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Kp 2 + 3  Hebräer (Zane C. Hodges) Walvoord

Kp 2 + 3  Hebräer (Zane C. Hodges) Walvoord


B. Die erste Warnung

( 2,1-4 )

 

An dieser Stelle hält der Briefschreiber inne, um die erste von sechs Warnungen auszusprechen (die übrigen fünferscheinen in Hebr 3-4;5,11-6,20;10,19-39;12 ). Diese erste Warnung ist die kürzeste und knappste, aber nichtsdestoweniger von großer Eindringlichkeit.

 

 

Hebr 2,1

 

Das im vorigen Abschnitt Gesagte enthält wichtige Implikationen für die Leser, wie das einleitende "darum" zeigt. Weil der Sohn so hoch über allem steht und am Ende über alle seine Feinde siegen wird, tun die Leser gut daran, desto mehr auf diese Wahrheiten zu achten. Wenn sie das nicht tun, laufen sie Gefahr, am Ziel vorbei(zu)treiben ( pararyOmen ; ein Wort, das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vorkommt). Die Adressaten des Hebräerbriefes zeichnen sich offenbar durch geistliche Unreife und Trägheit aus (vgl. Hebr 5,11-12 ), und wenn dieser Zug nicht bekämpft wird, können sie leicht von dem rechten Weg, der ihnen verkündet worden war, abkommen. Vielleicht dachte der Verfasser des Briefes hier an die Übersetzung von Spr 3,21 in der Septuaginta, wo ebenfalls das Wort pararyOmen verwendet ist: "Mein Sohn, laß sie nicht aus deinen Augen weichen, bewahre Umsicht und Klugheit."

 

 

Hebr 2,2-4

 

Da unter dem Alten Bund, der durch das Wirken der Engel zustande kam ( Gal 3,19 ), schwere Strafen für die Übertretungen der Gebote vorgesehen waren, können die Leser nicht einfach voraussetzen, daß die Übertretungen des Neuen Bundes nicht bestraft würden. Im Gegenteil, der Verfasser fragt sie mit trügerischer Leichtigkeit: Wie wollen wir entrinnen (vgl. Hebr 12,25 ), wenn wir ein so großes Heil nicht achten? Wenn die Leser den endgültigen Sieg und die Erlösung, die ihnen im Zusammenhang mit dem persönlichen Sieg des Sohnes verheißen ist, aus dem Blick verlieren, müssen sie mit Vergeltung rechnen. Wie diese Vergeltung aussehen wird, wird nicht gesagt, und der Text bietet keinerlei Anhalt, dabei an die Hölle zu denken. Das Pronomen "wir", das in der ganzen Passage verwendet wird, macht deutlich, daß der Verfasser sich selbst ebenfalls zu jenen rechnet, die die Wahrheit vom Sieg und von der Erlösung nicht vergessen dürfen.

Das "Heil", von dem hier die Rede ist, ist natürlich im gleichen Sinne zu verstehen wie in Hebr 1,14 (vgl. den dortigen Kommentar) und spielt auf die künftige Teilhabe der Leser an der triumphalen Herrschaft des Sohnes an. Jesus selbst sprach, als er auf Erden war, viel von seinem künftigen Reich, an dem seine treuen Anhänger teilhaben sollen (vgl. z. B. Lk 12,31; 22,29-30 ). Doch die Erfahrung dieses Heil(s) ..., das seinen Anfang nahm mit der Predigt des Herrn , war auch durch die verschiedenen Wunder und Manifestationen des Heiligen Geistes bestätigt worden, die die, die es gehört haben , vollbrachten. Der Verfasser des Hebräerbriefes erachtete diese Wunder offenbar als Vorzeichen des kommenden Zeitalters (vgl. Hebr 6,5 ) und sah sie - wie die ersten Christen in der Apostelgeschichte - als Ausdruck der Souveränität dessen, der erhöht worden war, um zur Rechten Gottes zu sitzen (vgl. "Zeichen", "Wunder" und "große Taten" in Apg 2,43; 4,30; 5,12; 6,8; 8,6.13; 14,3; 15,12; vgl. auch 2Kor 12,12 ). Daß der Verfasser tatsächlich immer an die "zukünftige Welt" dachte, wird in Hebr 2,5 ganz deutlich.

