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Johannesevangelium Walvoord  Edwin A. Blum

Johannes Kapitel 10

20 Schlagworte, die Johannes 10 zusammenfassen:

  1. Schafstall: Jesus verwendet das Bild des Schafstalls.
  2. Tür: Jesus bezeichnet sich selbst als die Tür zu den Schafen.
  3. Hirte: Jesus stellt sich als der gute Hirte vor.
  4. Schafe: Die Gläubigen werden als Schafe dargestellt.
  5. Diebe: Jesus warnt vor Dieben und Räubern, die die Schafe bedrohen.
  6. Fremde: Die Schafe folgen nicht der Stimme von Fremden.
  7. Stimme: Die Schafe erkennen die Stimme des Hirten.
  8. Leben lassen: Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
  9. Kennen: Der Hirte kennt seine Schafe, und die Schafe kennen den Hirten.
  10. Einheit: Jesus spricht von der Einheit zwischen dem Hirten und den Schafen.
  11. Andere Schafe: Jesus spricht von anderen Schafen, die er sammeln wird.
  12. Ein Hirte: Das Ziel ist eine Herde mit einem Hirten.
  13. Vaterschaft: Die Beziehung zwischen Jesus und dem Vater.
  14. Vollmacht: Jesus hat die Vollmacht, sein Leben hinzugeben und es wiederzunehmen.
  15. Gebot: Jesus handelt nach dem Gebot seines Vaters.
  16. Streit: Es gibt Streit unter den Juden über Jesu Worte.
  17. Gotteslästerung: Die Juden beschuldigen Jesus der Gotteslästerung.
  18. Werke: Jesus verweist auf seine Werke als Zeugnis für seine Identität.
  19. Vater und ich sind eins: Jesus betont seine enge Verbindung mit dem Vater.
  20. Sicherheit: Die Schafe sind sicher in der Hand des Hirten und des Vaters.


 

3. Der gute Hirte

( 10,1 - 21 )

 

Die Rede über den guten Hirten schließt sich an das in Kapitel 9 Gesagte an. Der Vergleich vom Hirten und seiner Herde war im Nahen Osten eine gebräuchliche Metapher. Könige und Priester bezeichneten sich als "Hirten" und ihre Untertanen als "Schafe", ein Bild, das die Bibel häufig verwendet. Viele der großen Männer im Alten Testament waren tatsächlich Hirten (z. B. Abraham, Isaak, Jakob und zeitweise auch David). Mose und David wurden in einem übetragenen Sinn als "Hirten" Israels bezeichnet. Einigen der berühmtesten Passagen in der Bibel liegt das Motiv des Hirten zugrunde (vgl. Ps 23; Jes 53,6; Lk 15,1-7 ).

Jesus entwickelte diese Analogie in verschiedenen Bildern. Seine Gegenübersetzung der Pharisäer und des Blindgeborenen stellte zunächst den Zusammenhang zum vorhergehenden Kapitel her. Die Pharisäer - in religiöser Hinsicht blind, obgleich sie behaupten, Einsicht zu haben ( Joh 9,41 ) - waren falsche Hirten. Jesus aber kam als wahrer Hirte, um zu suchen und zu heilen. Seine Schafe hören seine Stimme und antworten ihm.

Joh 10,1-2

 

Vers 1 - 5 beschreiben das morgendliche Ritual eines Hirten, der seine Schafe auf die Weide bringt. Er geht zur Tür in ein umzäuntes Gehege, einen Schafstall, hinein , in dem sich mehrere Herden befinden. Der Stall,der Steinmauern hat, wird nachts von einem Türhüter bewacht, um Diebe und wilde Tiere abzuhalten. Wer also über die Mauern kletterte, hatte auf keinen Fall etwas Gutes im Sinn.

 

 

Joh 10,3-4

 

Der Hirte dagegen hat das Recht, den Schafstall zu betreten. Dem macht der Türhüter auf , und der Hirte kommt herein, und die Schafe (seine Schafe) hören seine Stimme . Ein Hirte kennt die Schafe seiner Herde und hat jedem einzelnen einen Namen gegeben. Wenn die Schafe die vertraute Stimme ihres Herrn hören, laufen sie zu ihm hin. Er führt sie hinaus aus dem Stall und sammelt die Herde. Dann geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach .

