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1. Thessalonicher (Thomas L. Constable)

EINFÜHRUNG
Die Stadt Thessalonich

Thessalonich behauptete seine hervorragende Stellung in der antiken Welt über mehrere Jahrhunderte. Das ist eine außergewöhnlich lange Blütezeit, die die Stadt nicht zuletzt ihrer idealen Lage am Thermaischen Golf im Nordwesten der Ägäis verdankte. So war ihr Seehafen zur Zeit des Apostels Paulus der wichtigste Hafen der römischen Provinz Mazedonien.

 Wie Korinth für Achaja und Ephesus für Asia, so war Thessalonich das Zentrum des Seehandels für Mazedonien. Doch Thessalonich besaß noch einen weiteren Vorteil: Die Via Egnatia, die Hauptverkehrsader von Rom über Byzanz (dem heutigen Istanbul) in den Orient, verlief mitten durch die Stadt, so daß sie sowohl auf dem Land- als auch auf dem Seeweg mit zahlreichen anderen bedeutenden Städten der alten Welt in Verbindung stand. Thessalonich war dadurch eine der wichtigsten Metropolen des römischen Imperiums und ein militärischer und verwaltungstechnischer Knotenpunkt.

Die Bevölkerung der Stadt belief sich in neutestamentlicher Zeit nach Schätzungen auf ungefähr 200 000 Menschen (Everett F. Harrison, Introduction to the New Testament , Grand Rapids 1964, S. 245). Die meisten Einwohner waren Griechen, doch auch viele Römer hatten sich in der Stadt niedergelassen. Daneben gab es Orientalen und - wie überall, wo in der antiken Welt der Handel florierte - Juden. Die jüdische Synagoge von Thessalonich war außerordentlich einflußreich. Sie hatte viele griechische Proselyten an sich gezogen, die auf diese Weise auch mit der paulinischen Predigt in Berührung kamen (Apg 17,4).


Der 1. Thessalonicherbrief spiegelt das moralische Klima der Stadt. Die heidnische Religion der Griechen - des größten Bevölkerungsanteils der Stadt - war ein Nährboden für viele Formen der sittlichen Verkommenheit, weckte aber zugleich auch die Sehnsucht mancher Menschen nach wirklicher geistlicher Nahrung. Die höheren Wertmaßstäbe des Judentums machte daher die Synagoge zu einem Anlaufpunkt für viele enttäuschte Griechen, Römer und Orientalen.

 Thessalonich war im Jahr 315 V. Chr. von Cassander, einem griechischen General unter Alexander dem Großen, in der Nähe der alten Stadt Therma (nach den heißen Quellen, die es in dieser Region gab) erbaut worden. Cassander hatte den Platz wegen seiner ausgezeichneten geographischen Lage gewählt und benannte die neue Siedlung nach seiner Gemahlin Thessalonica, einer Halbschwester Alexanders.

 Als die Römer 150 Jahre später (168 V. Chr.) die Region eroberten, teilten sie Mazedonien in vier Regierungsbezirke ein und machten Thessalonich zur Hauptstadt eines Bezirks. Schon 146 V. Chr. stellten sie jedoch Mazedonien als ganzes wieder her, und Thessalonich wurde Hauptstadt der neuen Provinz, die alle vier ehemaligen Regierungsbezirke umfaßte. 42 V. Chr. erhielt die Stadt dann von Antonius und Oktavian (dem späteren Augustus) den Status einer freien Stadt, weil die Thessalonicher die beiden in ihrem Kampf gegen Brutus und Cassius unterstützt hatten. Die Römer regierten Thessalonich in gewohnt großzügiger Weise. Obwohl der römische Prokonsul (oder Statthalter) in der Stadt residierte, lag dort keine römische Garnison. Die Bürger besaßen das Recht der Selbstverwaltung, das sonst nur einem griechischen Stadtstaat zugestanden wurde. Der Magistrat der Stadt setzte sich aus fünf oder sechs Politarchen, einem Senat und der Volksversammlung zusammen.


Im 1. Weltkrieg waren alliierte Streitkräfte in Thessalonich stationiert. Während des 2. Weltkrieges deportierten die Nationalsozialisten 60 000 Juden aus der Stadt und ermordeten sie. Heute hat Thessalonich etwa 300 000 Einwohner und trägt den Namen Saloniki oder Thessaloniki.

1. Thessalonicher

Die paulinische Mission in der Stadt

Der Apostel Paulus kam auf seiner zweiten Missionsreise zum ersten Mal nach Thessalonich. Nach einem Besuch in den Gemeinden der Provinz Asien, die er und Barnabas auf ihrer ersten Reise gegründet hatten, scheiterten die ursprünglichen Reisepläne des Missionars, und er gelangte mit Silvanus, Timotheus, Lukas und möglicherweise noch anderen Mitarbeitern nach Troas. Dort hatte Paulus eine Vision, in der ihn ein Mann aus Mazedonien um Hilfe bat. Auf diesen Ruf hin setzte die Reisegesellschaft nach Europa über und trat predigend in Philippi, einer größeren Stadt in Mazedonien, auf. Durch eine Reihe von Umständen waren die Missionare gezwungen, Philippi zu verlassen und auf der Via Egnatia etwa 150 Kilometer nach Westen in die nächste größere Stadt Thessalonich zu reisen (Apg 17,1-9).


 Wie es seine Gewohnheit war, besuchte Paulus auch in Thessalonich zunächst die jüdische Synagoge, wo er Menschen treffen konnte, die, wie er wußte, vieles mit ihm gemeinsam hatten: die Achtung vor dem Alten Testament, bestimmte theologische Begriffe und kulturelle Praktiken. Da Paulus ein erfahrener Lehrer war, wurde ihm gestattet, in der Synagoge zu sprechen. Seine Botschaft bestand nach der Darstellung von Lukas aus zwei entscheidenden Punkten:

(1) Das Alte Testament verhieß das Kommen eines leidenden, sterbenden und wiederauferstandenen Messias.

(2) Diese Vorhersagen sind nun in Jesus von Nazareth erfüllt. Auch wenn Lukas nichts darüber sagt, so mag Paulus außerdem davon gesprochen haben, daß Jesus Christus wiederkommen würde, um die übrigen messianischen Prophezeiungen zu erfüllen (Apg 17,7).

In den Briefen an die Gemeinde in Thessalonich versuchte Paulus, auf Fragen einzugehen, die aus seiner Verkündigung erwachsen waren. Nach seiner Predigt hatten sich viele Leute bekehrt, darunter einige Juden, etliche heidnische Griechen, die in die Synagoge gekommen waren, weil sie an den jüdischen Gott glaubten oder mehr über ihn erfahren wollten, und schließlich die Frauen mehrerer thessalonischer Patrizier (Apg 17,4).


Wie lange Paulus bei seinem ersten Aufenthalt in Thessalonich blieb, ist unter Neutestamentlern nicht ganz unumstritten. Manche gehen davon aus, daß der Verweis auf seine Anwesenheit in der Synagoge bei drei Sabbatfeiern (Apg 17,2) auf einen Aufenthalt von nur etwa drei Wochen schließen läßt (z. B. James E. Frame, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistles of St. Paul to the Thessalonians, S. 7). Andere Exegeten glauben, daß Paulus wahrscheinlich für längere Zeit - möglicherweise ein halbes Jahr - in Thessalonich blieb (z. B. Richard B. Rackham, The Acts of the Apostles, London 1901, S. 296). Die Anhänger dieser letzteren Hypothese berufen sich dabei auf andere Passagen, die sie als Hinweise auf Paulus' Erlebnisse in Thessalonich während seines Besuches in der Stadt interpretieren. So arbeitete Paulus in Thessalonich offensichtlich in seinem Beruf als Zeltmacher ( 1Thes 2,9; 2Thes 3,8 ). Das deutet möglicherweise auf einen verlängerten Aufenthalt, macht ihn jedoch nicht zwingend notwendig. Manche Ausleger sehen außerdem in Phil 4,16 einen Beleg dafür, daß die Philipper Paulus zwei Geschenke sandten, während er in Thessalonich war, was ihrer Ansicht nach unwahrscheinlich wäre, wenn er sich nur drei Wochen dort aufgehalten hätte. Wieder anderen zufolge wird an dieser Stelle nur vom Absenden der beiden Geschenke gesprochen, nicht aber davon, daß Paulus in Thessalonich war, als er sie erhielt.

Wie lange Paulus tatsächlich in der Stadt blieb, ist immerhin nicht ohne Bedeutung für den in beiden Thessalonicherbriefen deutlich werdenden theologischen Wissensstand der Adressaten. Zwar ist uns allenfalls in Umrissen bekannt, was sich in der thessalonischen Gemeinde abspielte, nachdem Paulus die Stadt verlassen hatte, und auch die Vorgänge während seiner Tätigkeit in der Stadt liegen für uns weitgehend im Dunkeln. Es hat jedoch den Anschein, daß der Apostel den Neubekehrten in relativ kurzer Zeit sehr viel theologischen "Stoff" vermittelte. Außerdem gewinnt man aus den Briefen den Eindruck, daß Paulus die Stadt früher verließ, als er eigentlich wollte. Vor diesem Hintergrund ist es also vielleicht am naheliegendsten, von einem Aufenthalt von einigen Monaten auszugehen.


Nachdem sich ihm die Juden entgegengestellt hatten, setzte Paulus seine Lehr- und Evangelisationstätigkeit in Thessalonich möglicherweise im Hause des Jason fort ( Apg 17,5- 10 ). Die Gegner betrachteten die Botschaft des Apostels als eine Bedrohung für das Judentum, wie es die Juden allgemein getan haben, seit das Evangelium zuerst in Jerusalem gepredigt wurde. Um Paulus loszuwerden, griffen die nichtchristlichen Juden in Thessalonich schließlich auf eine ganz ähnliche Strategie zurück wie die, derer sich die Widersacher Jesu und die Ankläger des Stephanus bedient hatten: Sie heuerten Unruhestifter an, die falsche Anschuldigungen gegen den Apostel verbreiteten. Als der Mob das Haus von Jason stürmte und die Missionare nicht mehr darin fand, schleppte er Jason vor die Politarchen. Die Juden beschuldigten ihn, Umstürzlern Unterschlupf gewährt zu haben, die dem Hochverrat das Wort redeten, indem sie den Leuten beibrachten, dem römischen Gesetz nicht mehr zu gehorchen und einem anderen König als dem römischen Cäsar anzuhängen. Das war eine äußerst schwere Anklage, zumal in einer Stadt, deren freier Status aufgehoben werden konnte, wenn der Verdacht des Hochverrats sich als begründet herausstellte. Der Magistrat ließ sich jedoch nicht über die Motive der von Neid verzehrten jüdischen Eiferer täuschen. Jason mußte lediglich dafür bürgen, daß Paulus und seine Mitarbeiter den Frieden der Stadt nicht länger stören würden. Das machte es nötig, daß die Missionare Thessalonich umgehend verließen. Die kleine christliche Gemeinde, die dort zurückblieb, bekam weiterhin den Haß der Juden zu spüren, der zum Teil auch auf Heiden übergriff, die von den ungläubigen Juden aufgehetzt worden waren ( 1Thes 2,14; 2Thes 1,4).



1. Thessalonicher

Anlaß des Briefes


Als Paulus und Silvanus Thessalonich verlassen mußten, begaben sie sich in das 60 Kilometer weiter westlich, ebenfalls an der Via Egnatia gelegene Beröa. Dort taten sie kurze Zeit Dienst, bis die feindlichen thessalonischen Juden von Paulus' Predigttätigkeit in Beröa Wind bekamen und die beröischen Juden dazu anstifteten, ihn auch aus dieser Stadt zu vertreiben. Silvanus und Timotheus blieben in Beröa zurück, und Paulus reiste nach Süden, nach Athen. Sobald er dort angekommen war, sandte er seinen beiden Begleitern eine Botschaft und ließ sie nachkommen ( Apg 17,10-15; 1Thes 2,1-5 ). Die Not der Bekehrten in Thessalonich versetzte den Apostel in so große Sorge, daß er Timotheus in die Stadt zurückschickte, um zu erfahren, wie es der Gemeinde ergangen war. Timotheus traf dann am nächsten Wirkungsort des Apostels, Korinth, wieder mit Paulus zusammen und konnte ihm ermutigende Neuigkeiten bringen ( Apg 18,1.5; 1Thes 3,6-7). Daraufhin schrieb Paulus den 1. Thessalonicherbrief.


Nach Ansicht mancher Neutestamentler schrieb der Apostel diesen Brief nicht nur, um die thessalonischen Christen für die Standhaftigkeit, die sie in den Verfolgungen bewiesen, zu loben, sondern auch, weil er verschiedene Fragen beantworten wollte, die sie ihm durch Timotheus hatten überbringen lassen. Tatsächlich geht aus dem Text des Briefes eindeutig hervor, daß Paulus hier auf bestimmte Fragen reagiert (vgl. 1Thes 4,9;5,1 ), wenn es auch keine externen Belege für die Existenz eines Schreibens von seiten der Gemeinde in Thessalonich gibt. Möglicherweise hat Timotheus die Fragen mündlich übermittelt. Ein weiterer Grund für die Abfassung des Briefes lag darin, gewisse Falschinformationen und falsche Anschuldigungen, die nach Paulus' Weggang in Thessalonich zirkuliert waren, richtigzustellen. Schließlich lag es Paulus am Herzen, die Gläubigen in ihrem Glauben zu bestärken und zu ermutigen.


1. Thessalonicher
 Zweck des Briefes

 Der Brief an die Thessalonicher ist in besonderer Weise von dem seelsorgerlichen Gedanken getragen, bestimmte Bedürfnisse und Nöte in der Gemeinde zu stillen. Der Apostel ermutigte seine Glaubensbrüder, trotz der Verfolgungen standhaft zu bleiben. Er wies dabei mehrere ihm persönlich geltende Anschuldigungen, die von den Gegnern des Evangeliums aufgebracht worden waren, zurück: daß die Missionare nur gepredigt hätten, um sich finanziell zu bereichern oder sich in anderer Weise persönliche Vorteile zu verschaffen; daß er Thessalonich überstürzt verlassen habe und bisher nicht zurückgekehrt sei, weil er ein Feigling und Heuchler sei. Doch Paulus stellte auch einige die christliche Lebensführung betreffende Irrtümer richtig, die sich in die Gemeinde eingeschlichen hatten: den Hang zu moralischer Laxheit und Gleichgültigkeit und eine spürbare Tendenz, den geistlichen Leitern der Gemeinde nicht den ihnen zustehenden Respekt entgegenzubringen. Darüber hinaus erklärte er den Gläubigen, was mit denen geschehen würde, die vor der Wiederkunft des Herrn sterben.



1. Thessalonicher

Abfassungsort und Datierung des Briefes


Bestimmte Hinweise in Apg 17;18 sowie im 1. Thessalonicherbrief selbst sprechen dafür, daß Paulus den Brief in Korinth schrieb.

 Offensichtlich entstand das Schreiben kurz nach seiner Ankunft in der Stadt ( Apg 17,1-10; Apg 18,1). Die Verweise auf die Statthalterschaft des Gallio in Korinth (vgl. Apg 18,12 ), die man auf alten Inschriften gefunden hat, ermöglichen außerdem relativ genaue Angaben darüber, wann Paulus in Korinth war: in den frühen 50er Jahren des 1. Jahrhunderts (Jack Finegan, Light from the Ancient Past, Princetown 1969, S. 282). Konservative Gelehrte plädieren daher für eine Abfassung des 1. Thessalonicherbriefs zwischen den Jahren 50 und 54 n. Chr. Damit wäre der Brief eines der frühesten Schreiben des Apostels, möglicherweise sein zweites nach dem Galaterbrief.


1. Thessalonicher

Authentizität des Briefes

Die Authentizität des 1. Thessalonicherbriefes wird im allgemeinen nicht angezweifelt. Es gab im letzten Jahrhundert zwar Einwände gegen eine Verfasserschaft des Paulus, die jedoch mittlerweile ausgeräumt sind (vgl. z. B. A. Robert und A. Feuillet, Hrsg., Introduction to the New Testament, New York 1965, S. 390).

1. Thessalonicher

 GLIEDERUNG


 I.  Grußort (1,1)

 II. Persönliche Empfehlungen und Erklärungen   (1,2-3,13)

A. Danksagung für die Thessalonicher
(1,2-10)
1. Allgemeiner Dank (1,2-3)
2. Besondere Gründe (1,4-10)

B. Mahnung an die Thessalonicher (2,1-16)

1. Die paulinische Verkündigung des Evangeliums (2,1-12)
2. Die Reaktion der Thessalonicher auf die Verkündigung (2,13-16)

C. Engagement für die Thessalonicher (2,17-3,13)

1. Die Pläne des Apostels (2,17-20)
2. Der Besuch des Timotheus (3,1-5)
3. Der Bericht des Timotheus (3,6-10)
4. Das Gebet des Paulus (3,11-13)

III. Praktische Anweisungen und Ermahnungen (4,1-5,24)

A. Das christliche Leben (4,1-12)
1. Allgemeine Lebensführung (4,1-2)
2. Sexuelle Reinheit (4,3-8)
3. Brüderliche Liebe (4,9-12)

B. Die Entrückung (4,13-18)
C. Persönliche Wachsamkeit (5,1-11)
1. Der Tag des Herrn (5,1-3)
2. Das Bereitsein der Christen (5,4-11)

D. Das kirchliche Leben (5,12-15)
1. Die Haltung gegenüber den Gemeindeleitern (5,12-13)
2. Das Miteinander in der Gemeinde (5,14-15)

E. Die Heiligung des Leben (5,16-24)
1. Im persönlichen Leben (5,16-18)
2. Im Leben der Gemeinschaft (5,19-22)
3. Göttliche Befähigung zur Heiligung des Lebens (5,23-24)

 IV. Schluß (5,25-28)

 A. Persönliche Appelle (5,25-27)
B. Segen (5,28)

1. Thessalonicher
AUSLEGUNG
 I. Grußwort
(1,1) 1Thes 1,1

Briefe in der griechisch-römischen Kultur, die aus dem 1. Jahrhundert stammen, weisen in ihrer Einleitung gewöhnlich drei Elemente auf, die auch am Anfang des 1. Thessalonicherbriefs nicht fehlen: den Namen des oder der Verfasser(s), den Namen des oder der Adressaten und ein formales Grußwort.

