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Hebräer (Zane C. Hodges)
Walvoord
Das tragische Beispiel
Israels sollte auch den Christen als Warnung dienen, denn die Verheißung
... daß wir zu seiner Ruhe kommen (besteht noch) .
Die Vorstellung des
Verfassers von "Ruhe" darf nicht aus ihrem alttestamentlichen
Zusammenhang gerissen werden. In der Septuaginta finden sich wichtige
Abschnitte, in denen das Wort für "Ruhe" ( katapausis ) in Zusammenhang
mit der Landnahme Israels ganz eindeutig parallel zu dem Wort für "Erbe"
( klEronomia ) verwendet wird. Mose machte dem Volk Gottes klar ( 5Mo
3,18-20; 5Mo 12,9-11 ), daß die Ruhe Israels in seinem Erbe lag. So
liegt auch für den Verfasser des Hebräerbriefs die Ruhe der Christen in
ihrem christlichen Erbe. Daß die Christen "Erben" sind, hat er bereits
bestätigt ( Hebr 1,14 ) und tut es noch an weiteren Stellen ( Hebr
6,12.17; vgl. Hebr 9,15 ). Wie er ihre Beziehung zu diesem Erbe auffaßt,
wird aus der Fortführung seiner Argumentation deutlich. Doch das Erbe
selbst kann kaum von seiner Schilderung des messianischen Königreiches,
an dem die "Partner" des Messias teilhaben, getrennt werden. Das zeigt
sich explizit in Hebr 12,28 .
Da der Verfasser
offensichtlich vermeiden wollte, daß einer seiner Leser auf den Gedanken
kam, er habe sein "Erbe" verfehlt, ist es einsichtig, daß er sich in
diesem Zusammenhang mit dem Problem der Verzögerung der Wiederkunft
Christi befaßt, dem Paulus auch bei der thessalonischen Gemeinde
begegnet war. Seinem Aufruf zur Geduld und der Beruhigung, daß die Leser
"das Verheißene empfangen werden", folgt denn auch die Versicherung:
"Nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und
wird nicht lange ausbleiben" ( Hebr 10,36-37 ). Es ging auf alle Fälle
darum, deutlich zu machen, daß die verheißene Ruhe den Gläubigen nach
wie vor offen stand.
Hebr 4,2
Nach den Worten des
Briefschreibers ist es, das Evangelium, auch uns verkündigt
worden (wörtlich: "wir erhielten die gute Nachricht"). Doch die
Verkündigung bezieht sich nicht immer nur auf die Erlösung von den
Sünden. Eine so spezifische, eng eingegrenzte Auffassung, wie sie in
manchen Kreisen mit dem Begriff "Evangelium" verbunden wird, würde den
Vorstellungen des Autors an dieser Stelle nicht gerecht werden. Den
Israeliten damals wurde von der Ruhe gepredigt, die Gott ihnen anbot.
Das war in der Tat eine "gute Nachricht" für sie, wie auch für uns
heute, entspricht allerdings nicht ganz dem, was heute allgemein unter
"Evangelium" verstanden wird. Das griechische Verb euangelizomai , das
an dieser Stelle gebraucht ist, kann im Neuen Testament durchaus auch
eine unspezifische Bedeutung haben (vgl. z. B. seine Verwendung in Lk
1,19; 1Thes 3,6 ), und wahrscheinlich unterschied der Briefschreiber
nicht so scharf zwischen der "guten Nachricht" von der Ruhe Gottes, die
seine Leser vernommen hatten, und jener besonderen "guten Nachricht",
die üblicherweise mit dem Begriff "Evangelium" in Verbindung gebracht
wird (vgl. 1Kor 15,1-4 ). Aus dem Kontext läßt sich jedoch erschließen,
daß es ihm in erster Linie um die gute Nachricht von der künftigen Ruhe
des Gottesvolkes ging ( Hebr 4,10 ) und nicht so sehr um die
fundamentalen Glaubenswahrheiten, von denen in 1Kor 15 die Rede ist.
