Johannes 2 Zusammenfassung
( 2,1 - 11 )
Das erste Wunder, das Jesus im Johannesevangelium vollbrachte, war ein
ganz privates, das nur die Jünger, einige Knechte und wahrscheinlich
Jesu Mutter als solches erkannten. Daß in den synoptischen Evangelien
nicht von diesem Wunder berichtet wird, könnte vielleicht damit
zusammenhängen, daß Matthäus zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht zum
Jünger berufen war. Von den vier Evangelisten war überhaupt nur Johannes
anwesend. Er verwendet für den Vorfall bewußt das Wort "Zeichen"
( sEmoeiOn , V. 11 ), um die Aufmerksamkeit von den Wundertaten selbst
abzulenken, hin zur eigentlichen Bedeutung der Wunder. Was sich dabei
vollzieht, ist etwas "Wunderbares" ( teras ), das Wirken einer "Kraft"
( dynamis ), ein "unerwartetes ( paradoxos ) Geschehen".
Die Verwandlung von Wasser in Wein war das erste von insgesamt 35
Wundern, die uns von Jesus überliefert sind. (Vgl. die Tabelle, die
Aufschluß über die Wunder, die Orte, an denen sie geschahen, und die
Parallelstellen in den Evangelien gibt.)
Joh 2,1
Die Zeitangabe am dritten Tag bedeutet wahrscheinlich drei Tage nach der
Berufung von Philippus und Nathanael. (Vgl. die Abfolge der Tage, auf
die das jeweils in Joh 1,29.35 und 43 wiederholte "am nächsten Tag"
hindeutet.) Die Reise von Betanien bei Jericho in Judäa ( Joh 1,28 )
nach Kana in Galiläa dauerte mehrere Tage. Wo genau Kana lag, wissen wir
heute nicht mehr, doch es muß in der Nähe von Nazareth gewesen sein.
Auch die Mutter Jesu war auf dem Fest anwesend, doch Johannes nennt sie
nicht mit Namen (vgl. Joh 2,12;6,42;19,25-27 ), wie er auch an keiner
anderen Stelle in diesem Evangelium seinen oder den Namen der Mutter
Jesu erwähnt. (Jesu Mutter lebte nach dem Tod Jesu bei dem "Jünger, den
Jesus lieb hatte"; vgl. Joh 19,27 .)
Joh 2,2-3
Orientalische Hochzeitsfeiern dauerten nicht selten sieben Tage. Das
Fest setzte ein nach der Überführung der Braut in das Haus des
Bräutigams bzw. seines Vaters, bevor die Ehe vollzogen wurde. Als der
Wein ausging , wandte sich Maria an Jesus in der Hoffnung, daß er das
Problem lösen könnte. Erwartete sie ein Wunder? Das ist angesichts der
Aussage von Vers 11 unwahrscheinlich; bis jetzt hatte Maria ihren Sohn
noch keine Wunder vollbringen sehen.
Joh 2,4-5
Das Wort Frau , mit dem Jesus seine Mutter hier anredet, klingt dem
heutigen Leser fremd, war damals jedoch eine sehr höfliche und
freundliche Wendung (vgl. Joh 19,26 ). Im Gegensatz dazu deutete der
Satz " was geht's dich an " im Griechischen darauf hin, daß Jesus und
Maria grundsätzlich zwei ganz verschiedenen Bereichen angehörten.
Dämonen z. B. sagten es, wenn sie mit Christus konfrontiert wurden ("Was
willst du von uns?"; Mk 1,24; "Was willst du von mir?"; Mk 5,7 ). Maria
mußte hier, was für sie als Mutter sicherlich sehr schmerzlich war
(vgl. Lk 2,35 ), erkennen, daß Jesus ausschließlich den Willen Gottes
tat und daß der Zeitpunkt seiner Offenbarung ganz allein in der Hand des
Vaters lag. Meine Stunde ist noch nicht gekommen oder ähnliche Wendungen
finden sich fünfmal bei Johannes ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ). Später wird
dreimal auf die Tatsache hingewiesen, daß seine Stunde nun gekommen ist
( Joh 12,23;13,1;17,1 ). Marias Anweisung gegenüber den Dienern (was er
euch sagt, das tut) zeigt jedoch, daß sie ihrem Sohn gehorsam war.
