Hebräer (Zane C. Hodges)
EINFÜHRUNG
Der Brief an die Hebräer
ist sowohl vom Umfang als auch von seinem Inhalt her einer der
wichtigsten Briefe des neutestamentlichen Kanons. Er konzentriert sich
in einzigartiger Weise auf die Person und das Werk Jesu Christi und
leistet damit einen theologisch unschätzbaren Beitrag zur Lehre von der
Inkarnation, dem stellvertretenden Tod Christi und seiner
Priesterschaft. Daneben bezieht er Stellung zum Verhältnis zwischen dem
Neuen und dem Alten Bund, zur Auslegung des Alten Testaments und zum
Glaubensleben. Es wäre in der Tat ein unersetzlicher Verlust für die
Kirche, wenn die Ausführungen dieser Schrift verlorengegangen wären.
Doch trotz seines
unleugbaren Wertes wissen wir wenig Sicheres über Anlaß, Hintergrund und
Verfasserschaft des Schreibens. Die Unklarheit in diesen Punkten
beeinträchtigt das Verständnis der Botschaft des Briefes jedoch nicht
ernstlich. Diese Botschaft bleibt zeitlos gültig, ganz gleich, unter
welchen Umständen sie entstanden ist.
Datierung
Wenn man sich mit dem
Hintergrund des Hebräerbriefes auseinandersetzen will, ist es sinnvoll,
mit der Datierungsfrage zu beginnen, die immerhin mit einiger Gewißheit
beantwortet werden kann. Da der Brief bereits Clemens von Rom bekannt
war und von ihm im 1. Clemensbrief zitiert wurde, kann er kaum später
als etwa um das Jahr 95 n. Chr. entstanden sein. Außerdem enthält er
keinerlei Hinweise auf die Zerstörung des Tempels in Jerusalem, muß also
eigentlich vor dem Jahr 70 n. Chr. geschrieben sein. Wenn
dieses einschneidende
Ereignis bereits eingetreten wäre, hätte es dem Verfasser ein
definitives Argument für die Abkehr vom alttestamentlichen Opfersystem
geliefert. So aber scheint er davon auszugehen, daß dieses System noch
intakt war (vgl. Hebr 8,4.13;9,6-9;10,1-3 ).
Es besteht kein Anlaß, Hebr
2,3 als Hinweis auf Christen der zweiten Generation zu verstehen, zumal
der Brief ganz offensichtlich zu Lebzeiten von Timotheus geschrieben
wurde, den der Autor persönlich kannte ( Hebr 13,23 ). Wenn nicht Paulus
der Verfasser des Briefes ist (und es hat insgesamt den Anschein, daß er
es nicht ist; vgl. auch die folgende Erörterung zur Verfasserfrage ),
dann legt Hebr 13,23 möglicherweise die Annahme nahe, daß der Apostel
bereits gestorben war, denn sonst wäre zu erwarten gewesen, daß sich ihm
Timotheus nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis angeschlossen hätte.
Wenn man alle diese Punkte in Rechnung stellt, so scheint eine
Abfassungszeit um das Jahr 68 oder 69 n. Chr. am wahrscheinlichsten.
Verfasserfrage
Viele Namen sind in die
Diskussion um die Verfasserschaft des Hebräerbriefes geworfen worden,
doch die Frage nach dem wirklichen Briefschreiber bleibt ungeklärt. Die
Überlieferungslinie, nach der Paulus als Verfasser des Briefes gilt, ist
sehr alt und wurde nie gänzlich widerlegt. Seit der Zeit des Pantänus
(er starb ca. 190 n. Chr.) herrschte in Alexandria die Überzeugung, daß
der Brief paulinischer Herkunft sei. Clemens von
Alexandria ging davon aus,
daß Paulus
ihn ursprünglich auf
hebräisch geschrieben und Lukas ihn dann ins Griechische übertragen
habe.
Origenes zweifelte aus
stilistischen Gründen an einer paulinischen Verfasserschaft, setzte aber
andererseits die Tradition nicht außer Kraft. In einer berühmten
Äußerung räumte er ein, daß Gott allein wissen könne, wer den Text
verfaßt habe.
