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Kp 4 + 5  Hebräer (Zane C. Hodges) Walvoord


Hebr 4,1

 

Das tragische Beispiel Israels sollte auch den Christen als Warnung dienen, denn die Verheißung ... daß wir zu seiner Ruhe kommen (besteht noch) .

Die Vorstellung des Verfassers von "Ruhe" darf nicht aus ihrem alttestamentlichen Zusammenhang gerissen werden. In der Septuaginta finden sich wichtige Abschnitte, in denen das Wort für "Ruhe" ( katapausis ) in Zusammenhang mit der Landnahme Israels ganz eindeutig parallel zu dem Wort für "Erbe" ( klEronomia ) verwendet wird. Mose machte dem Volk Gottes klar ( 5Mo 3,18-20; 5Mo 12,9-11 ), daß die Ruhe Israels in seinem Erbe lag. So liegt auch für den Verfasser des Hebräerbriefs die Ruhe der Christen in ihrem christlichen Erbe. Daß die Christen "Erben" sind, hat er bereits bestätigt ( Hebr 1,14 ) und tut es noch an weiteren Stellen ( Hebr 6,12.17; vgl. Hebr 9,15 ). Wie er ihre Beziehung zu diesem Erbe auffaßt, wird aus der Fortführung seiner Argumentation deutlich. Doch das Erbe selbst kann kaum von seiner Schilderung des messianischen Königreiches, an dem die "Partner" des Messias teilhaben, getrennt werden. Das zeigt sich explizit in Hebr 12,28 .

Da der Verfasser offensichtlich vermeiden wollte, daß einer seiner Leser auf den Gedanken kam, er habe sein "Erbe" verfehlt, ist es einsichtig, daß er sich in diesem Zusammenhang mit dem Problem der Verzögerung der Wiederkunft Christi befaßt, dem Paulus auch bei der thessalonischen Gemeinde begegnet war. Seinem Aufruf zur Geduld und der Beruhigung, daß die Leser "das Verheißene empfangen werden", folgt denn auch die Versicherung: "Nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben" ( Hebr 10,36-37 ). Es ging auf alle Fälle darum, deutlich zu machen, daß die verheißene Ruhe den Gläubigen nach wie vor offen stand.

 

 

Hebr 4,2

 

Nach den Worten des Briefschreibers ist es, das Evangelium, auch uns verkündigt worden (wörtlich: "wir erhielten die gute Nachricht"). Doch die Verkündigung bezieht sich nicht immer nur auf die Erlösung von den Sünden. Eine so spezifische, eng eingegrenzte Auffassung, wie sie in manchen Kreisen mit dem Begriff "Evangelium" verbunden wird, würde den Vorstellungen des Autors an dieser Stelle nicht gerecht werden. Den Israeliten damals wurde von der Ruhe gepredigt, die Gott ihnen anbot. Das war in der Tat eine "gute Nachricht" für sie, wie auch für uns heute, entspricht allerdings nicht ganz dem, was heute allgemein unter "Evangelium" verstanden wird. Das griechische Verb euangelizomai , das an dieser Stelle gebraucht ist, kann im Neuen Testament durchaus auch eine unspezifische Bedeutung haben (vgl. z. B. seine Verwendung in Lk 1,19; 1Thes 3,6 ), und wahrscheinlich unterschied der Briefschreiber nicht so scharf zwischen der "guten Nachricht" von der Ruhe Gottes, die seine Leser vernommen hatten, und jener besonderen "guten Nachricht", die üblicherweise mit dem Begriff "Evangelium" in Verbindung gebracht wird (vgl. 1Kor 15,1-4 ). Aus dem Kontext läßt sich jedoch erschließen, daß es ihm in erster Linie um die gute Nachricht von der künftigen Ruhe des Gottesvolkes ging ( Hebr 4,10 ) und nicht so sehr um die fundamentalen Glaubenswahrheiten, von denen in 1Kor 15 die Rede ist.