 

 

Joh 10,5-6

 

Wenn jedoch ein Fremder den Stall betritt, fliehen die Schafe vor ihm, denn sie kennen die Stimme der Fremden nicht . In diesem Gleichnis geht es darum, wie ein Hirte seine Herde sammelt. Die Menschen kommen zu Gott, weil er sie ruft (vgl. V. 16.27 ; Röm 8,28.30 ). Die richtige Antwort auf diesen Ruf ist, ihm zu folgen (vgl. Joh 1,43;8,12;12,26;21,19.22 ). Doch die Jesus zuhörten, verstanden nicht, was er ihnen damit sagen wollte , obwohl ihnen das Beispiel des Hirten und seiner Schafe zweifellos einleuchtete. In ihrer Blindheit konnten sie ihn nicht als den Herrn, der auch Hirte war, erkennen (vgl. Ps 23 ).

 

 

Joh 10,7-9

 

Daraufhin erzählte ihnen Jesus ein weiteres Gleichnis vom guten Hirten, der die Schafe auf die Weide führt, in ein umzäuntes Gebiet, vor dem er sich, gleichsam als Tür, niederläßt. Die Schafe dürfen hinausgehen, wenn sie wollen, und können sich, wenn sie Angst haben, wieder in das geschützte Gebiet zurückziehen. Jesus ist die einzige Tür, durch die die Menschen in den Schutz gelangen können, den Gott für sie bereithält.

Die Worte " alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Räuber " bezogen sich auf die Führer des Volkes, die sich nicht um das geistliche Wohl der ihnen anvertrauten Menschen kümmerten, sondern nur um ihr eigenes Wohlergehen. Der Hirte Jesus aber bietet seiner Herde Schutz vor ihren Feinden ( wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden bzw. "sicher sein") und sorgt für alles, was sie brauchen (die Schafe werden ein- und ausgehen und Weide finden ).

 

 

Joh 10,10

 

Der Dieb hingegen, d. h. ein falscher Hirte, sorgt nur für sein eigenes Wohl, nicht für das der Herde. Er stiehlt Schafe, um sie umzubringen, und vernichtet damit einen Teil der Herde. Doch Christus ist gekommen, um ihnen wohlzutun. Der Dieb nimmt das Leben; Christus gibt das Leben - und zwar kein beengtes, sondern volle Genüge .

 

 

Joh 10,11

 

Noch ein drittes Gleichnis vom guten Hirten erzählte Jesus. Wenn es in Palästina Nacht wurde, lauerte Gefahr. Auf dem Land gab es damals noch Löwen, Wölfe, Schakale, Panther, Leoparden, Bären und Hyänen. Ein Hirte lebte gefährlich, wie der Kampf Davids mit einem Löwen und einem Bären zeigte ( 1Sam 17,34-35.37 ). Auch Jakob erlebte, wie mühevoll und anstrengend es war, ein treuer Hirte zu sein ( 1Mo 31,38-40 ). Jesus sagte: "Ich bin der gute Hirte" (vgl. Joh 10,14 ). Im Alten Testament wird Gott als der Hirte seines Volkes bezeichnet ( Ps 23,1; Ps 80,2; Pred 12,11; Jes 40,11; Jer 31,10 ). Als solcher kam Jesus, um sein Leben für die Schafe zu lassen (vgl. Joh 10,14.17-18; Gal 1,4; Eph 5,2.25; Hebr 9,14 ). Er wird auch der "große Hirte" ( Hebr 13,20-21 ) und der "Erzhirte" ( 1Pet 5,4 ) genannt.

 

 

Joh 10,12-13

 

Im Gegensatz zum guten Hirten, dem die Schafe gehören, der für sie sorgt, sie füttert, schützt und für sie stirbt, bringt der, der sie für Lohn hütet - der Mietling - nicht denselben Einsatz. Er ist nur an seinem eigenen Wohlergehen und Fortkommen interessiert. Wenn ein Wolf kommt ( harpazei , wörtlich: "etwas entreißt"; vgl. dasselbe Verb in V. 28 ), verläßt er die Schafe und flieht , so daß sie durch seinen Eigennutz zerstreut werden. Offensichtlich kümmert er sich nicht um die Schafe . In Israel traten viele falsche Propheten, selbstsüchtige Königeund falsche Messiasse auf, unter denen Gottes Herde immer wieder zu leiden hatte ( Jer 10,21-22;12,10; Sach 11,4-17 ).