 

 

C. Der König-Sohn als vollkommener "Anfänger des Heils"

( 2,5 - 18 )

 

Zu seinem eigentlichen Thema zurückkehrend, befaßt sich der Autor des Hebräerbriefes hier erneut mit der Rolle Jesu in der künftigen Welt. Im vorliegenden Abschnitt geht es dabei in erster Linie um die enge Verbundenheit Jesu mit all denen, die durch seine Menschwerdung an seiner künftigen Macht teilhaben werden.

 

 

1. Das Schicksal des "Anfängers des Heils"

( 2,5 - 9 )

 

Hebr 2,5

 

Aus den Schriftrollen vom Toten Meer geht nach Aussage der Wissenschaftler hervor, daß die Anhänger der Qumran-Sekte glaubten, daß das kommende Zeitalter im Zeichen der Herrschaft des Erzengels Michael und der ihm untertanen Engelschar stehen würde. Einer solchen Auffassung wird in diesem Vers energisch widersprochen. Nicht den Engeln , sondern Menschen wird die Herrschaft über die zukünftige Welt anvertraut werden. Die Wendung "von der wir reden" macht dabei deutlich, daß hier keineswegs ein neuer Gedanke eingeführt wird. Das ganze erste Kapitel, in dem immer wieder das Königtum und die künftige Herrschaft des Sohnes herausgestellt wurde, stand ja unter diesem Thema.

 

 

Hebr 2,6-8 a

 

Ps 8 , der im folgenden zitiert wird, wird häufig als eine allgemeine Aussage über die Rolle des Menschen in Gottes Schöpfung verstanden. Auf dem Hintergrund von Hebr 2,5 und der Auslegung, die sich in Hebr 2,8 b- 9 anschließt, wird jedoch deutlich, daß der Verfasser des Hebräerbriefes diese Passage in erster Linie unter dem messianischen und eschatologischen Aspekt auffaßte. Er betrachete damit das Alte Testament aus dem gleichen Blickwinkel, der im ganzen Neuen Testament vertreten ist und direkt auf Jesus selbst zurückgeht (vgl. Lk 24,25-27.44-45 ).

 

 

Hebr 2,8-9 (Hebr 2,8b-9)

 

Wie auch immer in Ps 8 die Stellung des Menschen in der Welt aufgefaßt sein mag, nach Ansicht des Briefschreibers ist damit nicht der gegenwärtige Stand der Dinge wiedergegeben. Er stellt im Gegenteil fest: Jetzt aber sehen wir noch nicht, daß ihm alles untertan ist . Er bezieht diese Aussage in erster Linie auf Jesus ( Hebr 2,9 ), eine Auffassung, die zweifellos durch den gebräuchlichen messianischen Titel "Menschensohn" (V. 6 ) gestützt wurde. Er erklärt also, daß Jesus die endgültige Herrschaft über die Schöpfungsordnung zwar noch nicht angetreten hat, doch am Ende durch das Leiden des Todes "gekrönt mit Preis und Ehre" sein wird. Der so Gekrönte ist "eine kleine Zeit niedriger gewesen ... als die Engel" , um zu sterben, d. h., um durch Gottes Gnade ... für alle den Tod zu schmecken . Das war das Ziel der Erniedrigung des Herrn unter die Engel, d. h. seiner Menschwerdung. Die Wendung "durch das Leiden des Todes gekrönt mit Preis und Ehre" stellt gewissermaßen einen Einschub dar, der im griechischen Text deutlicher als solcher erkennbar wird. Das Hauptgewicht der Aussage liegt also trotz des Hinweises auf die gegenwärtige Herrlichkeit Gottes auf der Tatsache, daß er Mensch wurde, um zu sterben.