Wie schon gezeigt wurde, half den Israeliten das Wort der Predigt (von der Ruhe) nichts, weil sie nicht glaubten, als sie es hörten (vgl. Hebr 3,19 ). Aus Unglauben gingen sie also des Privilegs, das ihnen das göttliche Angebot der Ruhe verhieß, verlustig. Damit die Leser des Hebräerbriefes in den Genuß dieses Privilegs kommen, müssen sie glauben.

 

Hebr 4,3

 

Diese Schlußfolgerung wird im nächsten Vers gezogen. Die Worte hoi pisteusantes , wir, die wir glauben , sind der Gegenpol zum Unglauben der Israeliten. Der Verfasser des Hebräerbriefes ist nicht um den anfänglichen Glauben seiner Leser in der Vergangenheit besorgt, sondern um ihr Durchhaltevermögen (vgl. Hebr 3,6.14 ). Der Glaube bleibt die Vorbedingung für den Eintritt in die Ruhe, dafür bürgt der Ausspruch Gottes, daß nur die, die diesen Glauben nicht haben, nicht zu seiner Ruhe kommen sollen. Dieser Ausschluß war endgültig, trotzdem die Ruhe Gottes den Menschen schon von Anbeginn der Welt offensteht.

 

Hebr 4,4-5

 

Mit einem großen gedanklichen Bogenschlag verbindet der Verfasser die Ruhe Gottes am siebten Tag der Schöpfung mit der Ruhe, die den Israeliten in der Wüste genommen war. Gott ruhte , nachdem er sein Schöpfungswerk vollendet hatte, und die Erfahrung dieser Ruhe ist seit dieser Zeit allen Menschen zugänglich, die die Arbeit, die ihnen aufgetragen ist, zu Ende gebracht haben (vgl. V. 10 ). Wenn aber ein Auftrag nicht erfüllt ist, wie es mit dem Volk in der Wüste der Fall war, so gilt die Feststellung: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen .

 

 

Hebr 4,6-7

 

Das Versagen der Israeliten machte jedoch nicht die Wahrheit zunichte, daß einige zu dieser Ruhe kommen sollen , und in Übereinstimmung mit dieser Wahrheit erneuerte Gott sein Angebot ( Ps 95 ) lange Zeit später, zur Zeit Davids. Damals hat er abermals einen Tag , ein "heute", bestimmt , an dem er diese Möglichkeit allen Lesern des Psalms, für die dieses "heute" zu ihrem "heute" wird, gegeben hat. So hat auch der Verfasser des Hebräerbriefs dieses "heute" des Königs David auf seine Leser angewandt (vgl. Hebr 3,14-15 ).

 

 

Hebr 4,8-10

 

Doch die Leser des Hebräerbriefs sollen nicht glauben, daß die Verheißung der Ruhe in der Zeit Josuas wahr wurde. Der Verfasser ist sich vollkommen bewußt, daß das Alte Testament auch als Beweis dafür zitiert werden kann, daß Israel durch die Landnahme in der Zeit Josuas bereits in die Ruhe eingetreten ist (vgl. Jos 22,4; 23,1 ). Er widerlegt diese Theorie - die den Christen zur Zeit des Hebräerbriefs wahrscheinlich verkündigt wurde - jedoch auf ebenso einfache wie überzeugende Weise: Wenn es so wäre, würde Gott nicht danach von einem andern Tag geredet haben . Der Psalm, auf den er sich dabei beruft, widerspricht der Vorstellung, daß die "Ruhe" bereits eingetreten ist und den Gläubigen in späterer Zeit nun nicht mehr offensteht.

