3; 7; 18; 30; 34; 51; 52; 54; 56; 57; 59; 60; 63; 142). Auf dem Hintergrund seiner Erlebnisse gewinnen diese Psalmen ungemein an Lebendigkeit. Ein Herz, das hier unberührt bleibt, muß tot sein. Hier einige Beispiele:

     

    Psalm 3: «Ein Psalm von David, als er vor seinem Sohne Absalom floh.» Der Psalm entstand in dieser bittersten Stunde im ganzen an Leiden schon reichen Lebens Davids. Sein eigener Sohn hatte seine Hand gegen ihn erhoben und ihn vom Thron gestoßen. Im Glutofen der Drangsal entstanden Lieder wie dieses, die durch die Jahrtausende die Herzen bedrängter Kinder Gottes getröstet haben.

     

    Psalm 34: «Von David, als er seinen Verstand vor Abimelech verstellte, und dieser ihn wegtrieb, und er fortging.» Der Psalm entstand nach einer der schmählichsten Stunden im Leben Davids: Er hatte aus Furcht vor den Menschen ein unwürdiges Theater gespielt, hatte sich beschämt weggestohlen und sich mit seiner Handvoll Getreuer in die Höhle Adullams verzogen (1Sam 21:11 – 22:1). In einer dunklen Höhle sitzend, von Saul gejagt und seines Lebens nicht sicher, kann David sein Angesicht zu seinem Gott erheben, und er erfährt: «Sie blickten auf ihn und wurden erheitert, und ihre Angesichter wurden nicht beschämt» (Psa 34:5).

     

    Psalm 51: «Dem Vorsänger. Ein Psalm von David, als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Bathseba eingegangen war.» Es hatte die schändlichste Stunde im Leben von König David geschlagen, als er diesen Psalm zu seinem Gott betete. David hat durch seine Sünde seine Natur kennengelernt (V.5), er hat gelernt, wie böse Sünde vor Gott ist (V.4), er hat erkannt, dass er damit dem Heiligen Israels ins Gesicht geschlagen hatte, aber auch begriffen, dass der Heilige und Gerechte auch der Gott aller Gnade ist. Welch ein Gott! Und welche Wiederherstellung erlebte David! Das Lied ist der Niederschlag dieser zuerst ungeheuer demütigenden, und dann genauso befreienden und erhebenden Erfahrung. Und dieses Lied hat wie wenige andere im Lauf der Jahrhunderete Heilige aufgerichtet, die an ihren eigenen Sünden und an ihrer Sündhaftigkeit schier verzweifelt sind.

     

    Psalm 63: «Ein Psalm von David, als er in der Wüste Juda war.» Dieser Psalm entstand, als David an einem Ort ohne Wasser war und dürstete. Da denkt er daran, dass diese ganze gefallene Schöpfung eine einzige Wüste ist,  und es überkommt ihn ein mächtiges Heimweh nach dem Himmel, eine verzehrende Sehnsucht nach den Wohnungen des ewigen Gottes: «Er schmachtet, er dürstet nach Seinem Gott: «Gott, du bist mein Gott! Frühe suche ich dich. Es dürstet nach dir meine Seele, nach dir schmachtet mein Fleisch in einem dürren und lechzenden Lande ohne Wasser»  (V.1). Wenige Lieder vermögen der vor Sehnsucht nach Gott lechzenden Seele wie dieses die Worte in den Mund zu legen, die er zu seinem Gott hauchen kann, und die ihn, während er betet und seufzt, in seinem innersten sättigt wie Mark und Fett (V.5). Wie oft haben nach dem Himmel schmachtende Heilige diese Worte gelispelt, gestammelt, gejubelt, und dabei gespürt: «Deine Güte ist besser als Leben» (V.3).

     

    6. Arten von Psalmen

    Es finden sich verschiedene Arten von Psalmen, die hier teils nach der Form, teils nach dem Inhalt bezeichnet und einer Gruppe zugeordnet worden sind. Die Liste ist nicht vollständig, weder bezüglich der genannten Arten von Psalmen noch in der jeweiligen Reihe der zugewiesenen Psalmen. Die meisten der Psalmen enthalten zudem gleichzeitig mehrere der unten genannten Merkmale. Die Auflistung will  einen Eindruck von der Weite der Themenkreise und vom Reichtum der ausgedrückten Empfindungen geben.

                Loblieder: 8; 9; 30; 32; 36; 45; 65; 66; 68; 76; 92; 95; 96; 98–100; 103; 104; 107; 108; 111; 113; 116; 117; 138; 144; 145

                Klagepsalmen: 88; 102; 137

                Lehrgedichte: 1; 2; 14; 15; 19; 33; 34; 37; 47; 48; 49; 50; 52; 53; 72; 73; 81; 82; 93; 112; 114; 118; 119

              Gebete: 5; 6; 7; 12; 13; 20; 25–28; 38–40; 42–44; 54–57; 59–61; 63; 64; 67; 90; 102; 140–143

                messianische Psalmen: 2; 8; 16; 21; 22; 23; 24; 45; 69; 72; 89; 96–100; 110; 118; 132

              geschichtliche Psalmen: 78; 105; 106; 114; 135; 136

              Schöpfungspsalmen: 8; 19; 29; 33; 65; 104

              Bußpsalmen: 6; 25; 32; 38; 39; 40; 51; 102; 130

              Rachepsalmen: 35; 52; 55; 58; 59; 79; 83; 109; 140; 141

              Stufen– oder Wallfahrtslieder: 120–134

              Alphabetische Psalmen: 9+10; 25; 34; 37; 111; 112; 119; 145

              Hallelû–Jah–Psalmen: 111–113; 115–117; 146–150

     

    7. Christus in den Psalmen

    Die in den Psalmen vorkommenden messianischen Weissagungen sind zahlreich und detailliert. Der im Neuen Testament am häufigsten zitierte Vers aus dem AT ist Ps 110:1. Er findet sich fünfmal im NT: Mt 22:44; Mk 12:36; Lk 20:42; Apg 2:34,35; Heb 1:13. Die nachstehende Tabelle ist dem «Believer’s Bible Commentary» von William MacDonald  entnommen:

     

    Psalm            Vorhersage                              Erfüllung         

    2:7                   Der Sohn Gottes                             Apg 13:33  

    8:2                   Von Kindern gelobt                         Mt 21:15,16         

    8:6                   Herrscher über alles                             Heb 2:8           

    16:8–10            Auferstehung                           Apg 2:24–28          

    22:1                 Von Gott verlassen                          Mt 27:46  

    22:7,8              Von Feinden verspottet                     Lk 23:35  

    22:16               Hände und Füße durchbohrt            Joh 20:27  

    22:18               Um Kleider das Los geworfen            Mt 27:35,36         

    34:20               Kein Bein gebrochen                        Joh 19:32,33,36    

    35:11               Von falschen Zeugen angeklagt            Mk 14:57  

    35:19               Ohne Ursache gehaßt                        Joh 15:25  

    40:7,8              Wohlgefallen an Gottes Willen  Heb 10:7    

    41:9                 Von einem Freund verraten            Lk 22:47  

    45:6                 Der ewige König                             Heb 1:8           

    68:18               In den Himmel aufgefahren            Eph 4:8           

    69:9                 Eifer um Gottes Haus                Joh 2:17    

    69:21               Mit Essig und Galle getränkt            Mt 27:34  

    109:4               Betet für Seine Feinde              Lk 23:34  

    109:8               Sein Verräter ersetzt                                    Apg 1:20    

    110:1               Zur Rechten Gottes gesetzt              Heb 1:13    

    110:4               Priester in Ewigkeit                               Heb 5:6           

    118:22             Der Eckstein in Gottes Haus            Mt 21:42  

    118:26             Kommt im Namen des Herrn   Mt 21:9           

     

     

    Der Geist Christi in den Psalmen

    Hier berühren wir das tiefste Geheimnis in diesem Buch. Es spricht der Geist der Weissagung in den Propheten nicht allein vom Kommen des Herrn, sondern in verschiedenen Psalmen erkennen wir, dass der Herr  sich mit den Seinen so weit identifiziert, dass Er  so vollständig in ihre Umstände eintritt, dass das Ich des Beters zuweilen durch das Ich des Messias verdrängt wird. In den Psalmen 22; 40;  69; 102; 109 meinen wir zunächst Davids Stimme zu hören; und es ist auch seine Stimme. Und doch ist es die Stimme des Messias Selbst: Es ist der Geist Christi im Psalmisten der von Seinen Empfindungen spricht, die Seine Seele in Seinen Leiden und in der Herrlichkeit danach erfüllen würden. Was bleibt uns da noch zu sagen? «Wundersamer Gott, der Du den Deinen so nahe kommst! Wundersames Heil, das geborene Sünder zu Heiligen macht, zu Menschen, in denen Gott Empfindungen wecken kann, die die Empfindungen des Sohnes Gottes selbst sind!»

     

    8. Die fünf Bücher der Psalmen

    Die Sammlung der Psalmen wurde von den Juden bereits als «Pentateuch Davids» bezeichnet; fast alle Bibelausgaben teilen das Buch entsprechend in fünf Bücher ein. Bei sorgfältigem Hinsehen zeigt sich, dass die Psalmen durchaus nicht willkürlich aneinandergereiht und dergestalt gruppiert worden sind.

     

    «Wiewohl das Buch der Psalmen nicht nach der Weise menschlicher Schriften verfaßt und geordnet worden ist, indem die einzelnenTeile so zusammengefügt worden sind, wie es in den Werken der Geschichte oder Literatur üblich ist, so ist es doch durch Gottes Vorsehung so zusammengefügt, dass ihre Anordnung weit besser ist, als es menschliche Kunstfertigkeit hätte veranlassen können.» (David Dickson, 1583–1662).

     

     Der Pentateuch Davids

     1. Buch: Kap     1–41    «Genesis»        Mensch und Schöpfung       

     2. Buch: Kap   42–72  «Exodus»         Drangsal und Rettung           

     3. Buch: Kap   73–89  «Levitikus»       Heiligtum und Heiligkeit         

     4. Buch: Kap   90–106            «Numeri»         Vergänglichkeit und Ewigkeit   

     5. Buch: Kap  107–150          «Deuteronomium»       Wort und Vollendung           

     

    Die Bücher sind nun so angeordnet, dass sie tatsächlich deutliche Parallelen zu den fünf Mosebüchern aufweisen. Es ist auch deutlich, dass bei jedem der fünf Bücher jeweils der erste Psalm das nachfolgende Thema ankündigt  und  den Ton setzt, wie sich an Psalm 1; 42; 73; 90 und 107 leicht zeigen läßt. Beim ersten Psalm ist es so evident, dass es kaum weiterer Erklärung bedarf; aber greifen wir als schlagendes Beispiel den 90. Psalm heraus: Er ist der älteste aller Psalmen; und menschliche Logik hätte ihn deshalb wohl an die Spitze aller Psalmen gestellt. Gottes Geist aber führte den Sammler und Ordner der Psalmen so, dass er ihn an die Spitze des 4. Buches stellte. Wie passend das ist, merken wir, wenn wir sowohl an das Thema des 4. Mosebuches als auch des 4. Psalmbuches denken: Der 90. Psalm ist das Gebet Moses, des Mannes Gottes, der das Volk durch die Wüste führte, und das Thema des Psalmes ist das Dahinsterben der ungläubigen Generation, wie es im 4. Mosebuch beschrieben wird. Es hört jedes Psalmbuch mit einer Doxologie auf: 41:13; 72:18,19; 89:52; 106:48. Dreimal wird dabei ein doppeltes, einmal ein einfaches Amen!  gerufen, Deutsch etwa: «Fest!», oder «Treu!», oder «Wahr!». Bevor das Ende erreicht ist, ist es bereits so fest, als wäre es da, ist es doch in Gottes ewigen Ratschlüssen verankert, wird es durch Gottes Allmacht gesichert und durch Gottes Weisheit verwirklicht. Damit gleichen die vier Doxologien Terassen auf dem langen Aufstieg, Aussichtspunkten, auf denen wir einen Zwischenhalt machen, etwas benommen zwar, aber gutes Mutes (2Kor 5:6) ausruhen und den Blick in die Weite schweifen lassen. Schon unterwegs gewahren unsere Augen das Ziel, das uns ruft und lockt, bevor wir das Ende, den Tag ewiger  Herrlichkeit, erreicht haben (Ps 150).

     

    Die Namen Gottes entsprechen Seinem Wesen und Seinem Wirken. Der Gebrauch der göttlichen Namen ist daher nie willkürlich, sondern ist mit der Botschaft des jeweiligen Buches eng verbunden. Untenstehende Übersicht stammt aus E. Aebi: «Kurze Einführung in die Bibel».

     

     Die Namen Gottes in den fünf Psalmbüchern  

     

    Buch:                           I           II         III       IV        V       

     

    Adon   Herr                2          1                      1          5        

    Adonai Herr                13        18        15       1          12      

    Jah       Ewiger             2          7          32      

    Jahwe  Ewiger            275      32        44       106      236    

    El         Starker            18       16        20       9          10      

    Elohim  Gott                50        198      60       18         30      

    Eloah   Gott                1         1                                  2        

     

    Es fällt auf, wie im ersten und im zweiten Psalmbuch das Verhältnis der beiden wichtigsten Gottesnamen, Jahwe und Elohim, gerade umgekehrt ist, und zwar erst noch entgegen unserer Erwartung: Ist denn Elohim nicht der Titel Gottes als Schöpfer (1Mo 1), und Jahwe der Titel Gottes des Retters und Bundesgottes (2Mo 3)? Warum denn im ersten Buch, das doch in besonderer Weise an die Schöpfung anknüpft, der Titel Gottes, den wir im zweiten  Buch, dem Buch der Errettung, erwarten würden? Der Grund ist wohl dieser: Im ersten Psalmbuch wird die Beziehung  des Gerechten zu Gott, seinem Schöpfer, hervorgehoben. Dazu aber paßt der Titel des EWIGEN, des ewig Seienden, der bereits durch die besondere Schöpfungsbestimmung des Menschen zu diesem in eine einzigartige  Beziehung getreten ist (1Mo 2:7). Im zweiten Psalmbuch steht der allgemeine und umfassende Titel Gott statt des Titels des Gottes des besonderen Bundes wohl darum, weil es den Zustand des Volkes Gottes in der Zerstreuung und damit in der Ferne von seinem Gott beschreibt. Nachdem im dritten Psalmbuch die beiden Titel etwa gleich oft gebraucht werden, heben die letzten beiden Bücher durch den überwiegenden Gebrauch des Titels Jahwe die Tatsache hervor, dass hier ein Volk seinen Gott anbetet, das Ihm nahe ist.