 

 

2. Die Verbundenheit des "Anfängers des Heils" mit seinen Anhängern

( 2,10-18 )

 

In diesem Abschnitt wird zum ersten Mal der griechische Titel archEgos für Jesus verwendet (das Wort taucht nochmals in Hebr 12,2 auf). Er bedeutet soviel wie "Führer", "Urheber", "Begründer" und ist in mancher Hinsicht mit dem Begriff "Pionier" zu vergleichen. Seine Wiedergabe in der Lutherausgabe mit "Anfänger des Heils" scheint gegenüber der Formulierung "Urheber" die bessere zu sein ( Hebr 2,10 ).

Der Herr Jesus, so versucht der Verfasser deutlich zu machen, ist der "Anfänger des Heils" für die treue Schar von Menschen, die von Gott zur Herrlichkeit ausersehen ist.

 

 

Hebr 2,10

 

Die Wendung alle Dinge zeigt, daß die folgenden Ausführungen nach wie vor unter dem Eindruck von Ps 8 stehen (vgl. Hebr 2,8 ). Die Herrlichkeit , von der hier die Rede ist, ist jene Herrlichkeit, von der der Ps. spricht, d. h. die Herrlichkeit der Herrschaft über die Schöpfungsordnung (vgl. Hebr 2,7-8 ). Selbst der Ausdruck viele Söhne ist an die Psalmformulierung "Menschensohn" angelehnt und suggeriert damit die Vorstellung, daß der messianische Titel des Menschensohns für den Verfasser des Hebräerbriefes offensichtlich einen Gemeinschaftsaspekt hat: Jesus ist der Menschensohn, und seine Brüder und Schwestern sind die vielen, die mit ihm sowohl im Leiden als auch in der künftigen Herrlichkeit verbunden sind. Sie werden die Freude des Königs in der künftigen Welt teilen (vgl. Hebr 1,9 ).

In Hebr 2,9 hat der Briefschreiber zum ersten Mal vom Tod Jesu gesprochen. Nun versichert er, daß sich ein solches Leiden für den, der den vielen Söhnen als "Anfänger des Heils" voranging, ziemte . Bevor er die Menschen zum Heil führen konnte, das Gott ihnen schenken wollte, d. h. "zur Herrlichkeit", mußte er "durch Leiden" für diese Aufgabe vollendet werden. Weil seine Brüder leiden müssen, mußte auch er, wenn er der wirkliche "Anfänger ihres Heils" werden sollte, leiden, denn nur so konnte er ihnen die Hilfe bringen, die sie wirklich brauchten (vgl. V. 18 ).

 

 

Hebr 2,11 - 13

 

Es besteht also eine tiefe Einheit zwischen dem Sohn und den vielen Söhnen. Durch seinen Tod hat er sie geheiligt . Die solcherart "Geheiligten" (kommen) alle von einem . Aus Hebr 10,10.14 wird deutlich, daß der Verfasser überzeugt ist, daß das Opfer Christi die vielen Söhne ein für allemal geheiligt hat (vgl. den Kommentar zu dieser Stelle). Wie Ps 22,23 (zitiert in Hebr 2,12 ) vorhersagt, schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen . Ja, er kann ihnen von seinem Vertrauen auf Gott erzählen (V. 13 a, zitiert nach Jes 8,17 ) und betrachtet sie als die Kinder, die mir Gott gegeben hat ( Hebr 2,13 b, zitiert nach Jes 8,18 ). Wie ein älterer Bruder inmitten eines Kreises von jüngeren Kindern lehrt der "Anfänger ihres Heils" die, die ihm nachfolgen auf dem Weg des Leidens, die Lektion des Glaubens.

 

 

Hebr 2,14-15

 

Diese Kinder wurden jedoch einst von Satan, ihrem Feind, in Knechtschaft gehalten. Weil sie Menschen sind, mußte der "Anfänger des Heils" ebenfalls Mensch werden. Er mußte für sie sterben, um sie zu erlösen, denn nur so war er in der Lage, dem Teufel (die Macht) zu nehmen. Damit ist nicht gemeint, daß Satan nicht mehr existiert oder nicht mehr in der Welt aktiv ist. Die Wendung "die Macht nehmen" ( katargEsE ) bedeutet nur, daß er keine Macht mehr hat über die, die Christus erlöste. Daß der Teufel als der beschrieben wird, der Gewalt über den Tod hatte , heißt, daß er die Furcht vor dem Tod dazu ausnützt, um die Menschen unter seine Herrschaft zu bringen. Oft treffen Menschen aus ihrem starken Selbsterhaltungstrieb heraus moralisch falsche Entscheidungen. Die Leser des Hebräerbriefes werden deshalb daran erinnert, daß sie nicht länger Knechte des Teufels sind und dem Tod mit demselben Gottvertrauen entgegengehen können, wie es ihr Herr tat.