Hinter diesem Argument steht die unwiderlegliche Tatsache, daß die Landnahme in der Zeit Josuas nicht zum bleibenden Besitz des Landes führte. Dieser bleibende Besitz ihres verheißenen Erbes ist für die Juden zu einer Hoffnung geworden, die sich erst im messianischen Reich erfüllen wird. Das gilt zumindest für das normative Judentum, ganz gleich, was manche Sekten lehrten. Wahrscheinlich dachte der Verfasser des Hebräerbriefs hier an bestimmte Formen der "präsentischen Eschatologie", die den Zukunftscharakter dieser Hoffnung leugneten. (Vgl. die aus einer ganz ähnlichen Auffassung erwachsene Lehre von der Auferstehung der Gläubigen, der Paulus in 2Tim 2,17-18 widerspricht.) Wenn dem so ist, dann war Ps 95 nach Ansicht des Autors gegen eine solche verdrehte Sicht einzusetzen. Die Ruhe - die Gemeinschaft mit dem Messias - liegt in der Tat noch in der Zukunft: Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes .

Es gilt jedoch, daß in Gottes Ruhe nur eintritt, wer auch von seinen Werken (ruht), so wie Gott von den seinen . Diese Äußerung ist sowohl eine Zusicherung als auch eine Ermahnung. Einerseits bestätigt sich darin die Schlußfolgerung des Verfassers ( Hebr 4,9 ), daß es eine solche Ruhe gibt, in die die Menschen eintreten können. Andererseits werden die Leser jedoch auch daran erinnert, daß sie nur dorthin gelangen können, wenn sie ihre eigenen Aufgaben erfüllen, wie Gott die seinen bei der Schöpfung erfüllt hat. In der Wendung "ruht ... von seinen Werken" gebraucht der Verfasser eine Art Wortspiel, denn das Verb für "ruhen" heißt gleichzeitig auch "aufhören" - ein Hinweis auf den erfolgreichen Abschluß einer Tätigkeit, zumal vor dem Hintergrund des Werkes Gottes. Das ist die Pointe des ganzen Abschnittes: Die Christen sollen ihr Leben nach dem Vorbild Jesu Christi einrichten, der "treu ist dem, der ihn gemacht hat" ( Hebr 3,2 ), und müssen sich darum bemühen, "die Zuversicht vom Anfang bis zum Ende festzuhalten" ( Hebr 3,14; vgl. Hebr 3,6 ). Nur so können sie im freudigen Genuß ihres Erbes im messianischen Königreich von ihren Werken ausruhen.

 

 

Hebr 4,11

 

Daraus folgt logisch, daß die Leser gemeinsam mit dem Autor ( laßt uns ) nun bemüht sein sollen, zu dieser Ruhe zu kommen. Im Gegensatz zu der Gewißheit aller Christen, daß sie das ewige Leben besitzen und sich seiner im Angesicht Gottes erfreuen werden (vgl. Joh 6,39-40 ), kommen sie in den Genuß der Gemeinschaft mit dem Messias in seinem Reich nur, wenn sie seinen Willen bis zum Ende erfüllen ( Offb 2,26-27 ). Das Versagen Israels in der Wüste muß den Gläubigen deshalb als warnendes Beispiel dienen, nicht in den gleichen Ungehorsam zu verfallen.

 

3. Gottes Wort und der Gnadenthron

( 4,12 - 16 )

 

Zum Schluß seiner Auslegung von Ps 95 und der Verfehlung Israels, die das Volk um die Ruhe Gottes brachte, kommt der Verfasser des Hebräerbriefes zu einer ebenso nüchter-

nen wie tröstlichen Schlußfolgerung. Gottes Wort ist ein scharfes Instrument des göttlichen Gerichtes, aber sein Thron ist gnädig und barmherzig.