Obwohl sie ihn nicht verstand, vertraute sie ihm.
Joh 2,6-8
Das Wasser in den sechs steinernen Wasserkrügen (die je zwei oder drei
Maße - das sind 80 bzw. 120 Liter - faßten) wurde für jüdische
Reinigungsrituale vor und nach den Mahlzeiten benutzt (vgl. Mt 15,1-2 ).
Hier wird der Gegensatz zwischen der neuen und der alten Ordnung ganz
deutlich (vgl. Joh 4,13-14;7,38-39 ).
Diese Wasserkrüge befanden sich wahrscheinlich etwas außerhalb des
Festsaals. Der Speisemeister, der die Oberaufsicht über das Fest hatte,
wußte also nicht, daß er aus den Reinigungskrügen trank - was für einen
Juden auch unvorstellbar gewesen wäre. Die Knechte schenkten das Wasser,
das Wein geworden war, aus.
Joh 2,9-10
Als aber der Speisemeister den Wein kostete , stellte er fest, daß er
besser war als der, den sie zuvor getrunken hatten. Im Gegensatz zu dem
Brauch, den besseren Wein zuerst auszuschenken und später auf
minderwertigeren überzugehen, versicherte er, daß der Wein, der zuletzt
ausgeschenkt wurde, der beste sei. Dieses Wunder will deutlich machen,
daß das Christentum gegenüber dem Judentum ein Fortschritt ist. Gott hat
das beste Geschenk - seinen Sohn - bis jetzt zurückbehalten .
Joh 2,11
Johannes erklärt dieses Wunder als eine Manifestation
der Herrlichkeit Christi. Im Gegensatz zu Mose, der als Zeichen für das
göttliche Gericht Wasser in Blut verwandelte ( 2Mo 7,14-24 ), bringt
Jesus Freude. Sein erstes Wunder war ein Vorgeschmack der Freude, die er
den Menschen durch den Heiligen Geist bringen will. Es deutet auf Jesus
als das fleischgewordene Wort, den mächtigen Schöpfer. Jedes Jahr
verwandelt er bei der Ernte und den späteren Gärungsprozessen sozusagen
Wasser in Wein - dasselbe Wunder wie hier, nur daß es hier in kürzerer
Zeit stattfand. Die 120 Liter guten Weines waren sein Geschenk für das
junge Paar. Sein erstes Wunder - eine Verwandlung - verweist auf sein
verwandelndes Wirken unter den Menschen (vgl. 2Kor 5,17 ). Die Jünger
glaubten an ihn . Doch ihr anfänglicher Glaube sollte im Laufe der
Offenbarung Jesu, des Logos , auf die Probe gestellt und
weiterentwickelt werden. Zu diesem Zeitpunkt verstanden sie seinen Tod
und seine Auferstehung noch nicht ( Joh 20,8-9 ), doch sie kannten nun
seine Macht.
4. Jesu Besuch in Kapernaum
( 2,12 )
Joh 2,12
Jesu Reise nach Kapernaum, das am Nordwestufer des Sees Genezareth lag,
und sein kurzer Aufenthalt dort waren nur ein Zwischenspiel in seinem
Leben. Obwohl Kapernaum nordöstlich von Kana lag, ging er dorthin hinab,
denn das Land fällt zum Meer hin ab. Kapernaum wurde Jesu Wahlheimat
(vgl. Mt 4,13; Mk 1,21;2,1 ). Von nun an schien er sich seiner Familie
( Mk 3,21.31-35; Joh 7,3-5 ) und seiner Heimatstadt Nazareth zu
entfremden ( Mk 6,1-6; Lk 4,14-30 ).
5. Jesu erstes Wirken in Jerusalem
( 2,13 - 3,21 )
a. Die Reinigung des Tempels
( 2,13 - 25 )
Nach dem Bericht des Evangelisten Johannes fand die Reinigung des
Tempels zu Beginn von Jesu Wirken statt, nach den Erzählungen der
Synoptiker hingegen am Ende seines öffentlichen Auftretens ( Mt
21,12-17; Mk 11,15-18; Lk 19,45-48 ). Wahrscheinlich gab es zwei
Tempelreinigungen, denn die beiden Berichte sind unterschiedlich.