Wie schon gezeigt
wurde, half den Israeliten das Wort der Predigt (von der Ruhe) nichts,
weil sie nicht glaubten, als sie es hörten (vgl. Hebr 3,19 ). Aus
Unglauben gingen sie also des Privilegs, das ihnen das göttliche Angebot
der Ruhe verhieß, verlustig. Damit die Leser des Hebräerbriefes in den
Genuß dieses Privilegs kommen, müssen sie glauben.
Hebr 4,3
Diese Schlußfolgerung wird
im nächsten Vers gezogen. Die Worte hoi pisteusantes , wir, die wir
glauben , sind der Gegenpol zum Unglauben der Israeliten. Der Verfasser
des Hebräerbriefes ist nicht um den anfänglichen Glauben seiner Leser in
der Vergangenheit besorgt, sondern um ihr Durchhaltevermögen (vgl. Hebr
3,6.14 ). Der Glaube bleibt die Vorbedingung für den Eintritt in die
Ruhe, dafür bürgt der Ausspruch Gottes, daß nur die, die diesen Glauben
nicht haben, nicht zu seiner Ruhe kommen sollen. Dieser Ausschluß war
endgültig, trotzdem die Ruhe Gottes den Menschen schon von Anbeginn der
Welt offensteht.
Hebr 4,4-5
Mit einem großen
gedanklichen Bogenschlag verbindet der Verfasser die Ruhe Gottes am
siebten Tag der Schöpfung mit der Ruhe, die den Israeliten in der Wüste
genommen war. Gott ruhte , nachdem er sein Schöpfungswerk vollendet
hatte, und die Erfahrung dieser Ruhe ist seit dieser Zeit allen Menschen
zugänglich, die die Arbeit, die ihnen aufgetragen ist, zu Ende gebracht
haben (vgl. V. 10 ). Wenn aber ein Auftrag nicht erfüllt ist, wie es mit
dem Volk in der Wüste der Fall war, so gilt die Feststellung: Sie sollen
nicht zu meiner Ruhe kommen .
Hebr 4,6-7
Das Versagen der Israeliten
machte jedoch nicht die Wahrheit zunichte, daß einige zu dieser Ruhe
kommen sollen , und in Übereinstimmung mit dieser Wahrheit erneuerte
Gott sein Angebot ( Ps 95 ) lange Zeit später, zur Zeit Davids. Damals
hat er abermals einen Tag , ein "heute", bestimmt , an dem er diese
Möglichkeit allen Lesern des Psalms, für die dieses "heute" zu ihrem
"heute" wird, gegeben hat. So hat auch der Verfasser des Hebräerbriefs
dieses "heute" des Königs David auf seine Leser angewandt (vgl. Hebr
3,14-15 ).
Hebr 4,8-10
Doch die Leser des
Hebräerbriefs sollen nicht glauben, daß die Verheißung der Ruhe in der
Zeit Josuas wahr wurde. Der Verfasser ist sich vollkommen bewußt, daß
das Alte Testament auch als Beweis dafür zitiert werden kann, daß Israel
durch die Landnahme in der Zeit Josuas bereits in die Ruhe eingetreten
ist (vgl. Jos 22,4; 23,1 ). Er widerlegt diese Theorie - die den
Christen zur Zeit des Hebräerbriefs wahrscheinlich verkündigt wurde -
jedoch auf ebenso einfache wie überzeugende Weise: Wenn es so
wäre, würde Gott nicht danach von einem andern Tag geredet haben . Der
Psalm, auf den er sich dabei beruft, widerspricht der Vorstellung, daß
die "Ruhe" bereits eingetreten ist und den Gläubigen in späterer Zeit
nun nicht mehr offensteht.
Hinter diesem Argument
steht die unwiderlegliche Tatsache, daß die Landnahme in der Zeit Josuas
nicht zum bleibenden Besitz des Landes führte. Dieser bleibende Besitz
ihres verheißenen Erbes ist für die Juden zu einer Hoffnung geworden,
die sich erst im messianischen Reich erfüllen wird. Das gilt zumindest
für das normative Judentum, ganz gleich, was manche Sekten lehrten.