 

 

Hebr 4,12

 

Das Lehrstück, das der Verfasser seinen Lesern aus den Schriften des Alten Testaments vor Augen geführt hat, ist mehr als eine historische Erzählung. Es hat, wie bereits an vielem klar wurde, eine beklemmende Relevanz für die Leser seiner Zeit. Denn das Wort Gottes ist lebendig ( zOn ) und kräftig ( energEs ). Seine durchdringende Gewalt ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert ; es trifft den Menschen in seinem innersten Wesen und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens . Es kann zwischen dem, was wirklich "geistlich" an einem Menschen ist, und dem, was nur "seelisch" oder "natürlich" ist ( es dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist ), unterscheiden - auch dann, wenn diese häufig gegensätzlichen inneren Bereiche so eng miteinander verwoben sind wie Mark und Bein . Das innere Leben eines Christen ist oft eine seltsame Mischung aus Antrieben wirklich geistlicher Art und ganz und gar menschlichen Motiven. Man braucht ein übernatürliches Instrument wie das Wort Gottes, um diese beiden Bereiche voneinander zu trennen und offenzulegen, was letztlich fleischlich ist. Die Gläubigen sind möglicherweise der Überzeugung, bestimmte Dinge aus rein geistlichen Motiven heraus zu tun, wenn sie im Grunde, wie Gottes Wort ihnen zeigen könnte, genauso treulos handeln wie das alte Israel.

 

 

Hebr 4,13

 

Sie dürfen sich aber nicht einbilden, daß ihre Motive unentdeckt bleiben, denn kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes . Das ist eine Mahnung daran, daß die Leser des Hebräerbriefs wie alle Christen eines Tages vor dem Richterstuhl Christi stehen werden, wo sie Rechenschaft geben müssen (vgl. Röm 14,10-12; 2Kor 5,10 ). Wenn sich dann heraustellen wird, daß sie gerade dabei versagt haben, wovor sie gewarnt wurden, so werden sie, wie der Verfasser durchblicken läßt, weniger Lohn erhalten (vgl. 1Kor 3,11-15 ). Vom vorliegenden Kontext her wird ihr Verlust in dem Verlust ihres Erbes, der Ruhe, bestehen.

 

 

Hebr 4,14

 

Das muß jedoch nicht so sein. Es besteht im Gegenteil Grund genug, festzuhalten an dem Bekenntnis, wenn man bedenkt, daß die Gläubigen einen großen Hohenpriester haben ... der die Himmel durchschritten hat . Nur einmal ( Hebr 2,1-3,6 ) war bislang von der Priesterschaft Jesu die Rede, auch wenn dieser Gedanke implizit in Hebr 1,3 enthalten war. An dieser Stelle kündigt sich jedoch an, daß die Priesterschaft Jesu in der weiteren Folge des Briefes zum Gegenstand ausführlicher Erörterungen wird. Zunächst liegt dem Verfasser allerdings daran, seinen Lesern die praktische Relevanz dieses Gedankens klarzumachen, indem er sie ermahnt, "am Glauben festzuhalten". Sie müssen wissen, daß die Priesterschaft ihres Herrn ihnen alles erschließt, was sie brauchen.

 

 

Hebr 4,15

 

Ihr Hoherpriester war überall da gewesen, wo auch sie sind, und war versucht worden ... in allem , wie sie selbst. Auch wenn er, anders als sie, ohne Sünde war (vgl. Hebr 7,26; 2Kor 5,21; 1Joh 3,5 ) und seinen Versuchungen niemals erlag (was seiner Gottheit widersprochen hätte), so war er ihnen als Mensch doch wirklich ausgesetzt (wie ein unbeweglicher Fels die anstürmende Gewalt des Meeres spürt), und darum kann er mitleiden ( sympathEsai ) mit unserer Schwachheit . Man kann in der Tat argumentieren - was auch geschehen ist -, daß nur jemand, der der Versuchung widerstanden hat, ihre ganze Gewalt kennen kann. Deshalb hat der Sündlose eine stärkere Fähigkeit zum Mitgefühl, als jeder Sünder es für seinen Nächsten haben kann.

 

 

Hebr 4,16

 

Mit einem solchen Hohenpriester können die Christen hinzutreten mit Zuversicht ( parrEsias ; vgl. Hebr 3,6;10,19.35 ) zu dem Thron der Gnade . In einem Text voller schöner und ergreifender Wendungen muß der Begriff "Thron der Gnade" nichtsdestoweniger besonders im Gedächtnis haften.