Johannes kannte zweifellos die synoptischen Evangelien und schrieb seine
eigene Darstellung als Ergänzung zu ihren Berichten. Die erste Reinigung
überrumpelte die Menschen völlig; die zweite, etwa drei Jahre später,
war einer der unmittelbaren Gründe für Jesu Tod (vgl. Mk 11,15-18 ).
Joh 2,13-14
Wie es bei den Juden Brauch war ( 2Mo 12,14-20.43-49; 5Mo 16,1-8 ), zog
Jesus hinauf nach Jerusalem, um das Passafest zu feiern (vgl. zwei
andere Passafeste, eines in Joh 6,4 und eines in Joh 11,55;12,1;13,1 ).
Dieses jährliche Fest sollte die Juden an die Gnade Gottes erinnern, der
ihr Volk aus der Knechtschaft in Ägypten befreit hatte. Die Passazeit
eignete sich damit in besonderer Weise, den Menschen das zu verkündigen,
was Jesus ihnen zu sagen hatte.
Mit dem Tempel ist der große äußere Hof, der sogenannte "Vorhof der
Heiden", der den inneren Tempelbezirk umgab, gemeint. (Vgl. die Skizze
des Tempelbezirks.) Wahrscheinlich aus Gründen der Bequemlichkeit für
die Pilger, die nach Jerusalem kamen, hatten die Pharisäer in diesem
Bezirk, der eigentlich heilig war, das Kaufen und Verkaufen von
Opfertieren gestattet. Daraus hatte sich allmählich ein einträglicher
Handel entwickelt, so daß der Pilgerverkehr zu einer der
Haupteinnahmequellen der Stadt geworden war. Eine weitere Annehmlichkeit
für die Pilger waren die Geldwechsler. Die Tempelsteuern und -gebühren
mußten in tyrischer Währung entrichtet werden, und für das Wechseln
wurde eine hohe Gebühr erhoben. Diese Mißstände führten letzlich zu
einer Korrumpierung der heiligen Handlungen.
Joh 2,15
Maleachi hatte einst prophezeit, daß eines Tages einer in den Tempel
kommen und die Religion des Volkes "rein" machen würde ( Mal 3,1-3 ).
Voller Entrüstung stieß Jesus die Tische um und trieb die Schafe und
Rinder mitsamt ihren Verkäufern aus dem Tempelbezirk hinaus.
Joh 2,16
Jesus verurteilte nur die Entweihung seines Vaters Haus zum Kaufhaus ,
er wandte sich nicht gegen das Opfersystem selbst, auch wenn es stark an
Sinn eingebüßt hatte. Bei der zweiten Reinigung des Tempels am Ende
seines Wirkens dagegen griff er die religiöse Praxis wesentlich schärfer
an und bezeichnete den Tempelbereich als "Räuberhöhle" ( Lk
19,46; vgl. Jer 7,11 ).
Jesus sprach häufig von Gott als von seinem "Vater". Nur durch ihn kann
man den Vater kennenlernen: "Niemand kennt den Sohn als nur der Vater
und wem es der Sohn offenbaren will" ( Mt 11,27 ).
Joh 2,17
Sein Tun erinnerte die Jünger an Ps 69,10 ,wo davon die Rede ist, daß
der Gerechte den Preis für seinen Eintritt in Gottes Tempel zahlen muß.
Jesu Eifer für Gott führte schließlich zu seinem Tod.
Joh 2,18-19
Die Juden - womit entweder die jüdischen Machthaber oder die Kaufleute
gemeint waren - verlangten ein Zeichen dafür, daß Jesus das Recht hatte,
die bestehende Ordnung umzuwerfen ("Denn die Juden fordern
Zeichen"; 1Kor 1,22 ). Statt dessen erwiderte ihnen Jesus jedoch nur mit
einer verhüllten Anspielung. Wie bei den Gleichnissen in den
synoptischen Evangelien diente das rätselhafte Wort auch hier unter
anderem dazu, die Hörer, die sich ihm widersetzten, zu verwirren. Jesus
wollte, daß sie über sein Wort nachdachten und auf diesem Wege seine
Bedeutung erkannten. Brecht diesen Tempel ab klingt wie ein Gebot, ist
jedoch entweder ironisch oder vielleicht auch hypothetisch gemeint.