 

 

Hebr 2,16-18

 

In welche Nöte und Bedrängnisse sie auch geraten, ihr Herr kann ihnen helfen, denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams . Der Ausdruck "Kinder Abrahams" ist vielleicht ein Hinweis darauf, daß die Adressaten des Hebräerbriefes Juden waren, wenngleich sich im geistlichen Sinn auch Heidenchristen zu den "Kindern Abrahams" zählen konnten ( Gal 3,29 ). Die Hilfe, die der Herr seinen Anhängern zukommen läßt, gründet sich auf die Tatsache, daß er in allem seinen Brüdern gleich wurde ( Hebr 2,17 ), und zwar sowohl durch seine Menschwerdung als auch durch sein Leiden. In diesem Zusammenhang taucht auch zum ersten Mal der Gedanke der Priesterschaft Jesu auf, der später genauer ausgeführt wird. Zunächst wird lediglich festgestellt, daß die Identifikation mit "seinen Brüdern" Jesus zu einer Priesterschaft befähigte, die sowohl von Erbarmen als auch von Treue vor Gott getragen ist. Die Grundlage dieser Priesterschaft ist es, zu sühnen die Sünden des Volkes . Auch davon ist später noch ausführlicher die Rede.

Der Abschnitt schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß der Herr in seiner Funktion als Priester denen, die versucht werden (V. 18 ), helfen kann, weil er selbst in seinem Leiden die Erfahrung der Versuchung durchlebt hat. Die behandelten Themen sind damit noch nicht abgeschlossen, doch es ist eindeutig klargestellt, daß der "Anfänger des Heils" in der Tat für seine Aufgabe - die, die ihm anhängen, zur Teilhabe an seiner künftigen Herrlichkeit zu führen - "vollendet" wurde.

 

 

D. Die zweite Warnung

( Hebr 3-4 )

 

An dieser Stelle unterbricht der Briefschreiber erneut den thematischen Fluß seiner Ausführungen, um eine zweite Warnung auszusprechen. Sie ist diesmal sehr viel ausführlicher und detaillierter gehalten als in Hebr 2,1-4 .Dadurch wird deutlicher, weshalb er sich um seine Leser sorgt, aber auch, welch unschätzbaren Verlust sie erleiden, wenn sie seine Mahnungen in den Wind schlagen. Der Grundlagentext für diesen ganzen Abschnitt ist Ps 95,7-11 ,der in Hebr 3,7-11 zitiert und in der Paränese von Kapitel 3 und Hebr 4,1-11 ausgelegt wird. Der ganze Abschnitt schließt mit dem Hinweis auf die richterliche Gewalt des göttlichen Wortes ( Hebr 4,12-13 ) und mit der Aufforderung, die Hilfe des großen Hohenpriesters zu suchen ( Hebr 4,14-16 ).

 

 

1. Der Aufruf zur Treue

( 3,1-6 )

 

Hebr 3,1

 

Mit der Anrede "ihr heiligen Brüder, die ihr teilhabt an der himmlischen Berufung" greift der Autor auf jene Wahrheit zurück, die er seinen Lesern in Kapitel 2 zu vermitteln versucht hat. Sie sind "Brüder" (vgl. Hebr 3,12;10,19 ), und zwar nicht nur untereinander, sondern auch Brüder ihres Herrn ( Hebr 2,11-12 ). Sie sind heilig, weil dieser sie geheiligt hat. Schließlich "haben sie teil an der himmlischen Berufung", weil Gott sie "zur Herrlichkeit geführt hat" ( Hebr 2,10 ). Das griechische Wort für "teilhaben" ( metochoi ; in Hebr 1,9 mit "deinesgleichen" übersetzt) taucht auch in Hebr 3,14;6,4 und Hebr 12,8 auf. Dahinter steht vor allem der Gedanke an das hohe Vorrecht der Teilhabe am künftigen Reich und der künftigen Freude des göttlichen König-Sohnes.