Der Schreiber des vorliegenden Briefes ist der Apostel Paulus. Sein Name taucht gleich zu Anfang auf, und auch an anderer Stelle im Brief spricht Paulus im Singular von sich (z. B. 1Thes 3,5 ). Er ist jener Saulus von Tarsus, dessen hebräischer Name "der Erbetete" bedeutet. Sein römischer Name Paulus, unter dem er bekannter war, bedeutet so viel wie "klein". Silvanus und Timotheus treten als Mitverfasser des Briefes auf. Paulus war also der eigentliche Autor, und Silvanus und Timotheus schlossen sich seinen Ausführungen an. Möglicherweise fungierte Silvanus in diesem Fall als Sekretär des Apostels. Mit dem Pronomen "wir", das Paulus im 1. Thessalonicherbrief immer wieder gebraucht, schließt er entweder diese beiden Männer in seine Ausführungen mit ein (z. B. 1Thes 1,2;2,1 usw.), oder er verwendet den Plural als autoritative Sprachform.

 "Silvanus" ist die römische Form von "Silas", die von Paulus wie auch von Petrus (1Pet 5,12) durchgehend in den Briefen verwendet wird, während Lukas den Namen "Silas" gebraucht ( Apg 15,22 usw.). Silvanus war Paulus' engster Mitarbeiter auf seiner zweiten Missionsreise (Apg 15,40 ). Bei Timotheus handelte es sich sicherlich um jenen jungen Mann, den Paulus - wahrscheinlich bei seinem Besuch in Kleinasien auf seiner ersten Missionsreise ( Apg 13-14 ) - zum Glauben an Christus bekehrte (1Tim 1,2 ). Seinen Namen (der "von Gott Geehrter" oder "Gottesfürchtiger" bedeutet) erhielt er zweifellos von seiner Mutter Eunike, die sehr fromm war (2Tim 1,5). Sein Vater war wahrscheinlich ein Grieche, der sich nicht zum Christentum bekehrt hatte (Apg 16,1 ). Dieser junge Mann war kurz zuvor von einer Reise nach Thessalonich mit Nachrichten über die dortige Gemeinde zu Paulus gestoßen (1Thes 3,1-2.6 ). Die drei Missionare waren ohne Zweifel die den thessalonischen Christen am besten bekannten und von ihnen am höchsten verehrten christlichen Prediger.

Die Adressaten des Briefes werden im einleitenden Grußwort als "die Gemeinde in Thessalonich" angesprochen. Eine solche Ortsgemeinde ist eine kleine Gruppe von Menschen, die sich durch ihren Glauben an Gott von der großen Menge abhebt.

 Die Gemeinde wird als Gemeinschaft in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus bezeichnet. Für Paulus war Jesus Christus Gott, dem Vater, gleichgestellt. Er hatte das schon bei seinem Besuch in Thessalonich gepredigt (Apg 17,3 ) und bestätigt es nun erneut. Das Gott zugeschriebene Attribut "Vater" birgt in sich die Konnotation von Sicherheit, Liebe und Stärke. Paulus setzt diesem Bild nun die Erinnerung gegenüber, daß Gott der Sohn in gleicher Weise Herr ist; er ist der König, dem die Menschen Gehorsam schulden. "Jesus" ist der menschliche Name des Herrn, die griechische Form des hebräischen "Josua", zu deutsch "Retter". "Christus" wiederum ist die griechische Übersetzung des alttestamentlichen Titels "Messias" und bedeutet "der Gesalbte".

Der 1. Thessalonicherbrief wird nur mit der Kurzform der in den paulinischen Briefen üblichen Grußfloskel eröffnet. Der gebräuchliche griechische Gruß - "Gnade" - bedeutet soviel wie "Grüße" oder "Freude". Friede ist das griechische Äquivalent zum hebräischen SAlNm - "Glück", "Reichtum" oder "Wohlergehen". Es ist interessant, daß diese beiden Grußworte im Neuen Testament immer in der hier gegebenen Reihenfolge auftreten. Theologisch gesprochen ist die Gnade Gottes die Grundlage und der Garant für den Frieden der Menschen.

1. Thessalonicher
 II. Persönliche Empfehlungen und Erklärungen
(1,2-3,13)

 Im großen und ganzen behandeln die drei ersten Kapitel des 1. Thessalonicherbriefes persönliche Dinge. In den beiden letzten wendet der Apostel sich dann praktischen Angelegenheiten des Gemeindelebens zu.

A. Danksagung für die Thessalonicher
(1,2 - 10)

 Das erste Kapitel kreist hauptsächlich um das Thema der Rettung. Paulus sieht an verschiedenen Stellen Grund zum Dank für die Rettung der thessalonischen Christen.

1. Allgemeiner Dank
 (1,2-3)

In diesen beiden Versen formuliert Paulus seine Dankbarkeit gegenüber Gott und erläutert kurz, warum er sich so über die Gemeinde in Thessalonich freut.


 1Thes 1,2

Paulus, Silvanus und Timotheus freuen sich gemeinsam an dem, was Gott im Leben der von ihnen Bekehrten bewirkt hat. Die Thessalonicher sind ihnen ein ständiger Anlaß zu Dank und Freude, und wann immer sie für die Gemeinde beten, preisen sie Gott für sie. Statt wie so viele andere ihren Gründern Kummer zu machen, kann diese Gemeinde allen Christen als Vorbild dienen.

1Thes 1,3

 Paulus denkt dabei vor allem an drei Dinge, die in der Lebensführung der thessalonischen Christen offenbar werden. Zum einen haben sie ein wichtiges Werk im Glauben (wörtlich: "des Glaubens") an Christus vollbracht, indem sie sich, wie Vers 9 deutlich macht, von ihren heidnischen Götzen zu dem einen, wahren Gott bekehrt haben. Ihr christlicher Glaube hat also zu echter Buße geführt. Zum zweiten leisten sie Arbeit (kopou, "Mühe") in der Liebe (wörtlich: "der Liebe") für Christus, indem sie dem lebendigen und wahren Gott ( V. 9) inmitten von Verfolgungen (V. 6) dienen. Schließlich zeigen sie Geduld (hypomonEs; wörtlich: "geduldiges Ertragen einer schweren Last"; vgl. 2Thes 1,4) in der Hoffnung (wörtlich: "der Hoffnung") auf Christus, indem sie auf die Wiederkunft des Gottessohnes vom Himmel warten (1Thes 1,10 ). Die drei Kardinaltugenden, die eigentlich jeden Christen auszeichnen sollten, nämlich Glaube, Liebe und Hoffnung, spielen im Leben der thessalonischen Christen also eine entscheidende Rolle (vgl. 1Kor 13,13 ). Alle diese Tugenden fanden ihre Erfüllung in Jesus Christus, und sie alle führen zu einem lobenswerten Lebenswandel. Die Thessalonicher haben in der Vergangenheit gezeigt, daß sie den rettenden Glauben an Christus angenommen haben, indem sie sich dem Evangelium öffneten. In ihrem gegenwärtigen Leben wird ihre Liebe zu Christus nun deutlich sichtbar, und zugleich leben sie ganz in der Hoffnung auf seine zukünftige Wiederkehr. Ihr ganzes Dasein ist damit auf Jesus Christus ausgerichtet. Das mußte Paulus und seine Mitarbeiter mit Freude und Dankbarkeit erfüllen.

1. Thessalonicher

2. Besondere Gründe
(1,4 - 10)
1Thes 1,4

Die Reaktion der Thessalonicher auf die Verkündigung des Evangeliums war der unwiderlegliche Beweis, daß sie gerettet sind. Paulus erinnert im folgenden an die Bereitwilligkeit, mit der sie den neuen Glauben annahmen.

Meistens spricht er seine Glaubensgenossen als "liebe Brüder" an. Er benutzt diesen Begriff (adelphoi) allein in diesem kurzen Brief fünfzehnmal ( 1Thes 1,4;2,1.9.17;3,7;4,1.10.13;5,1.4.12.14.25-27 ) und siebenmal im 2. Thessalonicherbrief ( 1Thes 1,3;2,1.13.15;3,1.6.13 ). Der Apostel hält sich also in keiner Weise für überlegen über die von ihm Bekehrten. Für ihn sind alle Erlösten im Angesicht des himmlischen Vaters gleich, wie er auch an anderer Stelle lehrte (z. B. 1Kor 12,14-27 ) und wie es der Herr gelehrt hatte ( Mt 23,9 usw.). Paulus hatte eine lange Entwicklung von seiner einstigen Haltung als stolzer Pharisäer bis jetzt, wo er sich mit Heiden als vor Gott gleichgestellt empfand, durchgemacht. Schon seine ersten Aussagen im Thessalonicherbrief sind zutiefst erfüllt von dem Gedanken an die Gegenwart (1Thes 1,3) und Liebe Gottes.


Gottes Liebe zu den Thessalonichern hat sich darin erwiesen, daß er sie zum Heil erwählt (eklogEn ) hat. Daß Gott Menschen erwählt und mit dem ewigen Leben gesegnet hat, wird sowohl im Alten als auch im Neuen Testament an vielen Stellen gezeigt (vgl. 5Mo 4,37; 7,6-7; Jes 44,1-2; Röm 9; Eph 1,4-6.11; Kol 3,12; 2Thes 2,13 ). Zugleich wird aber auch immer deutlich, daß Gott jeden einzelnen persönlich für seine Entscheidung verantwortlich macht, Jesus anzunehmen oder abzulehnen (vgl. Joh 3; Röm 5 ). Die Schwierigkeit, die göttliche Gnadenwahl und die menschliche Eigenverantwortung miteinander zu vereinbaren, liegt darin, zu begreifen, wie beides in gleicher Weise wahr sein kann. Daß dem so ist, wird in der Bibel eindeutig ausgesagt, doch wie das möglich sein kann, ist für die begrenzte menschliche Einsicht beinahe nicht nachvollziehbar. So ist es denn auch bislang nicht gelungen, diese Antinomie zufriedenstellend zu erklären oder aufzulösen. Eine solche Aufgabe übersteigt offenbar die geistigen Fähigkeiten des Menschen, wie es seine visuellen Fähigkeiten übersteigt, Engel wahrzunehmen, oder wie er bestimmte sehr hohe Töne nicht hören kann. Die Reaktion der Thessalonicher auf das Evangelium bewies jedoch auf jeden Fall, daß sie erwählt waren.

1Thes 1,5

 Der Glaube der bekehrten Thessalonicher war ein übernatürliches Werk Gottes, keine normale Reaktion auf eine gut verständliche Predigt, denn das, was Paulus ihnen sagte, stimmte keineswegs in allen Punkten mit dem normalen menschlichen Empfinden und der damaligen Philosophie überein (vgl. 1Kor 2,1-5). Seine Botschaft wurde vielmehr getragen von der Kraft Gottes (vgl. Röm 1,16), und seine in dem Heiligen Geist und in großer Gewißheit (Joh 16,8 ) gesprochenen Worte drangen in die Herzen seiner Zuhörer. Paulus' Predigt war also bestimmt von seiner eigenen Zuversicht, daß seine Verkündigung das Leben seiner Hörer verändern würde, wie dies in Thessalonich denn auch in radikaler Weise geschah.

Der Apostel und seine Reisegefährten predigten nicht nur eine überzeugende Wahrheit, sie lebten auch imEinklang mit dem, was sie sagten. Die Thessalonicher waren Zeugen dieser Lebensführung und wußten, daß die Motive ihrer Lehrer völlig selbstlos nur auf das Wohl ihrer Zuhörer gerichtet waren. Die verkündete Botschaft - das Evangelium der Gnade Gottes - hatte diese Mazedonier in ihrem Denken und Fühlen ergriffen und sie gerettet. Und ihr Glaube trug reiche Frucht.


1Thes 1,6

Am deutlichsten zeigte sich das in ihrem Verhalten. Sie waren dem Beispiel ihrer geistigen Väter, der Missionare, gefolgt , wie es von den Christen ganz selbstverständlich gefordert wird. Zugleich aber bemühten sie sich auch darum, dem Herrn nachzufolgen - auch das eine ganz natürliche Entwicklung. Der "frischgebackene" Christ orientiert sich zunächst einmal an seinen Glaubensbrüdern, doch dann allmählich, mit zunehmender Reife im Glauben, erkennt er immer mehr, daß Jesus Christus sein eigentliches Vorbild sein muß (vgl. 1Pet 2,21).

Trotz großer Bedrängnis haben die Thessalonicher das Wort ... mit Freuden ... aufgenommen . Die Judenchristen unter ihnen müssen dabei den Haß ihrer ehemaligen Glaubensbrüder besonders schmerzhaft zu spüren bekommen haben, die sich, wie bereits erwähnt, in dieser Stadt dem Evangelium mit besonderer Heftigkeit entgegenstellten. Die Heidenchristen wiederum mußten sich gegen die starken heidnischen Strömungen behaupten, die die Handelsmetropole Thessalonich überschwemmten. Die Patrizierfrauen schließlich, die sich zum Christentum bekehrt hatten, sahen sich dem Problem gegenüber, mit ihren ungläubigen Ehemännern zusammenzuleben, die das neu erwachte Bewußtsein ihrer Frauen sicherlich nicht immer zu schätzen wußten. Doch trotz der äußeren Widrigkeiten waren die thessalonischen Gläubigen von innerer Freude erfüllt, die aus der Gewißheit entsprang, daß ihnen ihre Sünden vergeben waren. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß Christen, die in ihrem Alltag Unannehmlichkeiten wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind, oft größere Freude im Herrn zu haben scheinen als diejenigen, die in einem toleranteren geistigen Klima leben. Die Freude eines Christen sollte denn auch nicht von den äußeren Umständen, sondern von seiner Verbundenheit mit Christus bestimmt sein. Das war bei den Thessalonichern der Fall. Ihre innere Freude kam aus dem Heiligen Geist, der in ihnen Wohnung genommen hatte.


1Thes 1,7

Das Zeugnis der thessalonischen Christen war nicht nur in ihrer Heimatstadt lebendig; es erreichte auch andere Menschen in verschiedenen Teilen Mazedoniens bis hin nach Achaja, der südlichen Nachbarprovinz. Als Nachahmer der Missionare und des Herrn (V. 6 ) wurden sie selbst wiederum zum Leitbild für andere Gläubige. So verweist Paulus in seinem Schreiben an die Korinther auf die Mazedonier als ein Vorbild (typon; vgl. 2Thes 3,9) in ihrer Opferbereitschaft (2Kor 8,1-8 ). Obwohl sie nicht wohlhabend waren, hatten sie Spenden zur Unterstützung anderer Gläubiger aufgebracht. Einer der deutlichsten Belege für die Echtheit des christlichen Glaubens ist es, wie der Gläubige mit seinem Geld umgeht. In dieser Hinsicht hatten sich die Thessalonicher als lautere Christen erwiesen.


1Thes 1,8
 Hier wird erklärt, wie die Thessalonicher zum Vorbild für andere Christen wurden. Nachdem sie das Evangelium empfangen hatten (V. 5), gaben sie es an andere weiter. Das Wort exEchEtai , hier mit "erschallen" wiedergegeben, könnte auch mit "widerhallen" übersetzt werden. Paulus betrachtete die Thessalonicher sozusagen als "Verstärker" des Evangeliums, von denen seine Botschaft mit größerer Kraft und Reichweite weiter verbreitet wurde. Die Predigt des Apostels in Thessalonich war vergleichbar mit einer Ansprache über ein Massenmedium. Seine Worte wurden empfangen und von vielen verschiedenen "Sendern" in entfernte Gegenden weitergetragen, in die sie sonst nie vorgedrungen wären. Das Zeugnis der Thessalonicher wurde offensichtlich nicht, wie bei der paulinischen Mission in Thessalonich und an anderen Orten, durch eine organisierte Evangelisationskampagne verbreitet. Es war vielmehr die Lebensführung und das persönliche Zeugnis der Bekehrten, durch die ihre Nachbarn von ihrem Glauben an Gott erfuhren. Dadurch wurde das Evangelium an allen Orten laut, so daß eine apostolische Mission gar nicht mehr notwendig war.


 1Thes 1,9

Paulus hörte von dritter Seite, was in Thessalonich geschehen war, nachdem er dort das Evangelium verkündigt hatte. Das Zeugnis der thessalonischen Christen war ganz ohne sein Zutun weit über die Grenzen der Stadt hinausgedrungen. Die Freimütigkeit dieser Christen wurde so zu einer Ermutigung für alle Gotteskinder.

Die Aussage, daß die Thessalonicher sich von den Abgöttern zu dem einen wahren Gott bekehrt hatten, deutet darauf hin, daß ein großer Teil der Gemeinde ehemalige Heiden waren, denn die Juden verabscheuten den Götzendienst. Es ist einmal gesagt worden, daß die Menschen die Freiheit haben, sich einen Herrn zu erwählen, nicht aber die Freiheit, ohne Herrn zu leben. Die Thessalonicher hatten sich dafür entschieden, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, nicht den Geschöpfen Gottes oder dämonischen Mächten (vgl. Röm 1,18-23 ). Die Lebendigkeit und das Person-Sein Gottes waren für Paulus von ebenso großer Bedeutung wie für die jüdische Religion, denn diese Eigenschaften sind es, durch die Gott im Alten Testament immer wieder von den sogenannten "Göttern" unterschieden wird. Er allein ist der Lebendige; alle anderen Götter sind tote Götzen, die der Anbetung nicht wert sind.

