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HEBRÄERBRIEF
Eschatologie
Der Verfasser des Briefes
Die Verfasserschaft des anonymen Briefes an
die Hebräer bleibt eine offene, der
Spekulation vorbehaltene Frage. Insbesondere
die Zweifel der westlichen Kirchenväter und
die Unterschiede im literarischen Stil sind
für die meisten heutigen Gelehrten zwingende
Beweise dafür, dass Paulus nicht der Autor
war. Von den möglichen, uns bekannten
neutestamentlichen Personen hat
wahrscheinlich Martin Luthers Vorschlag,
nämlich Apollos, die größte Anhängerschaft
gefunden. Von Apollos wissen wir, dass er
ein wortgewandter Jude aus Alexandria war,
der die Juden überzeugend widerlegte, indem
er anhand der Schriften nachwies, dass Jesus
der Christus ist (
Apg 18,24.28 ). Dies stimmt gut mit der
alexandrinischen Färbung des Briefes und den
brillanten rhetorischen Fähigkeiten des
Autors überein. Dennoch ist uns eine
eindeutige Bestimmung nicht möglich, wobei
die Gelehrten nicht weit über die
Schlussfolgerung des Origenes hinausgekommen
sind. Er sagte: »Wer den Brief verfasst hat,
weiß Gott allein.«
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HEBRÄERBRIEF
Eschatologie
Die Briefempfänger
Verbindungen zu Qumran?
Aufgrund von Ähnlichkeiten zwischen dem
Hebräerbrief und dem Qumranfragment
11Q Melchisedek haben einige Gelehrte
geschlossen, dass der Hebräerbrief an eine
Essener-Gemeinschaft in Palästina
geschrieben worden sei oder zumindest an
eine Gruppe, die von den
Qumran-Vorstellungen über Melchisedek
beeinflusst wurde. Melchisedeks genaue
Zuordnung in Qumran ist allerdings nicht
völlig eindeutig.
11Q Melchisedek stellt ihn als eine Art
himmlisches Wesen - vielleicht sogar als
Erzengel - dar, der eine eschatologische
Aufgabe dahin gehend erfüllt, dass er Sünde
sühnt, die Feinde Gottes bezwingt und die
Welt richtet. Er wird sogar als
Elohim bezeichnet.
Es gibt einige offensichtliche Ähnlichkeiten
zwischen dem Hebräerbrief und den
Qumran-Dokumenten. Bei genauerer Prüfung
erkennt man jedoch, dass diese Ähnlichkeiten
nicht die jeweiligen Vorstellungen über
Melchisedek betreffen. Sie ergeben sich
vielmehr, wenn man die Melchisedek
betreffende Qumran-Ansicht mit dem
vergleicht, wie der Hebräerbrief Jesus sieht
(
6,20; 7,3.15 ). Die beiden Quellen
stellen ganz unterschiedliche Bilder von
Melchisedek vor. Die eschatologischen und
dem Militär- und Gerichtswesen entnommenen
Bilder aus
11Q Melchisedek fehlen in der
Darstellung Melchisedeks im Hebräerbrief.
Hier sieht ihn der Schreiber vielmehr als
geschichtliches Vorbild auf Christus, nicht
als eschatologischen Welterlöser.
Wenn der Autor des Hebräerbriefes Qumrans
Ansicht über Melchisedek vertreten hätte,
würden sich bedeutsame eschatologische und
theologische Auswirkungen im Brief finden.
Wenn der Hebräerbrief Melchisedek den
gleichen Status eingeräumt hätte wie die
Qumranleute, wäre mit ihm ein Gegenspieler
Christi vorgestellt worden. Doch der
Schreiber des Hebräerbriefes erwähnt in
seiner Erörterung der Überlegenheit Jesu
gegenüber den Engeln (
1,4-2,9 ) Melchisedek an keiner Stelle.
Umgekehrt hält es der Verfasser für
notwendig, den Nachweis zu erbringen, dass
Melchisedek Abraham überlegen ist. Dies
hätte er nicht getan, wenn Melchisedek für
die Leser ein Engelwesen gewesen wäre. Aus
diesen Gründen ist kaum anzunehmen, dass die
Briefempfänger mit Qumran in Verbindung
standen.
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HEBRÄERBRIEF
Eschatologie
Die Briefempfänger
Rom als Wohnort?
