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Hesekiel (Charles H. Dyer)

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Hesekiel Walvoord Hesekiel (Charles H. Dyer)


Hesekiel Kapitel 28 und 29
 

3. Untergang des Fürsten der Stadt

( 28,1 - 19 )

 

Hes 28,1-5

 

Hesekiels dritte Botschaft gegen Tyrus richtete sich gegen den Fürsten von Tyrus . "Fürst" ( nAgID ) bedeutet "der Mann an der Spitze" (vgl. 1Sam 9,16; 10,1; 13,14; 7,8 ). Hesekiel hatte gegen die ganze Stadt geweissagt. Nun griff er den Führer der Stadt heraus und übermittelte ihm ein besonderes Wort von Gott. Dieser Herrscher war Etbaal III., der von 591 / 590 v. Chr. bis 573 / 572 v. Chr. regierte.

Die eigentliche Sünde des Königs von Tyrus war sein Stolz , der ihn dazu brachte, sich selbst als einen Gott zu bezeichnen. Auf seine Behauptung der Göttlichkeit wird auch in Hes 28,6.9 Bezug genommen. Offensichtlich glaubten zur Zeit Hesekiels die Könige von Tyrus, daß sie göttlich seien.

Die Behauptung, ein Gott zu sein, war falsch. Gott sagt: Du bist ein Mann und nicht ein Gott . Etbaal III. war nur ein Sterblicher. Offensichtlich glaubte er, so viel Weisheit zu besitzen, um ein Gott zu sein. In einer sehr ironischen Aussage fragte Hesekiel den König: Bist du weiser als Daniel? Ist vor dir kein Geheimnis verborgen? Der "Daniel", um den es hier geht, ist vermutlich der Prophet Daniel (vgl. die Anmerkungen zu Hes 14,14.20 ). Er war bereits für seine Weisheit im königlichen Rat von Nebukadnezar bekannt geworden (vgl. Dan 1,19-20; 2,46-49 ). Die Ironie liegt darin, daß Etbaal III. glaubte, seine Weisheit sei größer als die Daniels, der dem Land diente, das Tyrus besiegen würde. Daniel, der seine gesamte Weisheit Gott zuschrieb (vgl. Dan 2,27-28 ), war viel weiser als Etbaal III., der sich selbst für einen Gott hielt.

Etbaal III. hatte seine Weisheit und sein Können benutzt, um sich materielle Besitztümer zu sammeln. Sein lukrativer Handel schuf ihm großen Reichtum , auch Gold und Silber gehörten ihm. Aber auch sein Stolz wuchs dadurch (sein Herz war stolz geworden).

 

 

Hes 28,6-10

 

Gott würde den Stolz (V. 2.5 ) des Herrschers von Tyrus nicht unbestraft lassen. Die Fremden, die Gott gegen Tyrus bringen würde, sind bereits als die Babylonier identifiziert worden ( Hes 26,7-11 ). Babylon war bekannt für seine grausame ( ZArIQ , "Schrecken verbreitende") Behandlung anderer (vgl. Hes 30,11; 31,12; 32,12 ). Unbeeindruckt von Etbaals Schönheit und Weisheit würde Babylon ihn auf gewalttätige Weise mitten auf dem Meer vernichten (vgl. Hes 27,26 ). Wenn er von seinen Feinden erschlagen war, würde deutlich werden, daß er kein Gott war. Etbaal III. wurde durch Nebukadnezar 573 - 572 v. Chr. vom Thron beseitigt und Baal II. an seine Stelle gesetzt. Etbaal wird den Tod des Unbeschnittenen durch die Hand von Fremden sterben . Zwar praktizierten auch die Phönizier die Beschneidung, aber die Worte Hesekiels trugen eine Bedeutung, die über diese kulturelle Praktik weit hinausging. "Den Tod des Unbeschnittenen sterben" bedeutet, in Schande zu sterben (vgl. Hes 32,30; 1Sam 17,26.36 ). Dieser König, der sich selbst als Gott darstellte, würde einen unwürdigen Tod wie jeder gewöhnliche Mensch sterben.