 

 

Joh 10,14-15

 

Im Gegensatz zum "Mietling" hat der gute Hirte eine persönliche Beziehung zu den Schafen und nimmt Anteil an ihnen (vgl. V. 3.27 ). Die Wendung " ich ... kenne die Meinen " hebt hervor, daß er sie als sein Eigentum betrachtet und sorgsam über sie wacht. Und die Meinen kennen mich betont umgekehrt, daß auch die Schafe ihren Hirten kennen und eine enge Beziehung zu ihm haben. Diese Nähe und Vertrautheit hat ihr Vorbild in der auf Liebe und gegenseitigem Vertrauen basierenden Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn. Der höchste Beweis für Jesu Fürsorge für die Schafe liegt in der Ankündigung, daß er für die Herde sterben wird. Es kam vor, daß Hirten umkamen, während sie ihre Schafe vor Gefahr bewahrten. So gab auch Jesus sein Leben für seine Schafe (V. 11.15.17 - 18 ) - ihretwegen, an ihrer Stelle ( Röm 5,8.10; 2Kor 5,21; 1Pet 2,24;3,18 ) - und erwarb ihnen mit seinem Tod das Leben.

 

 

Joh 10,16

 

Die anderen Schafe, die nicht aus diesem Stall sind , sind die gläubigen Heiden. Durch seinen Tod bringt Jesus auch sie zum Vater. Und sie werden meine Stimme hören . Jesu Rettungswerk gilt weiterhin all jenen, die seine Stimme aus der Schrift hören. Apg 18,9-11 beschreibt, wie sich das in der Geschichte der Kirche auswirkte. "Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt" (Korinth), sagte der Herr zu Paulus. Eine Herde und ein Hirte bezieht sich auf die Gemeinschaft von gläubigen Juden und Heiden, die zusammen einen Leib bilden, dessen Haupt Christus ist (vgl. Eph 2,11-22;3,6 ).

 

 

Joh 10,17-18

 

Und wieder - insgesamt viermal - sagte Jesus, daß er sterben müsse und freiwillig sein Leben lassen würde (V. 11.15.17 - 18 ). Deshalb liebt der Vater Jesus, der sich im Gehorsam als Opfer hingab. Er gab sein Leben freiwillig: Niemand nimmt es von mir . Zweimal erwähnte Jesus hier seine Auferstehung ( ich habe Macht, es wiederzunehmen ) und wies darauf hin, daß er auch hierin selbst über sein Schicksal bestimmte. Jesus war keine hilflose Figur auf dem Schachbrett der Geschichte.

 

 

Joh 10,19-21

 

Zum dritten Mal entstand nach dieser Rede Zwietracht unter den Zuhörern (vgl. Joh 7,43;9,16 ). Viele Menschen in der feindseligen Menge sprachen: Er hat einen bösen Geist und ist von Sinnen (vgl. Joh 7,20;8,48.52 ). Doch andere widersprachen ihnen, denn, so fragten sie, wie kann ein böser Geist die Augen der Blinden auftun? (vgl. Joh 9,16 ).

 

 

4. Der letzte öffentliche Auftritt als Lehrer

( 10,22 - 42 )

 

Als nächstes berichtet Johannes über den letzten Zusammenstoß zwischen Jesus und der feindlichen Menge in Jerusalem (V. 22 - 39 ) und beschreibt dann, wie er über den Jordan ging (V. 40 - 42 ), weil sie versuchten, ihn zu töten.

 

 

Joh 10,22-23

 

Das Fest der Tempelweihe heißt heute Hanukka oder Lichterfest. Es erinnert an die Neueinweihung des Tempels durch Judas Makkabäus im Jahr 165 v. Chr., nachdem er 168 v. Chr. durch Antiochus IV. (Epiphanes) entheiligt worden war, und rief den Juden die letzte große Befreiung von ihren Feinden in Erinnerung. Das achttägige Fest wurde im Dezember gefeiert; es war also Winter. Als Salomos Halle wurde der lange, überdachte Wandelgang an der Ostseite des Tempels bezeichnet. Seit Jesu letztem Streitgespräch mit den Juden ( Joh 7,1-10,21 ) beim Laubhüttenfest ( Joh 7,2 ), das im Oktober stattfand, waren zwei Monate vergangen. Jesus war in den Tempel zurückgekehrt.

 

 

Joh 10,24

 

Da umringten ihn die Juden (wörtlich: sie "schlossen sich eng um ihn herum zusammen" - ekyklOsan ). Die Jesus feindlich gesonnenen jüdischen Machthaber in Jerusalem waren entschlossen, ihn diesmal festzunageln. Seine rätselhaften Worte ließen ihnenkeine Ruhe; sie wollten endlich eine klare Antwort von ihm hören. Wie lange hältst du uns im Ungewissen? (wörtlich: "hältst du unsere Seele noch"), wollten sie wissen. Bist du der Christus, so sage es frei heraus.