Wahrscheinlich dachte der Verfasser des Hebräerbriefs hier an bestimmte
Formen der "präsentischen Eschatologie", die den Zukunftscharakter
dieser Hoffnung leugneten. (Vgl. die aus einer ganz ähnlichen Auffassung
erwachsene Lehre von der Auferstehung der Gläubigen, der Paulus in 2Tim
2,17-18 widerspricht.) Wenn dem so ist, dann war Ps 95 nach Ansicht des
Autors gegen eine solche verdrehte Sicht einzusetzen. Die Ruhe - die
Gemeinschaft mit dem Messias - liegt in der Tat noch in der Zukunft: Es
ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes .
Es gilt jedoch, daß
in Gottes Ruhe nur eintritt, wer auch von seinen Werken (ruht), so wie
Gott von den seinen . Diese Äußerung ist sowohl eine Zusicherung als
auch eine Ermahnung. Einerseits bestätigt sich darin die Schlußfolgerung
des Verfassers ( Hebr 4,9 ), daß es eine solche Ruhe gibt, in die die
Menschen eintreten können. Andererseits werden die Leser jedoch auch
daran erinnert, daß sie nur dorthin gelangen können, wenn sie ihre
eigenen Aufgaben erfüllen, wie Gott die seinen bei der Schöpfung erfüllt
hat. In der Wendung "ruht ... von seinen Werken" gebraucht der Verfasser
eine Art Wortspiel, denn das Verb für "ruhen" heißt gleichzeitig auch
"aufhören" - ein Hinweis auf den erfolgreichen Abschluß einer Tätigkeit,
zumal vor dem Hintergrund des Werkes Gottes. Das ist die Pointe des
ganzen Abschnittes: Die Christen sollen ihr Leben nach dem Vorbild Jesu
Christi einrichten, der "treu ist dem, der ihn gemacht hat" ( Hebr
3,2 ), und müssen sich darum bemühen, "die Zuversicht vom Anfang bis zum
Ende festzuhalten" ( Hebr 3,14; vgl. Hebr 3,6 ). Nur so können sie im
freudigen Genuß ihres Erbes im messianischen Königreich von ihren Werken
ausruhen.
Hebr 4,11
Daraus folgt logisch, daß
die Leser gemeinsam mit dem Autor ( laßt uns ) nun bemüht sein sollen,
zu dieser Ruhe zu kommen. Im Gegensatz zu der Gewißheit aller Christen,
daß sie das ewige Leben besitzen und sich seiner im Angesicht Gottes
erfreuen werden (vgl. Joh 6,39-40 ), kommen sie in den Genuß der
Gemeinschaft mit dem Messias in seinem Reich nur, wenn sie seinen Willen
bis zum Ende erfüllen ( Offb 2,26-27 ). Das Versagen Israels in der
Wüste muß den Gläubigen deshalb als warnendes Beispiel dienen, nicht
in den gleichen Ungehorsam zu verfallen.
3. Gottes Wort und der
Gnadenthron
( 4,12 - 16 )
Zum Schluß seiner Auslegung
von Ps 95 und der Verfehlung Israels, die das Volk um die Ruhe Gottes
brachte, kommt der Verfasser des Hebräerbriefes zu einer ebenso nüchter-
nen wie tröstlichen
Schlußfolgerung. Gottes Wort ist ein scharfes Instrument des göttlichen
Gerichtes, aber sein Thron ist gnädig und barmherzig.