 

 

Hes 28,11-19

 

Hesekiels abschließende Weissagung gegen Tyrus war ein Klagelied über den König von Tyrus . Daß Hesekiel jetzt "König" ( melek ) statt "Herrscher" (V. 2 ) sagte, hatte eine Bedeutung. Hesekiel benutzte das Wort "König" nur selten. Außer König Jojachin ( Hes 1,2 ) schrieb er diesen Titel keinem anderen Monarchen Israels zu.

Der Wechsel von "Herrscher" zu "König" hatte auch im Licht des Inhalts dieser beiden Weissagungen eine Bedeutung. In 28,1-10 wies Hesekiel den Herrscher zurecht, weil er als Mensch behauptet hatte, Gott zu sein. In Vers 11 - 19 dagegen beschrieb Hesekiel den König mit Worten, die für einen bloßen Menschen nicht angemessen schienen. Dieser "König" war im Garten Eden erschienen (V. 13 ). Er war ein Cherub Gottes gewesen (V. 14 a) und hatte freien Zugang zu Gottes heiligem Berg besessen (V. 14 b). Er war, seit er erschaffen wurde, sündlos (V. 15 ).

Manche glauben, daß Hesekiel hier Etbaal III. in höchst poetischer Sprache beschrieb und ihn mit Adam verglich (beide hatten hohe Fähigkeiten, aber sie sündigten; beide wurden gerichtet, usw.). Aber manches von dem, was gesagt wird, paßt nicht auf Adam. So war Adam z. B. kein Cherub und hatte keinen freien Zugang zum heiligen Berg Gottes. Auch die Beschreibungen in Vers 13.16 treffen nicht auf den ersten Menschen im Garten Eden zu. Als Adam sündigte, wurde er nicht von dem Berg Gottes auf die Erde geworfen (V. 16 - 17 ) und es gab keine Völker, die über seinen Fall erschrocken waren (V. 19 ).

Andere Ausleger glauben, daß Hesekiel den "Gott" hinter dem König von Tyrus beschreibt (vielleicht Baal). Gott richtete den Herrscher von Tyrus (V. 1 - 10 ) und den Gott der Stadt, der diesen Herrscher befähigt hatte (V. 11 - 19 ). Aber es scheint nicht wahrscheinlich, daß Hesekiel einer mythologischen Erzählung eines Gottes, der hinter dem Herrscher von Tyrus steht, solch ein Gewicht beimißt, wo doch sein ganzes Buch den Irrtum des heidnischen Glaubens deutlich machen will. Auch sind die Bilder Hesekiels aus dem biblischen Schöpfungsbericht entnommen, nicht aus heidnischen Mythologien.

Hesekiel beschrieb weder einen idealen Menschen noch einen falschen Gott in den Versen 11 - 26 . Sein Wechsel von "Herrscher" zu "König" und seine Anspielungen auf den Garten Eden weisen jedoch darauf hin, daß es hier um jemanden geht, der mehr ist als ein Mensch. Die beste Erklärung ist wohl, daß Hesekiel hier Satan beschreibt, der der wahre "König" von Tyrus ist, und der den menschlichen "Fürsten" von Tyrus bestimmt. Satan war im Garten Eden ( 1Mo 3,1-7 ), und seine Hauptsünde war der Stolz ( 1Tim 3,6 ). Er hatte Zugang zur Gegenwart Gottes (vgl. Hi 1,6-12 ). Wenn der Prophet davon spricht, daß der menschliche "Fürst" von Tyrus für seinen Stolz gerichtet würde ( Hes 28,1-10 ), beklagte er zugleich den satanischen "König" von Tyrus, der ebenfalls wegen seines Stolzes gerichtet wurde (V. 11 - 19 ). Tyrus war von der gleichen Sünde getrieben, die Satan beherrschte, und wird auch das gleiche Schicksal erleiden.