Diese Vorstellung von der Gegenwart Gottes, zu der die bedrängten Christen zu jeder Zeit ihre Zuflucht nehmen können, bringt in einzigartiger Weise die Herrschermacht dessen, dem sie sich nähern (sie treten vor einen "Thron"), und seine Güte zum Ausdruck. Bei einer solchen Begegnung mit Gott können die Christen mit Sicherheit darauf hoffen, daß sie Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn sie Hilfe nötig haben .

 

 

III. Teil II: Der Priester-Sohn Gottes

( Hebr 5-10 )

 

Im ersten Hauptteil des Briefes ( Hebr 1,5-4,16 ) arbeitete der Verfasser zwei zentrale Wahrheiten heraus: (1) Die Erhöhung und die künftige Bestimmung dessen, der in einzigartiger Weise Gottes Königsohn ist, und (2) das Heil und Erbe derer, die im Glauben an ihm festhalten. Die Auseinandersetzung mit diesen Punkten wurde unterbrochen von zwei feierlichen Warnungen, das Erbe, das die erhöhte Stellung des König-Sohnes den Seinen zusagt, nicht aufs Spiel zu setzen. Das künftige Königreich des Sohnes stand dabei im Mittelpunkt aller Erörterungen.

Neben diesem Hauptgedanken lief zugleich jedoch auch schon das zweite Thema, die Hohepriesterschaft des König-Sohnes, her. Seine Bedeutung wurde bereits kurz angesprochen. Im folgenden wird die priesterliche Funktion des Sohnes im Detail erörtert, wobei die Auslegungspassagen wiederum von mahnenden und warnenden Abschnitten unterbrochen sind.

 

 

A. Einführung: Der rechte Hohepriester

( 5,1 - 10 )

 

Bevor er weiter auf die Probleme der Priesterschaft Christi eingeht, zeigt der Verfasser des Hebräerbriefes zunächst als logische Vorbedingung die Befähigung, die Christus für sein Amt mitbringt. Auch wenn seine Priesterschaft schon zuvor als gegeben vorausgesetzt wurde, so muß nun ihre Rechtmäßigkeit nachgewiesen werden, damit die Mahnungen, die auf dieser Priesterschaft fußen, wirksam sein können.

 

 

1. Die Anforderungen an einen Hohenpriester

( 5,1-4 )

 

Hebr 5,1

 

Die Frage, was ein Hoherpriester ist, kann ganz leicht von der aus dem Alten Testament bekannten Institution her beantwortet werden. Ein Hoherpriester wird von den Menschen genommen und ist ihr Stellvertreter zum Dienst vor Gott . Zu diesem "Dienst" gehört das Darbringen von Gaben ( dOra ) und Opfern ( thysias ) für die Sünden (vgl. Hebr 8,3;9,9 ).

 

 

Hebr 5,2-3

 

Ein Hoherpriester muß mit den Menschen mitfühlen ( metriopathein ) können, d. h., er muß in der Lage sein, seine eigenen Gefühle zwischen kalter Gleichgültigkeit und hemmungsloser Hingabe an die Trauer im Gleichgewicht zu halten. Den gewöhnlichen Hohenpriestern des Alten Testaments gelang dies, weil sie wußten, daß sie auch selber Schwachheit an sich trugen und versagten. Aus diesem Grund gehört es zu den Pflichten des Priesters, die notwendigen Opfer für sich selbst (wie für das Volk) darzubringen. Einzig und allein in dieser Hinsicht entsprach Christus, wie der Briefschreiber später noch zeigen wird (vgl. Hebr 7,27 ), nicht dem hier geschilderten Bild des Hohenpriesters, weil er "ohne Sünde" war ( Hebr 4,15 ). Vielleicht schwingt dabei aber auch der Gedanke mit, daß das Mitleid des Sohn-Priesters viel tiefer war als die gemäßigte Freundlichkeit, die von den anderen Hohenpriestern erwartet wurde.