Hebr 4,12
Das Lehrstück, das der
Verfasser seinen Lesern aus den Schriften des Alten Testaments vor Augen
geführt hat, ist mehr als eine historische Erzählung. Es hat, wie
bereits an vielem klar wurde, eine beklemmende Relevanz für die Leser
seiner Zeit. Denn das Wort Gottes ist lebendig ( zOn ) und
kräftig ( energEs ). Seine durchdringende Gewalt ist schärfer als jedes
zweischneidige Schwert ; es trifft den Menschen in seinem innersten
Wesen und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens . Es kann
zwischen dem, was wirklich "geistlich" an einem Menschen ist, und dem,
was nur "seelisch" oder "natürlich" ist ( es dringt durch, bis es
scheidet Seele und Geist ), unterscheiden - auch dann, wenn diese häufig
gegensätzlichen inneren Bereiche so eng miteinander verwoben sind
wie Mark und Bein . Das innere Leben eines Christen ist oft eine
seltsame Mischung aus Antrieben wirklich geistlicher Art und ganz und
gar menschlichen Motiven. Man braucht ein übernatürliches Instrument wie
das Wort Gottes, um diese beiden Bereiche voneinander zu trennen und
offenzulegen, was letztlich fleischlich ist. Die Gläubigen sind
möglicherweise der Überzeugung, bestimmte Dinge aus rein geistlichen
Motiven heraus zu tun, wenn sie im Grunde, wie Gottes Wort ihnen zeigen
könnte, genauso treulos handeln wie das alte Israel.
Hebr 4,13
Sie dürfen sich aber nicht
einbilden, daß ihre Motive unentdeckt bleiben, denn kein Geschöpf ist
vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den
Augen Gottes . Das ist eine Mahnung daran, daß die Leser des
Hebräerbriefs wie alle Christen eines Tages vor dem Richterstuhl Christi
stehen werden, wo sie Rechenschaft geben müssen (vgl. Röm 14,10-12; 2Kor
5,10 ). Wenn sich dann heraustellen wird, daß sie gerade dabei versagt
haben, wovor sie gewarnt wurden, so werden sie, wie der Verfasser
durchblicken läßt, weniger Lohn erhalten (vgl. 1Kor 3,11-15 ). Vom
vorliegenden Kontext her wird ihr Verlust in dem Verlust ihres Erbes,
der Ruhe, bestehen.
Hebr 4,14
Das muß jedoch nicht so
sein. Es besteht im Gegenteil Grund genug, festzuhalten an dem
Bekenntnis, wenn man bedenkt, daß die Gläubigen einen großen
Hohenpriester haben ... der die Himmel durchschritten hat . Nur einmal
( Hebr 2,1-3,6 ) war bislang von der Priesterschaft Jesu die Rede, auch
wenn dieser Gedanke implizit in Hebr 1,3 enthalten war. An dieser Stelle
kündigt sich jedoch an, daß die Priesterschaft Jesu in der weiteren
Folge des Briefes zum Gegenstand ausführlicher Erörterungen wird.
Zunächst liegt dem Verfasser allerdings daran, seinen Lesern die
praktische Relevanz dieses Gedankens klarzumachen, indem er sie ermahnt,
"am Glauben festzuhalten". Sie müssen wissen, daß die Priesterschaft
ihres Herrn ihnen alles erschließt, was sie brauchen.
Hebr 4,15
Ihr Hoherpriester war
überall da gewesen, wo auch sie sind, und war versucht worden ... in
allem , wie sie selbst. Auch wenn er, anders als sie, ohne Sünde war
(vgl. Hebr 7,26; 2Kor 5,21; 1Joh 3,5 ) und seinen Versuchungen niemals
erlag (was seiner Gottheit widersprochen hätte), so war er ihnen als
Mensch doch wirklich ausgesetzt (wie ein unbeweglicher Fels die
anstürmende Gewalt des Meeres spürt), und darum kann
er mitleiden ( sympathEsai ) mit unserer Schwachheit . Man kann in der
Tat argumentieren - was auch geschehen ist -, daß nur jemand, der der
Versuchung widerstanden hat, ihre ganze Gewalt kennen kann. Deshalb hat
der Sündlose eine stärkere Fähigkeit zum Mitgefühl, als jeder Sünder es
für seinen Nächsten haben kann.
Hebr 4,16
Mit einem solchen
Hohenpriester können die Christen hinzutreten mit
Zuversicht ( parrEsias ; vgl. Hebr 3,6;10,19.35 ) zu dem Thron der
Gnade . In einem Text voller schöner und ergreifender Wendungen muß der
Begriff "Thron der Gnade" nichtsdestoweniger besonders im Gedächtnis
haften.