Hesekiel beschrieb die Schönheit und Vollkommenheit von Satan, wie Gott ihn ursprünglich geschaffen hatte (V. 12 - 15 a). Er war das Bild der Vollkommenheit, voll von Weisheit und vollkommen in Schönheit. Gott hatte Satan nicht als eine Art Premierminister des Bösen geschaffen. So wie die gesamte Schöpfung war auch Satan ein vollkommenes Geschöpf - eine der Kronen in Gottes Engelwelt.

Satan hatte eine herausragende Stellung bekommen. Er war in Eden, dem Garten Gottes . Eden war der Inbegriff von Gottes wunderbarer Schöpfung auf dieser Erde (vgl. 1Mo 2,8-14 ). Satans Schönheit aber stand der von Eden in nichts nach: Jeder herrliche Stein schmückte ihn . Hesekiel führte neun Edelsteine auf und beschrieb mit ihnen die Schönheit Satans. Diese neun finden sich auch unter den zwölf Steinen, die in der Brustplatte des Hohenpriesters von Israel eingefaßt waren (vgl. 2Mo 28,15-20; 39,10-13 ). Vermutlich waren die wertvollen Steine ein Symbol für die Schönheit und hohe Stellung Satans.

Gott hatte Satan als Wach-Cherub eingesetzt ( Hes 28,14 ). Die Cherubim (Pl. von Cherub) sind der "innerste Kreis" von Engeln, die direkten Zutritt zu Gott hatten und seine Heiligkeit bewachten (vgl. Hes 10,1-14 ). Satan hatte auch freien Zutritt zu Gottes heiligem Berg ( Hes 28,14 ), dem Himmel, und er wandelte inmitten der feurigen Steine (vgl. V. 16 ). Manche Ausleger sehen in den "feurigen Steinen" die Edelsteine (V. 13 ). Diese Steine waren jedoch ein Teil des Schmuckes von Satan, wohingegen die Steine in Vers 14.16 ein Teil jenes Ortes waren, an dem Satan wohnte. Andere Theologen glauben, daß die "feurigen Steine" die feurige Mauer des Schutzes Gottes darstellen (vgl. Sach 2,9 ). Sie sehen daher den Teufel innerhalb oder hinter Gottes äußerer Schutzmauer in dem "Innenhof" des Himmels wohnen. Dies ist möglich, und das Wort "inmitten" (mit¶k) kanndurchaus die Bedeutung von "innerhalb" haben. Was auch immer die exakte Bedeutung davon ist, jedenfalls sagte Hesekiel, daß Satan Zutritt zur Gegenwart Gottes hatte.

So, wie er ursprünglich von Gott geschaffen war, war Satan ohne Schuld, bis man Missetat an ihm fand ( Hes 28,15 ) und er sündigte (V. 16 ). Die Sünde, die Satan verdarb, kam aus ihm selbst. Er, der ohne Schuld geschaffen war, wurde stolz ( 1Tim 3,6 ) wegen seiner Schönheit . Satan verdarb seine Weisheit aufgrund seines Glanzes (vgl. das ähnliche Problem Etbaals; Hes 28,1-2.5.7 ). Satans Stolz brachte ihn zu Fall, und das Gericht kam über ihn.

Obwohl Hesekiel den Fall Satans als zusammenhängendes Einzelereignis beschrieb, erfolgte bzw. erfolgt seine Verwerfung eigentlich in verschiedenen Schritten. Satans ursprüngliches Gericht war, daß er aus seiner Stellung als Gottes auserwählter Cherub vor seinem Thron verworfen wurde. Gott schloß ihn von dem Berg Gottes aus (Himmel; V. 16 ; vgl. V. 14 ). Satan wurde aus Gottes Herrschaftsbereich im Himmel hinausgeworfen (vgl. Lk 10,18 ), hatte aber immer noch Zutritt zu Gott (vgl. Hi 1,6-12; Sach 3,1-2 ). Im Tausendjährigen Reich wird er in einer bodenlosen Grube liegen ( Offb 20,1-3 ), und nach seiner kurzen Freilassung am Ende des Tausendjährigen Reiches ( Offb 20,7-9 ) wird er für ewig in den Feuersee geworfen werden ( Offb 20,10 ).