 

 

Hebr 5,4

 

Eines steht jedoch fest. Das hohepriesterliche Amt war von Gott eingesetzt und konnte nicht einfach angetreten werden, weil man die hohepriesterliche Würde anstrebte. Wie auch Aaron muß der Hohepriester von Gott berufen werden.

 

 

2. Die Berufung des Sohnes zur Hohenpriesterschaft

( 5,5 - 10 )

 

Hebr 5,5-6

 

Auch Christus hat sein priesterliches Amt nicht ohne die entsprechende Berufung von Gott angetreten. Im Gegenteil, der, der ihn als König-Sohn proklamierte, erklärte ihn auch zum Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks . Durch die Zusammenfassung von Ps 2,7 ,den er schon einmal zitiert hat ( Hebr 1,5 ), und Ps 110,4 gelingt es dem Verfasser, in kunstvoller Weise die beiden großen Wahrheiten über den Messias, die seinem Brief zugrunde liegen, zu verbinden. In Ps 2,7 wird er als der davidische Erbe, der über die Völker herrschen wird, dargestellt (vgl. Ps 2,8 ). Auch Ps 110 war in diesem Zusammenhang bereits zitiert worden (vgl. Hebr 1,13 ). An dieser Stelle jedoch zeigt ein weiteres Zitat aus diesem Psalm, daß der künftige Sieger und Eroberer auch ein ganz besonderer Priester ist. Auf diese Weise vereint der Briefschreiber das zweifache Amt des Priesters und des Königs in der Person Christi. Er war sich möglicherweise bewußt, daß er damit einer bestimmten sektiererischen Auffassung widersprach, wie sie offensichtlich in Qumran vertreten wurde, wo allem Anschein nach sowohl ein Laie als auch ein königlicher und ein priesterlicher Messias erwartet wurden. Auf jeden Fall geben die beiden Psalmzitate das Wesen dessen wieder, was der Verfasser über den Herrn Jesus Christus aussagen will. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß er beide Proklamationen mit jenem Augenblick verband, wenn der Sohn "sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat" ( Hebr 1,3 ).

 

Hebr 5,7

 

Aber auch in anderen Punkten ist Jesus für sein Priesteramt qualifiziert. So kann von ihm gesagt werden, daß er in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht ( prospherO ; das Wort taucht auch in V. 1 auf) hat, der ihn vom Tod erretten konnte. Die zweite Hälfte des Satzes ist oft mit dem Gethsemane Erlebnis in Zusammenhang gebracht worden. Vom Griechischen her scheint es sich jedoch eher um eine Anspielung auf Ps 22,24 nach der Übersetzung der Septuaginta zu handeln. Da der Verfasser des Hebräerbriefes Ps 22 als messianischen Ps. auffaßt (vgl. Hebr 2,12 ), scheint es plausibel anzunehmen, daß er hier an die Leiden am Kreuz denkt. Das fügt sich auch insofern in den Gedankengang ein, als die Schreie des Heilands in diesem Fall unmittelbar mit seinem Opfer verbunden wären.

Daß Gott dieses "Schreien" und diese "Tränen" angenommen hat, zeigt die Feststellung: Er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt ( eulabeias ). Auch hier kann Ps 22 als Belegstelle angeführt werden, denn der zweite Teil dieses Psalms gibt die Worte einer Person wieder, die im Triumph aus ihren Leiden hervorgegangen ist und Gott dafür preist (vgl. Ps 22,22-31 ). In Hebr 2,12 wurde die erste Äußerung dieses Triumphes bereits zitiert ( Ps 22,23 ). Der Dulder, der Gott "in Ehren" hielt, wurde wirklich vom Tod errettet, und zwar durch die Auferstehung von den Toten. Die Auferstehung wird damit zu einem weiteren Beweis dafür, daß Gott das Opfer Jesu angenommen hat.