 

 

Joh 10,25-26

 

Jesus entgegnete, daß die Werke (vgl. V. 32.38 ), die er getan hatte, ihnen hätten zeigen müssen, daß er vom Vater war (vgl. Jes 35,3-6; Joh 3,2;9,32-33 ). Er war vom Vater gesandt, auch wenn er ihre Erwartungen nicht erfüllte, denn er trat weder als zweiter Judas Makkabäus noch wie Mose auf. Ihre Unfähigkeit, sich auf ihn einzulassen, lag im Grunde an ihrer mangelnden geistlichen Einsicht und ihrem fehlenden Glauben. " Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen " ist eine nüchterne Feststellung, die zugleich an das letzte große Geheimnis der Erwählung durch Gott erinnert (vgl. Joh 6,37 ).

 

Joh 10,27

 

Jesu Herde aber ist empfänglich für seine Lehre. Meine Schafe hören meine Stimme (V. 3 - 5.16 ). Sie haben eine Beziehung zu ihm ( ich kenne sie ; vgl. V. 3.14 ), sie verstehen seine Heilsbotschaft, und sie folgen ihm (V. 4 - 5 ). Jesus zu folgen bedeutet, den Willen des Vaters zu tun, wie Jesus es tat.

 

 

Joh 10,28

 

Hier wird eine der klarsten Aussagen der Bibel gemacht. Auch die Gläubigen sündigen und straucheln, doch Jesus, der vollkommene Hirte, verliert kein Schaf aus seiner Herde (vgl. Lk 22,31-32 ). Das ewige Leben ist ein Geschenk ( Joh 3,16.36;5,24;10,10; Röm 6,23 ). Wer es besitzt, hat es für immer. "Sie werden nimmermehr umkommen" ist im Griechischen noch sehr viel entschiedener formuliert: ou mE apolOntai eis ton aiOna ("sie werden auf keinen Fall jemals umkommen"; vgl. Joh 3,16 , mE apolEtai , "nicht verloren gehen"). Die Sicherheit der Schafe gründet sich auf die Fähigkeit des Hirten, sie zu verteidigen und zu bewahren, sie ist nicht von der eigenen, wenig verläßlichen Kraft der Schafe abhängig. Niemand wird sie aus meiner Hand reißen . "Herausreißen" heißt im Griechischen harpasei und ist verwandt mit harpax ("raubgierige Wölfe, Räuber"). Das fügt sich ausgezeichnet in den Zusammenhang, denn dasselbe Wort ( harpazei ) steht in Vers 12 : "der Wolf stürzt sich auf die Schafe" (wörtlich: "reißt sie").

 

 

Joh 10,29

 

Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles . D. h., niemand kann auch nur ein einziges Schaf der Herde Jesu aus des Vaters Hand (oder aus Jesu Hand;V. 28 ) reißen . Der allmächtige Vater schützt die Herde. Sein Heilsplan ist unerschütterlich.

 

 

Joh 10,30

 

Mit den Worten "ich und der Vater sind eins" meinte Jesus nicht, daß er und Gott ein und dieselbe Person sind. Der Sohn und der Vater sind zwei Personen in der Dreieinigkeit. Der Beweis dafür ist das Geschlecht des Wortes "eins", das Neutrum ist. Jesus sagte also, daß er und sein Vater in ihrem Willen eins sind. Jesu Wille ist identisch mit dem des Vaters; beiden geht es um die Rettung der Schafe. Diese absolute Willenseinheit aber setzt die Wesenseinheit voraus. Jesus und der Vater sind in ihrem Willen (und daher auch in ihrem Wesen) eins, beide sind Gott (vgl. Joh 20,28; Phil 2,6; Kol 2,9 ).

 

 

Joh 10,31-32

 

Auf diese Aussage hin versuchten die Jesus feindlich Gesonnenen unter seinen Zuhörern, denen durchaus klar war, welchen Anspruch Jesus hier geltend machte, ihn zu steinigen (vgl. Joh 8,59 ). Seine ruhige Frage, viele gute Werke (vgl. Joh 10,25.38 ) habe ich euch erzeigt vom Vater; um welches dieser Werke willen wollt ihr mich steinigen?, bewies, wie unerschrocken er der Gefahr ins Auge sah.

