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Johannesevangelium Walvoord  Edwin A. Blum

Johannes Kapitel 18

Johannes 18 Zusammenfassung

  1. Gethsemane: Jesus geht mit seinen Jüngern nach Gethsemane.
  2. Verhaftung: Jesus wird verhaftet.
  3. Judas: Judas verrät Jesus.
  4. Soldaten: Eine Schar Soldaten kommt, um Jesus zu verhaften.
  5. Petrus: Petrus schlägt einem Diener des Hohenpriesters ein Ohr ab.
  6. Annas: Jesus wird zuerst zu Annas gebracht.
  7. Verhör: Jesus wird von Annas verhört.
  8. Petrus' Verleugnung: Petrus verleugnet Jesus zum ersten Mal.
  9. Kajaphas: Jesus wird zu Kajaphas gebracht.
  10. Hoherpriester: Kajaphas ist der Hohepriester.
  11. Zeugen: Falsche Zeugen werden gegen Jesus vorgebracht.
  12. Petrus' zweite Verleugnung: Petrus verleugnet Jesus zum zweiten Mal.
  13. Petrus' dritte Verleugnung: Petrus verleugnet Jesus zum dritten Mal.
  14. Hahnenschrei: Der Hahn kräht, wie Jesus es vorausgesagt hatte.
  15. Verhör vor Pilatus: Jesus wird vor Pilatus gebracht.



IV. Jesu Passion und Auferstehung

( Joh 18-20 )

 

A. Die Gefangennahme Jesu

( 18,1 - 11 )

 

Joh 18,1

 

Jesus verließ den Raum, in dem er mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl eingenommen hatte, und ging hinaus über den Bach Kidron , nach Osten. Das Kidrontal, das heutige Wadi-en-Nar, ist ein Tal bzw. Flußbett, das vom Norden Jerusalems zwischen dem Tempelberg und dem Ölberg hindurch zum Toten Meer verläuft. Wie David von einem Freund (Ahitofel) verraten wurde, während er auf dem Weg zum Ölberg den Kidron überquerte ( 1Sam 15,23.30-31 ), so wurde auch Jesus von seinem "vertrauten Freund" Judas verraten, als er diesen Weg nahm. In dem Garten auf dem Ölberg übernachteten Jesus und seine Jünger stets, wenn sie sich in Jerusalem aufhielten ( Lk 21,37 ), denn in Festzeiten (z. B. während des Passafestes) war die heilige Stadt von den Tausenden von jüdischen Pilgern so überfüllt, daß die meisten von ihnen in Zelten oder anderen provisorischen Unterkünften schlafen mußten.

 

 

Joh 18,2-3

 

"Geldgier ist eine Wurzel alles Übels" ( 1Tim 6,10 ). Auf dem Hintergrund dieses Satzes ist es nicht überraschend, daß Judas Jesus für Geld verriet ( Joh 12,4-6; Mt 26,14-16 ). Judas war kein Ungeheuer, sondern ein ganz normaler Mensch, der in einer ganz gewöhnlichen Sünde (der Gier) gefangen war, die Satan benutzte, um sein Ziel zu erreichen. Seine Tat stand allerdings in stärkstem Gegensatz zu Jesu selbstloser Liebe. Da Judas Jesu Gewohnheiten kannte, konnte er ihn den Häschern leicht ausliefern. Der Haß auf Jesus hatte die Soldaten und Knechte von den Hohenpriestern und Pharisäern zusammengeführt. Die römische Besatzungsmacht hatte eine Kohorte ( speiran , der zehnte Teil einer Legion), also sechshundert Mann, abgestellt, wahrscheinlich mit dem Befehl, einen Aufständischen, der behauptete, ein König zu sein, festzunehmen.

 

 

Joh 18,4

 

Jesus wußte alles, was ihm begegnen sollte . Er wurde nicht von seinen Feinden überrascht, sondern gab sich freiwillig als Opfer in ihre Hände ( Joh 10,15.17-18 ). Die Szene in Joh 18,4 ist voller gespenstischer Dramatik. Judas kam mit den vielen Soldaten und den religiösen Führern, um Jesus gewaltsam abzuführen. Doch Jesus trat ihnen ganz allein entgegen (die Jünger waren eingeschlafen; Lk 22,45-46 ). Obwohl er unbewaffnet war, beherrschte er die Situation. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, in der Dunkelheit der Nacht zu fliehen, wie es die Jünger bald darauf taten (vgl. Mk 14,50 ). Doch er ergab sich seinen Häschern.