Als "heilige und geheiligte" Menschen sollen die Leser ihr ganzes Denken auf den richten, der zugleich Apostel und Hoherpriester ihres christlichen Glaubens ist. Der erste dieser beiden Titel weist wahrscheinlich auf Jesus als den von Gott gesandten Mittler des Vaters (vgl. Hebr 1,1-2 ), während der zweite auf jene Funktion Bezug nimmt, von der in Hebr 2,17-18 die Rede war.

 

 

Hebr 3,2

 

Die Leser werden aufgefordert, den Blick auf Christus zu richten, der noch jetzt Gott treu ist. In ihm können sie ein Vorbild für ihre eigene Treue finden. Im Alten Testament ist die Treue Christi in Mose verkörpert.

Der Hinweis auf Mose, der in Gottes ganzem Hause treu war, stammt aus 4Mo 12,7 ,wo es um die Stiftshütte geht. Mit dem "Haus" Gottes ist in der betreffenden alttestamentlichen Situation die Stiftshütte gemeint, die Mose in striktem Gehorsam gegenüber den göttlichen Anweisungen errichtet hatte. Er wurde damit "zum Zeugnis für das, was später gesagt werde sollte" ( Hebr 3,5 ).

 

 

Hebr 3,3-6 a

 

Jesus als Erbauer ist jedoch größerer Ehre wert als Mose , denn Mose war nur ein Knecht, der Anweisungen ausführte. Jesus dagegen hat im Grunde alles erbaut , denn Gott ist der Erbauer aller Dinge. Damit wird implizit wieder die Rolle des Sohnes bei der Schöpfung (vgl. Hebr 1,2.10 ) und seine Gottheit (vgl. Hebr 1,8 ) angesprochen.

Dieser Implikation vorgelagert ist jedoch der Gedanke, daß Gottes Haus , in dem Mose sich treu erwies, eine Art Miniaturbild von "allem", d. h. von dem größeren Haus, dem der Sohn zur Rechten Gottes Himmel vorsteht, war (vgl. Hebr 1,3 mit Hebr 4,14 ). Das "Allerheiligste" in seinem irdischen Haus war nur ein Schatten des Himmels, in den Christus nun entrückt worden ist, "um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen" ( Hebr 9,24 ). Moses Treue bestand darin, jenes Schattenhaus, die Stiftshütte, zu errichten, als Abglanz der künftigen priesterlichen Ordnung, die sich nun auf das ganze Universum erstreckt. Das ist das Reich, in dem der erhöhte Christus von Ewigkeit her und nun wieder sitzt und dem ganzen als Sohn über Gottes Haus vorsteht ( Hebr 3,6 a).

 

 

Hebr 3,6 b

 

In einer ganz selbstverständlichen Assoziation, zu der das griechische Wort für Haus herausfordert, schwenkt der Briefschreiber vom Gedanken des Hauses als einem Ort, wo sich priesterliche Aktivitäten vollziehen, zu einem Verständnis von "Haus" als Gemeinschaft all derer, die an diesen Aktivitäten teilnehmen, über. So versichert er seinen Lesern: Sein Haus sind wir . Er stellt allerdings eine wichtige Vorbedingung: Wenn wir das Vertrauen ( parrEsian ; ein Wort, das viermal im Hebräerbrief vorkommt; vgl. auch Hebr 4,16;10,19.35 ) und den Ruhm der Hoffnung festhalten . Wie in seiner ersten Warnung ( Hebr 2,1-4 ) gebraucht der Verfasser des Briefes auch hier das Pronomen "wir" und schließt sich selbst in seine Ermahnung mit ein. Er ist in Sorge, daß manche seiner christlichen Brüder "ein böses, ungläubiges Herz" haben, "das abfällt von dem lebendigen Gott" ( Hebr 3,12 ). Wenn einer der Leser dieser Versuchung nachgibt, verwirkt er damit seine Funktion im priesterlichen Haus des Sohnes, die nur denen offensteht, die standhaft an ihrem christlichen Bekenntnis festhalten (vgl. auch V. 14 sowie Hebr 10,23-25.35-36 ).