Die Überzeugung, daß Paulus
der Verfasser des Hebräerbriefes sei, hielt sich besonders lange im
Osten. Hieronymus und Augustinus haben diese Theorie dann im Westen
bekannt gemacht. In neuerer Zeit war man allgemein der Ansicht, daß der
Stil und bestimmte innere Merkmale des Hebräerbriefes Paulus als Autor
ausschließen. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, daß Argumente, die
auf derartigen Überlegungen basieren, immer subjektiv bleiben und in
anderen Fällen auch als Beweis für völlig unhaltbare Thesen herangezogen
werden. Dennoch ist einzuräumen, daß der Hebräerbrief, wenn man ihn im
Griechischen liest und mit den anderen bekannten Paulusbriefen
vergleicht, den Eindruck vermittelt, daß man es hier mit einem Verfasser
zu tun hat, der in theologischer Hinsicht zwar eindeutig eine gewisse
Nähe zu Paulus aufweist, sich aber in verschiedenen Feinheiten wieder
gänzlich von ihm unterscheidet. Dieser subjektive Eindruck hätte sich
allerdings wohl kaum durchgesetzt, wenn die frühe kirchliche
Überlieferung nur Paulus als möglichen Verfasser erwähnt hätte.
Der andere Name, mit dem
der Brief schon früh in Verbindung gebracht wird, ist der des Barnabas,
mit dem Paulus zu Anfang seiner missionarischen Tätigkeit
zusammenarbeitete. Diese Überlieferung findet sich zuerst im Westen bei
Tertullian (ca. 160/170 - 215/220 n. Chr.). In einer polemischen Passage
zitiert er aus dem Hebräerbrief und gibt als Quelle einen Brief von
Barnabas an. Es hat dabei nicht den Anschein, als ob er nur seine eigene
Meinung wiedergibt, sondern als würde er auf eine Tatsache verweisen,
die seinen Lesern ebenso bekannt ist wie ihm. Die Sicht, daß Barnabas
den Hebräerbrief schrieb, wurde später von Hieronymus übernommen und
taucht bei Gregor von Elvira und Philastrius wieder auf, beides
Schriftsteller des 4. Jahrhunderts. Es gibt Grund zu der Annahme, daß
der Hebräerbrief unter dem Namen "Barnabasbrief" in das alte Verzeichnis
der kanonischen Schriften im Kodex Claremontanus aufgenommen wurde.
Der Brief selbst bietet
zwar nicht viele Anhaltspunkte, doch die Tatsache, daß er aus dem Westen
kam, ist möglicherweise signifikant. Der einzige geographische Hinweis
im Hebräerbrief deutet auf Italien ( Hebr 13,24 ), und wenn stimmt, was
die Überlieferung von Barnabas sagt, so wäre es nicht überraschend, daß
der Brief aus diesem Teil der antiken Welt kam. Doch auch in anderer
Hinsicht erfüllt Barnabas die Anforderungen, die an den Verfasser des
Hebräerbriefes zu stellen sind. Da er Levit war ( Apg 4,36 ), wäre das
Interesse am levitischen System, das der Verfasser des Hebräerbriefes an
den Tag legt, für ihn nicht ungewöhnlich. Außerdem war er eng mit Paulus
verbunden, was Berührungspunkte des Hebräerbriefes mit dem paulinischen
Gedankengut erklären würde. Timotheus war in dem Gebiet bekehrt worden,
das Paulus auf seiner zweiten Missionsreise durchzog ( Apg 16,1-3 ), und
war Barnabas deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach bekannt. Wenn Paulus
zur Zeit der Abfassung des Hebräerbriefes bereits tot war, so wäre es
durchaus verständlich, daß Timotheus sich an seinen früheren Gefährten
Barnabas anschloß ( Hebr 13,23 ). Der theologische Streit zwischen
Paulus und Barnabas ( Apg 15,37-39 ) war längst beigelegt, und Paulus
selbst hatte später mit Wärme von Barnabas' Vetter Markus gesprochen
(vgl. Kol 4,10; 2Tim 4,11 ).
Natürlich läßt sich die
Verfasserschaft des Barnabas genausowenig endgültig beweisen, wie sich
die des Paulus endgültig widerlegen läßt. Trotzdem hat diese Annahme
mehr für sich als die Thesen, die an ihrer Statt geäußert wurden. So
wurden von Zeit zu Zeit die Namen Clemens, Lukas, Silvanus, Philipp der
Evangelist, Priszilla und Apollos als mögliche Verfasser ins Gespräch
gebracht, wobei besonders Apollos bei modernen Forschern Zustimmung
fand. Häufig wird diese These auf Martin Luther zurückgeführt, doch die
Belege dafür sind wenig stichhaltig und können nicht auf eine so lange
Stützung durch die Tradition zurückblicken wie die Annahme, daß der
Hebräerbrief von Barnabas geschrieben wurde. So erscheint diese denn
letztlich als der plausibelste Vorschlag. Wenn der Hebräerbrief
tatsächlich von Barnabas verfaßt wurde, dann kann er apostolische
Autorität für sich in Anspruch nehmen, denn Barnabas wurde als Apostel
bezeichnet ( Apg 14,14 ). Die göttliche Autorität des Briefes aber wird
schon aus ihm selbst deutlich.