Eines der Elemente von Satans Sünde war sein weitverbreiteter unrechter Handel . Das Wort für Handel kommt von dem Verb rAKal , das "von einem zum anderen herumgehen" bedeutet. Hesekiel hatte dieses Wort für die wirtschaftlichen Aktivitäten von Tyrus benutzt ( Hes 28,5 ). Bedeutete dies, daß Satan ein Geschäft führt? Sicherlich nicht. Vielmehr verglich Hesekiel den menschlichen "Fürsten" von Tyrus und seinen satanischen "König" miteinander. Er benutzt dabei ein Wort, das eine sehr breite Bedeutung haben kann. Satans Stellung im Himmel bedeutete, daß er mit vielen Teilen der Schöpfung Gottes in Verbindung stand, ebenso wie der Fürst von Tyrus durch seine Stellung mit vielen Völkern Kontakt hatte.

Auch wenn Hesekiel den "eigentlichen" Herrscher von Tyrus, Satan, hier beschrieb, ging es in dem Klagelied doch letztlich auch um die Zerstörung der Stadt. Satan würde auf die Erde geworfen werden (V. 17 ), und auch der König von Tyrus würde vor anderen Königen, vor seinen Feinden, niedergeworfen werden . Satans Bestimmung ist der ewige Feuersee (vgl. Offb 21,10 ), und auch die Niederlage und der Tod des menschlichen Herrschers von Tyrus ist, als würde er von Feuer verzehrt ( Hes 28,18 ). Sowohl der Untergang Satans, als auch der von Tyrus würden jene Völker erschrecken, die ihnen gefolgt waren. Sie würden wegen Satans und Tyrus' schrecklichem Ende zittern (vgl. Hes 27,35 -36 ).

 

 

F. Gericht über Sidon

( 28,20 - 26 )

 

Hes 28,20-24

 

Dieses Gericht gegen Sidon beginnt auf die gleiche Weise wie die Weissagungen gegen Tyrus. Das Wort des HERRN geschah zu mir (vgl. Hes 26,1; 27,1; 28,1.11 ). Sidon, eine Schwesterstadt von Tyrus (vgl. Jer 25,22; 47,4; Joe 4,4; Sach 9,2; Lk 6,17; 10,13-14 ), lag etwa 30 Kilometer weiter oben an der Mittelmeerküste. Wegen ihren engen Verbindungen untereinander hat Hesekiel vermutlich auch die gleichen einleitenden Worte benutzt, um die beiden Städte im Blick auf das gegen sie ergehende Gericht miteinander zu verknüpfen. Sidon war so eng mit Tyrus verbündet, daß Hesekiel es vielleicht für unnötig hielt, die gleichen Sünden noch einmal aufzuzählen. Es hatte Gottes heiliges Wesen verletzt, und er würde dessen Sünde nicht ungestraft lassen. Er würde in Sidon Herrlichkeit erlangen und sich selbst als heilig erweisen . Gottes Gericht würde durch eine Pest und das Schwert kommen. Das Gericht über Sidon würde zwei Folgen haben: (1) Es würde die Sidoniter zwingen, Gottes gerechtes Wesen anzuerkennen - sie werden erkennen, daß ich der HERR bin (auch in Hes 28,22 gesagt und in V. 23 wiederholt). (2) Das Gericht würde eines der Hindernisse für ein Leben Israels mit dem Herrn beseitigen. Die feindseligen Nachbarn Israels mit ihrem gottlosen Einfluß auf das Volk Gottes waren wie ein ständiger Schmerz in Israels Seite ( schmerzhaftes Gestrüpp und spitze Dornen ). Die sündigen Praktiken des Baalsdienstes waren durch "Isebel, die Tochter von Etbaal, König der Sidoniter" nach Israel eingedrungen ( 1Kö 16,31 ).