Später, bei seiner Gerichtsverhandlung, wurde Jesus angeklagt, behauptet
zu haben, er könne den Tempel zerstören und in drei Tagen wieder
aufrichten ( Mt 26,60-61 ). Etwas Ähnliches wurde auch Stephanus zur
Last gelegt ( Apg 6,14 ).
Joh 2,20-21
Herodes der Große hatte beschlossen, den von Serubbabel errichteten
Tempel, dessen Herrlichkeit nicht an den Tempel Salomos heranreichte
( Hag 2,3 ), neu zu erbauen. Er begann damit im Jahr 20 oder 19 v. Chr.,
also bringen uns die sechsundvierzig Jahre , von denen hier die Rede
ist, auf das Jahr 27 oder 28 n. Chr. Der Bau war jedoch erst 63 n. Chr.
vollendet. Die Juden hatten also entweder vom Allerheiligsten oder von
irgendeinem anderen Teil des Tempels gesprochen. Wie, so fragten sie,
wollte Jesus ihn in drei Tagen neu erbauen? Das war unmöglich! Die
Worte und du sind im Griechischen stark betont und unterstreichen die
Verachtung der Pharisäer. Doch Jesus meinte mit dem Tempel hier
natürlich seinen Leib , der nach drei Tagen auferweckt werden sollte.
Joh 2,22
Selbst die Jünger verstanden Jesu dunkle Worte zuerst nicht. Erst im
Lichte der Auferstehung begriffen sie, wovon er gesprochen hatte. Da sie
zuvor nicht hatten einsehen können, warum er sterben mußte, und auch die
alttestamentlichen Aussagen über das Leiden und Sterben des Messias
nicht verstanden hatten ( Jes 52,12-53,12; Lk 24,25-27 ), dachten sie
erst nach seinem Tod wieder an diese Worte.
Joh 2,23
Als er aber am Passafest in Jerusalem war, tat Jesus noch weitere
Zeichen, auf die Johannes hier nicht näher eingeht. Diese Zeichen
bestanden wahrscheinlich hauptsächlich in Heilungen, die den Glauben
vieler Menschen wecken sollten. Sie glaubten denn auch an seinen Namen ,
d. h., sie vertrauten auf ihn. Der Glaube, der hier zum Ausdruck kam,
war jedoch noch nicht unbedingt der rettende Glaube, wie die nächsten
Verse implizieren. Die Leute glaubten zwar, daß Jesus ein großer Heiler
war, nicht aber, daß er sie auch von ihrer Schuld erretten konnte.
Joh 2,24-25
Jesus wußte, daß ein solches kurzfristiges Aufgerütteltsein oder auch
ein Glaube, der auf Zeichen basierte, nicht ausreichte. Viele von denen,
die ihm zu Anfang nachfolgten, verließen ihn denn auch wieder, als er
keine Anstalten machte, die Rolle des politischen Königs zu übernehmen
(vgl. Joh 6,15.60.66 ). Bis zu Jesu Tod und Auferstehung und dem Kommen
des Heiligen Geistes war die Grundlage für den Glauben noch nicht ganz
gelegt. Jesus in seinem übernatürlichen Wissen bedurfte nicht, daß ihm
jemand Zeugnis gab vom Menschen . Wie Gott sah er in die Herzen ( 1Sam
16,7; Ps 139; Apg 1,24 ). Joh 3 und Joh 4 sind Beispiele für diese
Fähigkeit. Jesus wußte, wonach Nikodemus strebte, und er kannte das
Vorleben der Samariterin ( Joh 4,29 ). Die Verbindung zwischen dem
dritten und dem zweiten Kapitel liegt auf der Hand (vgl. was im Menschen
war , Joh 2,25 ,und "es war aber ein Mensch", Joh 3,1 ). |