Es heißt, dass der Hebräerbrief
höchstwahrscheinlich an eine Gruppe von
Judenchristen geschrieben wurde, die sich in
einer Hausgemeinde in Rom versammelte (
13,24 ). In der ersten Zeit nach ihrer
Hinwendung zum christlichen Glauben hatten
sie Verfolgung durchlebt. Sie waren
öffentlich verspottet worden. Einige von
ihnen wurden verhaftet, während man anderen
ihren Besitz geraubt hatte. Trotzdem hatten
sie dies freudig ertragen (
10,32-34; 13,3 ).
Diese Verfolgung bezieht sich wahrscheinlich
auf die Vertreibung der Juden aus Rom (49 n.
Chr.). Der römische Historiker Sueton teilt
uns mit, dass sie vom Kaiser Klaudius
vertrieben wurden, weil sie »auf Anstiften
eines gewissen Chrestus dauernde Unruhen
erregten«. Diese Aussage wird am häufigsten
so gedeutet, dass »Chrestus« den Namen
Christus im Lateinischen falsch
wiedergibt und dass sich die erwähnten
Unruhen auf den Ausbruch von
Feindseligkeiten zwischen orthodoxen, dem
traditionellen Judaismus treu bleibenden
Juden, und anderen Juden beziehen, die sich
dem christlichen Glauben zugewandt hatten.
Aus Apostelgeschichte 18,2 erfahren wir,
dass der Erlass des Klaudius Aquila und
Priscilla gezwungen hatte, zusammen mit
vielen anderen Juden Rom zu verlassen. Zu
dem Zeitpunkt jedoch, als Paulus seinen
Brief an die Römer schrieb (etwa 57 n.
Chr.), war dieses Ehepaar bereits
zurückgekehrt und stellte sein Haus für
Gemeindezusammenkünfte zur Verfügung (
Röm 16,3-5 ).
Zu der Zeit, als der Hebräerbrief
geschrieben wurde, bahnte sich eine neue
Verfolgung an. Angesichts dessen wurden
viele dieser Judenchristen müde und matt (
12,3 ). Sie waren versucht, Verfolgung
dadurch abzuwenden, dass sie zu ihrem
früheren Judaismus zurückkehrten (
10,23-29.35-39 ), der als
religio licita , als zugelassene
Religion, staatliche Anerkennung genoss. In
der ersten Zeit erfreute sich das
Christentum als gesetzlich zugelassene
Religion des gleichen Schutzes wie das
Judentum, weil man es für eine seiner Sekten
hielt. Nun aber, da seine Eigenständigkeit
erkannt gworden war, galt es als separate
und verachtete Glaubensrichtung, welcher der
Staat immer feindseliger gegenüberstand.
Obwohl bisher keiner der Empfänger des
Hebräerbriefes um seines Glaubens willen
getötet worden war (
12,4 ), würden einige von ihnen im Zuge
der von Nero veranlassten Verfolgung nach
dem Brand von Rom (64 n. Chr.) bald grausam
zu Tode gefoltert werden. Vermutlich vor
diesem Hintergrund der Verfolgung ermahnt
der Schreiber des Hebräerbriefes sie, auf
das künftige Ziel hinzuschauen, um in der
Gegenwart unerschütterlich bleiben zu
können.
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HEBRÄERBRIEF
Eschatologie
Der geistige Hintergrund des Verfassers
In der Vergangenheit hat man häufig
versucht, die Schriftauslegung des
Hebräerbriefes mit der Vorgehensweise des
alexandrinischen Juden Philo in Verbindung
zu bringen. Dieser wollte das Judentum an
die griechische Philosophie anpassen, indem
er die fünf Bücher Mose als Bilder
interpretierte. Infolgedessen hat man
vermutet, dass der Schreiber des
Hebräerbriefes ebenso Philos platonischen
Idealismus übernommen habe, der die
gegenwärtige Erscheinungswelt als
schattenhafte und niedere Widerspiegelung
der übersinnlichen Welt ewiger Gedanken
ansah.