Johannes

 

Joh 18,5-6

 

Seine Worte "Ich bin's" , erschreckten sie, und sie wichen zurück und fielen zu Boden , beeindruckt von der Autorität seiner Worte (vgl. Joh 7,45-46 ). Die Wendung "Ich bin" ist doppeldeutig; sie könnte sich auf Jesu Gottheit beziehen ( 2Mo 3,14; Joh 8,58 ) oder auch einfach ein Erkennungszeichen gewesen sein (wie in Joh 9,9 ).

 

 

Joh 18,7-9

 

Als der gute Hirte ließ Jesus sein Leben für die Schafe ( Joh 10,11 ). Daß er noch in diesem Augenblick die Apostel schützte, war ein vollkommenes Beispiel für seinen stellvertretenden Sühnetod. Er starb nicht nur für sie, sondern wirklich anstelle von ihnen. Damit erfüllte er den Willen seines Vaters für die Apostel ( Joh 6,38 ) und auch seine eigenen prophetischen Worte ( Joh 6,39 ).

 

 

Joh 18,10

 

Petrus hatte gesagt, daß er für Jesus sterben würde ( Mt 26,33-35 ), und wollte ihn nun retten oder zumindest im Kampf für ihn fallen. Doch er war zweifellos mit dem Fischernetz geschickter als mit dem Schwert, denn als er dem Knecht des Hohenpriesters, Malchus, sein rechtes Ohr abhieb , hatte er es mit Sicherheit auf dessen Kopf abgesehen. Sowohl Lukas ( Lk 22,50 ) als auch Johannes berichten, daß es das rechte Ohr war, was ein Beleg für die historische Verläßlichkeit ihrer Evangelien ist. (Lukas fügt noch hinzu, daß Jesus den Mann wieder heilte; Lk 22,51- ein Beweis für seine Feindesliebe.) Petrus' Treue war zwar rührend, doch sie entsprach nicht dem Plan Gottes. Ein solcher blinder Eifer ohne rechte geistliche Einsicht führt die Menschen häufig vom Weg ab (vgl. Röm 10,2 ).

 

 

Joh 18,11

 

Schon zuvor hatte Jesus Petrus getadelt ( Joh 13,6-11 ). Nun tadelte er ihn abermals, diesmal, weil er Gottes Willen nicht verstand. Trotzdem Jesus ständig von seinem bevorstehenden Tod gesprochen hatte ( Joh 3,14;8,28;12,32-33; vgl. Lk 9,22 ), sahen die Jünger seine Notwendigkeit nicht ein (vgl. Lk 24,25 ). Der Kelch, den der Vater Jesus zugeteilt hatte, bezog sich auf das Leiden und den Tod, den er erlitt, weil er Gottes Zorn über die Sünde auf sich nahm ( Ps 75,9; Jes 51,17.22; Jer 25,15; Hes 23,31-33 ). Die Worte "den Kelch, den mir mein Vater gegeben hat" deuten darauf hin, daß Jesus alles, was ihm bevorstand, als Teil des göttlichen Heilsplans sah. Seine rhetorische Frage an Petrus sollte diesen zum Nachdenken bringen. Jesus war gekommen, um den Willen des Vaters zu tun, und mußte daher auch das folgende auf sich nehmen.

 

 

B. Die Verhandlungen vor dem Hohenpriester und die Leugnung des Petrus

( 18,12 - 27 )

 

Joh 18,12-14

 

Bei der Verhaftung Jesu war es dunkel und spät in der Nacht. Er hatte bereits einen langen Tag hinter sich. Die Jünger waren so erschöpft von all dem, was auf sie eingestürmt war, daß sie in tiefen Schlaf gefallen waren. Doch Jesus durchlebte in der Zeit, in der sie schliefen, eine tiefe Krise und suchte in Todesangst Zuflucht im Gebet ( Mk 14,32-41; Lk 22,44 ). Jetzt war er gebunden und in den Händen seiner Feinde und zudem von allen verlassen, da seine Jünger in Panik auseinandergelaufen waren ( Mt 26,56; Joh 16,32 ).