Hintergrund und Umfeld des
Briefes
Die Identität der
Adressaten des Hebräerbriefes bleibt ebenso im Dunkel wie sein
Verfasser. Sie gehörten allerdings, wie an verschiedenen Beobachtungen
deutlich wird, fraglos einer speziellen Gemeinschaft an. So hatten die
Leser eine bestimmte Geschichte, auf die der Briefschreiber mit dem
Hinweis auf ihre "früheren Tage" Bezug nahm ( Hebr 10,32-34 ); er wußte
von ihren früheren und gegenwärtigen Liebesdiensten für andere Christen
( Hebr 6,10 ); und schließlich war er detailliert über ihre momentane
geistliche Verfassung informiert ( Hebr 5,11-14 ). Offenbar bestand
zwischen dem Briefschreiber und seinen Adressaten eine wirkliche
Verbindung, denn er äußert in seinem Schreiben die Absicht, sie -
vielleicht zusammen mit Timotheus - zu besuchen ( Hebr 13,19.23 ), und
bittet um ihre Fürbitte ( Hebr 13,18 ).
Aller Wahrscheinlichkeit
nach waren die Leser des Briefes größtenteils stark jüdisch geprägt.
Dafür spricht trotz aller Einwände, die gegen diese Annahme erhoben
wurden, der ganze Inhalt des Briefes. Die Überschrift "an die Hebräer"
war zwar sicherlich nur eine spätere Hinzufügung, doch sie paßt zum
Tenor des Schreibens. Wenn man davon ausgeht, daß alles, was in diesem
Text gesagt wird, auf eine heidnische Leserschaft zugeschnitten ist, so
kommt man doch nicht an der Tatsache vorbei, daß die starke Betonung
jüdischer Vorstellungen und die massive Polemik des Verfassers gegen das
Fortbestehen des levitischen Systems sich am besten erklären läßt, wenn
man davon ausgeht, daß seine Leser vom jüdischen Denken herkommen und in
Gefahr sind, in ihren alten Glauben zurückzufallen. Auch die mit
zahlreichen Beispielen untermauerte Berufung auf die Autorität des Alten
Testaments ergibt am ehesten einen Sinn bei Lesern, die mit diesen
Schriften großgeworden sind.
Über die geographische Lage
der Gemeinde, der die Leser angehörten, läßt sich nichts Bestimmtes
sagen. Die Annahme, Apollos habe den Brief an die Gemeinden im Lykustal
(wo auch Kolossä lag) oder nach Korinth geschrieben, läßt sich nicht von
der Position trennen, die man in der Verfasserfrage einnimmt. So gibt es
auch Anhänger der These, daß die Leser eine Enklave innerhalb der
römischen Kirche bildeten. Abgesehen von dem Hinweis auf "die Brüder aus
Italien" deutet allerdings nicht viel auf Rom als Bestimmungsort des
Briefes. Wenn man davon ausgeht, daß Barnabas sein Verfasser war, bietet
sich Zypern als Heimat der Adressaten an, da Barnabas selbst Zypriote
war. Keine dieser Hypothesen ist jedoch letztlich überzeugend.
In neuerer Zeit hat die
Ansicht, der Brief sei nach Palästina gerichtet gewesen, einige
Bestärkung durch die Beobachtung erfahren, daß die Polemik des
Verfassers am ehesten verständlich wird, wenn man davon ausgeht, daß er
sich gegen eine bestimmte sektiererische Form des Judentums wandte, wie
sie etwa in Qumran praktiziert wurde. Tatsächlich ergeben sich in diesem
Zusammenhang viele interessante und eindrückliche Parallelen, auf die im
Laufe des Textkommentars eingegangen werden soll. Besonders das
Bestreben des Autors zu zeigen, daß die Wüstenerfahrung des alten Israel
eine Zeit des Unglaubens und des geistlichen Versagens war, kann als
Pointe, wenn nicht als direkter Angriff gegen Sektierer wie die
Angehörigen der Qumran-Sekte, die den Rückzug in die Wüste
idealisierten, verstanden werden. Wenn die Daten, die für eine
Verbindung des Hebräerbriefes mit sektiererischem Gedankengut sprechen,
auch nicht jeden gleichermaßen überzeugen, so tragen sie doch auf jeden
Fall zu einer Stützung der These von einem palästinischen Bestimmungsort
des Briefes bei.