Die platonische Denkweise des Verfassers des
Hebräerbriefes zeigt sich angeblich darin,
dass dieser Brief lehrt, das irdische
Heiligtum und der darin verrichtete Dienst
seien eine unvollkommene Nachbildung des
wahren Heiligtums, das im Himmel von Gott
errichtet worden ist (
8,2.5 ). Platonisches Denken sei
angeblich auch in der Lehre von der Ruhe
erkennbar. Der Hebräerbrief ist als eine
Darstellung des wandernden Gottesvolkes
charakterisiert worden. Er hatte die
Wüstenwanderung allegorisch als lange Reise
eines tugendhaften Geistes ausgelegt, der
versucht, den Begrenzungen des irdischen
Leibes zu entrinnen, um seine himmlische
Heimat erreichen zu können.
Der geistige Hintergrund des Hebräerbriefes
unterscheidet sich jedoch in mehrerer
Hinsicht deutlich von demjenigen Philos.
Weil Philo die geistige Welt aus
platonischem Blickwinkel sah und meinte, sie
sei jenseits der mit den Sinnen
wahrnehmbaren Welt und gehe ihr voraus,
legte er die ganze Wirklichkeit in
zeitlosen, metaphysischen Kategorien aus und
zeigte wenig Interesse an der Zukunft. Der
Autor des Hebräerbriefes war jedoch sehr an
Eschatologie interessiert. Im Hebräerbrief
ist Eschatologie der entscheidende
Gesichtspunkt, der den Schreiber in seiner
Auslegung und seinem Denken bestimmt. Anders
als Philo gebraucht der Brief keine
Allegorie, um über zeitlose, metaphysische
Kategorien zu spekulieren. Stattdessen
verwendet er die Typologie, um historische
Übereinstimmungen zwischen den in der
Vergangenheit liegenden alttestamentlichen
Erwartungen und ihren Erfüllungen in
Christus herzustellen und diese bis zu den
Erfüllungen in der Zukunft fortzuführen.
Anschließend dehnt er diese auf eine noch
zukünftige Wirklichkeit aus. Im gesamten
Brief findet sich das Bewusstsein einer
Messiaserwartung, das in Philos Schriften
offensichtlich fehlt. Außerdem wird im
Hebräerbrief die Materie nicht herabgesetzt.
Sein Schreiber lässt die Lehre von der
Menschwerdung vielmehr zu einem wichtigen
Bestandteil seiner Theologie werden (
2,4; 10,5 ). In dem platonischen
Dualismus des Philo ist die Menschwerdung
Christi nicht vorstellbar.
Nach sorgfältiger Überprüfung stellt man
fest, dass der Hebräerbrief in seiner Lehre
vom himmlischen Heiligtum keineswegs
platonisch ist. Er gründet den Beginn des
Priesterdienstes Christi im Himmel auf ein
tatsächliches Opfer, das innerhalb der
Geschichte auf Erden geschehen ist (
7,27; 9,11-12.23-28 ). Philo hätte es
nie zugelassen, dass ein ewiges, himmlisches
Ideal von einem irdischen, zeitgebundenen
Ereignis abhängt.
Der Ruhebegriff des Hebräerbriefes
unterscheidet sich ebenso wesentlich von dem
Philos. Im Hebräerbrief ist die
Wüstenwanderung der Israeliten, die bis auf
zwei Mann dort starben, nicht ein Bild für
das Leben des Christen. Vielmehr
veranschaulicht sie die Verurteilung wegen
ihres Unglaubens und ihrer hartnäckigen
Weigerung, in die Ruhe einzugehen (
3,10-11.16-19; 4,2.6 ). Im Gegensatz zu
Philo, der seiner Allegorie ein platonisches
und individualistisches Gepräge gibt, ist
der Hebräerbrief eschatologisch ausgerichtet
und in sich geschlossen. Er kennt keine
lange Reise der tugendhaften Seele. Vielmehr
führen seine wiederholten Anspielungen auf
4Mo 14 die Angehörigen des entstehenden
Volkes Israel nach Kadesch-Barnea zurück -
an jenen entscheidenden Punkt ihrer
Geschichte, wo sie sich geradewegs an der
Grenze des Gelobten Landes befanden und im
Begriff standen hineinzuziehen. Weil jene
Generation nicht in die Ruhe einging, bietet
der Hebräerbrief seinen Lesern eine
eschatologische Verheißung der Ruhe an (
4,1.6.9 ). Typologisch stellt er sie in
eine den Israeliten in
4Mo 4 vergleichbare Position: Jetzt, da
Christus gekommen ist, befinden sie sich am
Ende des gegenwärtigen Zeitalters. Sie
stehen im Begriff, in die Segnungen der Ruhe
in der Herrlichkeit einzugehen.