1Thes 1,10

Die Thessalonicher haben sich jedoch nicht nur reuig Gott zugewandt, um ihm zu dienen, sie leben auch in der Erwartung seines Sohnes vom Himmel. Paulus dachte bei dem Begriff "Himmel" möglicherweise an die Wolke, in der Jesus gen Himmel fuhr ( Apg 1,9-11 ), weniger an seinen himmlischen Herrscherthron zur Rechten des Vaters ( Offb 4,2-11 ). In diesem Fall will er also sagen, daß die Thessalonicher Jesus aus den Wolken erwarteten.


Doch es sind nicht die Wolken oder andere übernatürliche Zeichen für das Kommen des Herrn oder auch die Erlösung, auf die diese Gläubigen schauen. Das Zentrum ihrer Erwartung ist die Person Jesus, der Sohn des lebendigen Gottes, der der Gegenstand ihrer Hoffnung ist.

 Daß Paulus hier den menschlichen Namen "Jesus" gebraucht, ist ein Beleg für die Gottheit des Jesus von Nazareth, der denn auch in der Folge als Sohn Gottes, der durch den lebendigen Gott von den Toten auferweckt wurde, bezeichnet wird. In der Tatsache der Auferweckung ist der letzte unwiderlegliche Beweis (vgl. 1Kor 15,14-19 ) seiner Göttlichkeit gegeben.


Die Wiederkunft Jesu ist aus mannigfachen Gründen eine Quelle der Hoffnung für die Gläubigen. Der Grund, den Paulus hier herausgreift, ist die Tatsache, daß Jesus seine Heiligen von dem zukünftigen Zorn Gottes errettet. Gottes Zorn wird sich über die Ungerechten ergießen, weil sie nicht auf Christus vertraut haben ( Joh 3,36; Röm 1,18). Das geschieht oft und auf vielfache Weise, am furchtbarsten aber im Gericht vor dem großen weißen Thron ( Offb 20,11-15 ). Die "Zeit der Angst für Jakob" ( Jer 30,4-7 ), auch als die Zeit der "großen Trübsal" (Offb 7,14) bezeichnet, wird eine Zeit in der Geschichte der Menschheit sein, in der Gottes Zorn sie treffen wird wie nie zuvor (vgl. Offb 6-19 ).


Dachte Paulus hier an einen besonderen Zeitpunkt, an dem Gottes Zorn hereinbrechen würde (1Thes 1,10 ), oder sprach er in einer eher allgemeinen Weise davon? Paulus, die thessalonischen Gläubigen wie auch die Christen von heute werden auf jeden Fall allen Bedrängnissen des göttlichen Zornes, auch der Zeit der großen Trübsal, entgehen. Dieser Vers zeigt auf jeden Fall ganz eindeutig, daß Paulus in einer unmittelbaren Naherwartung der Wiederkunft Christi lebte, denn sonst hätte er seinen Lesern geraten, sich auf diese schlimme Zeit vorzubereiten.

 Das Wörtchen "von" in der Wendung "von dem zukünftigen Zorn" bedeutet, daß die Christen im Zorn Gottes bewahrt werden, nicht aber aus dieser Zeit herausgenommen werden. Das gleiche Verb (errettet) mit der Präposition "von" taucht in 2Kor 1,10 auf, wo Paulus berichtet, wie er aus einer tödlichen Gefahr gerettet wurde. Er will damit offensichtlich nicht zum Ausdruck bringen, daß er gestorben ist und auferweckt wurde. Die Christen werden dem Zorn Gottes gar nicht ausgesetzt sein, nicht nur in ihm bewahrt werden (vgl. den Kommentar zu Offb 3,10).


Wie jedes Kapitel im 1. Thessalonicherbrief beschließt Paulus auch diese Passage mit dem Hinweis auf die Wiederkunft Christi ( 1Thes 1,10; 2,19; 3,13; 4,13-18; 5,23 ).



1. Thessalonicher
 B. Mahnung an die Thessalonicher
(2,1 - 16)

 Im folgenden wendet sich Paulus anderen Vorkommnissen während seines Besuches in Thessalonich zu.


1. Die paulinische Verkündigung des Evangeliums
 (2,1 - 12)

 Im ersten Teil des zweiten Kapitels geht Paulus erneut auf seinen Aufenthalt in Thessalonich ein. Seinen Worten ist zu entnehmen, daß ihm aus Kreisen außerhalb der Gemeinde der Vorwurf gemacht wird, aus unlauteren Motiven gehandelt und sich nicht korrekt verhalten zu haben.

1Thes 2,1

 In Vers 1-6 rekapituliert Paulus nochmals seine Handlungen in Thessalonich und erläutert die Motive, die ihnen zugrunde lagen. Das ganze zweite Kapitel ist dann sozusagen eine Erweiterung von Kapitel 1,9. Das Pronomen "ihr" steht im Griechischen an betonter Stelle; Paulus appelliert also an seine Leser, sich die damaligen Geschehnisse genau ins Gedächtnis zu rufen. Im Rückblick mußten sie sich sagen, daß der Besuch des Apostels nicht vergeblich gewesen war. Er war nicht nur nach Thessalonich gekommen, um leere Reden zu halten. Vielmehr bezeugte der tiefgreifende Wandel im Leben der thessalonischen Gläubigen den Wert und den Erfolg seines Wirkens in der Stadt.


1Thes 2,2

 Der Apostel und seine Gefährten befanden sich damals nicht auf einer Vergnügungsreise. Sie waren nach Thessalonich gekommen, nachdem sie in Philippi geschlagen und für die Verkündigung des Evangeliums eingesperrt worden waren, nachdem sie gelitten hatten und mißhandelt worden waren ( Apg 16,22-24 ). Ihr Missionsauftrag hatte einen hohen Preis von ihnen verlangt, doch Gott verlieh ihnen den außergewöhnlichen Freimut, auch nach diesen schlimmen Erfahrungen die gleiche Botschaft, die ihnen in Philippi so schwere Verfolgungen eingetragen hatte, in der Synagoge in Thessalonich zu verkündigen. Selbst als sie in Thessalonich ebenfalls auf Widerstand trafen, ließen sie sich nicht beirren und setzten die Verkündigung fort. Das ist nicht das Verhalten von Leuten, die auf Geld oder persönlichen Ruhm aus sind. Paulus ruft seine Leser deshalb auf, sich an diese Vorgänge zu erinnern und sie in ihrer vollen Tragweite zu begreifen. Der Freimut der Missionare inmitten von Kampf war ein Zeichen, daß Gott in seinen Dienern am Werk war, und ein Beweis der Authentizität ihrer Berufung.

1Thes 2,3

 Paulus' Handlungsweise (die die Thessalonicher miterlebt hatten) zeugte von seiner Aufrichtigkeit und von der Lauterkeit seiner Motive (die sie zwar nicht sehen konnten, die Paulus ihnen hier aber nennt). Der Apostel weist in diesem Zusammenhang drei Unterstellungen entschieden zurück: (a) Seine Botschaft war wahr und in keiner Weise betrügerisch. (b) Seine Motive waren nicht unlauter, sondern rein. (c) Seine Vorgehensweise basierte nicht auf List, sie war nicht irreführend oder auf Täuschung angelegt, sondern klar und aufrichtig.

1Thes 2,4

 In starkem Kontrast zu den zuvor genannten negativen Beweggründen, die ihm von seinen Gegnern untergeschoben werden, stellt Paulus klar, daß er aus völlig uneigennützigen Motiven und reinem Herzen heraus gepredigt hat. Er und seine Begleiter sprachennicht, als wollten wir den Menschen gefallen, sondern Gott. Weil Gott sie für wert geachtet (dedokimasmetha; "sich in einer Prüfung als echt erwiesen") hat, hat er ihnen das Evangelium anvertraut. Paulus verwendet den Begriff "Evangelium" fünfmal im 1. Thessalonicherbrief ( 1Thes 1,5;2,2.4.8;3,2 ). Der Apostel und seine Mitarbeiter waren seit Jahren erprobte Missionare. Gott hätte ihr Werk nicht so segnen können, wenn sie aus unrechten Beweggründen heraus gehandelt hätten. Paulus sah sich selbst als Haushalter Gottes, dem die Botschaft des Heils anvertraut war, damit er sie den Verlorenen bringe (vgl. 1Kor 9,17). Er hatte sich diese Arbeit nicht ausgesucht, sondern Gott hatte ihn für die Verkündigung erwählt. Der Apostel nahm diese Verantwortung nicht leicht, denn er war der Ansicht, daß sein ganzes Tun immer vor Gottes prüfendem Auge offenlag. Er hätte es nie gewagt, ihn zu betrügen.

 
1Thes 2,5

Paulus' Predigt vor den Thessalonichern zielte niemals darauf ab, einen günstigen Eindruck zu machen. Das ruft er ihnen eindringlich ins Gedächtnis. Weder heuchelte er, noch benutzte er die Verkündigung als Vorwand, um etwas für sich selbst zu erreichen. Da die Thessalonicher das nicht wissen können, ruft er Gott als Zeugen an.


1Thes 2,6
Die Missionare haben nicht menschliche Ehre, sondern das Lob Gottes gesucht . Es gab im Römischen Reich in der damaligen Zeit sehr viele wandernde Philosophen und Redner. Sie reisten von Ort zu Ort, sprachen vor den Menschen und versuchten, Anhänger um sich zu scharen, um berühmt und reich zu werden. Paulus und seine Begleiter hatten nicht das Geringste mit solchen Leuten gemein. Statt etwas für sich selbst haben zu wollen, bestand ihre Freude darin, den anderen etwas zu geben.

1Thes 2,7
 In Vers 7 - 9 wendet Paulus sich von den Tätigkeiten der Prediger stärker der Reaktion der Hörer zu. Er selbst, Silvanus und Timotheus hätten durchaus ein Recht auf finanzielle Unterstützung und Respekt von seiten der Gemeinde gehabt (vgl. 1Tim 5,18). Doch um der von ihnen Bekehrten willen zogen sie es vor zu dienen, statt sich bedienen zu lassen. Sie sorgten für ihre Schützlinge, wie eine Mutter ihre Kinder pflegt . Dieses anschauliche Bild läßt sich gut auf alle die übertragen, denen die Seelsorge für neu Bekehrte anvertraut ist. Wenn eine stillende Mutter nicht ißt, hat sie keine Milch für ihr Kind. Wenn sie bestimmte Nahrungsmittel zu sich nimmt, kann das Kind krank werden. Ganz ähnlich ist es mit der geistlichen Nahrung eines Christen bestellt, der für einen neuen Glaubensbruder verantwortlich ist. Die Freundlichkeit und Selbstlosigkeit, die Paulus als geistiger Vater der thessalonischen Gemeinde an den Tag legte, wird in dem Beispiel der Mutter für jeden einsichtig.


1Thes 2,8

 Die Missionare hatten ... Herzenslust daran, den Thessalonichern an allem, was sie besaßen, teil zu geben. Sie brachten ihnen nicht allein das Evangelium Gottes, sondern teilten auch ihr Leben (wörtlich: "unsere Seelen") mit ihnen, weil sie sie lieb gewonnen hatten. Wirkliche Liebe zeigt sich daran, daß sie den Geliebten nicht nur in seinen geistigen Bedürfnissen - die natürlich Vorrang haben - beschenkt, sondern auch für seine körperlichen Bedürfnisse Sorge trägt.

1. Thessalonicher
 1Thes 2,9

 Paulus diente den von ihm Bekehrten durch Arbeit (kopon; vgl. das gleiche Wort für Arbeit in 1Thes 1,3) und Mühe (mochthon). Er arbeitete Tag und Nacht, um ihnen nicht zur Last zu fallen (vgl. 2Thes 3,8). Wahrscheinlich übte er tagsüber seinen Beruf als Zeltmacher aus, wie er es auch in anderen Städten getan hatte (Apg 18,3). Daneben predigte er das Evangelium Gottes und lehrte die Leute nach bestem Vermögen, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab.


1. Thessalonicher
1Thes 2,10

 Die Verse 10-12 fassen den paulinischen Appell an die Thessalonicher nochmals zusammen. Die Apostel rufen ihre Leser und Gott als Zeugen für die Untadeligkeit ihres Verhaltens und ihrer Motive an. Ihre innere Überzeugung führt sie überall und jederzeit zu einem frommen (heilig, hosiOs)Leben. Gemessen an Gottes objektivem Urteil war ihr Betragen in Thessalonich gerecht (amemptOs; vgl. 1Thes 5,23) und konnte jeder Kritik standhalten. Für die Wahrheit dieser Behauptung sind Gott und die Thessalonicher Zeugen (vgl. 1Thes 2,5).


1. Thessalonicher

1Thes 2,11

Wie Paulus die Haltung der Missionare mit der liebevollen, selbstlosen Sorge einer Mutter verglich (V. 7), so setzt er sie nun der eines Vaters gleich. Er denkt dabei an die Unterweisung und Belehrung, die sie den Thessalonichern zu vermitteln versuchten, wie ein verantwortungsvoller Vater, der seine Kinder auf den rechten Weg weist. Das Wort tekna, "Kinder", macht sowohl die geistige Unreife der thessalonischen Gläubigen als auch die liebevolle Zuwendung der Apostel ihnen gegenüber deutlich. Zum vierten Mal gebraucht Paulus in diesem Vers die Wendung "ihr wißt" (vgl. 1Thes 1,5;2,2.5 ).

1Thes 2,12
Zur Unterweisung der Apostel gehörte es, die Gläubigen zu ermahnen (parakalountes), zu trösten (paramythoumenoi), um sie wieder aufzurichten und zum rechten Verhalten zu ermutigen, und ernstlich in sie zu dringen (beschworen, martyromenoi ). Diese Appelle hatten bei den Thessalonichern Frucht getragen und sie dazu bewegt, der überzeugenden Kraft des Geistes nachzugeben.

Ein Leben würdig des Gottes zu führen, der euch berufen hat, ist denjenigen, die Gottes gnädige Rettung am eigenen Leib erfahren haben, das höchste Anliegen. Paulus unterstreicht diese Ermahnung noch, indem er seine Leser daran erinnert, daß sie in besonderer Weise von Gott erwählt wurden, berufen ... zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit.

1. Thessalonicher
2. Die Reaktion der Thessalonicher auf die Verkündigung
(2,13 - 16)

An dieser Stelle fährt Paulus mit der Schilderung seiner Freude fort, wie das einleitende "und" zeigt. Er wendet sich nun der Reaktion der Thessalonicher auf die Verkündigung zu.

 1Thes 2,13

Hier kommt ein zweiter Grund für die Freude, die den Apostel erfüllt, zur Sprache. Nicht nur werden im Leben der thessalonischen Christen die Früchte der Gerechtigkeit offenbar (1Thes 1,3), auch die Art und Weise, wie sie mit dem Wort der göttlichen Predigt umgingen, macht den Missionaren Freude. Das "Wort der göttlichen Predigt" steht hier eindeutig für die Botschaft, die sie verkündigten. Als die Thessalonicher diese Botschaft hörten, erkannten sie, daß es sich nicht einfach um Menschenworte handelte, sondern um Gottes Wort (vgl. 1Thes 1,5 ). Menschen könnten und wollten sich eine Botschaft wie das Evangelium gar nicht ausdenken. Berührt von der Kraft des Heiligen Geistes spürten die Thessalonicher die übernatürliche Wahrheit, die in der paulinischen Predigt lebte. Wenn Christen von ihrem Glauben sprechen, sprechen sie nicht einfach nur von ihrer eigenen Weltanschauung inmitten der unendlich vielen menschlichen Lebensphilosophien, sondern verkündigen die von Gott offenbarte Wahrheit, das Wort Gottes.


Dem verkündeten Gotteswort wohnt die Macht zur Veränderung inne. Daher bezeichnen es die Propheten des Alten Testaments als "mächtig" und sagen, daß "keins von allen ... Worten" Gottes zur Erde fällt (d. h., daß jedes sein Ziel erreicht; vgl. 1Sam 3,19). Hinter dem Wort Gottes steht Gottes schöpferische Macht (1Mo 1,3 ). In diesen Zusammenhang stellt Paulus auch die Wandlung, die mit den Thessalonichern vorgegangen war, nachdem sie das Wort Gottes gehört hatten. Es hatte nicht nur in der Vergangenheit Veränderungen in ihnen bewirkt, sondern

verwandelt sie immer weiter, weil sie glauben. (Das Wort "glaubt" steht im Griechischen im Präsens, was eine fortgesetzte Handlung ausdrückt.) Die Wahrheit Gottes macht die von der Sünde befallenen Seelen der Menschen wie eine gute Medizin immer gesünder, solange die Menschen sie im Glauben annehmen.

1Thes 2,14

Paulus weist seine Leser auf das Wirken Gottes in allen Christen hin, indem er ihre Aufmerksamkeit auf eine weitere, allen Gläubigen gemeinsame Erfahrung lenkt. Wieder spricht er sie als liebe Brüder an (vgl. 1Thes 1,4;2,1 ) und schließt sich selbst in die folgenden Ausführungen mit ein. Diejenigen, deren Leben von Gott verwandelt wird, sehen sich oft der Kritik und den Angriffen von Leuten gegenüber, in denen diese göttliche Kraft nicht wirkt. In Verfolgungen neigen Christen häufig zu der Ansicht, daß sie den Segen Gottes verloren haben. Paulus hält diesem den Widersachern Gottes in die Hand arbeitenden Irrtum entgegen, daß die schlimmen Erfahrungen, die die thessalonischen Christen machen, denen entsprechen, die vor ihnen schon die Christen in Judäa durchgemacht haben. Auch sie waren dem Druck ihrer sozialen Umwelt ausgesetzt, und auch ihre Hauptgegner waren Juden.