Diese Vorstellung von der
Gegenwart Gottes, zu der die bedrängten Christen zu jeder Zeit ihre
Zuflucht nehmen können, bringt in einzigartiger Weise die Herrschermacht
dessen, dem sie sich nähern (sie treten vor einen "Thron"), und seine
Güte zum Ausdruck. Bei einer solchen Begegnung mit Gott können die
Christen mit Sicherheit darauf hoffen, daß sie Barmherzigkeit empfangen
und Gnade finden zu der Zeit, wenn sie Hilfe nötig haben .
III. Teil II: Der
Priester-Sohn Gottes
( Hebr 5-10 )
Im ersten Hauptteil des
Briefes ( Hebr 1,5-4,16 ) arbeitete der Verfasser zwei zentrale
Wahrheiten heraus: (1) Die Erhöhung und die künftige Bestimmung dessen,
der in einzigartiger Weise Gottes Königsohn ist, und (2) das Heil und
Erbe derer, die im Glauben an ihm festhalten. Die Auseinandersetzung mit
diesen Punkten wurde unterbrochen von zwei feierlichen Warnungen, das
Erbe, das die erhöhte Stellung des König-Sohnes den Seinen zusagt, nicht
aufs Spiel zu setzen. Das künftige Königreich des Sohnes stand dabei im
Mittelpunkt aller Erörterungen.
Neben diesem Hauptgedanken
lief zugleich jedoch auch schon das zweite Thema, die Hohepriesterschaft
des König-Sohnes, her. Seine Bedeutung wurde bereits kurz angesprochen.
Im folgenden wird die priesterliche Funktion des Sohnes im Detail
erörtert, wobei die Auslegungspassagen wiederum von mahnenden und
warnenden Abschnitten unterbrochen sind.
A. Einführung: Der rechte
Hohepriester
( 5,1 - 10 )
Bevor er weiter auf die
Probleme der Priesterschaft Christi eingeht, zeigt der Verfasser des
Hebräerbriefes zunächst als logische Vorbedingung die Befähigung, die
Christus für sein Amt mitbringt. Auch wenn seine Priesterschaft schon
zuvor als gegeben vorausgesetzt wurde, so muß nun ihre Rechtmäßigkeit
nachgewiesen werden, damit die Mahnungen, die auf dieser Priesterschaft
fußen, wirksam sein können.
1. Die Anforderungen an
einen Hohenpriester
( 5,1-4 )
Hebr 5,1
Die Frage, was
ein Hoherpriester ist, kann ganz leicht von der aus dem Alten Testament
bekannten Institution her beantwortet werden. Ein Hoherpriester wird von
den Menschen genommen und ist ihr Stellvertreter zum Dienst vor Gott .
Zu diesem "Dienst" gehört das Darbringen von Gaben ( dOra )
und Opfern ( thysias ) für die Sünden (vgl. Hebr 8,3;9,9 ).
Hebr 5,2-3
Ein Hoherpriester muß mit
den Menschen mitfühlen ( metriopathein ) können, d. h., er muß in der
Lage sein, seine eigenen Gefühle zwischen kalter Gleichgültigkeit und
hemmungsloser Hingabe an die Trauer im Gleichgewicht zu halten. Den
gewöhnlichen Hohenpriestern des Alten Testaments gelang dies, weil sie
wußten, daß sie auch selber Schwachheit an sich trugen und versagten.
Aus diesem Grund gehört es zu den Pflichten des Priesters, die
notwendigen Opfer für sich selbst (wie für das Volk) darzubringen.
Einzig und allein in dieser Hinsicht entsprach Christus, wie der
Briefschreiber später noch zeigen wird (vgl. Hebr 7,27 ), nicht dem hier
geschilderten Bild des Hohenpriesters, weil er "ohne Sünde" war ( Hebr
4,15 ). Vielleicht schwingt dabei aber auch der Gedanke mit, daß das
Mitleid des Sohn-Priesters viel tiefer war als die gemäßigte
Freundlichkeit, die von den anderen Hohenpriestern erwartet wurde.
Hebr 5,4
Eines steht jedoch fest.