Doch auch diese Theorie
bietet gewisse Schwierigkeiten. Zum einen paßt die Äußerung, daß die
Leser ihr Wissen vom Herrn von Leuten bezogen, die ihn persönlich gehört
haben ( Hebr 2,3 ), besser zu einer Gemeinde, in der Mission betrieben
wurde. In Palästina und besonders in Jerusalem dagegen könnten viele
Christus selbst begegnet sein. Außerdem klingt der Hinweis auf die
Freigebigkeit der Adressaten gegenüber den Armen ( Hebr 6,10 ) nicht
nach der Gemeinde in Jerusalem, die später selbst in großer Armut lebte
(vgl. Apg. Hebr 11,27-29; Gal 2,10 ). Wenn der Satz von Hebr 12,4 so zu
verstehen ist, daß es in der Gemeinschaft, die der Verfasser des
Hebräerbriefes anspricht, bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Märtyrer
gab, so ist Palästina oder zumindest Jerusalem als Bestimmungsort
ohnehin auszuschließen. Es wäre aber auch denkbar, daß lediglich von der
speziellen Gruppe, die der Briefschreiber ansprach, noch kein solches
Opfer verlangt worden war.
Wenn Barnabas der Verfasser
des Briefes war, so kämen als mögliche Adressaten, auf die alle
Bedingungen zutreffen, die Christen in der alten libyschen Stadt Kyrene
in Nordafrika in Frage. Kyrene wurde um 630 v. Chr. als griechische
Kolonie gegründet, beherbergte zur Zeit der römischen Herrschaft aber
auch eine vielköpfige und einflußreiche jüdische Gemeinde. Es scheint
dort schon sehr früh Christen gegeben zu haben, denn die Kirche von
Antiochia in Syrien war von Missionaren, die aus Zypern und Kyrene
kamen, gegründet worden ( Apg 11,20 ). Die Verbindung zwischen Zypern
und Kyrene ist im Hinblick auf Barnabas' zypriotische Herkunft besonders
interessant. Zwei seiner Mitarbeiter, mit denen er später in der
antiochenischen Kirche Dienst tat, waren "Simeon, genannt Niger", und
"Luzius von Kyrene" ( Apg 13,1 ). Der Beiname Simeons bedeutet
"schwarz", er stammte also möglicherweise wie sein Gefährte Luzius aus
Nordafrika. Ob dieser Simeon mit dem Simon, der Jesu Kreuz trug ( Lk
23,26 ), identisch war, ist unklar, doch auch letzterer stammte aus
Kyrene. Simon hatte zwei Söhne, Alexander und Rufus ( Mk 15,21 ), die in
der römischen Gemeinde bekannt waren, falls das Markusevangelium dort
zuerst verkündet wurde. Auf jeden Fall bestanden höchstwahrscheinlich
Kontakte zwischen den Christen der libyschen Stadt Kyrene und Christen
in Rom und in Italien. Das würde auch den Hinweis auf die "Brüder aus
Italien" in Hebr 13,24 rechtfertigen.
Wenn man den Parallelen zu
einem jüdischen Sektierertum, das den Rückzug in die Wüste favorisierte,
eine gewisse Bedeutung beimessen will, dann mag auch die Tatsache, daß
Kyrene am Rand einer von Nomaden bevölkerten Wildnis lag, recht
aufschlußreich sein. Die Hinweise des Verfassers auf das griechische
Wort oikoumenE (in Hebr 1,6 und Hebr 2,5 mit "Welt" wiedergegeben)
würden im Zusammenhang mit Kyrene einen besonderen Klang erhalten. Im
allgemeinen bezeichnete das Wort das Römische Reich und die Grenzen der
römischen oikoumenE nach Süden, nicht weit von Kyrene. Da es
unwahrscheinlich ist, daß die Motivation, sich aus dem städtischen Leben
und der korrupten jüdischen Gesellschaft zurückzuziehen, sich allein auf
Palästina beschränkte, wäre es nicht überraschend, wenn es auch in der
Wüste um Kyrene Enklaven von Sektierern gegeben hätte. Von Philo wissen
wir zum Beispiel, daß eine asketische jüdische Sekte sich an den
Gestaden eines Sees nahe bei Alexandria in Ägypten niedergelassen hatte.
Wenn man das Für und Wider
abwägt, erscheint als wahrscheinlichster Adressat des Briefes an die
Hebräer eine christliche Gemeinde mit einem hohen Anteil an jüdischen
Mitgliedern in einer Stadt wie Kyrene. Unter dem Druck ihrer nicht zum
christlichen Glauben übergetretenen ehemaligen jüdischen Glaubensbrüder
sahen sie sich ständig der Versuchung ausgesetzt, ihrem christlichen
Bekenntnis abzuschwören und zum Glauben ihrer Väter zurückzukehren.
