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Die
Herrlichkeit des Herrn Jesus
in
den vier Evangelien
W.J. Ouweneel
Könnte es ein Thema geben, das für uns als
Gläubige herrlicher und reichhaltiger ist als die Person des Herrn Jesus
Christus? Es gibt viele Segnungen in Gottes Wort, die unsere Herzen froh machen
können. Doch sie werden uns immer zu Dem führen, der die Quelle all dieser
Segnungen ist, dem wir alles zu verdanken haben und der alles für das Herz
Gottes ist. Könnte es etwas Herrlicheres geben, als über Den nachzudenken, von
dem Gott gesagt hat: "Dieser ist mein
geliebter Sohn, an weichem ich Wohlgefallen gefunden habe"? Aber auch:
Könnte es ein schwierigeres Thema geben? Wir lesen in diesem Evangelium:
"Niemand erkennt den Sohn, als nur der
Vater", und wer sind dann wir, daß wir, obwohl wir Gläubige sind und den
Geist Gottes haben, uns mit der Herrlichkeit Seiner Person beschäftigen? Daß es
solch ein reichhaltiges und vielseitiges Thema ist, kommt das nicht darin zum
Ausdruck, daß der Heilige Geist vier Männer gebraucht hat, die, durch den Geist
geleitet, uns den Herrn Jesus auf vier verschiedene Weisen vorgestellt haben?
War das von seiten Gottes nicht ein Entgegenkommen für unser schwaches Erkennen
der Herrlichkeit des Herrn Jesus? Diese Herrlichkeit ist so umfassend, und wir
sind so wenig in der Lage, sie in uns aufzunehmen, daß der Heilige Geist uns in
vier aufeinanderfolgenden Portraits, wenn ich so sagen darf, zeigt, wer Er ist:
der Mann nach dem Herzen Gottes.
Und ich kann tatsächlich sagen: Portraits.
Denn wir dürfen nicht denken, daß diese Evangelien Lebensbeschreibungen sind,
eine historische Aufeinanderfolge von Ereignissen. Es sind Portraits, wobei
Ereignisse und Aussprüche so gewählt und geordnet sind, daß sie uns in einer
wunderschönen Schilderung zeigen, wer der Herr Jesus ist, und zwar so, wie jeder
dieser vier Evangelisten beauftragt war, Ihn vorzustellen.
Wenn wir wissen wollen, was das besondere
Anliegen des M a t t h ä u s ist, brauchen wir nicht lange zu suchen. Es ist
meine Absicht, an diesen Abenden mit euch die Evangelien zu betrachten und zu
versuchen, euch sozusagen das Portrait zu zeigen, so wie jeder dieser
Evangelisten es uns vor Augen stellt. Und wenn wir wissen wollen, was das
Gemälde ist, das Matthäus uns zeigt, dann müssen wir berücksichtigen, daß er an
gläubige Juden geschrieben hat, die aus dem alten Volk Israel zur Bekehrung
gekommen waren und nun zwei große Fragen hatten. Es sind diese Fragen, die in
diesem Evangelium beantwortet werden. Die erste Frage lautet: Ist Er wirklich
der Messias Gottes, Er, Jesus von Nazareth, der am Kreuz gestorben ist? Ist Er
Derjenige, von dem Gott im Alten Testament gesprochen hat, und der von den
Propheten angekündigt worden ist? Und zweitens: Wenn Er der Messias ist, der
König der Juden, warum hat Er dann das verheißene Friedensreich nicht
aufgerichtet? Warum sitzt Er dann nicht auf dem Thron Davids? Warum ist Er zu
Gott zurückgekehrt? Und warum ist Israel beiseitegestellt? Das will uns Matthäus
zeigen; er will uns einerseits vorstellen, wer der Herr Jesus ist als der Mann
nach dem Herzen Gottes, der wahre David, und auf der anderen Seite, was das
Besondere war, das geschah, als der Herr hier auf der Erde lebte. Er kam ja, um
das Friedensreich zu errichten, denn Er Selbst hat gesagt: "Tut Buße,
denn das Reich der Himmel ist
nahe gekommen" (4, 17). Was muß da
nur auf der Erde geschehen sein, daß alles scheinbar so radikal ein Ende
gefunden hat und Er diese Erde als ein verworfener und gekreuzigter Messias
verlassen hat? Gerade das will Matthäus uns in seinem Evangelium sagen; er zeigt
uns, daß, als der Herr auf die Erde kam, nicht alles mißglückte, wie es den
Anschein hatte, sondern daß, während einerseits Israel Ihn verwarf, Gott
andererseits einen Anlaß fand, die wunderbarsten Ratschlüsse Seines Herzens zu
entfalten, nicht im Blick auf Israel, sondern im Blick auf die Versammlung, die
erst dann zum Vorschein kommen konnte, nachdem Israel den Herrn verworfen hatte
und das Volk selbst von seinem Messias beiseitegestellt war
Wer ist Er, den uns Matthäus vorstellt? Wir
finden Ihn bereits in Kapitel 1, 1, und dort haben wir zugleich den Schlüssel‑
"Buch des Geschlechts Jesu Christi,
des Sohnes Davids, des Sohnes
Abrahams." Wer anders konnte der König der Juden sein als Er, der der
königlichen Linie des Hauses Davids entstammte? Wer anders konnte der Messias
sein als Er, der der Sohn Abrahams war, das Gefäß der Verheißung, von dem Gott
gesagt hatte: "Und in deinem Samen
werden sich segnen [oder: gesegnet werden]
alle Nationen der Erde" (l. Mo 22,
18). Doch wir sehen hier zugleich, was das Volk war, aus dem Er geboren wurde.
Es sind keine Frauen wie eine Rebekka und eine Sarah, die hier als Seine
mütterlichen Vorfahren aufgezählt werden, sondern es sind sündige, unwürdige
Frauen wie eine Tamar, eine Ruth und eine Rahab. So war das Volk, aus dem Er in
gnädiger Herablassung geboren werden wollte. Das ist Er, der uns hier als der
König, der Sohn Davids, vorgestellt wird. Und gerade weil Er der Sohn Davids
ist, kann es nicht anders sein, als daß der Engel hier nicht (wie in Lukas) zu
Maria kommt. Maria war zwar in leiblicher Hinsicht Seine Mutter. Nein, der Engel
kommt zu Joseph, denn es gab nur e i n e Weise, in der der Herr Jesus der Sohn
Davids werden konnte, indem Er nämlich der Sohn Josephs wurde. Deshalb spricht
der Engel Joseph in Kapitel 1, 20 als Sohn Davids an. Wenn wir wissen wollen,
weshalb Er der Messias, der König der Juden ist, dann ist die Antwort von
Matthäus: Weil Er der Sohn Josephs ist, denn Joseph war der direkte Nachkomme
Davids. Und nur, wenn der Herr in die gesetzmäßigen Rechte Josephs eintrat,
konnte Er der Messias Israels sein. Doch zu gleicher Zeit ‑ o wie wunderbar ist
die Weise, in der Gott handelt ‑ hätte der Herr, wenn Er der leibliche Sohn
Josephs gewesen wäre, niemals der Messias sein können. Denn der Messias ist
nicht nur der Sohn Davids, sondern auch Derjenige, von dem Gott in Psalm 2
sagt: "DU bist mein Sohn, heute habe
ich dich gezeugt", und: "Habe doch ich
meinen König gesalbt auf Zion". Wie kann Gott es verwirklichen, daß Jesus
der Sohn Josephs ist und gleichzeitig der Sohn Gottes? Wie wunderbar führt Gott
Seine Pläne aus! Jesus war nicht durch Joseph gezeugt ‑Er war gezeugt von Gott,
dem Allerhöchsten, aus der Jungfrau Maria.
Wir finden hier zuerst in Vers 20:
"Joseph, Sohn Davids"; das ist der
erste Titel des Herrn Jesus: Er war der Messias, der wahre David, der Mann nach
dem Herzen Gottes. Doch die zweite Hälfte von Vers 20 besagt dann: Joseph war
lediglich sein Vater nach dem Gesetz. Er wurde von Gott, dem Heiligen Geist, aus
Maria erweckt, und dadurch ist Er, wie Psalm 2 angekündigt hatte, der Sohn
Gottes. Außerdem finden wir hier eine dritte Herrlichkeit, die noch darüber
hinaus geht. Er war der Sohn Davids, Er war der Sohn Gottes (noch herrlicher),
doch es gab etwas, wovon nur an wenigen Stellen im Alten Testament die Rede war:
Er würde Gott Selbst sein. Sein Name sollte Jesus genannt werden, was bedeutet:
Jehova ist Rettung. Es sollte nicht einfach ein Heiland zu dem Volke kommen,
sondern Jehova Selbst würde als Retter inmitten Seines Volkes erscheinen. Ist es
dann nicht wunderschön, daß wir hier bereits in Vers 21 lesen, worauf dieses
Evangelium am Ende hinausläuft? Wir haben gesehen, daß der Herr Jesus aus einem
sündigen, nichtswürdigen Volk geboren wurde. Ist es nicht kostbar, daß der
Engel deshalb sagt: "Er wird sein Volk
erretten von ihren Sünden"? SEIN Volk! Es war das Volk Gottes, und Gott
Selbst tritt in die Mitte Seines Volkes! Jesus ist der Emmanuel ‑ "Gott mit
uns", sagt Vers 23. Das
Matthäusevangelium zeigt uns beständig, daß Er Derjenige ist, der die
Prophezeiungen erfüllt, der angekündigte Messias des Alten Testaments. Gott
Selbst hatte gesagt, daß die Jungfrau schwanger werden würde, und der Sohn, den
sie gebären würde, würde der von Gott gezeugte Messias, ja, Gott Selbst sein,
"Gott mit uns". Was ist die
Herrlichkeit des Herrn Jesus bei Matthäus? Ist es nicht vor allem dies: Emmanuel
ist erschienen, der "Gott mit uns"
ist in die Mitte Seines Volkes gekommen. Und es braucht auch kein Zweifel
darüber zu bestehen, wer dieses Volk ist, denn hier wird gleich zu Beginn
gesagt: "Er wird SEIN Volk ‑ Gottes Volk
‑ erretten von ihren Sünden".
So tritt Er hier in die Mitte dieses
sündigen Volkes als der Sohn Davids, der Sohn Gottes, ja, Gott Selbst. Nein, von
dem Volk brauchen wir nicht viel zu erwarten. Hier finden wir niemanden aus dem
Volk, der an der Geburt des Messias interessiert ist. Hier sind es nicht die
Hirten, die kommen, sondern Männer, die vom Ende der Erde gerufen werden,
Helden, die mehr Interesse an dem König der Juden haben, der geboren ist, als
die Juden selbst. Israel wird hier von Anfang an als ein sündiges Volk
gekennzeichnet, das kein Interesse an seinem Messias hat. Es sind solche, die
sich der alten Prophezeiung Bileams erinnert haben dort im Osten, und die
wissen: "Es tritt hervor ein Stern aus
Jakob" (4. Mo 24, 17). Sie haben nach etwas ausgeschaut, wonach Israel nicht
ausschaute. Sie haben den Stern gesehen und kommen und fragen: "Wo ist
der König der Juden, der
geboren worden ist?" Israel kann zwar
berichten wo dieser ist: in Bethlehem; aber es gibt keinen Israeliten, der mit
ihnen gegangen wäre, um Ihn ebenfalls anzubeten. Und nicht nur das: Wenn dieses
Volk so abgewichen ist, kann es auch nicht mehr das Zeugnis Gottes auf der Erde
sein. Wenn Emmanuel inmitten Seines Volkes erscheint, kann Gott keinen anderen
Zeugen auf der Erde anerkennen als den Herrn Jesus Selbst, so daß sogar die
Prophezeiungen, die früher für Israel galten, auf Ihn angewendet werden. War es
nicht Israel, das als Sohn Gottes aus Ägypten gerufen war? "Israel ist mein
erstgeborener Sohn". Doch hier hat
Gott Sein Augenmerk auf einen anderen Sohn gerichtet, und so wendet Matthäus das
Wort aus Hosea 11, 1 auf den Messias an. Der Herr Jesus war es, der nun als ein
Zeugnis Gottes, als der wahre Weinstock (vgl. Ps 80 mit Joh 15), im Land der
Verheißung gepflanzt wurde. Und wo? Inmitten der bösen Führer in Jerusalem? 0 es
gibt nichts Schöneres im Blick auf Israel als dies (und das sehen wir im ganzen
Evangelium), daß der Herr Sich niemals zu den Reichen und Vornehmen gehalten
hat, sondern zu den Allerniedrigsten und Allergeringsten, wie es auch die
Allergeringsten Seiner mütterlichen Vorfahren waren, die in Seinem
Geschlechtsregister aufgezählt werden. Er ging nach Galiläa, das von Judäa
verachtet wurde und durch Samaria scharf getrennt war von dem Rest des jüdischen
Volkes. Dort findet der Herr als Kind Seinen Platz in einer der verachtetsten
Städte, in Nazareth. Dort wollte Er sein, dort fühlte Er Sich zu Hause, in
diesem dunklen Land, wovon der Prophet gesagt hatte, daß Gott dort ein großes
Licht aufgehen lassen würde. Nicht in dem bösen Jerusalem, sondern in Zabulon
und Nephthalim, im Norden des Landes.
Das alles wird bestätigt, wenn wir den
Vorläufer kommen sehen, den Herold des Königs, der vor Ihm ausgeht. Wie kommt
Johannes zu dem Volk? In Begeisterung das Volk vorbereitend auf die Segnungen
des Messias? Nein, er zeigt unmißverständlich, was der Zustand des Volkes ist,
und stellt ihnen den Herrn Jesus nicht vor als den Messias, der kommt, um nur
Segnungen zu bringen, sondern als Denjenigen, der mit dem Heiligen Geist und mit
dem Feuer des Gerichtes Gottes taufen wird. Die Axt liegt an der Wurzel der
Bäume! Könnte man noch daran zweifeln, was für ein Volk das ist, unter dem der
Herr Jesus als der wahre Jude, als der Messias Seinen Platz einnimmt? Kann Er
Sich einsmachen mit diesem gottlosen Volk? Nein, sagt Johannes, wenn jemand dem
Messias entgegengehen will, dann muß er seine Sünden bekennen, seinen toten
Zustand vor Gott anerkennen und sich von dem gottlosen Volk durch die Taufe der
Buße (Umkehr) absondern und ‑ so zubereitet ‑ den Messias willkommen heißen.
Nachdem nun der Herr Selbst kommt, sehen
wir zu Beginn Seiner Laufbahn etwas, was kein Mensch sich jemals hätte
ausdenken können. Wenn wir uns hätten vorstellen sollen, was geschehen würde,
wenn der Herr dort die kleine Schar derer sieht, die zubereitet sind, um Ihn zu
empfangen, dann hätten wir vielleicht gedacht, daß Er, hoch über sie erhaben,
sie gnädig annehmen würde. Aber Er wollte nicht hoch über sie erhaben sein. Er
war gekommen, um unter den Geringsten des Volkes zu wohnen, und so wollte Er
Sich zu den elenden Schafen halten, die sich hier hatten taufen lassen, um Ihm
angehören zu können. Er wollte Sich ihnen anschließen auf die vollkommenste,
demütigste und rührendste Weise, für uns unbegreiflich. Er schloß Sich ihnen an,
machte Sich eins mit ihnen, anerkannte sie, indem Er Sich ebenfalls taufen
ließ! Kannst du dich da hineinversetzen, was das bedeutet? "Gott mit
uns" kommt, um in unserer Mitte zu
wohnen, und läßt Sich taufen, als wäre Er ein unwürdiger Israelit, einer, der
seine Sünden bekennen und seinen Zustand vor Gott anerkennen muß. Und doch
unterzieht sich der Herr bewußt dieser Erniedrigung. "Gott mit
uns" kommt zu Seinem Volk und hat
kein anderes Verlangen ihnen gegenüber, als inmitten dieses Volkes den
niedrigsten und geringsten Platz einzunehmen, unter denen, von welchen Psalm 16
sagt: "Das sind die Herrlichen, an
denen alle meine Lust ist" (siehe die
Fußnote zu Psalm 16, 3 in der Elberfelder Übersetzung). Er machte Sich
vollkommen eins mit dem Oberrest Israels, so vollkommen, daß Er Seinen Platz in
ihrer Mitte in derselben Weise einnimmt wie sie, indem Er sich taufen läßt, als
wäre auch Er ein sündiger Büßer. Als Johannes Ihm wehrt, sagt der Herr: "Laß es
jetzt so sein; denn also gebührt es uns
[dir, Johannes, und Mir], alle Gerechtigkeit zu
erfüllen" ‑ um auf dem Weg Gottes zu
wandeln in Gehorsam zu Ihm. Doch kann Gott im Himmel, der anschaut, wie der
Herr Jesus, der Emmanuel, Sich so erniedrigt und Sich ihnen anschließt, dieses
geschehen lassen, so daß die Umherstehenden denken könnten, daß der Herr Jesus
ebenfalls ein Jude ist, der seine Sünden vor Gott bekennen muß, Er, der Reine,
der Heilige? Deshalb geschieht etwas, was noch niemals geschehen war: Der Himmel
öffnet sich. Hast du jemals von einem Menschen im Alten Testament gehört, über
dem sich der Himmel öffnete? Es geschah über Ihm, auf den Gott dreißig Jahre
lang niedergesehen hatte, an dem Gott nichts gefunden hatte von dem, was Er in
Israel fand: keine Sünde, keine Ungerechtigkeit, weder in Worten noch in
Gedanken noch in Taten. Wenn es äußerlich so scheint, als nehme der Herr den
Platz des Sündenbekenntnisses ein, dann tut sich der Himmel auf und Gott ruft
aus: "Nein, k
ein Sünder ‑ Er ist mein geliebter
Sohn, an weichem Ich Wohlgefallen
gefunden habe"! Wenn es e 1 n e n Israeliten gab, der sich nicht taufen zu
lassen brauchte, dann war Er es, an dem Gott all Sein Wohlgefallen gefunden
hatte und an dem Gott niemals etwas bemerkt hatte, das Sein Mißfallen hätte
finden können. Und gerade dieses Ereignis, wo der Herr Jesus als Mensch diesen
niedrigen Platz einnimmt, ist die Gelegenheit, da zum ersten Mal in der
Geschichte das wunderbare Geheimnis der Drei‑Einheit Gottes offenbar wird: der
Sohn auf der Erde in Erniedrigung, der Vater im Himmel in Herrlichkeit und
Gott, der Heilige Geist, der auf die Erde herniederkommt auf den Herrn Jesus.
Wir haben den Heiligen Geist nun auch empfangen, aber wir durch Bekehrung und
Glauben. Doch Er empfing den Heiligen Geist aufgrund dessen, was Er in Sich
Selbst war, und aufgrund eines vollkommenen Lebens während der dreißig Jahre
als Mensch unter dem Gesetz und als Sohn Gottes.
Deshalb ist es gerade dieser Mensch, der
von dem Geist Gottes in die Wüste geführt wird, um da erprobt zu werden. Nicht
daß Er das selbst suchte, Gottes Geist bringt Ihn in die Wüste, damit die
Herrlichkeit des "zweiten Menschen", des Messias, des Emmanuel, ans Licht käme.
Wir können nun nicht auf alle Versuchungen näher eingehen (wir werden sie erneut
in Lukas antreffen), doch möchte ich vor allem auf die letzte hinweisen, die
hier den Höhepunkt bildet. Der Satan kommt zu dem Herrn, um Ihn gerade in dem zu
erproben, wozu Er berufen war: als König der Juden, ja, als das Licht der
Nationen. Er stellt Ihm alle Reiche der Welt vor, über die Er tatsächlich (wie
er sagte) die Herrschaft hatte. Der Herr Jesus war auf die Erde gekommen, um
König über Sein Volk zu sein, und dazu mußte Er es erlösen von seinen Sünden;
Er wußte von Anfang an, weiche Leiden Ihn dadurch erwarteten. Und hier öffnet
sich plötzlich für Ihn die Möglichkeit, Seine Königschaft verwirklicht zu sehen,
ohne daß Er zu sterben brauchte! Doch wie konnte Er darauf eingehen, Er, der
gesagt hatte: "Denn also gebührt es uns,
alle Gerechtigkeit zu erfüllen"? Deshalb sagt Er zu dem Satan: "Geh
hinweg, Satan! denn es steht
geschrieben: Du sollst
den Herrn, deinen Gott,
anbeten und ihm allein dienen." Dann
sehen wir, daß Engel kamen und Ihm dienten.
Danach beginnt der eigentliche Dienst des
Herrn Jesus, dem der Dienst des Johannes voraufgegangen war. Es ist wichtig zu
beachten, was Johannes sagt und was auch der Herr später in Kapitel 4, 17
wiederholt: "Tut Buße, denn das Reich der
Himmel ist nahe gekommen." Das
ist ein kennzeichnender Ausdruck in diesem Evangelium; wir finden ihn nicht in
den anderen. Es ist hier ja Emmanuel, der gekommen ist, Gott aus dem Himmel und
nun "mit uns". Es war der Himmel, der regieren würde, wie Daniel bereits gesagt
hatte: "Die Himmel herrschen" (Dan 4,
26). Hier war der Himmel in Gestalt des Emmanuel in die Mitte der Menschen
gekommen, um Sein Königreich *) aufzurichten, ein Königreich hier auf der Erde,
in dem dieser himmlische Mensch regieren würde. Deshalb mußte er zur Bekehrung
aufrufen, denn niemand konnte an diesem Königreich teilhaben, ohne sich zuvor
zu dem König bekehrt zu haben. Doch Israel war als Ganzes ein sündiges und
verdorbenes Volk, darüber besteht kein Zweifel vom Beginn dieses Evangeliums
an. Lediglich ein kleiner Teil hatte sich durch die Taufe bereit gemacht, den
König anzunehmen. Wenn auch der Herr Jesus dann deutlich macht, wer diejenigen
sein werden, die zu Seinem Königreich gehören werden (wie wir das in der
"Bergpredigt" finden, wo der Herr die Grundsätze darlegt, denen diejenigen
entsprechen müssen, die das Königreich ererben wollen), so spricht Er nicht zu
der Volksmenge, nicht zu der Masse des jüdischen Volkes, die diese Dinge niemals
ererben würde, sondern Er spricht zu den Jüngern, die dem König zu folgen
wünschten und die Er Sich auserwählt hatte. Deshalb spricht Er, wenn es um das
Königreich geht, auch nicht Über eine Zeit des Segens. Der Herr sagt inmitten
dieses bösen Volkes für diejenigen, die das Königreich ererben wollen, keine
Zeit des Wohlergehens voraus, sondern der Drangsal und Leiden. Er spricht über
das, was Ihn Selbst auf der Erde erwartete. Wenn wir die Bergpredigt verstehen
wollen, ist es dann nicht das Herrlichste, darin zu sehen, daß sie den Platz
des Herrn Jesus Selbst hier auf der Erde beschreibt? Er war "glückselig"
_____________
*) Die Elberfelder Obersetzung hat überall
"Reich der Himmel“, usw. Das griechische Wort (basllela) bedeutet aber
eigentlich "Königreich",
(Kap. 5) in dem Sinn, daß Er als Jude auf
der Erde die volle Gemeinschaft mit dem Vater kannte, der in den Himmeln ist.
Das ist es, was Er Seinen Jüngern vorstellt: kein Wohlergehen jetzt auf der
Erde, sondern erst am Ende den vollen Segen des Friedensreiches, und nun auf der
Erde die Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater. Das war der Platz, den der Herr
Selbst auf dieser Erde eingenommen hatte, und das sind die Grundsätze für alle,
die Ihm nachfolgen und die Segnungen des Friedensreiches ererben wollen, nicht
infolge natürlicher Abstammung oder äußerlicher Werke des Gesetzes, sondern
durch Bekehrung und Hingabe, Nachfolge auf dem Weg, den Emmanuel hier auf der
Erde gehen würde.
Was bedeutet es, daß Emmanuel hier auf die
Erde gekommen ist? Das sehen wir im Folgenden. Wie Matthäus in der Bergpredigt
(Kap. 5‑7) eine Reihe von Ansprachen des Herrn Jesus, die Er zu verschiedenen
Zeitpunkten gehalten hat, zu e i n e ir Rede vereinigt (wie Gott auch einmal
auf dem Berg zu Moses redete, so spricht der Herr hier als der
"Gott mit uns" zu Seinen Jüngern), so
finden wir in Kapitel 8 ebenfalls eine Reihe von Wundern und Taten des Herrn,
die Er zu verschiedenen Zeitpunkten verrichtet hat, zusammengefügt. Denn
Matthäus macht keine "Geschichtsschreibung", sondern gibt uns ein Gemälde. In
seinem Gemälde will er zeigen, wer Emmanuel in unserer Mitte ist. Wer ist Er,
der dem Aussätzigen begegnen kann? Achte einmal darauf, wie der Heilige Geist
alle diese Ereignisse in einer vollkommenen Reihenfolge zusammengefügt hat. Das
erste ist: Gott kommt zu Seinem Volk, einem sündigen und verdorbenen Volk, das
durch Aussatz verunreinigt ist. Und willst du nun einen Beweis haben, daß
Emmanuel erschienen ist? Dann betrachte Ihn, den Herrn Jesus, wie Er den
Aussätzigen anrührt. Hatte der König Joram nicht gesagt, daß nur Gott den
Aussatz heilen kann (2. Kön 5, 7)? Wer kann einen Aussätzigen anrühren, ohne
selbst verunreinigt zu werden, und das auf eine Weise, daß der Aussätzige selbst
gereinigt wird? Das kann nur Er, Emmanuel,
"Gott mit uns", der aus der Jungfrau
geborene "Messias", der Sohn Gottes Selbst.
Und nicht nur, daß Er 1 s r a e 1 in Seiner
Güte und in Seinem Erbarmen anrührt; sondern wenn Gott wirklich beginnt, Gnade
zu offenbaren, wenn "Gott mit uns"
erscheint und kommt, um bei uns zu wohnen, dann erstreckt sich die Gnade auch
zu den V ö 1 k e ir n , wie das hier bei dem Hauptmann illustriert wird (V.
5‑13); und hier nicht durch Berührung, sondern durch Glauben. So hat der Herr
Jesus uns, die wir aus den Völkern sind, Gnade durch Glauben geschenkt ‑ einen
Glauben, wie Er ihn in Israel nicht gefunden hatte. Deshalb sagt Er in Vers 11,
daß viele aus allen Völkern kommen und die Segnungen der Erzväter teilen
würden, ohne daß Israel selbst daran teilhätte.
Wenn Er Sich auch zu den Völkern wendet,
vergißt Er doch die alten Verbindungen mit Seinem Volk nicht: Er segnet hier
auch die Schwiegermutter des Petrus als Vorbild des zukünftigen jüdischen
Oberrestes, ja, Er segnet alle, die zu Ihm kommen. Das ist der Mann, von dem
Israel in der Zukunft sagen wird (nach Jesaja 53, das hier angeführt wird), wenn
der Oberrest den Messias wiederkommen sieht, nachdem er sich bekehrt hat:
"Er selbst nahm unsere Schwachheiten und
trug unsere Krankheiten" (8, 17). So hat der Herr Jesus die Kranken geheilt.
Nicht als ein Gott, der, weit über sie erhaben, sie lediglich anzurühren
brauchte und, ohne sie weiter zu beachten, heilen konnte, sondern als Einer, der
in ihre Mitte kam und Mitleid mit ihnen hatte, der ihre Schwachheiten auf Sich
nahm und sie trug; der an anderer Stelle sagte, daß Er Kraft von Sich ausgehen
fühlte; der Sich so einsmachte mit dem schrecklichen Zustand, in dem das Volk
von Natur war, daß Er ihr Elend auf Sich nahm und zutiefst Mitleid hatte mit den
Nöten Seines Volkes. Gott ist in unserer Mitte, Gott segnet, Gott erweist Seine
Gnade, Barmherzigkeit und göttliche Macht als Messias.
Doch wenn Emmanuel verworfen wird, dann
sagt Er, wie hier in Vers 20: "Der Sohn
des Menschen hat nicht, wo er das Haupt hinlege." Denke einmal darüber nach:
Die Tiere haben einen Ort, wo sie ruhen können, aber
"Gott mit uns", der der Schöpfer und
Erhalter der Tiere ist, hat 43 keinen Ort, wo Er Sein Haupt niederlegen kann ...
Das geschieht, wenn Emmanuel inmitten eines sündigen und gottlosen Volkes
erscheint. Der Herr Jesus ist gekommen, um mit Wissen und Willen diesen Platz in
der Mitte Seines Volkes einzunehmen. Und Er ist Emmanuel. Das beweist Er Seinen
eigenen Jüngern; denn Derjenige, der keinen Ort hat, wo Er sein Haupt hinlegen
kann, ist zur gleichen Zeit (V. 27) Derjenige, dem die Winde und der See, die
Mächte dieser Schöpfung, gehorchen, ja, dem (im folgenden Abschnitt) die
Dämonen gehorchten, die Er austrieb. Bei allem, was der Herr Jesus tut, wird das
Herz des Menschen offenbar, denn wir sehen hier, daß die Gergesener sich mehr
über die Anwesenheit des Herrn beunruhigten als über die Anwesenheit dieser
Dämonen. Die Dämonen hatten sie kalt gelassen, doch als der Herr Jesus kam,
ärgerten sie sich. Das geschieht, wenn Emmanuel gottlosen, sündigen Menschen
erscheint. Emmanuel ist in unserer Mitte, Er kann die Macht Satans wegnehmen. Er
hatte den Starken in der Wüste gebunden, und nun kam Er, um ihm seinen Hausrat
zu rauben.
Nicht nur das, der Sohn des Menschen hat
die Vollmacht, auf der Erde Sünden zu vergeben (Kap. 9, 6). Gott ist in unserer
Mitte als Sohn des Menschen; sollte Er nicht die Macht haben, Sünden zu
vergeben? Es gibt nichts, was Ihn hindern kann, und inmitten des Widerstandes
der Schriftgelehrten offenbart Emmanuel Sein Erbarmen und Seine Güte. Wenn die
Führer Ihn verwerfen, so nimmt der Herr Jesus in Seiner erwählenden Gnade nun
Matthäus beiseite, denn Er ist bereit, mit Zöllnern und Sündern Gemeinschaft
zu haben (V. 9‑13). Er ist gekommen, Sünder zu rufen. Er wußte, zu welch einem
Volk Er kam und was Er antreffen würde. Er war zwar als der Bräutigam in ihrer
Mitte, als der Bräutigam des Hohenliedes, der kam, um Liebe bei Seiner Braut zu
suchen (V. 14‑17); doch wo war die Braut, das gläubige Israel? Ihr Zustand wird
uns im Töchterchen des Jairus vorgestellt: sie lag im Sterben (V. 18‑26).
Sicher, der Herr Jesus würde sie aus dem Tode auferwecken, aber das war noch
nicht geschehen; es wird erst am Ende geschehen, wenn Er einen Oberrest des
Volkes zu neuem Leben ruft. In der Zwischenzeit gibt es für Israel als Ganzes
keine Hoffnung. Doch Emmanuel kann niemals darin nachlassen, Sein Erbarmen zu
erweisen. Und während uns hier Israel in seiner Gesamtheit als eine Sterbende
vorgestellt wird, sehen wir, daß der Herr Seine Gnade dem einzelnen erweist, der
sich inmitten dieses sterbenden Volkes auf Seine Gnade stützt, wie wir das hier
finden: zuerst bei der Frau mit dem Blutfluß (V. 20‑22), dann bei dem Blinden,
der so nachdrücklich an Ihn appelliert als den Sohn Davids (V. 27‑31). Niemand,
auch kein einziger Prophet, hatte im Alten Testament jemals einen Blinden
geheilt; das war Ihm vorbehalten, dem Sohne Davids. Und wo sich jemand auf das
stützt, was Er ist, dort ist Er bereit, inmitten der Verwerfung Gnade zu
erweisen. So heilt Er den Stummen, so sehen wir, wie Er innerlich bewegt ist
über die großen Scharen, die keinen Hirten haben.
Ich sage es noch einmal: Es ist ergreifend
zu sehen, wie vollkommen der Herr Jesus den Zustand des Volkes kannte: wie
vollkommen Er bis zum Ende, solange Er inmitten des Volkes lebte, bereit war,
das Erbarmen zu erweisen, das Ihm als Emmanuel eigen war. So sehen wir, daß Er,
der dazu aufruft, Gott zu bitten, daß Er Arbeiter aussenden möge, Selbst Seine
Arbeiter aussendet. In Kapitel 10 sendet Er ‑ wie merkwürdig ist das ‑ die
Zwölfe aus zu den Städten Israels. Nun müssen wir Vers 23 aufmerksam lesen: sie
würden damit nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen wäre! Ist
das nicht die Güte Emmanuels? Gott hat hier durch die Apostel Seinem Volk ein
Zeugnis gegeben. Hat Gott dieses Zeugnis enden lassen? Nein, Gott hat damit in
gewissem Sinne all diese Jahrhunderte fortgefahren und wird damit fortfahren,
bis der Sohn des Menschen am Ende wiederkommt. Trotz allen Verfalls, trotz allen
Hasses gegen Gott und Seinen Messias dauert dieses gnädige Zeugnis Emmanuels bis
zum Ende fort. Könnte es ein großartigeres Bild von der Langmut Emmanuels
geben?
Dabei war Er doch so radikal verworfen. Als
zudem Johannes ins Gefängnis geworfen wird, nimmt der Herr das zum Anlaß, um
über den Dienst des Johannes zu sprechen. Johannes war tatsächlich auch nur ein
gewöhnlicher Mensch. Allein Emmanuel konnte in vollkommener Herrlichkeit
erstrahlen, in Seiner Einzigartigkeit, von allen Menschen unterschieden. Selbst
ein Johannes konnte an dem Dienst des Herrn Jesus zweifeln und im Gefängnis
fragen: "Bist du der
Kommende?" (11, 3). Alles muß vor der
Herrlichkeit Emmanuels beiseite treten. Doch finden wir keinen Tadel von seiten
des Herrn im Blick auf Johannes. Im Gegenteil: Er nennt ihn in Seiner
wunderbaren Gnade den größten von Frauen Geborenen (11, 11). Aber sie haben ihn
verworfen; ebenso wie den Sohn des Menschen (V. 18. 19) haben sie Johannes
verworfen und haben den Sohn des Menschen sogar einen Fresser und Weinsäufer,
einen Freund der Zöllner und Sünder genannt. Dies ist wohl das erste Mal (und es
ist sehr bedeutsam, das zu sehen), daß da, wo das Volk sich so in seiner
Bosheit offenbart ‑ sogar den Herold haben sie ins Gefängnis geworfen ‑, eine
bemerkenswerte Veränderung eintritt, eine Veränderung, die uns jedoch lediglich
ein noch schöneres Bild von der Herrlichkeit des Messias zeigt. Wir sehen, wie
der Herr Jesus hier das Gericht ausspricht über die Städte, die Ihn verworfen
haben (V. 20), und wir hätten annehmen können, daß Er entmutigt und enttäuscht
gewesen sein müßte über diesen Empfang in Israel. Doch Er war der Vollkommene,
der die Gedanken Gottes kannte, und Er war nicht entmutigt, sondern sagt zu
Gott: "ich preise dich"! (V. 25). Diese Verwerfung und Verachtung sind für Ihn
der Anlaß zu sagen: Ich preise Dich, Vater, daß Du diese Dinge nicht diesem
gottlosen Volk, das sich auf seine eigene Weisheit und seine eigenen Werke
beruft, geoffenbart hast, sondern es sind die "Kinder", die Schwachen, die
Geringen, die Unwürdigen unter diesem Volk, die ihren Zustand erkannt und sich
als Kinder ihrem himmlischen Vater anvertraut haben, denen Du die wunderbare
Herrlichkeit des Vaters und des Sohnes offenbaren wolltest.
Und wie groß ist diese Herrlichkeit? Wenn
das Volk Ihn nicht verworfen hätte, hätten wir dann jemals solche herrlichen
Worte gehört, wie wir sie hier finden?
"Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater." Es war der Sohn, der im
Fleische geoffenbart war, dieser wunderbare Sohn,
den jedoch niemand wirklich in Seiner tiefsten Herrlichkeit erkennen
konnte, als nur der Vater. Von dem Sohn lesen wir hier nicht, daß Er
"geoffenbart" ist, denn wer könnte Ihn, der vollkommen Gott und vollkommen
Mensch ist, wirklich ergründen als nur der Vater? "Noch
erkennt jemand den Vater, als nur
der Sohn"; doch der Sohn war
gekommen, um den Vater zu offenbaren! Nicht nur kam der Messias zu dem Volk
Israel ‑ Israel hatte Ihn verworfen; sondern für die Unmündigen, die Schwachen
und Unwürdigen unter diesem Volk hatte der Herr Jesus einen Schatz zu
entfalten, der viel herrlicher war, als daß Er der Messias, der König der Juden,
war. Der Vater hatte Seinen Sohn zu ihnen gesandt, und der Sohn wollte den
Vater, der in den Himmeln ist, diesen Kindern bekanntmachen. Für wen Ist das
bestimmt? Für die Sorglosen? Für die, die gute Werke tun? Für die Gerechten?
Nein, die Offenbarung davon, wer der Vater und der Sohn sind, ist bereitet für
die, die mühselig und beladen sind! Da gibt es keinen Unterschied mehr zwischen
Israel und den Völkern, sondern nur den allgemeinen Ruf: "Kommet her
zu mir, a 11 e ihr
Mühseligen und Beladenen." Und was
gibt der Herr Jesus? Gibt Er ihnen etwas, was bereits früher Israel verheißen
war? Nein, Er will sie mit dem Vater, der in den Himmeln ist, bekannt machen,
und Er will ihnen Ruhe geben für ihre Gewissen und Ruhe für ihre Seelen. Und
die würden sie nur dann finden, wenn sie Ihm nachfolgen wollten, und zwar so,
wie Er hier auf der Erde als der vollkommene Sohn des Menschen in Gemeinschaft
war mit dem Vater, der in den Himmeln ist. In dieser Nachfolge würden auch sie
die vollkommene Ruhe kennenlernen, die zum Ausdruck kommt in der Tatsache, daß
Er trotz aller Verwerfung sagen konnte:
"ich preise dich, Vater." So
ladet Er hier ein. Er ist der Sohn Davids, Er ist der Sohn Gottes als Messias,
aber darüber hinaus der Sohn des Vaters, nicht dem Volk geoffenbart, sondern
denen, die aus dem Volk mühselig und beladen zu Ihm kamen.
Solche Menschen führt Er, der Sohn des
Menschen, der einmal an dem wahren Sabbath Sein Volk regieren wird, nun bereits
als einen Oberrest in die Segnungen des Sabbaths ein (Kap. 12). Denn der Sohn
des Menschen ist Herr des Sabbaths. Er hat nichts mit alledem zu tun, was die
falschen Führer des Volkes sich ausgedacht haben. Ist es Ihm nicht (V. 12)
erlaubt, Gutes zu tun am Sabbath und die Segnungen, die Gott mit dem Sabbath
verbunden hat, zu entfalten? Doch wie ich gesagt habe, ist jedes Erbarmen, das
Er erweist, für das Volk nur ein Anlaß, seine Bosheit zu offenbaren. Hier sehen
wir nun, wie die Bosheit einen Höhepunkt erreicht; deshalb bildet Kapitel 12 das
Ende des ersten Teiles dieses Evangeliums. Denn das Schrecklichste hatten sie
noch nicht gesagt, und das kam hier. Das Lästerlichste, das sie sich hatten
ausdenken können, äußerten sie hier. Denn von Ihm, den Gott auf diese Erde
gesandt hatte, "Gott mit uns", in dem der Heilige Geist wohnte und wirkte,
sagten sie, daß der Heilige Geist, durch dessen Kraft Er die Dämonen austrieb,
Beelzebub war, der Oberste der Dämonen. Sie hätten nichts Schrecklicheres sagen
können, denn sie wußten, daß Er der Sohn Gottes war. Sie hatten selbst aus den
Prophezeiungen bezeugt, daß Er in Bethlehem geboren werden sollte, und wußten,
wen die Weisen dort in Bethlehem besuchten. So kannten sie alle die
Prophezeiungen und wußten, daß Er sie erfüllte. Sie sahen Seine Wunder, die
bewiesen, daß Er der Messias war. Aber bewußt, willentlich und wissentlich
sagten sie, daß Gott, der Heilige Geist, der in Ihm war, der Oberste der Dämonen
sei. Hätten sie sich etwas Abscheulicheres ausdenken können? Diese Sünde konnte
nicht vergeben werden, sagt der Herr. Und nun müssen wir genau beachten, was Er
ferner zur Antwort gibt, denn das entschied alles im Blick auf die Geschichte
Israels. Das läßt uns den Grund sehen, weshalb alles verändert ist. Vordem
kündete der Herr an, daß das verheißene Friedensreich nahe sei, doch sie haben
Ihn so vollständig verworfen, daß der Herr stattdessen nun das Gericht
ankündigen muß. Er tut das anhand von "Zeichen" (V. 38‑42).
Erstens würde "der
Sohn des
Menschen drei Tage und drei
Nächte in dem Herzen der Erde sein";
das ist das "Zeichen" Jonas'. Wenn sie wissen wollten, wer Er war, dessen
Herrlichkeit sie verwarfen ‑ nun, sie würden Ihn als Denjenigen sehen, der
leiden und sterben und in das Herz der Erde gelegt werden würde ‑ doch lediglich
für drei Tage, wie Jona lediglich drei Tage in dem Fisch war! Israel, das sich
rühmte, das Volk Gottes zu sein, würde außerhalb der Segnungen Gottes stehen,
und Männer von Ninive würden kommen, um sie zu verdammen, denn die hatten sich
sehr wohl bekehrt. Der wahre Salomo würde doch einmal in Seinem Friedensreich
regieren ‑ die Prophezeiungen Gottes kann niemand ungeschehen machen ‑, doch
dieses böse Geschlecht würde das nicht erleben. Es würden die Völker sein, die,
wie die Königin von Scheba, kommen würden, um Seine Herrlichkeit anzuschauen,
aber dieses böse Volk richten würden. Israel war zwar jetzt ein leeres und
geschmücktes Haus, denn der böse Geist des Götzendienstes war verschwunden. Aber
an dessen Stelle war nicht der wahre Dienst für Gott getreten, und deshalb
würde der siebenfache teuflische Dienst des Antichristen mühelos Raum finden,
und Israels Ende würde ärger sein als alles, was sie bis dahin erlebt hatten.
So liegen die Dinge. Und damit ist das
Verhältnis des Messias zu Israel völlig verändert. Er kann nicht einmal mehr die
natürlichen Verbindungen im Blick auf dieses Volk anerkennen, selbst wenn es um
Seine Mutter, Seine Brüder und Schwestern geht. Er kann nur noch Seine
Verbindungen mit denen anerkennen, die sich aus dem Volk bekehrt haben und den
Willen Seines Vaters tun wollen, der in Himmeln ist (V. 46‑50).
Das ist der Anlaß für die besonderen
Belehrungen in Kapitel 13. Der Herr war gekommen, um Frucht in dem Weinberg zu
suchen. Es war aber keine Frucht vorhanden, und deshalb mußte der Weinberg
beiseite gestellt werden. Weil Er dort keine Frucht findet, beginnt Er nun
damit, den Samen in brach liegendes Land außerhalb des Weinbergs auszusäen.
Nicht mehr in Israel, sondern in der ganzen Welt; denn
"der Acker ist die
Weit". Wenn Israel Ihn auch verworfen
hat, wird Er doch Seine Gnade als Emmanuel erweisen; aber nicht mehr Israel als
Ganzem, sondern allen Völkern, und dort würde es solche geben, die Frucht 49
brächten. Das sagt der Herr Jesus hier nicht zu dem Volk, sondern zu Seinen
Jüngern, weil es nur ihnen gegeben war, die Geheimnisse des Reiches der Himmel
zu kennen. Anfänglich war das Königreich nicht verborgen gewesen, sondern
öffentlich in Übereinstimmung mit den Prophezeiungen angekündigt worden. Das
Königreich würde zwar auch kommen, aber Israel hatte für den Augenblick das
Königreich in seinem König verworfen, und es würde noch nicht in der
vorausgesagten Form errichtet werden, sondern während einer Zwischenzeit eine
ganz neue Form bekommen. Denn Er, der König, würde ja fortgehen! Er würde
zunächst drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein und nach Seiner
Auferstehung von der Erde fortgehen; wie Er später sagt: Er würde "außer
Landes reisen" und für lange Zeit
abwesend sein, und dann würden die Seinen ohne ihren König zurückbleiben ‑ der
geringe Überrest aus Israel mit all den anderen aus den Völkern, in denen der
Same des Wortes Wurzeln faßte. Das war der neue, einstweilige, verborgene
Charakter des Königreiches. Nachdem der Herr Jesus Israel beiseitegestellt hat,
sehen wir, wie ein neues Zeugnis Gottes auf der Erde zustandegekommen ist: die
Christenheit. Der Herr Jesus ist nicht in leiblicher Gestalt in unserer Mitte;
Er ist als der König "außer Landes"
gereist, und das Königreich ist nun unserer Verantwortung als Christen
überlassen. Und was ist das Ergebnis? Wenn der Herr Jesus Israel beiseite stellt
und ein neues Zeugnis errichtet, findet Er dann darin Sein Genüge? Ach, Er wußte
alle Dinge. Er legt hier dar, daß, wenn das neue Zeugnis unter den Völkern, die
Christenheit, ins Leben gerufen sein würde, mächtig wie ein großer Baum, auch
dort sich das Unkraut mit dem guten Samen vermischen würde und daß der Sauerteig
alles durchsäuern würde, bis die Christenheit vollständig durch böse Lehren
verdorben wäre. Deshalb erklärt Er, daß Er schließlich auch hier Gericht bringen
muß und lediglich die Gerechten das Königreich ererben, wenn der König
wiederkommt.
Ist denn alles gescheitert? Israel beiseite
gestellt und das Königreich ein System von Bösen und Guten, unentwirrbar
durcheinander gemengt! Doch dann sehen wir, daß es, ebenso wie in Israel, auch
im Königreich einen treuen Überrest gibt. Er sah mit Seinen göttlichen Augen
etwas Herrliches in diesem Königreich, Er sah, wie es während Seiner Abwesenheit
sein würde. Er sah einen wunderbaren Schatz, den niemand erkennen konnte. Einen
Schatz, verborgen im Acker, und eine schöne, wertvolle Perle ‑die Versammlung
Gottes. In der bekennenden Christenheit, diesem System von Bösen und Guten,
befindet sich die wahre Versammlung, das, was groß und herrlich für das Herz des
Herrn Jesus ist. Wie wunderschön ist es, daß wir gerade im Matthäusevangelium,
wo von dem König der Juden, von Emmanuel, dem zu Seinem Volk Israel Gesandten
die Rede ist, die erste Ankündigung und die ersten Grundsätze der Versammlung
findenl
Israel ist beiseite gesetzt, das
Königreich der Himmel wird in die Hände der Menschen übergeben, und die Folgen
sind dementsprechend. Aber darin sah der Herr Jesus diesen wunderbaren Schatz.
Deshalb war Er nicht entmutigt, daß Israel Ihn verwarf; deshalb konnte Er Sich
auch mit dem Gedanken abfinden, daß sogar das Königreich der Himmel ein
verdorbenes System werden würde. Denn Er sah darin verborgen diesen Schatz, und
Er war bereit, dafür alles preiszugeben. Er sah die Freude, die vor Ihm lag. Er
wußte, daß Er leiden mußte, daß Er drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde
sein mußte. Doch Er sah diesen Schatz und diese Perle von großem Wert. Und
deshalb ging Er hin und verkaufte alles, was Er hatte. Er hatte die himmlische
Herrlichkeit preisgegeben, doch Er war bereit, noch viel weiter zu gehen ‑ bis
in die schrecklichste Tiefe. Er war bereit, Sein Volk nicht nur von ihren Sünden
zu erlösen (1, 21), sondern auch allen Mühseligen und Beladenen Ruhe zu geben,
vielen Vergebung zu schenken, wie wir sogleich beim Abendmahl finden werden. Das
alles wegen der Freude, die vor Ihm lag: die herrliche Perle zu besitzen. So
finden wir es hier in diesem Evangelium vorgestellt: neue und alte Dinge; das
alte, angekündigte Königreich, aber auch das neue: diesen herrlichen Schatz in
dem verdorbenen Königreich. Israel hatte sich verderbt, auch in das Königreich
würde das Verderben eindringen, doch Er sah durch alles hindurch das Herrliche:
die Versammlung die Gott Ihm geben würde.
Doch so weit ist es noch nicht. Der Dienst
des Herrn Jesus ist noch nicht vollendet. Der Herold wird, nachdem er zuvor
gefangengenommen wurde, nun getötet. Wie muß dieser gewaltsame Tod das Herz des
Herrn Jesus ergriffen haben, weil er ein Vorbote dessen war, was Ihn Selbst
erwartete. Wir können uns in etwa vorstellen, was Er empfunden haben muß, als Er
Sich an einen öden Ort besonders zurückzog (Kap. 14, 13). Können wir es
begreifen, daß Er weiterhin Barmherzigkeit erwies, obwohl der Zustand des Volkes
so hoffnungslos war? So finden wir hier, daß Er als Messias die Segnungen aus
Psalm 132 schenkt und die Armen mit Brot sättigt. Doch konnte dies, als Messias
inmitten des Oberrestes zu wirken, fortan nicht mehr Seine eigentliche Aufgabe
sein. Nein, Sein neuer Platz würde auf "dem Berg" sein, weg von dieser Erde. Auf
"dem Berg", um ebenso wie einst Mose dort für Sein Volk zu beten. Dort ist der
Herr nun wirklich: von dieser Erde erhöht im Himmel, um die Seinen zu
vertreten, Seine Jünger, die hier zurückbleiben inmitten der Stürme und der
hohen Weilen, bis Er zu ihnen zurückkehrt, den Oberrest befreit und die große
Stille des Friedensreiches beginnen läßt mit Segen für die Völker ("
Genezareth").