     

    Das erste Buch: 1–41

    Das Thema dieses Buches ist der Mensch und die Schöpfung. Im ersten Psalm wird jener Grundsatz wiederholt, der am Anfang der Menschheitsgeschichte verkündigt wurde: Annehmen oder Verwerfen von Gottes Wort entscheidet über Leben und Tod. Es wird der Gerechte, der sich Gottes Wort unterwirft, mit einem Baum verglichen, der an den Baum des Lebens im Garten Eden erinnert. In Ps 2 haben wir eine Weissagung über die Menschwerdung des Sohnes Gottes. In Ps 8 lesen wir vom Menschen, der ein wenig niedriger gemacht worden war als die Engel. Das ist «der erste Mensch» (1Kor 15:45). Aber wir lesen dort auch vom Menschensohn, der über alle Schöpfung regieren wird; das ist «der zweite Mensch» (1Kor 15:47), Christus (siehe Heb 2, wo Ps 8 zitiert wird).  In Ps 9 und 10 wird vom «Menschen der Sünde» (2Thes 2:3) gesprochen . Wir lesen vom Leiden und Sterben «des letzten Adam» (1Kor 15:45) in Ps 22. Der 40. Psalm spricht vom vollkommen gehorsamen Menschen. Der letzte Psalm des ersten Buches spricht von Krankheit und drohendem Tod dieses Menschen, aber auch von der Gewissheit der Genesung, einer Art «Auferstehung». Die Hoffnung der Auferstehung in einer durch die Sünde dem Tod unterworfenen Welt gründet sich auf Gottes in Seinem Wort gegebenen Verheißungen. Hatte der Ps 1 nicht verheißen, der Gerechte werde einem fruchttragenden Baume gleichen, da er durch seinen Glauben und Gehorsam einem nie versiegenden Lebensquell angeschlossen bleibt? Der Psalm 41 erinnert an das letzte Kapitel von Genesis. Dort liegt Joseph darnieder, tot, eingeschlossen in einen Sarg. Scheinbar triumphiert der Tod. Joseph aber glaubt der Verheißung von Wiederherstellung und Auferstehung und gibt durch diesen Glauben Befehle bezüglich seiner Gebeine (Heb 11:22). Wie der 1. Psalm so beginnt der letzte Psalm des ersten Psalmbuches mit ”Glückselig”.

     

    Das zweite Buch: 42–72

    Es beginnt wie Exodus mit Not, es endet wie Exodus mit der Herrlichkeit Gottes, die aufstrahlt (2Mo 40; Ps 72). Das Rufen der bedrängten Heiligen, Gott möchte Sein Licht und Seine Wahrheit senden (43:3), wird beantwortet, indem Gott Seinen König sendet (Ps 45). Israel wurde aus Ägypten erlöst, um fortan nicht mehr dem Pharao sondern dem Ewigen als ihrem König unterworfen zu sein (2Mo 15:18). dass Gott König ist, wird im zweiten Psalmbuch häufiger bezeugt als in den andern(44:4; 45:1; 47:2; 48:2; 68:24). Der letzte Psalm schließlich besingt den Messias, der als König über die ganze Erde regieren wird (72). Errettung kann aber nur unter Bekenntnis der eigenen Sünden und Demütigung der eigenen Sündhaftigkeit wegen geschehen. Darum muß in diesem Psalmbuch der Bußpsalm par excellence stehen (51).

     

    Das dritte Buch: 73–89

    Das dritte Psalmbuch beginnt mit dem Bekenntnis, dass Gott denen gut ist, die «reinen Herzens» sind.  Reinheit ist nun eines der dominierenden Themen des Dritten Mosebuches. Im zweiten Psalmbuch hatte David das Sehnen des Heiligen in die Bitte gekleidet: «Schaffe mir, Gott, ein reines Herz!» (51:10). Wie Gott dem von Natur sündigen Menschen, das Herz reinigt, das erzählt uns das zweite der Mosebücher (2Mo 4:7). Im dritten Mosebuch (und im dritten Psalmbuch) wird der Gedanke weitergeführt, indem gezeigt wird, was das Teil dessen ist, dem Gott ein solches Herz geschaffen hat: Dieser darf und dieser kann in Gottes Heiligtum eintreten (73:17).            

                Wird in Levitikus gleich im ersten Kapitel der Weg gezeigt, auf dem der Israelit Gott nahen kann, so faßt der erste Psalm dieses dritten Buches am Ende zusammen, was er, was mithin das ganze dritte Psalmbuch sagen will:

     

    «Ich aber – Gott zu nahen ist mir gut» (73:28)

     

    Entsprechend kommt in diesem Buch das Haus Gottes häufiger vor als in den andern. Reinheit und in Gottes Gegenwart treten, das sind die beiden Seiten der Heiligkeit; denn Heiligsein heißt, so sein, wie  Gott ist, und dort sein, wo  Gott ist. Es fällt auf, wie der Beter in den Psalmen 73 bis 89 besonders häufig über Gottes gegen Sein Volk gerichteten Zorn klagt. Die Glut, das Feuer, der Rauch Seines Zornes wider Sein Volk (74:1) hat seine Entsprechung im Feuer und im Rauch des Altars, auf dem das Opfer dargebracht wurde (3Mo 1–7). Es ist kein Zufall, dass der Psalm, der von den Schrecken der Gottverlassenheit auführlicher spricht als irgend ein anderer, in diesem Buch zu finden ist (88). Durch solches Leiden lernt der Heilige in dem Maß, wie Gott es ihm gewährt, mitempfinden, was es für den Gerechten bedeutet haben mußte, zur Sünde und damit zum Gegenstand des göttlichen Zornes zu werden. Gott erzieht auf diesem Wege Seine Erwählten dazu, Seiner Heiligkeit  teilhaftig zu werden (Heb 12), Gemeinschaft zu haben mit den Leiden des Christus. Zunächst klagt der Heilige darüber, dass «alle Morgen meine Züchtigung da war» (73:14), bis er versteht, dass solche Züchtigung ein Beweis dafür ist, dass Gott Israel wahrlich gut ist (73:1), und schließlich bekennt:

     

    « Glückselig der Mann, den du züchtigst, HERR, und den du belehrst aus deinem Gesetz» (Psa 94:12).

     

    Das vierte Buch: 90–106

    Der erste Psalm dieses Buches ist ein Gebet des Mannes, der Israel vierzig Jahre durch die Wüste führte. Es drückt in bewegender Weise alle Erfahrungen des 4. Mosebuches aus: Mose hat die Hinfälligkeit des Menschen gesehen und den gerechten Zorn eines heiligen Gottes über dessen Sünden; er hat gelernt, in den Jahren der Pilgerschaft durch die Zeit seinen Anker in den ewigen Gott und in dessen Ratschlüssen zu werfen (90:1), und er hat gelernt, alle Seine Hoffnung auf diesen Gott und auf dessen Gnade zu setzen (90:14–17). Der letzte Psalm hält Rückschau auf die Geschichte eines sündigen Volkes, auf dessen Pilgerschaft durch die zurückliegenden Jahrhunderte. Das wirft den Psalmisten wie einst Mose (106:23) auf Gottes Erbarmen und läßt ihn um die Errettung seines Volkes bitten.  Er findet im Gebet die Gewißheit, dass am Ende der Gott dieses Volkes durch sein Volk gepriesen würde (106:44–48).

     

    Das fünfte Buch: 107–150

    Das 5.Mosebuche ist das Wort Gottes an Israel, wo es an der Schwelle des verheißenen Landes steht. Der 107. Psalm trifft die exakt entsprechende Situation: Er spricht von Israel, das nach einer langen Geschichte der Exile und der Zerstreuung an der Schwelle zum Eintritt  in das den Vätern verheißene Erbe steht. Das Thema von 5.Mose ist die Bedeutung der Worte Gottes; daher beginnt das Buch mit dem Satz: «Dies sind die Worte» (5Mo 1:1).  Im Ps 107 vernehmen wir, dass Gott Sein Wort  sendet, um sein Volk in Gnade und Errettung heimzusuchen (V.20). Und wie in 5Mo 1–4 die bisherige Geschichte des Volkes Gottes rekapituliert wird, so wird auch in Ps 107 Rückschau gehalten über Gottes gerechten Wege mit Seinem Volk. Israel soll erkennen, dass sich in allen Gerichten nichts als Worte Gottes an ihm erfüllt haben (107:11); keines von seinen Worten ist leer auf die Erde gefallen. Wer weise ist, wird das verstehen (107:43; cf 5Mo 4:6); er wird begreifen, dass so, wie sich Gottes Wort in der Geschichte bewahrheitet hat, so wird es ich auch in der Zukunft bewahrheiten. Am Glauben oder Unglauben gegenüber Seinem Wort entscheidet sich alles.  Am Ende einer langen Geschichte der Sünde und des Versagens wird das Volk Gottes doch in den ersehnten Hafen eingehen (Ps 107:30). Das wird Gottes Gnade bewirken; und das hatte Er in 5Mo 30; 32 und 33 vorhergesagt. Im 5. Psalmbuch findet sich auch jener Psalm, der die Kostbarkeit des Wortes Gottes zum Gegenstand hat, der 119. Die fünf Psalmen, die das Ende dieses Buches bilden, sind allesamt Halleluja–Psalmen:  Am Ende wird alles den großen Gott und Schöpfer der Welt, den Erlöser Israels und König der Nationen rühmen. Dann werden alle Worte Gottes sich erfüllt haben.

     

    Reihen inhaltlich zusammengehöriger Psalmen

    Die Psalmen sind nicht chronologisch und auch nicht nach Verfassern geordnet; dennoch sind sie nicht willkürlich aneinandergereiht. Wiewohl es uns nicht immer leicht fällt, den logischen Zusammenhang in ihrer Abfolge zu erkennen, so lassen sich doch einige Reihen leicht ausmachen, wie die nachstehenden Beispiele zeigen wollen.

     

    Psalm 1–8: Die Reihe beginnt mit dem vollkommenen, von Gott und Seinem Wort abhängigen Menschen (Ps 1), der vom Vater zu König gesalbt worden ist (Ps 2), jetzt noch verworfen wird (Ps 3), aber einst als Menschensohn über die ganze Schöpfung herrschen wird (Ps (8).

     

    Psalm 22–24: Die Reihe beginnt mit dem guten Hirte (Joh 10:11), der sein Leben läßt für die Schafe: Ps 22. Der nächste Psalm spricht vom großen Hirten, den Gott wiederbrachte aus den Toten (Heb 13:20), der Seine Herde weidet: Ps 23; schließlich begegnen wir dem der Erzhirten (1Pet 5:4), der wiederkommen wird: Ps 24.

     

    Psalm 120–134: Fünzehn Wallfahrtslieder, die mit dem Pilger beginnen, der sich aus dem Land der Feinde aufmacht (Ps 120), unterwegs die Zusicherung göttlichen Schutzes gewinnt (Ps 121), in der Vorfreude auf das Ziel – Jerusalem (Ps 122) – seinen Weg geht, wenngleich Spötter spotten  (Ps 123) und Feinde ihn angreifen mögen (Ps 124); am Ende wird er zusammen mit seinen Brüdern (Ps 133) im Hause seines Gottes stehen und den Herrn, seinen Erlöser rühmen (Ps 134).

     

     

    Anfang und Ende des gesamten Psalmbuches

    Die beiden ersten Psalmen bilden das Tor zum gesamten Psalmenbuch. Wir treten ein und beginnen damit unseren Pfad durch die Zeit, der uns unter die Regierung des von Gott gesalbten Königs führt. Unter Seinem Szepter lernen wir aus vollem Herzen mit voller Kehle Seinen Gott und Vater anbeten. Dies nämlich ist unsere letzte und höchste Bestimmung, wie uns der letzte Psalm lehrt.

     

    «Der erste und der letzte der Psalmen haben beide die gleiche Anzahl Verse; beide sind kurz und sehr denkwürdig. Ihr Inhalt ist indes sehr verschieden: Der erste Psalm ist eine sorgfältige Unterweisung in unserer Pflicht, welche uns auf die Tröstungen unserer  gläubigen Hingabe vorbereitet. Der letzte Psalm ist eitel Entrückung und Verzückung, und wurde vielleicht mit Absicht als alles abschließender Psalm geschrieben, um uns zu zeigen, welches Ziel und Sinn des ganzen Buches ist.»

                (Matthew Henry)

     

    Psalm 1: Glückselig sein kann nur der Mann, der sich Gottes Wort unterwirft; wer es verwirft, wird verflucht. Dieser einfachste  Grundsatz steht am Anfang aller Wege Gottes mit dem Menschen. Er bleibt in Kraft, bis Himmel und Erde vergehen, bleibt in Kraft in der neuen Schöpfung, in der nur solche sein werden, die sich hier und jetzt Gottes Reden unterworfen haben, um ewig dem Willen des unumschränkten Gottes untertan zu bleiben. Solche Unterordnung ist dem Sünder ein Greuel, dem Heiligen eine Wonne, ist es doch der Schlüssel zu aller Glückseligkeit, Quelle aller Freuden, Quelle allen Lebens.

     

    Psalm 2:  Gegen diesen ehernen Grundsatz empört sich der Sünder: Es treten auf die Fürsten dieses Zeitlaufs und ratschlagen miteinander wider Gottes Wort, Gottes Wege und Gottes Gesalbten; denn in diesem verwirklicht sich alles, was Gott von jeher gewollt und was Er von alters in Seinem Reden enthüllt hat. Umsonst ist solches Anrennen wider den Ewigen und Unveränderlichen, den Allmächtigen und Allerhöchsten. Gott hat Seinen König gesalbt auf Zion, Seinem heiligen Berge. Das Ziel der Weg Gottes ist damit genannt, aber nicht allein genannt, sondern gleichzeitig auch vorherbestimmt; denn was Gott will, das geschieht; Seinen Vorsatz kann nichts und niemand vereiteln. Seinem Sohn wird Gott alle Schöpfung zum Besitz geben und unterwerfen; wer sich widersetzt, wird von Ihm mit eiserner Rute zerschmettert, wer Ihn küßt, wird ewig leben.

     

    Psalm 3: Das Ziel der Heilsgeschichte ist uns vor Augen gestellt, und steht fest; aber es ist noch nicht erreicht. Der Gerechte muß durch diese Welt und diese Zeit hindurch, ehe er am Ziel ist. Diese Welt feindet ihn an, da sie sich gegen seinen Gott und die von Ihm festgelegt Regierung aufbäumt: «HERR! wie viele sind meiner Bedränger! Viele erheben sich wider mich» (V.1). So wird es bleiben, bis der Herr kommt. Der 3.Psalm ergibt sich ganz logisch aus den ersten beiden; er leitet jenes Thema ein, das einen so großen Platz im gesamten Buch der Psalmen einnimmt: Die Leiden des Gerechten in einer Welt der Sünde und des Unglaubens. In seinen Anfechtungen und in den durch Feinde eingeblasenen Zweifeln aber bleibt im allezeit jene Tür offen, die der Sohn Davids geöffnet hat, und die niemand schließen kann: Der Heilige ruft zu seinem Gott und findet in Seinem Wort und in Seiner lebendigen wiewohl erst im Glauben verwirklichten Gegenwart unvergänglichen Trost. Die Gewißheit bleibt dem Heiligen durch alles Anstürmen der Feinde Gottes hindurch erhalten, dass er auf immerdar in Gottes Ratschlüssen verankert ist, und dass seine Feinde ebenso gemäß Gottes Rat in Gottes Zeit zerstört werden müssen.