Dann begannen die Verhandlungen vor der religiösen Obrigkeit (vgl. die Liste über die sechs Verhandlungen bei Mt 26,57 ). Der Hinweis, sie führten ihn zuerst zu Hannas , ist eine Information, die in den anderen Evangelien nicht enthalten ist. Hannas war von Quirinius, dem Statthalter Syriens, im Jahr 6 n. Chr. zum Hohenpriester ernannt worden und blieb im Amt, bis er von Valerius Gratus, dem Procurator Judäas, im Jahr 15 n. Chr. abgesetzt wurde. Nach jüdischem Gesetz hatte ein Hoherpriester sein Amt zwar auf Lebenszeit inne, doch die Römer sahen eine solche Konzentration von Macht in einer Person nicht gern, daher ernannten sie häufig neue Hohepriester. Auf Hannas folgten fünf seiner Söhne und sein Schwiegersohn Kaiphas (vgl. die Tabelle bei Apg 4,6 und Lk 3,2 ). Offensichtlich blieb er jedoch stets die treibende Kraft; denn vor Jesu formalem Prozeß führte er eine Vorbefragung durch. Kaiphas war in jenem Jahr , d. h. dem bedeutungsvollen Jahr von Jesu Tod, Hoherpriester . An dieser Stelle erinnert Johannes seine Leser nochmals an die unbewußte Prophezeiung des Kaiphas ( Joh 11,49-52 ).

 

 

Joh 18,15-16

 

Als die Soldaten Jesus im Olivengarten gefangengenommen hatten, waren die Jünger im ersten Schreck geflohen, doch zwei von ihnen kehrten zurück und folgten dem Herrn und seinen Feinden zurück über den Kidron in die Stadt. Es waren Simon Petrus und ein anderer Jünger . Wer der andere war, wissen wir nicht, doch es wäre denkbar, daß es sich um Johannes, den Sohn des Zebedäus, handelte (vgl. Joh 20,2;21,20.24 ). Dieser Jünger kannte den Hohenpriester und hatte Zugang zu seinem Palast - eine einzigartige Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, was nun weiter geschah. Er nahm auch Petrus mit in den Hof hinein.

 

 

Joh 18,17-18

 

Petrus' Leugnung vor der Magd stand in schroffstem Gegensatz zu seinen früheren Beteuerungen, daß er sein Leben für Jesus lassen würde ( Joh 13,37 ), und zu seinem Widerstand gegenüber Malchus, dem er das Ohr abhieb ( Joh 18,10 ). Offensichtlich befand sich auch der andere Jünger in (vielleicht sogar noch größerer) Gefahr, doch er verleugnete Jesus nicht. Petrus stand beim Kohlenfeuer und wärmte sich in der Frühlingsnacht, die sehr kalt war, denn Jerusalem liegt etwa 760 Meter über dem Meeresspiegel. Das Detail über die kalte Nacht ist ein weiterer Hinweis, daß der Verfasser dieses Buches ein Augenzeuge war.

 

 

Joh 18,19

 

Die Ereignisse in Vers 12 - 27 werden wie ein Drama auf zwei Bühnen geschildert. Bühne 1 wurde vorbereitet (V. 12 - 14 ), während das Schauspiel auf Bühne 2 stattfand (V. 15 - 18 ). Dann wandte sich die Handlung wieder Bühne 1 zu (V. 19 - 24 ) und kehrte danach nochmals zu Bühne 2 zurück (V. 25 - 27 ).

Die Vorbefragung Jesu ähnelte möglicherweise dem Verfahren, dem heute ein Festgenommener unterzogen wird, wenn er auf eine Polizeistation gebracht wird. Hannas befragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre . Das waren die üblichen Fragen, die an Aufrührer gerichtet wurden (vgl. Joh 11,48 ).

 

 

Joh 18,20-21

 

Jesus antwortete, daß er keine Geheimlehre und auch keine Organisation vertrete. Ihm folgte zwar ein enger Kreis von Jüngern, doch seine Lehre war keine Geheimreligion. Er redete offen und vor aller Welt (in der Synagoge und im Tempel) . Die Menschen wußten, was er gesagt hatte, so daß Fragen darüber leicht zu beantworten waren. Bis seine Schuld erwiesen war, war er als unschuldig anzusehen. Er verlangte deshalb, daß sie Zeugen beibrächten, wenn sie ihm etwas vorwarfen. Da jedoch nichts gegen ihn vorlag, versuchten seine Ankläger, ihn irgendwie zu überlisten.