Nein, in diesem Augenblick war von dem Volk
nichts mehr zu erwarten. Mit diesem gesetzlichen System, das der Mensch
veräußerlicht hatte, konnte der Herr Sich nicht verbinden (Kap. 15). Dieses
System stand in offenkundigem Gegensatz zu den wahren sittlichen Grundsätzen,
denen des Herzens, die der himmlische Vater anerkannte. Gott konnte in
Verbindung mit diesem System keine Barmherzigkeit mehr erweisen. Nein, wenn Er
fortan Gnade erweist, dann ist das wirkliche Gnade für jeden, der im Vertrauen
auf 65 diese Gnade zu Ihm kommt. Nicht aufgrund von Recht oder Verdienst (denn
dann ist es keine "Gnade" mehr), sondern für jeden Bedrückten, sogar für eine
kanaanitische Frau, die zu einem verfluchten Volk gehörte. Sie empfängt keine
Gnade, solange sie sich auf Ihn beruft als den Sohn Davids, den Messias, denn
das ist Er allein für Israel. Doch wenn sie sich auf die Barmherzigkeit des
Emmanuel beruft, kann man sich dann vorstellen, daß diese Gnade auf e i n Volk
beschränkt bleiben könnte? Unmöglich. Die Krumen, die von dem, was die Kinder
essen, unter den Tisch fallen, sind für sie. Doch siehe da, die Gnade ist auch
für den Überrest Israels, wenn er nicht aufgrund von Werken des Gesetzes,
sondern in seinem Elend zu Ihm kommt. Für sie ist das Königreich; das offenbart
der Herr auf demselben Berg, wo Er auch die Grundlagen des Königreiches
dargelegt hatte und wo Er nun die Segnungen des Königreiches schenkt. Und hier
ist die Folge (was so kennzeichnend für dieses Evangelium ist): Sie
verherrlichten den Gott 1 s rae 1 s (Vers 31). Israels Gott war in ihrer Mitte,
Emmanuel. Wir können uns vorstellen, daß Er zu Beginn dieses Evangeliums
segnete, doch Er segnet auch hier, obwohl das Schicksal des Volkes als Ganzes
bereits besiegelt ist. Die Führer (Kap. 16) konnten nicht einmal die Zeichen der
Zeit erkennen, und wir lesen dann so kennzeichnend in Vers 4: "Und er verließ
sie und ging hinweg." Was hatte Er, der von Gott gesandt war, mit denen zu tun,
die nicht erkennen konnten, was Gott in Seinem Wort über Ihn angekündigt hatte?
Jesus warnt vor ihren bösen Lehren. Nicht nur das gewöhnliche Volk, sondern
sogar, ja gerade die Führer des Volkes wollten Ihn nicht und verwarfen Ihn.
Doch der Herr hatte über den Schatz im
Acker gesprochen, für den zu leiden und zu sterben Er gekommen war: die
Versammlung. Deshalb nimmt Er Seine Jünger beiseite, um ihnen sozusagen das
Innerste Seines Herzens mitzuteilen, die Hoffnung, auf die Er vorausblickte, die
Ihm in bestimmter Hinsicht die Kraft gab, um weiterzugehen. Er sagt das nicht
in Israel, sondern an einem Ort, der von ihrer Verwerfung sprach, von der
Herrschaft der Völker über sie, in den Gegenden von Cäsarea Philippi, und Er
fragt: "ihr aber, wer saget ihr, daß ich sei?" Ja, das Volk hatte Ihm mit
wundervollen Titeln geschmeichelt, aber die bewiesen nur, daß sie Ihn nicht
wirklich kannten. "Wer saget ihr, daß ich sei?" Dieser Überrest in Israel, der
sich zu Gott bekehrt hatte, der dem Herrn auf Seinem Weg der Erniedrigung und
Schmach auf der Erde nachfolgen wollte, wußten sie, wer Er war? Sie wußten es;
aber nicht aufgrund dessen, was zuvor geoffenbart war. Das Geoffenbarte konnten
nicht einmal die Führer erkennen, sie erkannten die Zeichen der Zeit nicht. Doch
hier sehen wir bei Petrus, daß er sogar mehr wußte als das, was Gott jemals im
Alten Testament gesagt hatte. "Du bist der Christus", sagt Petrus. Ja, Er war
der Messias. Endlich waren hier Israeliten, die Ihn als Messias anerkannten.
"Du bist der Sohn Gottes." Endlich waren hier solche, die Ihn anerkannten als
Denjenigen, der von Gott gezeugt und als König über Zion gesalbt war. Doch
Petrus sagt mehr: "Du bist der Sohn des 1 e b e n d i g e n Gottes." Und das
hatte ihm kein irdischer Zeuge geoffenbart, kein Prophet im Alten Testament,
kein Psalmist, kein Moses. Das hatte der Vater Selbst ihm geoffenbart, der
Vater, der im Himmel ist.
So war der Herr Jesus. Als Sohn Gottes kam
Er zu Israel ‑als der Sohn des lebendigen Gottes war Er das Fundament dieses
Neuen, das Gott nun entfalten wollte, nachdem Israel beiseitegesetzt war: die
Versammlung Gottes. Denn als der Sohn des 1 e b e n d i g e n Gottes ist Jesus
nicht nur von Gott aus einer Frau erweckt, sondern ist Er der ewige Gott, der
Sohn, der das Leben ist, nicht weil Er es von Gott empfangen hat, sondern weil
Er es in Sich Selbst ist, und damit Er das Leben solchen gäbe, die Seine
Versammlung bilden würden. Nicht wie die Israeliten, die für eine Zeit auf der
Erde Israeliten waren und danach gewöhnliche Tote, ohne Unterschied zu anderen
Menschen; sondern bis in Ewigkeit würden sie Glieder dieser Versammlung sein,
denn des Hades Pforten würden sie nicht überwältigen. Das alles war der Fall,
weil Er nicht nur der Sohn Gottes war, sondern der Sohn des lebendigen Gottes,
Gott Selbst, der das Fundament dieser Versammlung war.
Wie wunderbar ist es, daß unmittelbar
darauf erneut folgt, doch nun zum erstenmal als öffentliche Ankündigung, auf
welchem Weg diese Ratschlüsse verwirklicht werden sollten.
Wenn es um Israel ging, war es einfach der
Messias, der kam, um Sein Friedensreich zu errichten. Doch wenn es um die
Versammlung geht, wenn es darum geht, die kostbare Perle zu besitzen, dann muß
der Kaufmann alles preisgeben, was er besitzt. Dann muß Er, der das Leben ist,
in den Tod gehen. Könnte man sich einen größeren Gegensatz ausdenken? Er, der
Sohn des lebendigen Gottes, muß als der Sohn des Menschen überliefert und
getötet werden. Welch eine schreckliche Gegenüberstellung! Allein auf diesem Weg
konnte die Versammlung nach dem Ratschluß Gottes gebildet werden.
Würde damit jede Verheißung bezüglich
Israels hinfällig werden? Würde das vorhergesagte Königreich denn nie mehr
entstehen? 0 wie wunderbar sehen wir hier, wie Gott die Dinge aufeinanderfolgen
läßt, die Er uns vorstellen will. Wenn der Heilige Geist uns entfaltet, daß der
Sohn Seine Versammlung haben wird, dann zeigt er uns unmittelbar den Weg, der
dazu führt: Leiden und Sterben. Gleich darauf zeigt er uns aber auch, daß Gott
niemals Seine Pläne bezüglich Israels und des Friedensreiches aufgibt. Denn der
Sohn des Menschen ist bereit, in der Herrlichkeit Seines Vaters mit Seinen
Engeln zu kommen, und dann wird Er einem jeden nach seinem Tun vergelten (Kap.
16, 27)! Kein Mensch soll auf den Gedanken kommen, der Herr Jesus hätte in
Seiner Berufung versagt und würde also die Königsherrschaft nicht empfangen; das
ist dem Herzen Gottes so wichtig, daß Er auf dem Berge ein wunderschönes Zeugnis
davon gibt (Kap. 17). Ja, Seine Versammlung wird der Herr bekommen, aber Sein
Friedensreich wird Er auch empfangen! Seine Versammlung wird Er besitzen; Er
wird auf dem Berg gesehen mit Moses und Elias, die Vorbilder dieser Versammlung
sind. Doch Er wird auch das Friedensreich empfangen; Er wird regieren, wie Er
hier auf dem Berg gesehen wird, strahlend wie die Sonne, Seine Kleider weiß wie
das Licht. Er wird über diese Erde regieren, die verherrlichte Versammlung,
vorgestellt in Moses und Elias, an Seiner Seite, und die Treuen aus Israel,
vorgestellt in den Jüngern, zu Seinen Füßen. Gott gibt diese herrliche Szene, um
uns die Sicherheit zu geben, daß die Verheißungen im Blick auf Israel niemals
hinfällig werden.
Petrus gebraucht diese Szene in seinem
zweiten Brief als einen Beweis für die Wahrheit des prophetischen Wortes; wir
haben es dadurch "befestigt" (eigentlich: "befestigter") (2. Petr 1, 19) und
brauchen niemals daran zu zweifeln, daß Gott auf jeden Fall erfüllen wird, was
Er verheißen hat, und daß der Herr Jesus doch noch als Messias über ein
bekehrtes Israel regieren wird.
Doch hier sehen wir noch etwas anderes,
etwas Wunderschönes. So wie Gott, als Jesus getauft wurde, ein besonderes
Zeugnis gab, um Ihn von den anderen, die sich ebenfalls taufen ließen, zu
unterscheiden, um zu zeigen, daß Er kein gewöhnlicher Sünder, sondern Emmanuel
war, so sehen wir hier dasselbe geschehen, als Petrus es wagt, den Herrn Jesus
mit Moses und Elias auf eine Stufe zu stellen. Sofort spricht Gott das aufs
neue vom Himmel aus, denn Er kann nicht ansehen, daß Menschen den Herrn Jesus
herabsetzen oder sogar Ihn mit sich auf eine Stufe stellen. Deshalb gibt Gott
erneut Sein Zeugnis: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich
Wohlgefallen gefunden habe; ihn höret." So hatte Gott es bezeugt, als der Herr
Jesus Seinen Dienst begann, so zeugt Gott hier bei der Entfaltung der Segnungen
des Tausendjährigen Friedensreiches. "Dieser ist mein geliebter Sohn" ‑ das war
Er in Seiner Erniedrigung auf der Erde, so wird Er es sein in Seiner
Verherrlichung.
Hier ist es allerdings noch lediglich ein
Vorausblick auf die Zukunft. Die harte Wirklichkeit ist, daß der Herr Jesus
verworfen und auf dem Weg zum Kreuz ist. Als Er von dem Berg zurückkehrt, sehen
wir den wahren Zustand: Unglauben, und zwar nicht nur bei dem Volk, sondern
sogar bei den Jüngern. Nicht einmal sie wußten die Macht Emmanuels zu
gebrauchen, die ihnen zur Verfügung stand. Und gerade dieses Ereignis ist der
Anlaß, daß Er erneut sagen muß, als Er die Sündhaftigkeit und das Elend des
Menschen sieht: "Der Sohn des Menschen wird überliefert werden in der Menschen
Hände, und sie werden ihn töten, und am dritten Tage' wird er auferweckt
werden." Beachte auch hier, wie die einzelnen Punkte angeordnet sind, denn
unmittelbar danach folgt wieder das Zeugnis, wer Er ist ‑ Er ist der Sohn
Gottes, hoch erhaben über die Menschen, von Dem keine Steuer erhoben werden
konnte, denn Er ist Selbst der Schöpfer und Herr, dem alle Menschen, ja selbst
die Tiere, untertan sind. Doch Er ging hier auf der Erde einen Weg der tiefsten
Erniedrigung und des Gehorsams und unterwarf Sich deshalb auch der Obrigkeit.
Welch ein wunderschönes Zeugnis des Platzes, den Emmanuel auf der Erde einnehmen
wollte.
So nennt Er hier auch für die Kinder, die
wahren Söhne des Königreiches, ähnliche Grundsätze, die gelten würden, wenn Er
nicht mehr unter ihnen wäre. Denn Sein Weg der Erniedrigung und der Leiden ist
das Vorbild für einen jeden im Königreich, der Ihm nachfolgen will. So muß
jemand wie ein Kind werden, den Platz der Unbedeutendheit und Erniedrigung
einnehmen, nicht den des Eigendünkels oder der eigenen Werke, sondern er muß
der Geringste, der Schwächste sein. Für solche würde Platz sein im Königreich,
die nichts von sich selbst halten, sondern die hier den Platz des Dienens
einnehmen, geradeso wie der Herr Jesus, der gekommen war, um das Verlorene zu
retten. Gab es jemanden, der einen niedrigeren Platz eingenommen hat als Er?
Gibt es denn für uns einen anderen Platz im Königreich der Himmel (wie es nun
auf der Erde besteht) als den der Verwerfung und Erniedrigung?
Er, der auf die Erde kam, um zu dienen,
anerkannte über Sich die Autorität des Vaters, der in den Himmeln ist. Und so
hat Er auch den Söhnen des Königreiches eine Instanz der Autorität hier auf der
Erde gegeben. Wenn wir untereinander Schwierigkeiten haben, wenn es etwas gibt
auf dieser Erde, wozu wir eine geistliche Autoritätsinstanz nötig haben, dann
weist der Herr Jesus hin auf das Neue, auf das Herrliche, das Er gegeben hatte ‑
Seine Versammlung. Es gibt für uns im Königreich der Himmel auf der Erde kein
höheres geistliches Autoritätsorgan als die Versammlung Gottes. Und weshalb?
Besteht die Versammlung denn nicht aus Menschen, die von Natur ebenso schwach
und sündig sind wie die übrigen Menschen auf dieser Erde? Wie ist es möglich,
daß die Versammlung Beschlüsse fassen kann, die sogar im Himmel anerkannt
werden? Weil der Herr Jesus, obwohl Er im Himmel sein würde als der "König, der
außer Landes gereist war", doch diese wunderschöne Verheißung gibt, daß Er Seine
persönliche Anwesenheit mit den Gläubigen verbinden würde, wenn sie als
Versammlung zusammen wären. Und das, obwohl Er wußte, daß auch die Versammlung
in ihrer praktischen Verantwortlichkeit versagen würde; Er wußte, wie wenig
Gläubige wirklich die Grundlage der Versammlung einnehmen würden. Deshalb sagt
Er: Selbst wenn es nur zwei oder drei sind, die ihren Platz auf der Grundlage
dieser einen wahren Versammlung einnehmen, deren Mittelpunkt und Haupt Ich bin,
dann verbinde Ich, der Herr im Himmel, Meine persönliche Anwesenheit mit diesen
zweien oder dreien, und ihre Beschlüsse werden so gewichtig sein, daß sie im
Himmel anerkannt werden.
So handelte der Herr in Seiner Gnade und in
Seinem Erbarmen. Die Gleichnisse, die folgen, hat Er gegeben, um auch Israel
dieses Beispiel der Gnade zu lehren. Denn Israel war ein hartnäckiges Volk, das
sich der Werke des Gesetzes rühmte und kein Bewußtsein davon hatte, wie sehr es
auf die Gnade angewiesen war. Im folgenden Gleichnis sehen wir, wie es, geradeso
wie der schuldige Knecht, Gnade von seinem Herrn empfangen hatte. War der
Israelit nicht ebensogut von der Gnade abhängig wie jeder andere? Wieso fühlte
er sich berechtigt, diese Gnade seinem Mitknecht (den Helden) vorzuenthalten,
der weitaus weniger schuldig war als er selbst, der doch das Gesetz geschändet
hatte? Würden es nicht gerade die Völker sein, unter denen der Herr Jesus den
Samen des Wortes ausstreuen und die Er in das Königreich der Himmel einführen
würde? Wie schwierig würde es für den Juden sein, dieses völlig andere, dieses
Königreich in seiner neuen Form, worin sowohl Juden als Helden einen Platz
hatten, anzunehmen und zu verkraften.
Nun folgt Kapitel 19, das wichtig ist,
indem es uns sehen läßt, daß dieses (tatsächlich) völlig neue Königreich nicht
bedeutet, daß die Schöpfungsordnung deshalb verändert wird oder daß die
natürlichen Beziehungen der Menschen sich dadurch ändern. Der Herr stellt hier
gerade die Ehe in ihrer ursprünglichen Würde wieder her, Er zeigt hier das
Verhältnis zu den Kindern in seinem richtigen Charakter und zeigt uns in dem
Bericht über den reichen Jüngling, daß die Lebensordnung im Königreich nicht ein
Festhalten an den Segnungen bedeutet, die Gott für diese Erde gegeben hatte, wie
in Israel, sondern Nachfolge des Herrn Jesus auf dem Weg, den Er hier auf der
Erde gegangen war, einem Weg der Aufopferung, der Erniedrigung und des Kreuzes.
Doch das Ende für diejenigen, die nun im Königreich einen Platz der Erniedrigung
einnehmen, wird sein, daß sie hier (wenigstens was die Zwölfe betrifft) auf
Thronen sitzen und in Herrlichkeit mit dem Herrn Jesus regieren werden. Das ist
der Weg, den Er Selbst ging: zuerst Leiden und Sterben, aber am Ende die
Herrlichkeit des Friedensreiches, wenn Er ‑ wie auf dem Berg der Verklärung ‑
wie die Sonne erstrahlen würde. Das ist der Weg für uns: Nun zu leiden als
Untertanen des Königs in Seinem Königreich und in Kürze Seine Verherrlichung zu
teilen, wenn wir mit Ihm leuchten werden wie die Sonne in dem Reiche unseres
Vaters, wie Kapitel 13, 43 sagt.
So wird es uns hier vorgestellt, und so
finden wir es hier in den Gleichnissen. Die Gleichnisse haben in Matthäus den
besonderen Zweck, uns den Gegensatz zwischen Israel und dem Neuen, das Gott
gegeben hat, dem Königreich der Himmel, der Christenheit, vorzustellen. So ist
es auch hier in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Kap.20). Gott
handelt in Gnade, nicht nach den Normen des Gesetzes, den Normen Israels,
sondern Seine Güte ist ebenso groß für uns, die die Arbeiter der elften Stunde"
sind, für uns, die soviel später als Israel in den Weinberg Gottes eingeführt
sind, die aber nicht zurückgesetzt werden in den Gaben, die Er schenkt. Der Herr
Jesus will Seine Jünger erneut einführen in diese Gnade, indem Er ihnen wiederum
Sich Selbst vorstellt als den Sohn des Menschen, der überliefert werden würde.
Doch selbst Seine Jünger verstanden nichts von Seinem Weg und waren ungläubig
und töricht in ihren Fragen und in ihrem Verstehen. Als Er auf dem Weg zum Kreuz
ist, sprechen sie über den höchsten Platz im Königreich, über Ehre und Ansehen,
während Er über das Trinken des Kelches spricht, Er, der gekommen ist, "um zu
dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele" (Vers 28). Das ist der
Platz von "Gott mit uns", Gott ist in Menschengestalt zu uns gekommen, als
wahrhaftiger Mensch, ja, als Diener.
Doch sogar die, die Ihm folgten inmitten
dieses gottlosen Volkes, unterhalten sich über das Sitzen zu Seiner Rechten und
über die Frage, wer unter ihnen der Größte sei. Sie haben nichts von Seinem Weg
verstanden, auch wenn sie Ihm auf diesem Wege zum Kreuz gefolgt sind.
Hier in Kapitel 20, 29 finden wir den
Beginn des letzten Teiles dieses Evangeliums, das Ereignis, das in jedem der
ersten drei Evangelien den Beginn Seines Weges zum Kreuz markiert, nämlich die
Heilung der Blinden bei Jericho. Wir sehen aufs neue, wie der Herr Jesus, obwohl
das Volk als Ganzes Ihn verworfen hat, dem einzelnen Gläubigen die Güte des
Emmanuel erweist. Und nicht nur das: Wo die Masse Ihn verworfen hat, da sagt
Gott: "Und doch will Ich ein Zeugnis der Menge haben, daß Er der Messias ist,
der König der Juden". So sehen wir das Erstaunliche, wie der Allmächtige ihre
Herzen äußerlich für einen Augenblick verändert und in ihren Mund diesen Ruf
legt: "Hosanna dem Sohne Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des
Herrn!" (Kap. 21).
Wie freudig und glücklich hätten ihre
Herzen sein können, wenn sie das im Augenblick wirklich gemeint und sie Ihn
aufrichtig so empfangen hätten. Herrliche Segnungen wären daraus hervorgegangen.
Doch leider ‑ es war die Aufwallung eines Augenblicks, ein Zeugnis, das Gott
Selbst in Seiner Allmacht ihren Herzen abnötigte im Blick auf Seinen geliebten
Sohn und in Übereinstimmung mit der Prophetie, die über Ihn zu Zion gesagt
hatte: "Siehe, dein König wird zu dir kommen ... demütig, und auf einem Esel
reitend" (Sach 9, 9). So wird Gott in Zukunft nicht nur den Oberrest erlösen,
sondern bewirken, daß alle Kniee in Israel sich vor dem verachteten Jesus, dem
König der Juden, beugen. Dieses Zeugnis wird Gott dann zustande bringen, wie Er
es hier tat. Den wirklichen Zustand aber finden wir unmittelbar darauf. Wieder
sehen wir, wie wunderbar der Heilige Geist hier die Ereignisse zusammenstellt.
Sogleich, nachdem Gott dieses Zeugnis in den Mund Israels gelegt hat, sehen wir
den tatsächlichen Zustand erneut nachdrücklich dargestellt, indem der Herr
Jesus den Feigenbaum, ein Bild von Israel, verflucht, weil keine Früchte daraus
hervorgekommen waren.
Gott läßt in Seiner Vorsehung keinen
einzigen Zweifel darüber bestehen, wie der Zustand des Volkes war; denn wir
sehen im folgenden, wie Er jede der Gruppen des Volkes, vor allem die der
Führer, eine nach der anderen zu dem Herrn Jesus bringt, damit in erster Linie
ans Licht kommt, was in ihren Herzen ist, ihre Verdorbenheit, ihre Ablehnung Ihm
gegenüber, und damit andererseits offenbar würde, was in Seinem Herzen ist,
Seine Vollkommenheit. Zuerst sehen wir die Priester und die Ältesten, die Ihn
fragen, in welcher Autorität Er gekommen sei. Das wagten sie, Ihn zu fragen,
während sie selbst blinde und falsche Führer des Volkes waren, ohne göttliche
Autorität, sie, die zurückbleiben, wenn die Zöllner und Huren, ja, selbst die
verachteten Helden in das Königreich Gottes eingehen, wie der Herr Jesus
unverzüglich deutlich macht in dem Gleichnis von den ungerechten Weingärtnern.
Hielten sie sich für die Weingärtner und stellten dennoch die dreiste Frage nach
Seiner Autorität? Nun, Gott würde ihnen den Weinberg wegnehmen und einem anderen
Volk geben, den verachteten Heiden, die dann die Frucht abliefern würden. Oder
glaubten sie etwa, das Recht zu haben, die Hochzeit des Königssohnes
mitzuerleben? Weshalb hatten sie dann die Einladung Gottes ausgeschlagen
während des Lebens des Herrn, ebenso wie sie es danach tun würden? Sie haben
nicht gewollt, und Gott würde ihre Stadt in Brand stecken, wie Er das im Jahre
70 getan hat (Kap. 22). Gottes Zeugnis ist gekommen, nicht zu diesen blinden
Führern, sondern zu den Sündern und Zöllnern, zu denen, die an den Kreuzwegen
der Landstraßen sind und die dann das christliche Zeugnis bildeten. Leider wird
hier, kennzeichnend für Matthäus, in Kapitel 22, 10 gesagt, daß auch dieses
Zeugnis aus Bösen und Guten bestehen würde, und so ist es auch mit der
Christenheit geworden; und doch würde es auch die Guten geben, die eingeführt
werden in den Hochzeitssaal des Königs, wo die Führer außerhalb stehen.
Die zweite Gruppe wird in der Vorsehung
Gottes zu Ihm geführt: die Pharisäer und die Herodianer versuchen, Ihn in eine
Falle zu locken in Seinem Verhältnis bezüglich der Obrigkeiten, also der
Besatzungsmacht. Und aufs neue sehen wir ihre Torheit und die Vollkommenheit
des Herrn Jesus, der ihnen deutlich macht, daß sie selbst sich unter das Joch
fremder Herrschaft gebracht hatten, indem sie das Bildnis des römischen Kaisers
auf ihre Münzen prägten. Eine dritte Gruppe kommt zu Ihm: die Sadducäer. Gott
will einen deutlichen Beweis von der Bosheit jeder Schicht des Volkes geben, und
zwar in ihren Führern. Die Sadducäer wagen es, mit ihrem törichten Unglauben
über die Auferstehung zu Ihm zu kommen. Doch der Herr in Seiner Vollkommenheit
zeigt ihnen, daß Gott ein Gott der Lebenden ist und nicht ein Gott der Toten.
Nachdem nun jede Gruppe ihre Torheit
gezeigt hat, hat der Herr Jesus das letzte Wort. Er fragt nach seiner eigenen
Herrlichkeit (Vers 41): "Was dünkt euch von dem Christus?" ‑"Nun habt ihr alle
eure Weisheiten erzählt, was dünkt euch nun von dem Christus? Wer ist Er?" Und
dann zitiert Er das Wort aus Psalm 110, wo Gott den Messias auffordert, Sich zu
Seiner Rechten zu setzen, bis Gott die Erde zum Schemel Seiner Füße gemacht hat.
Das ist eine der merkwürdigsten Prophezeiungen, weil es in der Tat die einzige
Stelle im Alten Testament ist, wo wir davon lesen, daß der Herr Jesus jetzt als
verherrlichter Mensch im Himmel zur Rechten Gottes sitzt. Genau das ist es, was
der Herr den Obersten vorstellt. "Wer ist Er, von dem David sagt: Er ist mein
Herr'?" Ja, Er ist sicherlich auch der Sohn Davids, doch der Herr macht
deutlich, daß Er, den sie als solchen, als Sohn Davids, bereits verworfen
hatten, in Wirklichkeit sogar noch viel mehr war als das, denn Er war Derjenige,
den David "Herr" nannte, Derjenige, den Gott zu Seiner Rechten setzen würde.
Hatten sie den Sohn Davids verworfen? Nun, sie würden den Sohn des Menschen
sitzen sehen zur Rechten Gottes im Himmel. Nachdem sie ihren Unglauben offen
ausgesprochen hatten, sagt der Herr Jesus gleichsam, daß Seine eigene
Herrlichkeit (als Herr Davids, als Sohn des Menschen) noch viel größer ist als
die niedrigere Herrlichkeit, die sie bereits verworfen hatten.
Das führt dazu, daß der Herr in Kapitel 23
völlig darlegt, was in dem Herzen des Volkes war, nun ohne jede Einschränkung,
ohne daß Er als Emmanuel Gnade erwies; nun sehen wir das radikale Urteil, denn
es gibt keinen einzigen Grund mehr, etwas zurückzuhalten, weil der Zustand des
Volkes völlig bloßgelegt ist. Wir sehen, wie Er dem Volk ankündigt, daß Er
nichts mehr mit ihnen zu tun hat, wie sogar ihr Heiligtum in Jerusalem ihnen
wüst gelassen wird, bis zu dem Augenblick, wo die Gnade wieder anbricht, denn
die Beiseitesetzung war keine endgültige Sache. Gott gibt Seine Verheißungen
nicht preis, denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar. Aber
der Herr Jesus bleibt Israel fern, wie es bis heute noch immer der Fall ist, bis
zu dem Augenblick, wo sie aus sich selbst mit einem wahrhaftig bekehrten Herzen
sagen: "Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Darauf wartete der Herr
Jesus, und deshalb kündigt Er ihnen an, daß Er warten würde bis zu dem
Augenblick, wo ein gläubiger Oberrest gefunden wird.
Das bringt den Herrn zu der wunderbaren
Rede, die wir in den Kapiteln 24 und 25 finden. Er hat soeben angekündigt, daß
Er fortgehen würde, aber auch, daß Er zurückkommen wird und dann von dem
Oberrest empfangen werden wird, den wahren Untertanen des Königreiches der
Himmel. In den folgenden zwei Kapiteln sehen wir nun, wie der Herr Seine
Untertanen zubereitet. Das ist eigentlich ein ergreifender Gedanke! Er ist auf
dem Weg zum Leiden, zum Kreuz, und auf dem Weg, zu Gott zurückzukehren und Sich
zu Seiner Rechten zu setzen und Seine Jünger, Seine Treuen, zurückzulassen. Und
nun beschäftigt Er Sich in dieser ausführlichen Rede mit ihnen, um ihre Herzen
zu erwärmen, daß sie in der langen Zeit Seiner Abwesenheit auf Ihn warten. Doch
was ist der traurige Inhalt dieser Rede? Untreue. Zuerst spricht der Herr zu dem
Oberrest Israels, der verfolgt und bedrängt werden wird inmitten eines
gottfeindlichen Volkes, ja (in der Endzeit) unter der abscheulichen Regierung
des Antichristen. Der Herr wird bald jedoch in Gnade auf sie herniedersehen und
gibt ihnen den Schlüssel dazu, daß sie sich doch freuen können, nämlich indem
sie auf Ihn warten. Denn Er wird zurückkehren; das Zeichen des Sohnes des
Menschen wird in dem Himmel erscheinen! Es wird das Ende der gegenwärtigen
Haushaltung sein und der Anfang der Segnungen Seines Friedensreiches, wenn Er
die Auserwählten versammeln und die Gottlosen ausrotten wird wie in den Tagen
Noahs.
Doch der Herr richtet Sich nicht nur an den
Oberrest Israels. Im Folgenden spricht Er über die wahren und falschen
Gläubigen innerhalb der Christenheit (24,45 ‑ 25, 30). Worin liegt unser Segen
auf der Erde? Nun, es ist wieder dasselbe ‑. In dem Warten auf das Kommen des
Sohnes des Menschen. Das, was Er dem Oberrest als Trost vorstellt, ist auch die
Erwartung der Christen. Ja, es würde gerade Niedergang in der Christenheit
bedeuten, wenn sie diese Hoffnung verlieren und sagen würden: "Mein Herr
verzieht zu kommen" (Vers 48). Doch dann sehen wir in dem Gleichnis der zehn
Jungfrauen, daß der Herr in der Endzeit ein Zeugnis gibt, um die Herzen der
Christen wieder aufzuwecken, damit sie Ihn erwarten. Und in dem letzten
Gleichnis entfaltet Er, daß sogar aller Dienst, den sie für Ihn ausüben, in
Verbindung mit der Tatsache steht, daß Er kommen und sie in die Segnungen
einführen wird. Wie schön ist es, den Herrn hier schon vor zweitausend Jahren so
auf der Erde zu sehen und zu hören, wie Er jede denkbare Gruppe von Gläubigen,
die es geben würde, anspricht: (1) zuerst die aus Israel: den Oberrest der
Zukunft (Kap. 24, 1‑44), (2) danach die Christen, die Gläubigen dieser Zeit
(Kap. 24, 45‑25, 30) und (3) danach auch noch die Gläubigen aus den Völkern (ab
Kap. 25, 31), die in der Endzeit bekehrt werden aufgrund der Verkündigung des
Evangeliums des Reiches durch gläubige Juden (Kap. 24, 13). Sie alle werden
hingewiesen auf das Kommen Christi, denn dieses Kommen wird alles entscheiden
und zustande bringen, und dieses Kommen wird die Segnungen des Friedensreiches
und den Lohn mit sich bringen.
Nachdem der Herr Jesus so Seine Jünger
vorbereitet hat im Blick auf die Zukunft, beginnt Er Seinen letzten Weg zum
Kreuz. Doch nun schenkt Gott Ihm, bevor Er Ihn in diese schreckliche Stunde
bringt, die wunderbare Gemeinschaft mit den Seinen. Wir sehen, wie der Herr
inmitten eines Volkes voller Haß und Unverständnis (sogar bei den Jüngern)
Zuneigung findet bei dieser einen Frau, die ihren König salbt, die die Narde auf
Sein Haupt ausgießt; nicht auf die Füße wie in Johannes, sondern auf das Haupt,
denn sie salbt ihren König. Was für ein König ist es, den sie salbt? Der Herr
sagt: "Sie hat es zu meinem Begräbnis getan"! Wie herrlich war das für Ihn, im
Herzen dieser Frau Mitgefühl zu entdekken. Sie hat etwas empfunden von der
Tatsache, daß Er zwar der König war, aber daß Er ein gestorbener und begrabener
König sein würde.
So schenkt Gott Ihm auch die kostbaren
Stunden mit Seinen Jüngern, wo der Herr mit ihnen das Abendmahl feiert, das hier
in treffender Weise wieder den Hauptzug des Matthäus-Evangeliums enthält. Der
Herr sagt, daß Er Sich Selbst in den Tod geben würde; Leib und Blut würden
voneinander getrennt werden, und das Blut des neuen Bundes würde für viele zur
Vergebung der Sünden vergossen werden. Wir sehen, wie das Ende wieder an den
Anfang anknüpft. Er war gekommen, um Sein Volk von ihren Sünden zu erlösen. So
hatte der Engel Ihn angekündigt. Doch das Volk hatte Ihn verworfen, und die
Gnade hatte sich zu den Völkern ausgebreitet. Der Same würde über die ganze
Welt ausgestreut werden, und wenn der Herr nun auch in Kürze Sein Werk
vollbringt, dann wird Sein Blut nicht allein für Sein Volk, sondern für v i e 1
e zur Vergebung der Sünden vergossen. So wird Er zum Kreuz gehen als das wahre
Schuldopfer; so zeigt Ihn gerade Matthäus, als Den, der die Sünden des Volkes
getragen hat und dazu auf dem Kreuz von Gott verlassen wurde.
Wie ergreifend, hier den Herrn Jesus,
bereits von der Untreue Seiner Jünger überzeugt, auf dem Weg nach Golgatha zur
Stätte des Gerichts gehen zu sehen. Zuvor findet da noch die schreckliche
Begegnung mit Satan in Gethsemane statt; er stellt Ihm den Kelch der Leiden in
all seiner Furchtbarkeit vor. Oh, der Satan hatte Ihm anfangs vorgeschlagen,
dem allen zu entgehen und vor ihm niederzufallen; doch der Herr hatte Sich
geweigert. Und nun sehen wir, wie Satan erneut kommt und Ihm vorstellt, was die
Alternative war: der furchtbare Kelch, den Er trinken mußte. Der Herr Jesus legt
alles dem Vater vor; ob es wohl eine Möglichkeit gab, daß das Ziel erreicht
werden könnte, ohne daß Er den Kelch trinken mußte? Aber Er sagt: "Mein Vater,
wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen kann, ohne daß ich ihn trinke, so
geschehe dein Wille." Es gab keinen anderen Weg, "denn er wird sein Volk
erretten von ihren Sünden." Er ist nicht nur der Emmanuel, der den Kranken und
Schwachen Gnade erweist, Er steht im Begriff, das Volk zu erretten von ihren
Sünden und Sein Blut zu vergießen, ja, zur Erlösung vieler.
So geht Er diesen Weg. ER allein erstrahlt
in makelloser Vollkommenheit, Er, der König der Juden. Nun werden sogar die
Jünger Ihn im Stich lassen und von Ihm fliehen. Nun werden die Hohenpriester
zeigen, wer sie sind und wer Er ist, und sie werden Ihn verurteilen; nicht, weil
Er ein Aufrührer oder ein Missetäter ist ‑ sie werden Ihn verurteilen aufgrund
Seines eigenen Zeugnisses. Die einzige Anklage, die sie gegen Ihn haben, ist,
was Er Selbst vor dem Hohenpriester bezeugt, der ihn fragt: "Bist du der
Christus, der Sohn Gottes?" Das ist der Kernpunkt in diesem ganzen Evangelium:
"Bist du der Messias, der von Gott aus der Jungfrau erweckte Sohn?" Schon das
lehnten sie ab, erst recht aber die noch größere Herrlichkeit, auf die der Herr
auch hier direkt hinweist: Das ist Meine Herrlichkeit als Messias. Doch es gibt
eine Herrlichkeit, die ihr weder kennt noch versteht und die weit darüber
hinausgeht: Ihr werdet den Sohn d e s M e n s c h e n sehen, den Sohn aus Psalm
8; nicht allein den König über Zion, sondern den Sohn des Menschen, der über die
ganze Schöpfung gestellt werden wird; ihr werdet Ihn sitzen sehen zur Rechten
Gottes in der Höhe (vgl. Ps 110) und wiederkommen sehen auf den Wolken des
Himmels! Sie haben nicht nur den Messias verworfen ‑ den Sohn des Menschen haben
sie verworfen, der zur Rechten Gottes verherrlicht werden wird, und auf Sein
Bekenntnis hin haben sie Ihn verurteilt.
So werden ihre Herzen gründlich offenbar.
Nicht nur die Herzen der Hohenpriester, auch die Verleugnung durch die Jünger
und die falsche Reue des Judas, alles kommt ans Licht. Ja, selbst das Herz des
Statthalters, der rechtmäßigen Obrigkeit (er wird nicht umsonst gerade hier so
häufig "der Statthalter" genannt). Israel befand sich durchaus nicht im
Friedensreich, sondern unter einem fremden Herrscher, und auch er hilft mit,
den wahren König umzubringen. Gerade in diesem Evangelium spricht er zu den
Juden über "Jesus, weicher Christus genannt wird" (27, 22). Nachdrücklich stellt
er fest, daß sie den Messias, den König der Juden, verwerfen werden! Wenn es um
das kostbare Blut geht, das zur Vergebung der Sünden vieler fließen würde, dann
sagen sie: "Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder." Gibt es einen
stärkeren Beweis ihrer Verdorbenheit und Unwissenheit über ihren Zustand, als
daß sie das Blut des Gerechten auf sich herabzurufen wagen? Doch andererseits:
Sind die Heiden besser? Betrachte die Soldaten, die Ihn gegeißelt haben (das war
ihnen noch befohlen worden), aber die ihn auch verspottet haben als König der
Juden, gerade als Denjenigen, der Er wirklich war, und die Ihn mit ihrer
Dornenkrone (ein Bild des Fluches über die Erde) gepeinigt haben.
So wird Er nach Golgatha gebracht, zum
Kreuz mit der sonderbaren Aufschrift, die Gott in Seiner Vorsehung bewirkt
hatte, daß die ganze Erde nicht daran zweifeln sollte, wer dort am Kreuz hing:
Emmanuel, der König der Juden. So war Er gekommen, und so wurde Er verworfen ‑
verworfen von Seinem Volk, verlassen von Seinen Jüngern; und schließlich:
verlassen von Gott in den drei angstvollen Stunden der schrecklichen Finsternis.
Hier bewundern wir Ihn als Schuldopfer, als Den, der Sein Volk von ihren Sünden
erlösen sollte, indem Gott die Sünden der Israeliten, die sich bekehren würden,
ja, aller derer, die an Ihn glauben würden, auf den Herrn Jesus gelegt hat. Und
als dort Er, der Reine, der Heilige, von Dem Gott zweimal bezeugt hatte, daß Er
an Ihm Sein Wohlgefallen gefunden hatte, beladen wurde mit unseren Sünden, da
mußte ein heiliger und gerechter Gott Sein Angesicht von Ihm abwenden, und der
Herr mußte ausrufen: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Das
war die schrecklichste Folge Seines Verlangens, Sein Leben als Lösegeld zu geben
für viele.
Doch dann sehen wir die Antwort Gottes! Als
der Herr mit lauter Stimme schrie und den Geist aufgab (womit Er bewies, daß Er
nicht durch Erschöpfung gestorben ist), trat Gott mit Seinem Zeugnis auf den
Plan. Mit einer Geste rechnet Er mit dem jüdischen System ab, indem der Vorhang
im Tempel zerreißt; Er zeigt unmittelbar die Frucht des Werkes des Herrn: die
Gräber vieler entschlafener Heiliger werden geöffnet, und sie werden auferweckt
nach der Auferstehung des Herrn Jesus. Ja, Gott wirkt Sich Selbst ein Zeugnis,
nicht aus dem Mund Israels, sondern aus dem eines heidnischen Hauptmanns, der
sagt: "Dieser war Gottes Sohn."
Gott erfüllt weiterhin die Prophezeiung,
daß der Herr in Seinem Tode bei einem Reichen ist. Joseph wird lediglich hier
11 reich" genannt. Alles wird erfüllt, was Gott in Seinem Wort Über den Herrn
Jesus angekündigt hatte, über Ihn, der einerseits der König der Juden, der
Messias, der Emmanuel ist, und andererseits das Schuldopfer, der leidende Knecht
des Herrn, der gerade durch Seinen Sühnungstod und Seine Auferstehung eine
wunderbare Grundlage gelegt hat, aufgrund derer Gott doch die Verbindungen mit
Seinem Volk wieder anknüpfen kann in einer Weise, die niemals möglich gewesen
wäre, wenn der Herr nicht verworfen worden und zum Kreuz gegangen wäre. Denn nun
werden sie nicht nur die Segnungen des Friedensreiches empfangen, sondern ihre
Sünden werden weggenommen werden.
Das 28. Kapitel ist vielleicht eines der
merkwürdigsten Kapitel dieses Evangeliums. Wir finden hier nicht die
Himmelfahrt des Herrn; obwohl Matthäus selbst dabei gewesen ist, hat der
Heilige Geist ihn inspiriert, nicht darüber zu berichten. Denn es geht hier
nicht darum, daß der Herr nun im Himmel ist, sondern daß Er durch Sein Werk auf
dem Kreuz eine Grundlage gelegt hat für völlig neue Beziehungen Gottes zu den
Treuen, dem Oberrest Seines Volkes Israel. Und so sehen wir, wie der Herr Jesus
hier in die Arme dieses Überrestes zurückkehrt. Er sagt hier nicht wie in
Johannes: "Rühre mich nicht an", denn dort war der Herr als der Sohn auf dem Weg
zum Vater. Hier kommt der Herr zurück und übergibt Sich den Treuen Seines
Volkes, und sie umfassen Seine Füße, weil Er zu ihnen zurückgekehrt ist, und
huldigen Ihm; und Er läßt das zu, denn das ist der Platz, den Er fortan
einnehmen will: inmitten der Treuen Seines Volkes. Deshalb geht Er hier nach
Galiläa, nicht nach Judäa, sondern an den Platz, wo die Armen und Geringen des
Volkes waren, die Ihm gefolgt waren und die an Ihn geglaubt hatten. Und dort
erscheint Er auf dem Berg, wo Er einmal die Grundsätze des Königreiches
bekanntgemacht hatte, wo Er zweitens die messianischen Segnungen geschenkt
hatte, wo Er drittens von den drei Jüngern in der Herrlichkeit des
Friedensreiches gesehen worden war; nun ist Er hier zum vierten Mal bei ihnen,
um sie auszusenden, damit sie ihr Zeugnis ablegten bis an die Enden der Erde,
ein Zeugnis von Ihm, dem Gott alle Macht gegeben hat im Himmel und auf Erden.
Nachdem Er als der Sohn Gottes (Ps 2) verworfen war, beruft Gott Ihn (Ps 8) als
Sohn des Menschen über die ganze Schöpfung und unterwirft alle Dinge Seinen
Füßen.
So dürfen die Jünger bis an die Enden der
Erde ausgehen, um Menschen mit dem Messias in Verbindung zu bringen, dessen
Gnade sich nun zu allen Völkern erstreckt, damit sie alle Ihm hingebungsvoll
dienen, als getaufte Jünger Ihm nachfolgen und bewahren, was Er ihnen geboten
hat. So ist es in unseren Tagen, und so wird es fortgehen, bis Er wiederkommt
und tatsächlich Seine Herrschaft über diese Erde antritt. Solange das noch nicht
der Fall ist, gibt Er uns Sein letztes Trostwort mit. So wie Er uns in den
Kapiteln 24 und 25 auf Sein Kommen als das Ende dieser Haushaltung hingewiesen
hatte, als das, worauf unsere Herzen warten sollten, so sagt Er hier als Trost,
daß Er, obwohl Er abwesend ist, bei uns sein wird bis zur Vollendung des
Zeitalters, d. h. bis zum Abschluß dieser Haushaltung, in der sich die Treuen
nun auf der Erde ohne den Herrn befinden. Er, der Emmanuel, "Gott mit uns", der
in Gnaden inmitten Seines Volkes erschienen war und der als der tief erniedrigte
Mensch auf dem Kreuz die Sünden vieler getragen hat, wofür Er sogar von Gott
verlassen werden mußte, damit Er Seine Versammlung besitzen könnte, dieser Herr
wird bei uns und bei dem zukünftigen Oberrest Israels sein bis zum Ende der
Tage. Weich ein Vorrecht, jetzt schon zu der Versammlung gehören zu dürfen;
welch ein Vorrecht, Ihn, der sie erkauft hat, so kennen zu dürfen.
Zu Recht haben wir voriges Mal mit Matthäus
begonnen, nicht nur, weil es das erste Evangelium des Neuen Testamentes ist,
sondern auch, weil es deutlich der Obergang zwischen dem Alten und dem Neuen
Testament ist. Es stellt uns den Messias vor, der im Alten Testament angekündigt
war und der nun gekommen ist und die Schriften erfüllt hat. Wenn wir nun von
Matthäus (dem längsten der vier Evangelien) zu Markus kommen, dann könnten wir
auf den ersten Blick etwas enttäuscht sein. Markus ist dem Umfang nach das
Stiefkind unter den Evangelisten. Sein Evangelium erreicht noch nicht einmal
zwei Drittel des Matthäus-Evangeliums. Sehr viele beliebte Stellen aus Matthäus
werden wir in Markus nicht antreffen. Wir könnten sogar auf den Gedanken
kommen, daß das, was wir in Markus finden, nichts Neues ist, weil wir das ja
bereits in Matthäus gelesen haben. Doch wenn wir das dächten, würden wir nicht
nur Markus, sondern auch dem Heiligen Geist Unrecht tun, der uns kein Evangelium
gegeben hat, das eigentlich überflüssig ist, weil es nur aus Wiederholungen
besteht. Und das ist übrigens auch nicht wahr, denn es steht vieles in Markus,
das wir nicht bei den anderen finden; und vor allem schreibt Markus das, was er
berichtet, in einer völlig eigenen Weise. Er gibt eine gänzlich eigene
Darstellung der Person des Herrn Jesus, wie keiner der anderen Evangelisten das
tut.
Wie beim vorigen Mal will ich auch hier
nicht das ganze Evangelium behandeln, sondern es nur überfliegen und dabei das
beleuchten, was im besonderen zeigt, welche Seite der Herrlichkeit Christ! der
Heilige Geist uns vorstellen will. Es Ist allgemein bekannt, daß wir den Herrn
Jesus In Markus als den Diener beschrieben finden, als Denjenigen, der im
Auftrag Gottes kommt, um einen Dienst auf der Erde auszuüben, im besonderen an
dem Volk Israel. Doch es ist durchaus nicht allgemein bekannt, woran denn nun
ersichtlich ist, daß der Herr Jesus hier besonders der Diener ist. Das Wort
bedeutet, daß Er als solcher nicht aus Sich Selbst irgendeine Bedeutung hat,
sondern Seine Würde Dem entlehnt, der Ihn gesandt hat. Gott wollte Sich in
diesem Menschen auf der Erde offenbaren; Er kommt mit einem Dienst im Auftrag
Gottes, denn Gott war Sein Meister. Der Dienst des Herrn Jesus, den wir hier
finden, besteht daher auch nicht in erster Linie darin, Wunder zu vollbringen,
die Seine Person verherrlichen (wie gerade in Matthäus), sondern ,darin, das zu
sagen, was Ihm aufgetragen war. Die Person des Dieners tritt immer zurück vor
dem Dienst, den Er ausübt. Der Herr richtet die Aufmerksamkeit nicht auf Sich
Selbst, sondern auf das Wort, das Er predigt, ja, auf den Gott, den Er in diesem
Wort vorstellt.
Deshalb lernen wir nicht nur aus dem, was
Markus uns berichtet, sondern auch aus dem, was er uns nicht berichtet. Markus
beginnt nicht damit, uns die Abstammung des Herrn mitzuteilen, denn es ist nicht
wesentlich, von wem ein Diener abstammt. Für Matthäus, der uns den Messias
vorstellt, ist das gerade von großer Bedeutung; er mußte beweisen, daß der Herr
aufgrund Seiner Abstammung der Sohn Davids war, für Lukas ist es notwendig zu
zeigen, daß der Herr durch Seine Abstammung von Adam vollkommener Mensch war,
und Johannes muß uns zeigen, daß der Herr Jesus dieselbe Person ist wie das
Wort Gottes, das von Ewigkeit bei dem Vater war. Doch für einen Knecht ist das
nicht bedeutsam. Wir finden hier keine Abstammung, keine Geburt, keine Jugend.