Der Verfasser des Hebräerbriefes meint damit nicht, daß die Leser ihr ewiges Heil aufs Spiel setzen können - es wäre falsch, das Wort "Haus" an dieser Stelle mit dem Leib Christi, der wahren, allgemeinen Kirche, gleichzusetzen. Vielmehr zeigen der ganze Kontext und der alttestamentliche Hintergrund, daß der Autor hier in priesterlichen Begriffen denkt. Der erhöhte Sohn steht einer Priesterschaft vor, die eine funktionierende Realität darstellt. Solange seine Leser bei ihrer christlichen Überzeugung bleiben, haben sie ihren Platz in dieser Priesterschaft. Doch so, wie ein wahrer Levit - d. h. ein Levit von Geburt her - sich zu Moses Zeiten selbst vom Dienst im Allerheiligsten ausschließen konnte, so kann auch ein wahrer wiedergeborener Christ sich von seiner priesterlichen Funktion innerhalb des Haushaltes des Herrn ausschließen. Diese Gefahr ist es, die den Verfasser des Hebräerbriefes beschäftigt, und die sowohl in der vorliegenden Warnung als auch in den später folgenden immer wieder zur Sprache kommt.

 

 

2. Das warnende Beispiel Israels

( 3,7 - 4,11 )

 

Hebr 3,7-11

 

Zum Abschluß seines Aufrufs zur Standhaftigkeit und als Warnung vor den Folgen des Abfalls vom Glauben führt der Verfasser das klassische Beispiel vom Versagen Israels bei Kadesch-Barnea an, das zu dem vierzigjährigen Umherirren des Gottesvolkes in der Wüste führte. Statt wie manche Sektierer offenbar in verklärtem Rückblick glaubten, eine Glanzzeit der israelischen Geschichte zu sein, war dies eine Zeit des tragisches Verlustes und des Abfalls. Die Leser des Hebräerbriefs sollen in ihrem Leben keine ähnliche Erfahrung machen wie Israel in der Wüste.

Der Text, den der Briefschreiber wählt, um das Lehrstück, das er seinen Lesern vor Augen führen möchte, anschaulicher zu machen, stammt aus Ps 95 (es werden die Verse 7 - 11 zitiert). Der Ps. paßt gut in einen Kontext, in dem es um Gottesdienst und priesterliche Handlungen geht, denn Ps 95 ist im Grunde genommen ein Ruf zum Gottesdienst (vgl. Ps 95,1-7 ). Die Einladung des Psalmisten - "Kommt, laßt uns anbeten und knien und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat. Denn er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand" ( Ps 95,6-7 ) - spiegelt genau die Intentionen des Hebräerbriefes. Vor diesem Hintergrund muß das ganze im folgenden zitierte Material gesehen werden.

 

 

Hebr 3,12-13

 

Seht zu, liebe Brüder leitet über zur Auslegung des vorangehenden Textes für die christlichen Leser. Weder hier noch an irgendeiner anderen Stelle in seinem Brief zeigt der Verfasser auch nur den geringsten Verdacht, daß seine Leserschaft möglicherweise nicht nur aus wirklichen Christen bestehen könnte. Er behandelt sie vielmehr als "liebe" oder "heilige Brüder, die teilhaben an der himmlischen Berufung" (V. 1 ). Die weitverbreitete Ansicht, daß es ihm in seinem Schreiben mehr um bloß äußerliche Christen als um wirkliche Gläubige ging, läßt sich also nicht halten.

