Du bist der Mann!
Karl Gerok, 1858
2 Sam. 12, 7.
Da sprach Nathan zu David:
Du bist der Mann!
Du bist der Mann –
du hast dich selbst gerichtet!
Spricht Nathan, der Prophet,
Zum blutbefleckten König, der vernichtet
Vor Gottes Antlitz
steht;
Du bist der Mann, dem du den Stab gebrochen,
Dem du im Grimm das Urteil schon gesprochen:
„Ein Kind des
Todes ist, wer das getan!“
-- Du bist der Mann!
Du bist der Mann, der nimmersatt dem Armen
Sein einzig Schäflein stahl,
Und seinen Lüstern herzlos, ohn Erbarmen,
Es schlachtete zum Mahl:
Du, David, den der Herr von
Saul errettet,
Mit tausend Gnaden an sein Herz gekettet,
Du, der zur Harfe fromme Psalmen sann,
-- Du bist der Mann!
Du bist der Mann, o hör es, meine Seele,
Halt nicht zu rasch Gericht;
Vergiss im Grimm bei deines Bruders Fehle
Der eignen Sünde nicht!
Vor deinem Aug – die Früchte und
die Taten!
In deiner Brust –
die Keime und die Saaten!
In fremder Schuld sieh
deine eigne an:
Du bist der Mann!
Du bist der Mann, der heute fromm begeistert
Vor Gott die
Harfe spielt,
Und morgen schnöd, von Fleisch und Blut bemeistert,
Im Staub der Erde wühlt!
Zu Davids Eh’bruch, Petrus falschem
Eide,
Zu Judas Kuss und Keins Bruderneide,
Zu jedem Frevel irgendwo und wann –
Du bist der Mann!
Du bist der Mann, denn in des Herzens Grunde
Schläft jede böse Lust,
Und wenn die Lust empfing zur schlimmen Stunde,
Dann steigen aus der Brust
Arge Gedanken, finstre Ungeheuer,
Spei’n Gift und heischen Blut und hauchen Feuer,
Das Leib und Seele dir verzehren kann;
Du bist der Mann!
Du bist der Mann, und ständst du hoch in Gnaden,
Wie Davids fürstlich Haupt,
Sprich nimmermehr: was kann der Feind mir schaden?
-- Leicht ist ein Kranz geraubt!
Je höher dich die Huld des Herrn gestellet,
Je lieber dich die List des Argen fället;
Oft schloss im Fleische, wer im Geist begann:
Du bist der Mann!
Du bist der Mann! – ja Herr, ich geb mich schuldig,
Denn meine Schuld ist groß;
Herr, Herr, barmherzig, gnädig und geduldig,
Sprich mich in Gnaden los!
Willst du mich, Barmherziger, erretten,
Wer löset mich von meiner Sünde Ketten,
Wer nimmt von meiner Seele mir den Bann?
Du bist der Mann!
Du bist der Mann, der meine Schuld will büßen
Am blutgen Marterholz,
Du bist der Mann, dir werf ich mich zu Füßen,
Dahin ist all mein Stolz;
Herr, heile mich von meinem Sündenschaden,
Herr, stärke mich mit deinem Geist der Gnaden;
Du, der am Kreuz den großen Sieg gewann,
Du bist der Mann! |