Es ist offensichtlich, dass der Hebräerbrief
in seiner geistigen Haltung nicht platonisch
ist. Er hat vielmehr feste biblische,
historische, messianische und
eschatologische Wurzeln.
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HEBRÄERBRIEF
Eschatologie
Die Eschatologie des Briefes
Die Lehre von den beiden Zeitaltern
Die Juden teilten die gesamte Weltgeschichte
in zwei Zeitalter ein: in das gegenwärtige
und das kommende Zeitalter. Weil sie Leiden
durchlebten, waren sie davon überzeugt, dass
man die Geschichte nicht verstehen kann,
wenn man nur das Leiden und die
Ungerechtigkeit der Gegenwart sieht. Sie
kann nur verstanden werden, wenn man sie vom
Standpunkt der letzten Vollendung aus sieht
- von jenem Zeitpunkt aus, da Gott auf
beispiellose Weise eingreift, um das Böse zu
richten und sein Reich einzuführen.
Die ersten Christen übernahmen die jüdische
Lehre von den beiden Zeitaltern, doch im
Gegensatz zu den Juden, die fortwährend den
im Kommen des Messias erreichten Höhepunkt
der Geschichte erwarteten, hielten sie daran
fest, dass die Vollendung in Jesus Christus
bereits begonnen hat. Er hat durch seinen
Tod und seine Auferstehung mit der Sünde ein
für alle Mal so abgerechnet, dass dadurch
der gesamte Verlauf der nachfolgenden
Geschichte bestimmt wurde (vgl.
1Kor 10,11; Hebr 1,2; 2,5.8.9; 6,5; 9,11.26;
1Petr 1,20 ). Für sie liegt die
entscheidende Mitte des Zeitgeschehens nicht
mehr in der Zukunft, sondern in der schon
geschehenen Offenbarung Christi. Folglich
konnte man die gesamte Geschichte nur von
ihm her gesehen verstehen (
Lk 24,27 ).
Indem sie kurz nach Christi Tod und
Auferstehung lebten, waren die Empfänger des
Hebräerbriefes von Gott in eine
privilegierte geschichtliche Position
gebracht worden, von der aus sie auf das
frühere Zeitalter zurückschauen konnten. Die
Gläubigen, die während dieses Zeitalters
lebten, erwarteten ein kommendes Zeitalter,
worin die ursprünglich Adam verheißene
Unterwerfung der gesamten Schöpfung
Wirklichkeit werden würde (
1Mo 1,26.28; Ps 8,5-7; Hebr 2,5-8 ). Ihr
Ziel war eine kommende Stadt, die für ewig
Bestand haben würde (
11,10.16; 13,14 ). Mose, einer der
größten Vertreter dieses Zeitalters, legte
treu Zeugnis ab von dem, was später
verkündigt werden würde (
3,5 ). Keiner der Angehörigen des
früheren Zeitalters erkannte jedoch die im
Alten Testament erwarteten Segnungen in der
Weise, wie sie jetzt ermöglicht wurden (
11,39-40 ).
Das frühere Zeitalter war unvollkommen und
nach seinem Selbstzeugnis dem kommenden
Zeitalter, auf das es in Bildern und
Schatten hinwies (
10,1-4 ), unterlegen. Die im Rahmen
dieses Zeitalters festgelegte religiöse
Ordnung war nur eine zeitweilige Vorkehrung,
bis die neue Ordnung kommen sollte (
9,10 ). Indem es die Einführung eines
neuen Bundes verhieß, erkannte das Alte
Testament selbst an, dass die Ordnung, der
es Gesetzeskraft verlieh, unzureichend war
und abgelöst werden würde. Mit der
Einführung eines neuen, in Jesus gestifteten
Bundes war der alte Bund überholt und hatte,
wie der Hebräerbrief darlegt, ausgedient und
war dabei zu verschwinden (
8,6-13 ;
Jer 31,31-34 ).