Jeder Glaubensbruder muß sich davor hüten, ein böses, ungläubiges Herz zu bekommen, wie es Gottes Volk in der Wüste hatte - ein Herz, das abfällt von dem lebendigen Gott . Ein Vorbeugungsmittel gegen derartige negative Tendenzen kann ein Geist wechselseitiger Fürsorge und Ermahnung innerhalb der christlichen Gemeinschaft sein. Deshalb rät der Briefschreiber: Ermahnt euch selbst alle Tage ... daß nicht jemand unter euch verstockt werde durch den Betrug der Sünde (V. 13 ). Diese Aufforderung ist von zeitloser Gültigkeit und könnte genauso jeder Gemeinde von heute gelten, wo den Verhärtungen der Sünde ebenfalls oft durch wahre christliche Fürsorge begegnet werden kann. Der Ausdruck "solange es 'heute' heißt" spielt auf das "heute" in Ps 95,7 an und heißt soviel wie "solange ihr die Gelegenheit habt".

 

 

Hebr 3,14

 

Die Äußerung "wir haben an Christus Anteil bekommen" lautet wörtlich "wir sind Partner des Christus". Der Artikel vor "Christus", der sich im Urtext findet, macht aus der Bezeichnung einen Titel im Sinne von "der Messias". In dem Wort "Partner" begegnet uns wieder das griechische metochoi , das schon in Hebr 1,9 und Hebr 3,1 für die Anhänger des messianischen Königs gebraucht wurde. Noch einmal unterstreicht der Autor das ungeheure Privileg, unter den "vielen Söhnen" zu sein, die Gott zu der Herrlichkeit der Teilhabe an der Herrschaft über die Schöpfungsordnung, die Christus regieren wird, berufen hat. Auch hier - wie bei dem Vorrecht des Dienstes im priesterlichen Haus (V. 6 ) - ist diese Funktion an die Treue gebunden: wenn wir die Zuversicht vom Anfang bis zum Ende festhalten . Das erinnert an die Worte von Offb 2,26 - 27 : "Und wer überwindet und hält meine Werke bis ans Ende, dem will ich Macht geben über die Heiden, und er soll sie weiden mit eisernem Stabe."

 

 

Hebr 3,15

 

Die nochmalige Zitation eines Teils der zitierten Stelle aus Ps 95 fügt sich an die Mahnung in Hebr 3,8 an. Die Leser sollen sich ihre Zuversicht bis zum Ende bewahren und nicht wie die alten Israeliten ihre Herzen verstocken, wie es bei der Verbitterung geschah .

 

 

Hebr 3,16-19

 

Nach dieser erneuten Anspielung auf den zu interpretieren den Text beginnt der Verfasser mit seiner Auslegung. Die Fragen in Vers 16 lesen sich eher wie Feststellungen: "Denn manche, die sie gehört hatten, verbitterten sich; wenn es nicht sogar alle waren, die von Ägypten auszogen mit Mose." Der Autor ist sich der bemerkenswerten Ausnahmen eines Josua und Kaleb, die sich nicht in den allgemeinen Abfall hineinziehen ließen, wohl bewußt. Doch er fragt: Über wen war Gott zornig vierzig Jahre lang? Die Antwort lautet, daß er über die in dem Volk in der Wüste zornig war, die sündigten und deshalb auch in der Wüste umkamen. Ihr Ungehorsam, mit dem sie den Eintritt in das verheißene Land verweigerten, veranlaßte Gott zu dem Schwur, daß sie nicht zu seiner Ruhe kommen sollten . Damit ist natürlich gemeint, daß die sündige Generation in der Wüste auf Dauer von der Inbesitznahme ihres Erbes in Kanaan ausgeschlossen war, und nicht, daß sie auf ewig verdammt war. Es wäre also falsch zu behaupten, daß die gesamte Generation des Exodus nicht wiedergeboren und damit verloren war. Doch ihr Ausschluß von der Landnahme in Kanaan war eine Folge ihres mangelnden Glaubens an die Macht Gottes, ihnen zum Sieg über ihre Feinde zu verhelfen - ein Versagen, das sich prinzipiell bei den Lesern des Hebräerbriefs wiederholen konnte, wenn sie den endgültigen Triumph des Messias über seine und ihre Feinde aus dem Blick verloren (vgl. Hebr 1,13-14 ). Der Briefschreiber möchte, daß seine Leser sich zu Herzen nehmen, daß Gottes Volk wegen des Unglaubens , also aus Mangel an Gottvertrauen, nicht ins gelobte Land kam.