Wir finden hier das Werk eines Dieners; und alles, was nicht damit in
Verbindung steht, wird beiseite gelassen. Wir lesen auch nicht, daß der
Evangelist (im Unterschied zu dem Herrn Selbst) Prophezeiungen anführt, um uns
zu zeigen, wer der Herr Jesus ist, mit Ausnahme ‑ und das ist merkwürdig! ‑ in
den ersten drei Versen. Hier zeigt der Heilige Geist uns zwei Seiten: Auf der
einen Seite geht es um die frohe Botschaft, das Evangelium Jesu Christi, des
Sohnes Gottes. Und auf der anderen Seite: Auch wenn Er der niedrige Diener ist,
will der Heilige Geist, daß wir von Anfang an e 1 n s gut verstehen (und danach
spricht Er sehr wenig mehr darüber, um erst ganz am Ende wieder darauf
zurückzukommen), nämlich daß dieser niedrige Diener, der nichts aus Sich Selbst
hat und nichts sein will, gleichzeitig Gott Selbst ist.
Das kommt hier auf sehr bemerkenswerte
Weise zum Ausdruck. Zuallererst wird Maleachi angeführt: "Siehe, ich sende
meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg bereiten wird." Doch in
Maleachi steht tatsächlich: "Siehe, ich sende meinen Boten, daß er den Weg
bereite vor mir her." Dort sagt Jehova, daß der Vorläufer, also Johannes der
Täufer, der Bote Gottes Selbst sein würde. Hier sehen wir nun, wie der Heilige
Geist dieses anführt, aber es anwendet auf den Herrn Jesus und sagt: "Siehe,
ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht
her." Das ist kein Gegensatz, sondern es beweist einfach, daß der niedrige
Diener auf der Erde Gott Selbst war. Und das beweist auch die zweite
Prophezeiung: "Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg (des)
Herrn, machet gerade seine Steige!" Johannes der Täufer war ein großer Prophet;
der Herr nennt ihn den größten derer, die von Frauen geboren sind. Doch
verglichen mit Ihm, den er ankündigen mußte, war Johannes nichts, war er
lediglich eine Stimme in der Wüste. Und wen mußte die Stimme ankündigen?
Niemanden weniger als "(den) Herrn", ohne Geschlechtswort, was auf den Namen
Jehovas hinweist (vgl. Fußnote in der E. 0. zu Mt 1, 22). Der Weg des Herrn
mußte bereitet werden, denn Gott der Herr kam zu Seinem Volk.
So muß der Vorläufer Ihn ankündigen. Doch
als Er kommt, sehen wir nichts anderes als einen demütigen Diener. In Vers 3
steht: " . . . machet gerade seine Steige!" Das Wort "gerade" ist im
Griechischen dasselbe wie das Wort "alsbald", das wir etwa vierzigmal so
kennzeichnend in diesem Evangelium finden und das uns die Promptheit, die
Bereitwilligkeit zeigt, mit der der Herr Jesus diesen Dienst ausübt. Es wird
hier um einen "geraden" Weg für Gott gebeten, doch Derjenige, der kommt, um
darauf zu wandeln, ist ein abhängiger und gehorsamer Diener, der Seinerseits
"alsbald" handelt, entsprechend allem, was Gott Ihm aufträgt. Gott wird ein
Diener Gottes ‑ wie erstaunlich! Und wir wer131 den sehen, wie der Herr in
wunderbarer, demütiger Weise in allem vollkommen abhängig von Dem ist, der Ihn
gesandt hat.
Zuerst werden dem Vorläufer kurz einige
Worte gewidmet, nicht mehr, denn das Thema ist der Dienst des Herrn Selbst. Wir
ersehen das auch aus dem, was Johannes sagt; er sagt hier nicht: „Tut Buße, denn
das Reich der Himmel ist nahe gekommen." Darum ging es in Matthäus:
anzukündigen, daß der König kam und mit Ihm ein himmlisches Königreich. Hier
jedoch geht es darum, daß ein Volk zur Bekehrung und zur Buße kommen und seine
Sünden vor Gott bekennen muß, darauf liegt hier der Nachdruck. Denn wenn wir
sagen, daß der Herr Jesus der Diener ist, dann können wir das auch anders
ausdrücken: Er ist der vollkommene Prophet. Er ist natürlich mehr als das, doch
Er ist auch der größte der Propheten. Er war der letzte, der größte Prophet,
bereits von Moses in 5. Mose 18 angekündigt: der Prophet, auf den Seine Brüder
hören sollten. Und was ist die Aufgabe eines Propheten? Das Volk Gottes zu Gott
zurückzubringen: ihm seine Sünden bewußt zu machen, damit es sie bekennt und
sich zu Gott bekehrt. Das ist es, was Johannes hier als der Vorläufer des
großen Propheten verkündigt, und dazu tauft er sie, um sie für das Kommen des
Messias vorzubereiten, der der größte Prophet war, hoch erhaben über Johannes.
Nur hier finden wir deshalb in Vers 7 das Wort: "Dessen ich nicht würdig bin,
ihm gebückt den Riemen seiner
Sandalen zu lösen." Er würde ein Prophet sein, gerade wie Johannes, doch einer,
Dem dieser die größte Ehrerbietung schuldete. Und nur hier in Vers 10 (nicht in
anderen Evangelien) steht das Wort: " . . . sah er die Himmel sich teilen . . .
", als ob Gott mit Gewalt die Himmel öffnete, um so zu verkündigen, daß dieser
Prophet gleichzeitig Sein geliebter Sohn war.
Doch dann finden wir bei dem Herrn Jesus,
nachdem Gott dieses gewaltige Zeugnis von Ihm bekundet hatte, doch nichts
anderes als tiefe Demut und Bereitwilligkeit, den Dienst auszuüben. Unmittelbar
nach der sehr kurzen Einleitung wird dieser Dienst beschrieben. Johannes ist
überliefert (Vers 14), und der Herr predigt das Evangelium, nicht des
Königreiches der Himmel, sondern des Königreiches Gottes, eine mehr allgemeine
Andeutung des Bereichs, wo Gott Seine Regierung in den Herzen Seines Volkes
ausübt. Der Herr sagt als der vollkommene Diener bei dieser Gelegenheit Worte,
die wir anderswo nicht finden: "Die Zeit ist erfüllt" (Vers 15). Es ging nicht
darum, daß Er als der Diener die Zeit für reif erachtete; nicht Er beschloß,
sondern Der, der Ihn gesandt hatte ‑, Gott hatte Ihn gesandt und bewies damit,
daß die Zeit erfüllt war und der Dienst beginnen mußte.
Doch nun finden wir in den folgenden Versen
etwas, was sehr charakteristisch für dieses Evangelium und sehr bedeutungsvoll
für uns ist. Dieses Evangelium hat solch einen besonders praktischen Wert für
uns, weil wir hier nicht nur den Dienst des Herrn beschrieben finden, sondern
auch, wie Er, der vollkommene Diener, Seinerseits Diener beruft und zubereitet,
damit sie in Seine Fußspuren treten. Wir sehen durch das ganze Evangelium hin:
der Herr weiß, daß Sein Dienst kurz sein wird, daß Er diese Erde wieder
verlassen wird und wie dann Jahrhunderte folgen, in denen andere Seinen kurzen
Dienst fortsetzen müssen. So ist es auch hier mit der Berufung der Jünger:
zuerst Simon und Andreas (Vers 16) und dann Jakobus und Johannes (Vers 19). In
Johannes 1 sehen wir deutlich, daß die erste Bekanntschaft ganz anders
verlaufen war: Zuerst hatten zwei Jünger von Johannes dem Täufer den Herrn
getroffen, nämlich Andreas und (ich vermute) Johannes, der Schreiber selbst.
Danach hatte Andreas seinen Bruder Simon mit dem Herrn bekannt gemacht; doch in
Johannes geht es auch nicht um den Dienst, sondern um das Bekanntwerden mit Ihm,
der das Wort des Lebens ist, das uns geoffenbart worden ist. Hier in Markus
handelt es sich um einen späteren Zeitpunkt, nämlich, daß diese vier Männer
nicht nur Bekanntschaft mit dem Herrn machten, sondern zum Dienst berufen
wurden. So sagt der Herr hier in Vers 17: "Kommet mir nach, und ich werde euch
zu Menschenfischern machen." Darauf liegt hier der Nachdruck. Und deshalb wird
nur hier (Vers 20) so ausführlich beschrieben, was sie verließen: "Und sie
ließen ihren Vater Zebedäus in dem Schiffe mit den Tagelöhnern und gingen weg,
ihm nach." Das ist das Los des Dieners: alles hinter sich lassen, alle Vorrechte
preisgeben, die er bis zu diesem Zeitpunkt genießen konnte, um nur in den Dienst
des Meisters zu treten und Ihm nachzufolgen in der Ausübung des Dienstes.
Daraufhin sehen wir, wie der Herr Jesus den
Dienst beginnt. Der erste Teil Seines Dienstes (Kap. 1, 21‑3, 6) umfaßt den
allgemeinen Dienst an Israel, er richtet sich an das ganze Volk als solches. Der
Evangelist beschreibt diesen Dienst anhand von sieben Wundern, die Seinen Dienst
bestätigen mußten und zugleich den Zustand des Volkes zeigten. Dabei ist es gut,
zu beachten, daß Markus im Unterschied zu den anderen Evangelisten uns am
genauesten die Reihenfolge der Ereignisse gibt, wie sie wirklich stattgefunden
haben. Matthäus tut das nicht: er fügt Ereignisse in einem Kapitel zusammen, die
zu sehr verschiedenen Augenblicken stattgefunden haben, um so in einem
Zusammenhang eine bestimmte Seite der Herrlichkeit des Messias zu schildern.
Lukas tut das ebenfalls in bezug auf Ihn als Sohn des Menschen. Doch Markus
zeigt uns den Fortgang des Dienstes, den der Herr als Diener auf der Erde
verrichtete, und hat deshalb keinen Grund, die Ereignisse in ihrer Reihenfolge
zu verändern. Daran erkennen wir die Freiheit des Heiligen Geistes, zu
gebrauchen, wen er will. Matthäus, der Jünger, der alles miterlebt hatte und
also die richtige Reihenfolge kannte, wird nicht gebraucht, um sie
wiederzugeben, sondern Markus, der nicht dabei war, tut das unter der Leitung
des Heiligen Geistes sehr wohl. Das will nicht heißen, daß Markus vollständig
ist ‑ wir finden gerade hier häufig eine Auswahl.
Als erstes also die sieben Wunder als eine
Beschreibung des allgemeinen Dienstes in Israel. Das erste ist die Heilung von
dem unreinen Geist in der Synagoge, der uns die Macht Satans inmitten des
Volkes sehen läßt und zugleich auch die Weise, in der der Diener damit handelt.
Wir lesen in Vers 22, daß Er lehrte wie jemand, der Gewalt hat. Nicht die Wunder
hatten das Hauptgewicht, sondern die Predigt des Wortes; Er kam mit göttlicher
Autorität und mit Macht, wie die Propheten des Alten Testamentes, doch
andererseits auch als Jemand, dessen Wort bestätigt wurde durch Wunder, wie
ehemals bei Moses, Elias und Elisa. So sehen wir, daß Er nicht nur in Worten
Gewalt hat, sondern auch Macht, dem Teufel zu widerstehen, den unreinen Geist
auszutreiben. Im zweiten Wunder sehen wir auch die Krankheit, die den Menschen
kraftlos machen kann ‑ ein Bild von der Macht der Sünde im Menschen; der Herr
vertreibt hier das Fieber bei der Schwiegermutter des Petrus. Ja, Er erstreckt
Seinen Dienst auf alle diejenigen, die zu Ihm kommen (das dritte Wunder; Verse
32‑34). Als Diener war Er völlig bereit, überall, wo Gott Ihn rief, Seinen
Dienst auszuüben. Und wie? Wir lesen in Vers 34 wieder etwas Einmaliges, gerade
hier: " . . . und erlaubte den Dämonen nicht zu reden, weil sie ihn kannten."
Das zeigt einerseits, wie groß Er war, denn selbst die bösen Geister wußten, wer
Er war, doch andererseits, wie demütig Er Sich Selbst verhielt, denn Er wollte
kein Zeugnis von Dämonen annehmen. Der wahre Diener will durchaus kein Zeugnis
im Blick auf Sich Selbst, Er hat kein Bedürfnis, daß Ihm Beifall gezollt wird,
schon gar nicht von Dämonen, aber auch nicht von Menschen. Er hat nur das
Verlangen nach dem Wohlgefallen Gottes Selbst, des Meisters, der Ihn gesandt
hat. Die abhängige Gesinnung finden wir in dem wunderschönen Vers 35: "Und
frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging
hin an einen öden Ort und betete daselbst." Er suchte die Einsamkeit, während
andere schliefen, gebrauchte die freien Augenblicke während des Dienstes, um
mit Gott allein zu sein. Warum? Er war doch Gott Selbst? Ja, aber Er ist hier
der demütige Diener, der in Abhängigkeit von Gott Seinen Dienst ausübt und nicht
die Ehre von Menschen sucht. Als sie Ihn dann doch finden und sagen: "Alle
suchen dich", Ist das für den Herrn ein ausreichender Grund, gerade nicht mit
ihnen zu gehen, denn Er suchte nicht Seine Ehre, sondern die Ausübung Seines
Dienstes. Deshalb könnten wir Vers 38 eigentlich über dieses Evangelium setzen:
"Laßt uns anderswohin in die nächsten Flecken gehen, auf daß ich auch daselbst
predige; denn dazu bin ich ausgegangen."
Das ist der Charakter, in dem wir den Herrn hier finden; nicht die
Offenbarung des Messias (Matthäus) oder der Gnade Gottes gegenüber der ganzen
Menschheit (Lukas) oder die Offenbarung des Vaters (Johannes), sondern die
anspruchsloseste Stellung: Einer, der hier nichts hat, als 135 nur konsequent
Seinen Dienst auszuüben: als Prophet das Volk zu Gott zurückzubringen und als
Diener ihnen Gottes Segnungen zu bringen.
Im fünften und sechsten Wunder sehen wir
eine noch deutlichere Schilderung des Charakters des Volkes Israel, und zwar in
diesen beiden Krankheiten: dem Aussatz und (Kap. 2) der Lähmung. Der Aussatz ist
ein Bild der Verunreinigung durch die Sünde und zeigt uns, daß der Dienst des
Herrn nötig war, um den Sünder zu Gott zurückzubringen. Aussatz macht nicht nur
krank, sondern auch unrein, wodurch wir vor Gott nicht bestehen können. Allein
das Eingreifen der Macht Gottes, die Berührung durch den Herrn, der innerlich
bewegt war, kann den Menschen von seinem Aussatz reinigen. Der Herr sagt hier
als der gehorsame Israelit, daß der Gereinigte zum Priester gehen muß, doch
nicht, damit der Priester ihn heilt, sondern daß dieser lediglich feststellt,
daß Gott Selbst hier ein Wunder verrichtet hatte; denn niemand kann Aussatz
heilen, als Gott allein. Die Sünde macht nicht nur unrein, die Sünde macht den
Menschen auch schuldig vor Gott und deshalb kraftlos. Der Lahme muß von seinen
Freunden getragen werden. Wir sehen, wie der Herr Jesus diese beiden Seiten
seines Zustandes durch und durch erkennt und in göttlicher Kraft vollkommen
wegnimmt (obwohl gleichzeitig als der demütige Diener), indem Er ihm zuerst
seine Sünden vergibt und ihn danach von seiner Lähmung heilt. Das war der wahre
Dienst des Herrn: nicht nur anzukündigen, was Gott tun konnte, sondern zugleich
die göttliche Macht selbst zu offenbaren, denn der demütige Diener war Gott
Selbst, der die vollkommene Kraft hatte, dem Volk nicht nur Bekehrung zu
predigen, sondern auch Reinigung, Heilung und Vergebung zu schenken.
Solch eine Macht, geoffenbart in
Knechtsgestalt, ist für den Menschen unbegreiflich. Wir sehen hier zu Beginn des
Dienstes Christi auch zugleich den Widerstand der Obersten des Volkes, sowohl
hier in Kapitel 2, 16 als auch zuvor bei der Heilung des Gelähmten. Der Herr ißt
mit den Zöllnern und Sündern als der demütige Diener; Er wählt keinen höheren
Platz für Sich. Doch solch ein Platz ist unbegreiflich für die hochmütigen
religiösen Führer in dieser Welt. Und während Er in Seinem Dienst fortfährt,
nimmt der Widerstand der Obersten zu; in Vers 18 werfen sie Ihm vor, daß Er
nicht fastet ‑ als ob Er fasten könnte, während Er im Namen Gottes gekommen war,
um einen herrlichen Dienst zu erfüllen und dem Volk Gottes Gnade zu erweisen.
Der Bräutigam war in ihrer Mitte, und wie konnte nun gefastet werden, als ob
Trauer eingekehrt sei? Sie wollten den Herrn und Seinen Dienst in ihr eigenes,
religiöses System zwängen, aber das war unmöglich. Wenn Gott etwas Neues geben
will, ja, wenn Gott Selbst in Knechtsgestalt erscheint, dann kann das Neue
niemals in die alten Gefäße des Menschen gegossen werden. Der neue Flicken
konnte nicht auf das alte Kleid des Judentums gesetzt werden.
Die folgenden beiden Begebenheiten am
Sabbath beweisen das. Im jüdischen System war der Sabbath ein Joch geworden,
der Jude war Sabbath‑Gesetzen unterworfen, die der Mensch ausgedacht hatte. Doch
das beweist lediglich, daß der Mensch keinen Begriff hat von der Güte Gottes.
Denn Gott wollte durch den Sabbath nicht ein Joch, sondern einen Segen für den
Menschen bereiten (vgl. 2. Mo 16, was vor der Gesetzgebung liegt). Der Herr legt
das hier Selbst dar, indem Er auf David hinweist (hier ausführlicher als
woanders), der sogar von den Schaubroten aus der Stiftshütte essen durfte, die
nach dem Gesetz Gottes normalerweise nur für die Priester bestimmt waren. Doch
hat Gott dieses Gesetz gegeben, um dem Menschen das Leben schwerzumachen? Und
sollte ein Gott der Gnade nicht über Seine eigenen Gesetze hinausgehen können,
um Gnade zu erweisen, wie Er das bei David tat? Sollte dann auch kein Brot am
Sabbath gegessen werden dürfen? Und wenn nun ein Mann mit einer verdorrten Hand
in der Synagoge ist, sollte dann der Sabbath nicht zu einem unvergeßlichen Segen
werden dürfen? Oder steht er unter dem Joch des Sabbaths? Ist Gott, der ein Gott
der Güte ist und der das in dem Dienst des Herrn Jesus offenbart, nicht
berechtigt, über die Gebote des Sabbaths hinauszugehen und diese Krankheit
wegzunehmen? So fragt der Herr (3, 4): "Ist es erlaubt, an den Sabbathen Gutes
zu tun oder Böses zu tun, das Leben zu retten oder zu töten? Sie aber schwiegen.
Und er blickte auf sie umher mit Zorn, betrübt über die Verstockung ihres
Herzens.'«
Vers 6 schließt den ersten Teil dieses
Evangeliums ab. Die Führer spürten sehr genau, daß dieser Mensch, der gekommen
war, um in Seinem Dienst die Güte Gottes einem sündigen und kraftlosen Volk zu
offenbaren, nicht in ihr System paßte. Doch sie zogen daraus die schreckliche
Schlußfolgerung, daß dieser Mensch deshalb nicht verdiente zu leben und
weggetan werden müßte. In dieser Lage ist es ausgeschlossen, daß der Herr
Seinen allgemeinen Dienst im Blick auf Israel fortsetzen kann. Nicht, daß Er
aufhört, Gnade zu erweisen ‑ überall, wo jemand sich persönlich auf diese Gnade
beruft, dort finden wir, wie sie entfaltet wird ‑ aber es ist nicht mehr ein
allgemeiner Dienst gegenüber dem ganzen Volk, wie wir das bildlich In Vers 7
angedeutet finden: "Und Jesus entwich mit seinen Jüngern an den See." Der See
ist in den Evangelien immer ein Bild der Völkerwelt. Das wird hier sogleich
bestätigt durch den nächsten Vers: "Und es folgte ihm eine große Menge von
Galiläa und von Judäa und von Jerusalem und von Idumäa [Edom] und von jenseits
des Jordan; und die um Tyrus und Sidon, eine große Menge." Wenn das Volk als
Ganzes die Gnade abweist und der Herr doch Seinen Dienst weiter ausübt, dann
kann die Gnade nicht mehr auf das Volk Israel allein beschränkt bleiben ‑, Er
erweist sie nun allen, die dafür offen sind. "Denn er hellte viele, so daß alle,
welche Plagen hatte, ihn überfielen, auf daß sie ihn anrühren möchten" (Vers
10), ob sie nun aus Tyrus, Sidon und Idumäa oder aus Galiläa und Judäa kamen.
Sogar die unreinen Geister mußten vor Ihm weichen, obwohl wir hier ebenfalls
finden (Vers 12), daß sie Ihn nicht offenbar machen durften. Sie durften nicht
Seine Person verherrlichen, denn Er hatte als vollkommener Diener keine andere
Aufgabe, als Gott vorzustellen und Ihm alle Herrlichkeiten zu geben.
Nachdem nun der Herr Jesus keinen
allgemeinen Dienst mehr unter dem Volk allein hat, sehen wir, daß Er nun auch
andere zubereitet, die Ihm später in diesem Dienst folgen sollen. Das ist
bedeutsam, denn der Dienst, den die Jünger später ausüben würden, sollte auch
nicht ausschließlich in Israel stattfinden, sondern in der ganzen Welt, unter
allen Völkern ausgeübt werden. Deshalb finden wir gerade hier, daß der Herr auf
dem Berg die Zwölf zu Sich ruft, die fortan das Leben mit Ihm teilen. Er
bereitet sie zu, später ebenfalls auszugehen und zu dienen und Seinen Dienst
fortzusetzen, wenn Er sie verlassen haben würde. Währenddessen verstehen Ihn
sogar Seine Verwandten nach dem Fleisch nicht. Treffender als woanders lesen wir
hier in Vers 21: "Und als seine Angehörigen es hörten, gingen sie hinaus, um ihn
zu greifen; denn sie sprachen: Er ist außer sich." Nicht nur die Führer sagten
das, sondern gerade Seine Familienangehörigen, die meinten, daß Er einer von
ihnen sei, weil sie niemals Seinen wirklichen Ursprung und Charakter erkannt
hatten. Und selbst die Führer, die Schriftgelehrten, konnten zu keiner anderen
Schlußfolgerung kommen, als daß der Heilige Geist, durch den Er als Diener den
Dienst ausübte, Beelzebub war, der Oberste der Dämonen. Der Herr beweist zwar
die Torheit ihrer Beweisführung und kündigt das Gericht über die an, die den
Heiligen Geist lästern, doch das ändert nichts an der Verhärtung der Herzen des
Volkes. Das hat zur Folge, daß der Herr von nun an die natürlichen Bande mit
Seinem Volk nicht mehr anerkennen kann, wie wir das am Ende von Kapitel 3
finden, sondern daß Er in Beziehung tritt zu allen, (wie hier steht:) die den
Willen Gottes tun (das Kennzeichen von Dienern).
So sehen wir, daß mit Kapitel 3 ab Vers 7
ein Übergangsabschnitt in diesem Evangelium beginnt. In Kapitel 1‑3, 6 finden
wir den allgemeinen Dienst an Israel, und darauf folgt der Obergang: der Herr
wendet Sich den Völkern zu, beruft neue Diener und anerkennt nicht mehr Seine
Verbindungen mit dem Fleisch, sondern nur einen Oberrest, der, geradeso wie Er,
der wahre Diener, den Willen Gottes tat. Damit beginnt Kapitel 4, ein sehr
bedeutender Abschnitt dieses Evangeliums, weil er uns in besonderer Weise den
Dienst des Herrn zeigt und die Art und Weise, wie Er Seine Jünger in diesen
Dienst einbezieht. Dieses Kapitel stellt uns den Dienst vor als ein
durchlaufendes Ganzes, mit dem der Herr Jesus begonnen hat und das bis zu dem
Augenblick fortgesetzt wird, wo Er wiederkehrt; während der Zwischenzeit, von
Seinem Fortgehen von dieser Erde bis zu Seinem Wiederkommen, wird dieser Dienst
von den Dienern ausgeübt, die Er hier zubereitet. Zuerst stellt der Herr Sich
Selbst in dem Gleichnis von dem Säemann vor. In Matthäus 13 haben wir ebenfalls
dieses Gleichnis gefunden, doch da mit einer völlig anderen Absicht, nämlich die
sieben Königreichs-Gleichnisse einzuleiten, in denen der Herr zeigt, wie
anstelle von Israel ein anderes Zeugnis Gottes auf der Erde sein würde, die
Christenheit, und wie sogar auch dort das Verderben eindringen würde. Das
stimmt mit dem Charakter des Matthäus-Evangeliums überein. Doch hier bei Markus
ist dieses Gleichnis die Einleitung zu einer Veranschaulichung Seines Dienstes;
Markus beschreibt uns den Säemann als den Diener, der das Wort Gottes verkündigt
und ausstreut. Nicht in dem Weinberg Israel, sondern auf dem Acker, das ist die
Welt. Die ganze Weit ist nun der Bereich, wo der Diener, der Herr Jesus, Seinen
Dienst ausübt. Das ist sehr bedeutsam, denn so kann dieses Gleichnis auch dazu
dienen, den Jüngern zu zeigen, was ihr Dienst sein würde. Ihr Dienst sollte
sich auch auf die ganze Weit erstrecken. Der Herr war ihnen als der Säemann
vorangegangen, um das Wort zu predigen (siehe die Auslegung in den Versen
10‑20): Er hatte das Wort ausgestreut, als Diener einfach Seine Pflicht getan
und es Gott überlassen, was davon aufgehen würde. Sein Dienst bestand einfach
darin, das Wort auszustreuen. Nun jedoch stellt der Herr Seinen Jüngern ihre
Verantwortlichkeit vor; Er Selbst würde fortfahren mit Seinem Dienst bis zum
Ende, doch nun sagt Er zu Seinen Jüngern (Vers 21): "Kommt etwa die Lampe, auf
daß sie unter den Scheffel oder unter das Bett gestellt werde? nicht daß sie
auf das Lampengestell gestellt werde?" Das war auch auf Ihn anwendbar: Er hatte
Seine Lampe nicht unter den Scheffel oder unter das Bett gestellt; doch Er
stellt das nun auch Seinen Jüngern vor und legt es auf ihre Gewissen (Vers 23):
"Wenn jemand Ohren hat zu hören, der höre!" Und dann folgt: "Und er sprach zu
ihnen: Sehet zu, was ihr höret." Er verknüpft mit dem Auftrag des Dienstes auch
die Verantwortlichkeit, daß sie ihr Licht scheinen lassen sollten entsprechend
richtigen, göttlichen Maßstäben, wie der Herr Jesus Selbst es getan hatte.
Darauf folgt etwas sehr Bemerkenswertes,
denn hier finden wir (in den Versen 26‑29) ein Gleichnis, das wir in keinem
anderen Evangelium antreffen. Das muß uns aufmerksam machen, denn es bedeutet,
daß dieses Gleichnis sehr charakteristisch für dieses Evangelium ist. Hier wird
das Königreich Gottes mit einem Menschen verglichen, der "den Samen auf das
Land wirft [das zeigt den Zusammenhang mit dem Gleichnis von dem Säemann] und
schläft und aufsteht, Nacht und Tag, und der Same sprießt hervor und wächst, er
weiß selbst nicht wie. Die Erde bringt von selbst Frucht hervor, zuerst Gras,
dann eine Ähre, dann vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht sich
darbietet, so schickt er alsbald die Sichel, denn die Ernte ist da." Wie
wunderschön ist das. Hier sehen wir einen Mann, der zwar Samen auf den Acker
sät, doch der tatsächlich lediglich in zweierlei Hinsicht mit dieser Arbeit in
Verbindung steht: ganz zu Beginn, wenn er den Samen auf den Acker streut, und
ganz am Ende, wenn er zurückkommt, um die Ernte einzusammeln. In der langen
Zwischenperiode, wenn der Same aufgeht, wächst und reift, scheint es so, als ob
dieser Mann sich nicht darum bekümmert. Er schläft und steht auf, Nacht und Tag,
tagein, tagaus, ohne daß er eine Beziehung zu dem hat, was auf dem Acker
geschieht. Wenn wir das Licht der folgenden Verse darauf fallen lassen, sehen
wir, wie treffend der Herr Jesus hier den ganzen Dienst beschreibt, denn damit
würde es ebenso gehen. Sein eigener Dienst dauerte lediglich drei Jahre; drei
Jahre war Er hier auf der Erde, um Samen auf die Erde zu werfen, und danach ist
Er von dieser Erde fortgegangen. Und es könnte sehr leicht den Anschein haben,
als ob Er nun schläft und aufsteht, Nacht und Tag, und Sich nicht darum kümmert,
was auf der Erde geschieht. Er hat Sich zurückgezogen in den Himmel und den
Dienst scheinbar sich selbst überlassen. Er hat uns hier zurückgelassen, und
wir dürfen Seinen Dienst fortsetzen; wir dürfen sehen, wie der Halm wächst und
die Ähre und das Korn reifen, doch der Herr ist weggegangen, und es scheint so,
als würde Er schlafen und keine Beziehung zu dem Dienst haben. Aber das scheint
nur so; der Dienst findet Seine volle Aufmerksamkeit, und am Ende wird Er
zurückkommen und Selbst die Ernte einbringen: Er wird die Sichel schicken, die
Spreu ausscheiden und den Weizen einsammeln. So ist es mit dem Dienst.
Lediglich drei Jahre war der Herr Selbst anwesend, und am Ende wird Er die
Früchte des Dienstes einsammeln.
In der Zwischenzeit sind wir die Diener,
und Er fragt uns:
Laßt ihr eure Lampen scheinen, oder stellt
ihr sie unter den Scheffel?
Was hatten die Jünger in den Tagen, als der
Herr Jesus noch Seinen Dienst ausübte, erlebt? Es war ein bescheidenes Werk,
bescheiden im Umfang (auf das Gebiet Israels beschränkt), bescheiden, was die
Anzahl derer betrifft, die sich bekehrten. Im folgenden Gleichnis nun bereitet
der Herr sie auf das vor, was in der Zwischenzeit eintreten würde, wenn Er den
Dienst aufgeben und im Himmel sein würde. Dann würde das, was unter Seiner
Führung so schlicht begonnen hatte, wie ein Senfkorn aufgehen und zu einem
großen Baum werden, größer als alle Bäume auf der Erde. Die Jünger sollten damit
rechnen, daß, wenn sie den Dienst ausübten, ihr Werk ungekannt große Ausmaße
annehmen würde, und so ist es auch geschehen. Man sagt, daß durch den Dienst des
Apostels Paulus allein schon fünf Millionen Menschen zur Bekehrung gekommen
sind; das ist es, wovon der Herr an anderer Stelle sagt: "Wer an mich glaubt,
der wird auch die Werke tun, die ich tue, und wird größere als diese tun" (Joh
14, 12). Das bedeutet aber nicht, daß diese kolossale Weltmacht, die durch den
Dienst entstanden ist, treu und gut sein würde. Der wahre Diener muß auf der Hut
sein.
Wenn die Resultate des Dienstes, wie
heutzutage, den Charakter einer Eindruck erweckenden großen christlichen Macht
auf der Erde angenommen hätten (ein Fünftel der Menschheit ist "christlich",
der größte Teil davon römisch‑katholisch), so würde diese Macht ein
Unterschlupf sein für die Vögel des Himmels, die unreinen Geister (Offb 18, 2).
Das stellt der Herr hier dem Diener vor, damit dieser sich nicht von dem
einnehmen läßt, was unter seinen Händen aufwächst.
Doch der Herr Jesus gibt nicht nur
mündliche Unterweisung, sondern auch Anschauungsunterricht über dieses Thema,
denn was ab Vers 35 bis zum Ende folgt, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit
der voraufgegangenen Unterweisung. Der Herr gibt ihnen eine sehr praktische
Belehrung: Er begibt Sich in das Schiff, und sie setzen über, um an das
jenseitige Ufer zu gelangen. Währenddessen entsteht da dieser schreckliche
Sturm. Nun sehen wir, wie Er war und wie sie waren! Er hatte einen Augenblick
Ruhe zwischen zwei Phasen Seines Dienstes und nutzte ihn, um zu schlafen
inmitten der Stürme ‑ die Ihm nichts anhaben konnten, denn Er vertraute
vollkommen auf Gott, ja Er war Selbst Gott inmitten dieser rauhen Umstände. Die
Belehrung für die Jünger war, daß es ihnen ebenfalls so ergehen würde, nachdem
der Herr von ihnen weggegangen ist. Wie Er in dem Gleichnis gesagt hatte (Vers
27), würde Er wie jemand sein, der schlief. Er würde hingehen und Sich
"schlafend" halten, und sie würden hier in dem Dienst auf der Erde
zurückgelassen werden. Dieser Dienst würde sehr häufig Stürme mit sich bringen,
schreckliche Notlagen, und Er, der Herr, würde schlafen ‑ so würde es jedenfalls
scheinen. Er glich dem Menschen, der schlief und aufstand und sich nicht um den
Acker kümmerte. Doch sie vergaßen eins: Er schlief zwar, aber Er war in dem
Schiff! Und wie sollte das Schiff untergehen können, wenn Er, der Sohn Gottes,
an Bord war? Wenn Er an Bord war, dem sogar der Wind und der See gehorchten? Das
ist der Charakter unseres Dienstes, Brüder! Wenn wir als Diener (und welcher
Gläubige ist das in der Tat nicht) für den Herrn ausgeben dürfen, kann es Stürme
geben und so scheinen, als ob der Herr schliefe oder sogar abwesend wäre. Er ist
nun nicht persönlich in dem Dienst auf der Erde wirksam. Doch Er ist trotzdem
gleichzeitig "in dem Schiff" anwesend, und deshalb kann das Schiff niemals
untergehen. Unser Kleinglaube ist ein Mangel an Liebe, denn er bedeutet, daß
wir Seine Herrlichkeit als Sohn Gottes zu wenig beachten. Wenn Gottes Sohn an
Bord ist, wie kann dann das Schiff jemals untergehen? Haben wir nie dem
Gedanken Raum gegeben, daß unser Dienst nutzlos war, weil es so schien, als ob
die Stürme ihm ein Ende setzten? Doch der Herr Ist darin anwesend, und Er ist
nicht unruhig oder in Verwirrung; Er bewahrt eine vollkommene Ruhe. Wenn wir
von Seiner Ruhe inmitten des Dienstes lernen, dann geraten wir nicht unter den
lähmenden Eindruck der Mächte und Stürme, die den Dienern begegnen.
Nun sehen wir im ersten Teil von Kapitel 5
eine andere Seite, die ebenso bedeutsam ist. Dort finden wir die Beschreibung
des unreinen Geistes, der in den Grabstätten hauste. In Matthäus wurde damit im
besonderen der Zustand Israels angedeutet, hier sehen wir darin vor allem wieder
den Charakter des Dieners, und nicht nur den des Dienstes des Herrn Selbst. Das
ist auch nicht ohne Bedeutung, denn wir finden nirgends den Zustand dieses
unreinen Geistes so ausführlich beschrieben (siehe Vers 5); darin sehen wir den
Reichtum Seines Dienstes, der sich auch auf einen Mann in einem solch
schrecklichen Zustand erstreckte. Was aber vor allem unsere Aufmerksamkeit auf
sich zieht: Nachdem der Herr Seinen Dienst verrichtet hat und auch die Menschen,
die Ihn umgeben, ins Licht gekommen sind (indem sie Ihn bitten, wegzugehen, weil
sie die Ergebnisse Seines Dienstes nicht ertragen können), sehen wir etwas, das
in Matthäus überhaupt nicht vorkommt, nämlich daß der Geheilte den Herrn fragt,
ob er bei Ihm bleiben dürfe (Vers 18). Ich denke, daß jeder Gläubige diesen
Augenblick einmal erlebt, hat, daß er so gern immer bei dem Herrn bleiben und
nicht ohne Ihn hier auf der Erde zurückbleiben wollte. Doch der Herr hat gerade
Diener hier auf der Erde nötig. Er ist in diesem Augenblick nicht auf der Erde,
um Selbst den Dienst auszuüben, und deshalb will Er die Seinen gebrauchen. Er
sagt in Vers 19: "Gehe hin nach deinem Hause zu den Deinigen und verkünde
ihnen, wieviel der Herr an dir getan, und wie er sich deiner erbarmt hat."
Um nun auf die andere Seite zurückzukommen,
die wir in Kapitel 4 fanden ‑ dort sahen wir, daß der Herr, obwohl Er Sich
abseits hielt, in Wirklichkeit doch bei den Seinen im Schiff war. Das ist die
eine Seite: obwohl der Herr zeitweise zu schlafen scheint, so, als ob Er Sich
nicht um uns bekümmere, ist Er doch anwesend. Es gibt aber noch einen anderen
Gesichtspunkt, unter dem wir den Dienst sehen können, und das ist, daß wir nun
noch nicht im Himmel (also in wörtlichem Sinn bei dem Herrn) sein können,
sondern daß wir noch eine Zeitlang von Ihm ausgesandt werden, um in unserer
eigenen Umgebung von dem zu zeugen, was der Herr an uns getan hat. Der Herr sagt
nicht: " . . . wieviel ich an dir getan habe." Würde es in den Mund eines
Dieners passen, wenn er seine eigenen Taten in den Vordergrund stellte?
Der wahre Diener weist lediglich gehorsam
auf seinen Meister hin. Deshalb sagt Christus: "Wieviel der Herr an dir
getan'«, also Jehova Selbst. Doch achte darauf, daß der Geheilte selbst sehr
gut wußte, wer es war, der ihn geheilt hatte, denn was er verkündigt, ist,
wieviel Jesus an ihm getan hatte. Und das geschah zu Recht, denn der demütige
Diener, der ihn auf Jehova hinwies, war Jehova Selbst ‑Gott geoffenbart im
Fleisch!
Anschließend sehen wir, wie der Dienst des
Herrn Jesus sogar bis in die tiefe Wirklichkeit der Macht des Todes reicht. In
dem Bericht von der Tochter des Jairus übt der Herr Jesus in Seinem Dienst sogar
Gottes Macht über den Tod aus, um dieses Mädchen aufzuerwecken. In Matthäus
sahen wir hierin ebenfalls den Zustand Israels, doch hier liegt der Nachdruck
auf dem Dienst des Herrn: auf der Art und Weise, wie Er der ängstlichen Frau in
der Menge begegnet, sie ermutigt und ihr Frieden für ihr Herz schenkt; und wie
Er, nachdem Er das Mädchen auferweckt hat, Sich mit solchen "Kleinigkeiten"
wie in Vers 43 beschäftigt, daß man ihr zu essen gebe. So vollkommen bis in die
Einzelheiten war Sein Dienst; das zeigt auch, daß Er Seinen Dienst nicht von
oben herab verrichtete, wie jemand, der achtlos seine unbegrenzte Macht um sich
ausstreut, sondern der sich in Niedrigkeit neben den Menschen stellt und ihm mit
Erbarmen und Mitleid die Segnungen Gottes schenkt.
Israel begreift den Herrn nicht, wie wir
gesehen haben; sogar Seine eigenen Bekannten sagen (Kap. 6, 3): "Ist dieser
nicht der Zimmermann . . . V' In den anderen Evangelien wird Er noch der Sohn
des Zimmermanns genannt, hier heißt es einfach: der Zimmermann. Was die Folge
ist, lesen wir in Vers 5: "Und er konnte daselbst kein Wunderwerk tun, außer daß
er einigen Schwachen die Hände auflegte und sie heilte." Ist das nicht
kennzeichnend? Ist das nicht wieder eine Stelle, die so besonders zeigt, wie der
Herr hier als Diener vorgestellt wird? Er konnte hier kein Wunder tun ‑ und es
ist dieselbe Person, von der wir in Kapitel 1 sahen, daß Er Gott Selbst ist.
Alle Macht und Majestät Gottes standen Ihm zur Verfügung, doch ‑ Er war hier auf
der Erde als ein Mensch, Gott im Himmel unterworfen; als ein Diener, der nur
dort handelte, wo Gott offene Türen gab. Wenn wir hier lesen: "Er konnte
daselbst kein Wunderwerk tun", dann nicht deshalb, weil die Kraft bei Ihm
persönlich nicht vorhanden gewesen wäre, sondern weil Er als abhängiger Diener
keine offenen Türen fand, keinen zubereiteten Acker, wo Er Seinen Dienst ausüben
konnte, ausgenommen bei dem einzelnen, der niemals vergeblich auf Seine Macht
hoffte.
Doch laßt uns einmal weiterlesen. Wie
wunderbar ordnet der Heilige Geist die einzelnen Begebenheiten an, damit nicht
bei uns der Gedanke aufkommt, daß es dem Herrn Selbst an Kraft fehlte. Denn Er,
der als abhängiger Diener nichts tun konnte, wozu Ihm Der, der Ihn sandte, keine
Türen öffnete, ist Derselbe, der unmittelbar danach (Vers 7) die Zwölfe
aussendet und, wie dabeisteht, "ihnen Gewalt [oder: Autorität] über die unreinen
Geister" gab. Wie ergreifend schön! Der demütige Diener konnte nichts tun, wo
Gott keine offenen Türen gab, und doch war Er zur gleichen Zeit Gott Selbst, der
Autorität hatte, um die Zwölfe auszusenden und um ihnen sogar Macht über die
Teufel zu geben! Die Kraft, die Er Sich sozusagen Selbst nicht geben "konnte"
(sittlich gesehen), konnte Er Seinen Jüngern wohl geben. Er sendet sie im
Besonderen aus, um zu predigen, "daß sie Buße tun sollten" (V. 12). Das finden
wir gerade hier, denn es ist ja das Kennzeichen des Propheten und auch derer,
die von Ihm ausgesandt werden: das Volk zum Herzen Gottes zurückzubringen.
Nun zeigt uns der Heilige Geist in den
Kapiteln 6 und 7 zwei Mächte, die immer den Dienst zu durchkreuzen suchen. Das
gilt für den Dienst des Herrn, aber auch für den Dienst, in dem wir Ihm als
Diener nachfolgen dürfen. Mitten in der Beschreibung der Aussendung der Zwölfe,
die hier in den Versen 7‑13 steht und die später in Vers 30 fortgesetzt wird,
finden wir die Beschreibung der Enthauptung des Johannes eingefügt. Geradeso,
wie wir in Kapitel 7 die falsche religiöse Macht finden werden, wird uns hier
die weltliche Macht vorgestellt, die inmitten des Volkes Gottes verkehrt. Genau
das sind die beiden großen Mächte, mit denen wahre Diener zu jeder Zeit zu tun
haben. Wir finden das hier im Vorbild von Johannes dem Täufer. Wenn Diener
ausgesandt werden, wie hier die Jünger, dann zeigt uns der Heilige Geist
sogleich, womit sie zu tun bekommen: mit einer Weit, in der der Teufel herrscht,
wo er solch große Gewalt hat, daß es sogar in seiner Macht steht, Johannes den
Täufer, den größten aller Diener, bevor der Herr kam, zu enthaupten. Es ist
gut, wenn wir als Diener den Charakter und die Macht der Welt gründlich
erkennen. Wenn wir sie kennen, werden wir auch wissen, wie sehr wir vom Herrn
abhängig sind und auf Ihn vertrauen müssen. Das ist die Belehrung, die wir hier
am Beispiel der Jünger lernen, wenn sie in Kapitel 6, 30 zurückkommen. Ja, sie
werden "Apostel" genannt, vom Herrn "Gesandte", doch wenn sie zurückkehren,
berichten sie alles, was sie getan und gelehrt hatten. Kommen wir in dieser
Weise zum Herrn, um Ihm zu erzählen (in Aufrichtigkeit, daran zweifle ich
nicht), was wir getan haben? Dann haben wir noch nicht den richtigen Charakter
des Dienstes verstanden. Der Herr Jesus als Diener wies niemals auf Sich Selbst
hin, Er erlaubte sogar den bösen Geistern nicht, über Ihn zu sprechen, Er wies
allein auf Den hin, der Ihn gesandt hatte. Auf welch schöne Weise antwortet der
Herr Jesus Seinen Jüngern. Er tadelt sie nicht, Er gibt ihnen nur die rührende
Antwort, die Er uns als Dienern auch so häufig gibt: "Kommet ihr selbst her an
einen öden Ort [mit Mir] besonders und ruhet ein wenig aus." Das ist unser Herr
...
Er braucht sie lediglich einen Augenblick
beiseite zu nehmen, damit sie bei Ihm sind, damit sie sich selbst und ihre
eigenen Leistungen vergessen und nur Ihn sehen und einen Augenblick geistliche
Ruhe finden. Wie häufig haben Diener das nötig, die manchmal so eifrig sind, daß
sie von einem Dienst zum anderen eilen und dann schließlich vielleicht nur noch
an ihr eigenes Werk denken. Dann sagt der Herr: Komm nun einmal allein mit Mir
an einen öden Ort. Solch ein öder Ort hat für sich selbst nichts Anziehendes,
damit das Herz nicht abgelenkt wird, sondern allein auf den Herrn sieht. Dort
dürfen wir einen Augenblick geistliche Erquickung genießen und unsere Herzen mit
dem Herrn füllen.
Für den Herrn Selbst gab es allerdings kaum
ein Verweilen, „denn derer, die da kamen und gingen, waren viele" (V. 31).
Er mußte mit dem Dienst fortfahren, und Er
war bereit dazu; denn Er war innerlich bewegt über die große Volksmenge (V. 34).
Und siehe, wie weise und liebevoll der Herr Jesus den Unterricht über den Dienst
fortsetzt. Er zeigt den Jüngern durch eine sehr praktische Belehrung, daß sie
viel zu hoch von sich selbst dachten. Waren sie so stolz auf das, was sie getan
hatten? Nun, hier bot der Herr ihnen eine Gelegenheit, zu zeigen, was sie als
Diener vorzuweisen hatten. Die Volksmenge war hungrig, und die Jünger kommen
sogar mit dem Vorschlag, sie Brot kaufen zu lassen. Doch der Herr sagt: "Gebet
ihr ihnen zu essen!" Ich habe euch
Macht gegeben, große Werke zu tun, und ihr habt erzählt, was
ihr getan habt; hier ist eine
Volksmenge, die nichts zu essen hat. Gebet ihr ihnen zu essen. Das sagt der Herr
nicht, um mit uns Spott zu treiben, sondern uns entdecken zu lassen, daß wir aus
uns selbst nichts vermögen und daß, wenn einer der Seinen etwas Gutes verrichten
darf, das gänzlich durch Seine Gnade vollbracht wird. Der Herr Selbst ist es,
der das Essen bereitet, der die fünf Brote und die zwei Fische vermehrt. Und
dann behandelt Er die Jünger nicht verächtlich, weil sie nichts tun konnten,
sondern wir lesen in Vers 41 so schön: " . . . und gab sie seinen Jüngern, auf
daß sie ihnen vorlegten." So dürfen wir den Dienst ausüben als Sklaven, die
vollständig abhängig sind vom Herrn; die nichts aus sich selbst anzubieten
haben, sondern allein das anderen weitergeben können, was Er ihnen gibt. Ja,
die Jünger gaben der Volksmenge zu essen, wie der Herr ihnen befohlen hatte ‑
aber sie gaben nicht mehr weiter, als
der Herr zuvor bereitet und ihnen gegeben hatte. So belehrt uns der Herr, nichts
von uns selbst zu halten.
Danach sehen wir hier (und werden es auch
in Kapitel 7 sehen), wie die Verdorbenheit des Volkes immer offenbarer wird, so
daß der Herr Sich stets mehr von Israel zurückziehen muß. Er nötigt Seine
Jünger, in das Schiff zu steigen, und in Vers 45 steht ausdrücklich dabei: . . .
während er die Volksmenge entläßt." Die Volksmenge als Ganzes war nun nicht mehr
der Gegenstand Seines Dienstes, sondern der kleine Oberrest, die wenigen Treuen,
die Er als Diener aussenden würde. Wir finden sie hier in dem Sturm auf dem See,
wo sie lernen mußten, daß sie in allen Umständen von Ihm abhängig waren. Er kam
zu ihnen und tat so, als wollte Er vorbeigehen (das steht nur in Markus), als ob
Er Sich nicht um sie kümmern wollte, um sie zu lehren, zu Ihm zu rufen und
allein auf Ihn zu vertrauen. So finden wir hier, wie Er zuerst dem Oberrest
Seine Gnade erweist und danach (V. 53‑56) auch den Bewohnern im Lande
Genezareth, die ohne Zweifel durch das Zeugnis des unreinen Mannes, der geheilt
worden war, angesprochen waren (vgl. 5,20).
In Kapitel 7 finden wir im wesentlichen
dieselben Belehrungen wiederholt, doch nun von einem anderen Gesichtspunkt aus
gesehen; nun nicht die weltliche Macht (Herodes), sondern die religiöse Macht,
unter die das Volk geknechtet war. Diese Macht ist für einen Diener mindestens
ebenso gefährlich wie die weltliche Macht. Letztere kann uns allerdings sogar
töten (wie Johannes), doch die falschen religiösen Einflüsse, gegen die ein
Diener anzukämpfen hat, sind mindestens so gefährlich, denn sie können ihn
geistlich zugrunde richten. Der Herr stellt diesen ganzen menschlichen
Formendienst unverhüllt an den Pranger und zeigt, daß es nicht das Äußerliche
ist, was den Menschen verunreinigt, sondern das, was von innen aus dem Herzen
kommt (V. 21). Wo auch immer das Volk in der Macht dieser falschen Rell161
giongesehenwird,findenwirhier,geradesowieinKapite16, daß der Herr Sich von dem
Volk als Ganzem abwendet und Sich den Völkern zuwendet und was Israel betrifft,
Sich allein um den Oberrest dieses Volkes bemüht So finden wir zuerst in den
Versen 24‑30 Tyrus und Sidon und die heidnische Frau, die sich nicht auf Rechte
und Verheißungen beruft, sondern auf Gnade, wie ein verächtlicher Hund. Als sie
darauf vertraut, sehen wir, daß der Herr ihr die Gnade auch erweist, denn da
Israel nun beiseite gesetzt ist, umfaßt Sein Dienst auch die Nationen.
