Hesekiel Walvoord Hesekiel (Charles H. Dyer)
(2) Das Wesen des Gerichtes ( Hes 7 )
Diese Botschaft beginnt genauso wie die erste (vgl. Hes 6,1 ): Das Wort
des HERRN geschah zu mir . Diesesmal jedoch geht es nicht um den
Götzendienst (wie in Hes 6 ), sondern um das Land, wobei das Volk
gemeint ist, das im Land wohnt.
Hesekiels Botschaft war, daß das Ende gekommen ist über die vier Enden
des Landes . Das Wort "Ende" wird fünfmal zu Anfang dieser Predigt
benutzt ( Hes 7,2 [zweimal]<1--BB=Hes--> 7,3.6 [zweimal]). Der Prophet
Amos benutzte dieses Wort auf ähnliche Weise, um den Fall des
Nordreiches, 722 V. Chr., zu bezeichnen ( Am 8,2 ; "das Ende ist
gekommen"). Hesekiel wiederholte die gleiche Botschaft für das Südreich.
"Die vier Enden des Landes" machten deutlich, daß dem Gericht Gottes
nichts entkommen würde.
Die Ereignisse, die sich über Israel entladen würden, brachten eine neue
Offenbarung des Wesens Gottes mit sich. Die Menschen würden erkennen,
daß Gott, der gerecht ist, Sünde bestraft. Gott würde seinen Zorn gegen
Israel ohne Erbarmen (V. 4 ) entladen ( Hes 7,3 ). Er würde es nach
seinem Verhalten richten (vgl. V. 4.8 - 9.27 ) und es für seine
verwerflichen Taten bezahlen lassen (vgl. V. 8 - 9 ). Dies wird zweimal
ausgesagt (V. 3 - 4 ), um es zu betonen. Dann würde Israel wissen, daß
Gott der HERR ist . Am Ende der Predigt wird die gleiche Aussage noch
einmal wiederholt.
Hes 7,5-6
Der Herr war wie ein Herold, der in die Stadt gelaufen war, um außer
Atem vor dem kommenden Unheil zu warnen (V. 5 - 9 ). Im Hebräischen sind
die Sätze kurz und stoßweise, und die Worte "kommt" oder "kam" tauchen
sechsmal in den Versen 5 - 7 auf. Zuerst verkündete der
Wächter: Unheil! Ein noch nie gehörtes Unheil käme . Was auf Jerusalem
zukam, hatte in der Geschichte bisher keine Parallele.
Was genau an Unheil über Jerusalem kommen sollte, zeigt die Wiederholung
der Worte das Ende ist gekommen (V. 6 ). Im Hebräischen werden die
beiden Worte im ersten Teil, das Ende ist gekommen, im zweiten Teil
umgekehrt. Hesekiel zeigte in Form eines Wortspieles: Das Ende hat sich
gegen dich erhoben . Die Worte "Ende" ( qEQ und haqqEQ ) und "erhoben"
( hEqIQ ) in Vers 6 klingen so ähnlich, daß sie die Aufmerksamkeit auf
sich zogen. Das Unheil war durch Micha bereits über Jerusalem
vorausgesagt worden ( Mi 3,12 ), aber diese Weissagung blieb über 100
Jahre lang unerfüllt. Nun stand das Ende Jerusalems vor der Tür.
Hes 7,7-9
Hesekiel beschrieb die kommende Zerstörung Jerusalems als eine Zeit des
Jammers ( haQQPIrCh ; vgl. V. 10 ). Dieses Wort kann "Krone" oder
"Diadem" bedeuten (vgl. Jes 28,5 ), aber nicht in diesem Zusammenhang.
Ein ähnliches Wort im Aramäischen bedeutet "Morgen". Diese Bedeutung ist
von manchen Übersetzungen übernommen worden. Sie paßt jedoch ebenfalls
nicht in den Zusammenhang, denn "Morgen" trägt ja auch die Bedeutung des
Segens, während der Kontext eindeutig vom Unheil spricht. Vermutlich ist
die Ableitung aus dem Akkadischen QabAru , "Zerstörung", zutreffend.
Wenn der Tag des Gerichtes näherkommen würde, dann würde er Schrecken
und nicht Freude auf den Bergen mit sich bringen. Die sich bisher an
ihrem Götzendienst auf den Höhen (vgl. die Anmerkungen zu Hes 6,6 )
erfreut hatten, würden nun, wenn das Gericht über sie kommt, in einen
Zustand der Erstarrung versetzt werden. Hesekiel wiederholte seine
Aussage über das drohende Unheil noch einmal ( Hes 7,8-9 ist fast
identisch mit V. 3 - 4 ). Die Zerstörung würde wie vorausgesagt
eintreten, so daß die Betroffenen wissen würden, daß der HERR den Schlag
ausgeführt hatte. Dies ist eine Abänderung der anderen Aussagen über das
Kennen des Herrn ( Hes 6,7.10.14; 7,4.27 ). Diejenigen, die vorgaben,
ihn bei seinen anderen Namen zu kennen (vgl. 1Mo 22,14;33,20; 2Mo
17,15 ), würden ihn nun bei seinem Namen Yahweh - makkeH , "der Herr,
der den Schlag führt", kennenlernen.