Besondere Relevanz gewinnen die Aussagen des Briefschreibers - wie der
Kommentar zeigen wird -, falls es sich dabei um die besondere Ausprägung
des jüdischen Glaubens, wie wir sie aus Qumran kennen, handelte. Der
Hebräerbrief besitzt große Plausibilität als Entgegnung auf die
Versuchung, sich aus dem bürgerlichen Leben in ein Leben in der Wildnis
zurückzuziehen.
Der Herr Jesus ist als
Herrscher über die oikoumenE ( Hebr 2,5 ) gesetzt, und all jene, die
sich treu zu ihm bekennen, werden an dieser Herrschaft teilhaben
(vgl Hebr 12,28 ), wenn sie fest an ihrem christlichen Bekenntnis
festhalten.
Letztlich ist die
Identifizierung der Adressaten des Briefes genauso von zweitrangiger
Bedeutung wie die Identität seines Verfassers. Unabhängig davon, wer ihn
geschrieben hat oder wohin er ursprünglich gesandt wurde, hat die
christliche Kirche ihn zu Recht durch die Jahrhunderte als eine mächtige
und gültige Botschaft von Gott betrachtet, der sich in seinem Sohn
definitiv offenbart hat.
GLIEDERUNG
I. Prolog ( 1,1-4 )
II. Teil I: Der König-Sohn
Gottes ( 1,5-4,16 )
A. Der erhöhte
König-Sohn( 1,5-14 )
B. Die erste Warnung
( 2,1-4 )
C. Der König-Sohn als
vollkommener "Anfänger des Heils" ( 2,5-18 )
1. Das Schicksal
des "Anfänger des Heils" ( 2,5-9 )
2. Die
Verbundenheit des "Anfänger des Heils" mit seinen Anhänger ( 2,10-18 )
D. Die zweite Warnung
( Kap.3-4 )
1. Der Aufruf zur
Treue ( 3,1-6 )
2. Das warnende
Beispiel Israels ( 3,7-4,11 )
3. Gottes Wort
und der Gnadenthron ( 4,12-16 )
III. Teil II: Der
Priester-Sohn Gottes ( Kap.5-10 )
A. Einführung: Der
rechte Hohepriester ( 5,1-10 )
1. Die
Anforderungen an einen Hohenpriester ( 5,1-4 )
2. Die Berufung
des Sohnes zur Hohenpriesterschaft ( 5,5-10 )
B. Die drite Warnung
( 5,11-6,20 )
1. Das Problem
der geistlichen Unreife ( 5,11-14 )
2. Die Lösung des
Problems ( 6,1-3 )
3. Die
Alternative zum geilichen Wachstum ( 6,4-8 )
4. Eine
abschließende Ermutigung ( 6,9-20 )
C. Der größere
Priester und sein größeres Amt ( 7,1-10,18 )
1. Der höhere
Priester ( Kap.7 )
a. Die Größe
Melchisedeks ( 7,1-10 )
b. Die neue
Priesterschaft ( 7,11-19 )
c. Die
Überlegenheit der neuen Priesterschaft ( 7,20-28 )
2. Der höhere
Dienst ( 8,1-10,18 )
a.
Einführung in den höhere Dienst ( 8,1-6 )
b. Der
höhere Bund ( 8,7-9,15 )
c. Das
höhere Opfer ( 9,16-28 )
d. Die
Wirkung des einmaligen Opfers ( 10,1-18 )
D. Die vierte Warnung
( 10,19-39 )
1.
Seelsorgerliche Ermahnung ( 10,19-25 )
2. Erneute
Warnung ( 10,26-31 )
3. Erneuter
Zuspruch ( 10,32-39 )
IV. Teil III: Die Antwort
des Glaubens ( Kap.11-12 )
A. Das Leben des
Glaubens ( Kap.11 )
1. Prolog
( 11,1-3 )
2. Die Annahme
des Glaubens ( 11,4-6 )
3. Verschiedene
Beispiele für Glabensrafhrung ( 11,7-40 )
B. Die letzte Warnung
( Kap.12 )
1. Einleitende
Ermahnung ( 12,1-2 )
2. Ermutigung zu
standhaftem Ausharren ( 12,3-11 )
3. Aufruf zu
geistlicher Erneuerung ( 12,12-17 )
4. Die Warnung
( 12,18-29 )
V. Epilog ( Kap.13 )
AUSLEGUNG
I. Prolog
( 1,1-4 )
In einem beeindruckenden
Einleitungsabschnitt konfrontiert der Verfasser des Briefes seine Leser
sogleich mit der alles übersteigenden Größe des Herrn Jesus Christus.