Die Empfänger des Hebräerbriefes waren in
die letzten Tage eingetreten, in denen Gott
direkt in seinem Sohn geredet hatte (
1,2 ). Obwohl sie noch in der Gegenwart
lebten, war das kommende Zeitalter im Ansatz
bereits gekommen (
9,11.26 ), dessen Kräfte sie geschmeckt
hatten (
6,5 ). Sie waren zum Berg Zion, dem
himmlischen Jerusalem (
12,22 ), gekommen.
Zwar ist die ganze Schöpfung den Menschen
gegenwärtig nicht unterworfen, wie dies im
Blick auf den Sohn des Menschen einst der
Fall sein wird (
2,8 ). Aber die Empfänger des
Hebräerbriefes standen an einem Punkt, von
dem aus sie den sehen konnten, dem alles
unterworfen sein wird - Jesus Christus. Er
ist mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt (
2,9 ). Das Erscheinen des neuen
Zeitalters, das sie in seiner Fülle noch
erwarteten, war bereits angebrochen. Indem
sie ihren Blick in die Ferne richteten,
konnten sie das Herannahen dieses letzten
Tages sehen, an dem die verheißene Hoffnung
völlig Wirklichkeit werden wird (
10,25 ). Jener Tag steht jetzt bevor,
wobei den Lesern die Verheißung gegeben
wird, dass sie nur noch eine ganz kleine
Weile auf die Ankunft dieses Tages warten
müssen (
10,37 ).
Der Hebräerbrief stellt uns zwischen die
beiden Zeitalter und lässt uns die Spannung
spüren: einerseits »schon jetzt« und
andererseits »noch nicht«. Jesus hat die
Zukunft bereits im Ansatz in die Gegenwart
geholt. Obwohl er sich bereits zur Rechten
Gottes gesetzt hat (
Hebr 1,3; 8,1; 10,12; 12,2; Ps 110,1 ),
gibt es eine kurze Zwischenzeit, in der die
Erstempfänger des Hebräerbriefes zusammen
mit uns, den übrigen Gläubigen, warten
müssen, bis Gott alle Feinde unter des
Sohnes Füße gelegt hat (
Hebr 1,13; 10,13; Ps 110,1 ). Die
künftige Welt ist Jesus unterworfen worden,
wobei sie im Ansatz bereits gekommen ist und
seine Herrschaft bereits begonnen hat. Doch
im eigentlichen Sinn ist die kommende Welt
jetzt noch nicht vorhanden, ist seine
Herrschaft noch nicht umfassend Wirklichkeit
geworden (
2,8 ). So wie Jesus für eine kurze Zeit
unter die Engel erniedrigt werden musste,
müssen auch wir eine kurze Zeit im Ausharren
Treue beweisen (
3,6.14; 6,11; 10,36-37 ). Wir leben
jetzt in dieser atemberaubenden,
spannungsvollen Phase zwischen den beiden
Zeitaltern, in der die bereits Wirklichkeit
gewordene Tatsache der Erlösung nach vorn
weist und die noch nicht erfüllte
allumfassende Herrschaft Christi
vorwegnimmt.
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HEBRÄERBRIEF
Eschatologie
Die Eschatologie des Briefes
Die künftige Macht zur Umgestaltung der
Gegenwart
Die Empfänger des Hebräerbriefes werden
daran erinnert, dass sie eine himmlische
Berufung besitzen (
3,1 ). Daher können sie sich in dieser
jetzigen Welt nie völlig zu Hause fühlen.
Sie sollten Abrahams Beispiel folgen, indem
sie die himmlische Stadt als Ziel ihrer
irdischen Pilgerschaft wählten, die Gott für
sie vorgesehen und auf festen,
unvergänglichen Fundamenten erbaut hat.
Umgekehrt sollten sie sich nicht allzu sehr
mit der gegenwärtigen Welt beschäftigen,
weil diese vergehen wird (
11,10.13-16; 13,14 ).
Nach dem Hebräerbrief ist uns die Hoffnung
auf die Verheißungen Gottes gegeben worden,
damit wir ihm nahen und in ihm den Anker
unserer Seele werfen können (
6,19; 7,19 ). Damit die Hoffnung diese
segensreichen Aufgaben erfüllen kann, betont
der Hebräerbrief die Zuverlässigkeit der
Verheißungen (
10,23 ). Abrahams Gewissheit war fest
gegründet, weil Gott, der nicht lügen kann,
die ihm gegebene Verheißung mit einem Eid
bestätigte (
1Mo 22,16- 17; Hebr 6,13-16 ). Wir
dürfen eine noch größere Gewissheit haben,
weil Jesus, unser Hoherpriester, in das
Innere des Vorhangs des himmlischen
Heiligtums als Vorläufer für uns
hineingegangen ist (
6,17-20 ).