 

 

Joh 18,22-24

 

Einer von den Knechten des Hannas, dem seine Antwort nicht gefiel, schlug Jesus ins Gesicht . Wie diese Mißhandlung waren auch andere Dinge in Jesu Vorverhör illegal. Es war unrechtmäßig zu versuchen, einem Angeklagten eine Selbstbeschuldigung zu entlocken; außerdem war es nicht erlaubt, eine Person, die noch nicht überführt war, zu schlagen. Jesu Antwort bezog sich nicht auf die Form ( sollst du ), sondern auf den Inhalt seiner Lehre ( habe ich übel geredet ). Es war leichter, sich vor der Wahrheit zu drücken oder den, der sie aussprach, zum Schweigen zu bringen, als zu versuchen, auf die Wahrheit zu antworten. Denn die Wahrheit ist aus sich selbst heraus überzeugend, und für die, die sich ihr entgegenstellen, ist es schwierig, sie zu leugnen. Darauf wies Jesus seine Widersacher hin und brachte auf diese Weise ihre Heuchelei an den Tag. Sie kannten die Wahrheit, doch sie liebten den Irrtum. Sie sahen das Licht, doch sie liebten die Finsternis (vgl. Joh 3,19; Röm 1,18 ). Nach dem Vorverhör sandte Hannas Jesus zu seinem Schwiegersohn Kaiphas (vgl. Joh 18,13 ).

 

 

Joh 18,25-27

 

In dieser Passage verleugnete Petrus Jesus zum zweiten und dritten Mal Über seinen Verrat wird in allen vier Evangelien berichtet, was zeigt, welche Bedeutung die Evangelisten dieser Schwäche des Führers der Jünger beimaßen. Da alle Menschen versagen und auch viele berühmte Christen irgendwann einmal gestrauchelt sind, ist der Bericht über die Verleugnung des Petrus (und seine folgende Wiederherstellung; vgl. Joh 21 ) ein großer Trost für die Gläubigen. Die letzte Leugnung erfolgte auf die Frage eines Verwandten jenes Malchus, den Petrus in Gethsemane töten wollte. Unmittelbar nachdem Petrus Jesus zum dritten Mal verleugnet hatte, sah der Herr ihn an ( Lk 22,61 ), und er ging hinaus und weinte bitterlich ( Lk 22,62 ). Dann krähte der Hahn (vgl. Mt 26,72-74 ). Jesu Prophezeiung ( Joh 13,38 ) hatte sich erfüllt. (Markus schreibt, daß der Hahn zweimal krähte; vgl. den Kommentar zu Mk 14,72 .) Der krähende Hahn (wie auch die sprechende Eselin Bileams; vgl. 4Mo 22,30 ) sind ein Beweis für Gottes Souveränität, mit der er alle Dinge seinem Willen und Zeitplan unterwirft.

 

 

C. Der Zivilprozeß vor Pilatus

( 18,28 - 19,16 )

 

Joh 18,28-29

 

Jeder der vier Evangelisten stellte einen ganz besonderen Aspekt von Jesu Gerichtsverhandlungen, Tod und Auferstehung in den Vordergrund. Johannes schien das Material der drei ersten Evangelien ergänzen zu wollen. Nur er berichtet so detailliert und mit so viel psychologischem Fingerspitzengefühl über das Verhör vor Hannas und Pilatus. Dagegen sagt er nichts über das Verhör vor dem Hohen Rat ( Mk 14,55-64 ) und über den Vorwurf der Gotteslästerung. (Vgl. die Liste mit den sechs Gerichtsverhandlungen Jesu bei Mt 26,57 .)

Da der jüdische Hohe Rat nicht befugt war, Jesus zum Tode zu verurteilen, mußte sein Fall vor den römischen Statthalter, Pontius Pilatus (26 - 36 n. Chr.), gebracht werden. Dieser residierte normalerweise in Cäsarea, doch während der großen Feste schien es ihm ratsam, sich in Jerusalem aufzuhalten, um einem Aufruhr vorzubeugen. Das Passafest war besonders gefährlich, weil dann - in Erinnerung an die Befreiung der Juden aus der Knechtschaft in Ägypten - die Wogen der Erregung hochschlugen.