Der Sohn, so erklärt er, ist der Träger der göttlichen Offenbarung
schlechthin. Dabei hebt er Jesus implizit von den alttestamentlichen
Propheten und explizit von den Engeln ab.
Hebr 1,1-2 a
In diesem Satz steht
bereits die zentrale Aussage des ganzen Prologes. Nachdem Gott sich
vorzeiten auf ganz verschiedene Weise ( polymerOs kai
polytropOs ) vielfach und auf vielerlei Weise offenbart hat, hat die
alttestamentliche Prophetie nun ihren abschließenden Höhepunkt in Gottes
Sohn gefunden. Wie hoch die Adressaten des Briefes alle früheren
Offenbarungen auch einschätzen mögen, nun müssen sie, so die implizite
Aufforderung, sich in erster Linie auf den Sohn konzentrieren.
Hebr 1,2-4 (Hebr 1,2b-4)
In einer Reihe von
Nebensatzkonstruktionen, die im Griechischen einen einzigen Satz bilden,
beschreibt der Verfasser die Herrlichkeit des Sohnes. Zuallererst ist
der Sohn der designierte Erbe über alles (V. 2 b), wie es ihm - der ja
auch alles geschaffen hat ( durch den er auch die Welt gemacht
hat , tous aiOnas , wörtlich "die Zeitalter"; hier und in Hebr 11,3 mit
"die Welt" übersetzt) - zukommt. Der Verweis auf das Erbe des Sohnes
nimmt bereits den Gedanken an seine zukünftige Herrschaft vorweg, auf
die der Verfasser später ausführlich eingeht.
Doch der, der sowohl
Schöpfer als auch Erbe ist, ist zugleich auch ein vollkommenes Abbild
des Gottes, der in ihm gesprochen hat. Sein Wort ist so kräftig , daß
alles, was er erschaffen hat, durch dieses Wort erhalten wird. Dieser
Gott hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt
zur Rechten der Majestät in der Höhe (vgl. Hebr 8,1;10,12;12,2 ). Damit
hat er eine Stellung weit über der eingenommen, die den Engeln gebührt.
Wie man es in einem Prolog
erwartet, spricht der Briefschreiber hier Gedanken an, die bei der
Entfaltung der Thematik seines Briefes eine wichtige Rolle spielen. Er
geht davon aus, daß die Offenbarung Gottes im Sohn einen endgültigen
Charakter hat, der aller früheren Offenbarung fehlte. Das Sühnopfer, das
von einem solchen Menschen gebracht wird, muß zwangsläufig größer sein
als alle anderen Opfer. Die Größe des Sohnes macht die Beschäftigung mit
der Bedeutung irgendwelcher Engelwesen vollkommen überflüssig. Der
Prolog des Hebräerbriefes enthält zwar keine Warnung - die spart der
Verfasser sich für später auf -, aber er übermittelt eine implizite
Mahnung: Das ist Gottes über alles erhabener Sohn; hört auf ihn
(vgl. Hebr 12,25-27 )!
II. Teil I: Der König-Sohn
Gottes
( 1,5 - 4,16 )
An dieser Stelle beginnt
der erste größere Hauptteil des Briefes, der sich schließlich in Hebr
4,14-16 zu einem dramatischen Appell an die Leser steigert, von den
Möglichkeiten Gebrauch zu machen, die ihnen mit dem "Thron der Gnade"
( Hebr 4,16 ) angeboten sind. Der Schwerpunkt des ganzen Abschnittes
liegt auf der Sohnschaft Jesu Christi, die der Verfasser des Briefes als
Königssohnschaft gemäß dem davidischen Bund versteht.
A. Der erhöhte König-Sohn
( 1,5 - 14 )
Gestützt auf das Zeugnis
der alttestamentlichen Offenbarung, führt der Briefschreiber seinen
Lesern die Einzigartigkeit des Sohnes vor Augen. Der Sohnestitel und die
Privilegien, die er mit sich bringt, erhöhen ihn unvergleichlich weit
über die Engel. Diejenigen Forscher, die im Hebräerbrief Verbindungen zu
bestimmten jüdischen Sekten sehen, weisen an dieser Stelle auf die
hochentwickelte Engellehre der Sekte am Toten Meer hin. Dieser ganze
Abschnitt stellt eine eindrucksvolle Widerlegung gegen jede Tendenz zu
einer übersteigerten Engelverehrung dar.
Hebr 1,5
Die beiden Fragen in diesem
Vers machen deutlich, daß der Titel Sohn in einer Art und Weise mit dem
Messias verbunden ist, wie er es nie mit irgendeinem "Engelwesen" war.