     

    Psalm 146–150: In diesen Psalmen gibt alles, die unbelebte und die belebte Schöpfung, Meer und Erde, Himmel und Himmelskörper, Tiere, Menschen und Engel Gott, dem Schöpfer, dem Retter und König Ehre. Das Ziel aller Wege Gottes wird im allerletzten Psalm besungen: Alles was Odem hat rühmt Gott.

    Charles Haddon Spurgeon charakterisiert den Psalm selbst in seinem großartigen Kommentarwerk über alle 150 Psalmen mit folgenden schwer zu übertreffenden Worten:

    «Wir haben jetzt den letzten Gipfel in der Bergkette der Psalmen erreicht. Er schwingt sich empor ins klare Blau der Himmel, sein Scheitel badet im hellen Sonnenlicht der ewigen Welt nie endender Anbetung. Er ist eine einzige Entrückung. Der Dichter–Prophet ist voller Eingebung und heiliger Begeisterung. Er hält sich nicht mehr auf, zu begründen, zu lehren, zu erklären; vielmehr ruft er mit brennendem Mund: «Preist Ihn, preist Ihn, preiset den HERRN!»

     

     

     

    Salomos drei Bücher

     

    Salomo hat drei Bücher verfasst, die wir zusammen mit Hiob und Psalmen zu den fünf poetischen zählen. Es ist sinnvoll, diese drei zusammenzunehmen, weil sie nicht allein vom gleichen Autor stammen, sondern auch formal und inhaltlich verwandt sind.

     

    Altorientalische und Biblische    Weisheit

    Man zählt diese Bücher zur sogenannten «Weisheitsliteratur», die im Alten Orient zur Zeit Salomos bereits eine lange Tradition besass. Im Alten Testament vernehmen wir öfters von den Weisen Ägyptens, Babylons, Edoms, Phöniziens und anderer Länder (2Mo 7:11; Jes 47:11; 49:7; Hes 27:8,9), die als Autoritäten galten und deren Aussprüche natürlich auch in Buchform konserviert wurden. Einiges davon ist uns heute durch die Bemühungen der Archäologen und Altorientalisten wieder zugänglich gemacht worden.

       Die biblische Weisheitsliteratur bedient sich also bereits vorliegender gebräuchlicher Gattungen. Gottes Wort hat sich zu allen Zeiten, zu alttestamentlichen wie zu neutestamentlichen, der gängigen literarischen Mittel bedient. Äusserlich oder formal ist es mithin stets ein Kind seiner Zeit. Das soll uns aber nicht in Verlegenheit bringen; vielmehr liegt hierin eines der Wunder von Gottes Handeln in Offenbarung und Erlösung:

       Er kommt zu uns; er nimmt unsere Gestalt an. Der Herr Jesus wurde, wiewohl Er der Ewige und Uneingeschränkte ist, uns Menschen vollkommen gleich. Das macht Ihn aber nicht kleiner, sondern grösser. Ebenso ist Gottes Wort der äusseren Gestalt und Entstehung nach Menschenwort; dem Inhalt nach aber Gottes Wort.

    Weil es Gottes Wort ist, hebt sich alle biblische Weisheitsliteratur – zu ihr zählen auch Hiob und einige Psalmen – inhaltlich von aller zeitgenössischen altorientalischen Weisheitsliteratur ab. Es liegen Welten zwischen ihnen. Finden wir in ersteren das Weistum der durch Erfahrung Klugen und dadurch Lebenstüchtigen, überrascht das Buch der Sprüche bereits mit seiner Definition von Weisheit. Sie liegt nicht, wie es alle bloß menschliche Literatur in unendlichen Varianten darlegt, in verschiedenen dem Menschen eigenen Qualitäten, sondern in einer Beziehung; und zwar nicht einer beliebigen Beziehung, sondern der zu Gott. Diese Einsicht war es, die Salomo wahrhaft weise machte, weiser als alle seine Zeitgenossen:

     

    «Und die Weisheit Salomos war grösser als die Weisheit aller Söhne des Ostens und als alle Weisheit Ägyptens. Und er war weiser als alle Menschen» (1Kö 4:30,31).

     

    Das Thema Seiner drei Bücher

    Weisheit für unseren Weg durch die Zeit, so kann das Thema von Sprüche umrissen werden. Jeder Weg hat sein entsprechendes Ziel, das Leben oder den Tod (14:12). Welches der gute Weg ist, lehrt uns allein jene Weisheit, welche mit der Furcht des EWIGEN beginnt (9:10). Wie wollen wir beschränkten Menschlein auch ohne Ihn wissen, was das Ende eines Weges ist, sehen wir doch nur einige Zoll über unsere eigene Nasenspitze hinaus?

    Weisheit für unseren Aufenhalt in der Zeit, so kann das Thema von Prediger umrissen werden. Was sollen wir mit allen Möglichkeiten des Lebens anstellen? Wie sollen wir mit den zahlreichen Geschäften unseres Lebens wie Essen und Trinken, Arbeiten und Lernen, Familie und Kultur umgehen? Das lehrt uns allein jene Weisheit, welche mit der Furcht Gottes beginnt (3:14; 5;7).

    Die Liebe als die höchste aller Beziehungen, ist das Thema, das im Lied der Lieder besungen wird. Dieses Buch sagt es zwar nur in einem knappen Satz ganz am Ende des Buches, aber wir verstehen das aus dem Gesamtzeugnis der Bibel: Die höchste Beziehung unter Menschen, die Liebe, leitet sich von der Liebe zu Gott, dem Ursprung und Geber aller Dinge ab: «Die Liebe ist eine Flamme des HERRN» (8:6).

    Es geht also in allen drei Büchern um eine Beziehung zu Gott und um die sich daraus ergebenden Beziehungen zur Welt und zu den Menschen darin. Diese Beziehung ist Dreh– und Angelpunkt von allem. Entsprechend definiert die Bibel als höchstes Gebot die Liebe zu Gott – eben eine Beziehung; und aus dieser die entsprechende Beziehung zum Nächsten. Einfach ist das alles, wenn Gott einmal unseren armseligen Verstand erleuchtet und unsere blinden Augen geöffnet hat. Dann sehen wir's und wundern uns, dass wir, dass Menschen überhaupt, es jemals anders haben sehen können. Ganz so einfach ist das Ausleben dieser Einsicht indes nicht. Aber wir dürfen, wenn wir Gott fürchten, mit Seiner Hilfe rechnen.

     

    Der Autor

    Der biblische Wortlaut ist unmissverständlich: Im einleitenden Satz stellt sich der Autor jedesmal selbst vor:

     

    «Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel»  (Spr 1:1).

     

    «Worte des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs in Jerusalem» (Pred   1:1).

     

    «Das Lied der Lieder von Salomo» (Hl 1:1).

     

    Dem Bibelleser genügt das Selbstzeugnis der Schrift; dem Kritiker genügt nichts. So nimmt es nicht wunder, dass man hunderterlei Argumente gesucht und gefunden hat, um alle drei Bücher anderen Autoren zuzuschreiben.

    Wie dumm sind wir in Wahrheit, wenn wir der glaubwürdigsten Person im Universum, Gott, nicht glauben, und wenn wir dem glaubwürdigsten Zeugnis auf Erden, der Bibel, nicht trauen mögen. So wie Glaube an Gott die Tür zu den unbegrenzten Schätzen aller Weisheit und Erkenntnis aufstösst (Kol 2:3), so versenkt der Unglaube – so gelehrt und so vornehm er sich geben mag – in die Düsternis der Willkür, ins Dunkel der Ungewissheit, in die Finsternis bleibender Hoffnungslosigkeit.

    Laßt uns also dem Selbstzeugnis auch dieser drei Bücher vertrauen, und wir werden sehen, wie viel Honig wir dann aus dem Felsen der Heiligen Schriften saugen können:

        Akzeptieren wir Salomo als den Autor, können wir diese drei Bücher wie Folien auf den Hintergrund seines Lebens legen; und siehe da: Sie gewinnen ungemein an Leben, an Aussagekraft und damit an Einfluss auf unser Herz und Gewissen. Und soll es nicht gerade so sein?

    Eine gute jüdische Tradition sagt, Salomo habe das Lied der Lieder als junger Mann geschrieben, Sprüche auf der Höhe seiner königlichen Hehre, Prediger schliesslich im Alter. Das paßt ausgezeichnet zu Salomos Biographie, und es wird durch die einleitenden Worte des jeweiligen Buches unterstützt:

    Im Lied der Lieder sagt der Autor, es sei «von Salomo» (1:1). Das passte zu dem Umstand, dass er noch jung, noch nicht König war. Und der Inhalt des Buches vertrüge sich schwerlich mit einem späteren Lebensabschnitt, in dem Salomo bereits mehrere Frauen hatte, und er deshalb schlecht von der ausschließlichen Liebe eines Mannes zu einer Frau in solch bewegenden Weisen hätte singen können.

    In Sprüche sagt der Autor, er sei «Salomo, der Sohn Davids, der König von Israel» (1:1). Der Inhalt des Buches passt zu Salomo in der Fülle seiner Weisheit als König auf einem festgegründeten Thron (8:15,16; 16:12; 20:28).

    In Prediger sagt der Autor, er sei «Salomo, der Sohn Davids, der König in Jerusalem» (1:1).  Wir beachten den Unterschied zu Sprüche: Er nennt sich nurmehr König «in Jerusalem". Im Alter, da er dieses Buch verfasste, spürte Salomo bereits, wie sich sein Einfluss in weiten Teilen des Reiches minderte – wie nach seinem Tode auch schlagartig offenbar wurde. Er identifiziert sich zunehmend allein mit Jerusalem. Auch der Inhalt dieses Buch passt zu keinem anderen Lebensabschnitt so gut wie zu seinem Alter:

        Er kann, aus bitterer Erfahrung klug geworden, von der furchtbaren Schlinge sexueller Zügellosigkeit sprechen (7:26), von der Nichtigkeit allen irdischen Trachtens und Erlangens ohne Gott (2); und er weiss, dass es für den Jüngling nichts Glücklicheres gibt, als in jungen Jahren Gott zu fürchten; denn das hatte Salomo selbst getan. Und er kann als alter Mann, der er inzwischen ist, mitfühlen, wie es einem das Herz sticht, wenn man auf lange Jahre eitlen Jagens und nichtigen Begehrens zurückschauen muss und nur noch mit den schwindenen Kräften des Greises die guten Gaben des Schöpfers genießen kann (11:9 – 12:1)

     

     

    Salomo, Geliebter des Herrn

    Salomos Geburt und Jugend

    Die Umstände, die zu Salomos Geburt führten, müssen ihn beständig daran erinnert haben, dass dort, wo die Sünde mächtig geworden, die Gnade noch viel mächtiger geworden ist (Röm 5:20). Auf welchem Weg kam doch Bathseba in das Leben Davids! Und nach welch demütigenden Geschehnissen wurde sie endlich Mutter Salomos, oder Jedidjahs, des «Geliebten des HERRN«, wie er von Gott selbst genannt wurde (2Sam 12:24,25)!

    Es ist die Gnade die einzige wirkliche Kraft zur Heiligkeit, wie wir an Stellen wie Röm 6:14; 2Tim 2:1 und anderen lernen. Und als solche erwies sie sich auch im Leben Salomos. Er war noch «jung und zart» (1Chr 29:1), als sein Vater ihn für die Nachfolge auf den Thron und den Bau des Tempels vorbereitete. Und als er bereits König geworden, war er noch immer «ein kleiner Knabe» (1Kö 3:7). Aber er war bereits von Gottesfurcht erfüllt; Gottes Gnade an ihm hatte ihn dazu bewegt. Sie hatte ihn bewegt, Gottes Liebe mit Liebe zu beantworten und Ihn und Seine Weisheit von Jugend auf zu suchen:

     

    «Ich liebe, die mich lieben, und die mich frühe suchen, werden mich finden» (Spr 8:17).

     

    Solches schrieb Salomo aus Erfahrung; aus Erfahrung gibt er darum als alter Mann noch dem Jüngling den Rat:

     

    «Gedenke deines Schöpfers in den Tagen deiner Jugend» (Prd 12:1).

     

    Salomos Weisheit

    Der Weg, auf dem Salomo seine stupende Weisheit erlangte, mit der er als König in Jerusalem regierte, ist ein an Klarheit nicht zu übertreffendes Vorbild für alle, die ihm nacheifern wollen; und er ist darüber hinaus ein beredtes Zeugnis für ein Herz, das Gott fürchtete und die Seinen liebte.

    Salomo war König geworden, ja, aber nicht König irgend eines Volkes. Er war von Gott zum Haupt und Führer über das Volk Gottes gesetzt worden, des einzigen Volkes, unter dem der Gott des Himmels selbst wohnte, des einzigen Volkes, das der Ewige Sein Eigentum aus allen Völkern nannte (2Mo 19:5). Die ungeheure Bürde der Würde, König gerade dieses Volkes zu sein, lastete dem noch jugendhaften Thronfolger Davids schwer auf Herz und Gemüt. Er muß sich schon länger danach gesehnt haben, diesem seinem Volk, dem er nun vorstehen mußte, auch in Weisheit dienen zu können; und er muß dabei an seinem hoffnungslosen Zukurzkommen gelitten haben.

       dass solches in seinem Herzen war, kam an den Tag, als ihm Gott in einer Nacht erschien und aufforderte:

     

    «Bitte, was ich dir geben soll» (1Kö 3:5).

     

    Man bedenke: Einen Wunsch frei, wie im Märchen. Nur war es kein Märchen. Was würde Salomo bloß wünschen? Was hättest du gewünscht? Gibt es etwas, das das Innerste zuverlässiger ans Licht bringt, als eine solche Frage? Und hier hat Salomo vielleicht die wirklich größte Stunde seines Lebens. Der junge Mann erweist sich als vollkommen auf der Höhe seiner Berufung. Wer von den Erlösten des Herrn könnte von sich sagen, er sei das, oder er sei es wenigstens für nur kurze Zeit gewesen? Salomo muß nicht Bedenkzeit erbeten, sondern antwortet ohne zu zögern:

     

    «Du hast deinen Knecht zum König gemacht an meines Vaters statt, und ich bin ein kleiner Knabe, ich weiß nicht aus– und einzugehen; und dein Knecht  ist in der Mitte deines Volkes, das du erwählt hast, eines großen Volkes, das nicht gezählt noch berechnet werden kann vor Menge. So gib denn deinem Knecht ein verständiges Herz, um dein Volk zu richten, zu unterscheiden zwischen Gutem und Bösem; denn wer vermöchte dieses dein zahlreiches Volk zu richten?» (1Kö 3:7–9)

     

    Salomo beweist hier, dass er alle Voraussetzungen besitzt, um weise zu werden:

     

              Er erkennt seine Hilflosigkeit und Unfähigkeit.

