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Hesekiel (Charles H. Dyer)
Hesekiel Walvoord Hesekiel (Charles H. Dyer)
Hesekiel Kapitel 22 und 23
( Hes 22 )
(1) Der Grund für das Gericht ( Hes 22,1-16 )
Hes 22,1-5
Gott fragte Hesekiel: Willst du sie richten? Willst du diese Stadt des
Blutvergießens richten? Diese Frage ähnelt der vom Beginn dieses
Abschnittes über die Sünde Jerusalems (vgl. Hes 20,4 ). Wenn Hesekiel
als Ankläger oder Richter auftreten sollte, dann mußte er die Tatsachen
der Anklage darstellen. Er mußte Jerusalem all seine schändlichen Taten
zeigen.
Gott gab Hesekiel zwei Anklagepunkte gegen die
Stadt: Blutvergießen und Götzenmachen . Hesekiel sprach in dieser
Botschaft siebenmal vom Blut oder Blutvergießen und machte so die
ungeheure Gewalttätigkeit der Stadt deutlich (vgl. "Gewalt" in Hes 7,23;
Hes 8,17; Hes 12,19 ). Diese beiden Sünden widersprachen den Anordnungen
des mosaischen Gesetzes über das Verhältnis Israels zu Gott und den
Mit-Israeliten (vgl. Mt 22,34-40 ). Statt Gott zu lieben, hatte es sich
dem Götzendienst zugewandt. Statt der Liebe zu den Mit-Israeliten
herrschte der Verrat.
Jerusalems Sünde würde bestraft werden - das Ende seiner Jahre war
gekommen . Wenn Jerusalem fiele, würden seine Nachbarn über es spotten.
Der Stolz dieser ehrlosen Stadt würde sich in Scham verwandeln, wenn
ihre Sünde vor anderen offenbar werden würde.
Hes 22,6-12
Hesekiel erwähnte Sünden, die in besonderer Weise gegen die zehn Gebote
verstoßen (vgl. 2Mo 20,1-17 ): soziale Ungerechtigkeit ( Hes 22,7 ),
Abfall (V. 8 ), Götzendienst (V. 9 ), Unzucht (V. 10 - 11 ) und Habgier
(V. 12 ). Diese Liste schloß mit einer anderen Sünde, der Wurzel aller
anderen: Du hast mich vergessen (vgl. Hes 23,35 ).
Hes 22,13-16
Hes 22,17-19
Israel war für Gott wertlos geworden, denn es war Schlacke für ihn - wie
die Schlacke von Kupfer, Zinn, Eisen und Blei, die in einem Schmelzofen
bleibt . Das Behandeln von Metallen war im Nahen Osten jener Zeit
bereits eine hochentwickelte Kunst (vgl. Hi 28,1-11 ). Wenn Metalle in
einem Schmelzofen erhitzt werden, bleibt, nachdem das reine Metall
ausgegossen worden ist, die Schlacke zurück. Für Gott war Israel wie
Schlacke - wertlos geworden durch seine Sünde.
In Vers 24 folgen manche Übersetzungen der Septuaginta, die Regen statt
"gereinigt" hat, da "Regen" besser zu " benetzen " paßt als "gereinigt".
Es gibt jedoch keinen zwingenden Grund, hier nicht dem hebräischen
"gereinigt" zu folgen. Wegen seines Ungehorsams hatte Israel keine
Reinigung (von der Sünde) empfangen und keine Benetzung (Segen) an dem
Tag, an dem Gott seinen Zorn schickte.
Hes 22,28-29
Die Propheten hätten eigentlich Gottes Sprecher sein sollen und dieses
gottlose Tun anprangern. Aber auch die Propheten (einmal abgesehen von
einzelnen wie Hesekiel oder Jeremia) ließen diese Sünden unbeachtet und
gaben den Menschen falsche Gesichte und wahrsagten Lügen . Sie
behaupteten, im Namen Gottes zu sprechen, wenn der HERR nicht gesprochen
hatte .
Schließlich sprach Hesekiel von dem Volk, dem gemeinen Mann, der dem
Vorbild seiner Führer folgte. Auch die Bevölkerung war von Erpressung
und Raub und von Unterdrückung der Armen durchsetzt (vgl. V. 25.27 ).
Die Herrscher unterdrückten also das gemeine Volk und das gemeine Volk
die Hilflosen.
Hes 22,30-31
Die Korruption war so vollständig, daß Gott, als er nach einem Mann
suchte, der sich gegen die Flut der nationalen Zerstörung stellen könnte
( die Mauer aufrichten und in den Riß treten), niemand finden konnte.