Doch den Elenden und Treuen in Israel
erweist der Herr weiterhin Gnade (V. 31‑37). In Vers 24 hatte Er das Gebiet
Israels verlassen, und etwas Ähnliches sehen wir in Vers 33. Als man einen
Tauben zu Ihm bringt (auch ein Bericht, den wir nur in Markus finden), lesen wir
ausdrücklich: "Und er nahm ihn von der Volksmenge weg besonders." Das ist die
Handlungsweise eines Dieners, wenn der Bereich, wo Er wirkt, Ihn verworfen hat
und Er doch Gottes Gnade dem einzelnen erweisen will ‑ Er sondert den einzelnen
von der Volksmenge ab. Wir sehen auch erneut, wie der Herr nicht von oben herab
handelt, ohne weitere Beachtung, als würde es Ihn überhaupt keine Mühe kosten,
sondern wie Er innerlich berührt ist angesichts des Loses des anderen: "Er. . .
legte seine Finger in seine Ohren; und er spützte und rührte seine Zunge an;
und, gen Himmel blickend, seufzte er ... «' Das ist ein Seufzen, von dem wir
auch etwas in Johannes 11 (V. 33. 35. 38) finden, wo der Herr tief in Sich
Selbst seufzt oder, wie die Fußnote sagt, heftig bewegt ist über die
schrecklichen Folgen der Sünde auf der Erde. So seufzt der Herr, als Er auch in
diesem tauben Mann die Auswirkungen der Macht der Sünde sieht. Es ist jedoch
nicht ein Seufzen, weil Er machtlos wäre und Selbst keine Hilfe bieten könnte,
sondern weil sich dieser Mann in solch einem traurigen Zustand befand. Als der
Herr sagt: Werde aufgetan!", werden seine Ohren geöffnet. Wiederum sagt der Herr
dann, daß sie es niemandem sagen sollten, damit nicht Er die Ehre empfing für
das, was Er als der Gesandte Gottes getan hatte.
In Kapitel 8 finden wir eine zweite
wunderbare Speisung, nun nicht für fünftausend, sondern für viertausend.
Äußerlich scheint es ein geringeres Wunder zu sein: Es waren wen! Menschen
anwesend, es standen mehr Brote zur Verfügung und es blieb weniger übrig. Aber
in Wirklichkeit haben wir hier einen noch eindrucksvolleren Beweis der Güte
Gottes. Beim ersten Mal war es ein Zeugnis, daß der Diener, unter ihnen
verkehrte, der Messias war, der Prophet, Moses angekündigt hatte; hier jedoch
ist es für ein V das Ihn inzwischen verworfen hat, ein rührender Beweis trotzdem
niemals nachlassenden Erbarmungen Gottes. das um so mehr, wenn wir sehen, wie
die Führer dar reagieren: die Pharisäer beginnen einen Wortstreit mit 1 Das sind
die Obersten des Volkes, die nichts als Unverständnis und Haß gegen Ihn hegen.
Doch sogar von Seinen eigenen Jüngern muß der Herr sagen, daß sie kein
wirkliches Verständnis für Ihn haben, sondern daß ihr Herz noch härtet ist (V.
17. 21). Und auch das macht der Herr Jesu einem praktischen Beispiel deutlich ‑
nicht so sehr in M ten ‑ nämlich durch diese Begebenheit mit dem Blinden (V.
22‑28, auch eine Begebenheit, die wir nur hier antreffen. Als der Herr diesen
Blinden heilt, sehen wir in Vers 23 zu denselben Grundsatz wie in Kapitel 7, 33:
"Und er faßte Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Dorfe hinab also
außerhalb der Masse des Volkes. Dort, außerhalb Dorfes, sehen wir, wie der Herr
zwei verschiedene Dinge ihm tut: durch das erste Händeauflegen sieht der Blinde
Menschen wie Bäume umherwandeln, und erst nach zweiten Handlung sieht er alles
deutlich. Das war eine Veranschaulichung dessen, was auch bei den Jüngern
vorhanden war. Sie hatten neues Leben aus Gott empfangen, Herr hatte ihnen
allerlei Dinge geoffenbart, sie hatten ein gewisses Verständnis empfangen, und
damit ragten sie über ihre Volksgenossen hinaus. Und doch sahen sie, geradeso
wie dieser Blinde, die Menschen wie Bäume wandeln." Sie hatten noch kein
scharfes Verständnis für was der Herr ihnen entfaltet hatte; sie standen noch
lediglich am Beginn des Weges und erst später, wenn sie auf den Dienst des Herrn
zurückschauen würden, konnten sie durch die Kraft des Heiligen Geistes alles
klar erkennen, was Herr Jesus auf der Erde getan und gesprochen hatte (Vgl. Joh
13, 7; 14, 26; 16,12.13).
Das will jedoch nicht heißen, daß der Herr
nicht schon jetzt alles wertschätzt, was durch den Geist aus ihrem Mund
hervorkommt, auch wenn sie die Menschen noch "wie Bäume umherwandeln" sahen. Ist
es nicht eine gewaltige Sache, als ein Petrus sagt: "Du bist der Christus", der
Messias? Es geht hier nicht so weit wie in Matthäus, wo es weiter heißt: " . .
. der Sohn des lebendigen Gottes"; diese Worte geben dort Anlaß, das Geheimnis
der Versammlung zu entfalten. Das finden wir hier nicht. Hier sehen wir nur, daß
der Herr der Messias ist, aber hier werden die Leiden des Herrn viel direkter
mit dem Bekenntnis des Petrus verbunden. Wir haben gesehen, daß der Herr und
Sein Dienst in Israel verworfen sind. Deshalb wird dem Diener in Kapitel 8 ein
völlig neuer Grundsatz vorgestellt, und zwar, daß sein Weg, geradeso wie der Weg
des Herrn, in einer Welt, die den Dienst abweist, ein Weg der Leiden ist. In dem
Maße, wie die Verwertung und der Haß stärker werden, spricht der Herr Jesus
offener über die Leiden, die Ihn erwarteten. Und hier sind es im besonderen die
Leiden, die die Folge Seines Dienstes sind. Laßt uns das gut beachten! Darum
sehen wir, wie gerade in Markus die Jünger sehr direkt mit diesen Leiden in
Verbindung gebracht werden als etwas, das auch auf sie wartet, weil sie als
Diener dem Herrn folgen würden. Petrus tadelt Ihn, daß Er über Leiden spricht;
er hat noch kein Verständnis über den Weg, den der Diener auf der Erde zu gehen
hat. Was er lernen mußte, war ‑ Wenn er, geradeso wie der Herr Jesus, ein Diener
sein wollte, dann mußte er (wieVers34sagt) sein Kreuz aufnehmen und Ihm
nachfolgen. Das bedeutet sich selbst verleugnen, nichts sein wollen, sondern
sich völlig außer acht lassen und das Kreuz aufnehmen, das Gott zu tragen gibt
auf einem Weg der Leiden, der Erprobung und des Widerstandes. Das ist der Weg,
den der Herr Jesus uns vorangegangen ist.
Und doch sehen wir, wie die Unterweisung
darüber hier noch nicht tief geht, und dafür gibt es einen guten Grund, einen
Grund, der uns wieder die Gnade Gottes sehen läßt. Bevor der Herr die Jünger
darüber eingehend belehrt (in den Kapiteln 9 und 10), zeigt Er zuerst das
herrliche Ziel Seines Dienstes, damit der Diener nicht zu sehr entmutigt wird.
In Kapitel 9, 1‑8 sehen wir, wie
Gott drei auserwählten Jüngern das Endresultat des Dienstes, den der Herr Jesus
hier auf der Erde getan hat, zeigt, und das ist Herrlichkeit. Das ist ein
mächtiger Trost für die Jünger, denn am Ende ihres eigenen Dienstes würden auch
sie diese Herrlichkeit miterleben. Die Herrlichkeit des Herrn wird hier sogar
noch größer dargestellt als in Matthäus, denn Er wird hier so beschrieben: "
... und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß wie Schnee, wie kein Walker auf
der Erde weiß machen kann." So dürfen die Jünger Ihn sehen, bevor sie in Seine
Leiden eingeführt werden. Es war lediglich ein Vorausblick in die Zukunft, auf
das Ende des Dienstes; doch dieser Blick war ausreichend, um ihre Herzen zu
ermutigen, denn nun konnte der Herr ihnen noch eindringlicher deutlich machen,
wie sie Ihm als Diener nachzufolgen hatten. Das erste haben wir in Kapitel 8
gefunden: das Kreuz aufnehmen. Das zweite finden wir, nachdem der Herr von dem
Berg herab zu Seinen Jüngern kommt, denen es an Glauben mangelt, einen unreinen
Geist auszutreiben. Sie waren ein ungläubiges Geschlecht (V. 19). Das ist eine
zweite Belehrung, die ein Diener lernen muß, wie die Verse 23 und 24 zeigen
(auch wieder nur in Markus): "Jesus aber sprach zu ihm: Das, wenn du kannst'
ist, wenn du glauben kannst; dem Glaubenden ist alles möglich. Und alsbald rief
der Vater des Kindleins und sagte mit Tränen: Ich glaube; hilf meinem
Unglauben!" Erstens also: das Kreuz aufnehmen bedeutet Selbstverleugnung (und
dadurch, ohne irgendwelche Erwartungen im Blick auf die Welt beständig den Weg
vorangehen); das ist die negative Seite. Doch die zweite, die positive, ist: wie
der Zustand auch sein mag, wie sehr die Macht des Bösen auch wirkt, Er hat uns
den Glauben geschenkt, der solche unermeßlichen Möglichkeiten in sich birgt,
daß er jeder denkbaren Macht hier auf der Erde trotzen kann.
Nachdem der Herr das dargelegt hat, folgen
diese besonderen Belehrungen über die Leiden, die die Jünger als Seine Knechte
zu erwarten hatten. Der Herr wiederholt zuerst die Ankündigung Seiner eigenen
Leiden. Wir sehen aus der Reaktion der Jünger, wie wenig sie noch von dem
verstanden, was ihn und sie selbst erwartete. Wenn Er über Seine Leiden spricht,
sprechen sie darüber, wer unter ihnen der Größte sei (V. 33‑37). Der Herr stellt
ihnen ein Kind gegenüber, das nichts von sich selbst hält und das die Einfalt
hat, die auch sie zieren sollte. Die folgende Belehrung kommt, als sie sagen:
"Lehrer, wir sahen jemand, der uns nicht nachfolgt, ... und wir wehrten ihm,
weil er uns nicht nachfolgt" (V. 38). Wieder das "uns", als ob sie etwas wären.
Doch es ging nicht um sie, sie durften nicht denken, daß sie auf einem besonders
geistlichen Niveau stünden, weil sie in der Nähe des Herrn verkehrten. Wenn
dieser Mann ihnen auch nicht folgte, so steht doch ausdrücklich dabei, daß er
böse Geister austrieb, und das hatten sie selbst nicht gekonnt (siehe V. 18).
Sie waren nicht in der Lage gewesen, den mondsüchtigen Jungen zu befreien,
obwohl sie bei dem Herrn waren. Das Wandeln auf dem Weg des Herrn ist für sich
selbst noch keine Garantie für geistliche Kraft. Der Herr zeigt ihnen das, indem
Er sagt: "Wer nicht wider uns ist, ist für uns" (V. 40). Wenn auch jemand nicht
das richtige Verständnis hat, dem Herrn nachzufolgen, wie Er das gelehrt hat ‑
wenn er im Namen des Herrn den Dienst ausübt, dann dürfen wir Gott dafür danken.
Denn darum geht es hier: wo aufrichtiger Dienst ausgeübt wird, da werden die
bösen Geister ausgetrieben; dort wird die Macht des Glaubens sichtbar, die dem
Feind trotzt. Deshalb sagt der Herr: Freuet euch darüber, wenn das geschieht.
So sehen wir, wie der Herr Seine Jünger
lehrt, sich nicht zu überheben wegen der Stellung, die sie einnahmen, sondern
in aller Demut und in der Kraft des Glaubens Ihm zu dienen und auch
anzuerkennen, wo überall sonst noch wahrer Dienst für Ihn ausgeübt wird.
Nunmehr bricht, geradeso wie in Matthäus, ein völlig neuer Zustand der Dinge an
(von dem Herrn angekündigt), der die Folge der Tatsache ist, daß Er leiden und
sterben würde. Doch Kapitel 10 zeigt, daß das nicht bedeutet, daß die
Schöpfungsordnung Gottes dadurch beiseite gesetzt oder verändert würde. Wir
haben darüber bereits in Matthäus nachgedacht, deshalb will ich hier nicht
ausführlich darauf eingehen. Wir haben in den Versen 1‑12 die Ehe und in den
Versen'13‑16 die Kinder, während wir in den Versen 17‑27 in dem Bericht über den
reichen Jüngling andere Dinge sehen, die Gott in der Natur gegeben hat und die
in sich selbst gut sind. Das wird hier sogar noch stärker ausgedrückt als in den
anderen Evangelien, denn nur hier steht (V. 21): "Jesus aber blickte ihn an,
liebte ihn und sprach. .. " Während Er diesen Mann ansah, fand Er etwas in ihm,
das Seine Liebe weckte, nämlich die Ehrlichkeit eines Menschen, der aufrichtig
meinte, daß er das Gesetz vollbracht habe und der das suchte, was ihm noch
fehlte.
Doch ebenso kennzeichnend ist das, was der
Herr diesem Mann hier in Vers 21 vorstellt: das Aufnehmen des Kreuzes. Wir
finden das nur hier. Gibt es jemanden, der (so wie der reiche Jüngling) dem
Herrn nachfolgen will, der von Ihm lernen will, was das Geheimnis wahren
Glückes in Gott und wahren Dienstes für Gott ist? Dann ist dies der Weg! Wie der
Herr zu den Jüngern sagte, so sagt Er nun zu diesem Jüngling: das Kreuz
aufnehmen und so Christus nachfolgen; das ist es, was der Herr denen zu bieten
hat hier auf der Erde, die Ihm nachfolgen wollen ‑ ein Kreuz und nichts anderes;
denn Er ging Selbst als Diener auf der Erde keinen anderen Weg als den des
Kreuzes. Und so sagt Er, als Petrus bemerkt, daß sie (die Jünger) dem Herrn
nachgefolgt sind (V. 29): Jeder, der um meinet ‑ und um des Evangeliums willen
alles verlassen hat ‑ da sehen wir wieder die Demut des Dieners, der auch auf
den Dienst, auf das Evangelium, hinweist ‑ wird hundertfältig in dieser Zeit
zurückempfangen: Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und
Äcker, doch vor allem: Verfolgungen! In der Zukunft das ewige Leben, in der Tat;
doch in dieser Zeit Verfolgungen ‑das ist es, was sie erwartete. So würde es für
Ihn sein und auch für die Jünger. Deshalb sagt Er in Vers 33: "Siehe, wir gehen
hinauf nach Jerusalem", nicht "ich" allein. Es ist nicht allein Mein Ziel der
Reise; wenn ihr als Jünger in Meine Fußspuren treten wollt, dann erwartet auch
euch ein Weg der Verfolgungen und Prüfungen. Doch wie wenig Verständnis hatten
sie dafür. Jakobus und Johannes sprachen lieber über die Frage, wer zur Rechten
und wer zur Linken des Herrn sitzen würde in Seiner Herrlichkeit (V. 37). Sie
hatten noch nichts davon verstanden, daß Er einen Kelch trinken und mit einer
Taufe getauft werden mußte. Doch das war der Weg des Dieners; aber es schien so,
als ob sie davon nichts verstehen könnten, bis sie miterlebten, wie der Herr
Selbst diese Leiden auf Sich nahm, ja, Sein Leben gab als Lösegeld für viele (V.
45). "Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden",
Er ist nicht aus auf Selbstverherrlichung, sondern Er ist gekommen, um anderen
zu dienen und Gottes Werk zu vollbringen.
Mit diesen Ereignissen ist der eigentliche
Dienst des Herrn Jesus übrigens beendet. Ich möchte nun noch kurz etwas Über die
letzten Kapitel sagen, in denen wir Seinen Weg zum Kreuz finden, was in Markus
nicht zuletzt als Folge der treuen Ausübung des Dienstes inmitten einer
feindlichen Welt dargestellt wird. Der Herr geht hinauf, um diese Konsequenz
gänzlich auf Sich zu nehmen, während Er doch überall Gnade erweist, wo sich
jemand darauf beruft, wie Bartimäus. Doch gibt Gott Seinerseits gerade hier ein
herrliches Zeugnis über Christus, ein Zeugnis, das Er gegen ihren Willen in dem
Herzen der Juden bewirkt, so daß sie Ihm entgegengehen und Ihn als den Messias
willkommen heißen. Denn dort, wo Er als Prophet und Diener verworfen ist, kann
es nicht anders sein, als daß Gott doch ein Zeugnis erzwingt, daß der verworfene
Diener der König ist. Die Juden rufen Ihm gerade hierzu (11, 10): »Gepriesen sei
das kommende Reich unseres Vaters David." Doch der Herr kennt ihre Herzen; Er
verflucht den Feigenbaum, ein Bild von Israel (V. 12‑14 und 20‑26) und fällt
Sein Urteil über die Wechsler im Tempel zu Jerusalem (V. 15‑19). Im folgenden
Abschnitt tritt der Herr all den verschiedenen Gruppen unter dem Volk entgegen,
wie wir auch in Matthäus sahen, wobei alle großen Gegenstände Seines Dienstes
erneut zur Sprache kommen.
Zuerst die Frage, in welchem Recht Er
Seinen Dienst tue (V. 27‑33); darauf folgt die Veränderung, die durch die
Ablehnung dieses Dienstes in den Regierungswegen Gottes mit dieser Erde
stattfinden würde: Gott würde den "Weinberg" einem anderen Volk geben (12,1‑12)
‑ ohne daß hier tiefer darauf eingegangen wird, wer das wahre Volk ist; das ist
hier nicht so wesentlich. Wir sehen danach die Pharisäer und Herodianer, die in
einer anderen Hinsicht über die Regierungswege Gottes sprechen, nämlich über
die Frage, wie es möglich ist, daß das Bundesvolk Gottes sich unter einer
fremden Besatzungsmacht befindet. Wir sehen weiterhin die Sadducäer, die die
Auferstehung leugnen oder angreifen wollen. Doch der Herr Jesus gibt auf alles
die richtige Antwort und vollführt also sogar gegenüber diesen Gottlosen Seinen
Dienst in Treue, in Gehorsam und vor allem in Niedrigkeit, ohne Seine Stimme zu
erheben oder Sich über sie zu ärgern; Er stellt ihnen einfach vor, was die
Gedanken Gottes sind. Doch zum Schluß kommt Er Selbst mit einer Frage, nämlich
wer der Messias wohl ist, wenn David (dessen Sohn Er ist) Ihn selbst seinen
Herrn nennt, der zur Rechten Gottes erhoben ist.
Dazwischen finden wir einen merkwürdigen
Abschnitt (12, 28‑34), auch wieder so kennzeichnend für Markus. Wie wir bei dem
reichen Jüngling sahen, wo der Herr in Demut so ganz auf den betreffenden
Menschen einging und an ihm sogar das liebte, was an Aufrichtigkeit und
Ehrlichkeit vorhanden war, so sehen wir auch hier die Wertschätzung des Herrn
für diesen Schriftgelehrten, der kommt, um Ihn bezüglich der Hauptgebote des
Gesetzes zu fragen. Als dieser Mann so feurig über den wahren Inhalt dieser
Gebote spricht, sagt der Herr, als Er sieht, daß er verständig geantwortet
hatte: "Du bist nicht fern vom Reiche Gottes" (V. 34). Es Ist besonders
ergreifend, hier zu sehen, wie der Herr als Mensch in Niedrigkeit das anerkennt,
was selbst unter dem Gesetz etwas war und deshalb nahe heranführte an die Tür
zum Reiche Gottes. Weich eine herablassende Güte in Ihm, dem gehorsamen Diener!
Was wir in Kapitel 13 finden, ist Matthäus
24 sehr ähnlich, doch die Unterschiede sind noch kennzeichnender. In Matthäus
wollte der Herr mit der "Rede über die letzten Dinge" den Wechsel der
Haushaltungen vorstellen: was sich ändern würde, erst nach Seinem Abschied, und
später nach Seiner Wiederkunft, wenn der Herr alle Dinge richtigstellen wird.
Dort stellen die Jünger auch ausdrücklich die Frage: "Was ist das Zeichen deiner
Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?" (24, 3). Hier stellen sie in Vers 4
nur die Frage: "Was ist das Zeichen, wann dieses alles vollendet werden soll?"
Es geht hier nicht um den Wechsel der Haushaltungen, sondern (wie immer) um den
Dienst der Jünger. Deshalb finden wir hier keinen deutlichen Unterschied
zwischen dem Dienst, den sie sehr bald ausüben würden und dem Dienst, der am
Ende dieser Haushaltung, kurz vor dem Kommendes Herrn, stattfinden würde. Wenn
z. B. in Vers 10 steht, daß das Evangelium gepredigt werden würde, finden wir
hier nicht, was in Matthäus 24, 14 steht, daß dann das Ende kommen würde; der
Nachdruck liegt hierauf dem Predigen. Die Jünger würden nach dem Abschied des
Herrn unter großem Widerstand den Dienst ausüben müssen. Gerade hier in Markus
finden wir etwas, was wir woanders nicht finden, nämlich wie sie diesen Dienst
ausüben können; nicht in erster Linie, welche Ereignisse sie zu erwarten haben
(das sehen wir in Matthäus), sondern in welcher
Kraft sie diesen Dienst ausüben
können. Vers 11 sagt: "Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige
Geist." Das ist hier das Entscheidende. Es gibt zwar einen Hinweis auf die
letzten Ereignisse, doch nicht in einem deutlich jüdischen Charakter wie in
Matthäus. Hier in den Versen 14‑18 finden wir keinen Hinweis auf den Tempel oder
den Sabbath, sondern lediglich auf die letzte, die schrecklichste Zeit, in der
der Dienst ausgeübt werden muß, welche Zeit mit dem Kommen das Sohnes des
Menschen abgeschlossen wird, wenn Er (wie in dem Gleichnis in Kapitel 4)
zurückkehrt, um schließlich Selbst die Ernte einzubringen.
Aber obwohl der Herr hier über Seine
Herrlichkeit bei Seinem Wiederkommen spricht, sehen wir Ihn hier noch immer als
den demütigen Diener. Nur in Markus finden wir die Worte von Vers 32, wo Er
sagt, daß sogar Er, der Sohn, weder von dem Tag noch von der Stunde weiß. Oh,
als Gott, der Sohn, Gott Selbst, wußte Er natürlich diesen Tag und diese Stunde,
doch Er war hier auf der Erde als ein unterwürfiger Diener, der nichts aus Sich
Selbst zu wissen oder zu können oder zu entscheiden hatte. In Abhängigkeit und
Gehorsam hatte Er alles in die Hände des Vaters übergeben und wußte nicht, wann
die Zeit des Vaters kommen würde.
Auch das Gleichnis, das der Herr hierauf
folgen läßt, kennen Wir aus Matthäus und Lukas, doch jedesmal hat es einen
eigenen Charakter. In den beiden anderen Evangelien bekommen die Knechte den
Auftrag, nach bestem Wissen und Können mit den Talenten oder Pfunden zu handeln.
Hier geht es jedoch nicht darum, nach eigenem Verständnis mit den Gaben, die der
Herr gegeben hat, zu wuchern, sondern es geht einfach um das aufgetragene Werk
(V. 34): "Gleichwie ein Mensch, der außer Landes reiste, sein Haus verließ und
seinen Knechten die Gewalt gab und einem
jeden sein Werk, und dem Türhüter einschärfte, daß er wache." Hier finden
wir keine persönlichen Initiativen, sondern einfache Knechte, die nicht nach
freier Wahl mit ihren Gaben handeln, sondern die jeder sein eigenes Werk
bekommen und wie unnütze Knechte nichts anderes tun als das ausführen, was Ihr
Herr ihnen aufgetragen hat.
Kapitel 14 ist schließlich die ergreifende
Erfüllung Seines Dienstes, und das bedeutet in einen verdorbenen, feindlichen
Weit nichts anderes als Leiden. Wir sehen wieder, wie der Herr zuvor glückliche
Augenblicke in dem Hause in Bethanien erlebt, doch wie das nicht verhindern
kann, daß Er den letzten schweren Leidensweg gehen muß. Auch während des
Passahfestes und der Einsetzung des Abendmahls in dem Obersaal ist alles von
diesem Gedanken überschattet, daß Er den Leiden entgegengeht. "Der Sohn des
Menschen geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht" (V. 21). Wir sehen
hier, wie er Judas als Verräter entlarvt, doch auch wie Er Sich mit Petrus
beschäftigt. Diese Geschichte mit Petrus nimmt gerade hier einen besonderen
Platz ein, da vornehmlich Petrus einer der künftigen Diener sein würde. Wo er
hier so traurig versagte, mußte er auch in besonderer Weise von dem Herrn
wiederhergestellt werden (wir werden das sogleich sehen), denn bei einem
wirklichen Diener muß eindeutig gesehen werden können, daß er von dem Herrn
angenommen und ausgesandt ist.
Der Herr geht nach Gethsemane, und wie
treffend zusehen, wie Er gerade hier in Markus, wo Er der abhängige Diener ist,
in einer besonderen Beziehung der Liebe zum Vater steht. Nur hier finden wir die
Worte: "Abba, Vater" (V. 36). Doch Er wird überliefert, und Judas und die Diener
führen Ihn vor den Hohenpriester und danach vor Pilatus. In anderen Evangelien,
besonders in Johannes, sehen wir, wie der Herr lange Gespräche führt, vor allem
mit Pilatus, vor dem Er "das gute Bekenntnis bezeugt" und der Wahrheit Zeugnis
gibt. In Markus dagegen sehen wir den Diener, und zwar einen, dessen Dienst
vollendet ist. Deshalb hören wir Ihn hier kaum sprechen; einmal zu dem
Hohenpriester, um zu bestätigen, daß Er der Christus ist, der Sohn des
Gesegneten (14, 61. 62), und einmal zu Pilatus, um zu bestätigen, daß Er der
König der Juden ist (15, 2). Danach antwortet er Pilatus nichts mehr, so daß
dieser sich verwundert (V. 5). Er ist der Diener, Er zeugt nicht von Sich
Selbst, Er bestätigt lediglich, wer Er ist. Danach schweigt Er, denn es gibt
nichts mehr zu sagen; Sein Dienst ist ja beendet, und Er nimmt freiwillig die
Leiden auf Sich, die die Folge Seines treuen Dienstes inmitten einer bösen Welt
sind. So demütig wird Er hier vorgestellt, daß Pilatus sogar den abgeschwächten
Ausdruck gebraucht: weichen ihr König der Juden nennet" (V. 12).
Der Herr Jesus wird von den Soldaten
geschlagen und verspottet und schließlich ans Kreuz gebracht, wo Er wiederum
von den Umherstehenden geschmäht wird und sogar von den zwei Übeltätern, die
rechts und links von Ihm hängen. Alles wird sehr einfach ‑und schlicht
berichtet, wie es dem Charakter des Dieners entspricht. Wir finden hier nicht
die Herrlichkeit, die in dem Zerreißen der Felsen, dem Erdbeben und der
Auferstehung vieler Heiliger zum Ausdruck kommt, wie in Matthäus, als ein
Zeugnis, daß Dieser der Messias war. Wir finden hier in aller Einfachheit das
Sündopfer. Der treue Diener ist Derselbe wie Der, der auf dem Kreuz zur Sünde
gemacht und von Gottverlassen wird, wie Er Selbst in Vers 34 ausruft. Die
einzige Folge Seines Todes, die hier genannt wird, ist das Zerreißen des
Vorhangs, die Beiseite Stellung des jüdischen Systems. Wie passend auch, daß
hier bei dem toten Diener gerade die Frauen gefunden werden, die ihrerseits dem
Herrn gedient hatten (V. 40. 41). So lesen wir von Joseph von Arimathia auch
nicht, daß er ein reicher Mann war, was in Matthäus nötig war, um zu zeigen, wie
die Prophezeiungen erfüllt wurden, sondern wir sehen ihn hier in seinem Dienst:
er war ein ehrbarer Ratsherr.
Sogar die Beschreibung der Auferstehung ist
hier einfach gehalten. Lediglich die Haupttatsachen werden erwähnt, wenn auch
mit einigen kennzeichnenden Besonderheiten, wie in Vers 7: "Saget seinen Jüngern
und Petrus." Das steht in Verbindung mit dem, was ich soeben sagte, daß Petrus
als Diener für den Dienst wiederhergestellt werden mußte und es deshalb nötig
war, daß er eine besondere Botschaft von der Gnade des Herrn bekam durch die
Verkündigung, daß Er auferweckt ist. So sehen wir hier auch, wie der Herr der
Maria Magdalene erscheint, von der ausdrücklich erwähnt wird, daß Er sieben
Dämonen von ihr ausgetrieben hatte. Sie, die selbst die Frucht des Dienstes des
Herrn war, war im besonderen geeignet, auch die Frucht Seiner Leiden und Seines
Sterbens in der Auferstehung den Jüngern vorzustellen. Und so sehen wir
schließlich, wie der Herr Selbst den Jüngern erscheint.
Ich habe absichtlich diese letzten Kapitel
etwas schneller behandelt, weil ich gerne noch etwas zu den Versen 15‑20 in
Kapitel 16 sagen möchte. Man hat oft behauptet, daß diese Verse eigentlich nicht
in das Markusevangelium gehören, und in einigen späteren Handschriften fehlen
sie auch. Das ist merkwürdig, denn es gibt beinahe keine Verse in Markus, die
uns deutlicher zeigen, wie der Herr Jesus hier als Diener vorgestellt wird und
auch wie Er Selbst Seine Diener aussendet. Das Evangelium endet nicht mit den
negativen Worten in Vers 14 ‑ dem Unglauben und der Herzenshärtigkeit der
Jünger, sondern endet mit diesem mächtigen Schlußwort, in dem der Herr sie in
die ganze Welt aussendet, um das Evangelium der ganzen Schöpfung zu predigen.
Hier finden wir nicht (wie in Matthäus) einen Messias ‑ verworfen und deshalb
in Galiläa ‑ der sagt: "allen Nationen", also im Gegensatz zu Israel. Hier
finden wir einen Dienst, dessen Bereich die "ganze Weit", die "ganze Schöpfung"
ist; jeder, der glaubt und getauft wird, wird errettet werden. Und nicht nur
das: nachdem der Herr von ihnen weggegangen ist, wird Er in besonderer Weise
bei ihnen sein, ihren Dienst bekräftigen, indem Er diese Zeichen auf ihren
Dienst folgen läßt, d. h. sie sollen denen folgen, die durch ihren Dienst zum
Glauben kommen, als eine besondere Anerkennung von seiten des Herrn im Himmel.
Beachte: der Herr sagt nicht, wie lange diese Zeichen folgen würden; Vers 20
erwähnt lediglich, daß die Worte des Herrn in dem Dienst der Zwölfe erfüllt
würden.
Übrigens, welche herrlichen Worte in den
Versen 19 und 20, wieder so charakteristisch für Markus. Nirgends in den
Evangelien lesen wir wie hier, daß der Herr Jesus Sich nach Seiner Himmelfahrt
zur Rechten Gottes gesetzt hat. Matthäus und Johannes erwähnen die Himmelfahrt
nicht einmal, nur Lukas tut das noch. Doch nur Markus berichtet, daß der Herr
Sich zur Rechten Gottes gesetzt hat; gerade das Evangelium, das den Herrn in der
allerniedrigsten Stellung beschreibt, beginnt damit, auf Seine Gottheit
hinzuweisen (1, 1‑3), und endet mit der höchsten Herrlichkeit des Sohnes Gottes!
Markus berichtet uns das nicht, um uns die Herrlichkeit an sich vorzustellen,
sondern um zu zeigen, daß der Herr Jesus dort für Seine Diener ist ‑ während Er
abwesend ist und scheinbar schläft (vgl. Kap. 4), scheinbar gar keine Beziehung
zu ihrem Dienst hat, ist Er gerade dort, um Seinen Dienern Kraft für den Dienst
zu geben. So steht hier: "Jene aber gingen aus und predigten allenthalben, indem
der Herr mitwirkte und das Wort bestätigte durch die darauf folgenden Zeichen."
Wie könnten wir jemals annehmen, daß dieser Abschnitt nicht in die Schrift
gehörte? Der Herr Selbst ist im Himmel, Er, der hier auf der Erde der
vollkommene Diener war, um nun im Himmel beständig Seinen Dienern auf der Erde
zu helfen und durch Zeichen ihr Wort zu bestätigen. Wir dürfen die volle
Sicherheit haben, daß auch wir, die wir als Diener ausgesandt sind, nicht allein
gelassen sind, sondern daß der Herr mit uns ist. Er ist "in dem Schiff", und
auch, wenn es so scheint, als würde Er schlafen ‑ wenn der Sohn Gottes an Bord
ist, brauchen wir uns nicht zu fürchten, sondern dürfen inmitten der Stürme in
aller Ruhe den Dienst ausüben, bis Er Selbst wiederkommen und die Ernte
einsammeln wird.
Wir kommen heute Abend zu dem dritten
Evangelium, dem nach Lukas. Wir haben in unserem Lied und in unserem Gebet
bereits ausgesprochen, daß der Herr Jesus uns hier als der Sohn des Menschen
vorgestellt wird. So drücken wir es meistens aus, doch wir könnten es vielleicht
noch deutlicher sagen: als Mensch. Er ist Mensch in der wirklichen Bedeutung des
Wortes. Natürlich sehen wir in allen Evangelien, daß Er Mensch geworden ist
und Mensch war. Doch nirgends wird Er so als echter, wahrhaftiger Mensch
vorgestellt wie in diesem Evangelium. Deshalb ist dieses Evangelium auch so echt
menschlich, in dem Sinn, daß wir den Pfad des Menschen Gottes (was wir als
Christen ja auch sein dürfen) nirgends so deutlich wie gerade hier gezeichnet
sehen: ein Mensch in vollkommener Hingabe an Gott, in Abhängigkeit von Seinem
Gott und Vater. Dabei beschreibt jedes Evangelium nicht nur eine bestimmte
Herrlichkeit des Herrn Jesus, sondern auch einen bestimmten Wesenszug Seines
Dienstes. So haben wir gesehen, daß Matthäus uns nicht nur den Herrn Jesus als
Messias, den König der Juden, zeigt, sondern andererseits auch, wie Israel Ihn
als solchen verworfen hat und wie der Herr als Antwort darauf Israel dann
beiseite setzt und an seiner Stelle ein neues Zeugnis errichtet: das Königreich
der Himmel; übrigens der Verantwortlichkeit des Menschen Übertragen, so daß auch
dort das Böse eindringt. In Markus sehen wir den Herrn nicht nur als
vollkommenen Diener, sondern auch, daß Er andere beruft, nach Ihm Diener zu
sein; und wie der Herr Jesus als Diener verworfen ist, so stellt Er auch Seinen
Nachfolgern auf der Erde einen Weg der Leiden vor, wo es gilt, sein Kreuz
aufzunehmen und sich selbst zu verleugnen.
So ist es nun auch bei Lukas. Er stellt uns
den Herrn vor als Sohn des Menschen, als wahrhaftigen Menschen. Er zeigt uns
aber auch einen besonderen Charakterzug Seines Dienstes: Der Herr ist von Gott
gesandt, um die Gnade Gottes der gesamten Menschheit zu offenbaren, ohne
Unterschied zwischen Israel und den Völkern. Gerade deshalb wird Er hier auch
als wahrhaftiger Mensch vorgestellt. Matthäus zeigt uns, wie Er Jude war, der
Messias, und Markus stellt Ihn als Propheten vor, und deshalb sehen wir Ihn dort
vor allem in Seinen Beziehungen zu Israel. Doch Lukas zeigt Ihn nicht als den
wahren Juden, sondern als den wahren Menschen, und als solcher steht Er mit der
gesamten Menschheit in Verbindung. Das kann auch nicht anders sein, denn das ist
ja der Charakter der Gnade: "Die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für
alle Menschen" (Tit 2, 11). Das Gesetz war auf ein Volk beschränkt, doch wo die
Gnade Gottes wirksam wird, kann es nicht anders sein, als daß sie sich zu allen
Menschen ausstreckt. Das Gesetz setzt ein abgesondertes Volk voraus, ein Volk
mit bestimmten Vorrechten und Ansprüchen. Die Gnade dagegen setzt keinerlei
Anrechte des Menschen voraus, sondern geht davon aus, daß der Mensch sich im
Elend befindet, alles verdorben hat und als solcher von Gottes Barmherzigkeit
abhängig ist. Und die Gnade, die hier in diesem Evangelium zutiefst erwiesen
wird, ist die Gnade eines Gottes, der Sich nicht nur zu dem Menschen herabneigt,
sondern zu dem Sünder. Daher könnten wir die213 sein Evangelium nicht nur die
genannte Stelle aus Titus 2, sondern auch die Stelle aus 1. Timotheus 2
voransetzen: "Denn Gott ist e i n e r, und e i n e r Mittler zwischen Gott und
Menschen, der Mensch Christus Jesus." Auch hier steht ausdrücklich „der Mensch",
denn es war ein Mensch, der Sich zu Menschen herabneigte, um sie mit Gott zu
versöhnen.
Das ist das Wunderschöne in diesem
Evangelium. Was das betrifft, gibt es kein Buch der Bibel, das das Herz, und
gerade das Herz eines Sünders oder eines Jungbekehrten so anspricht wie Lukas,
wo wir den Herrn Jesus sehen in einem wahren "Evangeliums"‑Charakter, könnte ich
beinahe sagen. Genauso tut Paulus es im Römerbrief, wo er zuerst deutlich
macht, daß Israel aufgrund seiner Auserwählung keine Rechte geltend machen kann,
sondern durch seinen sündigen Zustand ebenso sehr wie die Heiden von der Gnade
abhängig ist; und deshalb führt er den Menschen Jesus Christus als Denjenigen
ein, der gekommen ist, um diese Gnade zu entfalten. Das ist es, was auch Lukas
tut. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß er (soweit bekannt) der einzige Heide
ist, der ein Buch der Bibel geschrieben hat; als Heide hatte er am eigenen Leib
die Gnade Gottes erfahren als jemand, der dem Bürgerrecht Israels und den
Verheißungen Gottes entfremdet war. Er gibt diese Gnade an andere Menschen
weiter, hier an diesen vortrefflichsten Theophilus, wie der Anfang von Kapitel 1
sagt. Es ist Lukas, der Arzt, der uns Gottes Heil beschreibt, das zu bringen der
Herr Jesus gekommen ist.
Doch wie bereits angedeutet: so wie Paulus
im Römerbrief zwar zeigt, daß die Gnade für alle Menschen ist, daß aber doch
gilt: zuerst dem Juden und dann dem Griechen, so ist es auch hier bei Lukas. Es
ist ja nicht von vornherein klar, daß Israel alles verdorben hat und ebenso von
der Gnade abhängig ist; deshalb sehen wir, daß Lukas 1‑3 sich gerade nicht mit
den Heiden beschäftigt, sondern mit Israel, genauer gesagt, mit dem Oberrest
Israels, den wir am Ende des Alten Testamentes finden (Mal 3 und 4), wo bereits
damals festgestellt wurde, daß Israel als Ganzes aufs neue abgewichen ist, auch
nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft. Inmitten dieses Volkes finden wir in
Maleachi 3 einige wenige, die sich miteinander unterreden: Jehova merkt auf und
hört; und ein Gedenkbuch wird vor Ihm geschrieben. Das ist Lukas 1 und 2; dort
finden wir die wenigen Treuen inmitten eines verdorbenen Israel wieder, und
zwar erstens einen Zacharias und eine Elisabeth. Zacharias bedeutet: Jehova
gedenkt, und Elisabeth: Mein Gott ist Eidschwur, d. h. mein Gott ist Seinem Bund
treu. Gerade ihr Kummer zeigt den traurigen Zustand des ganzen Volkes Israel.
Gott hatte Seinem Volk Kindersegen verheißen, und hier sehen wir Menschen, die
in Israel treu sind und doch den Kindersegen nicht empfangen. Eine ähnliche
Situation sehen wir bei Maria und Joseph, dem zweiten Paar von Treuen, das wir
hier finden. Sie waren von dem Geschlecht Davids, und Joseph hatte als solcher
ein Anrecht auf den königlichen Thron. Doch anstelle von Herrlichkeit sehen wir
Armut und Bedeutungslosigkeit; sie wohnen in dem verachteten Nazareth. Das ist
der Zustand, in dem wir den Oberrest hier sehen: armselig wenige unter einem
abgewichenen Volk, die doch treu den Messias erwarten.
Wie kommt Gott nun zu ihnen? Will Gott
Seinem Volk jetzt die Verheißungen erfüllen? Nein, Er erweist den Treuen Gnade.
Gott schenkt Zacharias und Elisabeth ihren Sohn Johannes, was bedeutet: Jehova
ist gnädig. Und als der Engel zu
Maria kommt, sagt er: "Sei gegrüßt,
Begnadigte." Dies ist das Evangelium der Gnade! Wenn Gott unter Seinem Volk
zu wirken beginnt, geschieht das nicht aufgrund von Ansprüchen und Vorrechten,
im Gegenteil: Sogar bei den Treuen bleibt der Segen Gottes aus, den Er einem
treuen Volk verheißen hatte. Weder Kindersegen für Zacharias noch königliche
Herrlichkeit für Joseph, nein: Gegenstände der Gnade werden sie. So lesen wir in
Vers 30: "Denn du hast Gnade bei Gott gefunden." Gerade diesen einzelnen schenkt
Gott Seinen Messias, der hier in solch einer menschlichen Weise vorgestellt
wird. Er ist Derjenige, der von dieser einfachen Jungfrau, von Maria, geboren
wird. Doch zugleich ist Er göttlicher Herkunft (Kap. 1, 35). Er war nicht
einfach ein Mensch: Er war der Sohn des Menschen, doch als Mensch zugleich der
Sohn Gottes. Geboren von einem Menschen, gewiß, doch gezeugt von Gott, dem
Höchsten, durch die Kraft des Heiligen Geistes. Deshalb sollte Er Sohn Gottes
genannt werden, hier nicht (wie in Johannes) gesehen als der ewige Sohn im Schoß
des Vaters, sondern Sohn Gottes (nach Psalm 2), weil Er als Mensch von Gott aus
der Jungfrau Maria gezeugt wurde.
Wir sehen in den Lobgesängen von Maria und
Zacharias vor allem die Erwartungen Israels; doch nicht von Menschen
ausgesprochen, die sich aufgrund guter Werke auf bestimmte Rechte berufen,
sondern in dankbarer Anerkennung der erwiesenen Barmherzigkeit ausgedrückt, also
völlig in Übereinstimmung mit dem Charakter dieses Evangeliums. So spricht Maria
in den Versen 50 und 54, und vor allem Zacharias in Vers 72: " ... um
Barmherzigkeit zu vollbringen an
unseren Vätern und seines heiligen Bundes zu
gedenken, des
Eides, den er Abraham, unserem Vater,
geschworen hat." Er nennt dort eigentlich die Namen seines Sohnes, seiner
selbst und seiner Frau (siehe das kursiv Gedruckte)! In Vers 77 fährt Zacharias
fort: " . . . um seinem Volke Erkenntnis des Heils zu geben in Vergebung ihrer
Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, in welcher uns
besucht hat der Aufgang aus der Höhe." Hier sehen wir nicht einen Gott, der
Seinen "Verpflichtungen" nachkommt, sondern der Barmherzigkeit erweist, der in
Übereinstimmung mit den wahren Bedürfnissen eines schuldigen Volkes Gnade
bringt. Kapitel 2 beschreibt uns den traurigen Zustand: das Land ist von einem
fremden Herrscher besetzt. Gerade diese Züchtigung Gottes zeigt so deutlich, daß
das Volk keinen einzigen Anspruch geltend machen kann. Der Thronfolger Davids
ist dem Willen des Augustus unterworfen. Und noch stärker: Wie wird der Herr
Jesus empfangen? Für Ihn ist kein Platz in der Herberge, sondern lediglich dort,
wo die Tiere gefüttert werden. Hier lesen wir auch nicht, daß die Weisen aus dem
Osten kommen, um Ihm königliche Ehre darzubringen, wie in Matthäus, denn dort
sehen wir den König der Juden, der geboren worden ist. Hier sehen wir statt
dessen wieder die Treuen im Lande, nicht die Reichen oder Angesehenen, sondern
die Armen aus Bethlehem, die auf dem Feld ihre Herde hüten.
Wie schön stimmt auch das, was die Engel
jubelnd aussprechen, mit dem Charakter dieses Evangeliums überein. Es geht
nicht um einen Gott, der lediglich die Verheißungen an Israel erfüllt, sondern
Der der ganzen Welt Gnade erweist und als solcher Ehre empfängt: "Herrlichkeit
Gott in der Höhe", weil Er in dem Messias Frieden auf
Erden bringt, und nicht nur in
Israel. Gott hat die Erde vor Augen, die ganze Menschheit. Deshalb gibt Er den
Menschen Jesus Christus, denn Gott hat an den Menschen ein Wohlgefallen, nicht
nur an Seinem Volk. Gott hat Erbarmen mit der ganzen Menschheit und erweist das,
indem Er den Menschen Jesus Christus als Mittler zwischen Gott und Menschen
sendet. In dem Lobgesang Simeons finden wir ebenfalls einen Hinweis darauf.
Auch Simeon und Anna waren solche Treuen in Israel, die die Erlösung in
Jerusalem erwarteten (2, 38). Simeon sagt in Vers 30: "Denn meine Augen haben
dein Heil gesehen, welches du bereitet hast vor dem Angesicht
alter Völker: ein Licht zur
Offenbarung der Nationen und zur
Herrlichkeit deines Volkes Israel." Das letzte kommt hinzu, doch zuerst nennt
er die Nationen. Gott geht es um die Menschheit, um die gesamte Schöpfung. Das
Gesetz beschränkte sich auf ein Volk,
aber die Gnade ist für alle Menschen.
Um das Menschliche des Herrn weiter zu
betonen, wird uns (nur in diesem Evangelium!) ein Blick in Seine Jugend
vergönnt. Wir sehen (V. 40), daß sogar von Ihm gesagt wird, daß Er der
Gegenstand der Gnade Gottes ist* "Und Gottes Gnade war auf ihm." Nur hier sehen
wir Ihn als zwölfjährigen Jungen im Tempel. Warum zeigt der Evangelist uns das?
Um zu zeigen, daß sich die Berufung des Herrn Jesus nicht auf die Tatsache
gründete, daß Er mit dreißig Jahren gesalbt wurde, sondern daß Er bereits als
Junge der vollkommen gehorsame Mensch Gottes war, der auch zu der Zeit bereits
Gott Seinen Vater nennen konnte (vgl. 1, 35). Ist das nicht wunderschön? Ein
Junge von zwölf Jahren, der diese Worte ausspricht: "Wußtet ihr nicht, daß ich
in dem sein muß, was meines Vaters ist?" (V. 49). Von Kindesbeinen an war er für
diesen Weg zubereitet, als der vollkommene Mensch Seinem Vater zu gehorchen und
zu dienen. Wir dürfen Gott unseren Vater nennen, wenn wir mit dem Heiligen Geist
versiegelt
sind, denn dieser ist es, der uns
Freimütigkeit dazu gibt. Hier jedoch sehen wir einen Menschen, noch nicht mit
dem Heiligen Geist gesalbt ‑ das sollte erst 18 Jahre später stattfinden ‑ der
aber doch zu Recht sagen konnte: "Mein Vater", weil Er von Gott, dem Vater, aus
der Jungfrau Maria gezeugt war. Das ist der Mensch Jesus Christus. Das
Speisopfer war hier noch nicht mit Öl gesalbt, aber es war von Anfang an mit Öl
gemengt.
Danach folgt der einleitende Dienst des
Johannes, um den Überrest, wozu auch Simeon und Anna, die Hirten, Joseph und
Maria, Zacharias und Elisabeth gehörten, durch die Taufe der Buße zur Vergebung
der Sünden von der ungläubigen Masse des jüdischen Volkes abzusondern. In Lukas
bedeutet die Tatsache, daß der Herr Jesus Sich durch die Taufe mit diesem
Überrest vereint, vor allem, daß Er damit Seine Beziehungen mit Israel im
Allgemeinen beendet. Daraus erkennen wir den einleitenden Charakter dieser
Kapitel. Wir sehen dort ein Israel ohne rechtmäßige Ansprüche, denn es gibt nur
wenige Treue, und selbst die sind nicht im Besitz des Segens; sie sind abhängig
von der Gnade. Doch wir sehen, wie der Herr allein sie anerkennt inmitten des
Volkes und Sich ihnen dadurch anschließt, daß Er Sich ebenfalls taufen läßt. Er
tut das hier vor allem als der abhängige Mensch; nur hier lesen wir (3, 21), daß
Er betet, während Er getauft wird.