     

              Seiner Unfähigkeit steht eine für ihn viel zu große Aufgabe gegenüber: das Volk ist einerseits groß, aber was die Verantwortung unerträglich macht, ist die Tatsache, dass es «dein«, also Gottes Volk ist.

     

              Aus dieser doppelten Einsicht zieht Salomo die einzig richtige Konsequenz: Er wendet sich an Gott, vertraut auf Ihn mit seinem ganzen Herzen und stützt sich nicht auf seinen Verstand noch auf sein Vermögen (Spr 3:5–7).

     

              Salomo schätzt den Wert der Weisheit höher als jedes andere Gut (Spr 2:4; 3:14,15), denn er erbittet sich nicht, was dem Menschen gewöhnlich als das Wertvollste erscheint .

     

    Auf diesem Weg kommt die Weisheit in sein Herz, um die er gebeten hatte (vgl. Spr 2:1–6); und weil er zuerst nach dieser getrachtet, bekommt er auch, worum er nicht gebeten hat: Reichtum und Ehre (1Kö 3:11–13; Spr 3:16; vgl. Mt 6:33).

     

    In Mk 4:24 lehrt Er, der selbst die Weisheit in Person ist:

     

    «Sehet zu, was ihr höret, mit welchem Masse ihr messet, wird euch gemessen werden; und es wird euch hinzugefügt werden.»

     

    Diese Wahrheit hatte Salomo selbst befolgt, bevor er sie später lehrte: Er hatte von seinem Vater David gehört, und er hatte dem Gott, von dem David kündete, sein Herz weit gemacht:

     

    «Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und laß deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen» (Spr 23:26).

     

    Salomo gab seinem göttlichen Vater sein Herz. Entsprechend vergalt ihm Gott:

     

    «Gott gab Salomo Weisheit und sehr große Einsicht und Weite des Herzens, wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist» (1Kö 4:29).

     

    Diese Weisheit, welche Salomo zum Weltwunder seiner Zeit und bis auf den heutigen Tag zu dem sprichwörtlichen Weisen schlechthin  machte, zeigte sich bereits unmittelbar danach: im gerechten Urteil, das er über jene zwei Huren fällte (1Kö 3:16–28) – ein Urteil im übrigen, das sich meilenweit von dem Unterscheidet, was man heute im Volksmund ein «salomonisches Urteil» nennt. Dieses ist meist nicht mehr als ein lauer Kompromiß; hier aber geschah beiden Parteien kompromißlose Gerechtigkeit. Jahre später schrieb Salomo:

     

    «Tiefes Wasser ist der Ratschluß im Herzen des Mannes, aber ein verständiger Mann schöpft ihn heraus» (Spr 20:5).

     

    In der Tat: Salomo vermochte das, was im Herzen dieser beiden Frauen war, herauszuschöpfen. Wie war er dabei zu Wege gegangen? Oder besser: Was hatte er in diesen beiden Menschen angesprochen, das unmittelbar Farbe zeigte und so das Herz der Betreffenden offenbarte?

    Beide Frauen waren Huren. War Salomo ein exemplarischer Weiser, dann waren diese beiden ebensolche Sünder (vgl. Lk 7:37); die beiden waren aber auch noch etwas mehr: Sie waren Mütter geworden. Mit seiner Frage verstand es Salomo diese zweite Natur anzusprechen, und prompt wurde die wahre Mutter offenbar.

    Hieraus läßt sich für uns mühelos folgende Analogie herleiten: Auch wir sind Sünder von Natur; aber wir sind durch die neue Geburt auch etwas anderes geworden: Kinder Gottes. Die Weisheit des Weisen angesichts ähnlich undurchschaubarer und daher nicht zu entscheidender Fällen besteht darin, die göttliche Natur des Erlösten anzusprechen. Geschieht das in Weisheit, dann reagiert diese unfehlbar auf das Wort der Weisheit; sie gibt sich zu erkennen und macht die Herzen offenbar.

     

    Salomos tiefer Fall

    Die Gnade ist, richtig verstanden und richtig angewandt, die stärkste Kraft zur Heiligung. Falsch verstanden oder falsch angewandt läßt sie den Menschen in Schande und Sünde versinken. Hatte Paulus klagen müssen, dass die Galater sich von der kräftigen Gnade zu den hilflosen Elementen des Gesetzes kehrten, mußte Judas von Leuten sprechen, welche

     

    «die Gnade Gottes in Ausschweifung verkehren» (Jud 4).

     

    Salomo, der von Gott so reiche Gnade empfangen hatte, strauchelte und stürzte ebenso. Er wandte sich in seinem Herzen von dem ab, aus dessen Hand alles kommt, vom Quell aller Gnade. Damit wurde er zur hilflosen Beute der Sinnlichkeit, welche den Menschen durch die Sinne an das Geschaffene und Vergängliche bindet. Beispielhaft dafür steht seine Verfallenheit an die heidnischen Frauen, die sein Herz neigten (1Kö 11:4). Wie schmerzlich ist es, solches zu lesen vom gleichen Mann, dessen Herz einst so weit gewesen war für Gott und für Seine Gedanken. Und wie bitter, wenn wir bedenken, dass Salomo in besseren Jahren selbst gelehrt hatte:

    «Behüte dein Herz mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens» (Spr 4:23).

    Und hatte er nicht selbst erfahren, wie die Weisheit «von dem fremden Weibe» (Spr 2:16) zu erretten vermag, und den Jüngling daher gedrängt, nach Weisheit zu trachten, damit er nicht eine Beute der Hure werde (Spr 5:1–6; 6:24,25; 7:24–27). So lernen wir denn an Salomo die ernste Wahrheit:

     

    «Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle» (1Kor 10:12).

     

    Wir lernen, dass der Mensch auf sich gestellt zu allem fähig ist, dass es daher Torheit, ja, Wahnsinn ist, sich je klug und stark genug zu dünken, um die beständige Abhängigkeit von Gott nicht mehr nötig zu haben.

       dass wir es begriffen: Die unablässige Abhängigkeit von unserem Herrn ist unser Glück; die Unabhängigkeit von Ihm ist unser Unglück. So, wie wir den Herrn aufgenommen haben – als hilf– und rechtlose Bankrotteure – , sollen wir auch weiterhin in Ihm wandeln (Kol 2:6).

     

    Salomos Ende

    Kam Salomo nach seinem tiefen Fall wieder zurecht? Die Bibel gibt uns hierauf keine eindeutige Antwort. Mehrere Indizien aber sprechen dafür, dass Salomo so endete, wie er als König angefangen hatte: als ein Heiliger Gottes.

     

             Gott, der den Anfang und das Ende sieht, hatte bei der Geburt Salomo den Namen Jedidjah,             «Geliebter des HERRN» gegeben. Sollte Er ihm diesen Namen gegeben haben, wäre Salomo als        ein Verworfener geendet?

     

              Er wird in seiner Geschichte als ein überaus klares Bild auf den Messias dargestellt. Sollte   jemand, der als Abgefallener endete, gewürdigt sein, in seinem Leben den vorzuschatten, der der             Abglanz der göttlichen Herrlichkeit und der Abdruck Seines Wesens ist?

     

              Man beachte auch den abschließenden Kommentar zu seinem Leben:

                «Und das Übrige der Geschichte Salomos und alles, was er getan hat, und seine Weisheit, ist         das nicht geschrieben in dem Buche der Geschichte Salomos» (1Kö 11:41). Es wird             zusammenfassend und abschließend auf seine Weisheit und nicht auf die vorübergehende          Torheit seiner Sünde verwiesen.

     

                          Wie anders wollen wir die Entstehung des Buches Prediger erklären, wenn nicht als das Zeugnis             eines Mannes, der nach Jahren des Haschens nach Wind wieder zur von Gott geschenkten             Weisheit zurückgekehrt ist (Prd 12:9–14).

     

                          Und trägt nicht der Kommentar über die Gefahr verführerischer Frauen in Prd 7:26 den Stempel             jener Echtheit, die aus der eigenen bitteren Erfahrung stammt? Sollten wir daher nicht am       ehesten annehmen, das Buch sei entstanden, nachdem der Schreiber wieder sein alleiniges und             volles Genüge in Gott gefunden hatte?

     

                          Es findet sich in 2Chr 11:17 ein Satz, der Salomos Weg mit dem seines Vaters gleichsetzt: «Drei    Jahre lang wandelten sie auf dem Wege Davids und Salomos.» Im Rückblick wird also der             gesamte Weg Salomos wie der gesamte Weg Davids bewertet.

     

    Charles Bridges urteilt in seinem trefflichen kleinen Kommentar zum Buch Prediger (erstmals erschienen 1859):

     

    «Dies alles vor Augen, urteilen wir, er sei ein Kind jenes Bundes gewesen, der auch die Zuchtrute für sein verkehrtes Handeln vorsah (vgl. 2Sam 7:14,15 mit 1Kö 11:25,26), während er gleichzeitig ein glückliches Ende sicherstellte. Wenn nun wohl seine Sonne in einer Wolke unterging, sollte nicht gerade das die Züchtigung des Kindes sein, dessen mithin, der nicht verworfen wird?»

     

    Das Buch der Sprüche

     

    In diesem Buch lehrt uns der von Gott mit außergewöhnlicher Weisheit beschenkte Salomo über die Weisheit, derer er bedurfte, um als König in Israel seiner hohen Berufung gerecht zu werden. Damit ist schon angedeutet, dass es nicht um Weisheit geht, so wie Menschen sie verstehen, sondern um etwas, das «von oben» kommt (vgl. Jk 3:17); denn Salomo ist nicht zum König über irgend ein Volk, sondern über Gottes Volk berufen. Er braucht höhere als menschliche Weisheit, um Gottes Volk recht regieren zu können (siehe 1Kö 3). So ist dieses Buch denn auch nicht eine Sammlung von Sprichwörtern, wie sie zum Überlieferungsgut eines jeden Kulturvolkes gehören. Die in diesem Buch gesammelten Worte sind «wie Treibstacheln, und wie eingeschlagenen Nägel sind die gesammelten Sprüche; sie sind gegeben von einem Hirten» (Prd 12:11).  Diese eine Hirte ist der Gott Israels (Ps 80:1), der in Jesus Christus Mensch geworden ist (Heb 13:20).

                In diesem Buch haben wir es mit jener Weisheit zu tun, die Gott den Menschen lehrt, um ihn vom Gericht zu erretten (Kap 1:20–33). Damit ist gleich zweierlei gesagt: Das Buch lehrt eine Weisheit, die mit dem ewigen Wohl und Wehe des Menschen zu tun hat, nicht lediglich eine Weisheit, die ihn lebenstüchtig macht. Diese Weisheit nennt die Bibel «Weisheit zur Errettung» (2Tim 3:15). Sollte es zur Errettung lediglich des geschulten Menschenverstandes bedürfen? Nein, hiezu bedarf es der im Wort Gottes geoffenbarten Weisheit Gottes (2Tim 3:16,17).

                Und es wird in diesem Buch jene Weisheit gelehrt, mit der Gott die Welten schuf. Wir können schlecht die Weisheit des allein weisen Gottes auf eine Ebene Stellen mit der Lebensklugheit von Bauern und Händlern, welche dieses Buch nach der Meinung einiger lehren soll.

     

     

    Was ist Weisheit?

    Der Zweck aller von Salomo gelehrten Sprüche wird im einleitenden Satz des Buches genannt:

     

    «...um Weisheit und Unterweisung zu kennen, um Worte des Verstandes zu verstehen» (Spr 1:2).

     

    Was aber ist Weisheit?  Wir können diese in dreierlei Hinsicht verstehen:

     

    1.) Die Weisheit ist das unendliche Wissen, das Gott besitzt, und Seine vollkommene Anwendung dieses Wissens. Diese Seine Weisheit offenbart sich in Seinen Schöpfungswerken (Spr 3:19,20; Joh 1:1-3); sie offenbart sich in Seiner Offenbarung durch das Wort (Spr 1:20–23; Joh 1:18), und sie offenbart sich vor allem und am herrlichsten in der Erlösung (Spr 9:1–5; Joh 1:14, 29). Im Römerbrief legt der Apostel Gottes in Christus gewirktes Heil am umfassendsten dar; nach dem er am Ende von Kapitel 11 auch gezeigt hat, wie Gott es verstanden hat, den Menschen, Juden wie Heiden, auf einem Weg zu retten, der dem Sünder vollkommen angepaßt ist, der dabei aber Gottes Gerechtigkeit nie verleugnet, kann er nicht anders als niederfallen und anbeten:

     

    «O Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes»

    (Röm 11:33)

     

    2.)  Der Sohn Gottes ist die Weisheit in Person. Er ist es, der in spr 8:12 spricht: «Ich, Weisheit, bewohne die Klugheit». Er ist Gottes ewiger Logos, Gottes unendliches Wissen, Sein unauslotbarer Verstand, der alles erschaffen hat (Spr 8:22–29) und jetzt alles erhält, der zu uns gekommen ist (8:31), unter uns gelebt hat, so dass wir Menschen Ihn anschauen und mit unseren Händen betasten konnten (1Jo 1:1); Er ist es, der dem auf Ihn Hörenden und an Ihn Glaubenden das Leben geben (8:34, 35; Joh 5:24) und den Ihn Verwerfenden dem ewigen Tod übergeben wird (8:36).

    Er hat in Seinem Leben und Sterben die Weisheit Gottes demonstriert, die es fertigbrachte, schuldigen Menschen die Schuld zu nehmen, ohne dass Gott dabei Seine Gerechtigkeit verleugnet hätte. Alle Wunder der göttlichen Weisheit sehen wir gebündelt vor uns in der unvergleichlichen Person Jesu von Nazareth:

     

    «Christus Jesus ist uns geworden zur Weisheit von Gott»  (1Kor 1:30).

     

    3.)  Die dritte Bedeutung von Weisheit betrifft die Weisheit in uns. Wir finden in  5Mo 4:5,6 folgende Definition:

     

    «Ich habe euch Satzungen und Rechte gelehrt, so wie der HERR, mein Gott, mir geboten hat...Und so beobachtet und tut sie! denn das wird eure Weisheit und euer Verstand sein.»

     

    Das ist einfach und auch unmißverständlich: Gottes Wort haben und tun ist unsere Weisheit. So hat es auch unser Herr gelehrt (Mt 7:24).

     

    Wie wird man Weise?

    Man wird weise, indem man zunächst dort anfängt, wo man anfangen muß. So simpel das klingt, so häufig wird es übersehen, und das ist folgenschwer; denn wie wollen wir jemals in das Haus, das die Weisheit gebaut hat (Spr 9:1), gelangen, wenn wir den einzigen Zugang verschmähen? Die Tür ist nur diese:

     

    «Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang» (9:10).

     

    Dieser einfache Satz ist von ungeheurer Tragweite. Er besagt, dass alle Weisheit damit anfängt, dass ich zu allererst in die richtige Beziehung zu Gott treten und darin bleiben muß.