Die genaue Lage des Palastes des römischen Statthalters ist umstritten. Er kann sich nahe der Festung Antonia an der Nordseite des Tempels befunden haben, oder es handelte sich um einen der beiden Paläste des Herodes im Westen der Stadt. Die Juden hätten niemals ein heidnisches Haus (in diesem Fall den Palast des Statthalters) betreten, doch sie konnten bis in den Hof oder unter die Kolonnaden gehen. Welche Ironie liegt darin, daß die jüdischen Machthaber sich hier Gedanken über die rituelle Unreinheit machten, während sie doch gleichzeitig einen Mord planten! Da kam Pilatus zu ihnen heraus (wahrscheinlich in den Hof) und begann mit dem informellen Verhör.

 

 

Joh 18,30-31

 

Die Antwort der Juden auf die Frage des Pilatus zeigt, wie spinnefeind sie einander waren. (Sie haßten Pilatus für seine Härte und für die Tatsache, daß er als Heide über sie herrschte. Pilatus seinerseits verachtete die Juden. Im Jahr 36 n. Chr. erreichten sie endlich, daß er nach Rom zurückberufen wurde.) Pilatus weigerte sich, für sie das Amt des Scharfrichters zu übernehmen. Er ahnte, was hinter den Kulissen vorging. Er hatte den triumphalen Einzug Jesu vor ein paar Tagen gesehen, und ihm war klar, daß es purer Neid war, der die Juden dazu veranlaßt hatte, Jesus vor ihn zu bringen ( Mt 27,18 ). Daher entschied er sich, ein Spielchen mit den Juden zu spielen - um den Einsatz von Jesu Leben. Er erklärte sich nicht bereit, ohne ausreichenden Grund irgend etwas gegen Jesus zu unternehmen. Die Anklage der Juden wegen Gotteslästerung würde schwer zu beweisen sein und reichte auf keinen Fall aus, ihn nach römischem Gesetz zum Tode zu verurteilen. Gerade darauf aber hatten es die Juden abgesehen. Jesus war beliebt beim Volk, daher hätte es der Hohe Rat gern gesehen, wenn das Todesurteil von einem römischen Gericht ausgesprochen worden wäre. Der Rat selbst konnte zwar Todesurteile verhängen, doch nur die Römer hatten das Recht, sie zu vollstrecken (vgl. jedoch die Steinigung des Stephanus in Apg 6,8-7,60 ).

 

 

Joh 18,32

 

Johannes erläutert dann noch genauer, warum Jesus den Römern ausgeliefert werden mußte. Bei jüdischen Hinrichtungen wurden die Opfer meistens gesteinigt, wobei den Menschen die Knochen gebrochen wurden. Die Römer dagegen kreuzigten ihre Verbrecher. Aus drei Gründen war es nötig, daß Jesus von den Römern auf Bitten der Juden gekreuzigt wurde: (a) um die Prophezeiungen zu erfüllen (z. B. damit ihm "kein Bein zerbrochen" würde; Joh 19,36-37 ); (b) damit sowohl Juden als auch Heiden an seinem Tod schuldig würden (vgl. Apg 2,23;4,27 ); (c) damit Jesus "erhöht" wurde wie "die Schlange in der Wüste" (vgl. den Kommentar zu Joh 3,14 ). Ein Mensch, der unter dem Fluch Gottes stand, mußte - als Zeichen, daß über seine Sünde zu Gericht gesessen worden war - an einem Baum ausgestellt (gehängt) werden ( 5Mo 21,23; Gal 3,13 ).

 

 

Joh 18,33-34

 

Nach der Überstellung des Gefangenen hatte Pilatus eine private Unterredung mit Jesus (V. 33 - 38 )a. Er wußte, daß die Juden normalerweise nicht einen der Ihren den verhaßten Römern ausliefern würden, daß es mit Jesus also eine besondere Bewandtnis haben mußte. Nach Lukas ( Lk 23,2 ) wurden Jesus drei Dinge vorgeworfen: Er habe das Volk aufgewiegelt, sich der Steuer für den Kaiser widersetzt und behauptet, er sei "Christus, ein König". Pilatus fragte ihn zunächst, ob er der König der Juden sei. Daraufhin fragte Jesus ihn, ob er diese Frage von sich aus stelle oder ob andere (Juden) sie ihm in den Mund gelegt hätten. Damit meinte er, ob Pilatus selbst in Sorge sei, daß er, Jesus, eine Bedrohung für Rom, also ein Revolutionär, sei, oder ob andere es so dargestellt hätten.

