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Matthäus Evangelium,  Kp 1 Walvoord Louis A. Barbieri Jr.



Das synoptische Problem

 

1. Das Problem Das Wort "synoptisch" kommt von dem griechischen Adjektiv synoptikos , das aus den beiden Wörtern syn und opsesthai , "zusammensehen" oder "mitsehen", zusammengesetzt ist. Obwohl die Verfasser der ersten drei Evangelien, Matthäus, Markus und Lukas, mit ihren Schriften unterschiedliche Absichten verfolgten, zeichneten sie das Leben Jesu auf fast die gleiche Art und Weise nach. Andererseits gibt es aber auch gewisse Abweichungen in ihren Berichten, über die man nicht einfach hinweggehen kann. An diesen Ähnlichkeiten und Unterschieden entzündet sich die Frage nach den Quellen der Evangelien, das sogenannte "synoptische Problem".

Die meisten konservativen Forscher stimmen darin überein, daß die Verfasser der Evangelien verschiedene Quellen benutzten. So hat beispielsweise der Stammbaum Jesu bei Matthäus und bei Lukas möglicherweise einen Anhalt in den Tempelakten oder auch in der mündlichen Überlieferung. Lukas selbst vermerkt gleich zu Beginn seines Evangeliums ( Lk 1,1 ), daß bereits zahlreiche Aufzeichnungen zu den Geschehnissen um Jesus vorliegen. Demnach konnte er sich auf mehrere solcher schriftlicher Berichte stützen. Man kann wohl mit Recht annehmen, daß die einzelnen Verfasser wahrscheinlich jeweils unterschiedliche Quellen benutzt haben. Damit sind nun allerdings nicht die "Quellen" gemeint, von denen die Anhänger der historisch-kritischen Methode sprechen. Die meisten Forscher dieser Richtung verstehen darunter umfangreiche Dokumente, anhand derer die Evangelisten gleichsam als geschickte Redakteure ihre eigenen Berichte zusammenstellten. Diese spezielle Auffassung führte wiederum zu einer Reihe verschiedener Erklärungen der Quellensituation.

a. Die Urevangeliumshypothese Nach Ansicht mancher Gelehrter bildete ein ursprüngliches Evangelium (das sogenannte Urevangelium ), das verlorengegangen ist, die Materialquelle für die biblischen Redakteure. Der Haupteinwand gegen diese These ist, daß niemals auch nur ein Hinweis auf eine solche Schrift entdeckt wurde. Es existiert kein Dokument, das als Urevangelium bezeichnet werden könnte. Außerdem könnte diese Theorie zwar als Erklärung für die Ähnlichkeiten in den Evangelien herangezogen werden, auf keinen Fall erhellt sie jedoch die unterschiedliche Darstellung derselben Ereignisse an manchen Stellen.

b. Die Traditionshypothese Andere Forscher vertraten die Auffassung, die synoptischen Evangelien schöpften vor allem aus der mündlichen Tradition, also aus der mündlichen Weitergabe der Geschehnisse, die vom engsten Umkreis Jesu ausging. In der Regel durchläuft ein solches Zeugnis vier Stadien: 1. Das Ereignis findet statt. 2. Das Ereignis wird erzählt und so oft wiederholt, daß es weithin bekannt wird. 3. Das Ereignis wird gleichsam "fixiert", so daß es von da an immer auf genau die gleiche Weise erzählt wird. 4. Das Ereignis wird niedergeschrieben. Der Einwand gegen diese Hypothese lautet ähnlich wie der gegen die Theorie vom Urevangelium: Sie bietet zwar eine Erklärung für die Verwandtschaft der Texte, nicht jedoch für die Unterschiede. Darüber hinaus muß man sich hier fragen, warum sich ein Augenzeuge des Geschehens auf mündlich überlieferte Erzählungen verlassen sollte.