Das hohepriesterliche Amt war von Gott eingesetzt und konnte nicht
einfach angetreten werden, weil man die hohepriesterliche
Würde anstrebte. Wie auch Aaron muß der Hohepriester von Gott
berufen werden.
2. Die Berufung des Sohnes
zur Hohenpriesterschaft
( 5,5 - 10 )
Hebr 5,5-6
Auch Christus hat sein
priesterliches Amt nicht ohne die entsprechende Berufung von Gott
angetreten. Im Gegenteil, der, der ihn als König-Sohn proklamierte,
erklärte ihn auch zum Priester in Ewigkeit nach der Ordnung
Melchisedeks . Durch die Zusammenfassung von Ps 2,7 ,den er schon einmal
zitiert hat ( Hebr 1,5 ), und Ps 110,4 gelingt es dem Verfasser, in
kunstvoller Weise die beiden großen Wahrheiten über den Messias, die
seinem Brief zugrunde liegen, zu verbinden. In Ps 2,7 wird er als der
davidische Erbe, der über die Völker herrschen wird, dargestellt
(vgl. Ps 2,8 ). Auch Ps 110 war in diesem Zusammenhang bereits zitiert
worden (vgl. Hebr 1,13 ). An dieser Stelle jedoch zeigt ein weiteres
Zitat aus diesem Psalm, daß der künftige Sieger und Eroberer auch ein
ganz besonderer Priester ist. Auf diese Weise vereint der Briefschreiber
das zweifache Amt des Priesters und des Königs in der Person Christi. Er
war sich möglicherweise bewußt, daß er damit einer bestimmten
sektiererischen Auffassung widersprach, wie sie offensichtlich in Qumran
vertreten wurde, wo allem Anschein nach sowohl ein Laie als auch ein
königlicher und ein priesterlicher Messias erwartet wurden. Auf jeden
Fall geben die beiden Psalmzitate das Wesen dessen wieder, was der
Verfasser über den Herrn Jesus Christus aussagen will. Es ist durchaus
wahrscheinlich, daß er beide Proklamationen mit jenem Augenblick
verband, wenn der Sohn "sich zur Rechten der Majestät in der Höhe
gesetzt hat" ( Hebr 1,3 ).
Hebr 5,7
Aber auch in anderen
Punkten ist Jesus für sein Priesteramt qualifiziert. So kann von ihm
gesagt werden, daß er in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und
Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht ( prospherO ;
das Wort taucht auch in V. 1 auf) hat, der ihn vom Tod erretten
konnte. Die zweite Hälfte des Satzes ist oft mit dem Gethsemane Erlebnis
in Zusammenhang gebracht worden. Vom Griechischen her scheint es sich
jedoch eher um eine Anspielung auf Ps 22,24 nach der Übersetzung der
Septuaginta zu handeln. Da der Verfasser des Hebräerbriefes Ps 22 als
messianischen Ps. auffaßt (vgl. Hebr 2,12 ), scheint es plausibel
anzunehmen, daß er hier an die Leiden am Kreuz denkt. Das fügt sich auch
insofern in den Gedankengang ein, als die Schreie des Heilands in diesem
Fall unmittelbar mit seinem Opfer verbunden wären.
Daß Gott dieses "Schreien"
und diese "Tränen" angenommen hat, zeigt die Feststellung: Er ist auch
erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt ( eulabeias ). Auch hier
kann Ps 22 als Belegstelle angeführt werden, denn der zweite Teil dieses
Psalms gibt die Worte einer Person wieder, die im Triumph aus ihren
Leiden hervorgegangen ist und Gott dafür preist (vgl. Ps 22,22-31 ).
In Hebr 2,12 wurde die erste Äußerung dieses Triumphes bereits zitiert
( Ps 22,23 ). Der Dulder, der Gott "in Ehren" hielt, wurde wirklich vom
Tod errettet, und zwar durch die Auferstehung von den Toten. Die
Auferstehung wird damit zu einem weiteren Beweis dafür, daß Gott das
Opfer Jesu angenommen hat.