 

 

Hebr 5,8-10

 

Die ganze Erfahrung, von der zuvor berichtet wurde, war für Jesus eine Art Lernprozeß, bevor er selbst seinem leidenden Volk diente. Ungeachtet seiner einzigartigen Beziehung zu Gott ( obwohl er Gottes Sohn war ) mußte er wirklichen Gehorsam im Sinne von Leiden lernen. Dadurch wurde er für seine Aufgabe als Herrscher und Hoherpriester seines Volkes vollendet . Es ist nicht abzuleugnen, daß in all diesem ein Mysterium verborgen ist, doch es ist kein größeres Mysterium als das, das in den Worten des Lukas zum Ausdruck kommt: "Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen" ( Lk 2,52 ). Auch wenn dieses ganze Geschehen nicht restlos begreifbar ist, so erfuhr der bereits vollkommene Sohn Gottes durch seine Menschwerdung in tiefstem Sinne an sich selbst, was es heißt, ein Mensch zu sein. Das Leiden wurde für ihn zu einer Realität, die er selbst erfahren hat. Von daher kann er vollkommen mit seinen Anhängern mitfühlen. (Vers 8 enthält im Griechischen ein interessantes Wortspiel mit den beiden Verbformen (er hat) gelernt ( emathen ) und er litt ( epathen ).

Auf diese Gewißheit gründet sich die Feststellung des Briefschreibers: Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber ( aitios ) des ewigen Heils geworden. Das "Heil", von dem hier die Rede ist, läßt sich nicht von dem "ererbten" Heil in Hebräer 1,14 unterscheiden und kann mit dem "ewigen Erbe" in Hebr 9,15 gleichgesetzt werden. Es darf allerdings nicht mit der Erlangung des ewigen Lebens verwechselt werden, die nicht vom Gehorsam, sondern vom Glauben abhängt (vgl. Joh 3,16 u. a.). Einmal mehr geht es dem Briefschreiber an dieser Stelle um die Befreiung von allen Feinden und den endgültigen Sieg mit seiner anschließenden "Herrlichkeit", an der die vielen Söhne und Töchter teilhaben. Dieses Heil ist ausdrücklich mit dem Gehorsam der Gläubigen verknüpft, einem Gehorsam, der sich ganz am Gehorsam Jesu, der ebenfalls litt , orientiert. So steht es in engem Zusammenhang mit dem Wort des Herrn: "Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten" ( Mk 8,34-35 ).

Der Hohepriester ist zum "Urheber" dieses besonderen Heils geworden, das denen zufällt, die bereit und willens sind, im Gehorsam vor Gott zu leben. Mit dieser Bezeichnung wollte der Briefschreiber in erster Linie auf die Hilfe hinweisen, die den Gläubigen aus dem priesterlichen Dienst Christi erwächst und die es ihnen überhaupt erst ermöglicht, ein Leben des Gehorsams zu führen. Welches Leiden den Christen auch quälen mag, der Hohepriester versteht ihn, fühlt mit ihm und läßt ihm jenes Erbarmen und jene Gnade zukommen, die er braucht, um ausharren zu können. Oder, wie der Briefschreiber es an einem späteren Ort sagt, "daher kann er auch für immer selig machen, die durch ihn zu Gott kommen; denn er lebt für immer und bittet für sie" ( Hebr 7,25 ). Zu diesem Zweck ist Christus ggenannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks .

 

B. Die dritte Warnung

( 5,11-6,20 )

 

Schon jetzt, unmittelbar nachdem er begonnen hat, sich mit der Priesterschaft Christi nach der Ordnung Melchisedeks auseinanderzusetzen, sieht der Verfasser des Briefes sich veranlaßt, eine weitere Warnung an die Adresse seiner Leser einzuschalten, denn ihre geistliche Unreife und Trägheit ließ es ihm zweifelhaft erschei-

nen, daß sie einer längeren Auslegung konzentriert folgen würden. Sicherlich hoffte er, sie durch seine Warnungen aufnahmebereiter für die Wahrheit, die er darlegen wollte, zu machen. Zugleich aber wollte er sie auch dazu bewegen, die Gefahr zu erkennen, die darin lag, wenn sie sich nicht weiterentwickelten oder gar in tragischer Weise hinter ihren jetzigen Zustand zurückfielen.