 

 

Hes 28,25-26

 

Der zweite Teil der Weissagung Hesekiels gegen Sidon sprach von den Folgen des Unterganges der Stadt für Israel. So wie Gott seine Heiligkeit offenbaren würde, indem er Sidon vernichtete (V. 22 ), so würde er seine Heiligkeit auch offenbaren, indem er Israel aus den Nationen herausrettete. Mehrere Male sagte Gott im Buch Hesekiel: Ich werde mich als heilig erweisen ( Hes 20,41; 28,22.25; 36,23; 38,16; 39,27 ). Gott bestrafte Israel für seine Sünde, aber er verwarf es nicht. Es ist einzigartig unter allen Völkern, weil Gott seinen Bund mit ihm errichtet hat. Alle Völker würden bestraft werden, aber nur Israel würde eine Erneuerung der Gemeinschaft versprochen. Die Verheißung des Landes, die an Abraham geschah ( 1Mo 13,14-17 ) und gegenüber Jakob erneuert wurde ( 1Mo 35,11-13 ), kann nicht aufgehoben werden. Israel wird in seinem eigenen Land leben , weil Gott es Jakob gegeben hat.

Wenn Israel wieder in sein Land eingesetzt war, würde es auch den Segen Gottes erfahren, wozu Sicherheit und Wohlstand gehörten. Dieses Versprechen, das Gott durch Hesekiel gab, ist bisher noch nicht wörtlich erfüllt worden. Seine Erfüllung steht noch für das Tausendjährige Reich aus. Nach der babylonischen Gefangenschaft kehrten einige Israeliten in das Land zurück (vgl. Neh 1,3 ), aber sie lebten dort nicht in Sicherheit . Wenn Gott die Feinde Israels einmal endgültig bestrafen und sein auserwähltes Volk segnen wird, dann wird es seinen Herrn erkennen: Sie werden erkennen, daß er der HERR ist, ihr Gott.

 

 

G. Gericht über Ägypten

( Hes 29-32 )

 

Die siebte und letzte Nation, gegen die Hesekiel weissagte, ist Ägypten. Diese Weissagung war eigentlich eine Reihe von sieben Einzelaussagen gegen Ägypten und seinen Pharao. Jede dieser Prophezeiungen wird durch die Worte eingeleitet: "Das Wort des Herrn geschah zu mir". Sechs der sieben werden ausdrücklich datiert ( Hes 29,1.17; 30,1 [nicht datiert].20; Hes 31,1; 32,1.17 ). Hes 29,1; 30,20; 31,1; 32,1 und Hes 32,17 sind chronologisch geordnet. Nur 29,17 (die zweite Prophezeiung) ist später als die anderen datiert. Diese Abweichung von seiner sonstigen chronologischen Reihenfolge geschah vermutlich, weil Hesekiel die Prophezeiungen logisch aufbauend ordnen wollte. Hes 29,17-21 ist wahrscheinlich an diese Stelle gesetzt worden, weil dadurch seine erste Prophezeiung ( Hes 29,1-16 ) erläutert wird. Nachdem er vorausgesagt hat, daß der Pharao und Ägypten vernichtet würden ( Hes 29,1-16 ), machte er dann deutlich, wer sie vernichten würde ( Hes 29,17-21 ).

 

 

1. Die Sünde Ägyptens

( 29,1 - 16 )

 

Diese Prophezeiung besteht aus drei Abschnitten, von denen jeder mit den Worten schließt, die bei Hesekiel so oft vorkommen: "dann werden sie erkennen, daß ich der Herr bin" (V. 6 a. 9.16 ).