Hes 7,10
Die Nähe des Tages des Gerichts wurde nun mit einem blühenden Stock
verglichen. Das Verderben ist aufgebrochen , der Stock ist aufgeblüht ,
der Hochmut grünt . Hesekiels Bild könnte von dem Stab Aarons entlehnt
sein, der zu blühen begonnen hatte ( 4Mo 17 ), oder von Jeremias Bild
eines blühenden Mandelbaumes ( Jer 1,11-12 ). Wenn auf den Stab Aarons
angespielt wurde, dann soll damit gesagt werden, daß genauso, wie dieser
blühende Stab Aaron als von Gott zum Dienst auserwählt zeigte, das
Blühen des Stabes Israels nun zeigte, daß Gott Israel zum Untergang
erwählt hatte. Wenn der Prophet auf den blühenden Mandelbaum Jeremias
anspielte, dann sollte durch dieses Blühen einfach deutlich gemacht
werden, daß das Gericht Gottes über Israel mit Sicherheit kommen würde.
Hes 7,11-14
In Vers 10 ist die "Rute" ein Bild für die Blüte der Gottlosigkeit in
Israel. In Vers 11 dagegen wird sie zu einer Rute des Gerichtes, mit dem
das ungehorsame Volk geschlagen wird, ein Stock zur Strafe für
Gottlosigkeit.
Gottes Gericht würde ökonomische Folgen haben. Wenn es zuschlägt,
würde keiner aus dem Volk übrig bleiben, keiner aus diesem
Reichtum ("Reichtum", der hier vermutlich spöttisch gemeint ist, wird in
V. 11 - 14 viermal benutzt). Nichts von Wert würde übrigbleiben. Wegen
der Gefangenschaft seien Reichtum und materieller Besitz wertlos. Jeder
Besitz würde beschlagnahmt und die Eigentümer aus ihrem Land vertrieben
und nach Babylon gebracht werden. Hesekiel ermahnte deshalb: Der Käufer
möge sich nicht freuen und der Verkäufer nicht trauern . Ein Käufer, der
sich gewöhnlich über einen guten Kauf freuen würde, sollte nicht froh
sein, weil er das Land, das er gekauft hatte, nicht besitzen würde. Wer
gezwungen wurde, sein Land zu verkaufen, sollte nicht darüber trauern,
denn er hätte es ohnehin verloren.
Wenn in Israel Land verkauft wurde, dann galt ein solcher Handel immer
nur für eine bestimmte Zeit. Jedes fünfzigste Jahr war ein Jubeljahr, in
dem der Besitz wieder an seinen ursprünglichen Eigentümer zurückging
( 3Mo 25,10.13-17 ). Gottes Gericht jedoch wird alle ursprünglichen
Eigentümer daran hindern, ihren Anspruch auf ihr Land anzumelden, da
sie, zusammen mit den Käufern, in Gefangenschaft sein würden.
Keine menschliche Anstrengung konnte Gott davon abhalten, seinen Plan
durchzuführen. Obwohl sie mit der Trompete Soldaten auf das Schlachtfeld
rufen würden, würde niemand in den Kampf gehen . Jerusalem würde
versuchen, sich zu verteidigen, aber doch ohne großen Widerstand fallen.
Hes 7,15-16
Israel würde feststellen, daß es keine Verteidigungsmöglichkeit gegen
das Gericht Gottes besitzt und keine Fluchtmöglichkeit vor diesem
Gericht. Außen würde das Schwert sein, innen Pest und Hunger (vgl. Hes
5,12 ). Wer versuchte, außerhalb von Jerusalems Mauern zu entkommen,
würde von den babylonischen Truppen gejagt und ermordet werden. Wer
innerhalb der Mauern Schutz suchen würde, würde sich Hungersnot und
Krankheiten gegenübersehen. Die Mehrheit der Menschen würde sterben, und
auch die Überlebenden würden einen Preis bezahlen müssen. Das elende
Heulen derer, die sich in den Bergen versteckten und die über ihre
Sünden und materiellen Verluste heulten, wird wie jammernde Tauben
klingen.
Hes 7,17-18
In Vers 17 - 19 sehen wir die Reaktion Israels auf Gottes Angriff.
Die Hände würden herabsinken und die Knie so schwach wie Wasser werden
(vgl. ähnliche Aussagen in Hes 21,7 ; siehe auch Jer 6,24 ). Den
Verteidigern der Stadt blieb nichts anderes, als ihren elenden Zustand
zu bejammern ( Hes 7,18 ) und das Hindernis des Materialismus zu
entfernen, das sie zu Fall gebracht hatte (V. 19 - 22 ). Bei ihrer Klage
würden sie Sackleinen anziehen und ihre Häupter scheren . "Sackleinen"
war Kleidung aus grobem Stoff, der aus den langen Haaren von Ziegen oder
Kamelen hergestellt wurde. Wegen seiner dunklen Farbe galt Sackleinen
als angemessen für ernste, schwermütige Anlässe. Sich "Sackleinen
anzuziehen" war ein Zeichen für Trauer oder Klage ( 1Mo 37,34; 2Sam
3,31; Hi 16,15; Jer 6,26 ) und Buße ( Jes 58,5; Dan 9,3-4; Jon 3,5-9; Mt
11,21 ). Hesekiel sprach offensichtlich von einer Trauer, die mit
Schrecken vermischt ist und die Israel erleben würde, wenn der Feind
sein Land zerstören würde. Auch das Scheren des Hauptes ist ein Bild für
Trauer, Demütigung und Reue (vgl. die Anmerkungen zu Hes 5,1 ).