Auf dieses Ereignis folgt in Kapitel 3
unmittelbar Seine Abstammung. Das ist bedeutsam. Seine Abstammung steht hier
nicht voran wie in Matthäus; dort war es wichtig, mit dem Geschlechtsregister zu
beginnen, denn Matthäus mußte von Anfang an klarmachen, daß der Herr Jesus der
wahre Jude, ja, der Sohn Davids war und welche Ansprüche Er folglich darauf
hatte, der Messias zu sein. In Lukas dagegen sehen wir Ihn als Denjenigen, der
zuerst in die Mitte Seines Volkes kommt, um den Thron Seines Vaters David zu
empfangen (1, 32); da aber nun das Volk beiseite gesetzt ist und der Herr nur
den Überrest anerkennt, zeigt der Evangelist zuerst, daß der Herr Jesus
vollkommener Mensch ist und als solcher eine Beziehung zur gesamten Menschheit
hat. Wir könnten die Frage stellen: Ist es nicht selbstverständlich, daß Er
Mensch ist? Muß dazu ein Geschlechtsregister angegeben werden? Das Geheimnis
scheint mir in dem letzten Vers zu liegen. Man könnte ja fragen: Wie kann der
Herr Jesus wirklich Mensch sein, wenn Er von Gott aus der Jungfrau Maria gezeugt
ist? Ein wirklicher Mensch ist doch jemand, der von einem menschlichen Vater
gezeugt ist? Deshalb zeigt Lukas uns die Abstammung Christi von Adam, von dem
hier ausdrücklich steht: "Adam, [Sohn] des Gottes." Nun, war Adam ein Mensch?
Ohne Zweifel. Doch war Adam von einem menschlichen Vater gezeugt worden? Nein,
Adam war von Gott erweckt, und deshalb ist der letzte Adam ebensosehr Mensch wie
der erste Adam, der ebenfalls von Gott erweckt wurde. Ja, der Herr Jesus war
sogar in strengerem Sinne Mensch als Adam, denn er war von einer Frau geboren,
und das war Adam nicht.
Wie treffend ist diese Verbindung mit Adam
‑ und sie wird noch treffender, wenn wir sehen, daß hierauf unmittelbar die
Versuchung in der Wüste folgt. Auch der erste Adam wurde auf die Probe gestellt,
jedoch nicht in der Wüste, sondern an dem auserlesensten Platz dieser Erde, dem
Garten Eden ‑ und dieser Adam war doch gefallen. Doch sieh, hier wird auch der
letzte Adam, der Mensch Jesus Christus, von dem Satan versucht; nicht so sehr
als eine göttliche Person, sondern als ein Mensch, geleitet durch den Geist
Gottes; und das nicht unter den idealsten Umständen, sondern in der Wüste, nach
vierzig Tagen ohne Nahrung. Beachten wir wohl, daß hier die geistliche Erprobung
am Ende erfolgt. In Matthäus werden dem Herrn als Höhepunkt die Königreiche
vorgestellt, denn dort ist Er vor allem der König. Doch hier sehen wir den
Menschen, der von Anfang an, sogar bereits mit zwölf Jahren, in vollkommener
Abhängigkeit von Seinem Vater in den Himmeln wandeln wollte. Deshalb folgt hier
als letzte und schwerste Erprobung: "Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich von
hier hinab." Wenn der Herr das getan hätte (was Er als göttliche Person hätte
tun können!), hätte Er Seine Abhängigkeit als Mensch preisgegeben. Deshalb
sehen wir, daß der Satan, nachdem der Herr darin nicht gefehlt hat, Ihn für eine
Zeit verläßt, um dann später im Gar219 ten Gethsemane zu Ihm zurückzukehren.
Danach beginnt der Dienst des Herrn Jesus,
und er wird hier so völlig entsprechend dem Charakter dieses Evangeliums
beschrieben. Nicht wie in Matthäus, wo zuerst die Wunder kommen, die beweisen
mußten, daß Er der Messias war; hier besteht der Ruhm des Herrn nicht in den
Wundern, die Er tut, sondern in den Worten, die Er spricht. Den Schlüssel finden
wir in 4, 22, wo wir Ihn in Nazareth sehen und wir über "Worte der Gnade, die
aus seinem Munde hervorgingen" hören. Ist das nicht wunderbar? Wenn der Herr in
der Synagoge von Nazareth spricht, könnten wir uns vorstellen, daß Er Sich den
Ansprüchen und Rechten Israels anpaßt. Doch so stellt Er Sich nicht vor! Er
zeigt Sich als Derjenige, auf dem der Geist des Herrn ruht, um Armen, allerlei
elenden Menschen, die überhaupt keine Ansprüche haben, das Evangelium zu
verkündigen. Und darüber verwundern sich die Menschen ‑ über die Worte der
Gnade, die Er Israel bezeugt. Die Ansprüche Israels werden offensichtlich nicht
mehr anerkannt, ja, jeder, auch aus Israel, kann allein noch auf dem Boden der
Gnade zu Gott kommen. Und wenn es Gnade ist, dann lesen wir auch unmittelbar,
daß diese tatsächlich nicht auf Israel beschränkt sein kann. Dann wird auf die
Witwe in Zarpath und Naaman, den Syrer, hingewiesen, die früher ebenso
Gegenstände der Gnade Gottes gewesen waren. Doch sehen wir zur gleichen Zeit
(wie überall, wo das Evangelium gepredigt wird), daß das Herz des Menschen
offenbar wird, als die Nazarener Ihn von dem Rand des Berges hinabstürzen
wollen. Danach erst, nachdem der Herr Jesus durch das Wort die Gnade vorgestellt
hat, sehen wir, wie die Gnade in Taten wirksam wird durch die Wunder, die
folgen, so daß in Kapernaum die Schwiegermutter des Simon geheilt wird. Darauf
will ich nicht weiter eingehen.
in Kapitel 5 haben wir einen erneuten
Hinweis auf den wahren Charakter dieses Evangeliums. Alles wird auf die
Grundlage der Gnade gestellt, von dem höchsten und besten bis zu dem
niedrigsten und schlechtesten Israeliten. So ist es zuerst der Fall bei der
Berufung der Jünger in Kapitel 5. Allein schon dieses eine Thema, die Berufung
der Jünger, steht in jedem Evangelium so ausgezeichnet in Übereinstimmung mit
seinem jeweiligen Charakter. Hier finden wir nur ein Beispiel, nämlich Simon
Petrus; das soll uns zeigen, daß sogar die, die in solch besonderer Weise
auserwählt waren, um die Jünger des Herrn zu sein, allein auf der Grundlage
der Gnade Jünger sein konnten, und nicht aufgrund irgendeines guten Werkes oder
irgendeines Rechtes. Wer ist dieser Mann, der hier berufen wird? Ein Mann, der
sagen muß: "Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr" (V. 8).
Sündige Menschen sind es, die der Herr beruft; das ist Seine Gnade, die sogar in
der Berufung Seiner Jünger zum Ausdruck kommt. Beachten wir: Es sind nicht nur
Menschen, die ab und zu sündige Taten tun, sondern die sündig sind. Und wodurch
wurden Herz und Gewissen des Petrus getroffen? Einfach durch einen überreichen
Fischfang. Dieser Gnadenbeweis des Herrn legte den Herzenszustand des Petrus
bloß. Gnade erweicht das Herz und erhebt den Fischer zu einem Diener.
Dieser Charakter der Gnade Sündern
gegenüber wird weiter in Beispielen verdeutlicht: in der Unreinheit des
Aussätzigen, in der Kraftlosigkeit des Lahmen (die in Vers 24 mit der Vergebung
der Sünden verbunden wird), und sogar in einem Levi, von dem die Pharisäer
geringschätzig sagen, daß der Herr mit Zöllnern und Sündern ißt. Sie alle werden
durch die Gnade gerettet, denn der Herr spricht in Vers 32 das Schlüsselwort:
"Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße." Sehen wir,
daß es in dieser ganzen wunderbaren Offenbarung, die der Herr bringt, keinen
Platz mehr für das alte, für das eigentlich Jüdische geben kann? In keiner Weise
knüpft der Herr an die Vorrechte und Ansprüche Israels an; Er sagt ausdrücklich
(V. 36): "Niemand setzt einen Flicken von einem neuen Kleide auf ein altes
Kleid", usw. Was Er brachte, war nicht mit dem Alten zu verbinden, wie sehr der
Mensch von Natur das Alte auch liebte, wie wir in Vers 39 lesen (was wir nur in
Lukas finden): "Und niemand will, wenn er alten getrunken hat, alsbald neuen,
denn er spricht: der alte ist besser." Das ist der Mensch von Natur. Wenn der
Herr Jesus kommt, um Gnade zu offenbaren, weist der Mensch diese Gnade ab, weil
er lieber das alte System hat, mit dem er vertraut ist und das den Bedürfnissen
seines eigenen Fleisches entspricht. 221 Doch für den Herrn Jesus ist in diesem
System kein Platz.
Der Herr kann mit dem alten Judentum keine
Verbindung haben, und das sehen wir auch im weiteren Verlauf (Kap. 6). Er
überschreitet die Grenzen des durch pharisäische Gebote eingeschnürten Sabbaths
und breitet dort Seine Segnungen aus (V. 1‑11). In Vers 12, nachdem das Judentum
eindeutig beiseite gesetzt ist und keinen Platz mehr in dem Dienst des Herrn
Jesus hat, beginnt ein wichtiges Thema: Wenn der Herr Jesus deutlich gemacht
hat, daß es für das Judentum als solches keine Hoffnung mehr gibt, bedeutet das,
daß es nur noch Hoffnung für diejenigen gibt, die das Judentum verlassen haben.
Das ist also ein gläubiger "Überrest", der vor allem aus Jüngern besteht, die
dem Herrn auf Seinem Weg folgen werden. Es ist sehr wichtig, den wahren
Charakter dieses Überrestes hier zu erkennen. In Matthäus geht es hauptsächlich
um einen jüdischen Überrest, der ein
Vorbild des Oberrestes ist, der in der Zukunft während der großen Drangsal da
sein wird und den der Herr als die wahren Kinder des Königreiches der Himmel
betrachtet. In Lukas ist das nicht der Fall. Hier wird der Überrest gesehen als
die Frucht reiner Gnade, also mehr in einem hauptsächlich
christlichen Charakter, und nicht so
sehr jüdisch.
Zuerst beruft der Herr Seine Jünger, und
auch darin erweist Er Sich als der abhängige Mensch; Er verharrt die Nacht im
Gebet, bevor Er sie beruft. Nach dieser Berufung finden wir in den Versen 20‑23
die sogenannten "Seligpreisungen". Sie erinnern uns tatsächlich an Matthäus 5,
es besteht aber doch ein großer Unterschied. In Matthäus sind die
Seligpreisungen die allgemeinen Charakterzüge der Kinder des Königreiches, wie
sie vor allem in der Zukunft gefunden werden. Hier hingegen ist das nicht so.
Hier spricht der Herr unmittelbar zu dem Überrest. Er sagt hier nämlich nicht:
"Glückselig die Armen im Geiste", sondern "Glückselig
ihr Armen, denn euer ist das Reich
Gottes." Hier geht es nicht um das Vorbild, sondern um die Jünger selbst als den
Anfangspunkt, den Kern, um den das christliche Zeugnis gebildet werden wird.
Deshalb spricht die Belehrung des Lukas sicherlich ein einfältiges Herz viel
direkter an, weil wir dabei so unmittelbar einbezogen sind, weil wir nun selbst
durch Gnade ein Teil dieses Zeugnisses sein dürfen. Deshalb wird das hier auch
verknüpft mit dem "Wehe" (V. 24‑26), denn das ist nun der Charakter des
Evangeliums. Wenn der Herr auch heute zu denen, die dieses Wort annehmen, sagt:
Glückselig ihr ‑ dann steht das auch
in Verbindung mit ‑. Wehe euch, die ihr das Evangelium abweist und in euren
alten Werken und Systemen bleibt.
Und was ist nun der Weg für das christliche
Zeugnis? Das ist die Nachfolge hinter dem Herrn Jesus her. Nicht wie in Markus
die Nachfolge als Diener ‑ in Markus geht es um den großen Diener, der uns als
Dienern den Weg vorangeht. Hier aber geht es um den Menschen, der Menschen
lehrt, wie sie in Abhängigkeit von Gott wandeln müssen, so wie Er als der
vollkommene Mensch Seinem Gott und Vater gehorsam war. Deshalb geben uns die
Verse 27‑38 eigentlich eine Beschreibung des Weges des Herrn Jesus Selbst. Er
liebte Seine Feinde, Er tat (V. 31), wie die Menschen wollten, daß man ihnen tun
sollte, Er hatte nur das Gute vor Augen, Er erwies Barmherzigkeit, wie auch der
Vater barmherzig ist, Er hat nicht gerichtet (V. 35‑38). Alles, was wir hier
finden, war Sein eigener Weg auf der Erde, und deshalb konnte Er schließlich (V.
40) als Zusammenfassung den Kerntext dieses Kapitels aussprechen: "Ein Jünger
ist nicht über den Lehrer; jeder aber, der vollendet ist, wird sein wie sein
Lehrer." Sind wir denn vollendet? Ja, wir können in diesem Sinn vollendet sein,
wenn wir, gerade wie der Herr Seinem Lehrer gegenüber, in vollkommener
Abhängigkeit von unserem Lehrer unseren Weg gehen. Er ist das Vorbild.
Nirgendwo lesen wir z. B. so häufig, daß Er betet, wie in diesem Evangelium.
Bete zu Gott, wie der Mensch Jesus Christus es tat! Das ist der Lehrer, das ist
das Vorbild, nicht die blinden jüdischen Führer von Vers 39. Wir können
vollendet sein, wenn wir sind wie der Lehrer: in derselben Weise hingegeben,
indem wir uns selbst beurteilen, Ihm allein gehorchen und nachfolgen. Das ist
der Weg für die Christen: dem Herrn nachfolgen, wie Er Selbst auf der Erde Gott
gehorsam gewesen ist.
Diese Grundsätze werden bis zum Ende dieses
Kapitels weiter ausgeführt. Doch wenn dies der Weg ist für die Christen‑ die
Nachfolge hinter dem Herrn Jesus her, dann wird aufs neue deutlich (und das
sehen wir jedesmal in Lukas), daß das nicht auf Israel allein beschränkt sein
kann. Deshalb finden wir in Kapitel 7, daß auch der Hauptmann in Kapernaum,
auch wenn er nicht von Israel ist, an derselben Gnade teilhat. Die Gnade
überschreitet immer die Grenzen des Gesetzes, und hier sehen wir, daß sie auch
für die Helden gilt. Die Verse 11 ‑17 zeigen uns, daß die Gnade auch in diesem
Sinn weit über das Gesetz hinausgeht, daß Tote auferweckt werden; wo hatte das
Alte Testament jemals einen derartigen Segen verheißen? Wo sagt das Gesetz,
daß, wenn das Volk gehorsam wäre, Gott ihre Toten auferwecken würde? Doch das
ist nun reine Gnade Gottes, die sogar einen toten Jungen aus Nain seiner Mutter
zurückgibt. Das ist Gnade, die nicht innerhalb der Grenzen des Judentums bleibt,
sondern darüber hinausgeht; nicht in Übereinstimmung mit den unmittelbaren
Bedürfnissen des Volkes, sondern in Übereinstimmung mit dem Charakter eines
barmherzigen und gnädigen Gottes. Das folgende ist noch merkwürdiger. Wie schön
ist das in diesem Evangelium zu sehen! Die Gnade Gottes erreicht nicht nur einen
toten Jüngling, sondern sogar Johannes den Täufer, und das ist vielleicht der
deutlichste Beweis in diesem Evangelium, daß buchstäblich jeder Mensch auf die
Grundlage der Gnade gestellt werden muß. Sogar der allergrößte Prophet ‑ der
Herr sagt Selbst ausdrücklich in Vers 28, daß Johannes der größte unter den von
Frauen Geborenen war ‑ zweifelt an der Sendung des Herrn Jesus und fragt Ihn:
"Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?" Und dann muß
selbst er auf die Grundlage des Glaubens gestellt werden, denn was sagt der
Herr? Gibt Er ihm eine direkte, bestätigende Antwort? Nein, der Herr weist ihn
hin auf die Wirksamkeit der Gnade, die Wunder tut, Kranke heilt und die
Barmherzigkeit Gottes ausstreut.' denn an den Charakterzügen der Gnade ist der
wahre Mensch Christus Jesus, der Mittler zwischen Gott und Menschen, zu
erkennen. Sogar Johannes muß durch diesen Dienst der Gnade unterwiesen werden.
So weit reicht die Gnade Gottes. Wenn sogar der Allergrößte im Königreich Gottes
von der Gnade abhängig ist, sollten wir es dann nicht sein? Ist dann nicht auch
der größte Sünder ‑ denn den finden wir ebenfalls in diesem Kapitel ‑ von der
Gnade abhängig?
Der Herr Jesus nimmt Seinen Diener in
Schutz, verteidigt ihn und läßt sehen, wer Johannes war
der Größte von allen, der größte Prophet, der Ihm vorangegangen war.
Menschliche Maßstäbe können dabei gar keine Rolle spielen. Die wahre Weisheit
Gottes wird nicht nach menschlichen Normen gemessen, sondern, wie Vers 35 sagt:
"Und die Weis heit ist gerechtfertigt worden von allen ihren Kindern." Die
anschließende Begebenheit beweist das unmittelbar! Ist das nicht ein
wunderschöner Gegensatz: zuerst sehen wir den größten Propheten auf den Boden
der Gnade gestellt, und unmittelbar danach eine tief verlorene Sünderin auf
demselben Boden der Gnade? Sie war ein Kind der Weisheit, nicht Simon, der
Pharisäer; dieser kannte den Herrn nicht und hatte keine Wertschätzung für Ihn;
das machte sein Empfang deutlich; er zweifelte sogar daran, daß der Herr ein
Prophet war. Nein, die Weisheit wird gerechtfertigt von ihren Kindern, das
sehen wir bei dieser Sünderin. Warum war sie solch ein "Kind"? Weil sie besser
war als Simon? Davon kann nicht die Rede sein! Sondern weil die Sünderin, die
soviel Verkehrtes getan hatte, durch die Gnade in dem Herrn Jesus getroffen
worden war. Bei ihr war die wahre Weisheit, denn sie kannte das Herz des Herrn.
Was glaubst du, weshalb sie zu Ihm gekommen war? Weil die Gnade Gottes, die in
Ihm ausgegossen war, einen tiefen Eindruck auf ihr Herz gemacht hatte; dadurch
war sie berührt worden, und deshalb ging sie zu Ihm. Ihre Sünden waren ihr
bereits lange vergeben, doch sie wußte es nicht, und sie kam nicht einmal so
sehr, um das zu hören; sie kam einfach, weil sie, die sich so schuldig wußte,
angezogen wurde durch die unwiderstehliche Kraft der Gnade, und so beugt sie
sich weinend zu Seinen Füßen nieder. Und dann die Stimme der Gnade zu hören, die
sagt: Deine Sünden sind dir vergeben! Ja, darüber mögen Menschen lachen und
spotten, doch das ist es, was das Herz, das nach Gnade verlangt, nötig hat.
"Dein Glaube hat dich errettet" ‑ weich eine wunderbare Güte Gottes!
Doch nun, nachdem deutlich geworden ist,
daß der größte Prophet und der größte Sünder auf den Boden der Gnade gestellt
werden müssen, sehen wir in Kapitel 8 aufs neue, daß die Gnade Gottes nicht auf
Israel beschränkt sein kann. Oft kehrt diese Belehrung im Lukasevangelium
wieder. Und so finden wir auch in Kapitel 8 das Predigen des Säemanns, der hier
nicht genannt wird, um zu zeigen, daß das Königreich der Himmel nun in der
ganzen Welt ausgebreitet wird. Es ist hier nicht (wie Vers 11 zeigt) das Wort
vom Königreich (vgl. Mt 13, 19), sondern: "Der Same ist das Wort Gottes." Es ist
das Wort Gottes, das ausgestreut wird und das auch bemerkenswerte Frucht trägt
(V. 15), wie wir es nicht an anderer Stelle lesen: " ... diese, welche in einem
redlichen und guten Herzen das Wort, nachdem sie es gehört haben, bewahren und
Frucht bringen mit Ausharren." Das sind die gnädigen Resultate des Wortes Gottes
in einem christlichen Leben; solche Menschen sind es, die der Herr als die
Seinen anerkennt, wie Vers 21 sagt: nicht Seine natürlichen Verwandten,
sondern: "Meine Mutter und meine Brüder sind diese, welche das Wort Gottes hören
und tun." Das sind die Treuen, die Er im weiteren Verlauf auch in dem Sturm
beschützt (8, 22‑25). Das sind solche Treuen, wie auch hier der Besessene, der
gerettet wird und dann ausgesandt wird in den Dienst für den Herrn (8, 26‑39).
Und so breitet sich die Wirksamkeit des Samens der Gnade Gottes aus, auch über
das tote Töchterchen des Jairus und über die blutflüssige Frau in der
Volksmenge.
Diese ersten acht Kapitel bilden ein
Ganzes, und zwar die Einleitung, die deutlich macht (wie ich schon erwähnte),
daß Gott hier nicht entsprechend den Rechten Israels handelt, sondern daß die
Treuen in Israel, die sich bekehren und ihre Sünden bekennen, auf den Boden der
Gnade gestellt werden. Und (weil es Gnade ist!) wird auch jeder aus den
Nationen, der in derselben Weise den Samen des Wortes Gottes in seinem Herzen
aufgehen läßt, in derselben Weise auf den Boden der Gnade gestellt. Danach
beginnt dann in Kapitel 9 ein neues Thema, und zwar wird nun entfaltet,
welches Fundament Gott hat, auf dem
Er Gnade erweisen kann. Das Fundament ist der Mensch Jesus Christus, der der
Mittler ist zwischen Gott und Menschen, weil Er Sein Leben als Lösegeld für
viele hingibt. Es ist wunderschön, daß uns das schon im ersten Drittel dieses
Evangeliums vorgestellt wird.
Lukas 9 zeigt uns den Herrn als Den, der
von Israel verworfen werden wird. Wir finden zuerst ein allgemeines Zeugnis der
Welt gegenüber; nicht Israel gegenüber ‑ die Zwölfe werden hier nicht nur zu
Israel ausgesandt, wie in Matthäus, sondern ganz allgemein, ohne Unterschied.
Danach sehen wir, wie der Segen Gottes bildlich in der Speisung der Fünftausend
ausgegossen wird, doch darüber will ich nicht weiter sprechen. Ich möchte etwas
näher auf das Bekenntnis des Petrus eingehen (9, 20). Hier ist es nicht der
"Christus, der Sohn des lebendigen Gottes", hier geht es nicht darum, zu zeigen,
daß Israel beiseite gesetzt ist und der Versammlung Platz macht, denn das ist
das Thema von Matthäus. Hier geht es darum, zu zeigen, daß die wenigen Treuen,
die den Herrn als den Gesalbten Gottes anerkennen, im Gegensatz zu denen, die
Ihn nicht angenommen haben, nun auch wissen sollen, auf welcher Grundlage sie
mit diesem Herrn Verbindung haben können. Nicht nur aufgrund der Tatsache, daß
Er der Messias ist, sondern aufgrund der Leiden des Sohnes des Menschen (V. 22).
Und das bleibt der Gegenstand bis zum Ende, bis selbst den Emmausjüngern
deutlich gemacht werden muß: "Mußte nicht der Christus dies leiden?" Denn Gott
kann Seine Gnade Menschen gegenüber nicht erweisen ohne die Leiden des Herrn
Jesus.
Das macht zugleich auch deutlich, worin
hier der Charakter Seiner Leiden besteht. Er ist hier nicht das Schuld‑ oder
Sündopfer wie in Matthäus und Markus, sondern das Friedensopfer*), also das
Opfer, das der Herr vollbracht hat, um es möglich zu machen, daß Gott im Himmel
mit dem Menschen auf der Erde gnädig in Verbindung, ja, in wunderbare
Gemeinschaft treten kann. Dafür waren die Leiden und das Sterben des Herrn
notwendig, um andere mit Sich zu vereinigen, in Gemeinschaft mit Gott. Er, der
den Jüngling von Nain und das Töchterchen des Jairus auferweckt hat, wird Selbst
(sagt Vers 22) aus den Toten auferstehen. Darauf folgen unmittelbar diejenigen,
die die Früchte davon sein werden. Solche, die Ihm folgen wollen, müssen sich
selbst verleugnen und täglich ihr Kreuz aufnehmen und Ihm folgen (V. 23), Ihm,
_____________
*) Daneben wird In Lukas vor allem das
wahre Speisopfer gesehen: die Prüfung und Hingabe des vollkommenen Lebens des
Herrn als Mensch auf der Erde.
dem abhängigen Menschen auf der Erde,
dessen Leiden, aber auch dessen Herrlichkeit sie teilen werden. Die
Herrlichkeit wird uns hier sehr treffend in der Verherrlichung auf dem Berg
entfaltet. Wie prächtig sind auch hier die Unterschiede zu den anderen
Evangelien. In Matthäus zeigt uns die Verherrlichung, daß der verworfene Messias
schließlich doch über Israel, über die Völker, über die Schöpfung regieren
wird. In Markus ist die Verherrlichung das Endziel des Dienstes. In Lukas
hingegen geschieht sie, um den Treuen zu zeigen, welch ein Werk der Herr Jesus
vollbringen würde und welche Resultate daraus hervorkommen würden. Der Kernpunkt
ist hier das, worüber der Herr mit Mose und Elias spricht (und das finden wir
nur in Lukas!), nämlich "seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte"
(V. 31). In den Versen 28 und 29 sehen wir Ihn zuvor wieder als abhängigen
Menschen, der auf den Berg stieg, um zu beten, und als solchem gibt Gott Ihm
diese Herrlichkeit. Und woran denkt Er? An das Leiden und Sterben, das Er in
Jerusalem auf Sich nehmen sollte. Hier wird das Leiden sogar an dem Ort der
Herrlichkeit gesehen (nicht so in Matthäus). "Mußte nicht der Christus dies
leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?" (Lk 24, 26) Beachten wir: Was ist
die Herrlichkeit hier? Nicht die Herrlichkeit des Friedensreiches; es geht hier
nicht um das Königreich der Himmel, sondern es ist hier die Herrlichkeit der
Wolke! Sicher, die Wolke wird auch in Matthäus und Markus genannt, doch nur hier
wird gesagt (V. 34), daß der Herr Jesus und Moses und Elias in die Wolke
eintraten. Moses und Elias sind
Vorbilder der Versammlung; und welchen Platz hat Gott der Versammlung verheißen?
Nicht einen Platz im Königreich auf der Erde, zusammen mit den drei Jüngern (ein
Vorbild des jüdischen Oberrestes), sondern einen Platz in der Wolke, der
Schechina, dem Wohnort der Herrlichkeit Gottes! Dort hat Gott uns einen Platz
bereitet, ja, der Herr Jesus hat uns einen Platz im Vaterhaus bereitet ‑ das
ist das christliche Teil. Nicht der Platz in der Herrlichkeit des
Friedensreiches (obwohl wir diesen auch empfangen werden) wird unser höchstes
Teil sein. Der herrlichste Segen ist der, den wir hier finden: mit dem Herrn
Jesus eintreten in die Wohnungen des Lebens, in den Wohnort Gottes Selbst,
Seiner Herrlichkeit.
Wie vollkommen ist das Wort Gottes! Bis in
die kleinsten Einzelheiten ist es in Übereinstimmung mit dem, was der Heilige
Geist in jedem Evangelium vorstellen will. So sehen wir es auch anschließend,
als der Herr Jesus von dem Berg herabkommt; hier betont Er lediglich, daß Er in
die Hände der Menschen überliefert werden wird. Solange das nicht geschehen ist,
ist es auch notwendig, daß der Heilige Geist uns zeigt, wie die Jünger in dieser
Hinsicht noch völlig unkundig und unverständig sind, denn unmittelbar darauf
finden wir ihre eigene Selbstsucht: die selbstsüchtige Frage, wer von ihnen der
Größte wäre (V. 46), die Selbstsucht, von anderen zu verlangen, daß sie nur mit
ihnen Gemeinschaft hätten (V. 49), die Selbstsucht von Johannes und Jakobus, die
für ihre eigenen Belange Feuer vom Himmel herabfallen lassen wollen (V. 54), und
das in der Gegenwart des Herrn, des abhängigen Menschen, der niemals etwas zu
eigenen Gunsten getan hat, um Selbst dadurch Vorteile zu haben. Niemals suchte
Er Seine eigenen Rechte, im Gegenteil, wie Vers 51 sagt: "Als sich die Tage
seiner Aufnahme erfüllten", ging Er in Gehorsam Seinen Weg nach Jerusalem. Ist
das nicht schön, Ihn hier bereits in Lukas 9 auf dem Weg zum Kreuz zu sehen? Er
ist sozusagen wie jemand, der sein Kreuz bereits auf seinem Rücken trägt; so
jemand sucht nicht seine eigenen Rechte und läßt kein Feuer vom Himmel
herabfallen, sondern ist auf dem Weg zu dem Platz, wo das "Feuer" ihn treffen
wird! So sehen wir hier den Herrn Jesus in scharfem Kontrast zu den Jüngern, bei
denen sich nur Selbstsucht zeigt; auch bei anderen zeigt sich Selbstsucht (V.
57‑62), nämlich in Verbindung mit den Konsequenzen der Berufung des Herrn. Wenn
wir Ihm nachfolgen wollen, dürfen wir nicht an die Umstände denken, die wir
hinter uns lassen, denn wenn wir zurückblicken, sind wir nicht geschickt zum
Reich Gottes.
In Kapitel 10 sehen wir, wie der Herr Jesus
dem Volk eine letzte Botschaft zukommen läßt, indem Er "die siebzig" aussendet;
nun allerdings nicht mehr in Verbindung mit Israel, sondern nun entsprechend dem
Charakter der Herrlichkeit, die auf dem Berg gezeigt wurde. Unmittelbar in
Verbindung damit folgt dann auch die Verurteilung Israels, der Städte, die Ihn
nicht angenommen hatten. Und das ist hier sehr kennzeichnend, denn wo hier so
ausdrücklich, deutlicher als zuvor, das Gericht über Israel ausgesprochen wird,
findet der Heilige Geist Gelegenheit, einen Gegenstand zu entfalten, dem wir in
Markus und Matthäus nirgends begegnet sind. Das war auch nicht möglich, denn nur
in Lukas, wo wir deutlich das christliche Zeugnis und nicht so sehr den
Oberrest Israels finden, nur dort kann über ein
himmlisches Teil für ein
himmlisches Volk gesprochen werden.
Es ist geradeso, als befänden wir uns hier in den Briefen des Apostels Paulus!
Als die Jünger zu Ihm kommen und sagen (V. 17): "Herr, auch die Dämonen sind uns
untertan in deinem Namen", antwortet der Herr (V. 20): "Doch freuet euch nicht,
daß euch die Geister untertan sind; freuet euch aber, daß eure Namen In den
Himmeln angeschrieben sind." Ist das jemals als ein besonderer Segen einem
gläubigen Israeliten verheißen worden? Nein, dieses himmlische Teil ist denen
verheißen, die dem Herrn Jesus auf der Erde nachfolgen, und das wird unmittelbar
verbunden mit der Entfaltung dieses himmlischen Segens, nämlich mit der
Offenbarung des Vaters und des Sohnes! Diese Offenbarung ist eins mit der
Kenntnis des himmlischen Teils. Ja, damit wird ein Vers verbunden, den wir nur
hier finden (V. 23): "Glückselig die Augen, weiche sehen, was ihr sehet! Denn
ich sage euch, daß viele Propheten und Könige begehrt haben zu sehen, was ihr
sehet, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr höret, und haben es
nicht gehört." Ist es nicht so, als befänden wir uns in 1. Korinther 2 ?
Wunderbare Dinge, nach denen Propheten höchstens geforscht, die sie aber niemals
gekannt haben. Das sind die Dinge, die uns als Christen, die wir ein himmlisches
Teil haben, die wir den Vater und den Sohn kennen, geschenkt sind!
Das ist Gnade, unergründliche,
unbegreifliche Gnade. Das scheint mir der Grund zu sein, daß darauf das
Gleichnis vom barmherzigen Samariter folgt. Denn wenn wir einmal das himmlische
Teil erkannt haben, sind wir in der Lage, einen wirklichen Eindruck davon zu
bekommen, wie weit die Gnade Gottes geht. Ist es keine Gnade, daß Gott denen
einen wunderbaren Weg weist, die innerhalb des Systems des Gesetzes weder Leben
noch Frieden gefunden haben? Der Gesetzgelehrte (nicht irgend jemand!) fragt,
wer sein Nächster sei (10, 29). Wußte nicht einmal solch ein Gesetzeskenner,
wer sein Nächster war? Beachten wir, daß die Hälfte des Gesetzes sich auf dieses
Problem bezog: Wer ist mein Nächster? So macht ein Schriftgelehrter sehr
eindringlich die Hilflosigkeit des Menschen unter dem Gesetz deutlich.
Doch dann kommt das Bemerkenswerte: der
Herr erläutert ihm nicht den wahren Sinn des Gesetzes, sondern zeigt eine Gnade,
die über jedes Verständnis, das es von dem Gesetz geben konnte, hinausgeht. Die
Anwendung des Gesetzes würde gewesen sein, daß der Jude seinen Nächsten lieben
mußte, selbst wenn es ein armer Samariter gewesen wäre. Doch der Herr kehrt das
um! Er weist nicht auf den Juden in seiner Gesetzesverantwortung hin, sondern
auf den Juden als Gegenstand der Gnade! Der Jude ist abhängig von der Gnade des
"barmherzigen Samariters", der der Herr Jesus Selbst ist (vgl. Joh 8, 48): nicht
geachtet, nicht geehrt, verworfen, gehaßt ‑ von so jemandem ist der mittellose
Jude abhängig. Es ist der verachtete "Samariter", der sich niederbeugt über den
Juden, der zur Stadt des Fluches hinabgestiegen und in solche elenden Umstände
geraten war. Wo das System des Gesetzes (der Priester und der Levit) versagte,
da hängt alles von der Barmherzigkeit des verworfenen und geschmähten Herrn ab,
der Sich zu dem Sünder niederbeugt. Das ist Gnade, eine Gnade, die innerhalb der
Schranken des Gesetzes nicht denkbar ist, die aber sehr wohl denkbar ist für
diejenigen, die etwas von dem himmlischen Teil gesehen haben. Sie sind im
weiteren Verlauf in der Lage, in ähnlicher Weise Gnade zu üben. (V. 37).
Nachdem wir nun gesehen haben, was unser
Platz als Himmelsbürger ist, treten auch die Segnungen, die wir auf der Erde
besitzen, in ein besonderes Licht. Sie sind von dreierlei Art: Zuerst das Wort
Gottes (10, 38‑42), nicht ein Ansammeln von Kenntnis durch das Studium der
Bibel ‑ das können Gesetzesgelehrte auch! ‑ sondern das Wort, das zu den Füßen
des Herrn Jesus gelernt wird, wie wir bei Maria sehen, die das gute Teil erwählt
hatte. Dann das zweite, das zu unserer Verfügung steht (11, 1‑12): nicht nur das
Wort, das wir zu den Füßen des Herrn lernen, sondern auch das Gebet, das wir zu
dem Vater sprechen dürfen. Alles, was wir den Vater bitten, wird Er geben, wenn
es gut für uns ist, weil Er voller Liebe für uns sorgt. Wir sind Himmelsbürger,
unsere Namen sind im Himmel angeschrieben; doch solange wir auf der Erde sind,
dürfen wir auf einen Vater rechnen, der droben ist und auf Seine Kinder hört.
Den dritten Segen haben wir in Vers 13: Der Vater, der im Himmel ist, wird den
Heiligen Geist denen geben, die Ihn darum bitten. Sehen wir, daß wir uns auf
christlichem Boden befinden? Wir dürfen diese Vorrechte kennen: das Wort, das
wir lernen dürfen zu den Füßen des Herrn, die Gebete, die wir zu unserem Vater
hinaufsenden dürfen, und den Besitz des Heiligen Geistes, den der Vater gegeben
hat ‑ denn dieser Vers ist längst am Pfingsttag erfüllt worden ‑ denen, die Ihn
darum gebeten haben (Apg 1, 14).
Unmittelbar darauf finden wir einen neuen
Gegensatz. Lukas ist reich an auffallenden Kontrasten. Nachdem wir gesehen
haben, was unser himmlisches Teil ist und welches die Segnungen sind, die wir
nun bereits auf der Erde besitzen, werden wir plötzlich wieder in das Judentum
mit all seinen Gebrechen und seiner Verdorbenheit zurückversetzt (11, 14 f).
Wir sehen, wie die Volksmengen von dem Herrn sagen, daß Er die Dämonen durch den
Obersten der Dämonen austreibt und wie der Herr sie warnt und ihnen das
Zeichen Jonas vorstellt (V. 30). Hier bedeutet das Zeichen nicht, daß Er drei
Tage und Nächte im Bauch des Fisches sein würde; das war in Matthäus der Fall.
Sondern hier steht, daß Jona selbst für die Niniviten ein Zeichen war; so war
der Herr Selbst für Israel und für die ganze Welt ein Zeichen, von Gott gegeben,
damit die Gnade Gottes nicht verachtet würde. Mehr als Jona ist hier, sagt der
Herr, ja, mehr als Salomon. Darauf folgt eine scharfe Verurteilung der
Pharisäer, ja, des gesamten jüdischen Systems.
Nun folgt ein neuer Gegensatz in Kapitel
12. Kapitel 11 ist eigentlich eine Einschaltung, worin der sittliche Zustand des
Judentums völlig bloßgelegt wird, und ich denke, daß der Heilige Geist dies tut,
um desto deutlicher den Charakter des christlichen Zeugnisses zu zeigen, das wir
gerade in Kapitel 12 auf solch schöne Weise beschrieben finden. Zuerst ist es
ein einfaches, unscheinbares Zeugnis, das leicht gewaltsam unterdrückt werden
kann. Der Herr sagt zu Seinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den
Leib töten (V. 4), und stellt Sich dann Selbst als ihr Tröster vor: a) Er würde
sie beschützen, denn sie waren vorzüglicher als die Sperlinge, und selbst die
werden doch von Gott beschützt 249 (V. 7); b) Er würde sie als der Sohn des
Menschen anerkennen, sie vor den Engeln Gottes "bekennen" (V. 8); und c) Er
würde ihren Dienst so wertschätzen, daß ‑ obwohl man dem Sohn des Menschen noch
widersprechen konnte und das vergeben werden würde ‑ demjenigen, der das Wort
der Jünger lästern würde, nicht vergeben werden würde, denn es war eine
Lästerung des Heiligen Geistes, der in ihnen sprechen würde (V. 10‑12). Solch
einen Wert mißt der Herr Jesus diesem christlichen Zeugnis bei!
Die irdischen Dinge haben darin keine
Anziehungskraft mehr. In dem Gleichnis (V. 16 f.) wird die Seele, die sich auf
irdische Dinge stützt, verworfen. Der Herr sagt: Sammelt euch keine irdischen
Schätze. Bemerken wir die große Veränderung? Für Israel richtete sich jede
Hoffnung auf irdische Dinge, denn darauf bezogen sich die Verheißungen, die Gott
gegeben hatte; wenn es das Gesetz erfüllte, sollte es diese irdischen Segnungen
empfangen ‑ und nun mußte es das alles preisgeben! Sie mußten die irdischen
Dinge sogar vergessen und ihr Herz auf das richten, was wir auch in Kapitel 10
gesehen haben: das himmlische Gut. "Machet euch Säcke!, die nicht veralten,
einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln, wo kein Dieb sich naht und keine
Motte verderbt. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein" (V. 33.
34). Das bedeutet eine völlige Veränderung ihrer Haltung: sie mußten sich die
irdischen Segnungen völlig aus dem Kopf schlagen; Gott war imstande, ihnen die
hinzuzufügen, wenn sie nur zuerst das Himmlische suchten. Einen Schatz im
Himmel zu haben, darum geht es. Unmittelbar damit in Verbindung steht die
Erwartung des Kommens Christi, der uns in diesen Himmel einführen, uns in den
völligen Genuß dieser Segnungen bringen wird, wie wir das so wunderschön in
Vers 37 finden: "Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen und
wird hinzutreten und sie bedienen." Da sehen wir den Herrn als Den, der uns im
Himmel mit all den Segnungen bedienen wird, die es im Himmel gibt. Merken wir,
wie das auf das vorausgreift, was später durch Paulus vollkommen geoffenbart
wurde? Doch hier in Lukas, wo wir den Herrn als Menschen sehen, der Menschen mit
der Gnade Gottes bekanntmacht, finden wir es auch schon bis zu einem gewissen
Grad entfaltet, allerdings auch hier wieder (nach einer weiteren Beschreibung
des christlichen Zeugnisses, auch unter dem Gesichtspunkt der
Verantwortlichkeit) in Verbindung mit den Leiden, die der Herr dazu auf Sich
nehmen mußte. Beachten wir diesen vortrefflichen Vers50:"lch habe aber eine
Taufe, womit ich getauft werden muß, und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht
ist!" Das war die Folge für Ihn. Bei allen Segnungen, die Er aufzählt, werden
wir immer neu daran erinnert, daß wir sie nur aufgrund der Leiden empfangen
können, die dafür Sein Teil waren. Es ist sehr bezeichnend zu sehen, wie oft und
wie früh in Lukas daran erinnert wird.
Lukas 12, 54 ‑ 13, 35 bildet wieder einen
Gegensatz zu dem Vorhergehenden. Es ist eine Darlegung des damaligen Zustandes
Israels, mit dem Gott abrechnen mußte. Dies wird in Kapitel 12, 59 bereits im
Vorbild angedeutet; und in Kapitel 13, 3 sagt der Herr: "Sondern wenn ihr nicht
Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen." In dem darauf folgenden Gleichnis
von dem Feigenbaum wird die Beiseitesetzung Israels vorgebildet (wenn auch noch
unter bestimmten Bedingungen). Wenn es schon Segen für einen Israeliten gibt wie
bei dieser zusammengekrümmten Frau (Verse 10‑17), dann allein aufgrund der
Gnade, wie es dort heißt, daß sie eine „Tochter Abrahams" ist (V. 16), aufgrund
der gnädigen Verheißungen Abraham gegenüber, aber nicht aufgrund irgendeines
Verdienstes, das Israel aufgrund des Gesetzes geltend machen könnte.*) In Vers
22 haben wir wieder solch ein Wort, worin wir den Herrn Jesus hier bereits auf
dem Weg zum Kreuz sehen:" ... indem er ... nach Jerusalem reiste." Der Gedanke
an die Leiden, die Ihm bevorstanden, zieht sich wie ein roter Faden durch
dieses ganze Evangelium. So sagt Er in Vers 33 sogar als eine Botschaft an
Herodes: "Doch ich muß heute und morgen und am folgenden Tage wandeln; denn es
geht nicht an, daß ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme"! Er ist von Anfang
an auf dem Weg zum Kreuz; Er Selbst kündigt es Herodes an ‑ der gerade hier in
Lukas an Seiner Verurteilung mitwirkt ‑, daß Er als Prophet auf dem Weg nach
Jerusalem war, um
_____________
*) In diesem Kapitel über die
Regierungswege Gottes mit Israel und der Erde sind die Verse 18 und 19 ein
Hinweis auf die äußere Form, die das Königreich in unserer Zeit hat, und die
Verse 2B‑30. 35 weisen auf das Königreich In seiner zukünftigen Form hin, wenn
der Herr zurückgekehrt sein wird.
dort umzukommen. So klar läßt der Heilige
Geist uns von Anfang an sehen, wie die Leiden und der Tod den Ausgang Seines
Weges bildeten, "seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte" (9,31),
damit wir nicht auf den Gedanken kommen, daß die Gnade Gottes billig ist und daß
Er sie außerhalb des Opfers Christi erweisen kann.
Kapitel 13 ist wieder eine Einschaltung,
denn Kapitel 14 zeigt uns erneut den Platz des christlichen Zeugnisses: einen
Platz der Selbstverleugnung und nicht das Streben nach den ersten und höchsten
Plätzen (V. 1‑14). Es ist der Platz des Armen, des Krüppels, des Lahmen und des
Blinden, wie Vers 21 in dem Gleichnis zeigt. Es ist der Platz für den Jünger,
der sein Kreuz aufnimmt und nötigenfalls seine Familienbande verleugnet (V.
25‑35). Das ist der Platz völliger Selbstverleugnung, des Aufgebens aller
eigenen Wertschätzung, ja, wir können sagen, eines tiefen Bewußtseins reicher
Gnade. Denn nur wenn wir wissen, daß wir Gegenstände dieser Gnade sind, können
wir wirklich zu dem christlichen Zeugnis gehören. Das ist der Grund, daß hier
die bekannten Gleichnisse von Kapitel 15 folgen; sie sollen uns ein noch
tieferes Bewußtsein der Gnade geben. Die Gleichnisse in Lukas haben eine völlig
andere Funktion als in Matthäus. Dort sind es Gleichnisse des Königreiches, die
uns immer wieder die Veränderung der Haushaltung vorstellen: Israel, ersetzt
durch das Königreich in seiner heutigen Form, nämlich die Christenheit. Doch in
Lukas sind es Stück für Stück "Gnaden‑Gleichnisse". Der Ausgangspunkt ist hier,
daß der Herr Jesus mit Sündern ißt, und das führt zu einer Entfaltung dieser
Gnade, die sich zu Sündern herabneigt: der Gnade des Herrn Jesus, der Sich zu
dem verlorenen Schaf herabneigt, um es auf Sich zu nehmen; der Gnade des
Heiligen Geistes, der sich alle Mühe gibt, das Verlorene, das kraftlos im
Dunkeln liegt, zu suchen; und der Gnade Gottes, des Vaters, der Sich über den
verlorenen Sohn erbarmt und sogar nach ihm Ausschau hält, um ihn wieder
aufzunehmen. Das ist eine Gnade, von der Israel nichts weiß, denn der ältere
Sohn (ein Bild Israels) zeigt überhaupt kein Verständnis für das Erbarmen, das
Gott in dem Menschen Jesus Christus erweist. Der ältere Sohn beruft sich
lediglich auf seine Ansprüche und Verdienste, doch auf dieser Grundlage ist
kein Raum für Gnade, und also auch nicht für Errettung. Das ist äußerst wichtig,
denn wir sind ganz auf die Gnade angewiesen.
Kapitel 16 schließt daran unmittelbar an.
Der ältere Sohn dachte nicht an Gnade für Sünder, sondern nur an irdischen
Segen, ein Böcklein, um damit ein Fest zu feiern; weiter reichte die Erwartung
des Israeliten nicht. Doch was kennzeichnet nun den wahren Christen im
christlichen Zeugnis? Wir haben es in den Kapiteln 10 und 12 gesehen: das
himmlische Teil! Und das himmlische Teil bedeutet eine Verleugnung der
irdischen Güter. Es ist für einen Juden schwierig zu lernen ‑ und häufig auch
für uns ‑, daß wir nur Verwalter der irdischen Dinge sind (V. 1‑13). Für Israel
war das sehr schwierig, denn Gott hatte Israel gerade die Wohlfahrt, die
irdischen Dinge, als Lohn für ihren Gehorsam verheißen als etwas, was sie
empfangen und bleibend besitzen würden. Doch nun sagt der Herr: Nein, fortan
seid ihr nur Verwalter; die irdischen Güter, die Gott euch anvertraut hat,
gehören durchaus nicht euch, ihr dürft sie nur für Ihn verwalten. Und ein kluger
Verwalter tut, was dieser hier tut ‑ beachten wir es gut: Wir dürfen allein
seiner Weisheit, nicht seiner Ungerechtigkeit folgen, denn was tut dieser kluge
Verwalter? Er gebraucht die Güter seines Meisters, die ihm also nicht gehören,
und verteilt sie frei an andere, um dafür etwas Bleibendes zurück zu empfangen.
Genau das ist unsere Verantwortung. Wir haben die irdischen Dinge als Verwalter
empfangen; sie gehören uns nicht, sondern Gott gibt sie uns, damit wir damit
freigebig sind und ihnen ohne weiteres entsagen können. 1. Timotheus 6, 18. 19
sagt: Wir dürfen sie genießen, indem wir Gutes damit tun und sie weggeben. Und
weshalb? Damit Gott uns etwas anderes, etwas Besseres anvertrauen kann, und wie
wunderschön finden wir das (nur in Lukas, es könnte auch nirgendwo anders
stehen) in Vers 11: "Wenn ihr nun in dem ungerechten Mammon nicht treu gewesen
seid, wer wird euch das Wahrhaftige
anvertrauen? Und wenn ihr in dem Fremden nicht treu gewesen seid, wer wird
euch das Eurige geben?" Was ist denn wohl das "Wahrhaftige" und das "Unsrige"?
Das sind nicht die irdischen Dinge, denn die gehören uns nicht. Ober die
irdischen Dinge, die wir besitzen, sind wir nur Verwalter; sie gehören dem
Herrn, und Er gibt sie uns, damit wir sie für Ihn gebrauchen. Aber das
Wahrhaftige, das Unsrige, das sind die himmlischen Segnungen. Bist du jemals
einem Gläubigen begegnet, der eine tiefe Einsicht in die himmlischen Dinge
hatte, der nicht zuerst gelernt hatte, moralisch den irdischen Dingen zu
entsagen und als ein kluger Verwalter über das, was einem anderen gehörte, treu
zu sein? Danach erst kann der Herr uns Aas Unsrige" geben. Er kann uns um so
mehr in unser wahrhaftiges, himmlisches Teil einführen, in die Schätze, die wir
im Himmel haben, je treuer wir in den irdischen Dingen sind.