Durch Glauben kann man Gottes Verheißungen
in Anspruch nehmen. Auf sie hoffen wir
zuversichtlich, selbst wenn wir gegenwärtig
nicht sehen, was uns verheißen ist (
Hebr 10,38; 11,1.6; Hab 2,4 ). Der
Hebräerbrief führt ermutigende Beispiele an,
indem er eine lange Liste alttestamentlicher
Heiliger vorstellt. Sie ließen ihren Glauben
sowohl objektiv (indem sie an Gottes
Verheißungen glaubten) als auch subjektiv
(indem sie Glaubenstreue bewiesen) erkennen
und stellten die Auswirkungen dieses
Glaubens im praktischen Leben unter Beweis.
Sie vollbrachten viele heldenhafte Taten (
11,4-38; 12,1 ), selbst wenn sie die
endgültige Erfüllung dieser Verheißungen
nicht empfingen (
11,13.39-40 ). Für sie alle war der
Glauben der Schlüssel, als es darum ging,
die sichtbaren Ziele dieser vergehenden, dem
Untergang geweihten Welt den größeren,
unsichtbaren Belohnungen des kommenden
Zeitalters unterzuordnen (
6,12; 11,13-16.25-27 ). Das größte
Glaubensbeispiel ist Jesus, der das Leiden
und die Schande des Kreuzes erduldete und
das Ziel erreichte, der gefallenen
Menschheit Erlösung anbieten zu können.
Dabei sah er über das Böse dieser
gegenwärtigen, sichtbaren Welt hinaus und
schaute auf die Herrlichkeit der künftigen,
unsichtbaren Welt, die er jetzt erlangt hat
(
12,2-3 ).
Der Schreiber gebraucht die Verheißung der
Belohnungen (
10,35-36; 12,11 ) und auch den ersten
Hinweis auf die Verantwortlichkeit gegenüber
Gott (
5Mo 32,36; Ps 135,14; Hebr 10,30; 13,17
) als Anreize für Gläubige, auszuharren und
verantwortlich zu leben. Das gegenwärtige
Leben umfasst eine begrenzte Übungszeit, die
uns darauf vorbereiten soll, den Herrn zu
schauen und an seiner Heiligkeit teilzuhaben
(
12,10.14 ). Indem sie an dieses Ziel
denken, sollen die Leser einander helfen
sowie ermuntern und zu Unerschütterlichkeit,
Standfestigkeit, Liebe und guten Taten
anreizen (
10,24-25; 12,12-13 ;).
Insbesondere die Tatsache, dass die Zukunft
in die Gegenwart hineinragt, bildet den
eschatologischen Rahmen für die Ermahnungen
des Hebräerbriefes, inmitten der Verfolgung
nicht aufzugeben, sondern vielmehr durch
Glauben und Ausharren in Gottes Ruhe
einzugehen. Der Hebräerbrief ermutigt die
Leser dazu, ihre Zuversicht und Hoffnung bis
zum Ende festzuhalten (
3,6.14; 6,11 ). Sie sollten nicht ihren
Vätern gleichen, die wegen ihres Ungehorsams
und Unglaubens nicht in die Ruhe eingingen (
Ps 95,7-11; Hebr 3,7-11.16-19; 4,1-2.11
). Der Schreiber bittet sie eindringlich,
auf den Heiligen Geist zu achten, der gerade
in diesem Augenblick mahnend ruft: »Heute,
wenn ihr seine [Gottes] Stimme hört,
verhärtet eure Herzen nicht« (
3,7-8 )! Im Brief finden sich folgende
Mahnungen: »Ermuntert einander jeden Tag,
solange es »heute« heißt« (
3,13 )! Und: »Heute, wenn ihr seine
Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht« (
3,15 ). Selbst wenn sie sich Verfolgung
gegenübersahen, war das »Heute« in den
Worten des Heiligen Geistes ein Tag
beispielloser Möglichkeiten. Denn die
Erwartung, in die Ruhe einzugehen, konnte
für sie Wirklichkeit werden (
4,11 ). Von der Tatsache ausgehend, dass