    Das muß ich tun, und tue ich es nicht, sagt mir Gottes Wort, dass ich ein Tor bin – wenn gleich ich sehr gescheit und sehr geschickt sein mag. Ich muß anerkennen, dass alles von Gott abhängt, dass er über allem steht, dass ich ohne Ihn nicht bin und nichts habe. Ihm verdanke ich alles, darum unterwerfe ich mich Ihm. Er vermag alles, darum vertraue ich Ihm (3:5).

                Weisheit ist mithin nicht eine Sache der Bildung oder der Lebenserfahrung, sondern des Glaubens und des Gehorsams, nicht eine Sache des Intellekts, sondern des Herzens. Auf dieses müssen wir daher mehr achten als auf alles andere:

     

    «Behüte dein Herz mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens» (4:23).

     

    Und daher müssen wir, wenn wir weise werden wollen, Gott unser Herz geben:

     

    «Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und laß deine Augen gefallen haben an meinen Wegen» (23:26).

     

    Es war dies das Geheimnis der Weisheit Salomos, es ist das Geheimnis der geistlichen Kraft eines jeden Dieners Gottes.

     

    Der Titel des Buches

    Der deutsche Titel ist eine wörtliche Übersetzung des hebräischen Titels mischlê Schelomô. Ein Spruch, ein maschal, ist meist ein zweizeiliger Merksatz, der in einprägsamer Weise eine Wahrheit über Gott, den Menschen, die Welt und das Leben enthält. Das dem Wort zugrundeliegende hebräische Verb bedeutet «vergleichen»,

    und tatsächlich werden viele Wahrheiten anhand von Vergleichen veranschaulicht. Aus diesem Grund hat Martin Buber in seiner Verdeutschung des Alten Testaments als Titel «Gleichsprüche» gesetzt:

        Die »Gleichsprüche« haben aber eine noch höhere Bedeutung. Ist das Buch ein Buch der Gleichnisse, dann sind die Anweisungen, die zum Beispiel vor Faulheit und Trunksucht und Hurerei warnen, Metaphern auf weit ernstere und unendlich weiter reichende Dinge. Die Faulheit in den Sachen Gottes versenkt den Menschen in den Schlaf des Todes, aus dem er erst erwacht, wenn er »in den Qualen« ist (Lk 16:23). Die Hurerei neigt seine Liebe anderen Dingen zu als Gott und bindet ihn damit an das Geschaffene statt an den Schöpfer, an die Götzen und damit an die Dämonen, und damit letztlich an den großen Urheber den Sünde, die alte Schlange, den Drachen, der Teufel und Satan heiß. Und die Hure hat den glitzernden Kelch der geistlichen Trunkenheit in der Hand (Off 17:2,4), die weit schlimmer ist als jede Trunkenheit mit Wein; denn sie sürzt die Seele in den Taumel des Aberglaubens und am Ende in den Abgrund.

     

    Eine Inhaltsübersicht

    Man kann das Buch gut in fünf Teile unterteilen, die alle mit einem ähnlichen Satz beginnen:

     

    1. Kap. 1–9, eingeleitet mit «Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von               Israel».

    2. Kap. 10–24, eingeleitet mit «Sprüche Salomos».

     

    3. Kap. 25–29, eingeleitet mit «Auch dies sind Sprüche Salomos, welche die                       Männer Hiskias zusammengetragen haben».

     

    4. Kap. 30, eingeleitet mit «Worte Agurs, des Sohnes Jakes, der Ausspruch».

     

    5. Kap. 31, eingeleitet mit «Worte Lemuels, des Königs, der Ausspruch».

     

    Der erste, die Kapitel 1 bis 9 umfassende Teil, besteht noch nicht aus eigentlichen «Sprüchen» im oben genannten Sinn; vielmehr wird hier in zusammenhängenden Reden gelehrt, was Weisheit ist, wie man sie erlangt und was ihre Auswirkungen sind. Am Ende dieses Abschnittes werden zwei Häuser nebeneinander gestellt:

     

    Das Haus der Weisheit (9,1–12) und das Haus der Torheit (9,12–18).

     

    In einem der beiden befindet sich jeder Mensch. Wer den Weg der Weisheit eingeschlagen hat, wird in deren Haus aufgenommen und wird dort seine ewige Heimat finden. Wer diesen Weg hingegen verschmäht hat, wir den tausenderlei Verlockungen der Torheit, das ist der Gottlosigkeit, erliegen und letzten Endes «in den Tiefen des Scheols» (9,18) enden.

     

    Der zweite, aus den Kapiteln 10 bis 25 bestehende Teil, bildet die erste Sammlung von Merksprüchen im engeren Sinn. In dieser werden die im ersten Teil entfalteten Grundlagen auf alle möglichen Situationen des Lebens angewendet  Die Sprache ist poetisch, und das heißt im Hebräischen stets äußerst knapp. In prägnanten Vergleichen oder Gegensätzen hämmert der Lehrer, der im alten Israel stets auch «Vater»  (siehe 2Kö 2:12) genannt wurde, dem Schüler, den er mit «Sohn» ansprach, all jene Lehren ein, die ihn befähigen, den Weg der Weisheit durch alle Proben und Anfechtungen, Entmutigungen und Verlockungen des Lebens hindurch beizubehalten. Gott zu fürchten, sein Wort zu befolgen, sich in allem Denken und Urteilen von der höchsten Weisheit im Universum abhängig machen, das ist wahre Weisheit. Diese, und diese allein lehrt mich, durch eine Welt der Sünde, der Täuschungen, des Scheins und der Verlockungen hindurch den Kurs zu halten, um sicher am Ziel anzukommen. Halte ich mich hingegen nicht an sie, werde ich mit Sicherheit in die Irre gehen:

     

     «Da ist ein Weg, der dem Menschen richtig erscheint, aber sein Ende ist der Tod» (14:12).

     

    Der dritte , aus den Kapiteln 25 bis 29 bestehende Teil, ist ebenfalls eine Sammlung von Gleichsprüchen, die erneut aus allen Bereichen des Lebens genommen und auf jede erdenkliche Situation im Leben angewandt werden. Gegenüber dem vorhergehenden Teil scheint sich in diesem ein gewisse Dringlichkeit bemerkbar zu machen: Irgendwann muß sich der Mensch entscheiden, welchen Weg er gehen will, denn breiten oder den schmalen (Mt 7:13,14). Entsprechend werden wir gewarnt, gleichzeitig auf zwei Wegen gehen zu wollen  :

     

    «Wer vollkommen wandelt, wird gerettet werden; wer aber verkehrt auf zwei Wegen geht, wird auf einmal fallen» (28:18).

     

    Gegen Schluß werden wir gewarnt, den Ruf der Weisheit nicht zu lange abzuweisen; denn:

     

    «Ein Mann, der oft zurechtgewiesen den Nacken verhärtet, wird plötzlich zerschmettert werden ohne Heilung» (29:1).

    Und fast als letzter Merkspruch wird einer der häufigsten Gründe für das Hinausschieben der Entscheidung für Gott und sein Wort genannt:

     

    «Menschenfurcht legt einen Fallstrick; wer aber dem HERRN vertraut, wird in Sicherheit gesetzt» (29:25).

     

    Welche Vorwürfe werden wir uns einst machen, wenn wir aus Menschenfurcht es nicht wagten, Gott zu fürchten! Am Tag des Gerichts werden die Menschen, deren Urteil über uns – ihre Zustimmung oder Ablehnung – allzu viel bedeutet hatte, uns auch nicht helfen können. Also wollen wir es wagen, uns rückhaltlos jener Weisheit anzuvertrauen, die in diesem Buch spricht.

     

    Der vierte  Teil besteht aus einem einzigen Kapitel (30), das aus mehreren zusammenhängenden Stücken und nicht aus einzelnen Gleichsprüchen besteht. Sein Thema ist das Verhalten und der Charakter der Weisen kurz vor dem Ende aller Dinge:

    – In den Versen 1–10 wird eine Reihe von Merkmalen der Weisen genannt.

    – In den Versen 11–17 hingegen die Merkmale der Toren (die man mit der Beschreibung des endzeitlichen Menschen in 2Tim 3:1–5 vergleichen sollte).

    – In den Versen 18–20 spricht Salomo in vier Vergleichen von den für uns Menschen verborgenen Wegen Gottes, die durch Gericht und Vollendung sicher zum Ziel führen, obgleich für eine Zeit die Gesetzlosigkeit ungestraft bleibt und zu triumphieren scheint.

    – Die Verse 21–23 umreißen die Zustände jener Zeit, in der die Gesetzlosigkeit überhandnehmen wird (Mt 24:12).

    – Köstlich sind in den Versen 24–28 die vier Tiere, die verschiedene Wesenszüge der Weisen besonders in jener schweren Zeit darstellen.

    – In den Versen 29–31 wird auf das Kommen des Herrn Jesus Christus in seiner unwiderstehlicher Macht hingewiesen (man vergleiche hiemit Off 5:5 und 19:11).

    – In den Versen 32 und 33 ergeht angesichts des baldigen Kommens des Messias   ein letzter Ruf zur Umkehr.

     

    Der fünfte und letzte  Teil des Buches (Kap. 31) spricht von einem gerechten König (Verse 1–9), dem eine tugendhafte Frau beigesellt wird (Verse 10–31). Darin sehen wir einen Hinweis auf die Welt, wie sie sein wird, nachdem der Messias gekommen ist:

    Der einzige wirklich gerechte König wird dann regieren, und ein endlich erlöstes Israel wird ihm als Seiner Frau (vgl. Jes 54:5) zugeführt werden.

                Es ist kein Zufall, dass die letzten 22 Verse des Buches ein Akrostichon  bilden, das heißt, die Versanfänge entsprechen in ihrer Reihenfolge den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. Diese strenge Ordnung bildet einen bemerkenswerten Gegensatz zum scheinbar ungeordneten, fast willkürlich wirkenden Aufbau des größten Teils dieses Buches, namentlich der Kapitel 10 bis 29. Jene Willkür ist freilich ein Abbild der Zustände, in denen wir uns noch befinden, die wir unseren Kurs durch eine Welt steuern müssen, die der Sünde wegen einem Trümmerfeld gleicht. Allenthalben lauern Gruben, liegen Stolpersteine im Weg, müssen wir an Klippen und Schlingen vorbei steuern.

                Wenn aber der Messias Israels Sein Reich aufgerichtet hat, wird Frieden, Wohlfahrt und vollkommene Harmonie sein. Die Welt wird dann, wenn Jesus Christus, das Alpha und das Omega, regiert, so wohlgeordnet sein, wie die festgefügte Reihe der Buchstaben des Alphabets. Die äußere Form von Spr 31:10–31 ist damit ein Spiegelbild der inneren und äußeren Ordnung, die dann herrschen wird. Glückselige Zeit! dass sie bald anbräche! Wohl bedeckt jetzt noch Finsternis die Völker (Jes 60:2), aber für den Weisen gilt dennoch:

     

    «Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe» (Spr 4:18).

     

     

    Der Prediger

    «Das Buch Prediger hat der Gemeinde Gottes in nicht gemeiner Weise zu denken aufgegeben. Viele gelehrte Männer haben nicht gezögert, es unter die schwierigsten Bücher des Kanons zu zählen ... Aber mit all seinen Schwierigkeiten, müssen wir doch bekennen, dass das Buch voll praktischen Interesses ist. Es lehrt uns Lektionen, die wir nur in ihm bekommen – Lektionen, die zu lernen wir träg sind, aber die wir zu unserem persönlichen Wohl und Glück dennoch lernen müssen. Sie sind entscheidend als Vorbereitungen auf den Genuß des Evangeliums. Der präzis festgelegte Platz des Buches innerhalb des Kanons ist bemerkenswert. Seine Nachbarschaft zum Hohenlied veranschaulicht einen feinen, doch augenfälligen Gegensatz zwischen dem Ungenügen alles Geschaffenen und der Genugsamkeit des Retters. Was für einen Anreiz, nach der wahren und vollen Erkenntnis Christi zu streben, bildet doch das Überführtsein von der Nichtigkeit aller anderen Dinge ohne Ihn. Trinken und ‹wiederum dürsten› ist die Enttäuschung der Welt. Trinken und ‹nicht dürsten in Ewigkeit› ist das Teil, das uns im Evangelium bereitet ist.»

    (Charles Bridges: Ecclesiastes)

     

    Prediger, das zweite von Salomo geschriebene Buch, ist «die Sphinx der hebräischen Literatur» genannt worden; denn wie jenes Fabelwesen den Bewohnern von Theben rätselhafte Fragen stellte, gibt Prediger dem Leser einige Rätsel auf; und das nicht nur, weil es Fragen stellt, die der Mensch nicht zu beantworten vermag (1:3; 2:12,25; 3:21; 6:11; 7:24), sondern auch weil es Aussagen enthält, die manchen gläubigen Leser verwirrt haben (2:24; 3:19; 4:2,3; 9:5,10; 12.7).

     

    Das Thema des Buches

    Das Thema des Buches ist Weisheit; das Wort «Weisheit» oder «weise» kommt 49mal vor. Man hat auf Grund einiger anstößig erscheinenden Aussagen gemeint, es handle sich dabei nur um menschliche, nicht aber göttliche Weisheit. Diese Meinung läßt sich schwerlich rechtfertigen, wie einmal die vom Autor des Buches selbst gezogene  Summe all seiner Erörterung zeigt; aber auch die im ganzen Buch wiederholt aufscheinende  Definition von Weisheit macht allem Zweifel ein Ende. Wie das von Salomo zuvor geschriebene Buch der Sprüche lehrt auch dieses Buch göttliche Weisheit. Folgende Stellen belegen das eindeutig:

     

    Am Ende seiner Ausführungen über Gott und die Welt faßt Salomo zusammen:

     

    «Das Endergebnis des Ganzen laßt uns hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das ist der ganze Mensch» (12:13).

    Das ist deutlich. Ebenso die folgenden Stellen, die alle von Gottesfurcht reden:

     

    «Ich habe erkannt, dass alles, was Gott tut, für ewig sein wird. Es ist ihm nichts hinzuzufügen, und nichts davon wegzunehmen; und Gott hat es also gemacht,  damit man sich vor ihm fürchte» (3,14).

     

    «Denn bei vielen Träumen und Worten sind auch viele Eitelkeiten.  Vielmehr fürchte Gott» (5:7).

     

    «Es ist gut, dass du an diesem festhältst und auch von jenem deine Hand nicht abziehst;  denn der Gottesfürchtige entgeht dem allem» (7:18).

     

    «Weil das Urteil über böse Taten nicht schnell vollzogen wird, darum ist das Herz der Menschenkinder in ihnen voll, Böses zu tun; weil ein Sünder hundertmal Böses tut und doch seine Tage verlängert – obgleich ich weiß, dass es  denen die Gott fürchten, wohlgehen wird, weil sie sich vor ihm fürchten – aber dem Gesetzlosen wird es nicht wohlgehen, und er wird, dem Schatten gleich, seine Tage nicht verlängern,  weil er sich vor Gott nicht fürchtet» (8:11–13).