Das himmlische Teil ist unser Ziel und
unser Teil. Deshalb folgt hier (nach einer kurzen Einschaltung) die Geschichte,
durch die wir in etwa einen Einblick in unser himmlisches Teil nach dem Sterben
bekommen (V. 19‑31). Sehen wir, in welch völligem Gegensatz das zu den Gedanken
Israels steht? Die Erwartung eines Juden ist irdischer Segen, und wenn nicht
jetzt, dann in der Auferstehung, mit dem Messias; für das, was dazwischen liegt,
hat er kein Verständnis und kein Interesse. Seine Hoffnung ist auf die Erde
gerichtet, ob nun vor dem Tod oder nach der Auferstehung. Doch hier sagt der
Herr gleichsam: Für einen Christen ist es völlig anders; für ihn gibt es
überhaupt keine Erwartung im Blick auf diese Erde. Ja, es kann sogar sein, daß
er auf der Erde lediglich einen Platz hat wie der arme Lazarus, hungrig und
voller Geschwüre ‑ der übrigens durchaus nicht arm war in der wirklichen
Bedeutung des Wortes, denn Gott hatte ihm "das Seine" gegeben (vgl. V. 12), und
das war das himmlische Teil. Lazarus starb und empfing einen bevorrechtigten
Platz: im Schoße Abrahams; und das nicht erst in der Auferstehung, sondern
unmittelbar nach seinem Heimgang. Und das, während der Reiche, der alles
genossen hatte, was die Erde zu bieten hatte ‑ und zwar die Segnungen, die Gott
Israel im Gesetz verheißen hatte! ‑ im Jenseits sein Teil am Ort der Pein hatte,
weit entfernt von Lazarus und dessen Segnungen. Einem Christen kann es wie
Lazarus ergehen: auf der Erde vielleicht das Teil der Armen, der
Selbstverleugnung, der Verwerfung, sogar des Kreuzes, doch nachher ein
himmlisches Teil. Ja, noch höher ‑ wir werden es sogleich bei dem Mörder am
Kreuz sehen ‑, für uns ist es nicht einmal der Schoß Abrahams, sondern bei
Christo zu sein im Paradies. Und wo anders hätten wir erwartet, das zu lesen,
als hier bei Lukas, der uns zeigt, wie Gottes Gnade in Christus uns ein
himmlisches Teil bereitet hat?
Kapitel 17 gibt uns dazu wieder neue
Unterweisungen. Jede neue Entfaltung der Gnade und unserer Stellung führt auch
zu neuen praktischen Anwendungen. Kapitel 17 zeigt uns einige praktische Aspekte
unseres Platzes als Christen auf der Erde.
a) Wir dürfen keines dieser Kleinen ärgern
(V. 2), b) wir sollen unserem Bruder allezeit vergeben und c) Glauben wie ein
Senfkorn haben, um dem Herrn treu zu sein; und dabei sind wir doch nur unnütze
Knechte (V. 5‑10) und d) lernen (V. 15), wo wir Gott Lob und Dank bringen
dürfen, wie es der Samariter (der Nichtjude) verstanden hatte. Die neun
Geheilten waren dem Gesetz gehorsam, sie taten, was der Herr ihnen aufgetragen
hatte, nämlich sich dem Priester zeigen; doch diese Art gesetzlichen Gehorsams
wünscht der Herr nicht. Er möchte so gern diese spontane Anbetung, die wir Ihm
zu Seinen Füßen bringen dürfen. Es ist das fünfte Mal, daß wir in Lukas von den
Füßen des Herrn Jesus lesen, immer ein Ort großen Segens, wo wir Teilhaber
Seiner Gnade werden. Nicht sich dem Priester zeigen, sondern Lob und Dank dem
Menschen Jesus Christus entgegenbringen, der Sich Selbst als Lösegeld für viele
gegeben hat ‑ darauf kommt es an.
Fünftens (e) ist Er Selbst Derjenige, der
als Quell des Segens inmitten Seines Volkes ist: "Das Reich Gottes ist mitten
unter euch" (V. 21). Alle Hoffnung für jeden, der seine Erwartung auf Gott
setzte, war nun auf das Reich Gottes gerichtet, das in Gestalt des Herrn Jesus
Selbst inmitten des Volkes war. Doch in Verbindung damit wird (f) auch
unmittelbar auf das Kommen des Sohnes des Menschen hingewiesen, wenn (g) alles
durch das Gericht entschieden werden wird (V. 24), und nicht allein über Israel,
sondern über die ganze Welt. Der letzte Vers sagt darüber‑ "Wo der Leichnam ist,
da werden auch die Adler versammelt werden." Wir werden jedoch errettet werden,
weil wir zu dem wahren christlichen Zeugnis gehören trotz (h) aller Schwachheit,
in der wir uns befinden können (Kap. 18, 1‑8); in allem Elend, sogar wenn wir
eine arme Witwe sind, dürfen wir uns auf die Gnade Gottes stützen. Wenn selbst
der ungerechte Richter hört, sollte Gott dann Seinen Auserwählten kein Recht
verschaffen, die Tag und Nacht zu Ihm rufen? Wer sind denn die Auserwählten? Das
finden wir (i) in dem Gleichnis von dem Zöllner und dem Pharisäer (18, 9‑14).
Vor Gott können wir nur in einer vollständigen Verurteilung unserer selbst
bestehen; also nicht aufgrund des Gesetzes (wie dieser Pharisäer meint, der Gott
für das, was er unter dem Gesetz zustande gebracht hat, dankt), sondern als ein
Sünder, der sich an die Brust schlägt und sagt: "0 Gott, sei mir, dem Sünder,
gnädig!"
Der folgende Aspekt des christlichen
Zeugnisses (j) legt Nachdruck darauf, wie wir uns als Kinder dieses Reiches zu
betragen haben (V. 16.17). Und weiter (k) wie wir, geradeso wie der Oberste in
Vers 18, alles preisgeben müssen, was von dieser Erde ist, um dem Herrn Jesus
nachzufolgen. Er wird hier nicht ein reicher Jüngling genannt, sondern jemand
mit einer hohen Stellung inmitten des Volkes; doch selbst ein Oberster konnte
nur einen Schatz im Himmel finden (V. 22), wenn er die Schätze der Erde
preisgab. Im folgenden (1) zeigt der Herr, daß dort, wo dies so schrecklich
schwierig ist, wir die Lektion lernen müssen, daß Errettung allein aus Gott ist
(V. 27), und (m) im Zusammenhang damit gibt Er die Verheißung, daß, wenn wir das
Irdische preisgeben, wir bereits jetzt vielfältig zurückempfangen und im
zukünftigen Zeitalter ewiges Leben (V. 29). Und schließlich sehen wir als 14.
Punkt (n), daß auch hier alles auf die Leiden des Herrn Jesus gegründet ist, auf
Seine Hingabe und Seine Auferstehung, wie die Verse 31‑34 das deutlich machen.
Mit Kapitel 18, 35 beginnt der letzte Teil
dieses Evangeliums. In den ersten drei Evangelien beginnt der endgültige Weg
nach Jerusalem und an das Kreuz jedesmal mit Jericho und mit der Heilung des
Blinden, wie auch hier. Doch gerade hier ‑ und so ist es bis zum Ende, sogar bis
zum Kreuz ‑ wird der Weg des Herrn Jesus in besonderer Weise durch die Gnade,
die Er Sündern erweist, gekennzeichnet. Wo anders hätten wir die Geschichte von
Zachäus antreffen können, als hier (19, 1‑10)? Der Herr erbarmt Sich über
diesen kleinen, armen Zöllner ‑ nicht arm an Gütern, sondern im Blick auf seinen
geistlichen Zustand ‑ und schenkt diesem Haus Errettung, "denn der Sohn des
Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist" (V. 10).
Das ist Errettung für einen armen Sünder; doch das darauf folgende Gleichnis
zeigt uns, wie das Gericht an denen sein wird, die Ihn abweisen. "Wir wollen
nicht, daß dieser über uns herrsche", sagen Seine Bürger in Vers 14. Diese
Feinde würden getötet und Israel damit abgeschnitten werden (V. 27). Ist es
nicht schrecklich, das zu sehen? Es ist auch nicht zufällig, daß hier
unmittelbar darauf der Bericht vom Einzug in Jerusalem folgt, was zeigt, daß der
Herr sie nicht haßte, sondern sie trotzdem liebte: nur hier lesen wir ja, daß Er
weinte, als Er sah, daß diese Stadt Ihn nun so umjubelte, obwohl ihr Herz völlig
unverändert war und sie einige Tage später ausrufen sollten: "Kreuzige ihn!"
Auch nur hier finden wir dieses besondere Zeugnis über den Herrn (V. 38):
"Friede im Himmel und Herrlichkeit in der Höhe!" Das sind die bemerkenswerten
Worte, die der Heilige Geist in den Herzen dieses ungläubigen Volkes bewirkt.
Wie einmal die Engel gejubelt hatten: "Friede auf Erden" ‑ das war damals nach
den Gedanken Gottes ‑ so sagen hier diese Menschen (ohne es selbst zu
verstehen), daß da, wo die Zeit für Frieden auf der Erde noch nicht gekommen
war, es doch Frieden im Himmel geben würde. Was auch auf der Erde stattfinden
würde: die Verwerfung, ja der Tod des Messias ‑ im Himmel würde Friede sein. Das
Friedensopfer, das der Herr Jesus bringen würde, würde einen himmlischen Frieden
bereiten, woran diejenigen teilhaben, die ihre Zuflucht zu Ihm nehmen. Doch
leider ‑ Israel stand außerhalb; es besang das, was es selbst weder besaß noch
verstand, denn der Herr übernimmt gerade dieses Wort "Friede" in Vers 42: "Wenn
auch du erkannt hättest, und selbst
an diesem deinem Tage, was zu
deinem Frieden dient... "
Wie schrecklich ist es, von einem Frieden
zu singen, der im Himmel bereit liegt und an dem jedes Kind Gottes teilhaben
darf, aber selbst kein Teil an diesem Frieden zu haben. Wir lesen im Neuen
Testament nur zweimal, daß der Herr Jesus weint. Er weint am Grab des Lazarus,
als er dort bei einem Freunde den traurigen Folgen der Sünde und des Todes
gegenübergestellt wird. Doch hier weint Er über eine ganze Stadt, eine Stadt,
die von einem Frieden singt, an dem sie kein Teil hat. Es sollte kein Stein auf
dem anderen gelassen werden "darum", wie Vers 44 sagt, "daß du die Zeit deiner
Heimsuchung nicht erkannt hast." Wie schrecklich ist es doch, die Gnadenzeit, in
der Gott Sich mit dem Menschen beschäftigt, gleichgültig abzuweisen!
Auf Kapitel 20 will ich hier nicht
ausführlich eingehen. Wir sehen dort die verschiedenen Gruppen in Jerusalem, die
zu dem Herrn kommen, alle mit ihren eigenen Versuchungen, und die alle von dem
Herrn eine Antwort bekommen und in ihrem wahren Charakter offenbar werden. Was
wir in Kapitel 21 finden, ist nun für unseren Gegenstand wichtiger und ist auch
hier in vollkommener Übereinstimmung mit dem Charakter dieses Evangeliums. In
Matthäus hatte diese Rede den Zweck, uns zu zeigen, was den zukünftigen Überrest
Israels (wovon die Jünger ein Vorbild waren) treffen würde; dort spricht der
Herr im besonderen über die Verwüstung Jerusalems in der fernen Zukunft (die
noch kommen muß), dort nennt Er den Propheten Daniel, den Greuel der
Verwüstung, den Sabbath, alles also in einem ausdrücklich jüdischen Charakter
und zudem in Verbindung mit der Endzeit. Das steht in Verbindung mit dem, was
ich soeben gesagt habe, daß der Herr dort zwar zu den Jüngern spricht, doch
eigentlich in ihnen die Kinder des Königreiches sieht, letztlich sogar den
jüdischen Überrest, der erst am Ende gefunden wird. Doch in Lukas spricht der
Herr sie als das an, was sie in Wirklichkeit sind: der Kern des kommenden
christlichen Zeugnisses. Deshalb spricht Er hier nicht über die Verwüstung
Jerusalems in der Endzeit (wie in Matthäus), sondern über die Verwüstung, die
unter Titus stattfinden sollte, die diese Jünger also selbst miterleben würden.
Wenn wir die Kapitel sorgfältig vergleichen, werden wir diesen Unterschied
deutlich sehen. Es sind hier direkte Hinweise für diese Jünger selbst; sie
würden Jerusalem von Heeren umzingelt sehen (V. 20). "Alsdann erkennet, daß ihre
Verwüstung nahe gekommen ist." Und dann steht dort, daß nicht nur die, die in
Judäa sind, auf die Berge fliehen sollten, sondern auch die, die in Jerusalem
sind. So geschah es auch tatsächlich im Jahre 70, doch wir wissen, daß in der
Endzeit in Jerusalem selbst wohl ein Überrest zurückbleiben wird.*) Erst in Vers
24 verbindet der Herr dies mit der Endzeit, denn dort steht, daß Jerusalem
zertreten werden wird (das ist ab ihrer Verwüstung), bis "die Zeiten der
Nationen erfüllt" sind. Und das verbindet Er dann mit der Ratlosigkeit der
Völker in dieser Zeit (das ist unsere Zeit) und mit Seiner Wiederkunft in einer
Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit (V. 27). Das bringt uns also an
denselben Punkt wie Matthäus und Markus. Wir haben gesehen, daß Markus
allerdings wieder ein anderes Ziel hat; er zeigt uns, wie der wahrhaftige
Diener Seine eigenen Diener, die Jünger, auf ihren Dienst zubereitet, den sie
ausüben sollten, ebenfalls in Verbindung mit der Verwüstung Jerusalems.
_____________
*) vgl. mein Buch Die Zukunft der Stadt des
großen Königs", Seite lo6‑111.
Nun kommen wir zu den letzten Kapiteln
22‑24, auf die, wie wir gesehen haben, dieses ganze Evangelium hinzielt: auf die
Augenblicke, wo der Herr die schrecklichen Leiden auf Sich nimmt. Ich möchte
besonders die Aufmerksamkeit darauf richten, wie der Herr Jesus hier in diesen
Leiden beständig, bis zum bitteren Ende, beschäftigt ist mit den Seinen, mit
Sündern, ja mit allen, die ein Verlangen nach der Gnade Gottes haben. Das ist
hier sehr bezeichnend. In Matthäus sehen wir Ihn als Denjenigen, von dem der
Engel gesagt hatte: "Er wird sein Volk erretten von ihren Sünden.'. Dort sehen
wir Ihn als das Schuldopfer am Kreuz, nicht in erster Linie mit den Seinen
beschäftigt, sondern mit dem abscheulichen Problem unserer Sünden. Dort ruft
Er: Mein Gott, warum hast du Mich verlassen? Denselben Ausruf finden wir auch in
Markus. Doch hier finden wir ihn nicht; hier sehen wir nicht die Verlassenheit
von Gott, sondern einen Menschen, der im Auftrag Gottes gekommen ist, der in
vollkommener Hingabe an Gott den Weg zum Kreuz geht, um dort eine Grundlage zu
legen, auf der Gott mit dem Menschen Gemeinschaft haben kann. Denn laßt es uns
gut bedenken: Gott braucht nicht versöhnt zu werden, sondern es ist der Mensch,
der mit Gott versöhnt werden muß. Hier sehen wir, wie Gott Selbst in dem Herrn
Jesus Sich die Grundlage dazu bereitet. Deshalb finden wir hier nicht die
Verlassenheit von Gott (die mit der Genugtuung für die Sünde zu tun hat), hier
finden wir den Menschen, der in Abhängigkeit von Gott, nach Seinen Gedanken, Ihm
ein Fundament bereitet, um den Menschen an Sein Herz bringen zu können. Deshalb
finden wir hier in jedem Aspekt Seiner Leiden Sein besonderes Mitgefühl und
Sein Erbarmen gegenüber den Seinen, ja, gegenüber dem Menschen im Allgemeinen.
Wie trifft das unsere Herzen!
Es gibt kein Evangelium, das so sehr die
Leiden des Herrn beschreibt wie gerade Lukas. Denn diese Leiden sind nicht nur
Leiden um der Sünde willen ‑ wie schwach würde unser Verständnis über dasjenige
sein, was der Herr erduldet hat, wenn wir in Seinen Kreuzesleiden nicht mehr
sähen, als die Genugtuung für die Sünde. Wie viele Menschen tun das, die sogar
so weit gehen, daß sie sagen, daß alle Leiden, die der Herr Jesus auf der Erde
erduldet hat, "sühnende" Leiden waren. Das ist keine fromme Auffassung, denn sie
bedeutet lediglich, daß man kein rechtes Verständnis davon hat, was die
Versöhnung beinhaltet; denn eigentlich zieht man sie damit auf ein sehr
niedriges Niveau. Die Versöhnung (Genugtuung) finden wir in Matthäus und
Markus, wo der Herr die Sünden in der Verlassenheit von Gott trägt; dort macht
Gott Ihn zur Sünde und legt die Sünden der Seinigen auf Ihn. Hier finden wir die
Leiden unter einem anderen Gesichtspunkt, nämlich die Leiden um der
Gerechtigkeit willen, Leiden, die aus der Tatsache folgerten, daß Er als
gehorsamer Mensch inmitten eines ungehorsamen und verwerflichen Volkes Seinen
Weg ging. Das waren die Leiden, die Er von seiten der Menschen erduldete und
inmitten derer Er ‑ und das ist um so ergreifender ‑ denselben Menschen, die Ihn
verwarfen, Gottes Gnade erwies (wir werden das so sehen).
Als erstes finden wir in Kapitel 22, wie
der Herr Jesus durch das Passahmahl mit den Seinen Gemeinschaft hat und wie Er
am Schluß dieses Mahles das Abendmahl einsetzt. Wir haben das bereits an anderen
Stellen gesehen, doch nirgends wird das Abendmahl so unmittelbar auf die Jünger
bezogen (hier gesehen als die ersten Christen), wie in Lukas:
"Dies ist mein Leib, der für euch gegeben
wird." Der Herr ist hier ‑ das soll uns hier gezeigt werden ‑ eigentlich
bereits in der Mitte Seiner Versammlung, die um Ihn versammelt ist. Hier wird
die Begebenheit nicht, wie vor allem in Matthäus, im besonderen auf den
zukünftigen jüdischen Oberrest angewendet, wobei das Blut des neuen Bundes für
die "Vielen" vergossen wird, die bald an dem Königreich Gottes teilhaben werden;
nein, hier sagt der Herr: "Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute, das
für euch vergossen wird." Hier geht es um die Jünger selbst. Nur hier finden
wir am Ende von Vers 19 die Worte: "Dieses tut zu meinem Gedächtnis". Hier
finden wir das Verlangen Seines Herzens, daß es Gläubige auf der Erde geben
möge, die ein Verständnis haben über Seinen Weg, Seine Umstände, Seine Leiden,
Seinen "Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte", die etwas von dem
Mitempfinden eines Moses und Elias kennen, um mit Ihm über diesen "Ausgang" zu
sprechen, ja, über Ihn Selbst, der diesen Weg bis zum Ende gegangen ist. Nur
hier finden wir diese demütige und ergreifende Bitte. Nur hier stellt Er Sich
als Derjenige vor, der in ihrer Mitte war wie der Dienende (V. 27), und als
Derjenige, der für Simon Petrus gebetet hat (V. 32). Wir sollten denken, daß Er
genug mit Sich Selbst zu tun hatte, mit Seinen bevorstehenden Leiden, doch da
sehen wir, wie Er Petrus liebevoll warnt, daß Satan begehrt habe, ihn zu sichten
wie den Weizen; "ich aber habe für dich gebetet, auf daß dein Glaube nicht
aufhöre." Hier sehen wir, wie der Herr nicht so sehr mit Sich Selbst beschäftigt
ist, sondern mit dem, was den Jüngern begegnen würde, vor allem, da sie nun
allein zurückbleiben würden (V. 35 f).
Hier sehen wir den Herrn auch in Gethsemane
als den abhängigen Menschen; Er ging in den Garten, um zu Gott, dem Vater, zu
beten. Hier sehen wir deutlicher als irgendwo anders die Leiden, die Er als
Mensch erduldete. In den Versen 43 und 44 sehen wir ja, wie vollkommen Mensch Er
war, so vollkommen, daß manche in der frühen Christenheit diese Worte
herausnehmen wollten, weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß der Heilige
Geist uns eine derartige Beschreibung über den Herrn Jesus geben konnte. Doch
beweisen nicht gerade solche Worte, daß Er wirklich Mensch war? "Es erschien ihm
aber ein Engel vom Himmel, der ihn stärkte" ‑stellen wir uns vor: der Schöpfer
der Menschen und Engel ist so wahrhaftig Mensch geworden, daß ein Engel Ihn
stärken kann! So sehr war Er ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir,
doch ausgenommen die Sünde, in jeder Hinsicht Gott geweiht: "Doch nicht mein
Wille, sondern der deine geschehe!" Danach steht Er von Seinem Gebet auf als ein
wahrhaftiger Mensch, der zu Seinem Gott um Errettung aus diesen schrecklichen
Stunden gebetet hat. Diese Stunde, von der Er in Vers 53 sagt, daß es die Stunde
Seiner Feinde ist ‑ "eure Stunde und die Gewalt der Finsternis." Doch Er bleibt
Derselbe in Seiner Güte: Er heilt den Knecht des Hohenpriesters.
Nur in Lukas lesen wir, nachdem Petrus den
Herrn verleugnet hat (V. 61): "Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus
an." Das finden wir hier, denn hier sehen wir Ihn, der Sich in Erbarmen und
Gnade zu dem Menschen herabneigt, um ihn zu dem Herzen Gottes zu bringen; Er,
der Selbst in den tiefsten Erprobungen von seiten der Menschen ist, Sich aber
doch mit den Seinen beschäftigt und Petrus ansieht, um ihn in seinem Herzen zu
treffen, damit Petrus sich bewußt wird, was er getan hat.
Andererseits wird in Kapitel 23 auch
erwähnt, wie der Herr, nachdem Er vor den Hohenpriester und Pilatus gebracht
war, auch vor Herodes geführt wird, um völlig zu zeigen, was Menschen Ihm
antaten. Alle Sünder werden hier offenbar, doch ebenso auch die ganze Liebe zu
Sündern. Beachten wir auch, wie häufig der Herr hier als Mensch bezeichnet wird.
Pilatus nennt Ihn so in den Versen 4, 6 und zweimal in Vers 14. Doch nicht nur
das: Siebenmal wird von diesem Menschen bezeugt, daß keine Schuld an Ihm
gefunden wird (V. 4. 14. 15a. 15b. 22. 41. 47). Das ist ein vollkommenes
Zeugnis, daß dies der Mensch war, der die große Ausnahme von Psalm 14 bildete.
Dies war ein Mensch, der nur Gutes getan hat, der vollkommen nach den Gedanken
Gottes gewandelt ist. Und gerade diesen Menschen sehen wir hiervon Sündern
umringt; nirgends finden wir das so deutlich. Herodes tritt auf, um lediglich
seine eigene Verdorbenheit gegenüber der Vollkommenheit des Herrn ans Licht
treten zu lassen. Auch Petrus, obwohl ein Gläubiger, versagt Ihm gegenüber
jämmerlich. Auch die klagenden Frauen (die nur hier genannt werden) sind
lediglich dürres Holz, wo der Herr Jesus das grüne Holz war (V. 31).
Alle Menschen werden hier in ihrer
elenden Sündhaftigkeit beschrieben, doch
gleichzeitig als Gegenstände der Gnade Gottes. Wo anders als in Lukas finden wir
die Worte Herrn, als man Ihn an das Kreuz nagelte: "Vater, vergib ihnen, denn
sie wissen nicht, was sie tun!" Hier sehen einen sündlosen Menschen, der Sich
bei Gott für sündige Menschen verwendet, sogar für heidnische Soldaten; der bei
Gott, dem Vater, eintritt, den Er als Mensch so gekannt hat. In dem ersten und
dem letzten Wort am Kreuz, das Er ausspricht, redet Er Gott als Seinen Vater an.
Nicht in dem Charakter des ewigen Sohnes, der zum Vater spricht, wie in
Johannes, sondern als der Mensch Jesus Christus, von Gott, dem Vater, hier auf
der Erde gezeugt, der als Mensch in vollkommener Gemeinschaft mit diesem Gott
Seinen Weg ging; der wußte, was es war, als Mensch solch einen innigen Umgang
mit Gott zu haben und der diese Gemeinschaft auch dem armen Sünder gönnte, so
daß sich selbst am Kreuz Sein Mitgefühl und Seine Gnade zu den Sündern um Ihn
her erstreckte. Wo anders als in Lukas lesen wir, daß einer der Räuber am Kreuz
anerkennt, daß er gerechterweise das Gericht verdient hat und nun die Gnade des
Herrn anruft? In Übereinstimmung mit seiner jüdischen Erwartung bitte er daß,
wenn der Herr in Seiner königlichen Herrlichkeit zur zurückkomme, er dabei sein
dürfe, um in der Auferstehung an den Segnungen des Königreiches teilzuhaben. Und
wo an als in Lukas treffen wir dieses Wunderschöne an, daß der Herr Jesus ihm
zeigt, daß diejenigen, die mit Ihm verbunden sind, ein himmlisches Teil haben:
mit Christus im Paradies zu sein ‑ und das nicht erst nach Seinem Wiederkommen
sondern "heute"? Hätte uns das Matthäus sagen können? Uns ist nach dem
Entschlafen ein himmlisches Teil bereit, mit dem Herrn im Paradies, so wie wir
nach Seinem Kommen ein himmlisches Teil im Vaterhaus haben werden.
Schließlich sehen wir, wie Er als
abhängiger, vollkommener Mensch Seinen menschlichen Geist den Händen Gottes, des
Vaters, anbefiehlt. Das ist der wahre Mensch Jesus Christus, und deshalb wird
hier nicht, wie in Matthäus, gesagt: "Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn", denn
das ist hier nicht angebracht, sondern: „Fürwahr, dieser Mensch war gerecht."
Wenn jemals ein Mensch auf der Erde gelebt hat, der den Gedanken Gottes
entsprochen hat, war es dieser. Dieser Mensch war gerecht! Insgesamt siebenmal
mußte Pilatus mit Herodes und den anderen das anerkennen, und nun sagt auch
dieser heidnische Hauptmann bei dem Kreuz dasselbe. Das ist unser Herr; Er ist
der Mensch Jesus Christus, der Gerechte, der für die Ungerechten Sein Leben
gegeben hat, auf daß Er sie durch Gnade zu Gott führe.
Sogar Kapitel 24, das Kapitel der
Auferstehung, beabsichtigt vor alleR1, uns einen gnädigen Herrn vorzustellen,
der danach verlangt, Menschen in die wunderbaren, verborgenen Gedanken Gottes
einzuweihen, der Sich in Gnade zu den Sündern niederbeugt. Auch hier ist es
wieder so wunderschön, das mit den anderen Evangelien zu vergleichen. Wir
können das jetzt am leichtesten tun, weil wir uns mit Matthäus und Markus
bereits beschäftigt haben. In Matthäus finden wir die Frauen, die zu dem Herrn
kommen und Seine Füße umfassen; sie sind ein Vorbild des jüdischen Überrestes,
der zu Recht dankbar ist, daß der Herr in ihrer Mitte zurückgekehrt ist: dort
bringt der Herr dann diesen Oberrest nach Galiläa. Wir finden dort auch nicht
die Himmelfahrt, denn der Herr wird in Verbindung mit dieser Erde gesehen, mit
dem Königreich; wir sehen Ihn als den König, der sagt: "Mir ist alle Gewalt
gegeben im Himmel und auf Erden." In Markus sehen wir den Diener, der seinen
Dienern letzte Anweisungen gibt und danach vom Himmel aus Seinen Dienern Kraft
und Unterstützung darreicht, damit sie ihren Dienst erfüllen können.
Doch Lukas gibt uns ein letztes Bild von
dem Herrn Jesus auf der Erde als Dem, der Sich liebevoll mit den Seinen
beschäftigt, um sie in die wahre, volle Bedeutung Seiner Leiden einzuführen.
Dies ist das am meisten "christliche" der letzten Kapitel der drei Evangelisten,
denn hier finden wir das volle, christliche Evangelium. Hier spricht der Herr
mit den Emmausjüngern, nicht um sie wegen ihrer jüdischen Erwartungen zu
tadeln, sondern um ihnen die Bedeutung Seiner Leiden anhand der Schriften zu
verdeutlichen: Leiden, die die kostbare Grundlage waren für die Verherrlichung
des Christus (V. 26). Dort offenbart Er Sich auch im Brechen des Brotes; es war
zwar keine richtige Abendmahlsfeier, aber es war doch ein Hinweis auf den Platz
der Gemeinschaft, den der Herr bereitet hatte und im Blick auf den Er Selbst
gesagt hatte: "Dieses tut zu meinem Gedächtnis." Dort möchte Er Sich uns auch
heutzutage immer noch im Brechen des Brotes zu erkennen geben (vgl. V. 35), um
uns an diesem Platz, wie Er es hier bei den Emmaus‑Jüngern tut, in die
wunderbare Tragweite Seiner Leiden einzuführen und unsere Herzen brennend zu
machen (V. 32). So kommt Er am ersten Tag der Woche zu uns. 0 wir sehen Ihn
nicht persönlich ‑ auch hier sehen wir übrigens schon, daß Er nicht mehr
beständig unter den Jüngern bleibt (V. 31) ‑ und doch möchte Er uns durch Seinen
Geist in Seine Leiden einführen, in die Herrlichkeit Seiner Person, damit wir
Seiner gedenken und Ihn "erkennen", wenn Er in unsere Mitte kommt.
Und was teilt Er Seinen Jüngern hier mit?
Ich spreche nun nicht über die anderen Evangelien; was der Herr hier entfaltet,
ist das reine, christliche Evangelium. Es ist nicht ohne bestimmte Absicht, daß
gerade Lukas die Apostelgeschichte geschrieben hat (sie ist die Fortsetzung
seines Evangeliums), denn in der Apostelgeschichte sehen wir, wie die
christliche Botschaft gepredigt und von Jerusalem aus unter den Heiden
verbreitet wird. Hier lesen wir, wie der Herr Selbst den Auftrag dazu gibt (V.
47). Er spricht erneut Über das, was von Ihm im Alten Testament geschrieben
stand, und öffnet ihr Verständnis, damit sie das Wort verstehen können. Und dann
sagt Er wiederum: "Also steht geschrieben, und also mußte der Christus leiden
und am dritten Tage auferstehen aus den Toten, und in seinem Namen Buße und
Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem."
Das ist ein völlig anderer Sendungsauftrag als in Matthäus; dort wird der
Auftrag nicht in Jerusalem, sondern in Galiläa gegeben, und dort gibt der Herr
keinen Auftrag in bezug auf Israel (Jerusalem), wie hier, sondern nur für die
Völker. Israel ist dort als Ganzes für eine Zeit beiseite gesetzt, und die
Botschaft, die dort verkündigt werden muß, ist die Botschaft von dem König und
dem Königreich und dient dazu, alle Völker zu Jüngern des Königs zu machen.
Hier hingegen haben wir das christliche
Evangelium, das nicht an Jerusalem vorbeigeht, sondern das gerade in Jerusalem
beginnt. Zuerst den Juden und dann den Griechen, wie Paulus gesagt hat; und es
ist nicht ein Evangelium, das den König vorstellt, sondern das zeigt, wer der
Mensch in sich selbst ist: er muß sich bekehren, damit seine Sünden vergeben
werden, indem er die Bedeutung der Leiden des Herrn Jesus kennenlernt, seine
Hand gleichsam auf das Opferlamm legt und mit Gott in Verbindung kommt. Deshalb
finden wir hier noch etwas, was wir in Matthäus nicht finden, nämlich den
Heiligen Geist: die Kraft aus der Höhe, mit der sie angetan werden sollten (V.
49). Als der Herr Jesus zu dem Oberrest Israels sprach (wie in Matthäus), sprach
Er nicht über den Heiligen Geist, denn dieser Oberrest, der nach der Entrückung
der Versammlung gebildet wird, wird den Heiligen Geist nicht vor dem
Wiederkommen Christ! besitzen. Doch hier finden wir das christliche Zeugnis,
das die Kraft des Heiligen Geistes empfängt, wie wir auch in Kapitel 11, 13 und
anderswo gesehen haben, um in dieser Kraft das Evangelium zu verkündigen.
Deshalb ist es dieser Auftrag, den die Jünger in der Apostelgeschichte
ausgeführt haben, und nicht der Auftrag aus Matthäus; dieser Auftrag wird
erfüllt, wenn der Oberrest das Evangelium des Königreiches predigen wird (vgl.
Mt 24, 14). Was auch heutzutage immer noch gepredigt wird, ist: Buße und
Vergebung der Sünden.
So sehen wir auch, daß dieses Evangelium
schließlich mit der notwendigen Erwähnung Seiner Himmelfahrt endet. In Matthäus
ist das nicht nötig; dort finden wir einen unmittelbaren Sprung von der
damaligen Zeit in die Zukunft, wenn der Herr Jesus aufs neue bei dem Überrest
auf der Erde sein wird. Doch hier ist es notwendig, daß uns der Herr
vorgestellt wird als Derjenige, der in den Himmel aufgenommen wurde, denn das
christliche Zeugnis ist mit einem verherrlichten Herrn im Himmel verbunden, der
den Heiligen Geist aus der Höhe gesandt hat. Das alles bedeutet große Freude für
die Christen: nach der Himmelfahrt kehrten die Jünger mit großer Freude zurück,
waren beständig im Tempel und priesen und lobten Gott.
Ist es nicht ergreifend, so den Herrn in
diesem Evangelium zu sehen?
Auch wenn wir den Schluß der anderen
Evangelien nicht so gut verstehen sollten, dann muß dies doch in jedem Fall
unmittelbar zu unseren Herzen sprechen: Hier sehen wir einen Menschen wie wir,
aber einen vollkommenen Menschen, denn Er kannte die Sünde nicht und war von
Gott Selbst gezeugt auf dieser Erde; und doch ein Mensch, der unser Vorbild ist,
der uns vorstellt, daß wir vollkommen sein können wie Er (6, 40), wenn unser
Auge allein auf Ihn gerichtet ist und wir Ihm allein folgen; der uns als unser
Erbe ein himmlisches Teil vorstellt, nicht irdische Segnungen ‑ die werden uns
hinzugeschenkt werden in dem Maß, wie wir sie nötig haben ‑ sondern ein
himmlisches Teil: unsere Namen im Himmel angeschrieben, himmlische Dinge, die
Gott uns entfaltet hat (10, 20. 24), einen Schatz in den Himmeln (12, 33),
"ewige Hütten" in Aussicht (16, 9), das Paradies, wo wir bei Ihm sein dürfen,
wenn wir entschlafen sind, ja, ein Teil bei dem Herrn Jesus in alle Ewigkeit im
Himmel. Muß das nicht unmittelbar zu unseren Herzen sprechen, so daß auch unsere
Herzen brennend werden, daß wir Gott preisen und loben?
Am Ende dieses Evangeliums möchte ich noch
kurz auf einen kennzeichnenden Aspekt in allen vier Evangelien eingehen, der das
Verständnis der verschiedenen Charaktere dieser Evangelien erleichtern kann. In
jedem dieser vier finden wir nämlich eine besondere, kennzeichnende Segnung, die
der Herr uns geschenkt hat, und in allen vier Fällen ist dies eine 289 Segnung,
die uns (was die Regierungswege Gottes betrifft) gerade als Folge Seiner
Verwerfung durch Israel zugefallen ist.
In Matthäus ist die Folge der Verwerfung
durch Israel, daß der Herr Jesus uns zeigt, was die Versammlung ist (16, 18).
Menschlich gesprochen wäre die Versammlung nicht zustande gekommen, wenn Er
nicht von Israel verworfen worden wäre, denn dann wäre das Friedensreich
gekommen. Doch nachdem Israel Ihn verworfen hat, setzt auch Er Israel beiseite
und zeigt uns die Versammlung, die Er bauen würde, gegründet auf Ihn Selbst als
den Sohn des lebendigen Gottes. Diese Versammlung war die kostbare Perle (13,
46), für die Er Sein Leben hingeben würde, um sie für Sich Selbst zu besitzen.
Das ist unser erster Segen: daß wir ein Teil dieser Versammlung sein dürfen.
In Markus ist der Herr Derjenige, der als
Diener kam, um im Auftrag Gottes Seinen Dienst gegenüber Israel auszuüben. Doch
Israel hat den Diener verworfen, und das bedeutet, daß der Herr ans Kreuz
gebracht wurde. Das beinhaltet zugleich, daß jeder Diener, der dem Herrn
nachfolgen will, denselben Weg zu gehen hat. Die Verwerfung durch Israel
bedeutet für den Herrn das Kreuz und bedeutet auch für uns das Kreuz. Das ist
an sich keine schöne Belehrung, und doch ist es Segen, denn das Kreuz auf
unserem Rücken zu tragen, bedeutet für uns eine vollständige Verurteilung
dessen, was der natürliche Mensch ist, und daß wir keine einzige Erwartung für
dieses Leben mehr haben, sondern anstelle davon Seine Hilfe und Gemeinschaft vom
Himmel her genießen, und daß wir in der Zukunft ewiges Leben empfangen (10, 30).
Was ist in Lukas die Folge, daß der Herr
Jesus durch Israel verworfen worden ist? Die Folge ist, daß der Herr mit Israel
nicht entsprechend den Verheißungen und Prophezeiungen Gottes handeln kann,
nicht entsprechend ihren Ansprüchen und Verdiensten, sondern aufgrund der Gnade.
Eine Gnade, die also nicht zu einem verdienstvollen Volk kommt, sondern zu
Sündern. Doch wenn sie zu solchen, zu Sündern kommt, gibt es keinen Unterschied
mehr zwischen Juden und Völkern, und so ist es eine Gnade, die auch zu uns
kommt, die wir in uns selbst Sünder aus den Nationen sind. Nach der Verwerfung
durch Israel gab es nur noch Raum für Gnade, und zwar für einen armen Oberrest
wie auch für uns arme, rechtlose, verlorene Sünder aus der Völkerwelt.
Und was hat Johannes uns in diesem Punkt zu
sagen? Er zeigt uns, daß der Herr Jesus von Anfang an der Verworfene ist (1, 10.
11). Seine Verwerfung wird dort nicht ausführlich beschrieben, sondern
unmittelbar vorausgesetzt; die Seinen haben Ihn nicht angenommen. Doch was ist
dort die Folge? Von Anfang an wird uns die völlige Beiseitesetzung dessen, was
der Mensch ist, gezeigt, auch dessen, was diese Schöpfung ist, um uns einen
Einblick in die Verlogenheiten des Vaterherzens und des Vaterhauses zu schenken.
Das ist nicht ein Segen, den wir erst in der Zukunft besitzen werden, sondern
Johannes zeigt uns, daß alles, was in dem Vaterhaus einbegriffen ist, nun
bereits unser Teil ist in der reichen Form des ewigen Lebens. Dort sehen wir,
daß der Herr Sich Selbst, nachdem Er von den Seinigen (1, 11) verworfen ist, in
dieser Welt offenbart als der ewige Sohn des Vaters, der bei dem Vater war; Ihn
will der Vater uns als das ewige Leben schenken. Damit hoffen wir uns das
nächste Mal zu beschäftigen.
Matthäus zeigt mir: Ich bin ein Teil der
Versammlung, die für den Herrn Jesus so unendlich kostbar war. Markus zeigt mir:
Ich darf ein Diener des Herrn Jesus sein, und dann achte ich nicht auf die
Schmach, sondern auf das Ziel. Lukas zeigt mir: Auch ich darf durch den Herrn
Jesus teilhaben an Gottes Gnade und einem himmlischen Teil mit dem Herrn
entgegensehen. Johannes zeigt mir: Ich bin ein Kind Gottes geworden, denn ich
habe den Sohn als mein Leben empfangen und darf nun für ewig mit dem Sohn in dem
Haus des Vaters verkehren.
Brüder, zählt eure Segnungen!
Wir kommen heute abend zum vierten und
letzten Evangelium. Wer es liest, bemerkt bereits bald, daß es einen völlig
anderen Charakter hat als die ersten drei Evangelien. In diesen dreien finden
wir weitaus mehr Geschichte, mehr Ereignisse, an denen der Herr Jesus auf der
Erde beteiligt war, während wir hier viel mehr Betrachtungen finden,
Entfaltungen tiefer Wahrheiten, in mancher Hinsicht tiefer als in den
vorhergehenden Evangelien. Johannes hat dieses Evangelium wahrscheinlich auch
als allerletztes Buch der Bibel geschrieben (der Oberlieferung nach beinahe am
Ende des ersten Jahrhunderts), als die anderen drei bereits lange in Umlauf
waren und von dem Apostel als bekannt vorausgesetzt werden konnten. Dieses
Evangelium baut auf dem auf, was die anderen drei Evangelien berichten, und zwar
um einer besonderen Problematik, die bereits in jener Zeit aufkam, zu
entsprechen. Es waren nämlich Strömungen entstanden, die leugneten, daß der
Herr Jesus wahrhaftig Mensch war. Sie hielten zwar daran fest, daß Er eine
göttliche Person war, anerkannten aber nicht, daß Er wahrhaftig im Fleisch
gekommen war. Sie behaupteten, daß Er hier lediglich in einer äußeren,
menschlichen Gestalt erschienen sei, aber nicht wirklich Mensch geworden sei mit
einer menschlichen Seele, einem menschlichen Geist und einem menschlichen Leib.
Es gibt daher auch kein Evangelium, das so deutlich ins Licht stellt, daß der
Herr Jesus wahrhaftig und vollkommen Mensch war.
Andererseits sagen wir jedoch tatsächlich
von diesem Evangelium: Hier finden wir den Herrn Jesus als den Sohn Gottes.
Und das ist richtig, denn von Demjenigen, von dem hier so eindeutig gesagt wird,
daß Er Fleisch wurde (1, 14), wird zugleich im ersten Kapitel bestätigt und
beschrieben, was Er als göttliche Person ist, als der eingeborene Sohn des
Vaters, der im Schoß des Vaters war und ist. Und damit beschreibt dieses
Evangelium ein Terrain, das viel weiter reicht als die früheren drei Evangelien.
Dort haben wir im besonderen gesehen, weiche Ämter der Herr Jesus als Mensch
bekleidete: als Messias (Matthäus) und als Diener und Prophet für Israel
(Markus) und als "Sohn des Menschen" für die gesamte Menschheit (Lukas), also
stets in Verbindung mit der Menschheit des Herrn und zudem in allen drei
Fällen, wie Er den Bedürfnissen des Menschen entspricht: um Sein Volk von ihren
Sünden zu erlösen (Matthäus), um den Dienst Gottes an ihnen auszuüben als
Prophet ‑ Propheten wurden nur dann gesandt, wenn der Zustand des Volkes
schlecht war ‑ (Markus), und um einer sündigen Menschheit Gottes Gnade zu
bezeugen (Lukas).
Dieses Evangelium reicht darüber hinaus. Es
ist sehr bemerkenswert, daß wir hier die Lösung des Sündenproblems Überhaupt
nicht genannt finden (mit einer Ausnahme in Kapitel 20 in einem anderen
Zusammenhang). Wir finden zwar das Problem der Sünde als Macht im Kosmos (1,
29), aber nicht die sündigen Taten des Menschen und auch nicht das Problem der
Erlösung und Versöhnung ‑ das alles wird als bekannt vorausgesetzt aus den
vorangehenden Evangelien. Was hat denn der Herr Jesus in diesem Evangelium auf
der Erde entfaltet? Ja, gerade das, was so sehr mit der Tatsache zusammenhängt,
daß Er eine göttliche Person ist, der Sohn des Vaters; denn was Er hier
entfaltet, ist nichts weniger als die Dinge, die Er als Sohn des Vaters im Schoß
des Vaters gekannt und genossen hat als Derjenige, der von Ewigkeit im Vaterhaus
verkehrte und der kam, um uns mit den Dingen bekanntzumachen, die dort gefunden
werden. Das geht weit über unsere Bedürfnisse als Menschen auf der Erde hinaus,
übersteigt bei weitem das, was wir als Sünder nötig haben. Wir haben diese
himmlischen Segnungen nicht nötig als Antwort auf unsere Not als Sünder, sondern
es sind die Dinge, die Gott uns nach Seinen ewigen Ratschlüssen aus
unumschränkter Gnade schenken wollte, über das hinaus, was wir als Sünder nötig
hatten. Es sind die Freuden Seines eigenen Herzens, Dinge, die in dem Herrn
Jesus Selbst gefunden werden. Denn alle Segnungen des Vaterhauses sind die
Segnungen Seiner eigenen Person und sind in diesem einen Wort zusammengefaßt:
das ewige Leben, das in Ihm war, ja, das Er Selbst ist. 1. Johannes 5, 20 sagt:
"Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben" ",das bei dem Vater war
und uns geoffenbart worden ist“, fügt Kapitel 1, 2 hinzu. Wir dürfen dieses
Leben nun besitzen; wir haben den eingeborenen Sohn des Vaters als unser Leben
empfangen. Und dieser Besitz des ewigen Lebens bedeutet (Joh 17, 3), daß wir
Gott kennen in dem, was Er wirklich ist: der Vater des Sohnes, und daß wir Jesus
Christus, den von Gott Gesandten, kennen in dem, was Er wirklich ist: der ewige
Sohn des Vaters.
Deshalb beginnt dieses Evangelium auf solch
eine bemerkenswerte Weise, nämlich nicht mit Seiner menschlichen Abstammung.
Matthäus führt ein Geschlechtsregister an, um zu zeigen, daß der Herr Jesus
wirklich der Messias ist. Markus enthält kein Geschlechtsregister, Lukas
hingegen bringt eines, um zu zeigen, daß der Herr Jesus wahrhaftig Mensch ist.
Hier aber finden wir eine "Abstammung" von Ewigkeit an (also ohne Anfang).
"Seine Ausgänge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her" (MI 5, 1).
Im Anfang ‑ nicht dem von 1. Mose 1, sondern von Ewigkeit ‑ war das Wort. Dieses
Evangelium versetzt uns mit einem Schlag in die Ewigkeit, in das Vaterhaus, als
noch keine Schöpfung bestand. Was wir dann in Kapitel 1 finden ‑ und das ist
eine sehr wichtige Einleitung zu diesem Evangelium ‑ sind vor allem die
persönlichen Herrlichkeiten des Herrn Jesus. Die sieben genannten Herrlichkeiten
sind nicht Seine amtlichen Herrlichkeiten, wie wir sie in den anderen
Evangelien fanden, mit Ausnahme der Tatsache, daß Er der König Israels, der
Messias ist, wie wir sehen werden.
Die erste Herrlichkeit ist die, daß Er das
Wort Gottes ist. Das "Wort" (der Logos) bedeutet den Ausdruck eines tieferen,
inneren Gedankens. Er war das Wort, das bei Gott war, d. h. daß Gott von
Ewigkeit her nur gekannt werden konnte und noch gekannt wird durch das Wort. Er
ist eine Person, in der allein Gott Sich geoffenbart hat. So war das bereits im
Alten Testament: wo Gott offenbar wurde, geschah das durch Ihn, der das Wort
genannt wird, das »Instrument", durch das Gott Sich ausdrückt; doch ein
"Instrument" (mit Ehrfurcht gesagt), das Selbst zur gleichen Zeit Gott ist: das
Wort war Gott. Das heißt, daß wir es mit einer göttlichen Person zu tun haben,
die von Ewigkeit war und in der Sich der dreieinige Gott offenbart und
geoffenbart hat. Hat Gott die Welten geschaffen? Dann geschah es durch das
Wort, denn wo Gott Sich offenbart, dort geschieht es durch das Wort. Ist Gott
ein Gott, der Licht verbreitet? Dann geschieht das durch das Wort, denn das Wort
ist eine göttliche Person, die Leben ist und Leben gibt, und als solcher war Er
das Licht der Menschen, d. h. der das Licht Gottes auf die Menschen scheinen
ließ.
Doch dann finden wir gleich zu Beginn
dieses Evangeliums eine andere Seite, die ebenfalls wie ein roter Faden durch
dieses Evangelium läuft, nämlich, daß die Weit, in der der Herr Jesus dieses
göttliche Licht offenbarte, Ihn verworfen hat. Die Finsternis hat es nicht
erfaßt (V. 5), die Welt kannte Ihn nicht (V. 10). Und die Seinen ‑ das ist
Israel ‑ haben Ihn nicht angenommen (V. 11). Das ist hier von Anfang an eine
feststehende Sache. Die Welt hat ihren Schöpfer nicht angenommen. Doch diese
Tatsache führt in Vers 12 gleichzeitig etwas völlig anderes ein, nämlich daß es
dennoch in diesem "Kosmos" eine (neue) Familie gibt, bestehend aus allen
denjenigen, die an den Namen des Herrn Jesus glauben, die Ihn angenommen haben
und aus Gott geboren sind, denn solche haben das Recht, Kinder Gottes zu werden.
Hier wird noch nicht weiter erklärt, wie sie genau die Familie Gottes bilden;
das kommt später. Doch hier wird von Anfang an festgestellt, daß die Welt (und
auch Israel) Ihn verworfen hat und daß der Herr doch in dieser Weit Seine
eigene Familie hat, die alle diejenigen umfaßt, die durch den Glauben Kinder
Gottes geworden sind.
Doch damit ist etwas völlig Neues
entstanden, und das findet seinen Ursprung hierin: Wenn auch das Wort im Alten
Testament Gott geoffenbart hat, indem es schuf, indem es Licht und Leben
verbreitete, so ist doch etwas vollständig Neues eingetreten dadurch, daß das
Wort Fleisch geworden ist.