die Verheißung in der Vergangenheit nicht
erfüllt wurde, argumentiert der
Hebräerbrief, dass es für Gläubige noch
immer eine Möglichkeit geben muss, sie in
Anspruch zu nehmen (
4,9 ). Ohne den auf Kanaan bezogenen
Aspekt zu leugnen, folgert der Hebräerbrief,
dass diese verheißene Ruhe mehr einschließen
muss als die Ruhe nach der äußerlichen
Landbesetzung unter Josua, denn sonst hätte
Gott in
Ps 95 (
Hebr 4,7-9 ) nicht von einem anderen Tag
der Ruhe geredet. Er verbindet Gottes
Ruhebezeichnung in
Ps 95,11 (»
meine Ruhe«) mit
1Mo 2,2 - einer Stelle, wo es heißt,
dass Gott am siebten Schöpfungstag »von all
seinem Werk« ruhte. Dadurch kann der
Hebräerbrief folgern, dass die dem Volk Gott
verbleibende Ruhe der Sabbatruhe Gottes
ähnelt, in der Gott vom Werk seiner Hände
ruhte (
4,3-5.9-10 ). Der Hebräerbrief führt den
neuen Begriff
sabbatismos ein (
4,9 ), um die auf den Sabbat bezogene
Ruhe von der im Land Kanaan damals zu
unterscheiden. Die Ruhe schließt jetzt
sowohl gegenwärtige als auch künftige
Aspekte ein. Obwohl sie in ihrem umfassenden
Sinn eine Verheißung bleibt, die in der
Zukunft verwirklicht werden soll (
4,1.6.9 ), gehen Gläubige bereits jetzt
in sie ein (
4,3 ).
Es gibt viele unterschiedliche Auslegungen
zum Hebräerbrief. Aber auch in der
rabbinischen Literatur und im Barnabasbrief
wird die Lehre von der Ruhe eschatologisch
interpretiert. Viele der Rabbiner setzten
die sechs Schöpfungstage mit dem Zeitalter
dieser Welt und den Schöpfungssabbat mit
einer tausendjährigen Ruhe gleich, die in
die Ewigkeit übergehen würde. Rabbi Elieser
lehrte beispielsweise, dass »Gott sieben
Zeitalter erschaffen hat
... Es gibt sechs für das Leben und Sterben
der Menschen, doch ... das siebte ist ganz
dem Sabbat und der Ruhe im ewigen Leben
vorbehalten« (
Pirke , 18).
Der Barnabasbrief, der die christliche
Grundhaltung des Hebräerbriefes übernimmt,
berechnet den Anbruch der neuen Welt, indem
er die Vollendung der Schöpfung in sechs
Tagen mit der Zeit des Bestehens der
gegenwärtigen Welt gleichsetzt, die
sechstausend Jahre lang Bestand haben soll
(vgl.
Ps 90,4; 2Petr 3,8 ). Nachdem Gott die
Gottlosen gerichtet hat, wird er am siebten
Tag wahrhaftig ruhen, während er am achten
Tag, der dem Auferstehungstag Jesu
entspricht, eine neue Welt einführen wird
(Barnabasbrief 15,3-9).
Obwohl diese eschatologischen Ausführungen
über die Ruhe interessant sein mögen, können
wir nicht sagen, ob der Schreiber des
Hebräerbriefes ihnen beigepflichtet hätte.
Sein Brief entwirft keinen spekulativen
Zeitrahmen und setzt die künftige Ruhe nicht
ausdrücklich mit dem Tausendjährigen Reich
gleich.
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HEBRÄERBRIEF
Eschatologie
Die Eschatologie des Briefes
Ausblick auf die Zukunft
Nicht alles, was kommen wird, ist bereits
eingetreten. Doch der Opfertod und die
herrliche Erhöhung Christi haben das frühere
Zeitalter der Verheißung vollendet und das
neue Zeitalter der Erfüllung eingeleitet. In
der verbleibenden Zeit und der Ewigkeit
werden sich die natürlichen Folgen seines
vollbrachten Werkes erweisen.