1Thes 2,15

 Die Thessalonicher sind in ihren Leiden also nicht allein, sondern befinden sich in zahlreicher und bester Gesellschaft. Ihre Peiniger haben auch den Herrn Jesus ... und die Propheten des Alten Testaments getötet. Und sie haben ihren "Vater im Glauben", den Apostel Paulus, und seine Mitarbeiter verfolgt . Aber Paulus gibt den Juden nicht die Alleinschuld am Tod Christi. Auch die Römer waren in den Prozeß Jesu und in seine Hinrichtung verwickelt und sind daher mitschuldig geworden (1Kor 2,8), wie letztlich jeder Mensch, für dessen Sünden Jesus gestorben ist, mitschuldig an seinem Tod ist (Hebr 2,9 ). Wahrscheinlich spricht Paulus hier zuerst von der Ermordung Jesu und erst dann von den Verfolgungen, die er selbst erlitten hat, weil er das erstere Vergehen für sehr viel ernster hält.

Wer die Christen verfolgt, stellt sich damit sowohl gegen Gott als auch gegen die Menschen. Paulus weiß, wovon er spricht, denn er selbst war einst ein Verfolger der Kirche, dem erst Gott offenbart hatte, daß er gegen den Herrn kämpfte, dem er eigentlich dienen wollte ( Apg 26,14-15 ). Diejenigen, die Gottes Volk bekämpfen, bekämpfen Gott selbst, aber sie fügen auch Nichtchristen Schaden zu, denn das Schlimmste am Unglauben ist nicht, daß er den Ungläubigen dem Gericht ausliefert, sondern daß er der Rettung anderer entgegenwirkt. Solche Menschen versuchen, das Licht der Wahrheit zu löschen, und bringen damit andere zum Straucheln.


1Thes 2,16
 Ein Ungläubiger, der in bezug auf den persönlichen Glauben anderer eine tolerante Haltung einnimmt, ist weit weniger gefährlich als jemand, der sich aktiv bemüht, andere vom Evangelium fernzuhalten. Die ungläubigen Juden in Thessalonich gehörten der letzteren Kategorie an.

Sie schaden sich selbst und anderen und machen damit das Maß ihrer Sünden ... voll, für die Gott sie strafen wird. Gott straft die Menschen erst, wenn ihre Übertretungen dieses Maß erreicht haben, das er allein kennt (vgl. 1Mo 15,16). Die thessalonischen Juden arbeiteten offensichtlich eifrig darauf hin, ihr Maß zu erfüllen.

 Was Paulus hier unter dem Zorn Gottes versteht, ist nicht ganz eindeutig. Möglicherweise bezieht er sich auf die Zerstörung von Jerusalem durch die Römer im Jahre 70 n. Chr., die in nicht allzu langer Zeit bevorstand und mit deren Eintreten er so sicher rechnet, daß er davon sprechen kann, als sei sie bereits Realität geworden. Oder er denkt daran, daß Gott sich von den Juden abgewandt hat, um sich eine neue, einzigartige Gemeinschaft von Gläubigen sowohl aus Juden als auch aus Heiden zu schaffen, die nun gleichberechtigt vor ihm stehen ( Eph 2,13-16 ). Möglich ist auch, daß der Apostel an dieser Stelle eine ganz individualistische Sicht des göttlichen Zorns im Sinn hat, der sich gegen jeden richtet, der nicht an Christus glaubt (Joh 3,36). Schließlich kann er auch die Zeit der großen Trübsal gemeint haben, die ganz sicher über sie kommen wird, weil sie Jesus Christus verwerfen. Ich neige eher der letzteren These zu, da an anderen Stellen des 1. Thessalonicherbriefes vom Zorn Gottes immer im Zusammenhang mit der Zeit der großen Trübsal die Rede ist. Auch wenn man nicht abschließend entscheiden kann, welche der oben genannten Auslegungen zutrifft - sie alle sind in ihrer Art gleich plausibel -, so wissen wir doch, daß der Zorn Gottes in der Tat über die Ungläubigen kommt, die die Verkündigung des Evangeliums zu verhindern suchen. Vielleicht meint Paulus auch alles zusammen. Auf jeden Fall war das Maß des göttlichen Zorns, was jene Menschen betraf, voll.


Warum ereiferte Paulus sich so über das Schicksal der Widersacher der thessalonischen Christen? Sicherlich entsprang sein Ärger nicht persönlichem Haß (Röm 9,1-5). Eher ging es ihm wohl um die Schwere des Vergehens, das Evangelium an seiner Ausbreitung zu hindern. Die christliche Botschaft hatte die thessalonischen Gläubigen verwandelt, so daß sie selbst wiederum zu "Vervielfältigern" dieser Botschaft wurden. Das macht deutlich, wie entscheidend es ist, daß das Evangelium wirklich jeden Menschen erreicht ( Mt 28,19-20 ).

1. Thessalonicher
 C. Engagement für die Thessalonicher
(2,17 - 3,13)

 Im folgenden geht der Apostel zu neuen Entwicklungen in der thessalonischen Gemeinde und in seiner Beziehung zu ihr über.

1. Die Pläne des Apostels (2,17 - 20)

Aus der Ausführlichkeit, mit der Paulus beschreibt, warum es ihm bisher nicht möglich war, nach Thessalonich zu kommen, läßt sich ersehen, daß er seiner Gemeinde einen klaren Rechenschaftsbericht über sein Verhalten ablegen will. Offensichtlich war Kritik an seinem Betragen laut geworden.

1Thes 2,17

 Das Wörtchen "aber" stellt Paulus' eigene Erfahrungen, die er im dritten Kapitel schildert ( 1Thes 3,1-10 ), denen seiner thessalonischen Glaubensbrüder gegenüber.

Dieser Vers sagt viel über die Gefühle des Apostels für die Gemeinde in Thessalonich aus. Wieder benutzt er den affektiven Ausdruck "liebe Brüder". Seiner Darstellung nach mußte er Thessalonich aufgrund von Umständen verlassen, auf die er keinen Einfluß hatte. Die Verbform aporphanisthentes bedeutet wörtlich "verwaist sein" und taucht im Neuen Testament nur an dieser einen Stelle auf. Als Paulus die Thessalonicher verlassen mußte, war ihm, als werde er von seiner Familie fortgerissen. Er hatte zwar die Hoffnung, daß die Trennung nur kurze Zeit währen würde, doch es fiel ihm schwer aufs Herz, sie in diesem frühen Stadium ihres Christseins allein zu lassen, und wenn er auch körperlich von ihnen fortgegangen war, so dachte er doch beständig an sie.

Paulus und seine Mitarbeiter hatten mehrmals versucht, nach Thessalonich zurückzukehren, weil sie sich sehr nach den Brüdern dort sehnten. Die Sorge für die Neubekehrten war für sie nicht nur eine Verpflichtung vor Gott, sondern ein inneres Bedürfnis. Sie entsprang der christlichen Liebe, die sie drängte, sich über alle persönlichen Gefahren, die ihnen in Thessalonich drohten, hinwegzusetzen.

1Thes 2,18

Wie Paulus es schildert, hinderte Satan ihn an einer Rückkehr. Was ist damit gemeint? Ist Satan hier die wirkende Kraft, ist es Gott selbst, oder sind es die Menschen? Der Grund für einen erneuten Besuch in Thessalonich war, den Neubekehrten weitere geistliche Hilfe und Unterweisung zuteil werden zu lassen. Mit dieser Absicht befand der Apostel sich sicherlich im Einklang mit dem Willen Gottes, und so gesehen wird alles, was die Rückkehr verhinderte, zu einer Opposition gegen den Willen Gottes. Wer auch immer auf menschlicher Seite daran mitgewirkt haben mag, der letzte Verursacher dieser Opposition ist Satan. Wie Johannes Calvin schreibt: "Wann immer die Gottlosen uns Trübsal verursachen, streiten sie unter dem Banner Satans und in all ihren Anschlägen sind sie seine Werkzeuge" (aus: Die Briefe des Apostels Paulus an die Römer und an die Thessalonicher ). Gott läßt das zwar zu, doch er ist ebensowenig die treibende Kraft dahinter wie hinter all den Sünden, die seine Geschöpfe begehen und die er ebenfalls zuläßt.

Es ist ungewöhnlich, daß Paulus hier seinen Namen einfügt, er tut das in seinen Schreiben eher selten. Vielleicht möchte er damit unterstreichen, wie ernst es ihm ganz persönlich mit dem Wunsch nach einer Rückkehr nach Thessalonich war. Nicht nur einmal, sondern einmal und noch einmal bemühte er sich zurückzukommen.

1Thes 2,19-20

In dieser beinahe lyrischen Passage erreicht der Ausdruck liebevoller Zuwendung des Apostels für die thessalonischen Christen seinen Höhepunkt. Nur die Philipper wurden noch mit ähnlich warmen und herzlichen Worten von ihm bedacht.

Um die Innigkeit seiner Aussage besonders hervorzuheben, bedient er sich einer rhetorischen Frage: Was ist für ihn das größte Geschenk, das er vor dem Richterstuhl Christi empfangen kann? Sie, die thessalonischen Christen, sind es! Die thessalonische Gemeinde bedeutet Paulus alles. Sie ist seine Hoffnung: ihr Wachstum im Glauben ist sein Lebensinhalt, wie Eltern leben, um ihre Kinder wachsen und reifen und selbst wieder Eltern werden zu sehen. Sie ist seine Freude: es stimmt ihn glücklich, wenn er daran denkt, was sie waren, was sie sind und was durch die Gnade Gottes noch aus ihnen werden wird. Sie ist sein Ruhmeskranz: das Symbol des göttlichen Segens, der über seinem Leben und seinem Werk liegt. Sie ist die Ehre und Freude des Apostels und seiner Mitarbeiter. Was Paulus hier meint, ist letztlich: "Wenn das Leben vorüber ist und wir bei der Wiederkunft des Herrn Jesus vor seinem Angesicht stehen, werdet ihr Thessalonicher die Quelle unserer Ehre und Freude sein - so wichtig seid ihr für uns!" Dieses Bekenntnis der Zuneigung müßte eigentlich auch die letzten Befürchtungen der thessalonischen Christen, daß Paulus aus selbstsüchtigen Motiven nicht zu ihnen zurückgekehrt sei oder weil sie ihm nichts bedeuteten, ausgeräumt haben.

2. Der Besuch des Timotheus
(3,1-5)

Der in 1Thes 2,17 aufgenommene Gedanke wird im folgenden weitergeführt, und Paulus unterstreicht nochmals seine aufrichtige Sorge für die Thessalonicher.

1Thes 3,1

 Die Umstände hielten Paulus davon ab, persönlich nach Thessalonich zu reisen, deshalb beschlossen er und Silvanus, Timotheus in die Stadt zu senden, um die Gläubigen aufzurichten. Paulus selbst reiste offenbar ohne seine Mitarbeiter von Beröa nach Athen. Als er die griechische Metropole erreicht hatte, ließ er Timotheus und Silvanus durch die beröischen Christen, die ihn begleitet hatten, ausrichten, sie möchten sobald als möglich in Athen zu ihm stoßen (Apg 17,15), was die beiden anscheinend auch taten. Ihre Sorge um die Gemeinde in Thessalonich veranlaßte Paulus und Silvanus dazu, Timotheus für den Dienst dort freizustellen (1Thes 3,1-2 ). Auch Silvanus kehrte kurz nach Timotheus' Abreise in die Provinz Mazedonien zurück, wahrscheinlich, um die philippische Gemeinde zu besuchen. In Korinth, Paulus' nächstem Arbeitsfeld nach Athen, trafen Paulus, Silvanus und Timotheus dann erneut zusammen (Apg 18,1.5).

1Thes 3,2


Die Beschreibung, die Paulus von Timotheus gibt, scheint darauf hinzudeuten, daß der junge Missionar bei seiner Arbeit mehr als die übliche Rückendeckung von Paulus brauchte. Vielleicht aufgrund seiner Jugend wurde er von den Menschen im allgemeinen nicht so bereitwillig respektiert wie seine älteren Mitstreiter. Paulus bezeichnet Timotheus jedoch ausdrücklich als "unsern Bruder" und erkennt seine Arbeit für den Herrn damit als seiner eigenen und der des Silvanus ebenbürtigan. In seinem missionarischen Wirken zeigte sich Timotheus als engagierter Diener des Herrn, dem man seinen Eifer und seine Demut anmerkte. Er war mit Leib und Seele Gottes Mitarbeiter am Evangelium Christi.


 Timotheus' Aufgabe war es, den thessalonischen Christen beizustehen. Er sollte sie stärken (stErizai; vgl. V. 13), um sie standhaft im Glauben zu machen. Und er sollte sie ermahnen (parakalesai; vgl. 1Thes 2,12 ) und ihnen die Kenntnisse vermitteln, die sie brauchten, um allein und in der Gemeinschaft den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen. Ein Großteil des Dienstes der Apostel war der seelsorgerlichen Betreuung neuer Anhänger gewidmet, die dadurch einen festeren Halt im christlichen Glauben gewinnen sollten - eine Aufgabe, die heute noch genauso wichtig ist wie damals.


1Thes 3,3
 Ein weiteres Ziel des Aufenthaltes von Timotheus bei den Thessalonichern war es, ihnen in all den Bedrängnissen, die sie erlebten, ihr geistliches und religiöses Gleichgewicht zu erhalten (vgl. 1Thes 2,14). Das Wort sainesthai, "wankend" , wird für einen Hund, der mit dem Schwanz wedelt, verwendet - es zeichnet ein treffendes Bild der Unsicherheit und Hin-und-HerGerissenheit der thessalonischen Christen im Angesicht der Verfolgungen, denen sie sich ausgesetzt sahen.

Paulus fügt an dieser Stelle hinzu, daß derartige Bedrängnisse keineswegs zwangsläufig ein Zeichen für das Mißfallen Gottes sind, sondern daß sie das Schicksal eines jeden Christen sein können. In der Not kommen den Gläubigen häufig Zweifel, ob sie auch wirklich dem Willen Gottes entsprechend leben und handeln. Oft denken sie, sie hätten etwas falsch gemacht und Gott sei zornig über sie. Selbst reife Christen kommen auf solche Gedanken, wie Paulus' tröstende Worte an Timotheus viele Jahre später zeigen: "Alle, die fromm leben wollen in Christus, müssen Verfolgung leiden" (2Tim 3,12). Doch solche Stürme brechen oft nur über die Gläubigen herein, um sie um so standhafter zu machen (vgl. 2Kor 4,15-16 ).


1Thes 3,4

 Paulus ruft seinen Lesern ins Gedächtnis, daß er ihnen schon als er bei ihnen war, vorausgesagt hatte, daß ihnen Verfolgungen drohten - wie es auch geschehen ist. Aus der Erinnerung an diese Vorwarnung sollten die Thessalonicher einen gewissen Trost schöpfen.



 1Thes 3,5

Auf seinen ursprünglichen Gedanken (vgl. V. 2 ) zurückkommend, erklärt Paulus seinen Lesern, daß er Timotheus nach Thessalonich zurückgeschickt habe, weil er ernstlich besorgt um das geistliche Wohl und den Glaubensstand der dortigen Gemeinde gewesen sei. Setzten sie ihr Vertrauen noch auf Gott, oder waren sie von ihm abgefallen und zum Heidentum zurückgekehrt? Er war nicht darüber bekümmert, daß sie möglicherweise ihre Rettung verloren hatten, denn das war unmöglich (1Thes 1,4 ). Doch sie konnten ihren christlichen Lebenswandel und ihr Gottvertrauen in allen Dingen aufgegeben haben. Er fürchtete, daß seine Arbeit - nicht ihr Glaube - vergeblich würde. Die Anspielung auf den Versucher erinnert an die Umtriebe des Satans im Garten Eden (1Mo 3) und in der judäischen Wüste (Mt 4 ). Paulus sah in den Bedrängnissen, die die Thessalonicher erlebten, eine Versuchung des Satans, der sie von dem abbringen wollte, was Gott in dieser Situation von ihnen erwartete: von der Standhaftigkeit im Glauben. Er war besorgt, daß Satan die Saat, die er, Paulus, gesät hatte, herausreißen könnte, bevor die Samenkörner die Möglichkeit hatten, kräftige, fruchtbringende Wurzeln zu entwickeln.


1. Thessalonicher

3. Der Bericht des Timotheus
(3,6 - 10)
Von 1Thes 2,1 bis 1Thes 3,5 berichtet Paulus von Geschehnissen, die sich in den letzten Monaten zugetragen haben. Ab Vers 6 geht er ganz auf die Gegenwart ein.

1Thes 3,6

 Das einleitende "nun aber" zeigt den Gegensatz zwischen Paulus' früherer Besorgnis und seiner jetzigen Erleichterung über den Bericht des Timotheus , der zu ihm nach Korinth zurückgekehrt war. Statt der befürchteten schlechten Nachricht von einem nachlassenden Glauben der Thessalonicher konnte Timotheus im Gegenteil berichten, daß ihr Glaube in der Liebe Frucht bringe. Das ist für Paulus eine genauso gute Botschaft wie das Evangelium selbst, deshalb gebraucht er für beide dasselbe griechische Wort.

 Die Thessalonicher sind nach wie vor stark in ihrem Glauben an Gott und in der Liebe zu seinen Aposteln (vgl. 1Thes 1,3). Auch wenn Paulus es nicht ausdrücklich erwähnt, so bezieht er sich doch indirekt auf ihren Wunsch, die Apostel wiederzusehen. Die Tatsache, daß die thessalonischen Christen den Besuch der Missionare in gutem Andenken haben und sich auf ihre Rückkehr freuen, ist ein Beweis ihrer Zuneigung zu ihren "geistigen Vätern". Paulus versichert sie der Gegenseitigkeit dieser Empfindung und wiederholt, wie sehr er selbst sich nach ihnen sehnt.