Hebr 5,8-10
Die ganze Erfahrung, von
der zuvor berichtet wurde, war für Jesus eine Art Lernprozeß, bevor er
selbst seinem leidenden Volk diente. Ungeachtet seiner einzigartigen
Beziehung zu Gott ( obwohl er Gottes Sohn war ) mußte er wirklichen
Gehorsam im Sinne von Leiden lernen. Dadurch wurde er für seine Aufgabe
als Herrscher und Hoherpriester seines Volkes vollendet . Es ist nicht
abzuleugnen, daß in all diesem ein Mysterium verborgen ist, doch es ist
kein größeres Mysterium als das, das in den Worten des Lukas zum
Ausdruck kommt: "Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott
und den Menschen" ( Lk 2,52 ). Auch wenn dieses ganze Geschehen nicht
restlos begreifbar ist, so erfuhr der bereits vollkommene Sohn Gottes
durch seine Menschwerdung in tiefstem Sinne an sich selbst, was es
heißt, ein Mensch zu sein. Das Leiden wurde für ihn zu einer Realität,
die er selbst erfahren hat. Von daher kann er vollkommen mit seinen
Anhängern mitfühlen. (Vers 8 enthält im Griechischen ein interessantes
Wortspiel mit den beiden Verbformen (er hat) gelernt ( emathen ) und er
litt ( epathen ).
Auf diese Gewißheit gründet
sich die Feststellung des Briefschreibers: Und als er vollendet war, ist
er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber ( aitios ) des ewigen
Heils geworden. Das "Heil", von dem hier die Rede ist, läßt sich nicht
von dem "ererbten" Heil in Hebräer 1,14 unterscheiden und kann mit dem
"ewigen Erbe" in Hebr 9,15 gleichgesetzt werden. Es darf allerdings
nicht mit der Erlangung des ewigen Lebens verwechselt werden, die nicht
vom Gehorsam, sondern vom Glauben abhängt (vgl. Joh 3,16 u. a.). Einmal
mehr geht es dem Briefschreiber an dieser Stelle um die Befreiung von
allen Feinden und den endgültigen Sieg mit seiner anschließenden
"Herrlichkeit", an der die vielen Söhne und Töchter teilhaben. Dieses
Heil ist ausdrücklich mit dem Gehorsam der Gläubigen verknüpft, einem
Gehorsam, der sich ganz am Gehorsam Jesu, der ebenfalls litt ,
orientiert. So steht es in engem Zusammenhang mit dem Wort des Herrn:
"Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz
auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der
wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des
Evangeliums willen, der wird's erhalten" ( Mk 8,34-35 ).
Der Hohepriester ist zum
"Urheber" dieses besonderen Heils geworden, das denen zufällt, die
bereit und willens sind, im Gehorsam vor Gott zu leben. Mit dieser
Bezeichnung wollte der Briefschreiber in erster Linie auf die Hilfe
hinweisen, die den Gläubigen aus dem priesterlichen Dienst Christi
erwächst und die es ihnen überhaupt erst ermöglicht, ein Leben des
Gehorsams zu führen. Welches Leiden den Christen auch quälen mag, der
Hohepriester versteht ihn, fühlt mit ihm und läßt ihm jenes Erbarmen und
jene Gnade zukommen, die er braucht, um ausharren zu können. Oder, wie
der Briefschreiber es an einem späteren Ort sagt, "daher kann er auch
für immer selig machen, die durch ihn zu Gott kommen; denn er lebt für
immer und bittet für sie" ( Hebr 7,25 ). Zu diesem Zweck ist
Christus ggenannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung
Melchisedeks .
B. Die dritte Warnung
( 5,11-6,20 )
Schon jetzt, unmittelbar
nachdem er begonnen hat, sich mit der Priesterschaft Christi nach der
Ordnung Melchisedeks auseinanderzusetzen, sieht der Verfasser des
Briefes sich veranlaßt, eine weitere Warnung an die Adresse seiner Leser
einzuschalten, denn ihre geistliche Unreife und Trägheit ließ es ihm
zweifelhaft erschei-
nen, daß sie einer längeren
Auslegung konzentriert folgen würden. Sicherlich hoffte er, sie durch
seine Warnungen aufnahmebereiter für die Wahrheit, die er darlegen
wollte, zu machen. Zugleich aber wollte er sie auch dazu bewegen, die
Gefahr zu erkennen, die darin lag, wenn sie sich nicht
weiterentwickelten oder gar in tragischer Weise hinter ihren jetzigen
Zustand zurückfielen.