 

 

Hes 29,1-6 a

 

Diese erste der sieben Prophezeiungen gegen Ägypten wurde im zehnten Jahr, im zehnten Monat, am zwölften Tag verkündet. An diesem Tag, dem 5. Januar 587 v. Chr., bestand die Belagerung von Jerusalem bereits knapp ein Jahr (vgl. Hes 24,1-2 ).

Der Pharao in Ägypten war zu jener Zeit Hofra, der von 589 bis 570 v. Chr. regierte. Sein Versprechen der Hilfe brachte Juda dazu, mit Babylon zu brechen. Sowohl Ägypten als auch dessen Führer wurde das Gericht verkündet.

Hesekiel verglich den Pharao mit einem großen Ungeheuer in Ägyptens Flüssen. "Ungeheuer" ( tannIm , eine andere Schreibweise für tannIn ) kann sich auf alle Arten von Reptilien beziehen, von großen Schlangen ( 2Mo 7,9-10 ) bis zu riesigen Seeungeheuern ( 1Mo 1,21 ). Vermutlich gehören auch die Krokodile in diese Kategorie. In der semitischen Mythologie wurde das gleiche Wort auch für das Chaosungeheuer benutzt, das vernichtet wurde, als diese Welt erschaffen wurde. Vielleicht dachte Hesekiel an beides. Die Reptilien im Nil (besonders die Krokodile) waren ein Bild für Ägpytens Stärke und Grausamkeit. Die Ägypter waren der Überzeugung, daß der Pharao das Chaosungeheuer besiegen könne. Hier aber bezeichnete Gott in ironischer Weise den Pharao selbst als dieses Ungeheuer! Der Pharao wurde als Gott angesehen. Deshalb glaubte er von sich selbst, daß er den Nil erschaffen habe (vgl. Hes 29,9 ). Dennoch würde er bald erfahren müssen, daß er dem wahren Schöpfergott keineswegs ebenbürtig war. Gott sagte, daß er Ägypten aus seinem Schutz des Nils herausziehen und in der Wüste lassen würde. Hier wird also bildlich davon gesprochen, daß Gott ein Krokodil (oder den mythologischen "Gott", der im Wasser leben soll) unterwirft und auf das Trockene zieht, wo es (er) sehr bald verderben mußte. Gott würde Ägypten trotz seiner großen Stärke besiegen.

 

 

Hes 29,6-9 (Hes 29,6b-9)

 

Der zweite Abschnitt dieser Prophezeiung handelt von der eigentlichen Sünde Ägyptens: Es war dem Haus Israel ein Rohrstab gewesen. Ein "Stab" war ein Wanderstock, den man in dem rauhen Gebiet von Israel brauchte (vgl. Sach 8,4; Mk 6,8; Hebr 11,21 ). Israel stützte sich auf Ägypten, um in seiner Revolte gegen Babylon Hilfe zu bekommen, aber die Unterstützung durch Ägypten war so zerbrechlich wie einer der Rohrstäbe, die in großen Mengen an den Ufern des Nils wuchsen. Als der Druck kam, zerbrach das Rohr und Israel konnte nicht bestehen. Vielleicht benutzte Hesekiel hier ein damals übliches Sprichwort und wandte es auf Ägypten an, das den Ruf eines unzuverlässigen Verbündeten hatte (vgl. 2Kö 18,20-21 ).

Die Zeit dieser Prophezeiung ist vermutlich identisch mit der des halbherzigen Versuches von Ägypten, Jerusalem während dessen Belagerung durch Nebukadnezar zu Hilfe zu kommen (vgl. Jer 37,4-8 ). Ägypten versagte, und Jerusalem mußte die Konsequenzen tragen. Zu spät lernte Jerusalem, daß ein dünnes Rohr ihm keine Hilfe sein konnte. Als sich Jerusalem auf Ägypten stützte und Beistand gegen Babylon erwartete, ließ Ägypten es fallen (wie ein Rohr, das zersplitterte und zerbrach ).

Weil Ägypten Juda Hilfe versprochen, dieses Versprechen aber nicht gehalten hatte, würde Gott die Ägypter durch das Schwert bestrafen lassen, und Ägypten würde eine verlassene Öde werden.