 

 

Joh 10,33

 

Sie antworteten ihm, daß sie an seinen Worten nichts auszusetzen hätten (wenngleich seine Heilungen am Sabbat sie aufgebracht hatten, vgl. Joh 5,18;9,16 ), sondern daß sie ihn steinigen wollten, weil er, ein Mensch, behauptete, Gott zu sein. Das war Gotteslästerung . Damit trafen sie im Grunde den Kern des Problems: In Jesus wurde Gott tatsächlich Mensch ( Joh 1,1.14.18 ). Jesus zog zwar nicht durch Palästina und verkündete "Ich bin Gott", doch seine Deutung des Sabbats und die Worte über die Einheit mit demVater offenbarte seinen Anspruch, eines Wesens mit dem Vater zu sein.

 

 

Joh 10,34

 

Um Jesu Antwort auf den Vorwurf der Gotteslästerung zu verstehen, muß man bis zu einem gewissen Grad mit den bei einer Diskussion zwischen Rabbinern üblichen Argumentationsmethoden vertraut sein. Zunächst verwies Jesus auf das Alte Testament: in eurem Gesetz . Das sind normalerweise nur die fünf Bücher Mose, doch Jesus bezog hier das ganze Alte Testament mit ein, denn er zitierte aus den Psalmen. "Ihr" Gesetz war es insofern, als sie sich seines Besitzes rühmten und sich ihm eigentlich hätten unterwerfen sollen. Ps 82 bezeichnet Gott als Richter ( Ps 82,1.8 ) und hält fest, daß die Menschen, die eigentlich dazu eingesetzt waren, anstelle von Gott Recht zu sprechen, versagt haben ( Ps 82,2-7 ). Der Ausdruck "Götter" ( Ps 82,1 und 6) bezieht sich also auf die zum Richten berufenen Menschen. In diesem Sinn sagte Gott zu den Juden: ihr seid Götter . Keinesfalls war damit gemeint, daß der Mensch göttlicher Natur sei.

 

 

Joh 10,35

 

Jesus argumentierte also, daß die Menschen in bestimmten Situationen (wie z. B. in Ps 82,1.6 ) Götter genannt wurden. Das hebräische Wort für "Gott" und "Götter", ?MlOhIm , wird an anderer Stelle (z. B. 2Mo 21,6;22,8 ) auch für die Menschen in ihrer Funktion als Richter verwendet. Er fügte hinzu: Und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden , d. h., niemand darf behaupten, daß die Schrift irre. Hierin liegt, nebenbei bemerkt, ein Hinweis auf die Unfehlbarkeit der Bibel.

 

 

Joh 10,36

 

In diesem Vers führte Jesus seinen Argumentationsgang zu Ende. Wenn die unfehlbare Bibel ihre Richter "Götter" nennt, können die Juden ihn nicht der Gotteslästerung zeihen, wenn er sich Gottes Sohn nennt, da er geheiligt wurde und Gottes Auftrag ausführt ( in die Welt gesandt ist ).

 

 

Joh 10,37-38

 

Obwohl die Juden sich sträubten, Jesu Worten zu glauben, gab Gott ihnen Werke (wörtl. "Wunder"; vgl. V. 25.32 ), die er durch Jesus wirkte. Sie erhielten diese Zeichen, damit sie über sie nachdachten und durch sie lernten und an ihnen Jesu Einheit mit dem Vater ( der Vater ist in mir und ich in ihm ) erkannten. Nikodemus war das klar geworden, denn er sagte: Niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm ( Joh 3,2 ).

 

 

Joh 10,39

 

Da suchten sie abermals, ihn zu ergreifen (von piazO ; vgl. Joh 7,30.32.44;8,20 ), vielleicht, um ihn vor Gericht zu stellen. Doch wieder entging er ihren Händen , da die von Gott festgelegte Zeit noch nicht gekommen war (vgl. Joh 5,13;8,59;12,36 ). Wie er die Flucht bewerkstelligte, sagt Johannes nicht.

 

 

Joh 10,40-42

 

Wegen der Feindseligkeit des Volkes ging Jesus wieder auf die andere Seite des Jordan nach Peräa, wo auch Johannes der Täufer gepredigt hatte ( Joh 1,28 ). Hier wurde er freundlicher aufgenommen, möglicherweise, weil der Täufer die Menschen auf sein Kommen vorbereitet hatte. Obwohl Johannes tot war, besaß sein Zeugnis doch noch immer großen Einfluß. Er selbst hatte zwar nie ein Zeichen ( sEmeion ) vollbracht, doch sie glaubten dem, was er ihnen über Jesus gesagt hatte. Die Juden in Jerusalem dagegen hatten Jesu Zeichen gesehen und dennoch nicht gehorcht. In Peräa aber glaubten viele an ihn als den Retter.