Das Wort ist Mensch geworden, hat also
nicht eine menschliche Gestalt angenommen, sondern ist Selbst Fleisch
geworden, hat (wenn ich so sagen darf) einen neuen Daseinszustand begonnen.
Und das nicht für eine Zeit; das Wort ist für ewig Fleisch geworden, denn in
alle Ewigkeit wird diese göttliche Person, die bei Gott war und die Selbst Gott
war und ist, Mensch bleiben. Er ist Fleisch geworden, um bis in Ewigkeit Mensch
zu sein. Und als Mensch auf der Erde ist Er in einer ganz besonderen Weise die
Offenbarung dessen geworden, was Gott ist, denn hier steht, daß durch Ihn die
Gnade und die Wahrheit geworden ist. Und zwar nicht so, wie durch den Mittler
Moses das Gesetz gegeben wurde; diese göttliche Person war nicht einfach ein
Mittler, sondern in Ihm Selbst war Gnade und Wahrheit, denn das Wort war Gott.
Dazu kommt eine zweite Herrlichkeit. Das
fleischgewordene Wort hat auf der Erde eine Herrlichkeit geoffenbart: die eines
Eingeborenen vom Vater (V. 14). Das ist etwas Neues. Nicht nur eine göttliche
Person, die Gott offenbarte, kam auf die Erde, sondern der eingeborene Sohn, der
im Schoß des Vaters ist, hat den Vater geoffenbart. Das Wort hat Gott
geoffenbart, der Sohn hat den Vater geoffenbart. Das ist ein völlig neuer
Gedanke, denn der Vater war bis dahin weder geoffenbart noch bekannt. Gott war
nicht bekannt in dem, was Er im tiefsten Wesen ist: ein dreieiniger Gott. Der
dreieinige Gott ist nun in dem Sohn, der auf die Erde gekommen ist, geoffenbart
worden. Den Vater haben wir in Ihm kennengelernt: "Wer mich gesehen hat, hat
den Vater gesehen" (14, 9). In Ihm haben wir auch den Sohn kennengelernt, und
auch der Heilige Geist als eine göttliche Person ist in dem Herrn Jesus
geoffenbart; der dreieinige Gott ist geoffenbart in Ihm, der im Schoß des Vaters
ist und war (auch als Er auf der Erde war). Er hat Gott kundgemacht, so wie
allein Er Gott kannte. Er, der am Herzen des Vaters war, der von Ewigkeit der
Gegenstand der Liebe des Vaters war, der gefühlt hatte, wie das Herz des Vaters
schlug, Er hat den Vater in dieser Weit geoffenbart, und Er allein konnte das
tun, denn nur Er kannte die Liebe und das Herz des Vaters.
Nach diesem Zeugnis, das Johannes der
Täufer in den folgenden Versen von Ihm gibt, sehen wir einen neuen Gedanken,
eine dritte Herrlichkeit in Vers 29, nämlich daß Er das Lamm Gottes ist, das die
Sünde der Weit wegnimmt. Wir haben soeben gesehen, daß die Welt Ihn verworfen
hat, und das weist auf das größte Problem in dem Kosmos hin, nämlich das Problem
der Sünde, die als eine Macht alles durchdringt. Hier wird nicht gesagt, wie die
Sünde dorthin gekommen ist und wie sie weggetan werden wird. Hier wird allein
festgestellt, daß diese göttliche Person, der Sohn des Vaters, das Lamm Gottes
ist, das die Sünde aus dem Kosmos fortschaffen wird. Und das ist eine ganz
besondere, neue Herrlichkeit von Ihm. 1. Petrus 1 sagt, daß der Herr Jesus das
Lamm Gottes war und vor Grundlegung der Weit zuvorerkannt war. Hier wird nicht
über Ihn gesprochen als einen Ziegenbock, nämlich das Tier des Sündopfers; hier
wird auch nicht über Sünder gesprochen, die mit Gott versöhnt werden müssen.
Hier wird das Lamm Gottes genannt, also das Brandopfer. Das haben wir in den
anderen Evangelien nicht gefunden. Matthäus und Markus zeigen Ihn als das
Schuld‑ und Sündopfer und Lukas als das Friedensopfer, als die Person, durch
die Gott mit denen, die aus dieser Welt gerettet sind, Gemeinschaft haben kann.
In Johannes finden wir jedoch das Brandopfer. Hier geht es nicht um die Sünden
derer, die gerettet werden mußten, sondern um die Tatsache, daß Er das
Sündenproblem als Anlaß genommen hat, Gott zu verherrlichen. Dazu ist dieser
Mensch auf der Erde: um Gott zu verherrlichen. Der Sohn ist hier, um den Vater
zu verherrlichen und aufgrund davon aus diesem Kosmos eine Familie für Gott zu
bereiten. So ist Er zuvorerkannt als das Lamm Gottes, als das Brandopfer, das
Sich Selbst Gott zu einem lieblichen Geruch darbringt, damit die Sünde aus
dieser Welt weggenommen wird in einer Weise, durch die Gott wunderbar
verherrlicht wird.
Doch Er wurde auch in einer anderen Weise
gekannt, nämlich so, wie Er von den Juden erwartet wurde. In den drei
Herrlichkeiten, in denen ich Ihn nun beschrieben habe, wurde Er nicht erwartet,
denn sie waren völlig neu. Wie Er erwartet wurde, finden wir in den Worten des
Andreas: als der Messias (V. 42), und in den Worten des Nathanael (V. 49):
"Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels."
Das entsprach völlig den Erwartungen des
Volkes. Wenn es Über den Sohn Gottes sprach, meinte es damit etwas völlig
anderes als das, was wir zu Beginn dieses Kapitels gefunden haben: den
Eingeborenen des Vaters, den ewigen Sohn, der im Schoß des Vaters war. Diese
Juden meinten dagegen, daß Er der Sohn Gottes war, wie Er bereits im Alten
Testament, in Psalm 2, geoffenbart worden war: Sohn Gottes sollte Er auch als
Derjenige sein, der von Gott auf der Erde als Mensch gezeugt war in Verbindung
damit, daß Er der Messias war, der König, der über Zion gesalbt werden sollte.
Vielleicht hat Johannes daran auch in Vers
34 gedacht, Der Heilige Geist, der auf den Herrn Jesus herniederkam, sollte der
Beweis von seiten Gottes sein, daß Dieser der Sohn Gottes war (nämlich durch
Geburt). Doch für das Herz des Vaters ging es viel mehr darum, daß Er bei dieser
Gelegenheit aufgrund des Lebens Christi bis zu diesem Augenblick sagen konnte:
Dieser ist Mein geliebter Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen gefunden habe. Das
kommt auch in dem, was der Herr weiter sagt, zum Ausdruck; als es sich
herausstellte, daß Nathanael Ihn entsprechend seiner eigenen, jüdischen
Erwartung lediglich als Sohn Gottes in der Bedeutung des Messias, als König von
Israel kannte, sagt der Herr: Nathanael, Ich werde dir eine Wahrheit offenbaren,
eine Herrlichkeit in Meiner Person, die weit darüber hinausgeht. Diese
Herrlichkeit (die siebte) finden wir in Vers 52: Er ist der Sohn des Menschen.
Doch wie kann Er nun als Sohn des Menschen herrlicher sein als der Sohn Gottes?
Und doch ist das so, d. h. als "Sohn Gottes" nicht in dem Sinn, daß Er der Ewige
Sohn des Vaters ist, sondern der von Gott gezeugte Messias aus Psalm 2, der als
König über Zion gesalbt war. Als solcher hatte Er lediglich eine Beziehung zu
dem Volk Israel (wie auch Nathanael sagt). Doch der Herr sagt gleichsam zu ihm:
Ich werde nicht nur als Sohn Gottes (als Messias) mit Israel verbunden sein,
sondern Ich werde der Sohn des Menschen sein, der eine Beziehung zur gesamten
Menschheit hat, also im Sinn von Psalm 8: Seinen Füßen wird die ganze Schöpfung
unterworfen sein, so daß Engel auf Ihn auf ‑ und niedersteigen werden als
"dienende Geister".
In der Zeit des kommenden Friedensreiches
wird dies alles erfüllt werden. Er ist nicht nur der Messias Israels, sondern
Derjenige, dessen Füßen die ganze Schöpfung unterstellt werden wird aufgrund des
einen großen Werkes, das Er als das Lamm Gottes hier auf der Erde erfüllt hat.
Die Einleitung dieses Evangeliums wird deshalb mit dem Weinwunder während der
Hochzeit zu Kana (2, 1 ‑11) abgeschlossen, wovon wir in Vers 11 lesen, daß es
das erste "Zeichen" war, das Jesus tat, und wo Er Seine Herrlichkeit offenbarte.
Wir sehen häufiger in Johannes, daß er in aufeinanderfolgenden Ereignissen auch
eine vorbildliche, symbolische Darstellung der Regierungswege Gottes gibt, also
dessen, was Gott in Zukunft aufgrund des Werkes des Herrn Jesus tun wird. Das
wird hier deutlich in den verschiedenen Jagen" angegeben, die hier genannt
werden: erst das damalige Zeugnis in Israel (1, 29. 30), dann ist die Rede von
dem „folgenden Tag" in Vers 35, wo der Herr Jesus mit Seinen Jüngern einen
abgesonderten Platz in dieser Weit einnimmt (wie wir das gegenwärtig in dem
christlichen Zeugnis verwirklicht finden). Wir haben wieder einen „folgenden
Tag" (V. 44) in dem Zeugnis von Philippus und Nathanael, ein Hinweis auf das
Zeugnis, das in Zukunft in Israel abgelegt werden wird, wenn dort ein
wahrhaftiger jüdischer Oberrest abgesondert werden wird, "in welchem kein Trug
ist" (vgl. V. 47). Das wird abgeschlossen mit dem "dritten Tag" (2, 1), der
Hochzeit zu Kana, einem Bild des Friedensreiches, wenn Christus den Wein der
Freude bereiten wird. Dieses Friedensreich beginnt mit einer Hochzeit, die auf
der Erde gefeiert werden wird, wenn der Herr Jesus Sich mit Seiner irdischen
Braut, Jerusalem, verbinden wird.
So finden wir hier kurz zusammengefaßt eine
Vorausschau auf die Erfüllung aller Wege Gottes. Doch ab Kapitel 2, 13 wird uns
die harte Wirklichkeit beschrieben, nämlich daß der Herr Jesus verworfen ist.
Was bereits in Kapitel 1 festgestellt wurde, wird hier bewiesen, denn Er kommt
zum Passah nach Jerusalem, und wir sehen, wie der Eifer für Sein Haus Ihn
verzehrt: Er wirft die Tische der Geldwechsler um, spricht vor allen Dingen von
Seinem Geheimnis: daß der Tempel Seines Leibes abgebrochen werden würde und daß
Er am dritten Tag aus den Toten auferstehen werde. So finden wir hier auf der
einen Seite die Entfaltung der Wege Gottes, die zeigen, was Er verwirklichen
wird, doch auf der anderen Seite die Bosheit der Weit. Der Herr würde zu Tode
gebracht werden, allerdings am dritten Tage auferstehen, doch sie, die Juden,
würden für Seinen Tod verantwortlich sein und so beweisen, daß sie Ihn nicht
wirklich kannten. Vielleicht "glaubten" sie wohl an Ihn; Vers 23 sagt, daß viele
an Seinen Namen glaubten, d. h. mit dem Verstand, angezogen durch die Zeichen.
Doch wir lesen: "Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an ... denn er
selbst wußte, was in dem Menschen war" (V. 24. 25). Er kannte den Menschen,
seine Verdorbenheit, und Er wußte, daß Er von dem Menschen als solchem nichts zu
erwarten hatte. Damit wird erneut festgestellt, daß die Welt und Israel Ihn
verworfen haben.
Doch dann dürfen wir in den Kapiteln 3 und
4, ausgehend von der Verwerfung, erneut einen Blick tun in das, was Gott mit der
Einführung Seines eingeborenen Sohnes in der Schöpfung beabsichtigt, und in die
Grundsätze, die Er offenbaren will. In Johannes 3 steht das in Verbindung mit
dem Zeugnis, das der Herr Jesus damals in Israel ablegte, und in Johannes 4
steht das, wie wir sehen werden, in Verbindung mit dem Zeugnis, wie wir es nun
unter den Gläubigen aus den Nationen kennen. Wir finden hier unter den
Israeliten, die Ihn verworfen hatten, einen einzelnen, der zu Ihm kam,
Nikodemus. Nicht der erste beste, sondern jemand, der eine sehr hohe Stellung
inmitten des auserwählten Volkes und damit in der ganzen Welt einnahm. Dieser
bevorrechtigte Mann mußte jedoch diese Wahrheit lernen: daß sogar der
allerhöchste und bevorrechtigtste Mensch auf der Erde von neuem geboren werden
muß. Das war an sich keine neue Offenbarung, sondern eine Tatsache, die schon im
Alten Testament bekannt war (siehe Hes 36). Jeder Mensch kann nur mit Gott in
Verbindung gebracht werden, nicht aufgrund von Vorrechten, Abstammung oder
Stellung, sondern aufgrund der neuen Geburt aus Wasser und Geist. Nachdem der
Herr diese einfachen, irdischen Dinge dargelegt hat, die bereits im Alten
Testament bekannt waren, fügt Er allerdings etwas völlig Neues hinzu. Dieses
Neue war nicht von dieser Erde, sondern vom Himmel (V. 12). Und wer konnte das
besser mitteilen als der Sohn des Menschen, der aus dem Himmel herniedergekommen
und zugleich im Himmel war? (V. 13). Die Voraussetzung dafür, daß wir das Reich
Gottes sehen dürfen, ist auch heute immer noch, daß wir von neuem geboren werden
müssen; doch wir sind damit zugleich in einen Zustand gekommen, daß wir
erkennen können (durch die Kraft des Geistes), was es bedeutet, daß der Herr
Jesus auf die Erde gekommen ist, um uns vom Himmel her himmlische Dinge zu
entfalten.
Das ging weit über das hinaus, was
Nikodemus wußte und was im Alten Testament entfaltet war. Was war denn das Neue?
Einfach zusammengefaßt in zwei Worten: das "ewige Leben". Der Sohn des Menschen
mußte erhöht werden, das Lamm Gottes mußte Sich Gott zu einem duftenden
Wohlgeruch darbringen, und aufgrund davon sollte geschenkt werden, was hier
steht: ewiges Leben (V. 15.16). Wer
an den Sohn glaubt, sollte nicht nur Erlösung und Vergebung von Sünden haben ‑
das sind Dinge, die hier nicht einmal genannt werden ‑, sondern vor allem das
ewige Leben. Was ist das? Ich habe es bereits gesagt: es ist der Sohn des
Vaters Selbst. Er ist das ewige Leben, das bei dem Vater war und uns
geoffenbart worden ist, nicht nur damit wir es kennenlernen können, sondern
damit wir es besitzen können. Das ist das völlig Neue: den Sohn als unser Leben
zu besitzen. Nikodemus verstand nicht einmal die irdischen Dinge, nämlich daß
ein Mensch von neuem geboren werden mußte. Doch wer das versteht, ist auch in
der Lage, nun durch den Geist die himmlischen Dinge verstehen zu lernen, nämlich
daß wir das ewige Leben empfangen, das ist der Sohn des Vaters Selbst.
Dies ist, wie gesagt, eine völlig neue
Wahrheit. Es ist hier das große Ziel der Sendung Christi von seiten Gottes,
nicht. die Weit zu verderben, sondern sie zu erretten und sie das wunderbare
ewige Leben besitzen zu lassen. Das ist ein Zeugnis, das nicht nur der Herr
Jesus gibt, sondern Vers 22 und die folgenden Verse zeigen uns, daß auch
Johannes das bezeugt und bestätigt. Er sagt in Vers 31: "Der von oben kommt, ist
über allen" (auch er spricht also über Ihn als Den, der aus dem Himmel
herniedergekommen ist), und in Vers 32: "Und was er gesehen und gehört hat,
dieses bezeugt er; und sein Zeugnis nimmt niemand an." Hier finden wir wieder
dieselben beiden Hauptlinien: einerseits daß der Herr hier auf der Erde das
bezeugt hat, was Er bei dem Vater gesehen und gehört hat, die himmlischen Dinge
des Vaterhauses, die große Wahrheit dieses ganzen Evangeliums; andererseits daß
die Welt Ihn nicht erkannt hat und also "niemand" ‑ nach der Verantwortlichkeit
des Menschen gerechnet ‑ das Zeugnis angenommen hat. Johannes bestätigt das;
zugleich nennt Er Christus Denjenigen, der von Gott gesandt ist, um die Worte
Gottes zu reden (V. 34). Und was sind die Worte Gottes, was ist das Große, das
Er entfalten wird? Johannes sagt es in Vers 36 (wie der Herr zuvor auch gesagt
hat): "Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohne nicht
glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm."
Das Zeugnis, das der Herr Jesus damals in
Israel ablegte, war, daß sogar der bevorrechtigtste Israelit von neuem geboren
werden mußte; und wenn das bei ihm der Fall war und er den Sohn kennenlernte und
an Ihn glaubte, empfing er sogar die wunderbare himmlische Gabe des ewigen
Lebens. In Kapitel 4 sehen wir ‑ geradeso wie in Kapitel 1 ‑eine neue
Entwicklung: wenn der Herr nämlich diesen himmlischen Schatz anbietet, kann der
nicht nur für Israel bestimmt sein, sondern ist für die ganze Welt. Wir sehen
das hier bei der samaritischen Frau. Das ewige Leben ist nicht auf Israel
beschränkt, nein, die Familie Gottes besteht sogar zum größten Teil aus solchen,
die nicht aus Israel sind. Wir hören hier in Kapitel 4, 42, "daß dieser
wahrhaftig der Heiland der Weit ist." Die Schätze des Vaterhauses können nicht
auf ein einzelnes Volk beschränkt bleiben. Er ist der Heiland der Weit; und so
kommt Er zu dieser halb‑heidnischen Frau, nicht um ihr die Wiedergeburt
darzulegen, sondern die tiefste christliche Wahrheit, die wir eigentlich
bereits in Vers 10 angedeutet finden: "die Gabe Gottes." Gott offenbart Sich
als der große Geber, und was gibt Er? Das, was Er in Seinem eigenen Haus
besitzt, die Schätze des Vaterhauses, des ewigen Lebens, das wir jetzt in Ihm
besitzen, der das ewige Leben ist. Er gibt hier dieser Frau das lebendige
Wasser, von dem wir später in Kapitel 7 lesen, daß es der Heilige Geist ist; und
zwar in Verbindung mit dem Wort Gottes, denn davon ist Wasser an sich ein Bild.
Der Heilige Geist ‑ diese typisch christliche Wahrheit erklärt der Herr
Nikodemus noch nicht genauer ‑ ist ausgegossen und wird in uns eine Quelle
Wassers. Mit welchem Ergebnis? Wie Vers 14 sagt: "Eine Quelle Wassers, das ins
ewige Leben quillt." Durch die Kraft des Heiligen Geistes können wir alle diese
Schätze kennen ‑ und verstehen lernen, die enthalten sind in diesen beiden
Worten: das ewige Leben. Durch den Heiligen Geist dringen wir in die wunderbaren
Güter des Vaterhauses ein, denn diese Quelle lebendigen Wassers quillt ins ewige
Leben, um uns mit all den Schätzen, die sich im Vaterhaus vorfinden, in
Verbindung zu bringen.
Dazu gehört in diesem Kapitel auch ein
neuer Platz der Anbetung, denn wo der Heilige Geist uns mit diesen Schätzen in
Verbindung bringt, dort weckt er auch eine Anbetung des Vaters, der sie gegeben
hat. Nicht mehr eine Anbetung, die an den Berg Gerisim oder an Jerusalem
gebunden ist, sondern eine Anbetung in Geist und Wahrheit: an einem
geistlichen Platz, in einer geistlichen Weise und vor allem auf die Wahrheit
gegründet, die der Sohn im Blick auf den Vater vollkommen entfaltet hat. Auf
dieser geistlichen, christlichen Grundlage haben wir als die Familie Gottes ‑
größtenteils aus den Nationen, wie diese samaritische Frau ‑ die Kenntnis der
vollen Wahrheit Gottes, und in der Kraft des Heiligen Geistes dürfen wir den
Vater und den Sohn anbeten. Der Herr Jesus legt weiterhin dar, daß dies für die
ganze Welt ist ‑ die Felder sind weiß zur Ernte (V. 35), und die Frucht für den,
der erntet, ist Frucht zum ewigen Leben (V. 36) ‑ und bleibt noch zwei Tage dort
(V. 43); viele sind der Meinung, daß sie auf die zweitausend Jahre der
christlichen Haushaltung hinweisen.
Hiernach finden wir schließlich wieder
dasselbe wie in den "Tagen" von Johannes 1 und 2: Nach der Haushaltung der
Christenheit wird erneut ein Zeugnis in Israel entstehen. Wir sehen, daß der
Herr Jesus wieder nach Kana zurückgekehrt ist (siehe den "dritten Tag" in
Kapitel 2), wo Er das Wasser zu Wein gemacht hatte (V. 46). Dort war ein
königlicher Beamter in Kapernaum, dessen Sohn krank war. In der Heilung dieses
Sohnes haben wir im Bild einen Hinweis, wie der Herr Sich nach der christlichen
Haushaltung wieder über Israel erbarmen wird. Hier in Galiläa wird immer der
jüdische Oberrest gesehen, den Er heilen und in die Segnungen einführen will;
deshalb wird dieser Abschnitt auch mit den Worten von Vers 54 abgeschlossen:
"Dies tat Jesus wiederum als zweites Zeichen, als er aus Judäa nach Galiläa
gekommen war." Daran erkennen wir, daß wir den ersten Teil dieses Evangeliums in
Kapitel 1, 1‑2,12 und den zweiten Teil in Kapitel 2, 13 ‑ 4, 54 finden. Dieses
Evangelium ist recht schwierig in seinen Besonderheiten, doch seine Einteilung
ist verhältnismäßig einfach.
In Kapitel 5 beginnt ein neues Thema, das
bis Kapitel 7 einschließlich durchläuft; diese Kapitel führen einen neuen
Gedanken ein, und zwar diesen: Wenn der Sohn des Vaters auf die Erde gekommen
ist, gibt Gott Zeugnis über Ihn; der Heilige Geist zeigt uns das ewige Leben,
und wir werden entdecken, daß dies nichts anderes ist als der Sohn des Vaters
Selbst. Um zu verstehen, was die Schätze des Vaterhauses sind ‑ und sie sind
nichts anderes als der Sohn des
Vaters Selbst ‑ ist es notwendig, zuerst
die Herrlichkeiten des Sohnes Gottes kennenzulernen, und zwar in drei Phasen
(Kap. 5; 6; 7). Jedes Kapitel enthält eine neue Beschreibung des Sohnes Gottes,
veranlaßt durch ein bestimmtes Ereignis; in Kapitel 5 ist das die Heilung eines
Kranken, der achtunddreißig Jahre krank war. Diese achtunddreißig Jahre waren
auch die Zeitspanne, in der sich das Volk Israel in der Wüste unter dem Gesetz
befand. Wir sehen hier jemanden im Griff des Gesetzes, eines heiligen, gerechten
und guten Gebotes, das jedoch durch das Fleisch kraftlos war. Dieser Mann wird
von dem Herrn Jesus am Sabbath geheilt, denn durch den Sohn Gottes sind Gnade
und Wahrheit geworden, die außerhalb des Systems des Gesetzes in der Lage sind,
einen Lahmen zu heilen. Daraufhin sehen wir, wie die Juden die richtige
Schlußfolgerung ziehen (V. 18), nämlich daß Er nicht nur den Sabbath brach, also
das System des Gesetzes beiseite setzte, sondern auch sagte, daß Gott Sein
eigener Vater ist und Sich damit Gott gleich machte. Letzteres verstanden sie
besser als viele "Christen": daß Gott Sein Vater war, bedeutete tatsächlich, daß
Er Selbst Gott war!
Das ist auch genau das, was Kapitel 5 uns
deutlich machen will. Es zeigt uns eine göttliche Person auf der Erde, dem Vater
gleich und doch abhängig vom Vater ‑ abhängig ist nicht dasselbe wie niedriger
in einer Rangordnung ‑, vollkommen eines Willens und in Harmonie mit dem Vater.
So sagt Er Selbst: "Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den
Vater tun sieht" (V. 19); doch auch der Vater tut nichts außerhalb des Sohnes
(V. 21f. 26). Nicht ein Mensch, Gott unterworfen auf der Erde, sondern der Sohn
wird uns hier vorgestellt, dem Vater gleich. Und nicht nur das: Der Vater gibt
Ihm auch zwei Dinge; da der Sohn vollkommen abhängig ist, nimmt Er alles, sogar
wenn es um die Dinge geht, die Er von Ewigkeit besitzt, aus der Hand des Vaters
an. Wir sehen hier, daß der Sohn zwei Dinge tut: Er macht lebendig, welche Er
will (V. 21. 26), und Ihm ist das ganze Gericht übergeben (V. 22. 27‑30). Gibt
es einen deutlicheren Beweis, wer Er ist? Er hat Leben in Sich Selbst, sagt
Vers 26, ebenso wie der Vater Leben in Sich Selbst hat, denn beide sind
göttliche Personen. Gott der Sohn hat unumschränkte Gewalt, Leben zu geben, wem
Er will. Doch der Vater hat Ihm auch das ganze Gericht gegeben, und das ist
ebenfalls ein Beweis, daß Er eine göttliche Person ist, denn das ganze Gericht
kann nur von Gott ausgeübt werden. Hier wird jedoch auch noch ein zweiter Grund
angegeben. In Vers 27 steht: "Und er hat ihm Gewalt gegeben, auch Gericht zu
halten, weil er des Menschen Sohn ist." Nicht: Der Sohn des Menschen, als ginge
es um diesen Titel, sondern: weil Er des Menschen Sohn ist, das will sagen, weil
Er wahrhaftig geborener Mensch ist. Der Vater hat Ihm das Gericht gegeben,
nicht nur, weil der Sohn der Schöpfer ist (1, 3) ‑obwohl Er aufgrund davon auch
ein Recht auf die ganze Schöpfung hat ‑, sondern das Besondere ist hier gerade,
daß es ein Mensch ist, der die ganze Schöpfung richten wird. Die Welt hat Ihn
verworfen ‑ nun, es ist dieser Mensch, der das Gericht über diese Welt ausüben
wird. Er hat Leben in Sich Selbst und teilt es nun als Mensch mit Mitmenschen,
und Er hat alles Gericht empfangen, nicht nur, weil Er der Sohn des Vaters ist,
sondern weil Er Mensch geworden ist. Und dann sehen wir, wie Er dieses Gericht
ausübt: in der Stunde der Auferstehung wird es eine Auferstehung zum Leben und
eine Auferstehung zum Gericht geben.
Dies ist die Seite der Allmacht Gottes; Er
gibt Leben, wem Er will, und Er richtet entsprechend Seiner souveränen Macht. Es
gibt aber auch eine andere Seite, nämlich die der menschlichen
Verantwortlichkeit; dafür gilt, was in Vers 24 steht: "Wer mein Wort hört und
glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins
Gericht." Dieser bekommt mit dem Sohn zu tun als Dem, von dem er das Leben
empfängt, und andererseits als Dem, der ihn vor dem Gericht bewahrt. Diese Seite
der Verantwortlichkeit ist auch wichtig, und deshalb ist der weitere Verlauf
dieses Kapitels aufgebaut auf eine Schilderung der vier großen Zeugnisse, die
von dem Herrn Jesus gegeben sind, so daß wir uns unmöglich entschuldigen
könnten. Das erste ist das Zeugnis Johannes des Täufers (V. 33): "Er hat der
Wahrheit Zeugnis gegeben." Das zweite ist in Vers 36: "Die Werke selbst, die ich
tue, zeugen von mir, daß der Vater mich gesandt hat." Das dritte ist in Vers
37: "Und der Vater, der mich gesandt hat, er selbst hat Zeugnis von mir
gegeben." Und das vierte ist in Vers 39: "Ihr erforschet die Schriften ... und
sie sind es, die von mir zeugen", wie das später auch von Mose steht: "Denn er
hat von mir geschrieben" (V. 46). Vier mächtige Zeugnisse, denen ein Mensch sich
nicht entziehen kann, ohne das Gericht auf sich zu ziehen. Johannes hatte zuvor
von Ihm gezeugt, in den Werken des Herrn wurde offenbar, wer Er war, der Vater
hatte von Ihm gezeugt bei Seiner Taufe, indem der Himmel sich öffnete und die
Stimme des Vaters erklang, und die Schriften hatten Ihn lange zuvor angekündigt.
Und das letzte ist durchaus nicht das geringste Zeugnis, denn in Vers 47 heißt
es: "Wenn ihr aber seinen [Moses] Schriften nicht glaubet, wie werdet ihr meinen
Worten glauben?" Das bedeutet, daß der Herr sogar die Schriften des Alten
Testamentes über Seine eigenen Worte stellte, so wichtig ist das Zeugnis der
Schriften.
Kapitel 6 zeigt uns eine völlig andere
Seite der Wahrheit: nicht den Sohn Gottes, der Leben hat und Leben gibt,
sondern den Sohn des Menschen, der Sein eigenes Leben in den Tod gibt. Der
Anlaß für diese Entfaltung ist das Passah (der Tod des Passahlammes!) und die
Speisung der Fünftausend. Diese Speisung entsprach der Erwartung Israels, daß
der Messias kommen würde, um sie mit Brot zu sättigen (vgl. Ps 132,15). Sie
knüpfen auch sofort daran an und nennen Ihn den Propheten, "der in die Weit
kommen soll" (V. 14), und in Vers 15"den König". Aufgrund dieses Bekenntnisses
kann der Herr jedoch nicht mit ihnen in Verbindung treten. Er zieht Sich zurück
und geht "wieder auf den Berg, er selbst allein". Die Funktion, die der Herr in
diesem Augenblick ausübt, entspricht nicht der des Propheten, auch nicht der
des Königs, sondern allein der des Priesters: betend auf dem Berg, die Seinen
vertretend, die auf dem Wasser vom Sturm umtost sind. Das zeigt dann zugleich
wieder in dieser Geschichte ‑ denn deshalb werden die Ereignisse in diesem
Evangelium beschrieben ‑ eine Reihe von Grundsätzen, die der Herr Jesus
ausschließlich in Seinen eigenen Worten entwikkelt, nämlich daß Er nicht
aufgrund der Erwartung Israels mit ihnen in Verbindung sein kann, sondern daß Er
Sein Leben auf der Erde geben muß und daß Er zurückkehrt zum Himmel und Seine
eigene Familie hier auf der Erde besitzen wird, für die Er Sich völlig einsetzen
wird.
Hier finden wir Ihn also nicht als den Sohn
Gottes, der Leben hat und Leben gibt, sondern als den Sohn des Menschen, der
Blut und Fleisch angenommen hat, um es in den Tod zu geben. "Die Speise, die da
bleibt ins ewige Leben, welche der Sohn des Menschen euch geben wird", sagt Vers
27; doch wie? Die Antwort steht in Vers 32: "Sondern mein Vater gibt euch das
wahrhaftige Brot aus dem Himmel", und in Vers 35: "Ich bin das Brot des Lebens",
und in Vers 51: Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel
herniedergekommen ist." Das ist also nicht der Messias, der Sein Volk mit
gewöhnlichem Brot speist, sondern es ist viel mehr; hier haben wir das lebendige
Brot selbst, das aus dem Himmel herniedergekommen ist; nicht, um Brot zu geben,
sondern um Sich Selbst als das Brot zu geben. Und wie? Wie es hier
steht: "Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch,
welches ich geben werde für das Leben der Welt" (V. 51). Und in Vers 53:
"Es sei denn, daß ihr das Fleisch des Sohnes des Menschen esset und sein Blut
trinket, so habt ihr kein Leben in euch selbst." Das ist eine völlig neue
Offenbarung. Wir haben bis hierher gesehen, daß der Sohn des Vaters auf die Erde
gekommen ist, um das wahre Leben zu entfalten und uns dieses Leben zu schenken,
doch nun lernen wir etwas Neues; nämlich daß ein Mensch dieses ewige Leben nur
dadurch empfangen kann, daß der Herr Jesus nicht nur der Sohn Gottes ist ‑ als
solcher hat Er das ewige Leben in Sich Selbst ‑, sondern daß Er auch der Sohn
des Menschen geworden ist, wahrhaftig Mensch von Fleisch und Blut, um Sein
Fleisch und Blut in den Tod zu geben. Denn dieses ewige Leben haben wir
empfangen als ein Leben, das durch den Tod gegangen ist; das ewige Leben ist uns
erst geschenkt worden, nachdem es Auferstehungsleben geworden ist, nachdem das
Leben den Tod überwunden hatte.
Das ist eine besondere, neue Belehrung. Es
reicht nicht aus, daß der Sohn Leben gibt, wem Er will; dazu kommt die
Notwendigkeit, daß Er als Sohn des Menschen in den Tod ging. Menschen wie du
und ich sollten sich von einem gestorbenen Christus nähren, um aufgrund Seines
Todes das ewige Leben zu besitzen, während der Herr Selbst in der Zwischenzeit
zum Himmel zurückgekehrt ist: "Wenn ihr nun den Sohn des Menschen dahin
auffahren sehet, wo er zuvor war" (V. 62). Hier finden wir den vollständigen
Gedankengang: Er ist gestorben, Er ist auferweckt und zum Vater zurückgekehrt
und läßt hier auf der Erde die Familie Gottes zurück. Sehen wir, wie wir
jedesmal mehr über diese Familie Gottes erfahren? Es begann in Kapitel 1 mit der
Feststellung, daß sie durch den Glauben an den Namen des Herrn Jesus Kinder
Gottes waren; dort [ernten wir sehen, daß das Leben, das die Kinder Gottes
besitzen, das ewige Leben des Sohnes ist, und nun lernen wir, wie sie es
bekommen, nämlich dadurch, daß der Herr gestorben ist und das Leben durch den
Tod gegangen und Auferstehungsleben geworden ist. Das ist nun der Besitz der
Familie Gottes ‑ also der Versammlung, obwohl Johannes sie selbst niemals so
nennt ‑ während der Herr dorthin aufgefahren Ist, wo Er zuvor war.
Das steht in Verbindung mit der dritten
Phase, die wir in Kapitel 7 haben. Wir finden dort wieder eine neue Wahrheit,
nämlich daß der Herr Jesus nun in der Tat droben im Himmel ist, nicht nur als
der Sohn, der im Schoß des Vaters ist, sondern als verherrlichter Mensch im
Himmel. Das wird auch wieder in Verbindung gebracht mit einem Ereignis, nämlich
dem Laubhüttenfest. Wie das Passahfest in Kapitel 6 in Verbindung gebracht
wurde mit dem Tod des Lammes Gottes, so wird das Laubhüttenfest, das die
Erfüllung aller Regierungswege Gottes ist, in Verbindung mit dem verherrlichten
Menschen im Himmel gebracht. Das sehen wir, als der Herr schließlich auch Selbst
nach Jerusalem hinaufgeht und dort sehr viel über Seine Person diskutiert wird ‑
worüber ich nun nicht sprechen möchte ‑, die Er beschließt mit den Worten in
Vers 33: "Noch eine kleine Zeit bin ich bei euch, und ich gehe hin zu dem, der
mich gesandt hat" usw. Doch dann zeigt Er in den folgenden Versen, was die
Folgen dieses Hingehens sein würden. Er sollte verherrlicht werden; (vgl. V.
39): "Weil Jesus [damals] noch nicht verherrlicht worden war", doch Er sollte
verherrlicht werden. Was das in sich schloß, offenbart Er an diesem achten, dem
großen Tag des Laubhüttenfestes. Nachdem die sieben Tage vollendet sind, die den
Abschluß der Wege Gottes mit Israel bilden, kommt der achte Tag, der eine völlig
neue Ordnung einleitet, neue Grundsätze Gottes, die einmal in einem neuen Himmel
und auf einer neuen Erde gelten werden, im ewigen Zustand, wenn der Heilige
Geist auf alles Fleisch ausgegossen sein wird (mit Ausnahme natürlich der
Ungläubigen). Doch wir, die Familie Gottes, gehören bereits jetzt zu diesem
letzten, dem großen Tag des Festes, zu diesem neuen Zustand der Dinge. Wir
gehören nun bereits nicht mehr zu diesem Kosmos (17, 4), dieser Schöpfung,
sondern zu der Sphäre und der Ordnung des Vaterhauses. Und was haben solche für
ein Kennzeichen? Wenn sie an Christus glaubten, würden Ströme lebendigen Wassers
aus ihrem Leibe fließen. Das sagt Er von dem Heiligen Geist, der auf solche
ausgegossen werden würde, nachdem der Herr verherrlicht war, denn hier steht:
"Noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war."
Wenn Er als Sohn für Sein Werk von dem Vater verherrlicht werden und zur Rechten
Gottes sein würde, dann sollte als Ergebnis davon der Heilige Geist
herniederkommen, um in den Seinen zu wohnen. Das geht also weiter als Johannes
4: Dort ist der Heilige Geist eine Quelle, die uns mit den Segnungen des ewigen
Lebens in Verbindung bringt; doch hier wird der Geist in uns selbst eine Quelle,
die zu anderen Ströme lebendigen Wassers ausströmt, um auch andere mit diesen
Segnungen in Verbindung zu bringen.
Wir sehen, daß diese Offenbarung nur den
Haß der Juden noch steigert, so daß sie Ihn greifen wollen, doch der Herr zieht
Sich zurück. Damit enden diese drei Kapitel, in denen wir eine Entfaltung der
verschiedenen Aspekte Seiner Herrlichkeit haben: Einmal ist Er der Sohn Gottes,
der das Leben ist, dann der Sohn des Menschen, der Sich in den Tod gegeben hat,
und schließlich Derjenige, der nun bei Gott verherrlicht ist und den Heiligen
Geist gegeben hat. Doch danach finden wir einen neuen Gegenstand, und wieder in
drei Kapiteln: acht, neun und zehn. Darin sehen wir die traurigen Konsequenzen
dieser Entfaltung Seiner Herrlichkeit, nämlich (wie wir bereits früher gesehen
haben) daß Sein Zeugnis und Seine Person verworfen werden. Auch das wird hier in
drei Phasen geschildert. Wir haben zuerst eine Einleitung, nämlich die
Begebenheit mit der Ehebrecherin. Der Herr nimmt dieses Ereignis zum Anlaß, um
zu zeigen, daß das ganze Volk unter der Sünde lag: alle, die die Frau angeklagt
hatten, wurden in ihren Gewissen getroffen, und zwar zuerst die Ältesten. Dieser
allgemeine Grundsatz, daß der Mensch in der Sünde [legt und also das Zeugnis des
Herrn nicht annehmen kann, wird dann weiter entfaltet.
In Kapitel 8, 12‑30 wird das erste
verworfen, das Wichtigste: die Person des Herrn Selbst. Dort geht es darum, was
Er in Sich Selbst ist; Er ist das Licht der Welt und der Gesandte des Vaters.
Und wenn man fragt: "Wer bist du?" sagt Er in Vers 25: "Durchaus das, was ich
auch zu euch rede." Das will sagen: Was Er auch sagte, war die vollkommene
Entfaltung dessen, was in Ihm war; und gerade das verwarfen sie. Deshalb war
dies das Ärgste, denn es bedeutete die Verwerfung Seiner eigenen Person. Er
hatte Sich als das geoffenbart, was Er in Sich wirklich war: als das Licht, das
Leben, der Gesandte des Vaters, als Der, der von oben war, der nicht von dieser
Weit war; doch jede Herrlichkeit Seiner Person war verworfen. Sie würden jedoch
einmal selbst erkennen müssen, wer Er war, nämlich (V. 28) wenn Er als der Sohn
des Menschen erhöht sein würde.
Danach wird von Vers 31 bis zum Ende dieses
Kapitels das zweite verworfen, und das ist Sein Wort, das Er gesprochen hat. Das
Wort, das Er sprach ‑ nicht nur "die Worte", sondern "Sein Wort", wie in
Kapitel 1 steht, daß Er das Wort Gottes war ‑, war gerade die Entfaltung dessen,
wer der Vater, wer Gott war. Es war die volle geoffenbarte Wahrheit, von der Er
sagt: "Die Wahrheit wird euch frei machen" (V.32) und: "Der Sohn wird euch frei
machen" (V. 36). Die volle Wahrheit konnte sie von der Macht der Sünde, in der
sie sich als Sklaven befanden, frei machen. Doch sie verwarfen diese Wahrheit,
und zwar in einer solch schrecklichen Weise, daß der Herr sie nicht nur nicht
Kinder Abrahams nennen wollte, sondern sie sogar Kinder des Teufels nennt (V.
44): Sie hatten den Teufel zum Vater. Aus der Reaktion des Volkes ist wirklich
ersichtlich, was in ihren Herzen war: sie nennen Ihn einen Samariter (V. 48) und
sagen von Ihm, daß Er einen Dämon hat. So haben sie sogar Seine Offenbarung der
Wahrheit, alles dessen, was Er nach dem Ratschluß des Vaters entfalten sollte
und weswegen Er gekommen war, verworfen, und das in einer solch groben,
lästerlichen Weise.
In Kapitel 9 finden wir die dritte
Verwerfung, nämlich die Verwerfung dessen, was Er tat, Seines Werkes. Wir sehen
also zuerst die Verwerfung Seiner Person, dann die Seines Wortes und dann die
Seines Werkes. Was war das Werk, das Er tat? Es wird hier in der Begebenheit mit
dem Blindgeborenen erläutert, nämlich die Absonderung der Seinen aus dem Volk,
hinein in die Familie Gottes. Das war gerade das Kennzeichnende Seines Werkes,
und darin halfen sie Ihm sozusagen in ihrem Haß, indem sie nämlich die Seinen
hinauswarfen. Nachdem dieser Blindgeborene geheilt und ins Licht gekommen war
und immer weiter in diesem Licht wuchs, so daß er immer besser lernte, wer der
Herr Jesus war, betete er Ihn schließlich als den Sohn Gottes an. Das ist es,
was der Herr ganz allgemein tut: Er bringt einen Menschen ins Licht, wie hier im
Volk Israel, und dieses Licht führt schließlich dazu, daß dieser Mensch den
Herrn kennenlernt als Den, der Er wirklich ist, als den Sohn des Vaters, und Ihn
als solchen anzubeten lernt. Doch was tut das Volk Israel als Ganzes? Sie warfen
den Geheilten aus der Synagoge. Das steht dort mit einem einzigen Wort, doch es
ist von allergrößter Bedeutung in diesem Evangelium. Die Tatsache, daß sie ihn
aus der Synagoge warfen, bedeutet, daß jemand, der zur Familie Gottes gehört,
keinen Platz mehr in der Mitte des Volkes Israel hat. An diesen wichtigen Punkt
schließt Kapitel 10 genau an.
In Kapitel 10 lehrt der Herr Jesus, daß
das, was die Juden getan haben ‑ nämlich den Blindgeborenen aus ihrer Synagoge
werfen ‑ eigentlich das ist, was Er beabsichtigt. Er hat nämlich keine
Verbindung mehr mit "dem Hof" als Ganzem (der Hof ist Israel), sondern ruft als
der gute Hirte Seine eigenen Schafe aus dem Hof heraus. Er kann Sich nicht mehr
dem Volk als Ganzem anschließen ‑ die Seinen haben Ihn nicht angenommen ‑,
sondern Er ruft gerade aus diesem Volk Israel diejenigen, die Ihm angehören,
Seine eigenen Schafe, die Seine Stimme kennen, nach draußen. Und wodurch kennen
sie Seine Stimme? Dadurch, wie später in diesem Kapitel steht, daß der Sohn
ihnen das ewige Leben gibt. Dadurch, daß sie den Sohn als ihr Leben besitzen,
kennen sie Seine Stimme und sind fest mit Ihm verbunden, in Seinen Händen
geborgen, und niemand kann sie aus Seiner Hand und aus der Hand des Vaters
rauben.
Doch wenn Israel Ihn so vollständig
verworfen hat, wie wir das bis hierher gefunden haben, so daß Er schließlich
sogar mit dem Hof als Ganzem nichts mehr zu tun haben kann und Seine eigenen
Schafe aus diesem Hof nach draußen führt, dann ist es klar, daß Er Sein Zeugnis
nicht (mehr) auf Israel beschränkt, sondern auf alle Völker ausdehnt. Was im
Vorbild in Kapitel 1, 35‑42 angedeutet wurde und der Herr in Kapitel 4, 21‑24.
35. 42 in Verbindung mit der samaritischen Frau andeutete, finden wir hier noch
direkter in Kapitel 10: Er hat noch andere Schafe, die nicht aus diesem Hof
sind. Das hören wir nun erst deutlich, nachdem Er in Israel vollständig
verworfen ist; nun hören wir, daß Er nicht nur Seine Schafe in Israel hat, die
Er davon löst, absondert, sondern daß Er auch andere Schafe hat, die Er aus
allen Nationen zusammenbringen und zu e i n e r Herde unter e i n e m Hirten
vereinigen wird. Und was wird sie verbinden? Die Tatsache, daß sie alle den
Sohn Gottes, der Sich für sie in den Tod geben wird, als das ewige Leben
besitzen werden. Es wird e i n e Familie werden, gekennzeichnet durch das eine
neue, ewige Leben, das ihr Teil sein wird. Hier finden wir einen Hinweis darauf,
daß dies geschehen wird. Doch wir lesen hier auch, geradeso wie in Kapitel 6,
wie das geschehen wird. Wie werden die Schafe dieses Leben empfangen? Dadurch,
daß der gute Hirte zuerst Sein Leben für die Schafe ließ. Sie werden das Leben
empfangen, nachdem es durch den Tod gegangen und Auferstehungsleben geworden
ist.
Daß Er Sein Leben ließ, geschah nicht nur
aus Liebe zu den Schafen, sondern war auch das Gebot des Vaters (V. 17f). Ist
das nicht wunderschön? Es war nicht nur das Gebot des Vaters, daß Er das wahre
Leben hier auf der Erde entfalten sollte, sondern es war auch Sein Gebot, daß
der Sohn das Leben lassen sollte. Denn erst, wenn das Leben durch den Tod
gegangen war, konnte es Menschen wie du und ich, die von Natur im Tod lagen,
geschenkt werden. Nur so können wir das ewige Leben empfangen. Deshalb mußte Er
Sein Leben darlegen; doch darin gab Er zugleich Seinem Vater eine besondere
Gelegenheit, Ihn zu lieben, wie Dieser Ihn noch niemals früher hatte lieben
können; denn noch niemals war der Sohn auf der Erde gewesen, um Sein Leben zu
lassen. Dies weckte in einer völlig neuen Weise die Liebe des Vaters.
Nachdem der Herr Jesus dies noch weiter
entfaltet hat (Vers 25‑38), könnten wir denken, daß damit das Zeugnis in Israel
vollendet ist, daß es nun für sie ein für allemal vorbei ist und daß Er mit
Israel nichts mehr zu tun hat. Doch Gott hat noch nicht das letzte Wort gehabt!
Gott hat vor dem Kreuz noch eine letzte Botschaft an dieses Volk als Ganzes,
nicht so sehr, um sie zur Bekehrung zu bringen, sondern um ihnen ein absolutes
Zeugnis der Herrlichkeit Seines Sohnes zu geben, ein Zeugnis, das sie dem Herrn
schuldig waren, das sie Ihm jedoch vorenthalten hatten. Sie haben Ihn nicht
angenommen als den Sohn des Vaters, als Den, der gekommen ist, um die
Herrlichkeit Gottes zu entfalten, der gekommen ist, um das ewige Leben zu
offenbaren. Nun, sagt Gott, dann werde Ich dieses Zeugnis von Ihm ablegen. Das
finden wir in den Kapiteln 11 und 12; zuerst in Kapitel 11 die Auferweckung des
Lazarus. In Vers 4 haben wir den Schlüssel, wo der Herr sagt: "Diese Krankheit
ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, auf daß der Sohn
Gottes durch sie verherrlicht werde." Das ist das Ziel; Gott wird verherrlicht,
aber auf daß der Sohn verherrlicht wird. Und was will Gott in dem Sohn
verherrlichen? Daß der Sohn das Leben ist und das Leben gibt, wem Er will.
Israel hatte Ihn als solchen nicht anerkannt, deshalb legt Gott dieses Zeugnis
von Ihm ab. Zuerst deutet der Herr es selbst in Vers 25 an, daß Er die
Auferstehung und das Leben ist und daß Er die Macht hat, Leben zu geben, das
bleibt, sogar wenn jemand gestorben ist. Das wird von Martha und Maria nicht
verstanden, bis der Herr es schließlich Selbst beweist, indem Er Lazarus aus dem
Grabe herausruft. Er sagt in Vers 40: "Habe ich dir nicht gesagt, wenn du
glauben würdest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?" Und sie sahen
sie: Gott wurde verherrlicht, der Vater wurde verherrlicht (V. 41f), und der
Sohn wurde verherrlicht, indem Er Lazarus auferweckte durch Seine Macht als Gott
der Sohn und doch nicht unabhängig vom Vater, sondern in vollkommener
Willenseinheit mit Ihm (V. 41 f). Der Sohn handelt aus Gehorsam zum Vater, und
der Vater handelt, um den Sohn darin zu verherrlichen.