1. Das Problem der
geistlichen Unreife
( 5,11 - 14 )
Hebr 5,11-12
Darüber hätten wir noch
viel zu sagen , meint der Autor im Hinblick auf die Hohepriesterschaft
Jesu, deren Erörterung in der Tat noch relativ viel Raum in seinem
Schreiben einnehmen wird ( Hebr 7,1-10,18 ). Er befürchtet jedoch, daß
es schwer sein wird, seinen Lesern diese Dinge nahezubringen, weil sie
so harthörig sind. Gemessen an der langen Zeit, die sie bereits Christen
sind, müßten sie eigentlich längst Lehrer sein und andere, die noch
nicht so lange im Glauben stehen, durch ihre Unterweisung voranbringen.
Statt dessen brauchen sie selbst jemanden, der sie erst einmal wieder
mit den elementaren Wahrheiten ihres Glaubens vertraut macht.
Mit dem Hinweis auf
die Anfangsgründe spielt der Briefschreiber möglicherweise auf die
Buchstaben des Alphabets an, wie sie in der Schule gelernt werden. "Man
muß euch anscheinend noch einmal das ABC beibringen", besagt sein Tadel,
doch andererseits läßt er sich nicht dazu herbei, diese "Anfangsgründe"
tatsächlich noch einmal zu behandeln ( Hebr 6,1 ). Besondere Sorge macht
ihm offenbar ihre schwankende Haltung im Hinblick auf die Irrtümer, die
sie vom Glauben weglocken wollen. Wenn sie sich von Sektierern oder
anderen dazu drängen ließen, ihr christliches Bekenntnis aufzugeben, so
waren die fundamentalen Wahrheiten, deren sie doch sicher sein sollten,
eindeutig in Frage gestellt. So kam es allem Anschein nach, daß man
ihnen Milch anbieten mußte und nicht feste Speise . Dabei ist das, was
ihnen der Verfasser des Hebräerbriefes zumutet, eine wirklich "feste
Speise", von der er sich offensichtlich erhoffte, daß sie sie in
dramatischer Weise in ihrem christlichen Glauben voranbringen würde.
Hebr 5,13-14
Es ist unbefriedigend, in
geistlichen Dingen ein Kleinkind zu bleiben, denn ein kleines Kind ...
ist unerfahren ( apeiros ) in dem Wort der Gerechtigkeit . Das Problem
liegt nicht so sehr darin, daß ein geistliches "Kleinkind" nicht
genügend Informationen hätte - auch wenn das zunächst offensichtlich der
Fall ist -, sondern vielmehr darin, daß es noch nicht gelernt hat, das
"Wort der Gerechtigkeit" richtig anzuwenden. Es fehlt ihm die mit dem
Wachstum einhergehende Fertigkeit, die es schließlich dazu befähigt, die
richtigen moralischen Entscheidungen zu treffen. Diese Fähigkeit
zeichnet jene aus, die durch den Gebrauch geübte Sinne haben und Gutes
und Böses unterscheiden können . Ein solcher Mensch kann feste
Speise vertragen.
Noch einmal gibt der
Briefschreiber seiner Sorge Ausdruck, ob seine Leser wohl auch imstande
sind, den falschen Ideen, mit denen sie konfrontiert sind, in rechter
Weise entgegenzutreten. Wenn sie wirklich reif wären, könnten sie diese
Ideen neben der Wahrheit, von der sie wissen müßten, daß sie "gut" ist,
als "böse" erkennen. Er fürchtet jedoch, daß sie dazu nicht in der Lage
sind, auch wenn er alles tut, um ihnen diese Fähigkeit zu vermitteln.
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