c. Die Zwei-Quellen-Theorie Ein weiterer, heute weitverbreiteter Ansatz geht dahin, daß die biblischen Redakteure mehrere schriftliche Quellen für ihre Berichte benutzten. Die Vertreter dieser Theorie gehen gewöhnlich von folgenden Annahmen aus: 1. Das erste schriftlich vorliegende Evangelium war das Markusevangelium. Diese Behauptung wird vor allem daran festgemacht, daß nur sieben Prozent des Markustextes ausschließlich bei Markus stehen, während 93 Prozent auch bei Matthäus und Lukas wiederkehren. 2. Neben Markus existierte ein zweites schriftliches Dokument, das hauptsächlich Rede-Material enthielt. Dieses Dokument wird als "Q", eine Abkürzung für das Wort "Quelle", bezeichnet. Die etwa 200 Verse, die sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas, nicht aber bei Markus stehen, sollen aus "Q" stammen. 3. Die Redakteure benutzten darüber hinaus mindestens zwei weitere Quellen, das sogenannte "Sondergut". Die eine enthält die Verse, die bei Matthäus, nicht jedoch bei Markus oder Lukas vorkommen, die andere die Verse aus Lukas, die nicht in Matthäus oder Markus enthalten sind. Die sich so ergebenden Abhängigkeitsverhältnisse lassen sich auf folgende Weise veranschaulichen:

Auch diese Hypothese birgt allerdings mehrere Probleme. Zum einen steht sie in Widerspruch zur traditionellen Sichtweise. Konservative Theologen waren im allgemeinen immer der Ansicht, daß das Matthäusevangelium das älteste Evangelium war. Wenngleich nicht alle Forscher dieser These auch heute noch zustimmen, so hat sie doch einiges Gewicht und sollte nicht vorschnell als "bloße Tradition" abgetan werden. Auch die Tradition kann ja die Wahrheit auf ihrer Seite haben. Zweitens kann die Zwei-Quellen-Theorie die Tatsache nicht erklären, daß der Markustext an einigen Stellen Aussagen enthält, die weder bei Matthäus noch bei Lukas vorkommen. Nur Markus berichtet beispielsweise, daß der Hahn ein zweites Mal krähte ( Mk 14,72 ), bei den beiden anderen Synoptikern steht darüber nichts. Drittens: Wenn das Markusevangelium tatsächlich als erstes Evangelium nach Petrus' Tod zwischen 67 - 68 entstanden wäre, dann wären Matthäus und Lukas wahrscheinlich später, nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr., geschrieben worden. In diesem Fall wäre eigentlich zu erwarten, daß die Verfasser die Katastrophe als passenden Höhepunkt zu den Worten des Herrn in Mt 24-25 oder zu Lukas' Aussage in Mt 21,20-24 erwähnt hätten. Bei keinem der beiden Evangelisten ist jedoch von diesem einschneidenden Ereignis die Rede. Viertens: Am problematischsten aber bleibt die Spekulation über die Existenz von "Q". Wenn ein solches Dokument existierte und von Matthäus und Lukas für so wichtig gehalten wurde, daß sie so ausführlich daraus zitierten, warum schätzte dieGemeinde es dann nicht ebenso hoch und bewahrte es auf?

d. Die formgeschichtliche Analyse Diese ebenfalls gängige Betrachtungsweise setzt die Zwei-Quellen-Theorie voraus, geht jedoch noch einen Schritt weiter. Als die Evangelien zusammengestellt wurden, existierte bereits eine Vielzahl von überlieferten Dokumenten, nicht nur vier (Matthäus, Markus, Lukas und "Q"). Die heutigen Exegeten versuchen nun, die in den Evangelien verarbeiteten kleinen selbständigen Einheiten herauszuschälen und ihre "Form" zu bestimmen, um sie dann als Einzeltexte zu interpretieren und auf diese Weise zu ergründen, was die Kirche des 1. Jahrhunderts durch sie sagen wollte. Nach dieser Auffassung sind die Tatsachen, die durch die verschiedenen Erzählformen vermittelt werden, nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Man muß den Text hinterfragen, um seine eigentliche Aussage zu entdecken. Die in den Geschichten dargestellten Fakten werden in der formgeschichtlichen Analyse als "Mythen" aufgefaßt, die die Kirche um die Person Jesu Christi herum aufbaute. Wenn man diesen mythologischen Firniß "abkratzt" (Entmythologisierung), findet man Bruchstücke der eigentlichen historischen Wahrheit über Jesus.