1Thes 3,7

Der Bericht des Timotheus bedeutete eine Erlösung für die Ängste der Missionare. Die ganze christliche Gemeinschaft besteht in der Tat aus einem großen Verband von Brüdern und Schwestern, die nicht nur durch das Band der Liebe in Christus, sondern auch durch das der Nächstenliebe zusammengehören. So wie zuvor Paulus und vor noch nicht so langer Zeit Timotheus den thessalonischen Christen in ihrer Not und Bedrängnis Mut zugesprochen hatten, sind nun die "jüngeren Geschwister" im christlichen Glauben für ihre "älteren Brüder", die sich mit Sorgen um den Zustand der Gemeinde herumgequält hatten, ein Trost und eine Ermutigung.

1Thes 3,8

 Nichts konnte die Apostel mit so tiefer Befriedigung erfüllen wie die Auskunft, daß die von ihnen Bekehrten feststehen in dem Herrn. Das war ja das Ziel ihres ganzen Dienens, das darin seine größte Erfüllung fand. "Feststehen (stEkete; vgl. 2Thes 2,15) im Glauben" heißt eigentlich, "feststehen im Herrn". Eine solche Verbundenheit gibt Kraft, die Stürme des Lebens auszuhalten.

1Thes 3,9

 Was Paulus hier meint, ist: "Wir können Gott nicht genug für euch danken, für all die Freude, die ihr uns durch eure Beständigkeit in der Bedrängnis macht." Paulus dankt also Gott für das Verhalten der Thessalonicher, er selbst schreibt sich dabei keinerlei Verdienst zu. Er weiß, daß ihre Geduld das Werk Gottes ist (vgl. Phil 2,13). Deshalb lobt er die Thessalonicher, aber er erkennt und anerkennt auch die Hand Gottes in ihrem Leben.



1Thes 3,10
Die Nachricht von der Standhaftigkeit der thessalonischen Christen bringt Paulus' Wunsch, zu ihnen zu kommen, keineswegs zum Verstummen. Auch wenn sie im Augenblick der Anfechtung ihres Glaubens standhalten, bedürfen sie trotzdem der Unterweisung des Apostels und müssen weiter im Glauben wachsen. Paulus möchte ergänzen, was an ihrem Glauben noch fehlt. (Das Wort für "ergänzen" ist katartisai; vgl. Eph 4,12 ,wo pros ton katartismon mit "zugerüstet" übersetzt ist.) Die thessalonischen Christen waren wie schwache junge Pflanzen; ihre zarten Wurzeln stützten sie zwar im gegenwärtigen Unwetter, doch sie mußten noch wachsen und kräftiger werden. An dieser Stelle erwähnt Paulus zum ersten Mal explizit, daß es noch Defizite in ihrem geistlichen Leben gibt - Defizite, die allerdings mehr der Unreife als der Widerspenstigkeit zuzuschreiben sind. Bis jetzt hat Paulus sie als wahre Christen beschrieben. Hier räumt er ein, daß sie in manchen Bereichen noch nicht vollkommen sind, wie ein Kind im Vergleich mit einem Erwachsenen noch viel lernen muß. In Kapitel 4; 5 seines Briefes geht Paulus dann auf einige dieser ergänzungsbedürftigen Punkte ein.

Der Vers gewährt zugleich einen weiteren Einblick in das Leben des Apostels selbst. Er bittet Tag und Nacht inständig darum, daß Gott es ihm ermöglichen möge, die Thessalonicher von Angesicht zu sehen. Diese und andere vergleichbare Stellen (vgl. 1Thes 1,2;2,13 ) sprechen für die Richtigkeit der Feststellung von G. W. Garrod: "Ausden Paulusbriefen geht hervor, daß er einen großen Teil seines persönlichen Lebens im Gebet und in der Danksagung verbrachte" (The First Epistle to the Thessalonians, London 1899, S. 89).

 1. Thessalonicher

4. Das Gebet des Paulus
(3,11 - 13)

 Der erste große Abschnitt des Briefes, der sich vor allem mit persönlichen Angelegenheiten befaßt, schließt mit einem Wunsch, um dessen Erfüllung der Apostel Gott von Herzen bittet. Die Verse 11 - 13 sind letztlich eine Erweiterung zu Vers 10.

1Thes 3,11

Paulus gibt seiner Bitte, nach Thessalonich zurückkehren zu dürfen (V. 10 ), nochmals stärker Ausdruck, indem er sie ganz direkt als Bitte an Gott formuliert. Er spricht Gott und auch Jesus Christus als seinen und den Vater der anderen Missionare und der thessalonischen Christen an. Die Tatsache, daß Jesus Gott ist, erhellt sich weiter daraus, daß Paulus das Verb hier im Singular setzt: er lenke unsern Weg, nicht: sie mögen unsern Weg lenken. "Man kann sich kaum einen stärkeren Beleg dafür vorstellen, daß die Einheit von Gott Vater und Gott Sohn für Paulus außer Frage steht" (D. Edmond Hiebert, The Thessalonian Epistles, S. 154).

1Thes 3,12
Die große Liebe der Thessalonicher hatte sich bereits herumgesprochen, doch Paulus bittet darum, daß sie noch weiter wachse (pleonasai) und immer reicher werde (perisseusai). "Das Leben eines Christen kann gar nicht reich genug sein an christlicher Nächstenliebe" (Hiebert, The Thessalonian Epistles , S. 155). Das Bild der überfließenden Liebe erweckt die Vorstellung, daß diese Liebe wie eine Quelle ganz natürlich in den Gläubigen entspringt. Paulus liegt daran, daß sie jedermann zugute kommt, nicht nur den anderen Christen in der Gemeinde. Das Vorbild dafür ist die Liebe, die er selbst hat.

 1Thes 3,13
Trotz ihrer Fortschritte im Glauben hatten auch die Thessalonicher Stärkung von Gott nötig. Das Verb "stärken" (stErizai), das der Apostel in Vers 2 benutzt, bezieht sich auf die Ermutigung im Glauben, die Timotheus ihnen während seines Aufenthalts gab. Paulus betet nicht darum, daß sie ohne Sünde seien; das ist unmöglich. Er betet, daß sie untadelig seien (vgl. 1Thes 2,10 ), d. h., daß sie, wenn sie gesündigt haben, sich so verhalten, wie Gott es verlangt, und damit ihren Glaubensbrüdern keinen Anlaß zum Tadel bieten. Sie sollen - innerlich und in ihrem Verhalten - in Heiligkeit vor Gott leben. Es ist Paulus' großer Wunsch, daß Jesus die Thessalonicher bei seiner Wiederkunft ohne Schuld vor den Menschen und heilig vor Gott finden möge. Die Heiligen, die Christus bei seinem Kommen begleiten, sind vielleicht die Seelen derer, die ihr irdisches Leben aufgegeben haben, um nach dem Willen Christi zu leben, und die auferweckt werden, wenn er kommt (1Thes 4,16). Es handelt sich also wohl eher um Christen als um Engelwesen.

 1. Thessalonicher

 III. Praktische Anweisungen und Ermahnungen
(4,1-5,24)

 Kapitel 4; 5 bilden den zweiten Hauptteil des 1. Thessalonicherbriefes. Nach den lobenden Äußerungen für die thessalonische Gemeinde und der Offenlegung der Aktivitäten und Motive der paulinischen Missionare in Kapitel 1-3 enthalten die beiden übrigen Kapitel nun praktische Anregungen in bezug auf Punkte, in denen die Lebensführung der Thessalonicher noch gewisse Mängel aufweist, sowie Ermahnungen für ein Leben im Angesicht der Wahrheit.

A. Das christliche Leben

 (4,1 - 12) Dieser Abschnitt behandelt drei Aspekte einer rechten christlichen Lebensführung: Einen eher allgemeinen und zwei speziellere, die sich mit sexueller Reinheit und brüderlicher Liebe befassen.

1. Allgemeine Lebensführung

 (1Thes 4,1-2)
1Thes 4,1

 Das Wort "weiter" markiert den Anfang eines neuen Abschnitts im Brief. Im folgenden geht es um das, "was an eurem Glauben noch fehlt" (1Thes 3,10 ). Wieder macht Paulus seine Aussagen an dem fest, was er den Thessalonichern bereits bei seinem Besuch in der Stadt gesagt hat. Von ihrem jetzigen Glaubensstand geht er zu ihrer weiteren geistlichen Entwicklung über. Sie hatten sich Paulus' Lehre über eine christliche Lebensführung zu Herzen genommen. Man sagt, daß jeder Mensch irgend jemandem zu Gefallen lebe: sich selbst, seinem Ehepartner, seinen Eltern, seinen Kindern, seinem Gott oder einer anderen Instanz. Für Paulus liegt der Antrieb zu einem richtigen Leben in der Gottesliebe. Viele Menschen sind der Ansicht, das christliche Leben bestehe aus einer Reihe von Regeln, die befolgt werden müssen, oder aus einer Liste von Verboten. Doch für Paulus ist es der lebendige Ausdruck des aus der Liebe entspringenden Wunsches, dem Gott zu gefallen, der ihn erwählt hat (1Thes 1,4 ). Diese persönliche Haltung des Apostels strahlt auf seine Leser aus und macht sie eher bereit, positiv auf seine folgenden Ermahnungen zu reagieren.


Die Unterweisungen zielen nicht darauf ab, die Gläubigen in Thessalonich grundsätzlich in ihrem Verhalten zu verändern, sondern darauf, sie dazu zu bewegen, dieses Verhalten noch viel stärker zu zeigen. Paulus bittet sie deshalb nicht nur, sondern ermahnt sie eindringlich (ermahnen, parakaloumen; vgl. V. 10; 1Thes 2,12 [Partizipform]; 1Thes 3,2) in dem Herrn Jesus (2Thes 3,12 ). Er schreibt diese Worte im Geist und in der Vollmacht Jesu Christi und erhebt den Anspruch, hier Christi Sprachrohr zu sein. Die thessalonischen Christen sollen in ihrem Leben immer vollkommener werden (vgl. 1Thes 4,10).


1Thes 4,2

 Um seinen Lesern diesen Punkt noch deutlicher vor Augen zu führen, erinnert Paulus sie nochmals ausdrücklich an die Gebote (parangelias), die er ihnen gegeben hat durch den Herrn Jesus (vgl. V. 1). Was er und seine Begleiter in Thessalonich verkündigten, war das Evangelium Christi (1Thes 3,2 ). Doch auch die Aussagen des vorliegenden Briefes kommen aus derselben Vollmacht. Manchmal möchten Christen neue Wahrheiten hören, wenn sie eigentlich die Ermahnung nötig hätten, sich noch stärker zu engagieren und sich noch mehr mit den alten Wahrheiten auseinanderzusetzen, die sie schon in begrenztem Maße praktizieren.

1. Thessalonicher
2. Sexuelle Reinheit
(4,3 - 8)

 Der allgemeinen Ermahnung von Vers 1.2 folgen zwei speziellere Anweisungen. Die erste betrifft die sexuelle Reinheit.

1Thes 4,3

Der Wille Gottes ist an vielen Stellen der Heiligen Schrift eindeutig formuliert, auch wenn es den Christen manchmal schwerzufallen scheint, diesem Willen in den Entscheidungen des täglichen Lebens Rechnung zu tragen (vgl. 1Thes 5,16-18; 1Pet 2,15). So ist es eindeutig der Wille Gottes, daß sein Volk in Heiligung (hagiasmos; vgl. 1Thes 3,13 ) lebt. Der Begriff "Heiligung" kann sowohl einen Zustand des Abgesondertseins von der Sünde vor Gott als auch den Prozeß einer wachsenden Hingabe an Gott bezeichnen. Im vorliegenden Fall ist wahrscheinlich das letztere gemeint. Paulus spricht hier nicht von dem vollendeten Zustand der Christen, in dem sie von der Gegenwart der Sünde und von ihrer Strafe und Gewalt ganz frei sind. Er denkt wohl eher an die fortschreitende Heiligung seiner Leser, in deren Verlauf sie dem Bilde Christi in ihrem täglichen Erleben immer mehr gleich werden, indem sie in der rechten Weise auf das Wort und den Geist Gottes Antwort geben.

Die erste Anweisung, die er den Gläubigen erteilt, um sie in ihrer Heiligung voranzubringen, fordert die Enthaltung von Unzucht . Paulus ruft seine Leser zu einer vom Geist Gottes gestärkten Selbstdisziplin auf. Die Christen sollen sich aller sexuellen Praktiken enthalten, die nicht im Einklang mit dem offenbarten Willen Gottes stehen: Ehebruch, vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr, Homosexualität und Perversionen, die unter den weitgefaßten Begriff der porneia, "Unzucht", fallen. Die Thessalonicher lebten in einer heidnischen Welt, in der sexuelle Freizügigkeit nicht nur ganz offen praktiziert, sondern sogar von der Gesellschaft gefördert wurde. In der griechischen Religion galt die Prostitution als ein priesterliches Vorrecht, und außerehelicher Geschlechtsverkehr wurde teilweise mit einem gottesdienstlichen Akt gleichgesetzt. Für den Christen dagegen ist ganz klar, was Gott von ihm erwartet: Heiligkeit und Unmoral schließen sich wechselseitig aus. Die Berufung auf die christliche Freiheit ist kein Freibrief für Hurerei.

1Thes 4,4

Paulus zeigt aber auch die positiven Seiten, die diesem Verbot innewohnen, auf. Wer Unzucht vermeiden will, muß lernen, den eigenen Körper und das eigene Begehren zu beherrschen. Christen sind nicht Opfer der äußeren Umstände oder ihrer Begierden, sie können mit Gottes Hilfe ihre Bedürfnisse kontrollieren. Paulus führt nicht genauer aus, wie diese Kontrolle aussehen soll, wahrscheinlich gibt es also mehrere verschiedene Wege. In jedem Fall sollen sich die Christen jedoch für einen Weg entscheiden, der voller Heiligkeit (hagiasmO) und Ehrerbietung (timE ) ist. Das heißt, ihr Handeln muß sich von allen Formen sexueller Unmoral abheben, von seinen Motiven her an Gott orientiert sein und anderen Achtung einflößen (vgl. 1Kor 6,13-20 ). Jeder Christ ist für seinen Körper und sein Betragen verantwortlich - nicht aber für das seines Nächsten (vgl. 1Kor 10,13). Deshalb muß jeder Neubekehrte, wie die Thessalonicher, lernen, in rechter Weise mit sexuellen Versuchungen umzugehen.


1Thes 4,5
 Eine Auffassung von der Sexualität, wie sie die Heiden an den Tag legen, die in gieriger Lust (en pathei epithymias) allen Versuchungen nachgeben, kommt für die Christen nicht in Frage. Die Heiden wissen nichts von Gott , während die Christen Gott kennen und deshalb die Versuchung überwinden können. Paulus sagt hier nicht, daß die Heiden überhaupt nichts von Gott wissen. Ihr verwerfliches Verhalten resultiert vielmehr daraus, daß sie ihn nicht persönlich kennen und erfahren haben. Wenn ein Mensch dagegen Gott durch den Glauben an Jesus Christus kennenlernt, ändert sich nicht nur seine Einstellung zur Sexualität, er entdeckt auch, daß Gott ihn dazu befähigt, in ganz neuer Weise auf Versuchungen zu reagieren. Um ein Leben in Heiligung zu leben, muß man Gott kennen und in einer lebendigen Beziehung zu ihm stehen.


 1Thes 4,6
In den beiden vorangegangenen Versen ging es Paulus um den einzelnen Christen selbst, der sexuell rein leben soll. Hier nun bezieht er auch die andere an der unmoralischen Handlung beteiligte Person mit ein. Mit dem "Bruder" ist hier wahrscheinlich ein anderer Mensch, nicht unbedingt ein Mann gemeint. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Person ein Opfer unerlaubter sexueller Praktiken ist. Sexuelle Unreinheit tut dem anderen Unrecht, indem sie ihn oder sie zu einem Tun verleitet, das dem Willen Gottes widerspricht und daher bestraft wird. Zwei oder mehr Menschen, die sich zu von Gott verbotenen sexuellen Praktiken hergeben, beschwören Gottes Zorn über sich herauf (Hebr 13,4 ). Der Anstifter der Handlung übervorteilt dabei den anderen, indem er seine Leidenschaft solange schürt, bis er die Kontrolle über sich verliert.

Der Apostel nennt zwei Gründe (4, 6 b - 7) für das Vermeiden von Unzucht. Zunächst einmal ist sie eine Sünde, und Gott wird alle Sünden bestrafen ( Röm 6,23 a). Daß Gott die Sünde nicht ungestraft hingehen läßt, ist eine christliche Grundwahrheit, die Paulus die Thessalonicher von Anfang an gelehrt hat. "Das alles" steht wahrscheinlich für die verschiedenen Formen der sexuellen Unreinheit, die in diesem Kontext nicht einzeln aufgeführt, sondern mit dem allgemeinen Terminus "Unzucht" umschrieben werden.

1Thes 4,7

Zum anderen verstößt die Unzucht gegen die christliche Berufung. Während der erstgenannte Grund (V. 6 b) also aus der Zukunft heraus, nämlich von der zu erwartenden Strafe her, argumentiert, geht der Blick im zweiten Fall zurück auf die ursprüngliche Absicht Gottes mit den Christen. Zum Heilsplan Gottes für den Gläubigen gehört die Reinigung seines Lebens - im Gegensatz zu den unmoralischen Zeremonien, wie sie in vielen heidnischen Kulten praktiziert wurden. In der Heiligung wird Gottes Wirken, das die Natur überwindet, in herrlicher Weise deutlich. Das griechische Wort hagiasmos ("Heiligung") taucht an dieser Stelle zum vierten Mal in insgesamt acht Versen auf ( 1Thes 3,13;4,3-4; das Verb hagiazO, "heiligen", steht in 1Thes 5,23).