Das wird in bezeichnender Weise durch das
Zeugnis des Menschen selbst bestätigt; Gott ruft durch ihn ein Zeugnis hervor,
das dieser aus eigenem Antrieb nicht hatte ablegen wollen. Ich meine damit das,
was der Heilige Geist durch Kajaphas In Vers 50 sagt: "Es ist euch nützlich, daß
ein Mensch für das Volk sterbe und nicht die ganze Nation umkomme." Gott
gebraucht zu diesem Zeugnis sogar den Mund eines Ungläubigen, denn dieses Wort
war nach dem Herzen Gottes: einen Menschen hinzugeben, damit Er für das Volk
stürbe, und nicht nur für das Volk, sondern auch, auf daß die zerstreuten Kinder
Gottes in eins versammelt würden (V. 52): die zerstreuten Kinder Gottes, sowohl
die aus Israel als auch die "anderen Schafe", die nicht aus dem "Hof" Israels
waren, damit sie zu e 1 n e r Herde mit diesem e i n e n Menschen als Hirten
zusammengefügt werden konnten.
Das ist die liebliche Familie Gottes, die
der Herr Jesus bilden wollte; Er würde allen das ewige Leben schenken, und sie
würden auf diese Weise zu einer Familie zusammengefügt werden. Wieder sehen wir,
wie Johannes dies in Bildern darlegt, und zwar am Anfang von Kapitel 12. Dort
sehen wir eine Szene, wie wir sie heute in der Versammlung finden, der Familie
Gottes: wir sehen den Herrn Jesus in der Mitte; Maria, Martha und Lazarus, jeder
in verschiedener Weise, sind ein Bild der Gläubigen der christlichen
Haushaltung. Dort bringt Maria dem Herrn ihre Narde dar, worin sie die
Herrlichkeit ausdrückt, die sie in dem Herrn gefunden hat, im besonderen Seine
Herrlichkeit in Seinem Tod und Seiner Auferstehung, denn sie salbt Ihn auf den
Tag Seines Begräbnisses (V. 7). Das ist auch unser herrliches Vorrecht
heutzutage: In einer Welt, in der Er keine Herrlichkeit gefunden hat, die Ihn
nicht erkannt hat, dort sind wir die Familie Gottes, abgeschieden von dem
Getümmel der Weit, wo wir Ihm die Herrlichkeit darbringen, die wir zuvor in Ihm
gefunden haben.
Doch geradeso wie in den ersten Kapiteln
dieses Evangeliums, finden wir hier im Vorbild wiederum die verschiedenen
Aspekte der Wege, die Gott nach der christlichen Haushaltung gehen wird. Wir
sehen, wie Er als der Sohn Davids Seinen Einzug in Jerusalem hält. Er ist nicht
nur verherrlicht als der Sohn Gottes und der Sohn des Vaters (Kap. 11 und
Anfang Kap. 12), sondern Gott bewirkt durch die Kraft des Heiligen Geistes
auch ein Zeugnis in bezug auf Ihn als den Sohn Davids. Sehen wir, wie Gott alles
in der Hand hat? In diesem ablehnenden Volk bringt Gott trotzdem ein herrliches
Zeugnis zustande, sowohl von Ihm als dem Sohn des Vaters wie auch als dem Sohn
Davids, indem Er im Herzen dieser Menschen wirkt, den Herrn Jesus mit den
Worten zu empfangen: "Hosanna! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn,
der König Israels!" Das ist Gottes Allmacht.
Dieser Einzug ist natürlich ein Bild der
künftigen Einführung des Friedensreiches, wenn der Herr Jesus wiederkommen und
erneut Seinen Einzug halten wird. Deshalb finden wir hier auch noch eine dritte
Phase (V. 20f): Ins Friedensreich werden auch die Völker eingeführt werden, wie
hier diese Griechen, die kommen werden, um die Herrlichkeit des Herrn Jesus zu
bewundern. Und was ist eigentlich die Herrlichkeit, die sie sehen werden? Davon
spricht der Herr in Vers 23: Er geht einerseits auf ihre Erwartung ein, indem Er
sagt: "Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen verherrlicht werde."
Doch Er gibt zugleich an ‑ wir haben das bereits früher gesehen ‑, auf weichem
Weg der Sohn des Menschen verherrlicht wird: indem Er durch den Tod geht. Der
Sohn des Menschen ist Derjenige, dessen Füßen alles unterworfen werden wird;
doch Er kommt zu dieser Krone über das Kreuz, denn Er muß zuerst als das
Weizenkorn in die Erde fallen und sterben, denn nur so kann Er Frucht bringen.
Das ist also wieder das Zeugnis von Johannes 6: Es kann allein dann eine Familie
Gottes geben, wenn das Weizenkorn stirbt; nur so kann Er das Brot des Lebens
sein, um uns das Leben zu geben.
Und nicht nur das. Nur so wird auch der
Vater verherrlicht (V. 27f): Der Herr sagt, daß Er in diese schreckliche Stunde
gekommen ist, um den Namen des Vaters zu verherrlichen. Bei diesem Wort öffnet
sich der Himmel und Gott sagt: "ich habe [ihn] verherrlicht", das will sagen:
Ich habe Meinen Namen verherrlicht am Grabe des Lazarus, als Lazarus von Meinem
Sohn herausgerufen wurde, als Er Seine göttliche Herrlichkeit durch
Totenauferstehung bewies, da habe Ich Meinen Namen verherrlicht, und darin wird
Mein Sohn verherrlicht. "Und", sagt der Vater, "werde [ihn] auch wiederum
verherrlichen": Ich werde Meinen Namen wiederum verherrlichen, indem der Sohn
nicht nur den Toten das Leben geben wird, sondern indem der Sohn Selbst durch
den Tod gehen und das Leben wieder nehmen wird. Das ist die Verherrlichung in
der Auferstehung. Der Vater sagt: Ich werde Meinen Namen wiederum verherrlichen,
dadurch, daß der Sohn Sein Leben in den Tod gibt und es wieder nimmt (wie der
Herr Selbst in Kapitel 10, 18 angekündigt hatte). Dadurch wird der Vater in noch
herrlicherer Weise verherrlicht als am Grab des Lazarus.
Das bringt uns zu dem Kernpunkt in diesem
Evangelium, dem endgültigen Abschluß des Zeugnisses in Israel. Alles steht nun
fest: Der Herr muß sterben und wird auferweckt werden, und der Vater wird
dadurch Seinen Namen verherrlichen. Damit (wie V. 31f. zeigt) ist dann auch
alles entschieden. Wenn Er von der Erde erhöht sein wird, wird Er alle zu Sich
ziehen. Er wird die Familie Gottes um Sich versammeln; gleichzeitig ist damit
das Urteil über diese Welt gefällt (V. 31) und der Oberste dieser Weit wird
hinausgeworfen. Der Verlauf der weiteren Ereignisse liegt fest. Nun kommt auch
die göttliche Herrlichkeit des Herrn noch klarer ans Licht, indem der Heilige
Geist Ihn in den Versen 37‑43 als den Jehova des Alten Testamentes vorstellt in
der Herrlichkeit Dessen, der in Jesaja 6 auf dem himmlischen Thron saß, und
dieselbe Schriftstelle wird gebraucht, um zu zeigen, daß Sein Volk diese
Herrlichkeit verworfen hatte. Deshalb spricht der Herr schließlich Seine letzten
Worte inmitten des Volkes aus, und der Inhalt dieser Worte ist ganz einfach der:
Wer glaubt, der wird errettet, und wer nicht glaubt, wer schließlich das letzte
Zeugnis verwirft, geht verloren.
Das sind tatsächlich die letzten Worte an
dieses Volk. Was wir in den Kapiteln 13‑16 finden, sind die Worte, die der Herr
nur zu den Seinen gesprochen hat. Das Zeugnis ist vollendet, die Familie Gottes
ist abgesondert, wenigstens diejenigen, die den allerersten Teil der Familie
ausmachen. Er hat im Augenblick weder mit der Welt noch mit dem "Hof", Israel,
etwas zu tun. Er hat Seine eigene Familie abgesondert, das sind diejenigen,
denen Er unmittelbar nach Seiner Auferstehung das ewige Leben, das Er verheißen
hat, schenken wird. Und warum versammelt Er nun (in Kapitel 13) diese Familie um
Sich? Weil Er sie verlassen wird: Er wird sterben, auferstehen und verherrlicht
werden. Alles, was wir in den Kapiteln 13‑16 finden, wird in dem ersten Vers
zusammengefaßt: die Stunde war gekommen, daß Er aus dieser Welt zu dem Vater
hingehen sollte. Das ist das erste: Seine Stunde war gekommen, Er würde zum
Vater in das Vaterhaus zurückkehren, und die Seinen würden auf der Erde
zurückbleiben. Sie würden nur scheinbar allein gelassen werden, und das machte
sie traurig. Doch in all den Belehrungen, die Er hier gibt, entfaltet Er, daß
es keine Verarmung für sie bedeutete, daß Er zum Vater zurückkehrte, sondern
gerade eine Bereicherung. Nur so, zum Beispiel (vgl. Kap. 7, 39), konnte Er den
Heiligen Geist auf die Erde senden. In der Liebe Seines Herzens entfaltet Er all
die Segnungen, die die Folge der Tatsache sein würden, daß Er zum Vater
zurückkehrte. Ja, das war tatsächlich Seine Liebe, denn der zweite Teil dieses
Verses sagt: Er hat die Seinen, die in der Welt waren, geliebt, und zwar geliebt
bis ans Ende. Bis ans Ende des Kreuzes, bis in die tiefste Tiefe, doch auch bis
ans Ende des Vaterhauses; Er würde selbst dort, wenn Er scheinbar weit von ihnen
entfernt sein würde, ihnen die ganze Liebe bezeugen, die in Seinem Herzen war.
Und deshalb ist es so schön, daß diese
Kapitel mit der Fußwaschung beginnen. Sie ist, für sich selbst gesehen, ein
Beispiel für die Jünger ‑ so wird sie auch beschrieben (V. 4f) ‑doch sie ist
vor allem ein Hinweis auf das, was der Herr Selbst für die Seinen tun würde. Er
weist Petrus darauf hin, wenn Er sagt: "Du wirst es aber hernach verstehen", d.
h. wenn Er zum Vater zurückgekehrt wäre. Wenn der Heilige Geist dann gekommen
ist, würden sie verstehen, was der Herr hier tat; und wenn Er bei dem Vater ist,
wird Er Sich Tag und Nacht in dieser Weise für sie einsetzen. Und weshalb? Hier
nicht im Blick auf ihren Wandel ‑ dazu dient das Reinigungswasser in 4. Mose 19,
jemanden reinzuhalten in seinem Wandel durch die Wüste ‑ hier finden wir nicht
einmal das, was dem ehernen Waschbecken entspricht, denn das dient dazu, daß wir
als Priester fähig sind, den Dienst am Altar zu tun und in das Heiligtum
einzutreten. Hier bedeutet es etwas, das noch darüber hinausgeht: Hier ist es
nicht eine Reinigung in Verbindung mit unserem Wandeln in der Wüste oder mit
unserem Stehen im Heiligtum, sondern in Verbindung mit unserem L 1 e g e n im
Schoß des Herrn Jesus, um in Seiner Gemeinschaft und Seiner Liebe zu ruhen. Dazu
wäscht Er uns die Füße, denn anders können wir nicht praktischerweise Teil mit
Ihm haben (das ist Gemeinschaft haben). Wohl Teil an Ihm; jemand, der gebadet
ist (wie hier steht), also ein Gläubiger Ist, hat für ewig Teil an dem Herrn.
Doch um auch Teil mit Ihm zu haben, praktische Gemeinschaft mit Ihm auszuüben,
dazu ist mehr nötig: dazu ist Er täglich beschäftigt, das Wasser des Wortes auf
uns anzuwenden, so daß wir alles zu verurteilen lernen, was uns hindert, mit
Ihm in dieser wunderbaren Gemeinschaft zu verkehren.
Und obwohl der Sohn im Vaterhaus ist und
wir auf der Erde sind, ist es möglich, daß diese Gemeinschaft genossen wird, und
Er tut alles dafür, um das zu bewirken.
Nachdem dann Judas hinausgegangen ist,
sehen wir, daß der Herr Jesus tiefer auf das eingeht, was nun geschehen würde.
Der Herr stellt Sich in Seinen Gesprächen hier immer hinter das Kreuz, und
deshalb kann Er in Vers 31 sagen: "Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht,
und Gott ist verherrlicht in Ihm." Das Kreuz war die wunderbare Gelegenheit, wo
der Sohn verherrlicht wurde, ja, wo auch Gott Selbst in Ihm verherrlicht wurde.
Der Vater hatte den Sohn gesandt, damit Dieser Ihn während Seines ganzen Lebens
auf der Erde verherrlichen sollte (17, 4); doch auf dem Kreuz würde Er in
besonderer Weise als Sohn des Menschen den heiligen und gerechten Gott
verherrlichen.*)
_____________
*) Es Ist gut, hier Immer auf den
Unterschied zwischen dem zu achten, was Christus als Mensch gegenüber Gott tut
und was Er als der Sohn (also als göttliche Person) gegenüber dem Vater tut.
Gott ist verherrlicht worden auf dem Kreuz,
mit als herrliche Folge davon, daß Gott Seinerseits den Herrn Jesus
verherrlichte (V. 32): "Wenn Gott verherrlicht ist in ihm, so wird auch Gott
ihn ‑ also Christus ‑ verherrlichen in sich selbst, und alsbald wird er ihn
verherrlichen." Gott würde den Herrn Jesus vor den Augen der ganzen Welt
verherrlichen; die "Griechen" würden tatsächlich kommen und Ihn in Seiner
Herrlichkeit als Sohn des Menschen anschauen, erhaben Über die ganze Schöpfung.
Das sollte jedoch noch zweitausend Jahre dauern. Doch Gott würde Ihn auch
alsbald verherrlichen. Der Herr Jesus brauchte nicht zweitausend Jahre zu
warten, um als Sohn des Menschen über die ganze Schöpfung verherrlicht zu
werden. Gott hat Ihn alsbald verherrlicht, indem Er Ihn aus den Toten
auferweckte und Ihn zu Seiner Rechten erhöhte. So würden die Jünger Ihn
kennenlernen, so würde die Familie Gottes Ihn kennenlernen, als Den, den wir nun
zur Rechten des Vaters finden. Der Herr sagt Selbst: "Wo ich hingehe, könnt ihr
nicht hinkommen." Er würde sie als die Familie des Vaters zurücklassen, eine
Familie, in der alles regiert wird durch das Gebot der Liebe, denn es war die
Liebe des Vaters, die Er in ihre Herzen ausgießen würde.
Wenn wir gesehen haben, daß der Sohn im
Vaterhaus sein würde und die Jünger ‑ die Familie Gottes, zu der auch wir nun
gehören ‑ auf der Erde sein würden, verstehen wir, was wir in den Kapiteln 14
und 15 finden. Hier finden wir nämlich die zwei Aspekte dieses bemerkenswerten
Verhältnisses: Der Sohn, dessen Leben wir empfangen haben, im Vaterhaus, und
wir als Zeugnis auf der Erde. Doch obwohl der Sohn im Vaterhaus ist und wir noch
auf der Erde sind, ist unser Platz auch bereits in diesem Vaterhaus; denn Er ist
Selbst dorthin gegangen, um uns dort eine Stätte zu bereiten.
Wir werden hier nicht selbst im Vaterhaus
gesehen ‑ es ist hier nicht Paulus, der uns sagt, daß wir in Christus in den
himmlischen Örtern sind ‑, aber es wird wohl festgestellt, daß unser Platz dort
ist, denn dieser Platz ist für uns bereitet. Die Stellung, die der Herr dort vor
dem Vater hat, ist im Grundsatz die Stellung, die wir vor dem Vater haben, denn
wir haben den Sohn als unser Leben empfangen. Kapitel 15 zeigt uns die andere
Seite, wir sind auf der Erde ein Zeugnis, das an die Stelle Christi getreten
ist; wir dürfen nun in der Kraft des Geistes bezeugen, was Er hier bezeugt hat.
Johannes 14 belehrt mich über den Platz, den ich im Vaterhaus habe, Johannes 15
sieht mich hier auf der Erde durch die Kraft des Geistes als einen Zeugen des
Herrn.
Um weiter darauf einzugehen: Daß wir einen
Platz im Vaterhaus haben (14, 2f .), bedeutet, daß wir vor dem Vater stehen wie
der Sohn Selbst. Wir dürfen in Seinem Namen alles bitten, wie Vers 12 sagt,
denn wir stehen in der Stellung des Sohnes vor dem Vater. Wir sind angenehm
gemacht in dem Geliebten und versetzt in das Reich des Sohnes der Liebe Gottes.
Der Sohn ist das Wohlgefallen des Vaters, und so dürfen wir im Namen des Sohnes
zu dem Vater kommen. Hier besteht eine vollkommene Harmonie und Vereinigung,
obwohl der Sohn im Vaterhaus ist und wir auf der Erde sind. Ja, Er würde Selbst
zu den Seinen kommen (V. 18), und zwar in der Person des Heiligen Geistes. Und
wenn der Geist ausgegossen ist, würde der herrliche Zustand von Vers 20
Wirklichkeit werden. Dann würden sie erstens erkennen, daß
ErinSeinemVaterwar.SohatteEresindenVersen10 und 11 gesagt: Ich bin in dem Vater,
und der Vater ist in Mir; doch nun sagt Er: Dann werdet ihr "erkennen" (das ist,
durch den Geist bewußt verstehen), daß Ich in Meinem Vater bin, doch darüber
hinaus auch, daß ihr in Mir seid und Ich
in euch bin.
Sehen wir, daß trotz der Tatsache, daß der
Sohn im Vaterhaus ist, und wir auf der Erde sind, doch eine wunderbare
Verbindung besteht? Wenn wir den Geist und wenn wir den Sohn als das ewige Leben
empfangen haben, verstehen wir, daß Der, der in dem Vater ist, Derselbe ist, in
Dem wir nun sind. In Ihm haben wir das ewige Leben, und Er ist das Leben in uns.
Trotz der scheinbaren Entfernung zwischen uns auf der Erde und Ihm im Vaterhaus
besteht diese vollkommene Einheit, denn wir sind in Ihm (als Mensch), und Er ist
in uns, Er, Derselbe, der (als Sohn) in Seinem Vater ist. Hätten wir näher
hinzugebracht werden können? Und dies gilt auch sehr praktisch: Wenn wir Ihn
lieben, Seine Gebote und Sein Wort bewahren, kommt Er mit dem Vater zu uns, um
Gemeinschaft mit uns zu haben ‑ "Wohnung" bei uns zu machen (V. 23). Und
obwohl Er im Himmel ist, sendet Er uns den Heiligen Geist, der uns mit allen
Dingen des Herrn bekanntmacht (V. 26)‑, ja, der Herr läßt uns Seinen eigenen
Frieden (V. 27). So zeigt Er in all diesem, daß es für die Seinen keinen
Nachteil bedeutet, wenn Er sie verließ, sondern daß sie dadurch nur Vorteile
haben.
Kapitel 15 zeigt uns die andere Seite:
Nicht unseren Platz im Vaterhaus und unsere Verbindung mit dem Sohn dort,
sondern unseren Platz als Zeugnis Gottes auf der Erde. Israel hatte als
Weinstock versagt, und der Herr Jesus war als der wahre Weinstock an ihre Stelle
gesetzt worden; doch Er würde diese Erde verlassen und Seine Jünger als das
Zeugnis Gottes auf der Erde zurücklassen, als fruchtbringende Reben an Ihm als
dem Weinstock. So wie Er entfaltet hatte, was von dem Vater war, und wie Er
Selbst die Gebote Seines Vaters bewahrt hatte (V. 10), so mußten auch sie in
Seiner Liebe bleiben und die Gebote bewahren, die sie von Ihm empfangen hatten.
So wie Er den Vater geoffenbart hatte, so mußten auch sie hier auf der Erde den
Vater und den Sohn dieser Welt vorstellen, als Seine Zeugen, in einer lebendigen
Verbindung mit Ihm. Deshalb werden sie hier in erster Linie mit Reben
verglichen, die aus ihrer Verbindung mit dem Weinstock Frucht hervorbringen. In
Vers 8 werden sie die Jünger des Herrn genannt ‑ Seine Schüler, die Seine
Gedanken kennenlernen sollten. In den Versen 13 und 14 sind sie Seine Freunde,
für die Er Sein Leben lassen würde, und weil sie Seine Freunde waren, würde Er
keine Geheimnisse vor ihnen haben. Alles, was Er von Seinem Vater gehört
hatte, hatte Er ihnen kundgetan (V. 15). Doch in einer anderen Hinsicht (V. 20)
würden sie auch Seine Knechte sein; und weil Er verfolgt wurde, würde auch ihnen
als Zeugnis Gottes auf der Erde dasselbe begegnen und ein Weg der Schmach sie
erwarten. Schließlich finden wir in den Versen 26 und 27 das letzte: Ihr werdet
Meine Zeugen sein.
Sie sollten das bezeugen, was sie an dem
Herrn gesehen hatten: Seine Leiden, Seinen Tod und Seine Auferstehung. Und wir
sehen, daß daneben der Heilige Geist mit einem eigenen Zeugnis kommen würde,
nicht mit Bezug auf das, was der Herr auf der Erde war, sondern der Heilige
Geist würde aus dem Himmel von einem verherrlichten Herrn zur Rechten Gottes
herniedergesandt werden und würde deshalb bezeugen, wer der Herr im Himmel war,
während die Jünger (allerdings auch durch die Kraft des Geistes) bezeugen
würden, wer der Herr Jesus auf der Erde war.
Dieses Zeugnis des Heiligen Geistes wird in
Kapitel 16 weiter beschrieben. Obwohl die Jünger traurig waren, mußten sie
verstehen, daß es sogar nützlich für sie war, wenn der Herr sie verlassen würde,
denn erst nachdem Er verherrlicht war, konnte der Tröster kommen (V. 7), und
dieser würde ein herrliches Zeugnis ablegen. Die Jünger sollten davon zeugen,
was der Herr Jesus auf der Erde gewesen war, doch der Tröster (der Heilige
Geist) würde davon zeugen, was der Herr Jesus nun im Himmel ist und was die
Folgen davon sind (V. 8‑11). Die Anwesenheit des Geistes auf der Erde würde der
absolute Beweis der Sünde in dieser Welt sein, weil man nicht an den Sohn
geglaubt hatte. Sie würde weiterhin ein Beweis der Gerechtigkeit Gottes sein,
denn die Tatsache, daß der Heilige Geist auf der Erde ist, beweist, daß der Sohn
in gerechter Weise verherrlicht ist bei und von dem Vater. Und schließlich würde
sie ein Beweis des gerechten Gerichtes sein, denn die Tatsache, daß der Heilige
Geist auf der Erde ist, beweist, daß das Werk vollbracht ist und daß damit auch
das Urteil über die Welt und ihren Fürsten gefällt ist.
Danach sehen wir noch deutlicher, was der
Heilige Geist selbst tun wird (V. 13): Er führt die Kinder Gottes in die ganze
Wahrheit ein, d. h. er verkündigt ihnen das, was sie früher noch nicht gehört
hatten und was der Herr ihnen damals auch noch nicht sagen konnte (V. 12), weit
sie den Geist nötig hatten, um diese Wahrheit zu verstehen. Der Geist würde die
himmlische Herrlichkeit des Sohnes beschreiben: "Denn von dem Meinen wird er
empfangen und euch verkündigen" (V. 14). Das alles bedeutet für sie einen großen
Segen, den sie nun noch nicht verstehen konnten, so daß ihre Herzen voll Trauer
waren. Doch sie würden voller Freude sein, wenn ihnen, nachdem der Herr
tatsächlich von ihnen weggegangen war, der verheißene Tröster zuteil wurde.
Damit sollten sie nicht nur das wunderbare Geschenk des Heiligen
Geistes empfangen und die Herrlichkeit des
Sohnes kennenlernen, sondern auch in einer völlig neuen Weise mit dem Vater in
Verbindung gebracht werden (V. 23f). Sie würden den Sohn als das ewige Leben
besitzen und Ihn deshalb nicht mehr als Zwischenperson nötig haben, sondern in
Seinem Namen unmittelbar zum Vater gehen, wie in Vers 26 steht: "Und ich sage
euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten werde"; sie hatten nicht mehr die
Mittlerschaft des Sohnes nötig, um dem Vater zu nahen, denn sie waren selbst
Kinder des Vaters geworden. Ja, der Vater Selbst hatte sie lieb (V. 27) und
würde ihnen Seine Liebe bezeugen. Sie sollten alles bitten dürfen in dem Namen
des Herrn Jesus als solche, die in dem geliebten Sohn angenehm gemacht waren.
Das alles war die Folge der Tatsache (V. 28), daß Er von dem Vater ausgegangen
und in die Welt gekommen war, aber darüber hinaus die Welt wieder verlassen und
zum Vater hingehen würde. Und für die Jünger, die zurückblieben, galt, daß sie
in Ihm Frieden haben (V. 33) und daß sie in dieser Welt zwar Drangsal haben,
aber daß sie die Welt kennen als etwas, worüber das Urteil gefällt war und das
der Herr Jesus überwunden hatte.
Das führt schließlich dazu, daß wir in
Kapitel 17 dieses wunderbare Gespräch zwischen dem Vater und dem Sohn hören
dürfen, nicht ein Gebet (wie häufig gesagt) eines Hohenpriesters zu Gott,
sondern den Sohn, der zum Vater spricht über all die Dinge, die wir bereits in
diesem Evangelium gesehen haben, doch über die Er nun zu dem Vater spricht,
damit Dieser erfüllt, was Er verheißen hat und was der Sohn zu verkündigen
gekommen ist, und zwar: erfüllt aufgrund des Werkes, das der Sohn vollbracht hat
(denn auch hier stellt Er Sich hinter dieses Werk), wie Er in Vers 4 sagt: "ich
habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, weiches du
mir gegeben hast." Das Werk bestand darin, den Vater zu verherrlichen ‑,
aufgrund davon bittet Er nun, verherrlicht zu werden mit derselben Herrlichkeit,
die Er bei dem Vater hatte, bevor die Weit war (V. 5), eine Herrlichkeit, die
Er damals besaß als der Sohn beim Vater, doch die Er nun von dem Vater erbittet
als der Mensch, der das Werk vollbracht hat. Er wünschte als Mensch diese
Herrlichkeit als Belohnung zu besitzen, denn dann konnte Er als Mensch tun, was
Vers 22 sagt, nämlich die Herrlichkeit mit anderen Menschen teilen, mit
Gläubigen, mit der Familie Gottes. Das finden wir bereits im ersten Vers: Er
bittet, Selbst verherrlicht zu werden, auf
daß Er den Vater
verherrliche. Und wie würde Er das
tun? Indem Er das ewige Leben allen denen gab, die der Vater Ihm gegeben hatte
(V. 2). Sogar jetzt noch verherrlicht der Sohn den Vater im Himmel, also lange
nach dem Kreuz, nämlich jedesmal, wenn der Sohn denen das ewige Leben schenkt,
die der Vater Ihm aus der Weit gegeben hat. Und was ist das ewige Leben? Vers 3
sagt: Gott zu kennen in dem, was Er im Tiefsten ist, also als den Vater des
Sohnes, und Jesus Christus zu erkennen, den Er gesandt hat, in dem, was Er im
Tiefsten ist, also als den Sohn des Vaters, als Den, der Selbst der wahrhaftige
Gott und das ewige Leben ist (l. Joh 5, 20).
Dann spricht der Herr weiter über die, die
der Vater Ihm gegeben hatte, die Sein Wort angenommen hatten (V. 6f.). Er bittet
für sie, weil sie in dieser Welt zurückblieben (V. 11). Er bittet für sie an
erster Stelle ‑ und Er spricht dabei den heiligen Vater an ‑ daß sie in diesem
Kosmos einen völlig abgesonderten (heiligen) Platz einnehmen möchten (V. 15f.).
Und das Gebet ist erhört worden, denn auch wenn wir praktisch vielleicht nicht
immer abgesondert sind, so sind wir es doch in dem Sinn, wie der Herr es hier
meint; denn dadurch, daß wir das Leben des Sohnes empfangen haben und neue
Geschöpfe in Ihm geworden sind, haben wir nichts mehr mit diesem Kosmos zu
tun.*)
_____________
* ) Wörtlich geht es In diesen Versen noch
um die zwölf Jünger, doch wir kön3l65 nen diesen Grundsatz allgemein anwenden.
Wir sind kein Teil dieser Welt mehr ‑,
nicht nur dieser bösen Welt, sondern der Weit als Ganzem, des Kosmos, der ersten
Schöpfung. So sagt Er hier: "Sie sind nicht von der Weit, gleichwie ich nicht
von der Welt bin" (obwohl sie zur gleichen Zeit wohl in diese Weit gesandt
werden, V. 18). Nein, wir sind mit dem heiligen Vater in Verbindung gebracht,
der Selbst vollkommen getrennt ist von allem, was in der ersten Schöpfung ist.
Auch der Herr Selbst heiligt Sich für uns, wie hier steht: "Und ich heilige mich
selbst für sie, auf daß auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit" (V. 19; vgl.
V. 17). Er nimmt eine geheiligte (d. 1. abgesonderte) Stellung im Blick auf
diesen Kosmos ein, getrennt von diesem Kosmos, im Vaterhaus, damit auch wir im
Grundsatz vor dem Vater stehen können in dieser Stellung, in der Er nun ist:
getrennt von dem Kosmos und in Gemeinschaft mit dem Vater im Vaterhaus.
Welch eine wunderbare Familie ist das, die
Familie Gottes, welch eine wunderbare Einheit haben sie in dem Sohn und in dem
Vater! Das erste Kennzeichen dieser Einheit wird bereits in Vers 11 genannt:
"Auf daß sie eins seien, gleichwie wir." Dort geht es noch um die zwölf Jünger,
die eine herrliche Einheit in ihrem christlichen Zeugnis offenbarten, wie wir
das vor allem im Neuen Testament haben. Doch dann lesen wir zweitens von denen,
die durch ihr Wort an Ihn glauben würden (V. 20), daß auch sie eins seien, und
dann geht es also um die gesamte christliche Familie Gottes. Und in welcher
Weise sind sie eins? In einer so innigen Weise eins mit dem Sohn und dem Vater,
daß dies unseren Verstand übersteigt: "Gleichwie du, Vater, in mir und ich in
dir." Kann man sich eine engere Harmonie denken als die Gemeinschaft zwischen
dem Vater und dem Sohn? Der Vater ist in dem Sohn, und der Sohn ist in dem
Vater. Nun, in diese enge, innige Harmonie sind wir eingeführt, denn der Herr
sagt: "Auf daß auch sie in uns eins seien." In uns, die so eng eins sind, daß Du
in Mir bist und Ich in Dir bin, in Uns sind auch sie eins. So sagt Johannes (l.
Joh 1, 3), daß wir Gemeinschaft miteinander haben, und unsere Gemeinschaft ist
mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesus Christus. Das Ziel dieser Einheit
besteht darin, daß durch diese wunderbare Gemeinschaft ein Zeugnis in dieser
Weit abgelegt wird und Menschen aus dieser Welt zum Glauben kommen (V. 21).
Schließlich hat Er uns die Herrlichkeit
gegeben, die Er Selbst empfangen hat (V. 22), damit auch in Zukunft ein Zeugnis
im Blick auf die Weit vorhanden ist (V. 23). Wenn wir verherrlicht mit Ihm
wiederkommen, wird die Welt unsere Einheit erkennen müssen, wie hier steht: Auf
daß die Weit erkenne, daß du mich gesandt und sie geliebt hast, gleichwie du
mich geliebt hast. "Und welchen Charakter hat diese Einheit? Wie in Vers 22 und
23 steht: "Auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind; ich in ihnen und du
in mir, auf daß sie in eins vollendet seien." Das ist eine stufenweise Einheit:
gleichwie der Vater in dem Sohn ist und der Sohn also die vollkommene Entfaltung
der Herrlichkeit des Vaters ist, so ist nun der Sohn in uns, auf daß wir die
Herrlichkeit entfalten, die in dem Sohn ist, denn diese Herrlichkeit ist uns
geschenkt. Diese Herrlichkeit werden wir auch sichtbar gegenüber der Welt
widerspiegeln, wenn wir mit dem Herrn wiederkommen. Dann wird die Welt erkennen
müssen ‑ nicht nur glauben (vgl. V. 21) ‑ wer Er ist als der Gesandte des
Vaters. Doch die Herrlichkeit, die der Herr uns gegeben hat, wird noch
übertroffen von Seiner eigenen, persönlichen, inneren Herrlichkeit, über die
Er in Vers 24 spricht: eine Herrlichkeit, die wir nicht mit Ihm teilen können,
sondern die wir nur bewundern und anschauen können, wenn wir bei Ihm sind, dort,
wo Er ist. Darauf spricht Er seine Schlußworte, nicht zu dem heiligen Vater,
sondern zu dem gerechten Vater, der Gerechtigkeit übt im Blick auf Seine
Kinder, die inmitten der Welt, die Ihn nicht erkannt hat, Ihn wohl erkannt haben
und Ihm angehören und die Liebe in sich haben, mit der der Vater den Sohn
geliebt hat (V. 25f.).
Damit ist das Zeugnis beendet, das der Sohn
von dem Vater abgelegt hat. Das einzige, was nun noch zu tun übriggeblieben
ist, ist der Weg, der zum Kreuz führt, wo Er als das Lamm Gottes geopfert wird.
Dort wollte Er das Werk der Verherrlichung des Vaters vollenden und Sich dort
auch zur Verherrlichung eines heiligen und gerechten Gottes hingeben. Hier
finden wir nicht so sehr die Aktivität von Menschen, wie in den anderen
Evangelien. Hier verschwinden die Menschen völlig im Hintergrund, damit die
Herrlichkeit des Herrn Jesus um so mehr zum Ausdruck kommt. Hier finden wir
nicht Seine Angst als Mensch im Garten Gethsemane ‑ dies ist das einzige
Evangelium, wo das nicht erwähnt wird ‑, sondern stattdessen finden wir in
Kapitel 18, 11: "Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht
trinken?" Eine vollkommene Hingabe des Einen, der vollkommen wußte, was über
Ihn kommen würde (siehe V. 4). Hier sehen wir nicht, wie Er durch den Kuß des
Judas verraten wird, sondern hier finden wir Ihn als Den, der Sich ZU erkennen
gibt und der lediglich durch das Nennen Seines göttlichen Namens JCH BIN" (so
steht hier wörtlich), d. i. Jehova, in der Lage ist, diese Hunderte von Männern
vor Sich zur Erde fallen zu lassen, unter ihnen Judas. So offenbart Er sogar auf
Seinem Weg zum Kreuz diese göttliche Herrlichkeit, die Er als der Sohn des
Vaters hat.
Gleichzeitig sehen wir auch, wie Er Sein
Zeugnis bis zum Ende erfüllt. Er zeugt gegenüber den Hohenpriestern in Vers 20:
Er hatte Sein Zeugnis vor der Weit frei und offen abgelegt, und sie brauchten
nicht danach zu fragen, denn sie kannten es, und sie konnten nichts Übles
darüber sagen (V. 23). So zeugt Er auch gegenüber Pilatus, als Er vor ihn
gebracht wird. Pilatus wollte Ihn verurteilen, doch konnte er keine Schuld an
Ihm finden. Er mußte das auch anerkennen (18, 38; 19, 4. 6), während dieser
Mensch Selbst ihm gegenüber Zeugnis ablegte, wozu Er in diese Welt gekommen war
(18, 36f) ‑ Er hat das gute Bekenntnis bezeugt vor Pontius Pilatus (l. Tim 6,
13). Er bezeugte, daß Er ein König war, doch von einem Königreich, das nicht von
dieser Weit war; und dann sagt Er: "lch bin dazu geboren und dazu in die Welt
gekommen, auf daß ich der Wahrheit Zeugnis gebe." Das war Sein Leben: die
Wahrheit zu bezeugen, die Wahrheit über den Vater (4, 23; 17, 17), die Wahrheit
über Seine eigene Person (1, 14; 14, 6), die Wahrheit, die die Menschen
freimacht (8, 32), die das ewige Leben denen schenkt, die an Ihn glauben
(3,14‑21); das war die Wahrheit, die zu bezeugen Er in diese Weit gekommen war.
Aber es war auch eine Wahrheit, die die Juden nicht verstanden hatten und für
die auch Pilatus kein Interesse oder Verständnis aufbringen konnte.
Wenn er hier anerkennen muß, daß Christus
keinerlei Schuld hatte, so ist das gerade hier so wichtig, weil allein im
Johannesevangelium dadurch deutlich festgestellt wird, aus welchem Grund der
Herr Jesus dann trotzdem verurteilt wird: nicht, weil Er Sich als Messias
ausgegeben hatte, der König der Juden, sondern hier lesen wir (Kap. 19, 7): "Wir
haben ein Gesetz, und nach unserem Gesetz muß er sterben, weil er sich selbst zu
Gottes Sohn gemacht hat." Das ist hier der Kernpunkt in der Verurteilung; Er
wird hier ausdrücklich verurteilt, weil Er der Sohn Gottes ist; als Sohn Gottes
wird Er verworfen und ans Kreuz gebracht. Doch als Er zum Kreuz geht, ist das
trotzdem nicht die Aktivität Seiner Feinde. Er geht hinaus; wie Er hinausging in
den Garten (18, 1. 4) und aus dem Palast des Pilatus hinausging (19, 5), so ging
Er auch hinaus nach Golgatha (V. 17). Dadurch bewies Er zur gleichen Zeit, daß
Er der Sohn Gottes war. Niemand hatte irgendwelche Macht über Ihn, wie Er zu
Pilatus sagt: "Du hättest keinerlei Gewalt wider mich, wenn sie dir nicht von
oben gegeben wäre" (V. 11). Und der sie von oben gab, war der Sohn Selbst. Er
dreht die Rollen um, als wäre Er Selbst der Richter, und Er war auch in der Tat
der Richter über Pilatus. Einmal wird Pilatus vor Ihn gestellt werden und mit
seinem Richter zu tun haben. Der Herr Jesus hat hier alle Initiative in Seinen
eigenen Händen, denn Er ist Gott, bekleidet mit Macht. Er geht hinaus, Sein
Kreuz tragend, hin zu dem Ort, genannt Schädelstätte, um sogar an diesem
schrecklichen Ort der herrliche Mittelpunkt zu sein: "Jesus aber in der Mitte."
Wie bezeichnend ist hier diese Zufügung!
"Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen" (12, 32).
Dort ist es das Lamm Gottes, das Sich opfert, um Gott zu verherrlichen (13, 31).
So bildet Er den Mittelpunkt, nicht nur von Israel oder der Erde, sondern von
dem ganzen Kosmos: erhöht von der Erde. So sehen wir Ihn dort, wie Er Sich
vollkommen Gott dem Vater darbringt. Wie könnten wir dann jemals hier den drei
Stunden der Finsternis begegnen? Die finden wir nur in Matthäus und Markus, wo
es darum geht, Ihn als Sündopfer vorzustellen, als Den, der die Sünden getragen
hat, für die Sünde des Menschen gestorben ist und dazu von Gott verlassen werden
mußte. Doch das finden wir hier nicht, hier finden wir Ihn als Den, der Sich
vollkommen Gott übergibt bis in den Tod, um Ihn zu verherrlichen. Wir finden
hier nicht die Leiden eines Menschen, sondern eine göttliche Person, die ihr
Leben läßt, um es wiederzunehmen (10, 17f.). Sogar die Ereignisse, die hier
beschrieben werden, dienen lediglich dazu, das zum Ausdruck zu bringen.
Das ersieht man aus solch einer Einzelheit
wie dem Verteilen des Rockes, worauf hier der Nachdruck gelegt wird (V. 23f.),
vor allem auch, um in diesem Rock, der von oben bis unten in einem Stück gewebt
war, symbolisch das Zeugnis des Herrn anzudeuten, das von oben gekommen war und
vollkommen war, ohne jeden Makel.
Auch sehen wir, wie Er Sich nun erst,
nachdem das Werk so gut wie vollbracht ist, über Seine Mutter erbarmt. Vorher
konnte Er nicht zulassen, daß sie sich in irgendeiner Weise um Sein Werk
kümmerte oder zwischen Ihn und den Vater trat (2, 4). Nun, da das Werk vollendet
ist, kann Er, um die Schrift völlig zu erfüllen, rufen: "Mich dürstet", um
danach mit lauter Stimme zu rufen: "Es ist vollbracht." Es geht hier nicht so
sehr um das Werk der Erlösung oder der Versöhnung; natürlich ist auch das
vollbracht, aber darauf liegt hier nicht der Nachdruck. Hier ist es das
vollbrachte Werk, von dem Er in Kapitel 17, 4 sagte: "ich habe dich verherrlicht
auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, daß
ich es tun sollte" (siehe auch 13, 31). Denn das war Sein Leben: den Vater zu
verherrlichen. Dazu war Er in diese Stunde gekommen (12, 27f.), und dieses Werk
war nun vollbracht. Und wenn Er Seinen Geist übergibt, ist Er nicht Jemand, der
an Erschöpfung stirbt, sondern dann ist Er der Sohn des Vaters, der von dem
Vater geliebt wird, weil Er in Allmacht, und doch gehorsam, Sein Leben darlegt,
auf daß Er es wiedernimmt (10, 17f.). Darauf folgt ein mächtiges Zeugnis, das
wir auch nur in Johannes finden. Aus Seiner Seite strömt Blut und Wasser (V. 34)
als ein Zeugnis der gewaltigen Folgen des Werkes, das Er auf dem Kreuz
vollbracht hat: Wasser, das uns von dem Bösen reinigt, und Blut, das uns mit
Gott versöhnt.
Schließlich finden wir dann, nach dem
Begräbnis, all die Folgen dieses großen Werkes in den beiden letzten Kapiteln
noch weiter entfaltet. Nur hier werden so ausführlich zwei Kapitel der
Auferstehung gewidmet. Hier werden all die Folgen Seines Werkes beschrieben in
Verbindung mit dem besonderen Zeugnis, das Er in diesem Evangelium auf der Erde
abgelegt hat. Was das Zeugnis ist, wiederholt der auferstandene Herr hier
ausdrücklich, und das nicht gegenüber großen, Eindruck erweckenden Männern,
sondern dieser Frau, Maria, die an Seinem Grab weint. Sie bekommt als erste zu
hören, was die herrlichste und bedeutsamste Folge des Todes und der Auferstehung
des Herrn ist, denn sie vernimmt aus Seinem Mund, daß Er auffahren würde zu
Seinem Vater, der nun auch der Vater der Seinen sein würde, so daß der Herr nun
Seine Jünger Seine Brüder nennen konnte (20, 17). Den Vater, zu dem Er auffahren
würde, konnte Er nun auch ihren Vater nennen, und Sein Gott war nun auch ihr
Gott. So hatte Er das niemals zuvor gesagt. Doch nun, da Er, das ewige Leben,
durch den Tod gegangen und auferstanden war und Er das Leben Selbst
wiedergenommen hatte, nun war dieses Leben Auferstehungsleben geworden, und so
konnte Er es den Seinen, die nun auch der Macht des Todes entrückt waren,
mitteilen. Das Weizenkorn war in die Erde gefallen, es war gestorben,
aufgesproßt und trug viel Frucht. Das ewige Leben konnte nun vielen mitgeteilt
werden, so daß nun Sein Vater auch ihr Vater wurde. Und Er beweist das, als Er
in die Mitte der Jünger kommt und in sie haucht und sagt: "Empfanget Heiligen
Geist" (V. 22). Das ist noch nicht die Person des Heiligen Geistes, denn die kam
erst am Pfingsttag auf die Erde, sondern hier ist es "Heiliger Geist“ (ohne
Artikel) als das neue, geistliche, göttliche Leben, das Er ihnen schenkt: Sein
eigenes Leben, ewiges Leben, Auferstehungsleben.
So sehen wir hier die Familie Gottes, die
den Sohn als ihr Leben empfangen hat und Gott "Vater" nennen darf. Und wieder
sehen wir, wie Johannes im Vorbild all die Folgen dieser Tatsache schildert.
Zuerst, wie am ersten Tag der Woche die Familie Gottes sich versammelt, wie die
Gläubigen sich nun bereits zweitausend Jahre versammeln dürfen, abgesondert von
der Weit (vgl. V. 19), wo der Herr in ihre Mitte kommt, um die Herzen auf das zu
richten, was Er gelitten hat; wo sie zusammen sind als die, die das Leben von
Ihm empfangen haben, der in uns gehaucht hat als ein lebendigmachender Geist.
Doch eine Woche danach finden wir ein zweites Vorbild in Thomas, nämlich wie
nach der Haushaltung der Versammlung der Herr ein letztes Zeugnis in Israel
bilden wird, das nach düsterem Unglauben schließlich den Herrn kennenlernen
wird, nicht durch Glauben, wie die Christen, sondern nachdem es Ihn mit eigenen
Augen angeschaut hat; dann werden sie Ihn anerkennen und sagen: "Mein Herr und
mein Gott!" (V. 28. 29). Alle diese Dinge, sagt der Apostel, bevor er endet,
"sind geschrieben, auf daß ihr glaubet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn
Gottes, und auf daß ihr glaubend Leben habet in seinem Namen" (V. 31): Ihn
kennenlernen als den Sohn Gottes und nicht nur als Gegenstand des Glaubens,
sondern Teil an Ihm haben, doch glaubend das Leben des Sohnes Gottes zu haben,
Ihn Selbst als das ewige Leben zu besitzen.
Kapitel 21 zeigt uns schließlich die dritte
Phase. Wenn in Thomas ein Überrest vorgestellt wird, der in der Zukunft in
Israel gefunden werden wird, dann sehen wir schließlich, wie auch aus den
Völkern eine große Ernte eingesammelt werden wird, hier vorgestellt in dem
großen Fischfang aus den Wassern des Sees (ein Bild der Völkerwelt; siehe z. B.
Offb 17, 15). Nach der Aufnahme der Versammlung wird diese "Volksmenge, weiche
niemand zählen konnte" (Offb 7) in das Friedensreich eingeführt werden. Alle
diese Ergebnisse: die Versammlung, der Überrest Israels und schließlich die
große Ernte aus den Nationen sind gegründet auf die Tatsache, daß Er das Werk
der Verherrlichung vollbracht hat, damit Menschen zu Gott gebracht werden
konnten.
Schließlich werden ab Kapitel 21,13‑23 noch
einige wichtige Grundsätze angedeutet im Blick auf den Dienst innerhalb der
Familie Gottes, nachdem der Herr aufgefahren ist. Wir finden hier den Dienst des
Petrus und den Dienst des Johannes. Petrus wird hier öffentlich in der
Gemeinschaft mit dem Herrn wiederhergestellt (was im Verborgenen bereits früher
geschehen war) und bekommt einen besonderen Auftrag, nämlich die Lämmlein und
die Schafe des Herrn zu weiden und zu hüten. Das ist also ein besonderer Dienst
unter den Schafen, die der Herr aus Seinem Hof herausgerufen hat, aus den
Schafen Israels (siehe 10, 1‑4). Wir sehen auch tatsächlich in der
Apostelgeschichte und in den Briefen des Petrus, daß er einen besonderen Dienst
unter den Gläubigen aus Israel hatte. Doch der Herr zeigt auch, daß Johannes,
der Schreiber dieses Evangeliums, einen anderen Dienst bekommen würde, der bis
zu dem Kommen des Herrn fortdauern würde. Das galt nicht für den Dienst des
Petrus; dieser Dienst ist dadurch zu Ende gekommen, daß das jüdische Christentum
bei der Zerstörung Jerusalems auseinandergeschlagen und unter alle Völker
zerstreut wurde. Doch der Dienst des Johannes würde bleiben, wie, der Herr sagt:
"Wenn ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?" (V. 22) Das
ist durchaus kein Wortspiel, sondern außerordentlich wichtig, denn es bedeutet,
daß der Dienst des Johannes Gültigkeit hat, solange die Familie Gottes auf der
Erde ist. Deshalb ist es auch nicht Paulus oder Petrus, der das Buch der
Offenbarung geschrieben hat, sondern Johannes! Er beschreibt nicht nur den
Anfang der christlichen Haushaltung (siehe neben seinem Evangelium z. B. 1. Joh
1, 1‑3), sondern auch deren Ende und wie der Herr Jesus nach Seinem Wiederkommen
das ganze Gericht über die ganze Schöpfung ausüben wird ‑ denn Er hat aufgrund
Seines Werkes ein Recht auf die Schöpfung (Offb 5) ‑ und wie Er schließlich nach
dem Friedensreich die Sünde aus dem Kosmos abschaffen wird. Dann wird das Wort
erfüllt, das Johannes der Täufer gesprochen hat: "Siehe das Lamm Gottes,
weiches die Sünde der Weit wegnimmt" (1, 29).
Der Jünger, der diesen bedeutsamen Dienst
empfängt, ist derselbe wie der, "der von diesen Dingen zeugt und der dieses
geschrieben hat" (V. 24), Dinge, die tiefer und herrlicher sind als die, die wir
in den vorhergehenden Evangelien gefunden haben. Und doch, wenn wir wirklich
alles wissen und verstehen wollten, was der Herr getan und gesagt hat, dann
könnte die Welt die geschriebenen Bücher nicht fassen (V. 25). So groß, so
herrlich ist Seine Person. Wir haben gesehen, daß wir mindestens vier dieser
Evangelien nötig haben, um die verschiedenen Herrlichkeiten Seiner Person
wenigstens einigermaßen zu übersehen; doch wenn wir wirklich Seine Herrlichkeit
ergründen wollten, würden alle Bücher der Welt nicht ausreichen. Und wir werden
sie auch niemals ergründen können, doch das ist auch nicht nötig: Wir werden
ewig in der Sphäre sein dürfen, wo wir das, was wir nicht beschreiben und
ergründen können, anschauen und bewundern und anbeten werden. Er wollte, daß wir
bei Ihm sind, um Seine Herrlichkeit anzuschauen, die der Vater Ihm gegeben hat.
Gepriesen sei Sein Name!