Offenbar ist "Sohn" der höhere Titel, den Jesus "ererbt hat" (V. 4 ). Es
geht jedoch klar aus dem Text hervor, daß der Schreiber primär an der
besonderen Bedeutung dieses Titels im Zusammenhang mit dem Gedanken des
davidischen Königtums interessiert ist.
Das Zitat in Vers 5 a
stammt aus Ps 2,7 ,während das Zitat aus Vers 5 b entweder aus 2Sam
7,14 oder aus 1Chr 17,13 ist. Ps 2 ist eine Königshymne, in der Gott den
davidischen König als seinen "Sohn annimmt". Daß auch der Verfasser des
Hebräerbriefs ihn so auffaßt, bestätigt die Zitation aus dem davidischen
Bund in Hebr 1,5 a. Zweifellos verstand der Autor des Briefes das
"heute" in der Wendung "heute habe ich dich gezeugt" als eine Anspielung
auf den Messias, der zur Rechten Gottes sitzt (vgl. V. 3 ).
Natürlich war der Herr
Jesus Christus schon immer der ewige Sohn Gottes. In einem kollektiven
Sinn werden zwar auch die Engel im Alten Testament als "Gottessöhne"
( Hi 38,7 ) bezeichnet, den Titel Sohn jedoch versteht der Verfasser des
Hebräerbriefes im Sinne des davidischen Erben, der die Vollmacht hat,
Gott um die Herrschaft über die ganze Erde zu bitten (vgl. Ps 2,8 ). In
dieser besonderen Form gebührt der Titel allein Jesus und nicht den
Engeln.
Hebr 1,6
Im folgenden werden die
Privilegien dessen, der diesen höchsten Titel trägt, geschildert. Der
Satz "wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt" bezieht
sich auf den zweiten Advent des Herrn, wo die königlichen Vorrechte des
Sohnes in der Anbetung der Engel vor aller Augen offenbar werden (vgl.
die korrekte Wiedergabe des Textes von Ps 97,7 in der Septuaginta).
Hebr 1,7-9
Mit zwei gegensätzlichen
Zitaten stellt der Briefschreiber die dienende Stellung
der Engel (V. 7 ) der ewigen Herrschaft des Sohnes (V. 8 - 9 )
gegenüber. Möglicherweise verstand der Autor - in Einklang mit einer
bestimmten jüdischen Vorstellung über die Engel (vgl. 2. Esdras 8,21-22)
- den Satz aus Ps 104,4 (zitiert in Hebr 1,7 ) dahingehend, daß die
Engel bei der Ausführung der Aufträge, die ihnen Gott erteilt, häufig
die flüchtige Gestalt von Winden oder Feuerflammen annahmen.
Der Thron des Sohnes ist im Gegensatz dazu ewig und unveränderlich
(V. 8 ).
Das Zitat in den Versen 8 -
9 stammt aus Ps 45,7-8 ,in dem der endgültige Sieg des messianischen
Königs beschrieben wird. Dieses Zitat ist länger als die vorhergehenden,
offenbar deshalb, weil die Aussagen des Psalmisten das, was der
Verfasser des Hebräerbriefes seinen Lesern auseinandersetzen will,
besonders gut veranschaulichen. Der König, von dem der Psalmist
berichtet, hat die Gerechtigkeit (geliebt) und gehaßt die
Ungerechtigkeit . Das ist ein Verweis auf die Heiligkeit und den
Gehorsam Christi in seinem irdischen Leben - ein Punkt, der später immer
wieder aufgegriffen wird (vgl. Hebr 3,1-2;5,7-8;7,26;9,14 ). Der König
ist also zu Recht mit Freudenöl gesalbt . Die Wendung "wie keinen
deinesgleichen" ( para tous metochous sou ) enthält im Griechischen das
in der späteren Erörterung äußerst wichtige Wort metochoi , "Gefährten,
Teilhaber" (vgl. Hebr 3,1.14;12,8 ). Im Urtext ist damit bereits
angedeutet, daß der König seine Freude und seine Herrschaft
nicht allein genießt, sondern dabei möglicherweise Teilhaber hat, die
seinem gerechten Leben nacheifern. Dieser ganze Gedankengang wird
in Hebr 12,28 noch wesentlich klarer.
Hebr 1,10-12
Die Unwandelbarkeit des
König-Sohnes wird durch die folgenden Zitate aus Ps 102,26-28 noch
stärker hervorgehoben. Ein einfaches und ( kai ) verbindet sie mit dem
Zitat in Hebr 1,8-9 .Es besteht kein Zweifel, daß der Verfasser auch die
Worte von Ps 102 auf den Sohn bezog. Der Sohn ist also der Herr, der die
Erde und die Himmel geschaffen hat (vgl. Hebr 1,2 ). Doch selbst wenn
die Schöpfung sich abgenützt hat wie ein altes Gewand und durch ein
neues ausgetauscht wird, wird der Sohn unverändert bleiben. Hier geht es
eindeutig um die Verwandlung des Himmels und der Erde nach dem
Tausendjährigen Reich, vor dem Eintritt der Ewigkeit ( 2Pet 3,10-13 ).