Keiner von denen, die in Israel in einer verantwortlichen Stellung
waren, hatte die moralischen Qualitäten, das Volk recht zu leiten.
Offensichtlich besaß Jeremia diese Qualitäten, aber ihm fehlte die
Autorität, das Volk von der Klippe der Zerstörung wegzuführen.
Israels immer stärker werdender Zerfall machte das Gericht
unabweichlich. Gott beschloß diese Botschaft gegen Jerusalem, indem er
schwor, daß er seinen Zorn ausgießen und die Menschen mit seinem
feurigen Grimm verschlingen würde (vgl. Hes 21,31 ).
Israel würde wegen seiner Sünden leiden müssen. Es hatte sich gegen
Gottes Gnade aufgelehnt, nun würde es Gottes Zorn zu spüren bekommen.
( Hes 23 )
(1) Der Ehebruch der Schwestern ( Hes 23,1-21 )
Ohola stellte Samaria dar, Oholiba war ein Bild für Jerusalem . Diese
beiden "Schwestern", die Hauptstädte der Königreiche von Israel und
Juda, standen für die Menschen in diesen beiden Reichen.
Ich nahm sie zu Frauen, und sie gebaren Söhne und Töchter . Der Gott der
Gnade verschwendete seine Liebe an diese unwürdigen Schwestern.
Israels Beziehungen zu Assyrien sind gut dokumentiert. Der schwarze
Obelisk des assyrischen Königs Salmanassar III. (ungefähr aus dem Jahr
841 V. Chr.) erwähnt "Jehu, Sohn des Omri" und stellt ihn dar, wie er
sich vor dem assyrischen Monarchen verbeugt. Dies wird in der Bibel
nicht erwähnt, ist aber vermutlich das Ergebnis der syrischen Bedrohung
gegen Israel. Syrien dehnte seine Herrschaft in israelitisches Gebiet in
Transjordanien hinein während der Regierungszeit von Jehu aus ( 2Kö
10,32-34 ). Um dieser Bedrohung begegnen zu können, verbündete sich Jehu
mit Assyrien und unterwarf sich diesem als Vasall. Der Obelisk zeigt uns
Jehu und seine Diener, wie sie dem assyrischen König Tribut bringen.
Menahem und Hoschea, zwei spätere Könige Israels, bezahlten ebenfalls
Tribut an Assyrien ( 2Kö 15,19-20; 17,3-4 ). Der Prophet Hosea (ca. 760
- 720 V. Chr.) tadelt Israel wegen seiner Abhängigkeit von Assyrien
statt von dem Herrn (vgl. Hos 5,13-14; 7,11; 8,9; 12,2 ).
Nachdem Israel ein Vasall Assyriens geworden war, konnte es sich nicht
mehr selbst befreien. Als es schließlich versuchte, aus diesem
Verhältnis zu entkommen, indem es ein Bündnis mit Syrien und Ägypten
einging (vgl. 2Kö 17,4; Jes 7,1 ), bekam es Assyriens Zorn zu spüren.
Eben jenes Volk, an das sich Samaria um Hilfe gewandt hatte, zerstörte
es nun. Gott gab ganz Israel, auch Samaria, in die Hände seiner
Liebhaber, der Assyrer, nach denen es es gelüstet hatte und die es mit
dem Schwert töteten. Im Jahr 722 V. Chr. fiel Samaria den Assyrern in
die Hände (vgl. 2Kö 17,5-6.18-20 ).
Jerusalem ging den unmoralischen Weg, den ihre Schwester ihr
vorangegangen war: Auch sie entbrannte für die Assyrer . Juda
schmeichelte sich bei Assyrien ein, statt sich auf Gott zu verlassen.
Vielleicht dachte Hesekiel an den folgenschweren politischen Schachzug
von König Ahas von Juda, der bereitwillig Juda zum Vasallen Assyriens
machte. Israel und Syrien hatten sich verbündet, um gegen Assyrien
vorzugehen, und sie wollten auch Juda in dieses Bündnis aufnehmen. Als
Ahas jedoch ablehnte, griffen sie Juda in der Hoffnung an, Ahas vom
Thron stoßen zu können und durch einen König zu ersetzen, der ihr
Vorhaben unterstützen würde. Statt aber nun auf Gottes Rettung zu
vertrauen (wozu der Prophet Jesaja ihn aufforderte), schickte Ahas Boten
nach Assyrien mit der Bitte um Hilfe und Schutz. Dadurch wurde Juda für
das nächste Jahrhundert zu einem Vasallenstaat von Assyrien (vgl. 2Kö
16,5-9; Jes 7 ).