 

 

Hes 29,10-16

 

Dieser Teil der Prophezeiung Hesekiels spricht über das Ausmaß des göttlichen Gerichtes über Ägypten. Die Zerstörung würde von Migdol bis Syene reichen, bis an die Grenze von Kusch . "Migdol" lag im Nildelta in Unterägypten und "Syene" auf der Höhe des ersten Nil-Wasserfalles in Ägypten. Es bildete die südliche Grenze zwischen Ägypten und Kusch. Kusch entspricht dem heutigen Süd-Ägypten, dem Sudan und dem nördlichen Äthiopien.

Gottes völlige Verwüstung von Ägypten würde vierzig Jahre lang dauern. Juda war zerstört worden, weil es sich auf Ägypten verlassen hatte, nun würde Ägypten das gleiche Schicksal erleiden. Gott würde Ägypten unter die Völker verstreuen , auch dieses Volk würde in die Gefangenschaft geführt werden.

Bisher gibt es keine archäologischen Funde, die auf eine Wegführung von Ägyptern hindeuten, die der israelitischen vergleichbar wäre. Man sollte jedoch niemals eine klare, biblische Aussage aufgrund fehlender archäologischer Daten anzweifeln. Nebukadnezar griff Ägypten an ( Hes 29,17-21 ; vgl. Jer 43,8-13; 46,1-25 ). Es ist daher durchaus vernünftig, anzunehmen, daß er auch Ägypter nach Babylon deportierte, wie er dies bei den anderen Völkern ebenfalls tat. Diese Ägypter hätten dann vermutlich während der Regierungszeit von Kyrus von Persien, der Babylon 539 v. Chr. besiegte (ca. 33 Jahre nach dem Angriff Nebukadnezars), wieder nach Hause zurückkehren dürfen. Wenn man noch einige Jahre hinzuzählt, bis die Menschen zurückgekehrt und alles wieder aufgebaut hatten, ist eine Periode von 40 Jahren durchaus denkbar.

Gott würde dann die Ägypter wieder zurück nach Patros bringen, dem Land ihrer Herkunft . "Patros" (vgl. Hes 30,14 ) war eine Region in Südägypten (Oberägypten). Manche Ausleger glauben, daß dies der ursprüngliche "Geburtsort" des Volkes der Ägypter war. Vielleicht steht "Patros" hier aber auch für das gesamte Land Ägypten.

Auch wenn Gott die Ägypter wieder in ihr Land zurückkehren lassen würde, würden sie niemals wieder jene Machtstellung erhalten, die sie einmal besessen hatten. Vielmehr würden sie das geringste unter den Königreichen sein. Nachdem Persien an die Macht kam, wurde Ägypten während der biblischen Zeit nicht wieder zu einer größeren internationalen Macht. Es versuchte während der Zeit zwischen den Testamenten, sich wieder in Erinnerung zu bringen, wurde aber von Griechenland, Syrien und Rom in Schach gehalten. Ägyptens politische Schwäche sollte ein ständiger Anschauungsunterricht für Israel sein. Es sollte Ägypten sehen und immer wieder daran denken, wie töricht es ist, auf Menschen statt auf Gott zu vertrauen.

 

 

2. Die Niederlage Ägyptens unter die Babylonier

( 29,17 - 21 )

 

Hes 29,17-21

 

Die zweite Prophezeiung Hesekiels gegen Ägypten geschah im 27. Jahr, im ersten Monat, am ersten Tag . Dies ist die am spätesten datierte Weissagung im Buch Hesekiel. Sie wiederfuhr Hesekiel am 26. April 571 v. Chr. Wie schon oben gesagt, hat Hesekiel sie vermutlich deshalb entgegen der chronologischen Reihenfolge an diese Stelle gesetzt, weil er dadurch die Aufmerksamkeit auf den logischen Zusammenhang richten wollte. Er hatte gerade das kommende Gericht über Ägypten beschrieben (V. 1 - 16 ) und fügte nun die Verse 17 - 21 an, um zu zeigen, durch wen dieses Gericht kommen würde. Nebukadnezar selbst würde Ägypten angreifen.