Dieser formgeschichtliche Ansatz wird zwar weithin vertreten, wirft jedoch auch einige schwerwiegende Probleme auf. Zum einen ist es praktisch unmöglich, die Einzelgeschichten in genaue "formale" Kategorien einzuordnen, da unter den Exegeten selbst große Uneinigkeit über die Zuordnung besteht. Zum anderen sagt die Theorie zwar aus, daß die Kirche im 1. Jahrhundert diese Geschichten in ihrer ursprünglichen Form verbreiten ließ, gibt jedoch keine Erklärung darüber, was die Kirche dazu veranlaßte. Mit anderen Worten, sie übersieht bewußt das lebendige Zeugnis Jesu Christi und den tiefgreifenden Einfluß seines Lebens und Sterbens auf die damals lebenden Gläubigen.

2. Ein Lösungsvorschlag Die Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Evangelienberichten werden verständlich, wenn man verschiedene Aspekte verbindet. Erstens: Die Verfasser der Evangelien des 1. Jahrhunderts besaßen eine breite persönliche Kenntnis des Materials, das sie aufzeichneten. Matthäus und Johannes waren Jünger Jesu, die lange Zeit mit ihm zusammen gewesen waren. Markus' Bericht könnte die Gedanken von Simon Petrus kurz vor seinem Tod enthalten, und Lukas könnte durch seine Verbindung zu Paulus und anderen viele Tatsachen erfahren haben. Dies wäre in die Niederschrift der vier Berichte eingegangen.

Zweitens: Daneben kommt auch der mündlichen Überlieferung eine gewisse Bedeutung zu. In Apg 20,35 wird beispielsweise auf ein Jesuswort Bezug genommen, das nicht in den Evangelien steht. Auch Paulus zitiert im 1. Korintherbrief ( 1Kor 7,10 ) ein Wort des Herrn; als er den Brief schrieb, lag jedoch wahrscheinlich noch keines der Evangelien vor. Drittens: Es gab außerdem bereits schriftliche Aufzeichnungen, eine Tatsache, auf die Lukas am Anfang seines Evangeliums verweist ( Lk 1,1-4 ). All das erklärt jedoch nicht die inspirative Kraft, deren Wirken notwendig ist, um einen Bericht über das Leben Jesu Christi zu schreiben, der frei von allen Irrtümern ist. Viertens: Um das synoptische Problem zu lösen, ist daher die Einführung eines weiteren Elementes nötig, die Kraft der Inspiration durch den Heiligen Geist, die die Verfasser der Evangelien bei ihrer Niederschrift beseelte. Der Herr versprach den Jüngern, daß der Heilige Geist sie alles lehren und an alles erinnern würde, was Jesus ihnen gesagt hatte ( Joh 14,26 ). Diese Kraft bürgt für die Genauigkeit der Berichte, ob der Autor nun aus seinem Gedächtnis oder aus mündlichen oder schriftlichen Überlieferungen schöpfte. Ungeachtet der benutzten Quellen stellte die Führung des Heiligen Geistes die Richtigkeit des Textes sicher, und je mehr man sich auf die verschiedenen Geschichten über den Herrn einläßt, desto klarer werden einem auch ihre "Problemstellen".

 

 

Die Verfasserschaft des ersten Evangeliums

 