 1Thes 4,8

Hier nun kommt Paulus zu einer Schlußfolgerung aus seinen vorhergehenden Argumenten. Die sexuelle Reinheit, die von den Christen gefordert wird, hat ihren Anhalt in dem, was Gott in bezug auf die Bestrafung der Sünde und in seinem Ruf zur Heiligung offenbart hat. Sie ist ganz einfach nur die praktische Umsetzung einer grundlegenden christlichen Lehre. Was Paulus hier vertritt, hat nichts mit seinem kulturellen Hintergrund oder seinen persönlichen Ansichten zu tun, vielmehr ist es die logische Konsequenz der göttlichen Offenbarung. Die Thessalonicher - und auch die späteren Leser des Briefes - müssen sich klarmachen, daß, wer diese Anweisungen verachtet, damit zugleich den verachtet, von dem sie eigentlich kommen, nämlich Gott.

Falls jemand das Gefühl haben sollte, daß Gott hier mehr fordert, als schwache Sterbliche leisten können, ergänzt Paulus seine Mahnung mit dem Hinweis auf die Gabe des Geistes. Der Geist ist diejenige Person der Trinität, die so stark durch das Attribut der Heiligkeit gekennzeichnet ist, daß sie als "Heiliger Geist" bezeichnet wird. Der dem Gläubigen innewohnende Heilige Geist gibt ihm die Kraft, selbst in einem heidnischen, von Unmoral geprägten Umfeld der Versuchung Herr zu werden.

3. Brüderliche Liebe
(4,9 - 12)

Während die erste Ermahnung des Apostels ein Verbot (V. 3 - 8 ) betraf, ist die zweite in Form eines Gebotes formuliert. Beide Male geht es letztlich um die Liebe zum Nächsten, die so stark sein soll wie die Liebe zu sich selbst - ein Grundaspekt des christlichen Lebens überhaupt.

1Thes 4,9 Ein Teil der christlichen Unterweisung erfolgt durch den Austausch der Brüder in Christus untereinander. Ein anderer Teil ist von Gott gelehrt . Dabei handelt es sich immer um Dinge, die ein Christ intuitiv als richtig empfindet - wie z. B. die christliche Nächstenliebe. Die Christen begreifen im allgemeinen rasch, daß unter den Gläubigen eine echte Verwandtschaft besteht, und verhalten sich gegenüber Mitchristen anders als gegenüber jenen, die nicht der Familie der Gotteskinder angehören. Auch die Thessalonicher hatten trotz ihres erst vor kurzer Zeit empfangenen Glaubens bereits gelernt, sich untereinander zu lieben. Nach Paulus hatte Gott selbst sie das gelehrt.


1Thes 4,10
 Paulus mußte sie also nicht ermahnen, einander in Liebe zu begegnen, er ermunterte sie lediglich, darin noch vollkommener zu werden (vgl. V. 1 ). Wie rasch sie sich die brüderliche Liebe zu eigen gemacht haben, zeigt sich in ihrer selbstlosen Zuwendung zu den Christen in anderen Gegenden der Provinz Mazedonien, in Philippi, Beröa und möglicherweise noch anderen Städten. Paulus lobt die Gläubigen immer wieder für ihre wechselseitige Liebe, wenn er an die Gemeinden schreibt (vgl. 2Kor 8,1-5). Und doch ist immer noch Raum für weiteres Wachstum, beispielsweise in der Dauerhaftigkeit und Beständigkeit der Liebe.

1Thes 4,11

 Die brüderliche Liebe wird an den einfachen Gewohnheiten des täglichen Lebens ebenso deutlich wie in besonderen Beweisen der Zuneigung.Paulus regt die Thessalonicher dazu an, auch gerade über die Kleinigkeiten im Lichte der christlichen Liebe nachzudenken. Er hält diese Dinge für wert, daß sich an ihnen das Wachstum der Liebe erweise. Möglicherweise deuten seine Worte an dieser Stelle auf gewisse Defizite in der Gemeinde.

Zuallererst sollen seine Leser sich darum bemühen, ein stilles Leben zu führen. Das hier mit "still" wiedergegebene Wort (hEsychazein) bedeutet "ruhig, friedlich, ohne die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen" (vgl. Apg 22,2; 2Thes 3,12; 1Tim 2,2.11), und nicht "still" im Gegensatz zu "geschwätzig" (sigaO; vgl. Apg 21,40; 1Kor 14,34 ). Paulus rät den Thessalonichern also, weniger extensiv zu leben, nicht weniger intensiv. Ein Mensch, der ständig "auf Achse" ist, wird für andere oft zur Belastung, aber er wird auch leicht von seiner Beziehung zu Gott abgelenkt. Zumindest kann das eine zum anderen führen. Ein Christ jedoch, der danach strebt, mit sich selbst und mit Gott in Frieden zu leben, wird auch für seine Brüder zu einer Quelle des Friedens. Eine solche auf die andern ausstrahlende Ruhe ist eine praktische Anwendung der Nächstenliebe.

 Zum zweiten empfiehlt Paulus den Thessalonichern, sich ganz auf ihre eigenen Angelegenheiten zu konzentrieren. Die Verquickung dieser Haltung mit der brüderlichen Liebe liegt auf der Hand (vgl. Spr 25,17).

Zum dritten wird die Liebe zu den anderen aber auch in der eigenen Arbeit deutlich, denn ein Mensch, der sich selbst erhält, fällt den andern nicht zur Last. Paulus selbst war den Thessalonichern hier bei seinem Besuch in der Stadt mit gutem Beispiel vorangegangen (1Thes 2,9 ). Auch ein allzu ruhiges Leben kann zu einem Problem werden, dem Paulus mit seiner Mahnung wehrt. Dieser Vers ist zugleich eine Würdigung der eigenhändigen Arbeit. Das legt den Schluß nahe, daß viele, möglicherweise sogar die meisten Glieder der ersten Gemeinden aus der Schicht der Handwerker stammten. Während die Griechen manuelle Arbeit für verächtlich hielten und so weit wie möglich ihren Sklaven überließen, schätzten die Juden sie sehr hoch. Jeder junge Jude lernte unabhängig von seiner Herkunft und seinem Vermögen ein Handwerk. Arbeit ist in der Tat ein Segen in sich und sollte von Christen nie gering geachtet werden. Wer bereit ist, mit seinen eigenen Händen zu arbeiten, zeigt außerdem insofern eine Haltung der brüderlichen Liebe, als er bereit ist, für sich selbst zu sorgen.


 1Thes 4,12

Doch es gibt auch noch andere gute Gründe für die zuvor ausgesprochene Mahnung. Ein Verhalten wie das, das der Apostel den Gläubigen in Thessalonich nahelegt, gewinnt notwendig auch die Achtung der Nichtchristen und verherrlicht damit Gott, denn eine solche Liebe und Rücksichtnahme ist jedermann wohlgefällig. Paulus legt großen Wert darauf, daß die Christen vor denen, die draußen sind , den Ungläubigen, durch ihr Leben Zeugnis ablegen. Aber auch unter den Christen selbst wird diese Lebensführung Respekt einflößen, denn jemand, der andere nicht ausnützt, wird immer geschätzt. Paulus macht den Thessalonichern klar, daß sie von ihren Glaubensbrüdern nicht irgendwelche Unterstützungen erwarten dürfen, nur weil sie ebenfalls zur Gemeinde gehören. Auf der anderen Seite redet er aber auch nicht einer unbedingten Selbständigkeit das Wort. Es geht ihm nur darum, das persönliche Verantwortungsgefühl jedes einzelnen zu wecken. In der Übernahme dieser Verantwortung offenbart sich eine reife brüderliche Liebe.

B. Die Entrückung
(4,13 - 18)

Im folgenden wendet sich Paulus einem anderen Bereich zu, in dem sich im Glaubensverständnis der Thessalonicher offenbar noch einige Lücken zeigten. Wahrscheinlich erfuhr er durch Timotheus von diesem Problem. Zwar hatte er im Laufe seines Briefes schon verschiedentlich Anmerkungen zur Zukunft der Christen gemacht ( 1Thes 1,10;2,12.19;3,13 ), doch nun geht er nochmalsin ausführlicher Weise auf die Wiederkunft Christi ein ( 1Thes 4,13-5,11 ). In Kapitel 4 geht es dabei zunächst um das Schicksal der Entschlafenen beim Kommen des Herrn. Die folgende Passage enthält denn auch die klassischen biblischen Aussagen zur Entrückung der Kirche.

1Thes 4,13

Paulus macht eingangs klar, daß er den Thessalonichern ihre Unwissenheit nicht zum Vorwurf macht. Immerhin wachsen sie erst in den christlichen Glauben hinein. Wieder redet er sie mit "liebe Brüder" an und stellt damit ihre Gleichheit vor Gott trotz ihrer mangelnden Erkenntnis heraus. Die, die entschlafen sind, sind Christen, die verstorben sind. Das Bild des Schlafes für den Tod ist im Neuen Testament allgemein gebräuchlich (vgl. Mk 5,39; Joh 11,11 ). Es handelt sich dabei allerdings nicht um einen Schlaf der Seele, denn Paulus schreibt an anderer Stelle, daß ein Christ, der nicht in seinem Körper ist, beim Herrn ist ( 2Kor 5,8; vgl. Phil 1,23; 1Thes 5,10 ). Es ist also eher ein "Schlaf" des Leibes in der Erde, bis zur Auferstehung, wenn er in einen verherrlichten Leib verwandelt und wieder mit der Seele vereint wird ( 1Kor 15,35-57; 2Kor 5,1- 9). Paulus möchte nicht, daß die Thessalonicher unwissend sind noch daß sie wie die andern , d. h. wie die Ungläubigen, über den Tod von Glaubensbrüdern trauern. Auch Christen empfinden Schmerz beim Verlust geliebter Menschen, das ist eine völlig normale menschliche Erfahrung, die selbst Jesus machte (Joh 11,35). Doch der Kummer der Christen unterscheidet sich von dem der Ungläubigen, denn diese haben keine Hoffnung auf eine leibliche Auferstehung zur Herrlichkeit mit Christus (1Thes 4,16).

1Thes 4,14
Es gibt zwei Gründe dafür, daß die Christen nicht wie die Ungläubigen um ihre Toten trauern sollen: Sie haben eine Offenbarung von Gott, die ihnen Hoffnung gibt - und vor ihnen liegt eine herrliche Zukunft mit Christus. So sicher wie Jesus gestorben ist und vom Vater wieder auferweckt wurde, so sicher wird Gott auch die in Christus Gestorbenen bei seiner Wiederkunft mit ihrem Erlöser vereinen.

Der Tod und die Auferstehung Jesu Christi gehören zu den am besten bezeugten Tatsachen der Geschichte. Da die Christen wissen, was in diesem einen Fall geschehen ist, können sie nach Paulus mit gleicher Gewißheit davon ausgehen, daß die Seelen der Gläubigen, die entschlafen sind, mit Christus zurückkehren werden, wenn er kommt, um die Lebenden zu sich zu holen. Die Prophezeiung der Entrückung wird mit genauso großer Sicherheit erfüllt werden wie zuvor die Prophezeiung über Christi Tod und Auferstehung.

1Thes 4,15

Die Offenbarung der Auferstehung kam von Jesus Christus selbst. Wie Paulus davon erfuhr, wissen wir nicht; möglicherweise hatte er eine Vision. Es werden nicht nur die Seelen der Verstorbenen mit Christus zurückkehren (V. 14 ), auch ihre Leiber werden bei seinem Kommen auferweckt werden, und zwar unmittelbar vor der Entrückung der noch lebenden Christen.


Paulus glaubte offensichtlich ganz fest daran, daß er und seine Leser in Thessalonich noch leben würden, wenn der Herr zurückkommt. Er war überzeugt, daß die Entrückung unmittelbar bevorstand und jeden Augenblick Realität werden konnte (vgl. 1Thes 1,10; 1Kor 7,29: "Die Zeit ist kurz."; Phil 4,5: "Der Herr ist nahe."). In dieser Naherwartung lag für ihn ein großer Trost (V. 18).

1Thes 4,16

Jesus Christus sitzt nun zur Rechten Gottes im Himmel ( Röm 8,34; Eph 1,20; Kol 3,1; Hebr 1,3). Von dort wird er auf die Erde kommen. Mit der Wendung "er selbst, der Herr" unterstreicht Paulus nachdrücklich, daß wirklich Jesus selbst, derselbe, der in einer Wolke gen Himmel gefahren ist (Apg 1,11), kommen wird.

Die verschiedenen Signale, von denen in diesem Vers die Rede ist - der Befehl, die Stimme des Erzengels, die Posaune Gottes -, sind schwer zu deuten. Wer wird den Befehl erteilen? Wird es Jesus selbst sein (vgl. Joh 11,43)? Oder der Erzengel Michael ( Dan 10,13; Jud 1,9 )? Oder ein anderer Engel? Ist von einem tatsächlichen Posaunenschall die Rede, oder spricht Paulus hier bildhaft von dem Ruf Gottes, mit dem er den Advent seines Sohnes ankündigen wird (vgl. 1Kor 15,52 )? Möglicherweise beziehen sich alle drei Phänomene auf dasselbe Geschehen und sind verschiedene, fast gleichzeitig erfolgende Vorverweise auf die Wiederkunft Christi. Auch wenn die Ausführungen in diesem Abschnitt keineswegs alle Fragen über die Entrückung beantworten, so wird doch zumindest eines ganz deutlich: Die Wiederkunft Christi zu seinen Heiligen wird durch dramatische und weithin vernehmbare Zeichen vom Himmel angekündigt werden.

Dann werden die Toten, die in Christus gestorben sind, d. h. diejenigen, die an die Erlösung geglaubt haben, auferweckt werden. Die Heiligen des Alten Testaments werden offensichtlich am Ende der Zeit der großen Trübsal auferstehen (Dan 12,2), denn die Wendung "in Christus" gilt ausschließlich den Heiligen des Kirchenzeitalters. Die Leiber der in Christus Entschlafenen werden auferstehen, bevor die noch lebenden Christen auf den Wolken in die Luft zum Herrn entrückt werden (V. 17).

Wie wird Gott die Leiber von Menschen, die schon jahrhundertelang begraben sind, auferwecken? Was geschieht mit den Leibern der Christen, die verbrannt wurden und deren Asche in den Wind gestreut wurde, und mit denen, die im Meer ertrunken sind? Die Auferstehung der Toten stellt den Glauben vieler Christen auf eine harte Probe. Vielleicht hebt Paulus an dieser Stelle deshalb so nachdrücklich hervor, daß diese Offenbarung vom Herrn selbst kommt und daß ihre Erfüllung in der Zukunft ebenso gewiß ist wie Jesu Auferstehung in der Vergangenheit. Der Gott, der durch sein Wort das Universum aus dem Nichts erschuf, ist durchaus in der Lage, die verwesten und vernichteten Leiber aller seiner Heiligen in einem Augenblick aufzuerwecken (vgl. 1Kor 15,35-58 ).

 1Thes 4,17

Während der vorhergehende Vers die Zukunft der toten Heiligen behandelt, befaßt sich dieser damit, was mit den noch lebenden Gläubigen geschehen wird (vgl. 1Kor 15,51-52). Nach der Auferstehung der Leiber der toten Christen werden die, die noch leben und übrig sind, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen. Auch hier schließt sich Paulus, wie das Wörtchen "wir" (vgl. V. 15 ) zeigt, in die Gruppe der Lebenden ein; er glaubte also offensichtlich oder hielt es zumindest für möglich, daß Christus noch zu seinen Lebzeiten zurückkehren würde. Zwischen der Auferstehung der Toten und der Entrückung der Lebenden wird nur ein kurzer Augenblick liegen (1Kor 15,51-52). Das hier und in der Parallelstelle 1Kor 15 geschilderte Geschehen bezieht sich auf die Entrückung der Kirche. Es unterscheidet sich beträchtlich von den Umständen, die Christi Wiederkehr zur Erde, zur Errichtung seines irdischen Reiches, begleiten (Offb 19,11-21). Aus diesen Verschiedenheiten wird die Unterscheidung zwischen der Entrückung und dem zweiten Kommen des Herrn abgeleitet.

Die auferstandenen oder entrückten Leiber aller Christen werden bei der Entrückung mit Christus und miteinander vereint werden. Von diesem Augenblick an werden sie auf ewig beim Herrn sein. Der Herr wird die lebenden Gläubigen an einen Ort bringen, der für sie bereit ist (Joh 14,2-3 ). Doch für Paulus spielt der Ort, an dem die Christen sein werden, im Vergleich zu der Person, mit der sie dort sein werden, nur eine untergeordnete Rolle. "Der ganze Himmel und der ganze Segen des ewigen Lebens ist für Paulus in dem einen Gedanken des Vereinigtsein mit Jesus, seinem Herrn und Erlöser, zusammengedrängt" (Borhemann, zitiert von George G. Finkley, The Epistles of Paul the Apostle to the Thessalonians, Cambridge 1904, S. 103).

1Thes 4,18

 Die logische und praktische Folge des hier Offenbarten ist Trost und Ermutigung zugleich. Paulus wendet das eschatologische Denken auf das Leben an und ruft seine Leser auf: "So tröstet (parakaleite; vgl. 1Thes 2,12;3,2 ) euch mit diesen Worten untereinander." Die Tatsache, daß die gestorbenen Christen auferweckt und mit den lebenden Heiligen in dem Herrn Jesus vereint werden, wenn er kommt, daß sie letztlich jenen, die an diesem Tag noch leben, vorangehen werden, daß die Lebenden mit ihnen vereint werden, und schließlich, daß sie auf ewig beim Herrn sein werden, ist Grund zu großer Freude. Christen trauern nicht nur nicht wie die Ungläubigen, sie können mit Sehnsucht und Freude auf diesen großen Tag warten, an dem sich die Hoffnung der Kirche, den Herrn von Angesicht zu Angesicht zu sehen und auf immer mit ihm vereint zu sein, erfüllt. Auf diesen Augenblick kann jeder Gläubige hinleben. Er enthält eine große Verheißung (Tit 2,13) sowohl für die in Christus Entschlafenen als auch für die Lebenden.