     

    Wie im Buch der Sprüche, so erfahren wir im Buch Prediger, dass Weisheit damit beginnt, dass man Gott fürchtet (Sp 9:10). Wiederholt demnach Prediger die Lehre von Sprüche? Nicht ganz. Der Unterschied ist folgender:

     

              Das Buch der Sprüche lehrt die Weisheit, die wir brauchen, um unseren Weg bis ans Ziel sicher zu gehen.

                Prediger hingegen lehrt mich göttliche Weisheit für mein Leben auf der Erde.

     

     

     

    Das Motto des Buches

    Man könnte als Motto folgende Frage über «Prediger» stellen:

     

    «Wer weiß, was gut ist  im Leben?» (6:11).

     

    Die Frage wird durch den Prediger gründlich, ausführlich und einleuchtend beantwortet.

       In den eitlen Jahren unserer irdischen Existenz – sie währt siebzig, und wenn's hoch kommt achtzig Jahre (Ps 90:10) – haben wir es mit Dingen wie Familie, Liebe, Arbeit, Bildung, Kunst, Politik, Kleidung, Essen und Trinken usw. zu tun. Keiner von uns kann sich dem entziehen. Wie nun sollen wir mit diesen Dingen umgehen, so lange sie währen? Welcher Stellenwert kommt ihnen zu?  Wir sollen weder Asketen noch Fresser und Säufer sein. Gott reicht uns alles Genannte dar zum Genuß. Wie aber können wir genießen, ohne dass diese Dinge und beherrschen, sondern vielmehr wir sie und Gott uns beherrscht? Darauf gibt dieses Buch willkommene Auskunft. Und diese ist – ich wiederhole –  nicht von menschlicher, sondern von göttlicher Weisheit inspiriert. Als letzten Beleg dafür lassen wir den Verfasser einmal mehr zu uns sprechen:

     

    «Und überdem, dass der Prediger  weise war, lehrte er noch das Volk  Erkenntnis und erwog und forschte, verfaßte viele Sprüche. Der Prediger suchte angenehme Worte zu finden; und das Geschriebene ist richtig, Worte der Wahrheit. die Worte der  Weisen sind wir Treibstacheln, und wie eingeschlagene Nägel die gesammelten Sprüche;  sie sind gegeben von einem Hirten» (12:9–11).

     

    Dieser «eine Hirte» ist unser Herr Jesus Christus. Er hat es dem Salomo eingegeben.

     

    Ein pessimistisches Buch?

    Es wird zuweilen gesagt, das Buch sei pessimistisch, und man verweist auf den wiederholten Ausruf, alles sei eitel (1:2); der Weise sei nicht besser dran als der Tor (2:16); und die Toten seien mehr zu preisen als die Lebenden, und am meisten von allen jene, die nicht geboren worden (4:2,3).

    Nein, der Schein trügt; das Buch ist nicht pessimistisch. Wie ein Kehrreim geht durch das ganze Buch vielmehr die Aufforderung,  sich zu freuen. Ich habe das Buch sogar nach diesen wiederholten Verweisen auf die Freude eingeteilt.

       Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu erklären? Es ist wahr, dass alles eitel und ein Haschen nach Wind ist, solange man den Schöpfer aus seinem Tun ausklammert. Bleiben wir auf die sinnlich wahrnehmbare Welt beschränkt, auf das, was «unter der Sonne» ist – der Ausdruck kommt 29mal vor –, ist in der Tat das Leben eine eitle Jagerei nach sinnlosen Dingen.

      Der deutsche Lyriker Nikolaus Lenau (1823–1850) schrieb in seinem letzten Gedicht die resignierten Reime:

     

    «’S ist eitel nichts, wohin mein Aug ich hefte!

    Das leben ist ein vielbesagtes Wandern,

    Ein Wüstes Jagen ist’s von dem zum andern,

    Und unterwegs verlieren wir die Kräfte.»

      

    Das war 1848, zwei Jahre vor seinem Tod.

     

    So ist das Leben, ein Wüstes Jagen «von dem zum andern», ein elendes «Haschen nach Wind» – der Ausdruck wird in Prediger 9mal verwendet –, so lange wir das Jenseits und denn jenseitigen Gott aus unserem Trachten und Tun auslassen. Beziehen wir ihn aber in all unsere Geschäfte ein, dann wendet sich Verdruß in Freude:

     

    «Denn wer kann essen, und wer kann genießen  ohne ihn? Denn dem Menschen, der ihm wohlgefällig ist, gibt er  Weisheit und Kenntnis und Freude» (2:25,26).

     

    So werden uns die in diesem Buch beschriebenen Erfahrungen zu wichtigen Lektionen, die uns vom Diesseitigen zum Jenseitigen lenken, zu »Vorbereitungen auf den Genuß des Evangeliums« (Charles Bridges). Im Herrn, und in ihm allein, können wir uns allezeit Freuen, wie das Neue Testament bestätigt (Phil 4:4). Kennen wir ihn, nehmen wir alles dankbar aus seiner Hand und sind wir ihm als Herrn und Meister unterworfen, wie es die Apostel am Tag der Pfingsten waren, dann können wir auch das tägliche Essen «mit Frohlocken» zu uns nehmen (Apg 2:46).  Es ist wirklich so, wie Salomo fragte:

     

    «Wer kann genießen ohne ihn?»

     

    Eine genußsüchtige Zeit, die das Vergnügen mehr liebt als Gott (2Tim 3:4) weiß nur zu gut, dass alles, was man heute Auge und Ohr, Tastsinn und Gaumen in erdrückender Fülle bietet, nur Überdruß und letztendlich Ekel bereitet. Wer aber Gott fürchtet, weiß ebenso: Er reicht alles reichlich dar zum Genuß (1Tim 6:17). Wo aber lerne ich Gott fürchten, Gott lieben und auf Gott vertrauen, wenn nicht im Evangelium? Das Buch ist darum wie das gesamte Alte Testament und das Gesetz insonderheit »ein Zuchtmeister auf Christus« (Gal 3:24).

     

     

    Eine Einteilung 

    Nach einer Einleitung (1:1–11) folgen neun Abschnitte, die alle mit einem Hinweis auf die Freude schließen (2:11; 2:24–26; 3:22; 5:18–20; 7:13,14; 8:15; 9:7–10; 11:7,8; 11:9). Hieran schließt sich ein Schlußwort, in der die Summe aus allen Belehrungen des Buches gezogen wird (12,9–14).

     

    Das Buch ist wie eine Predigt aufgebaut. Zuerst stellt der Prediger seine Behauptung auf: »Alles ist eitel!« (1.2). Dann macht er sich daran, seine Behauptung zu belegen. Er wendet sich wiederholt einem Problem oder einem Rätsel zu, das uns das Leben aufgibt, erörtert es nach verschiedenen Seiten hin, und kommt dabei immer wieder zum gleichen Ergebnis: Alles ist sinnlos. Dann zeigt er aber auch einen Ausweg aus diesem erdrückenden Gefühl der Sinnlosigkeit: Der Glaube an den ewigen Gott verbindet uns mit der Ewigkeit. Fürchtet man Ihn, kann man sich trotz allen Unbilden und Widerwärtigkeiten des Lebens freuen. Es werden der Reihe nach folgende Fragen behandelt:

     

     

    EINLEITUNG                                                                  1:1– 11

     

    1. Studieren und Probieren            1:12 – 2:11

       Ergebnis: 2:10

     

    2. Weisheit und Torheit                                      2:12 – 26

       Ergebnis: 2:24–26

     

    3. Zeit und Ewigkeit            3

       Ergebnis 3:12,22

     

    4. Bedrücker und Bedrückte                                 4 & 5

       Ergebnis: 5:18–20

     

    5. Anfang und Ende                                             6:1 – 7:14

       Ergebnis: 7:13,14

     

    6. Vermessenheit und Bescheidenheit                   7:15 – 8:15

       Ergebnis: 8:15

     

    7. Fügung und Hoffnung                                   8:16  –9:10

       Rat: 9:7–10

     

    8. Hilflosigkeiten und Unwägbarkeiten           9:11 – 11:8

       Rat: 11:7,8

     

    9. Jugend und Alter                                                    11:9 – 12:8

       Rat: 11:9

     

    SCHLUSSWORT                                                        12:9 – 14

     

    Eitelkeit und Haschen nach Wind

    Die Einleitung nimmt das im Buch nachfolgend Behandelte vorweg. Es lohnt daher, die Verse 1:1–11 besonders sorgfältig zu studieren.

                «Eitelkeit der Eitelkeiten! Alles ist Eitelkeit»

    seufzt der Prediger resigniert, und dann stellt er die herausfordernde Frage:

     

    «Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?»

     

    Er hat keinen; denn ein Geschlecht geht und ein neues Geschlecht kommt, aber der Mensch kann von allem, was er sich aufgehäuft hat, nichts mitnehmen (1Tim 6:7), sondern muß es einem andern überlassen, der vielleicht ein Narr oder ein Müßiggänger sein wird (2:18,19).

    «Unter der Sonne»,  das heißt auf das Diesseits beschränkt, ist alle Bemühung letztlich umsonst (4:7,8). Es schaut am Ende von aller Anstrengung nichts heraus; nichts von Wert und Sinn bleibt zurück.

      Zudem ist alles Tun ein Kreislauf ewig wiederkehrender gleicher Dinge: Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, die Flüsse laufen Tag für Tag ins Meer, und doch wird das Meer nicht voll; das, was gewesen ist, ist das, was sein wird; «unter der Sonne» gibt es nichts Neues.

       Wohl trachten Ohr und Auge stets danach «etwas Neues zu hören und zu sagen» (Apg 17:21), der Mensch bleibt aber in seiner Sehnsucht nach etwas dauernd Befriedigendem ewig frustriert. Ein Leben, das aufs Diesseits beschränkt bleibt, ist in der Tat ein elendes Stapfen in der Tretmühle. Wie schwer ein solches Leben auf dem Menschen lastet, wußte Prager Jude Franz Kafka (1883–1924) seinem Tagebuch anzuvertrauen:

     

    «Sonntag, den 19. Juli 1910: Geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben.»

    Und noch zwölf Jahre später:

     

    «16. Januar 1922: Zusammenbruch, Unmöglichkeit zu schlafen, Unmöglichkeit zu wachen, Unmöglichkeit das Leben, genauer, die Aufeinanderfolge des Lebens zu ertragen. Die Uhren stimmen nicht überein, die innere jagt in einer teuflischen oder dämonischen oder jedenfalls unmenschlichen Art, die äußere geht stockend ihren gewöhnlichen Gang..»

     

    Das Geheimnis des Glücks

    Wie soll der Mensch mit einem solchen Leben fertigwerden? Wie soll er Freude an der Gabe des Lebens und all dessen Gütern finden? Die Antwort dieses Buches lautet:

     

    «Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das ist der  ganze Mensch..»

     

    Und tatsächlich bestätigt das Neue Testament, dass die aus der Gottesfurcht fließende  Gottseligkeit die Verheißung des ewigen, ja, aber auch des diesseitigen Lebens hat (1Tim 4:8). Das Neue Testament beantwortet auch die Frage von V.10:

    «Gibt es ein Ding, von dem man sagt: Siehe, das ist neu?»

     

    Ja, es gibt wirklich Neues: eine  neue Geburt (Joh 3:3,5) und damit einhergehend eine  neue Schöpfung (2Kor 5:17). Wer diese kennt und mithin in der Ewigkeit verankert seinen Weg durch die Zeit geht, wird von jenem erdrückenden Bewußtsein der Nichtigkeit aller Dinge befreit. Er weiß, dass «die Welt vergeht und ihre Lust» (1Joh 2:17), und dass «die Gestalt dieser Welt vergeht» (1Kor 7:31).  Darum klammert er sich nicht verzweifelt an sie, lebt nicht für sie, versucht auch nicht in ihr seine Ruhe und sein Ziel zu finden. Vielmehr ist er bereit, in dieser Welt das Leben zu verlieren. Und siehe da: Damit findet er es (Mt 10:39). Unterwirft er sich Gott, findet er unschuldige Freude im Genuß der alltäglichen Gaben des Schöpfers:

     

    «Ich habe erkannt, dass es  unter der Sonne nichts Besseres gibt, als sich zu freuen und sich in seinem Leben gütlich zu tun; und auch, dass er esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, ist für jeden Menschen eine  Gabe Gottes» (3:12).

     

    Eben an solchen Versen haben viele sich gestoßen und gemeint, hier werde doch deutlich, dass Prediger nur menschliche Weisheit lehre. «Laßt uns essen und trinken, denn morgen sterben wir» (1Kor 15:32) ist ja offenkundig die Sprache der Gottlosen, nicht aber der Gottesfürchtigen. Das stimmt, wenn Essen und Trinken unser Lebensinhalt ist; wenn der Bauch unser Gott ist (Phil 3:19). Dann sind wir wahrlich arm. Ist aber Gott unser Gott, dann wird alles mit einem Schlag anders. Dann können wir uns an den Gaben des Schöpfers freuen, können uns allerdings auch freuen, wenn wir Mangel leiden (Phil 4:12), denn  der Quell unserer Freude liegt nicht in den Gaben, sondern im Geber.

     

    Zusammenfassung

     Im letzten Kapitel nimmt der Prediger noch einmal alle durchs Buch laufende Fäden zusammen: Er fordert den Jüngling auf, sich seines Lebens zu freuen (11:9), dabei aber den Richter (11:9) und Schöpfer (12:1) nicht zu vergessen, sondern ihn zu fürchten; denn dies ist der Schlüssel zu einem glücklichen Leben.

    Die Verse 12:1,2 widersprechen einem leider weit verbreiteten Irrtum. Es stimmt nicht, dass man im Alter leichter zum Glauben an Gott findet als in der Jugend. Es ist umgekehrt so, dass am Lebensabend sich «die Sonne und das Licht verfinstern»:

       Der Mensch hat es mit zunehmendem Alter immer schwerer, die «Sonne der Gerechtigkeit» und «das Licht der Welt» zu erkennen.    Daher fordert Salomo uns auf, in den Tagen der Jugend des Schöpfers zu gedenken, und es nicht so lange hinauszuschieben, bis wir unseren Schöpfer und Erlöser fast nicht mehr erkennen können, weil das Gewissen von Jahr zu Jahr stumpfer geworden ist.

                12:3–5 ist eine in ihrer Lebendigkeit hinreißende metaphorische Schilderung des Alters:   Die «Hüter des Hauses» sind die zitternden Hände, die «starken Männer» die inzwischen krumm gewordenen Beine des Greises. Die feiernden «Müllerinnnen» sind die fehlenden Zähne, die «durch die Fenster sehenden» die nunmehr trüb gewordenen Augen.