 

 

1. Das Problem der geistlichen Unreife

( 5,11 - 14 )

 

Hebr 5,11-12

 

Darüber hätten wir noch viel zu sagen , meint der Autor im Hinblick auf die Hohepriesterschaft Jesu, deren Erörterung in der Tat noch relativ viel Raum in seinem Schreiben einnehmen wird ( Hebr 7,1-10,18 ). Er befürchtet jedoch, daß es schwer sein wird, seinen Lesern diese Dinge nahezubringen, weil sie so harthörig sind. Gemessen an der langen Zeit, die sie bereits Christen sind, müßten sie eigentlich längst Lehrer sein und andere, die noch nicht so lange im Glauben stehen, durch ihre Unterweisung voranbringen. Statt dessen brauchen sie selbst jemanden, der sie erst einmal wieder mit den elementaren Wahrheiten ihres Glaubens vertraut macht.

Mit dem Hinweis auf die Anfangsgründe spielt der Briefschreiber möglicherweise auf die Buchstaben des Alphabets an, wie sie in der Schule gelernt werden. "Man muß euch anscheinend noch einmal das ABC beibringen", besagt sein Tadel, doch andererseits läßt er sich nicht dazu herbei, diese "Anfangsgründe" tatsächlich noch einmal zu behandeln ( Hebr 6,1 ). Besondere Sorge macht ihm offenbar ihre schwankende Haltung im Hinblick auf die Irrtümer, die sie vom Glauben weglocken wollen. Wenn sie sich von Sektierern oder anderen dazu drängen ließen, ihr christliches Bekenntnis aufzugeben, so waren die fundamentalen Wahrheiten, deren sie doch sicher sein sollten, eindeutig in Frage gestellt. So kam es allem Anschein nach, daß man ihnen Milch anbieten mußte und nicht feste Speise . Dabei ist das, was ihnen der Verfasser des Hebräerbriefes zumutet, eine wirklich "feste Speise", von der er sich offensichtlich erhoffte, daß sie sie in dramatischer Weise in ihrem christlichen Glauben voranbringen würde.

 

 

Hebr 5,13-14

 

Es ist unbefriedigend, in geistlichen Dingen ein Kleinkind zu bleiben, denn ein kleines Kind ... ist unerfahren ( apeiros ) in dem Wort der Gerechtigkeit . Das Problem liegt nicht so sehr darin, daß ein geistliches "Kleinkind" nicht genügend Informationen hätte - auch wenn das zunächst offensichtlich der Fall ist -, sondern vielmehr darin, daß es noch nicht gelernt hat, das "Wort der Gerechtigkeit" richtig anzuwenden. Es fehlt ihm die mit dem Wachstum einhergehende Fertigkeit, die es schließlich dazu befähigt, die richtigen moralischen Entscheidungen zu treffen. Diese Fähigkeit zeichnet jene aus, die durch den Gebrauch geübte Sinne haben und Gutes und Böses unterscheiden können . Ein solcher Mensch kann feste Speise vertragen.

Noch einmal gibt der Briefschreiber seiner Sorge Ausdruck, ob seine Leser wohl auch imstande sind, den falschen Ideen, mit denen sie konfrontiert sind, in rechter Weise entgegenzutreten. Wenn sie wirklich reif wären, könnten sie diese Ideen neben der Wahrheit, von der sie wissen müßten, daß sie "gut" ist, als "böse" erkennen. Er fürchtet jedoch, daß sie dazu nicht in der Lage sind, auch wenn er alles tut, um ihnen diese Fähigkeit zu vermitteln.