1. Thessalonicher
C. Persönliche Wachsamkeit
(5,1 - 11)

In der vorangehenden Passage (4,13-18 ) war die Rede von einer frohmachenden Hoffnung; im folgenden geht es nun um eine ernste Warnung. Während die aus der Entrückung resultierende Ermahnung (1Thes 4,18) den Thessalonichern neu war, knüpft Paulus in den folgenden Ausführungen an Dinge an, die er ihnen bereits gesagt hat.

1. Der Tag des Herrn

(5,1-3) Der Apostel geht nun auf die Zeit ein, die nach der Entrückung kommt, und zwar auf den Tag des Herrn. Er arbeitet dabei vor allem die Unvorhersehbarkeit der Wiederkunft Christi heraus.

 1Thes 5,1

 In unverändert liebevollem Ton beginnt er seine Ausführungen auch hier wieder mit der Anrede "liebe Brüder". Die Wendung "von den Zeiten und Stunden" bezieht sich auf die Zeit (chronOn) und die Geschehnisse (kairOn), die dem Tag des Herrn vorausgehen. Paulus hat es nicht nötig , sich darüber - wie über die Entrückung - weiter auszulassen, weil er die Gemeinde schon bei seinem Aufenthalt in Thessalonich über den Tag des Herrn in Kenntnis gesetzt hat.

1Thes 5,2

Der Tag des Herrn ist eine Zeit in der Zukunft, in der Gott unmittelbarer und dramatischer in das Weltgeschehen eingreifen wird, als er es seit der Zeit Jesu Christi getan hat. Viele Propheten des Alten Testaments haben auf diesen Tag hingewiesen (z. B. Jes 13,9-11; Joe 3,1-5; Zeph 1,14-18; Zeph 3,14-15 ). Wie in diesen und anderen Belegstellen aus dem Alten Testament deutlich wird, ist der "Tag des Herrn" sowohl eine Zeit des Gerichts als auch eine Zeit des Segens. Sie setzt unmittelbar nach der Entrückung der Kirche ein und endet mit dem Ende des Tausendjährigen Reiches. Die prophetische Literatur hat sich immer wieder mit diesem besonderen Zeitraum beschäftigt. Die vollständigste Darstellung findet sich in Offb 6-19.

Das Eintreten dieser Geschichtsperiode wird für all diejenigen, die zu dieser Zeit auf der Erde leben, so überraschend kommen ... wie ein Dieb einen schlafenden Hausbesitzer überrascht (vgl. Mt 24,43-44; Lk 12,39-40 ). Man sollte das Bild vom Dieb in der Nacht jedoch nicht überstrapazieren. Es ist hier keineswegs impliziert, daß der Tag des Herrn in der Dunkelheit über die Welt hereinbricht. Sicherlich wird es in einigen Teilen der Welt Tag sein und in anderen Nacht.

1Thes 5,3

 Die Welt wird sich in einem relativ ruhigen Zustand befinden, wenn der Tag des Herrn anbricht. Dieser Friede wird mit der Unterzeichnung des siebenjährigen Bundes, der in Dan 9,27 geweissagt ist, eintreten. Es fällt auf, daß Paulus sich selbst und seine Leser nicht mit der Gruppe von Menschen identifiziert, die den Tag des Herrn erleben werden, ganz im Gegensatz zu seiner unmittelbaren Naherwartung der Entrückung (1Thes 4,15.17). Offensichtlich bezieht sich also das "sie"auf die von der Entrückung Ausgenommenen, d. h. auf die Nichtchristen. In ihrer Unwissenheit werden sie glauben, daß nun Friede herrscht, doch statt dessen wird sie das Verderben (olethros; vgl. 2Thes 1,9 ) schnell überfallen. Damit ist nicht die völlige Vernichtung gemeint, sondern der Zusammenbruch des Friedens und ihrer Sicherheit unter dem Ansturm des göttlichen Zornes, der sich in der Zeit der großen Trübsal über die Erde ergießen wird. Der Vergleich mit Geburtswehen gibt sowohl die unvorhersagbare Plötzlichkeit als auch die persönliche Bedrängnis, in die die Menschen geraten werden, sehr gut wieder (vgl. Mt 24,8; Mk 13,8 ). Der Zorn Gottes, der sich über eine lange Zeit angestaut hat, wird sich auf einmal Bahn brechen. Die Zeichen dieses Zornes sind deutlich erkennbar, wenn auch der Zeitpunkt seiner Ausgießung nicht vorhersagbar ist. Die Welt kann dem kommenden Zorn am Tage des Herrn genausowenig entgehen wie eine schwangere Frau den Wehen. Die Unausweichlichkeit dieses Geschehens und die Vergeblichkeit jeglichen Fluchtversuchs (ekphygOsin) wird im Griechischen durch die doppelte Verneinung ou mE betont.


1. Thessalonicher
2. Das Bereitsein der Christen
(5,4 - 11)

Paulus zieht nun aus der Lehre vom Tag des Herrn praktische Konsequenzen für die christliche Lebensführung.

1Thes 5,4

 Seine Leser tappen in bezug auf die künftigen Dinge nicht im Dunkeln. Sie haben schon bei seinem Aufenthalt in Thessalonich von ihnen gehört. Aber was Paulus hier meint, geht noch darüber hinaus: Die thessalonischen Christen gehören insgesamt nicht zu der Gruppe, die der Tag überraschend treffen wird. Ihr Leben spielt sich nicht in der Finsternis ab, sondern im Licht (vgl. Kol 1,13 ). Aufgeklärte Christen sollten über das Kommen des Tages des Herrn nicht erstaunt sein, denn sie sind darüber unterrichtet und werden zu diesem Zeitpunkt beim Herrn sein ( 1Thes 4,13-18 ).


1Thes 5,5

Christen leben in einer ganz anderen Sphäre als Nichtchristen. Zwischen beiden besteht ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht (vgl. Eph 5,8). Die Christen sind Kinder des Lichtes und Kinder des Tages , d. h., sie sind erleuchtet und leben in einem Umfeld, das durch Licht, Wärme und Wachstum geprägt ist. Wieder bezieht Paulus sich selbst explizit in das Bild ein (wir), um seiner folgenden Mahnung mehr Nachdruck zu verleihen.


1Thes 5,6

 Er ruft seine christlichen Brüder dazu auf, sich ihrem erleuchteten Stand entsprechend zu verhalten und bereit zu sein für den Tag des Herrn. Für Paulus ergibt sich dieser Appell logisch aus dem zuvor Gesagten. Doch abgesehen davon ist ein solches Verhalten eine notwendige Pflicht. Christen dürfen auf keinen Fall der Wiederkunft des Herrn gegenüber gleichgültig sein, sie dürfen nicht schlafen (katheudOmen; vgl. V. 10; ein anderes Verb als das in 1Thes 4,13- 15 sinnbildlich für den Tod verwendete koimaO). Damit ist eine geistliche Lethargie und Abgestumpftheit, wie sie bei den Nicht-Erlösten, den andern, anzutreffen ist, gemeint. Statt dessen sollen sie wachsam und nüchtern die Wiederkunft ihres Herrn erwarten ( 1Kor 1,7; Tit 2,13; 2Pet 3,12; Hebr 9,28) und sich darauf vorbereiten.


1Thes 5,7

 Ungläubigen sind diese geistlichen Realitäten verschlossen. Sie "schlafen" in dieser Hinsicht und werden - wie Betrunkene - von Kräften gesteuert, die außerhalb ihrer selbst sind. Es ist ihnen dadurch unmöglich, sich in rechter Weise zu verhalten. So verhalten sich Menschen, die in der Sphäre der Nacht leben.


1Thes 5,8
 Zur Umschreibung der nüchternen Haltung, die die Christen einnehmen sollen, benutzt Paulus das Bild des Soldaten, eine seiner Lieblingsmetaphern für den Christen ( Röm 13,12 b; Eph 6,10- 18; 1Tim 6,12; 2Tim 2,3-4;4,7 a). Er geht dabei vom Standort der Christen aus: Weil sie Kinder des Tages sind, sollen sie entsprechend leben. An der Schwelle eines Ereignisses, das für manche die plötzliche Entrückung und für andere eine ebenso plötzliche Vernichtung bedeutet, sollen die Christen sich mit Beherrschung wappnen. Der Panzer eines römischen Soldaten bedeckte seinen Oberkörper und schützte die meisten der wichtigsten Organe (vgl. Eph 6,14). Dieselbe Funktion hat der Panzer des Glaubens und der Liebe für den Christen. Der Glaube an Gott schützt ihn inwendig, und die Liebe zum Nächsten schützt ihn äußerlich. Die beiden können nicht getrennt werden. Wer an Gott glaubt, wird auch seinen Nächsten lieben (vgl. 1Thes 1,3;3,5 ). In dieser Haltung sind die Christen gerüstet für die Entrückung. Der Helm der Hoffnung auf das Heil schützt ihren Kopf und ihr Denken vor Angriffen. Die Rettung, auf die sie harren, ist, wie der Kontext zeigt, die Erlösung vor dem kommenden Zorn Gottes bei der Wiederkehr des Herrn. Ihre Erwartung hat nichts mit dem sehnsüchtigen Wunsch zu tun, irgendwann einmal für immer erlöst zu sein; ein solcher Gedanke ist dem Neuen Testament vollkommen fremd. Die Nachfolger Christi haben vielmehr eine vollkommen sichere Hoffnung.


1Thes 5,9

Die Konjunktion "denn" (hoti) leitet eine weitere Begründung dafür ein, warum die Christen gerüstet sein sollen. Gott will sie nicht dem Zorn, der am Tag des Herrn über die Erde kommen wird, aussetzen, sein Ziel ist vielmehr ihr Heil . Paulus bezieht sich hier eindeutig auf die Rettung der Christen in der Zeit der großen Trübsal. Diese zeitliche Rettung ist ebenso durch den Herrn Jesus Christus bewirkt wie die ewige Erlösung.


1Thes 5,10

 Was meint Paulus mit der Wendung: "Ob wir wachen oder schlafen"? Bezieht er sich hier auf Leben oder Tod oder aber auf das geistliche Wachsein im Gegensatz zur geistlichen Lethargie? Da er für "wachen" (grEgorOmen) und "schlafen" (katheudOmen) wiederum dieselben griechischen Wörter verwendet wie in Vers 6 , ist anzunehmen, daß er den geistlichen Zustand der Christen im Blick hat. Wenn das stimmt, dann sagt Paulus an dieser Stelle, daß den Christen das Leben zugleich mit ihm auch dann gewiß ist, wenn sie ihre geistliche Wachsamkeit vernachlässigen. Als Christus für die Menschen starb, war es sein Wille, daß die Gläubigen mit ihm leben sollten. Sie werden dem göttlichen Zorn auf jeden Fall entrinnen (vgl. 1Thes 1,10 ). Diese Aussage ist zugleich ein starkes Argument für die Annahme einer Entrückung der Christen vor der Zeit der großen Trübsal.


Paulus verwendet für den Tod Christi die Formulierung "gestorben", nicht "getötet". Jesus Christus gab sein Leben freiwillig hin, niemand nahm es ihm (Joh 10,18). Sein Sterben geschah für uns (vgl. 2Kor 5,21 ). Diese einfache Feststellung des stellvertretenden Charakters von Christi Tod erforderte keine weiteren Erläuterungen für die thessalonischen Christen. Ohne Zweifel hatte ihnen Paulus diese grundlegende christliche Glaubensaussage schon bei seinem persönlichen Aufenthalt nahegebracht.

1Thes 5,11

 Die praktische Anweisung, mit der Paulus diesen Abschnitt beschließt, ergibt sich ganz natürlich aus dem Gesagten. Er fordert seine Leser auf: "Ermahnt euch untereinander, und einer erbaue den andern." Was er selbst in diesem Brief zur Ermutigung und zur Erbauung der thessalonischen Christen getan hat, ist nicht genug. Die neue Erkenntnis bedarf der ständigen Wiederholung und Hervorhebung. Alles, was die Thessalonicher durch diesen Brief neu erfahren haben, ist dem hinzuzufügen, was sie schon wissen, und muß auch in ihren Versammlungen immer wieder zur Sprache gebracht werden. Es ist gar nicht nötig, daß die Gläubigen laufend etwas Neues hören, doch sie bedürfen der ständigen gegenseitigen Erinnerung an all das, was sie schon wissen, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Dieser Vers gibt zugleich einen gewissen Einblick in die Versammlungen der frühchristlichen Gemeinden. Sie gaben offensichtlich Gelegenheit zu einer wechselseitigen Erbauung und Belehrung unter den Teilnehmern, wie sie auch heute noch in den Gemeinden dringend notwendigist. Ein Zentrum dieser Erbauung aber, das immer wieder bewußt in den Mittelpunkt gestellt werden muß, ist die Hoffnung auf die Wiederkehr Christi.

D. Das kirchliche Leben
(5,12 - 15)

 Paulus erinnert seine Leser in diesem Zusammenhang an ihre gegenwärtigen Verpflichtungen als Christen. Er wendet sich also von Unterweisungen, die die Zukunft betreffen, den Erfordernissen des gegenwärtigen Lebens der Gemeinde zu. Seine rätselhaften, zum Teil abrupt anmutenden Formulierungen in diesem Teil des Briefes waren vielleicht darauf gemünzt, die Thessalonicher von fruchtlosen Spekulationen über die Zukunft zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen. In einem ersten Argumentationsgang äußert sich Paulus zum Verhältnis der Gemeinde zu ihren Leitern.


1. Die Haltung gegenüber den Gemeindeleitern
(5,12 - 13)

Die folgenden Direktiven richten sich an die Gruppe als ganze, d. h. an alle Christen der thessalonischen Gemeinde.

1Thes 5,12

 Nach der Art, wie Paulus die Funktionen der Gemeindeleiter schildert, zu schließen, handelt es sich bei ihnen möglicherweise um die Ältesten der Gemeinde. Diese Männer geben sich große Mühe und arbeiten hart daran, die Gemeinschaft seelsorgerlich zu begleiten - wahrscheinlich in ihrer Freizeit, denn in der Frühzeit der Kirche übten die Gemeindeleiter häufig noch einen weltlichen Beruf aus. Sie haben die geistige Leitung der christlichen Gemeinschaft übernommen und sind Gott für die von ihnen Betreuten verantwortlich (vgl. Hebr 13,17 ). Zu ihrem Aufgabenbereich gehört es auch, die Gläubigen zu ermahnen. Da Paulus hier in der Pluralform - von den Leitern - spricht, gab es in Thessalonich offensichtlich ähnlich wie in anderen Gemeinden, an die Paulus schrieb (vgl. Phil 1,1), mehrere Leiter.

 Paulus nennt drei Aspekte, die ein korrektes Verhalten gegenüber den Gemeindeleitern kennzeichnen. Zunächst einmal sind sie "anzuerkennen" (eidenai) - ein Terminus, der normalerweise die Bedeutung von "kennen" hat, hier aber die Konnotation von "Wertschätzung" und "Achtung" beinhaltet.

1. Thessalonicher
 D. Das kirchliche Leben
(5,12 - 15)

Paulus erinnert seine Leser in diesem Zusammenhang an ihre gegenwärtigen Verpflichtungen als Christen. Er wendet sich also von Unterweisungen, die die Zukunft betreffen, den Erfordernissen des gegenwärtigen Lebens der Gemeinde zu. Seine rätselhaften, zum Teil abrupt anmutenden Formulierungen in diesem Teil des Briefes waren vielleicht darauf gemünzt, die Thessalonicher von fruchtlosen Spekulationen über die Zukunft zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen. In einem ersten Argumentationsgang äußert sich Paulus zum Verhältnis der Gemeinde zu ihren Leitern.


1. Die Haltung gegenüber den Gemeindeleitern
 (5,12 - 13)

 Die folgenden Direktiven richten sich an die Gruppe als ganze, d. h. an alle Christen der thessalonischen Gemeinde. 1Thes 5,12 Nach der Art, wie Paulus die Funktionen der Gemeindeleiter schildert, zu schließen, handelt es sich bei ihnen möglicherweise um die Ältesten der Gemeinde. Diese Männer geben sich große Mühe und arbeiten hart daran, die Gemeinschaft seelsorgerlich zu begleiten - wahrscheinlich in ihrer Freizeit, denn in der Frühzeit der Kirche übten die Gemeindeleiter häufig noch einen weltlichen Beruf aus. Sie haben die geistige Leitung der christlichen Gemeinschaft übernommen und sind Gott für die von ihnen Betreuten verantwortlich (vgl. Hebr 13,17 ). Zu ihrem Aufgabenbereich gehört es auch, die Gläubigen zu ermahnen. Da Paulus hier in der Pluralform - von den Leitern - spricht, gab es in Thessalonich offensichtlich ähnlich wie in anderen Gemeinden, an die Paulus schrieb (vgl. Phil 1,1), mehrere Leiter. Paulus nennt drei Aspekte, die ein korrektes Verhalten gegenüber den Gemeindeleitern kennzeichnen. Zunächst einmal sind sie "anzuerkennen" (eidenai) - ein Terminus, der normalerweise die Bedeutung von "kennen" hat, hier aber die Konnotation von "Wertschätzung" und "Achtung" beinhaltet.

1Thes 5,13

Wie unerläßlich es ist, die Gemeindeleiter zu achten, wird in der zweiten Anweisung noch unterstrichen. Die griechische Formulierung geht besonders weit: "habt sie um so lieber" (hEgeisthai autous hyperekperissOs ). Was hier gefordert wird, ist eine grundlegende Gesinnung, die immer Gültigkeit hat. Manche der Leiter nötigen den Gemeindegliedern vielleicht nicht so viel Respekt ab wie andere, doch Paulus gebietet ihnen, sie wegen ihrer Verantwortung vor Gott alle gleichermaßen hochzuhalten. Seiner Ansicht nach gebührt diesen Männern sogar der allerhöchste Respekt - getragen von einer Haltung der Liebe -, und zwar um ihres Werkes willen, wenn schon nicht um ihrer selbst willen. Paulus sieht also den Grund für diese Ermahnung in der Arbeit, die die Vorsteher leisten, und in der Tatsache, daß sie den anderen Gemeindegliedern einen Dienst erweisen.