       Dann folgt als eindringliches Memento Mori die unvergleichlich schöne und bewegende Umschreibung des Todes: Eines Tages wird die silberne Schnur zerrissen, die Goldene Schale zerschlagen sein. Der Eimer am Quell ist zerbrochen, und geborsten hängt die Schöpfwelle herab. Salomo fordert uns damit auf: »Schaut euch einmal an, was ihr am Ende sein werdet, wenn  das Diesseits euer alles und der Bauch euer Gott gewesen ist! Was gibt es Nutzloseres als einen zertrümmerten Eimer?« Aus Staub ist dein Leib geworden, und er kehrt zum Staub zurück.

    Damit ist aber nicht alles aus, nein: Der Geist des Menschen wird eines Tages vor den Thron des Richters gerufen werden, der in ihm gegeben (12:6,7; Off 20:12). Darum wollen wir der Aufforderung des weisen Salomo, des Königs von Israel, nachkommen:

     

    «Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das ist der ganze Mensch. Denn Gott wird jedes Werk, es sei gut oder böse, in das Gericht über alles Verborgene bringen» (12:13,14).

     

     

     

     

    Das Lied der Lieder

     

    «Am Brennglas, das die Sonnenstrahlen bündelt, sehen wir, wie kraftvoll diese sind, wo sie sich alle in einem Punkt vereinigen. Möchte es doch unser stetiges Ringen sein, dass die Strahlen unserer Liebe sich in Christus vereinen, dass Er unser Geliebter sei. Wie alle Ströme in den einen Ozean fließen, so möchten doch alle unsere Liebesregungen in Christus zusammenströmen. Wir können unsere Liebe und unserer Zuneigungen keinem Höheren zuwenden als Christo. Wie glücklich ist’s dass wir solche von Gott uns eingepflanzten Empfindungen haben wie Freude, Wonne und Liebe; und welch Glück, dass uns ein solcher Gegenstand gegeben ist, der all diesen Empfindungen genüge zu tun, ja, mehr noch, der sie über ihr Fassungsvermögen hinaus zu füllen vermag.»

    (Richard Sibbes)

     

    Das letzte und abschließende der fünf poetischen Bücher führt uns auf die höchste Höhe göttlicher Belehrung und Berufung, handelt es doch vom Höchsten: von der Liebe. Daher heißt es richtigerweise «Lied der Lieder», denn von diesem Höchsten kann man nicht anders als singen. Der Ewige Gott redet, nein, singt hier vom Höchsten, das Er uns zu singen weiß. Liebe ist Seine eigene Natur (1Jo 1:5); Liebe ist die Triebfeder zu allem Handeln des allein weisen und allmächtigen Gottes. Von Liebe gedrängt rief er:  «Lasst uns Menschen machen in unserem Bilde!»; aus Liebe erlöste Er den gefallenen Menschen. Er hat ihn zuerst geliebt, damit dieser Ihn wiederum liebe (1Jo 4:19). Er hat Seine Erwählten und Er hat Mann und Frau in eine Beziehung der Liebe zueinander gesetzt. Von der Herkunft, Kraft und Schönheit der Liebe singt dieses Buch in der bilderreichen Sprache der  Orientalen.

     

    Der Titel des Buches

    schir  ha–schirim, «Lied der Lieder»; das ist die hebräische Art, einen Superlativ auszudrücken:

    «Gott der Götter» (5Mo 10:17) bedeutet der höchste Gott

    «Himmel der Himmel» (5Mo 10:14) bedeutet der höchste Himmel

    «Heilige des Heiligen» (2Mo 26:33) bedeutet das Allerheiligste

                Somit ist das Lied der Lieder das schönste aller 1005 von Salomo gedichteten (1Kö 4:32); ja, das schönste aller im Alten Testament enthaltenen Lieder:

     

    «Dieses wird mit allen Liedern, die Salomo schrieb, verglichen, und es wird ihnen allen vorgezogen; es wird mit allen andern biblischen Liedern verglichen, etwa mit den in 2Mo 15 oder Ri 5 festgehaltenen, unter denen dieses das alle andern überragende ist, ist es doch mit der Absicht geschrieben, vom erlesensten und überragendsten Gegenstand zu reden, nämlich von Christus und seiner Gemeinde, und zwar nicht da und dort wie in andern Liedern, sondern als dessen großer und alleiniger Gegenstand, der vom Anfang bis zum Ende verfolgt wird ... Von den Hebräern wird berichtet, dass man ihrem Urteil gemäß  jedem in poetischer Form gegebenen Teil der Heiligen Schriften besonders große Aufmerksamkeit schulde, weshalb man ihn auswendig lernen solle. Es ist in der Tat nicht bloße Beliebigkeit, dass einige biblischen Abschnitte in solche Form gegossen sind, andere wiederum nicht. Wir können etwas von dieser Absicht des Heiligen Geistes dort sehen, wo Mose befohlen wurde, seine letzten Worte in ein Lied zu kleiden, 5Mo 32, damit man sich ihrer besser erinnere.»

    (James Durham: The Song of Solomon, 1668)

     

    Der Stellenwert des Buches

    Die drei Bücher, die Salomo schrieb, lassen sich mit den drei Teilen des Tempels oder der Stiftshütte vergleichen:

    Prediger: Der Vorhof; hier ist der Titel Gottes Elohim

    Sprüche: Das Heiligtum; hier ist der Titel Gottes Jahwæh

    Lied der Lieder: Das Allerheiligste. Hier wird der Name Gottes nie ausgesprochen, außer an einer Stelle.

     

    Im Vorhof steht der Mensch «unter der Sonne» und hat erkannt, dass Ziel und Sinn des Lebens nur sein kann, den Gott zu kennen, der über der Sonne wohnt, um dann, wenn er ihn kennengelernt hat, alles Tun und Trachten auf Ihn zu beziehen. Das ist die Botschaft von Prediger.

     

    Im Heiligtum empfängt der Erlöste Licht von oben; da steht der Leuchter und erhellt Gottes Haus und alles, was darin ist. Das ist das Licht, das uns im Buch der Sprüche leuchtet.

               

    Im Allerheiligsten begegnet der Erlöste seinem Gott Selbst. Hier hat er den tiefsten, den innigsten Umgang mit ihm. Das ist das Thema des Hohenliedes.

     

    «Das Buch wird in passender Weise nach Prediger eingeordnet, denn wenn wir durch jenes Buch der Eitelkeit alles Geschaffenen gründlich überführt worden sind und wissen, dass es unser Sehnen nach Glück nicht stillen kann, werden wir angetrieben, unser Glück in der Liebe Christi zu suchen ... Die Stimme in der Wüste, die Christo den Weg bereitete, rief: ‹Alles Fleisch ist Gras!›»

    (Matthew Henry).

     

    In Prediger wird gesagt: «Was meine Seele fort und fort gesucht und ich nicht gefunden habe, ist dies: einen Mann aus Tausenden habe ich gefunden, aber eine Frau unter diesen allen habe ich nicht gefunden» (7:28 ).

     

    In Sprüche wird die Frage gestellt: «Eine tüchtige Frau, wer wird sie finden? Denn ihr Wert steht weit über Korallen» (31:10 ).

     

    Im Hohenlied ist diese Frau endlich gefunden. Der Kaufmann hat die eine schöne Perle gesucht und gefunden und hat alles dahingegeben, um sie zu besitzen (Mt 13:45,46). Seine Liebe ist größer als aller irdische Besitz es sein könnte (Hl 8:7); Er hat, um sie zu besitzen, sich selbst für sie hingegeben (Eph 5:25).

     

    Einzigartige Merkmale

    Das Lied der Lieder ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. I. L. Jensen listet in seiner «Survey of the Old Testament» folgende dieser Merkmale auf:

    1. Es ist eines der am meisten falsch verstandenen Bücher der Bibel.

    2. Es ist das einzige Buch der Bibel, in der die Liebe zwischen Menschen die  hauptsächliche Handlung   und das Thema ausmachen; (andere ähnliche Abschnitte über die Liebe finden sich in Ps 45 und im Buch Ruth).

    3. Es findet sich nur ein  Hinweis auf Gott im Buch («Flamme Jahs», 8:6).

    4. Es findet sich keine Aussage über Sünde.

    5. Es findet sich kein Hinweis auf das Religiöse.

    6. Das Buch wird im NT nie zitiert.

     

    Der Verfasser

    Der Verfasser stellt sich im ersten Vers vor: Salomo. Er bekam vom Herrn den Namen Jedidjah,  «Geliebter des HERRN» (2Sam 12:25). Dieses Lied spricht von der Liebe der Braut zu ihrem Bräutigam, der Ehefrau zu ihrem Ehegatten, aber letztlich von der Liebe der Erlösten zu ihrem Gott. Wer hätte besser darüber schreiben können, als wer sich zuerst selbst von Seinem Gott geliebt wusste und Ihm damit mit Gegenliebe antwortete (1Kö 3:3). Das Neue Testament sagt:

     

                «Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat» (1Joh 4:19).

     

    Das Thema des Buches

    Das Thema des Buches ist jene der drei Kardinaltugenden, von denen der inspirierte Apostel sagt, sie sei die größte:

     

    «Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe» (1Kor 13:13).

     

    – Gott ist Liebe (1Joh 4:16)

    – der Vater liebt den Sohn (Joh 3:35; 17:24)

    – Gott hat die Welt geliebt (Joh 3:16)

    – Christus hat die Gemeinde geliebt (Eph 5:25)

    – der Sohn Gottes hat mich geliebt (Gal 2:22)

    – Gott hat Seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen (Röm 5:5)

    – wir lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat (1Joh 4:16)

    – wir lieben einander (1Pet 1:22)

     

    Der Mensch, in Gottes Bild und Ähnlichkeit erschaffen, findet seine höchste Bestimmung darin, dass er gleich Gott von Liebe regiert wird: Liebe zu Seinem Schöpfer und Liebe zu seinem Gegenüber.

                Das Lied der Lieder, griechisch Asma asmatwn (asma asmatôn), ist ein Vorgeschmack des neuen Liedes (wdh, ôdê), das die Erlösten vor dem Thron (Off 5:9) singen werden. Das ist der Grund, warum dieses Buch ein Lied sein muß; ein Lied sagt mehr als nur die Worte; es hat Bewegung, ist von Harmonie durchzogen, von Leichtigkeit und Freude. Die Liebe bewegt sich in Zyklen, wie verschiedene wiederholt auftretende Wendungen zeigen (2:6 - 8:3; 2:17 - 8:18; 3:6 - 6:10 - 8:5). So wie der in Prediger beklagte Kreislauf der Sinnlosigkeit bereits ein Vorhof der Hölle ist, so ist der Kreislauf der Liebe ein Vorhof des Himmels. Das eine ist immerwährender Verdruss, das andere nie endender Genuss.

     

     

    Die Auslegung des Buches

    Es lassen sich drei Ebenen der Auslegung unterscheiden, wie das in den meisten Büchern des Alten Testaments der Fall ist.

     

    Die natürliche

    Gemäß 1Kor 15:46 ist das Natürliche in der zeitlichen Reihenfolge das Erste:

     

    «Die verschiedenen Szenen des Buches besingen die Freuden der werbenden und in der Ehe vollendeten Liebe und sie lehren, dass körperliche Schönheit und sexuelle Freude in der Ehe nicht als etwas Niedriges oder Ungeistliches angesehen werden sollten»

    (The  Open Bible).

     

    Wir sollten in einer Zeit, die über Ehe und Sexualität sehr niedrige Vorstellungen hat, nicht vergessen, dass Gott Mann und Frau für einander geschaffen, dass Er die Ehe eingesetzt hat, dass die geschlechtliche Liebe eine gute Gabe des Schöpfers ist, der alles reichlich darreicht zum Genuss (1Tim 6:18).  Etwas äußerst Wichtiges über das Wesen der Liebe kommt darin zum Ausdruck, dass der Geliebte Gegenstand die Kraft und die Reinheit derselben ausmacht. Das nämlich machen bereits die einleitenden Verse des Liedes deutlich:

                «Ziehe mich» (1:4) : Die Liebe richtet sich auf die geliebte Person; denn es ist der Gegenstand der Liebe , der den Wert der Liebe ausmacht. So ist beispielsweise Liebe zum Geld böse Liebe. Das gilt für jede Liebe zu einem nicht gottgewollten Gegenstand. Mit dieser Beobachtung haben wir das Wesen christlicher Liebe im Gegensatz zur heidnisch verstandenen Liebe angedeutet. Siegmund Freud, der als Jude das Alte Testament kannte, muß aus ihm gewußt haben:

     

    «Der ergreifendste Unterschied zwischen dem Liebesleben der alten Welt und dem unserigen liegt wohl darin, dass die Antike den Akzent auf den Trieb selbst, wir aber auf dessen Objekt legen. Die Alten feierten den Trieb und waren bereit, auch ein minderwertiges Objekt durch ihn zu adeln, während wir die Triebbetätigung an sich geringschätzen und sie nur durch die Vorzüge des Objekts entschuldigen lassen»

    (S. Freud in seiner Abhandlung «Über die sexuellen Abirrungen»).

     

     

    Die geistliche

    Die Liebe des Bräutigams zur Braut ist ein Abbild der Liebe Gottes zu einem jeden Seiner Erlösten und auch zu seinem ganzen Volk. Wir verstehen das, wenn wir 1Mo 2:24 mit Eph 5:30–32 vergleichen. Diesen beiden Stellen zusammengenommen lehren mich, dass die geistliche Beziehung zwischen Christus und den Seinigen das Vorbild war, nach dem die leibliche gestaltet wurde.

     

    «Le Cantique des cantiques vise beaucoup plus haut que l’amour humain qu’il évoque en forme d’illustration. Les Juifs déjà qui avaient coutume de le lire dans les cérémonies commémoratives de la Pâque, y voiaient une allégorie de l’amour de l’Eternel pour Israël, Son peuple élu (Jes 54:5–6; Hos 2:16–25; und in der Tat: Gott warb als Bräutigam um Israel, damit es sein Weib werbe: Hes 16:8–14).

                            Après eux, les chrétiens ont discerné dans cette parabole l’expression de l’amour qui unit l’Eglise, l’Epouse de l’Agneu (Off 19:7,8; 21:9) à son céleste Epoux couronné de gloire et d’honneur. Comme la Sulamithe, le croyant soupire après le divin Salomon, le Roi de paix; il désire appartenir entièrement à son Seigneur, goûtant ici–bas des heures d’intime communion, puis d’autres où il ressent la séparation, jusqu’au jour où, irrépréhensible et pure, l’Eglise sera unie pour toujours à son divin Epoux»

    (J.H. Alexander:  Lire et comprendre la Bible).

     

    «But the Song of Solomon is more than a human love story. It is a picture of the love between the Lord God and His people. If your study of the Song of Solomon will arouse in you a more genuine love for your Lord as well as a deeper gratitude for His love to you, then it will not surprise you that God chose to include such a love story in His Holy Scriptures»

    (I.L. Jensen: Jensens’s Survey of the Old Testament).