Aber Jerusalems politische Intrigen hörten hier nicht auf. Es hurte noch
mehr . Nachdem es bei Assyrien Hilfe gesucht hatte, wandte sich
Jerusalem an Babylon. Hesekiel beschrieb recht detailiert die Kleidung
der babylonischen Soldaten, für die Jerusalem entbrannt war ( Hes
23,15 ).
Jerusalem schickte Boten zu ihnen nach Chaldäa . Da kamen die Babylonier
zu ihm, zu dem Bett der Liebe, und mit ihrer Lust verunreinigten sie es.
Jerusalems Ruhepause vor der assyrischen Herrschaft war nur von kurzer
Dauer. König Josia schuf ein Stück Unabhängigkeit, aber er wurde im
Kampf getötet, als er versuchte, einen ägyptischen Einfall in sein Land
zu verhindern (vgl. 2Kö 23,29-30 ). Juda wurde vier Jahre lang zum
Vasallenstaat Ägyptens. Vermutlich während dieser Zeit nahm König
Jojakim Kontakt mit Babylon auf und bat um Hilfe. Als Babylon die
Ägypter 605 V. Chr. bei Karkemisch besiegte, wechselte Jojakim das
Bündnis und wurde zum Vasall Nebukadnezars ( 2Kö 24,1 ).
Aber als Babylon kam, stellte Jerusalem fest, daß die Liebhaber, für die
es entbrannt war, grausam waren. Nachdem es durch sie verunreinigt
war, wandte es sich voller Ekel von ihnen ab . Babylon war ein
schlimmerer Zuchtmeister als Assyrien oder Ägypten, und Jerusalem
versuchte, der babylonischen Herrschaft zu entkommen.
Als sich Jerusalem von Babylon abwandte, wandte sich auch Gott von
Jerusalem ab. Jerusalem blieb in den Wegen ihrer Schwester und war sogar
noch schlimmer in ihrer Untreue als Samaria. Gott hatte Samaria wegen
ihrer Taten verworfen. Nun verwarf er Jerusalem.
Um seine völlige Abscheu vor diesem Handeln zu zeigen, benutzte Hesekiel
eine derbe Sprache (V. 20 ), nicht um vulgär zu sein, sondern um so die
äußerste geistliche Verkommenheit deutlich zu machen, in die Juda
gefallen war.
In den letzten 14 Jahren der Geschichte Judas (600 - 586 V. Chr.)
versuchte es, die Hilfe Ägyptens für seine Revolte gegen Babylon zu
gewinnen. König Jojakim rebellierte 600 V. Chr. gegen Babylon, nachdem
Ägypten Babylon besiegt hatte ( 2Kö 24,1 ). Juda griff nur zu gerne nach
den leeren Versprechungen der ägyptischen Hilfe. Zedekias endgültiger
Abfall von Babylon im Jahre 588 V. Chr. fiel mit dem Versprechen
Ägyptens zusammen, ihm zu helfen ( 2Kö 25,1; Jer 37,5-8; Hes 29,6-7 ).
Wenn die Babylonier Jerusalem mit militärischen Hauptleuten, Waffen und
wohlgeschützten Soldaten angreifen würden, würde die Stadt keinen Ausweg
mehr haben. Die Strafe, die Gott in seinem Zorn ihr durch Babylon
auferlegte, würde wie eine Verstümmelung sein. Sie werden deine Nasen
und deine Ohren abschneiden, und jene, die übrig sind, werden durch das
Schwert fallen . In Mesopotamien war die Verstümmelung des Gesichtes
eine häufig angewandte Strafe für Ehebruch. Eine schuldige Frau wurde so
sehr entstellt, daß sie für immer für jeden Mann abstoßend wirken mußte.
Sie wurde so gezwungen, ihre Schande und Schuld öffentlich zu tragen.
Auf gleiche Weise würde auch Jerusalem abstoßend gemacht werden für
irgendeinen weiteren Liebhaber.
Auch würden einige von Israels Kindern als Sklaven weggeführt werden,
andere würden durch Feuer verbrannt und ihr Besitz ( Kleider und
Edelsteine ) ihnen abgenommen werden. Gottes Gericht würde Judas Lust
auslöschen. Ägypten würde nicht länger die ersehnte Hilfe sein.