Doch auch nach diesen umwälzenden Ereignissen werden die Jahre des
Sohnes nicht aufhören . Das ist sicherlich ein Hinweis auf die Ewigkeit
des Herrn. Ebenso wahrscheinlich ist, daß das Wort "Jahre" zugleich auch
für alles steht, was sie dem Sohn bringen: den ewigen Thron und das
Zepter sowie eine nie endende Freude. Der Verfasser des Hebräerbriefes
lehrt damit, daß das Reich des Messias auch die letzte "Erschütterung"
der Schöpfung überdauern wird (vgl. Hebr 12,26-28 ).
Hebr 1,13-14
Die Ausführungen des
Briefschreibers erreichen ihren Höhepunkt in einem letzten
alttestamentlichen Zitat, das für das Gedankengut des ganzen Briefes von
entscheidender Bedeutung ist. Es stammt aus Ps 110 ,den der Verfasser
später bei der Erörterung der Priesterschaft Jesu nach der Ordnung des
Melchisedek erneut heranzieht. Hier zitiert er zunächst Vers 1 des
Psalms, um den schließlichen Sieg des Sohnes über seine Feinde deutlich
zu machen. Wenn dem Sohn ein ewiger Thron bestimmt ist ( Hebr 1,8 ), so
muß auch ein solcher Sieg stattfinden. Es ist jedoch sein persönlicher
Sieg und nicht der der Engel. Ihre Aufgabe ist lediglich die
von dienstbare(n) Geister(n), ausgesandt zum Dienst um derer willen, die
das Heil ererben sollen .
Man sollte "Heil" in diesem
Zusammenhang nicht automatisch mit der Wiedergeburt des Gläubigen
gleichsetzen. Es geht hier im Gegenteil um etwas Zukünftiges, wie sowohl
der Kontext als auch die Worte "ererben sollen" zeigen. Man muß also
davon ausgehen, daß der Verfasser des Hebräerbriefs auch an dieser
Stelle wie im ganzen Brief vom Ethos des Alten Testamentes herkommt, um
so mehr, als hier die Anspielungen auf das Alte Testament das Rückgrat
seiner Argumentation bilden. Außerdem hat der Begriff "Heil" gerade in
der Psalmliteratur, die in diesem Kapitel als hauptsächliche
Gewährsquelle angeführt wird, eine ganz bestimmte Bedeutung. Er
beschreibt dort immer wieder die Erlösung des Gottesvolkes aus der
Unterdrückung durch seine Feinde und den Genuß der göttlichen Segnungen,
derer sich das Volk danach erfreut. In der Septuaginta, jener
griechischen Übersetzung, die dem Verfasser des Hebräerbriefes besonders
vertraut war, wird das Wort "Heil" ( sOtEria ) in eben dieser Bedeutung
in Ps 3,3.9; 18,3.36.47.51; 35,3; 37,39; 71,15; 118,14-15.21; 132,16 und
an anderen Stellen gebraucht. Sicherlich ist auch an dieser Stelle im
Hebräerbrief, wo vom Triumph des Sohnes über seine Feinde die Rede ist,
diese Bedeutung von "Heil" gemeint.
Es besteht kaum Zweifel
daran, daß die Leser des Hebräerbriefes unter äußerem Druck standen. Sie
hatten schon in der Vergangenheit unter Verfolgungen zu leiden gehabt
und werden ermahnt, auch weiterhin standhaft zu bleiben ( Hebr
10,32-36 ). Der Verfasser erinnert sie daran, daß der Sieg über alle
Feinde dem König Gottes zufallen wird und daß die Engel schon jetzt
denen dienen, die dazu bestimmt sind, an diesem Sieg teilzuhaben, d. h.,
"das Heil zu ererben". 2. Esdras 8,21-22 gehört zu den apokryphen Schriften. Diese Texte sind Teil der sogenannten Esra-Apokalypse (auch bekannt als 4. Esra), die in den meisten christlichen Bibelausgaben nicht zum kanonischen Schriftenkreis zählt, aber in einigen Traditionen (z. B. der römisch-katholischen und orthodoxen) als deuterokanonisch oder als nützliche Lektüre angesehen wird. Wichtige Kontexte:
Zusammenfassung:
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