l
Hes 7,19-20
Die Menschen würden nicht nur ihren Verlust bejammern, sondern auch die
Dinge entfernen, die ihn verursacht hatten (V. 19 - 22 ). Sie würden
ihr Silber auf die Straßen werfen , und ihr Gold würde wie Unrat sein .
Ihre Götzen, die sie aus dem Metall ihres Schmuckes gemacht hatten,
würden ebenfalls wie Unrat sein. Dinge, die einmal als wertvoll geachtet
waren, würden nun verachtet sein. Das Wort für "Unrat" ( niddCh ,
"unreine Sache") wurde auch für die kultische Unreinheit durch die
Menstruation ( 3Mo 15,19-33 ) und das Berühren eines Toten ( 4Mo
19,13-21 ) benutzt. Es zeigt, welch eine Ablehnung Israel gegenüber
seinem eigenen Reichtum empfinden würde.
Warum würden die Menschen so plötzlich ihre materiellen Güter verwerfen?
Ein Grund dafür war die Unfähigkeit von Silber und Gold , ihnen die
Sicherheit zu geben, um deretwillen sie ursprünglich angehäuft worden
waren. Reichtum war nicht fähig, sie zu retten. Gott konnte man nicht
"bestechen". Ein anderer Grund für die plötzliche Ablehnung des
Reichtums war, daß Silber und Gold sie nicht in die Lage versetzten,
Nahrung zu kaufen und ihren Hunger während der Hungersnot zu stillen.
Hes 7,21-22
Noch beunruhigender als der Verlust des Reichtums aber war Gottes
Ankündigung über den Tempel: Ich werde mein Angesicht von ihnen
abwenden, und sie werden mein Kleinod entheiligen; Räuber werden
hineingehen und es entheiligen . Viele Israeliten sahen in dem Tempel
Gottes ihre Hoffnung auf Rettung. Sie dachten, daß Gott sein Heiligtum
niemals zerstören lassen würde (vgl. Jer 7,1-5 ). Aber Israels Sünde war
so groß, daß nicht einmal der Tempel dem Gericht Gottes entgehen würde
(vgl. Mi 3,12 ).
Neben dem Hören auf die vielen falschen Gerüchte, die durch die Stadt
laufen würden, würden die Menschen auch die Propheten, Priester und
Ältesten aufsuchen, um Anweisungen von Gott zu erhalten. Aber auch dies
würde vergeblich sein. Sie hatten nicht auf die Warnungen der wahren
Zeugen Gottes hören wollen. Wenn sie nun verzweifelt nach einer Antwort
suchen, würde keine mehr gegeben werden.
"König" Jojachin beklagte bereits in der Gefangenschaft den sicheren
Untergang Jerusalems, während "Fürst" Zedekia in Jerusalem über seine
Misere verzweifelt war. Deshalb zitterten die Menschen vor Furcht über
ihr ungewisses Schicksal. Wieder sagte Gott, daß ihre Strafe nach ihrem
Verhalten kommen werde (fünfmal wird dies in Hes 7 betont
[V. 3-4.8-9.27 ]).
c. Eine Vision des kommenden Gerichts
( Hes 8-11 )
Diese Vision geschah "im sechsten Jahr" (der Gefangenschaft Jojachins;
vgl. die Anmerkungen zu Hes 1,2 ), "im sechsten Monat, am fünften Tag"
( Hes 8,1 ). Dies war der 17. September 592 V. Chr., genau 14 Monate
nach der ersten Vision Hesekiels ( Hes 1,1-2 ). In der Zwischenzeit
hatte Hesekiel eine Vision Gottes erlebt ( Hes 1-3 ), vier Zeichen
durchgeführt ( Hes 4-5 ) und zwei Botschaften des Gerichts verkündigt
( Hes 6-7 ). Nun gab Gott ihm erneut eine Vision.
Die Vision, die in Kapitel 8 - 11 berichtet wird, ist eine geschlossene
Einheit, die sich aber in vier Abschnitte einteilen läßt. Zunächst wurde
Hesekiel mit der Gottlosigkeit der Menschen im Tempel konfrontiert ( Hes
8 ), dann sah er das Blutbad unter den Menschen Jerusalems ( Hes 9 ).
Jerusalem war so gottlos, daß die Herrlichkeit Gottes den Tempel verließ
( Hes 10 ). Als Gottes Herrlichkeit die Stadt verließ, wurde das Gericht
über die Herrscher der Stadt verkündet ( Hes 11 ). (1) Die Gottlosigkeit im Tempel ( Hes 8 ) |