     

    In der Zeit vor, während und nach der Reformation, bis in 19. Jahrhundert, pflegte man dieser Seite der Auslegung die alleinige Aufmerksamkeit zu schenken. Der einleitende Satz zum Hohenlied in Dächsels Bibelwerk lautet:

     

    «Erst durch die geistliche Auffassung wird das Hohelied des sinnlichen Stachels ledig.»

     

    Matthew Henry  schreibt in seinem Kommentarwerk:

     

    «Es scheint so schwierig wie bei kaum einem anderen Teil der Bibel diesem Buch einen ‹Geruch vom Leben zum Leben› zu entnehmen; ja, solche, die mit fleischlicher Gesinnung und verderbten Neigungen zu diesem Buch kommen, sind in Gefahr, ihm einen ‹Geruch vom Tod zum Tod› zu entnehmen. Es ist eine Blume, aus dem sie Gift saugen; und daher rieten die jüdischen Lehrer den Männern die Lektüre ab, bevor sie dreißig waren, damit nicht durch Missbrauch dessen, was von größter Reinheit und Heligkeit ist, die Flamme der Lust durch Feuer vom Himmel entfacht werde, welches Feuer nur für den Altar bestimmt ist.»

     

    In modernen Kommentaren wird die geistliche Bedeutung allenfalls noch zugestanden, aber wenig beachtet, teilweise sogar als unsachgemäß belächelt. Wir sollten uns nicht die Tiefen und die Höhen des Wortes Gottes nehmen lassen durch Interpretationen, die zu stark vom Zeitgeist gebunden sind. Überdies sind wir in den wenigsten Fällen gut beraten, wenn wir die Einsicht, die 19 Jahrhunderte lang Herz und Sinn der Knechte Gottes erfüllt hat, mit der blasierten Miene der nunmehr wissend Gewordenen wegwischen. Für jene, die die geistliche interpretation überhaupt ausschließen wollen, füge ich folgende scharfsinnige Beobachtung an:

     

    «Wenn wir uns dem Matthäusevangelium zuwenden, stellen wir fest, dass die erste Gelegenheit, bei der wir von einer Bräutigam–Braut–Beziehung hören, sich in Matthäus 9 findet ... Jesus sagte dort den Jüngern des Johannes, die sich mit den Empfindungen der Pharisäer identifizierten: ‹Können etwa die Söhne des Brautgemachs trauern, so lange der Bräutigam bei ihnen ist?› Hier haben wir nun eine klar erkennbare Anspielung. Wo aber vernehmen wir etwas vom ‹Bräutigam›? Es wird als etwas Wohlbekanntes vorausgesetzt; der Herr erklärt es nicht. Woher stammte der Titel ‹Bräutigam›? Fraglos aus dem Lied der Lieder, dem Lied Salomos. Wir haben hier demnach zwar nicht ein Zitat, aber etwas, das mir noch stärker als ein Zitat scheint, nämlich die unzweideutig anerkannte Tatsache. Wir haben es als eine großartige Wahrheit, die dem Denken des Juden gänzlich vertraut war, und das – was es zu beachten gilt, meine Lieben – mit dem Stempel des Sohnes Gottes versehen. Denn es es sind nicht die Jünger des Johannes, die diesen Titel in ihrer Anrede an den Herrn verwenden, sondern es ist der Herr Jesus selbst, der den Titel in seinen Worten an sie verwendet: ‹Können die Söhne des Brautgemachs trauern, so lange der Bräutigam bei ihnen ist?›»

    (William Kelly: Lectures on the Song of Solomon)

     

    Die prophetische

    Die Liebe zwischen Salomo und Sulamith ist auch ein Prophetie auf die Zeit, in der das lange beiseitegesetzte Volk Israel zur frei fließenden Liebe des Gottes Israel wiederhergestellt wird. Wenn «der Feigenbaum seine Feigen rötet» (2:13) wird Israel bald Seinen Messias erkennen und sich Ihm in Liebe verschreiben (vgl. Mt 24:32), um nie mehr von Seiner Liebe geschieden zu werden (Jes 54:1–8; Hos 2:14–20).

     

     

    Zwei Einteilungen:

     

    I.  Erwachende Liebe:  1:1 – 5:1

    A. Werbende Liebe:  1:1–3:5

    B. Vereint in Liebe:  3:6–5:1

     

    II. Tiefer werdende Liebe : 5:2 – 8:14

    A. Angefochtene Liebe: 5:2–7:10

    B. Reife Liebe: 7:11–8:14

     

    Man kann das auch wie folgt formulieren:

     

    1. Keimende Liebe   -   Sehnsucht    1:1 – 3:5

     

    2. Vollendete Liebe  -   Erfüllung     3:6 – 5:1

     

    3. Ringende Liebe    -   Erprobung    5:2 – 7:10

     

    4. Siegreiche Liebe   -   Vertiefung    7:11 – 8:14

     

     

     

    Eingang  1:1–4

    Grundwahrheit: «Deine Liebe ist besser» (1Kor 13:13)

     

    I. Grundvoraussetzung der Liebe  1:5–2:7

        Gegenseitige Lust aneinander

      

                 Schlußsatz: «Wecket nicht auf die Liebe, bis es ihr gefällt!» (2:7)

     

    II. Liebeswerben und Sehnsucht  2:8–3:5

         Ungestüm des Mannes (2:8 – 17)

         Sehnen der Frau (3:1 – 5)

        

                  Schlußsatz: «Wecket nicht auf die Liebe, bis es ihr gefällt!»

     

    III. Hochzeit und Vereinigung 3:6–5:1

         

                    Schlußsatz: «Trinket und berauschet euch an Liebe!»

     

    IV. Entfremdung und Vertiefung  5:2–8:4

           Verlangen des Geliebten  (5:2)

           Kälte (5:3), dann Reue (5:4–8) der Geliebten

           Noch größere Lust aneinander (5:10–16; 7:1–9)

          

                   Schlußsatz: «Wecket nicht auch die Liebe, bis es ihr gefällt!»

     

    V. Summe: Die größte ist die Liebe  8:5–7

         «Siegelring»: das Band der Liebe ist unauflöslich

         «gewaltig ... hart»: die Liebe ist bedingungslos

        «Flamme»: die Liebe ist leidenschaftlich und eifernd

        «nicht auszulöschen»: die Liebe hofft, glaubt, erträgt alles

        «allen Reichtum»: ihr Wert übersteigt alles

        

                 Schlußsatz: «Große Wasser vermögen die Liebe nicht auszulöschen.»

     

    Ausgang:  8:8–14

    Ergebnis: «Die Liebe hört nimmer auf»  (1Kor 13:8)

     

     

     

    Eine kurze Bibliographie zu den poetischen Büchern

    Es werden nur bibeltreue Kommentare und Auslegungen aufgeführt; die Reihe ist bei weitem nicht vollständig, sie behauptet auch nicht, repräsentativ zu sein. Es werden vielmehr solche Bücher genannt, die ich zu meinem Nutzen da und dort konsultiert habe.

     

    a) Einführungen und Übersichten

     

    – Aebi, E.: Kurze Einführung in die Bibel. Verlag Bibellesebund, 

    Winterthur/Wuppertal 1973

    – Baxter, J. Sidlow: Explore the Book. Zondervan Publishing House, Grand Rapids 1966.

    – Darby, John Nelson: Synopsis of the Books of the Bible. H.L. Heijkoop, Winschoten 1970.

    – Jensen, Irving L.: Jensen’s Survey of the Old Testament. Moody Press, Chicago 1978.

    – Kuen, Alfred: 66 en 1. Introduction aux 66 livres de la Bible. Edition Emmaüs, Saint–Légier 1990.

    – Lee, Robert: Abrißund Gliederung der biblischen Bücher. Ernst Paulus–Verlag, Neustadt 1971

    – Möller, Hans: Alttestamentliche Bibelkunde. Verlag der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms –  Gr. Oesingen 1989.

    – Morgan, G. Campbell: Handbook for Bible Teachers and Preachers. Baker Book House, Grand Rapids 1990.

    – Scroggie, W. Graham: Scroggie’s Bible Handbook. Fleming H. Revell

    Company, Old Tappan, New Jersey.

    – Unger, Merill F.: Ungers grosses Bibelhandbuch. Christliche Literarturverbreitung, Bielefeld.

     

    b) Auslegungen und Kommentare

     

    – Arnot, William: Studies in Proverbs. Kregel Publications, Grand Rapids 1978.

    – Bridges, Charles: A Commentary on Proverbs. The Banner of Truth Trust, Edinburgh 1974.

    – Bridges, Charles: Ecclesiastes. The Banner of Truth Trust, Edinburgh 1992.

    – Darby, John Nelson: Praktische Betrachtung über die Psalmen. Zürich 1888.

    – Dickson, David: Psalms. Banner of Truth, Edinburgh 1985

    – Durham, James: The Song of Solomon,  Banner of Truth Trust, Edinburgh.

    – Gaebelein, Arno C.: The Psalms. A Devotional and Prophetic Commentary. Loizeaux Brothers, Neptune, New Jersey, 1982.

    – Grant, F.W.: The Numerical Bible: The Psalms. Loizeaux Brothers 1978.

    – Henry, Matthew: An Exposition with Practical Observations of the Proverbs, in: Matthew Henry’s Commentary on the Whole Bible. MacDonald Publishing Company, McLean, Virginia.

    – Kelly, William: The Proverbs. Bible Truth Publishers, Oak Park, Illinois 1971.

    – Kelly, William: Lectures on the Song of Solomon. Bible Truth Publishers,       Oak Park, Illinois.

    – Kelly, William: Eleven Lectures on the Book of Job. Welch Foundation,.

    – MacDonald, William: Proverbs und Ecclesiastes, in: Believers Bible Commentary. Old  Testament. Thomas Nelson Publishers, Nashville 1992.

    – MacDonald, William: Chasing the Wind. Moody Press, Chicago 1975.

    – Miller, Andrew: Betrachtungen über das Lied der Lieder. Ernst Paulus Verlag, Neustadt 1962.

    – Ouweneel, Willem J.: Das Lied der Lieder,  Wuppertal 1976.

    – Poole, Matthew: A Commentary on the Holy Bible. Hendrickson Publishers, Peabody, Massachusetts.

    – Ridout, Samuel: The Book of Job.  Loizeaux Brothers 1982.

    – Rossier, Henri: Betrachtungen über das Buch der Sprüche. Ernst Paulus Verlag, Neustadt 1968.

    – Spurgeon, Charles H.: The Treasury of David.  MacDonald Publishing Company, McLean, Virginia.

     

    Mit Vorbehalten zu empfehlen, da vom Virus der Bibelkritik angekränkelt, wiewohl im ganzen «evangelikal»:

    – Carr, G. Lloyd: The Song of Solomon; an Introduction & Commentary  in: Tyndale Old  Testament Commentaries,Inter Varsity Press, Leicester 1984.

    – Eaton, Michael A.: Ecclesiastes, an Introduction & Commentary, in: Tyndale Old Testament Commantaries, Inter Varsity Press, Leicester 1983.

    – Delitzsch, Franz: Die Psalmen. Brunnen Verlag, Gießen1984.

    – Kidner, Derek: Proverbs, an Introduction  & Commentary, in: Tyndale Old Testament Commentaries, Inter Varsity Press, Leicester 1964

     

    Persönliche Empfehlungen:

    Der noch immer von niemandem erreichte Kommentar  aus dem Herzen und der Feder eines Mannes über alle Bücher der Bibel ist der von Matthew Henry,  der, wiewohl über 300 Jahre alt, nur so strotzt vor geistlicher Frische und Lebendigkeit. Matthew Poole ist der Vorläufer von Henry. Er ist nicht so reich und so voll; dafür prägnanter, aber nicht weniger hilfreich.  Es lohnt sich meistens, zu irgend einem biblischen Buch, Henry mitzulesen; konsultiert man Poole ist man selten enttäuscht. Bei diesen Auslegern findet man allerdings wenig Hilfreiches über Prophetie und Heilsgeschichte. Sehr hilfreiche Einführungen und Übersichten über ganze biblische Bücher bietet Jensen. MacDonald ist immer zuverlässig, biblisch solid, ausgewogener und in der Behandlung des Textes fairer als manche andere Autoren der Brüderbewegung. Er ist zudem eine veritable Schatzkammer an Zitaten von Männern Gottes und Lehrern des Wortes aus der gesamten Kirchengeschichte. Von auffälliger geistlicher Schärfe und Originalität sind die kurzen Einführungen und Übersichten von G. C. Morgan.

                Zum Buch Hiob ist Ridouts Auslegung die lebendigste, die ich kenne; Kelly ist schmallippig wie immer.

                Über die Psalmen gibt es nichts Reichhaltigeres als Spurgeons Treasury of David. Seine «Schatzkammer» ist in ihrer Weise unübertroffen und wohl auch unüberbietbar. Sie ist praktisch, nicht lehrhaft, aber geistlich lebendig und ungeheuer anregend. Dickson, einer der alten Puritaner, ist kurz und gleichzeitig tief. Wer dispensationelle Auslegung der Psalmen sucht, wird weder bei Spurgeon noch hier fündig werden; er greife zu F.W. Grant, dessen Band über die Psalmen meiner Meinung nach der beste seiner gesamten Numerical Bible ist.  A. C. Gaebeleins Kommentar ist ebenfalls hilfreich und empfehlenswert.

                Über das Buch der Sprüche hat wohl nie jemand so gut geschrieben wie Charles Bridges. Neben ihm kann auch Arnot noch bestehen, der freilich nicht Vers für Vers durch das Buch geht, sondern Themen behandelt. Alle übrigen oben genannten Auslegungen sind recht fad, eher geistlos, bieten zu den meisten Versen nicht viel mehr als eine Wiederholung dessen, was bereits im Bibeltext steht. Immer noch besser als Kelly oder MacDonald ist Rossier.

                Zu Prediger hat wiederum Charles Bridges die beste mir bekannte Auslegung geschrieben. Sie ist zudem eine Fundgrube von Zitaten aus der gesamten Geistesgeschichte des Abendlandes. Die Betrachtungen der «Brüder»–Literatur wiederholen alle die grundfalsche und aus dem Bibeltext durch nichts zu rechtfertigende Erklärung, Prediger sei ein Zeugnis bloß menschlicher Weisheit. Sieht man von diesem Mangel ab, kann man MacDonald mit Gewinn lesen.

                Zum Hohenlied enttäuschen durch ihre nachgerade bestürzende Oberflächlichkeit alle neueren Ausleger – außer Ouweneel –, da sie die geistliche und prophetische Bedeutung nicht oder kaum mehr gelten lassen wollen. Prägnanter als Ouweneel istA. Miller,  der so klar und so tief wie jener ist, dazu leichthändiger. Die Puritaner haben zum Hohenlied großartige erbauliche Betrachtungen geschrieben, allen voran J. Durham. Wer genügend (Elizabethanisches) Englisch kann, sollte sich mit ihm vertraut machen.