Der Tod Christi befreit uns von der Tyrannei
des Teufels und wird für immer denjenigen
vernichten, der einst die Macht des Todes
hatte (
2,14-15 ). Durch sein vollkommenes Opfer
wurde Christus zum Mittler eines neuen und
bleibenden Bundes, der dem früheren
überlegen ist (
8,6-7.13 ; vgl.
7,22 ). Dieser neue Bund enthält
Bestimmungen, die gewährleisten, dass die
betreffenden Menschen als sein Volk das
Gesetz verinnerlichen, Gemeinschaft mit Gott
pflegen, ihn allumfassend erkennen und
vollständige Sündenvergebung erfahren (
Hebr 8,10-12; Jer 31,33-34 ). Der
Hebräerbrief wendet den neuen Bund auf seine
Leser an, wenn er von dem Geist, der in
ihnen wohnt, und von der Endgültigkeit des
Opfers Christi für die Sünde spricht (
10,15-18 ). Da dieser Bund jedoch
speziell mit dem Haus Israel und mit dem
Haus Juda geschlossen wurde (
8,8 ) und gegenwärtig noch nicht jeder
den Herrn erkennt (
8,11 ), muss er noch einer größeren,
künftigen Erfüllung entgegensehen.
Das durch Jesus erlangte Heil hat für uns
ewige Gültigkeit (
5,9 ), weil das von ihm gebrachte Opfer
zuallererst vollkommen war und nie mehr
wiederholt werden muss (
7,27; 9,12.25-26.28; 10,10.14 ), und
weil zweitens der Mittlerdienst seines
melchisedekischen Hohenpriestertums, das auf
der Unauflöslichkeit seines Lebens beruht,
nie aufhören wird (
5,6; 6,20; 7,3.8.16-17.21.24-25.28 ;
vgl.
Ps 110,4 ).
Für den Hebräerbrief ist es eine
grundlegende Lehre, dass es eine allgemeine
Auferstehung der Toten (
6,2; 11,19.35 ; vgl.
12,23 ) und ein künftiges, ewiges
Gericht über die Gottlosen geben wird (
6,2; 10,39 ). Er beschreibt dieses
furchtbare Gericht als loderndes Feuer, das
Gottes Widersacher verzehrt (
10,27.31; 12,29 ). Schon derjenige, der
das mosaische Gesetz verwirft, sündigt. Doch
schlimmer ist die Sünde dessen, der das
Evangelium und Gott verachtet, der es in
seiner Gnade anbietet. Deshalb werden die
Betreffenden ohne Barmherzigkeit noch härter
bestraft werden (
10,28-30; 12,25 ). Daneben findet sich
im Hebräerbrief auch die Lehre, dass
Gotteskinder an der Herrlichkeit des Sohnes
Anteil haben, wenn sich dieser die ganze
Schöpfung unterwirft (
2,6-10 ).
Inmitten des Wandels aller Zeitalter bleibt
Jesus Christus unwandelbar. Er ist derselbe
gestern, heute und in Ewigkeit (
13,8 ). Seine Jahre werden nicht
aufhören. Er existierte, bevor es das von
ihm erschaffene Universum gab, und er wird
noch da sein, nachdem die jetzigen Himmel
und die jetzige Erde untergegangen sind (
1,10-12 ;
Ps 102,25-27 ). In einem großen
umwälzenden Ereignis, dessen Urbild im
Erdbeben bei der Gesetzgebung am Berg Sinai
zu erkennen ist, wird Gott gewaltsam die
gesamte erschaffene Ordnung erschüttern,
damit er alles, was der Vergänglichkeit
unterworfen ist, beseitigen und sein
unerschütterliches Reich aufrichten kann (
12,26-28 ; vgl.
Hag 2,6 ). Dadurch, dass der Sohn in
diesem Reich in Gerechtigkeit ewig herrscht,
wird der davidische Bund erfüllt werden (
Ps 2,7; 45,7; 2Sam 7,12-16; Hebr 1,5.8
).
Dale F. Leschert
C. K. Barrett, »The Eschatology of the
Epistle to the Hebrews« in
The Background of the N.T. and Ist
Eschatology , Hg., W. D. Davies und D.
Daube (Cambridge: University Press, 1956),
363-393; Oscar Cullmann,
Christ and Time: The Primitive Christian
Conception of Time and Histor y,
Übersetz. Floyd V. Filson (Philadelphia:
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Katapausis. Die Vorstellung vom
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