Diese Weissagung wurde kurz nach der Niederlage von Tyrus unter Babylon im Jahr 572 v. Chr. geschrieben. 13 Jahre lang hatte Nebukadnezar diese Stadt belagert (585 - 572 v. Chr.). Das Bild von den Köpfen, die durch das lange Tragen der Helme kahl wurden, und von den Schultern, die wund gerieben wurden durch das Herbeitragen von Holz und Steinen für die Belagerungsrampen ist eindrücklich. Nebukadnezar hatte hart gearbeitet für ein solch kleines Resultat. Aber er erhielt keinen Lohn von diesem Angriff gegen Tyrus. Tyrus ergab sich Nebukadnezar, aber es gab keine große Kriegsbeute als Belohnung für sein Heer. Offensichtlich hatte Tyrus seinen Reichtum vor seiner Niederlage mit Schiffen in Sicherheit gebracht.

Nebukadnezar brauchte Geld, um seine Soldaten für ihre Arbeit zu bezahlen. Deshalb kehrte er um und zog in Richtung Ägypten. Aus wirtschaftlicher Not würde Babylon Ägypten angreifen und seinen Reichtum rauben, um sein Heer zu bezahlen. Und doch ist es eigentlich Gott, der hier Babylon für seinen Angriff auf Ägypten "bezahlte": Ich werde ihm Ägypten geben als Lohn für seine Arbeit.

Hesekiels zweite Prophezeiung gegen Ägypten endete mit einem Versprechen an Israel. " An diesem Tag " wird dabei auf verschiedene Weise interpretiert. Manche sehen darin einen Hinweis auf einen noch zukünftigen Tag des Herrn, an dem Gott Israel wieder in sein Land führen und die umliegenden Völker richten wird. Solch ein Gedankensprung scheint jedoch nicht in unseren Text zu passen. Der "Tag", um den es geht, ist vermutlich die Zeit, wenn Gott Ägypten durch Babylon richten, und wenn er schließlich Ägypten wieder in sein Land zurückbringen würde.

Wenn Gott die Völker Israel und Ägypten wieder heimgeführt hatte, würde er Israel wieder Macht geben. Im letzten und eigentlichen Sinne ist der Messias, Christus, die Macht Israels. Wenn Ägypten zurückkehren würde, würde auch Israel wieder als Volk eingesetzt werden.

Wenn die Stärke Israels als Volk erneuert war, würde Gott Hesekiels Mund unter ihnen öffnen . Dies kann sich aus zwei Gründen nicht auf das Ende von Hesekiels Stummheit beziehen (vgl. Hes 3,26 ): (1) Hesekiels Stummsein endete bereits im zwölften Jahr des Exils von Jojachin ( Hes 33,21-22 ), während diese Prophezeiung im 27. Jahr geschah ( Hes 29,17 ). (2) Diese Prophezeiung würde erst eintreten, nachdem Israel aus der Gefangenschaft zurückgebracht worden war. Hesekiel war 592 v. Chr. 30 Jahre alt ( Hes 1,1-2 ). Er wäre also 83 Jahre alt gewesen, als Kyrus seine Verfügung erließ, daß Israel in sein Land zurückkehren dürfe. Vermutlich hätte ein 83jähriger eine solch anstrengende Reise von Babylon nach Israel überhaupt nicht überstanden. Keiner der nachexilischen Berichte spricht von Hesekiel, der nach Israel zurückgekehrt wäre. Die beste Erklärung ist, daß die Weissagungen Hesekiels, die die Menschen verwirrt hatten, bei ihrer Erfüllung für alle klar würden. Israel würde Gottes Wesen erkennen, wie er seine Verheißungen treu erfüllt hat.