 

 

Joh 18,35-36

 

Pilatus antwortete sarkastisch: Bin ich ein Jude? Natürlich war er nicht an irgendwelchen jüdischen Querelen interessiert, sondern nur an Vergehen, die sich auf die Zivilverwaltung bezogen. Es muß Jesus tief verletzt haben, daß Pilatus ihn so kalt darauf hinwies, daß es die Juden waren, sein eigenes Volk, das ihn angeklagt hatte. Johannes hatte bereits im Prolog seines Evangeliums dieses traurige Thema angesprochen: "Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf" ( Joh 1,11 ). Jesus sagte, daß die Römer keinen politischen Aufstand von ihm zu befürchten hatten; er war kein Zelot oder aufständischer Guerillaführer. Sein Reich war nicht von dieser Welt , es war vom Himmel, daher würde es auch nicht durch Rebellion, sondern durch Unterwerfung unter den Willen Gottes kommen. Es konnte nicht durch gewaltsame Handlungen der Menschen herbeigeführt werden, sondern nur durch die Wiedergeburt vom Himmel, durch die die Menschen aus dem Reich Satans in das Reich Gottes kommen konnten (vgl. Joh 3,3; Kol 1,13 ).

 

 

Joh 18,37

 

Da Jesus von einem Königreich sprach, stürzte Pilatus sich sofort auf das Wort "König": So bist du dennoch ein König? Diese Frage bejahte Jesus, doch er erklärte nochmals, daß sein Reich nicht mit Rom zu vergleichen sei. Es ist ein Reich der Wahrheit, das alle anderen Königreiche in den Schatten stellt. Er sagte: Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Mit wenigen Worten bestätigte Jesus also seine göttliche Herkunft ( ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen ) und seinen Auftrag ( daß ich die Wahrheit bezeugen soll ). Später würde er über Pilatus zu Gericht sitzen.

 

Joh 18,38

 

Pilatus' Frage "Was ist Wahrheit?" zieht sich durch die Jahrhunderte bis in unsere heutige Zeit. Es ist schwer zu entscheiden, was er damit meinte. War sie Ausdruck des sehnsüchtigen Wunsches zu wissen, was keiner ihm sagen konnte? Zielte sie auf das Problem der Erkenntnistheorie und zeugte lediglich von philosophischem Zynismus? War sie ein Beispiel für seine Gleichgültigkeit gegenüber so unnützen und abstrakten Gedanken? Oder war sie Ausdruck der Verärgerung und Ungeduld über Jesu Antwort? Alle diese Interpretationen sind möglich. Wichtig ist jedoch allein, daß er sich plötzlich von dem, der "die Wahrheit" ( Joh 14,6 ) war, abwandte, ohne auf eine Antwort zu warten. Daß Pilatus Jesus für unschuldig hielt, ist von großer Bedeutung, denn Jesus mußte sterben wie ein Passalamm ( 2Mo 12,5 ), ein "Mann in der Blüte seiner Jahre und ohne Tadel".

 

 

Joh 18,39-40

 

Außer diesem mangelnden Interesse an der Wahrheit zeigte Pilatus jedoch auch mangelndes Interesse an der Gerechtigkeit. Ihm fehlte der Mut, zu seiner Überzeugung zu stehen. Wenn Jesus tatsächlich in allen Punkten unschuldig war, hätte er ihn freilassen müssen. Statt dessen schloß er eine Reihe von Kompromissen, um sich der Notwendigkeit, in einer schwierigen Situation der unbequemen Wahrheit entsprechend zu handeln, zu entziehen. Als er feststellte, daß Jesus Galiläer war, sandte er ihn zunächst zu Herodes ( Lk 23,6-7 ). Dann versuchte er, in der Hoffnung, die Pläne der Hohenpriester und Ältesten zu vereiteln, an die Menge zu appellieren ( Joh 18,38 ). Er wußte, daß Jesus beliebt war und dachte, daß die Menschen ihn Barabbas vorziehen würden (vgl. Mt 27,20 ). Sein Angebot, Barabbas, einen Mörder und Aufständischen, loszugeben , war ein politisches Armutszeugnis für einen Beamten, dessen Aufgabe es war, die Interessen Roms wahrzunehmen.