Hes 23,28-31
Diese zweite Weissagung wiederholt einige der Aussagen aus Vers 22 -
27 (und unterstreicht sie so) und fügt hinzu, daß Jerusalem, wenn die
Babylonier mit der Stadt fertig waren, nackt und bloß zurückgelassen
werden würde. Dieses schändliche Gericht käme wegen ihrer Hurerei über
sie, indem sie Hilfe von anderen Völkern suchte und von deren Götzen
verdorben würde. Da sie wie ihre Schwester gesündigt hatte, würde sie
auch auf ähnliche Weise bestraft werden ( ich werde ihren Kelch in deine
Hand geben ; vgl. die Anmerkungen zu V. 32 - 34 ): durch Schwert und
Wegführung.
Hes 23,32-34
Die dritte Weissagung des Gerichtes gegen Jerusalem unterscheidet sich
von den anderen beiden darin, daß sie ein Gedicht ist. Das Gedicht, das
man mit "Der Becher des Gerichtes Gottes" überschreiben könnte, spricht
davon, daß Jerusalem an dem Gericht Samarias teilhat, weil die Stadt
auch an der Sünde Samarias teilgenommen hat. Gott sagte: Du wirst den
Becher deiner Schwester trinken (vgl. V. 31 ), einen großen und tiefen
Becher; er wird dir Hohn und Spott bringen, denn es ist so viel darin.
Das Bild des Gerichtsbechers, der getrunken werden muß, taucht mehrmals
in der Bibel auf (vgl. Ps 75,9 f; Jes 51,17-23; Jer 25,15-19; 51,7; Hab
2,16; Offb 17,3-4; 18,6 ). Der "Inhalt" dieses Bechers bestand aus den
katastrophalen Folgen der Sünde - Leid, Untergang und Verwüstung -, die
das Volk angesammelt hat.
Hes 23,35
Das Werben der beiden Schwestern lockte eine sorglose Menge von Sabäern
von der Wüste und Männer aus dem Pöbel an . Das Wort "Sabäer"
( sABA?Im ) könnte auch mit "Betrunkene" übersetzt werden (von sABA? ,
"trinken, saufen"). Es kann auch sein, daß Hesekiel dieses Wort bewußt
um seiner Doppeldeutigkeit willen wählte. Der wilde, nomadische Stamm
der Sabäer benahm sich vielleicht wie Betrunkene. Der Ruf der beiden
Schwestern war so schlecht, daß selbst niedere Elemente der Gesellschaft
wußten, wo sie zu finden waren. Hesekiel benutzte zwei ähnlich lautende
Worte, um diese niederen Elemente zu bezeichnen, die von den Frauen
angezogen wurden. Sie brachten herbei ( mUBA?Im ) "Sabäer/Betrunkene"
( sABA?Im ).
Die Schwestern benutzten ihren Charme, um bei anderen beliebt zu sein.
Deshalb erniedrigte Gott sie zu Huren (vgl. Hes 23,3 ). Dies war ein
zutreffendes Bild für Israel und Juda, die sich heidnischen Nationen
zugewandt hatten, um bei ihnen Hilfe zu finden.
Hes 23,45-49
Gott kündigte an, daß gerechte Männer die Strafe über sie
sprechen werden, die ihr Ehebruch verdiente. Wer waren diese "gerechten
Männer"? Ganz sicher waren damit nicht die Völker gemeint, die
schließlich die beiden Schwestern vernichtet hatten, denn diese Völker
hatten ja vorher mit ihnen Ehebruch betrieben. Wahrscheinlich waren die
"gerechten Männer" die Propheten Gottes, die Gott kommen ließ, damit sie
die Sünde aufdeckten und das Gericht ankündigten. Sie nahmen damit die
Funktion der Ältesten ein, die darüber zu entscheiden hatten, was
geschehen sollte, wenn jemand der Unzucht angeklagt war (vgl. 5Mo
22,13-21 ).
Die Strafe für Ehebruch war der Tod ( 3Mo 20,10 ), in der Regel durch
Steinigung (vgl. 3Mo 20,27; Joh 8,3-5 ). Die Strafe für
den Götzendienst einer Stadt war Schwert und Feuer ( 5Mo 13,13-17 ).
Diese Strafen würden gegen die "Schwestern" verhängt. Der Pöbel - eine
verächtliche Weise, von den heidnischen Völkern zu reden - würde
sie steinigen und mit Schwertern niederschlagen , und Flammen würden
ihre Häuser umgeben. Dies waren die gleichen Strafen, die Hesekiel schon
früher angekündigt hatte ( Hes 16,40-41 ). Sie würden als Warnung für
andere Völker dienen. |