Aus den beiden vorigen Anweisungen resultiert die dritte: "Haltet Frieden untereinander." Es geht hier weniger darum, diesen Frieden erst zu schaffen, als vielmehr, ihn aufrechtzuerhalten. In der Gemeinde in Thessalonich herrschten bereits friedliche Verhältnisse, und so soll es auf ausdrückliches Geheiß des Apostels auch bleiben. Viele Zwistigkeiten in modernen Gemeinden wären sicherlich vermeidbar, wenn auch ihre Gemeindeglieder sich an dieses Gebot hielten.

1. Thessalonicher
2. Das Miteinander in der Gemeinde

(5,14 - 15)

Ebenso wie die Leiter sind auch alle Gemeindeglieder dazu aufgerufen, einander zu dienen. 1Thes 5,14 Christen haben vier gemeinschaftliche Pflichten, die sie beständig erfüllen sollten. Erstens: Die Unordentlichen müssen zurechtgewiesen werden, d. h., diejenigen, die ihre täglichen Aufgaben vernachlässigen, müssen zu einer aktiveren Haltung ermuntert werden. Zweitens: Die Kleinmütigen (oligopsychous; wörtlich: "klein in der Seele") bedürfen des Trostes. Diese ängstlichen Menschen neigen mehr als andere dazu, entmutigt und verzagt zu sein. Sie sollen aufgeheitert und zur Beständigkeit angeregt werden und müssen besonders in ihrer christlichen Lebensführung unterstützt werden. (Sprachlich fällt auf, daß die Verbformen in diesen beiden Geboten parakaloumen und paramytheisthe in der gleichen Reihenfolge angeordnet sind wie die beiden ersten Partizipien in 1Thes 2,12.) Drittens: Die Christen sollen die Schwachen in ihrer Gemeinschaft tragen. Die Schwachen haben noch nicht gelernt, sich in dem Maße auf den Herrn zu stützen, wie sie es nötig haben, um geistlich stark zu werden. Bis sie soweit sind, bedürfen sie der tatkräftigen Unterstützung ihrer Glaubensbrüder. Natürlich sind alle Christen letztlich schwach und haben die Kraft nötig, die aus der christlichen Gemeinschaft kommt. Doch die in ihrer Glaubensentwicklung noch nicht so weit Fortgeschrittenen müssen hier besonders berücksichtigt werden. Die vierte Pflicht faßt die vorangehenden zugleich in sich zusammen: "Seid geduldig gegen jedermann." Diese Ermahnung gilt in erster Linie der Haltung der Christen untereinander, sie ist jedoch auf alle Menschen zu übertragen. Die Fähigkeit, anderen, die nicht so stark sind wie man selbst, zu helfen, hängt unmittelbar mit der durch den Heiligen Geist gewirkten Gottesliebe zusammen ( 1Kor 13,4; Gal 5,22).

1Thes 5,15
Das Gegenteil von Geduld ist Vergeltung in jeder nur denkbaren Form. Eine solche Haltung ist für einen Christen ausgeschlossen. Selbst wenn er von einem bedürftigen Bruder ausgenützt wird oder wenn ihm Unrecht geschieht, hat er niemals das Recht, Böses mit Bösem zu vergelten (vgl. Mt 5,38-48; Röm 12,17-21; 1Pet 3,9 ). Er ist aufgerufen, dem andern auch in einem solchen Fall freundlich zu begegnen. Es genügt nicht, sich negativer Handlungen zu enthalten, vielmehr wird von ihm verlangt, auch in dieser Situation Gutes zu tun: "Jagt allezeit dem Guten nach untereinander." Diese Anweisung ist nicht im Sinne eines Appells an den guten Willen der Christen zu verstehen, sondern als eine Forderung, sich ernsthaft um die geforderte Haltung zu bemühen. Das ist allerdings sehr schwer und verlangt vom einzelnen ständige Selbstüberwindung.

1. Thessalonicher
E. Die Heiligung des Lebens
(5,16 - 24)
 In dieser letzten Gruppe von Anweisungen geht es um allgemeine Aspekte der Heiligung des Lebens.


1. Im persönlichen Leben
(5,16 - 18)

 Die folgenden Ermahnungen, die sich mit Grundeinstellungen der Christen befassen, richten sich an jeden einzelnen Gläubigen in seinem persönlichen Leben vor Gott.

1Thes 5,16

 Gott möchte, daß seine Kinder allezeit fröhlich sind und gibt ihnen auch mehr als genug Anlaß dazu. Doch Paulus kennt die menschliche Natur und weiß, wie nötig die Menschen es immer wieder haben, an die Freude erinnert zu werden (vgl. Phil 3,1;4,4 ). Sie ist ein unerläßliches Grundelement des christlichen Lebens, denn die Freude der Christen entspringt ja nicht ihren äußeren Lebensumständen, sondern der Gnade, die sie durch ihren Glauben an Christus erfahren. "Der Christ, der traurig und bekümmert bleibt, verletzt eigentlich ein Gebot: in irgendeiner Hinsicht mißtraut er Gott, seiner Macht, seiner Vorsehung oder seiner Vergebung" (A. J. Mason, The Epistles of Paul the Apostle to the Thessalonians, in: Ellicott's Commentary onthe Whole Bible, Bd. VIII, S. 145). Die beiden Worte pantote chairete bilden im übrigen den kürzesten Vers im griechischen Neuen Testament.


1Thes 5,17

 Das Gebet ohne Unterlaß (adialeiptOs; auch in 1Thes 1,3; ein Terminus, der im Griechischen auch zur Bezeichnung eines trockenen Hustens verwendet wurde) ist kein Gebet ohne Unterbrechung, sondern ein Beten, das immer wieder aufgenommen wird. Paulus spricht hier davon, daß der Christ, soweit es die Ablenkungen und Zerstreuungen des täglichen Lebens gestatten, in engster Gemeinschaft mit Gott leben soll.


 1Thes 5,18

Während es in den beiden vorigen Ermahnungen um die Zeiteinteilung des Christen ging ("allezeit" und "ohne Unterlaß"), kommt Paulus nun auf seine Lebensumstände zu sprechen. Ein Christ soll dankbar in allen Dingen sein, denn Gott führt für diejenigen, die ihn lieben, alles zum Guten (Röm 8,28).

 Die drei in Vers 16 - 18 genannten Ermahnungen sind nicht einfach gute Ratschläge, sondern der Wille Gottes für jeden Christen. In ihnen kommt zwar nicht die Totalität des göttlichen Willens zum Ausdruck, aber durchaus ein wichtiger Teil seiner Forderungen an die Menschen. Gottes Wille bedeutet Freude, Gebet und Dank auf seiten derer, die in Christus Jesus sind.

1. Thessalonicher
2. Im Leben der Gemeinschaft
(5,19 - 22)

 Nach diesen auf das persönliche Glaubensleben bezogenen Anweisungen kommt Paulus nun auf die gemeinschaftliche Verantwortung der Gläubigen zu sprechen. Er reiht fünf Gebote in knapper Form aneinander. Zwei sind negativ formuliert (V. 19 - 20), drei positiv (V. 21-22).


 1Thes 5,19
 Die Bibel vergleicht den Heiligen Geist häufig mit einer Flamme ( Jes 4,4; Mt 3,11; Apg 2,3-4 ). Er wärmt das Herz, erhellt den Geist und beflügelt die religiöse Empfindungsfähigkeit der Menschen. Paulus warnt davor, das Wirken des Heiligen Geistes zu behindern. Sein Feuer kann eingedämmt oder gar gelöscht werden, wenn man sich ihm widersetzt. Inwieweit in der thessalonischen Gemeinde die Gefahr bestand, daß der Heilige Geist zurückgedrängt wurde, wird möglicherweise aus dem nächsten Vers deutlicher.

1Thes 5,20


In der frühen Kirche und insbesondere in der Gemeinde in Thessalonich bestand vielleicht eine gewisse Neigung, den Wert der prophetischen Rede zu unterschätzen. Diese Geistesgabe spielte in der Zeit, bevor der Kanon des Neuen Testamentes festgelegt war, eine wichtige Rolle. Sie befähigte die mit ihr Ausgestatteten zur Vermittlung von Offenbarungen, die sie auf unmittelbarem Weg empfangen hatten (1Kor 13,8). Manchmal betrafen diese Offenbarungen zukünftige Ereignisse (Apg 11,28), häufig bezogen sie sich jedoch auch auf die Gegenwart (Apg 13,2 ). Möglicherweise mißbrauchten manche Leute, die gar keine prophetischen Visionen empfangen hatten, diese Instanz und verbreiteten auf diese Weise ihre eigene Ansicht zu Themen wie dem zweiten Advent Jesu mit dem Resultat, daß die prophetischen Äußerungen oft mehr nach oberflächlichen Merkmalen, z. B. der Eloquenz des Redners, als nach der Grundlage ihrer Autorität beurteilt wurden.

Die Christen sollen aber keine Offenbarung herabwürdigen, die der Kirche zuteil wurde und als autoritativ erkannt und durch den Heiligen Geist in der Schrift bewahrt wurde. Die Versuchung, menschliche Ideen dem Wort Gottes gleichzustellen, ist im übrigen in der modernen Kirche ebenso präsent wie in der Urgemeinde.


 1Thes 5,21

 Im Angesicht dieser Gefahr müssen die Christen prüfen, was sie hören und lesen, es mit dem Wort Gottes vergleichen und an diesem Maßstab feststellen, ob das Gesagte göttlichen Ursprungs ist. Das ist nicht immer einfach, aber es ist dem unter der Führung des Heiligen Geistes stehenden Gläubigen möglich (1Kor 2,14). Die Aufgabe "der rechten Unterscheidung" stellt sich für jeden Christen, auch wennmanche in besonderer Weise für sie ausgerüstet sind (vgl. Apg 17,11; 1Joh 4,1). Das Gute (d. h. das, was sich in Einklang mit dem Wort befindet), das dabei herausgeschält wird, muß bewahrt werden.


1Thes 5,22

 Aller unechten Lehre und Lebensführung aber ist eine Absage zu erteilen. Die Christen sollen nicht nur alle Pseudoprophetien aus ihrer Lehre ausschließen, sondern das Böse in jeder Gestalt, wie Paulus in einer Erweiterung seiner Warnung hinzufügt. Damit ist auch das gemeint, was möglicherweise nur schlecht erscheint. "Während sich die Gläubigen jeglicher Handlungen, die auf eine willentliche Verletzung anderer hinauslaufen, enthalten sollen, ist es nicht immer möglich, sich auch von allem fernzuhalten, was einem engstirnigen und beschränkten Urteilsvermögen böse scheint" (Heibert, The Thessalonian Epistles, S. 249).


 1. Thessalonicher
3. Göttliche Befähigung zur Heiligung des Lebens

(5,23 - 24)

 Da alle diese Forderungen sehr schwer zu erfüllen sind, wünscht sich Paulus, daß Gott seinen Lesern die Kraft dazu geben möge.


1Thes 5,23

Zuallererst erinnert der Apostel die Thessalonicher daran, daß Gott der Gott des Friedens ist. Auch diese Gemeinde hatte durch die Predigt des Evangeliums einen Frieden gefunden, dessen sie sich noch jetzt erfreute. Der Gott, der ihnen diesen Frieden gegeben hatte, würde ihn ihnen auch erhalten. Paulus betet darum, daß er die Gläubigen in allen Dingen heilige (absondere). Damit meint er allerdings nicht, daß sie schon in diesem Leben absolute Vollkommenheit erreichen könnten, denn das ist unmöglich. Der Apostel betet auch darum, daß die thessalonischen Christen bis zum Erscheinen (parousia) des Herrn Jesus Christus bei seinen Heiligen bewahrt (amemptos, d. h. schuldlos) bleiben.


Paulus spricht hier von den Christen als Geist ... Seele und Leib, während der Mensch an anderen Stellen im Neuen Testament in zwei Bereiche gegliedert wird, nämlich in Leib und Geist ( 2Kor 7,1; Jak 2,26) oder in Leib und Seele (Mt 10,28 ). An noch anderer Stelle ist wiederum die Rede davon, daß der Mensch Herz, Verstand, Gewissen und andere wichtige Teile in sich vereinige. Paulus meint seine Aussage hier jedoch sicherlich nicht philosophisch, sondern gebraucht die drei Begriffe, um die verschiedenen Aspekte der Persönlichkeit, die er hervorheben möchte, zu bezeichnen. Der Geist ist der höchste und einzigartigste Bereich des Menschen, der es ihm möglich macht, mit Gott in Verbindung zu treten. Die Seele ist jener Teil des Menschen, der ihn seiner selbst bewußt macht, der Sitz seiner Persönlichkeit. Der Leib dagegen ist der physische Teil, durch den die inneren Züge der Persönlichkeit sich ausdrücken und an denen der Mensch sofort erkennbar ist. Paulus wünscht sich und den Thessalonichern, daß sie in ihrer Beziehung zu Gott, in ihrem inneren Leben und auch in ihren sozialen Kontakten zu anderen Menschen bewahrt bleiben.

 1Thes 5,24

 Der Gott, der den Christen beruft, tut dies durch den einwohnenden Heiligen Geist. Er ist treu in der Vollendung des Werkes, das er in seinen Gläubigen begonnen hat (Phil 1,6 ). Gott erlöst einen Menschen nicht zuerst aus Gnade, um anschließend sein Wachstum im Glauben sich selbst zu überlassen oder gar seiner Eigenleistung zuzumuten (Gal 3,3). So, wie Gott die Menschen aus Gnade beruft und gerecht macht, so heiligt er sie auch aus Gnade.


1. Thessalonicher
 IV. Schluß
(5,25 - 28)
Diese abschließenden Bemerkungen gleichen einer Briefnachschrift. Es werden drei weitere Mahnungen ausgesprochen, und das Ganze schließt mit dem Segen des Verfassers.


 A. Persönliche Appelle
(5,25 - 27)


Im Gegensatz zu den anderen paulinischen Briefen wird hier am Schluß nicht noch einmal festgehalten, daß das Schreiben von dem Apostel selbst oder einem seiner Mitarbeiter stammt.

1Thes 5,25

An dieser Stelle taucht die Anrede "liebe Brüder" (die insgesamt fünfzehnmal im 1. Thessalonicherbrief verwendet wird; vgl. die Ausführungen zu 1Thes 1,4 ) im Urtext zum ersten Mal gleich am Anfang des Satzes auf. Diese Satzstellung hebt die Anrede besonders hervor. Die präsentische Formulierung unterstreicht dabei gleichzeitig das Fortwährende der Handlung - "haltet an am Gebet". Paulus' Appell zur Fürbitte richtet sich an jene, die er als seine Brüder betrachtet. Zweifellos hing der Erfolg seiner missionarischen Arbeit in hohem Maße mit den Gebeten der Thessalonicher und anderer Gläubiger, die für ihn beteten, zusammen. Der Apostel wußte um seine persönliche Unzulänglichkeit, und er wußte auch um Gottes Kraft (vgl. 2Kor 3,5). Doch er erbat Fürbitte nicht nur für sich selbst, sondern genauso für seine Mitarbeiter.


1Thes 5,26
Im kulturellen Umfeld des Paulus war es, wie auch heute bei vielen Nationen, sowohl unter Männern als auch bei Frauen üblich, Freunde mit einem Kuß auf die Wange zu begrüßen. Ein solcher Kuß war Ausdruck der gegenseitigen Zuneigung. Indem Paulus diese Praxis empfiehlt, trägt er dazu bei, ein äußeres Zeichen der christlichen Liebe, das in der damaligen Zeit kulturell akzeptiert war, einzuführen. Die Christen sollten sich mit dem heiligen Kuß, der frei von jedem körperlichen Aspekt war, grüßen. Etwa vergleichbar in der westlichen Kultur von heute wäre eine Umarmung, ein freundschaftlicher Schlag auf die Schulter oder ein Händedruck. J. B. Phillips übersetzte diesen Vers für den zeitgenössischen Leser mit den Worten: "Reicht allen in der Bruderschaft die Hand."

 1Thes 5,27

Die letzte Ermahnung des Apostels fordert die Gemeinde dazu auf, den vorliegenden Brief vor allen Brüdern zu verlesen, wahrscheinlich vor der ganzen thessalonischen Gemeinde. Der normale Gebrauch des griechischen Wortes für "lesen" (anagnOsthEnai ) impliziert immer ein lautes Lesen. Paulus formuliert diese Bitte in überraschend dringlicher Form. Er nimmt seine Leser beim Wort (enorkizO hymas) - "ich beschwöre euch" -, seine Forderung zu erfüllen, und stellt ihnen andernfalls die Strafe Gottes in Aussicht. Gab es möglicherweise bestimmte Probleme in der Gemeinde, denen Paulus dadurch beikommen wollte, daß wirklich jeder seine Worte zu hören bekam? Oder wußte er, daß sein Brief in der Vollmacht des Heiligen Geistes geschrieben und deshalb für die ganze Gemeinde wertvoll war? Beide Motive mögen eine Rolle gespielt haben.


 B. Segen (5,28)
1Thes 5,28

In jedem seiner brieflichen Segenssprüche beruft sich Paulus auf die Gnade Gottes, die ihm ein ständiger Anlaß zur Freude war (vgl. 1Thes 1,1). Er setzte sie mit jener Gnade gleich, die durch unseren Herrn Jesus Christus kommt. In ihm haben die Christen "alles in allem". Die göttliche Gnade ist offensichtlich immer mit seinen Kindern, doch Paulus möchte, daß seine Leser diese Gnade auch wirklich spüren und sich an ihr freuen. Alles, was der Mensch in Christus hat, kommt aus dieser Gnade.


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1. Thessalonicher
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