Bei der Auseinandersetzung mit der Frage, wer ein bestimmtes Buch der Bibel verfaßt hat, gibt es normalerweise zweierlei Anhaltspunkte: Hinweise außerhalb des Buches ("externe Belege") und Hinweise im Buch selbst ("interne Belege"). Die externen Belege stützen im Fall des Matthäusevangeliums die Ansicht, daß der Apostel Matthäus das Evangelium schrieb, das seinen Namen trägt. Bei vielen Kirchenvätern der Frühzeit des Christentums wird er als Verfasser genannt, so unter anderem bei Pseudobarnabas, Clemens von Rom, Polykarp, Justinus Martyr, Clemens von Alexandria, Tertullian und Origenes. (Für weitere Belege vgl. Norman L. Geisler und William E. Nix (1968), A General Introduction to the Bible ; Chicago; S. 193.) Matthäus zählte mit Sicherheit nicht zu den bedeutenderen Aposteln. Man würde eigentlich eher erwarten, daß das erste Evangelium von Petrus, Jakobus oder Johannes stammen müßte. Doch die Tatsache, daß die ganze altkirchliche Tradition auf Matthäus weist, spricht sehr dafür, daß er tatsächlich der Verfasser war.

Es gibt daneben aber auch interne Belege für die Verfasserschaft des Apostels. Das Matthäusevangelium enthält beispielsweise mehr Anspielungen auf Geld als irgendeine andere Schrift des Neuen Testaments. Drei Währungsbezeichnungen tauchen überhaupt nur bei Matthäus auf, der "Tempelgroschen" ( Mt 17,24 ): das "Zweigroschenstück" ( Mt 17,27 ) und die "zehntausend Zentner Silber" ( Mt 18,24 ). Da Matthäus Zöllner war, hatte er natürlich einen besonderen Blick für Münzen und finanzielle Transaktionen und erwähnt aus diesem Grund auch die Kosten bestimmter Dinge. Für den Beruf des Steuereinnehmers mußte man schreiben können und etwas von Buchführung verstehen. Matthäus war so gesehen also durchaus imstande, ein Buch wie das erste Evangelium zu schreiben.

Das Buch ist aber auch ein Zeugnis seiner christlichen Demut, denn nur er selbst spricht immer wieder von sich als von "Matthäus dem Zöllner". Markus und Lukas verwenden diese abwertende Bezeichnung im Zusammenhang mit Matthäus wesentlich seltener. Als der Jünger Matthäus sich Jesus anschloß, da heißt es im Matthäusevangelium schlicht, er habe seine Freunde "zu Tisch" ( Mt 9,9-10 ) geladen, Lukas dagegen spricht bei dieser Einladung von "einem großen Mahl" ( Lk 5,29 ). Bezeichnend sind auch die Auslassungen bei Matthäus, jene Geschichten, die nicht im ersten Evangelium stehen: das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner ( Lk 18,9-14 ) und die Geschichte von Zachäus, jenem Zöllner, der vierfach zurückgab, was er gestohlen hatte ( Lk 19,1-10 ). Die internen Belege in bezug auf die Verfasserschaft des ersten Evangeliums sprechen also ebenfalls für Matthäus als den wahrscheinlichsten Autor.

Die ursprüngliche Sprache des Matthäusevangeliums

 

Alle noch erhaltenen Manuskripte des Matthäusevangeliums liegen in Griechisch vor, doch es gibt auch die Annahme, daß Matthäus in Aramäisch, einer dem Hebräischen verwandten Sprache, schrieb. Wenn man den Belegen nachgeht, stößt man auf fünf Autoren der Alten Kirche, die behaupteten, daß Matthäus zunächst aramäisch schrieb und dann ins Griechische übersetzt wurde: Papias (80 - 155 n. Chr.), Irenäus (130 - 202 n. Chr.), Origenes (185 - 254 n. Chr.), Euseb (4. Jahrhundert n. Chr.) und Hieronymus (6. Jahrhundert n. Chr.). Sie könnten sich dabei allerdings auch auf eine andere Schrift von Matthäus beziehen. Papias erwähnt z. B., daß Matthäus auch die Jesusworte ( logia ) zusammenstellte. Bei dieser "Spruchsammlung" könnte es sich um eine zweite, kürzere Niederschrift der Worte des Herrn in Aramäisch handeln, die für eine Gruppe von Juden bestimmt und für sie besonders wichtig war. Diese Schrift ist später verlorengegangen, denn heute existiert keine solche Version mehr. Im Gegensatz zu den verlorengegangenen logia schrieb Matthäus sein bis heute erhaltenes Evangelium jedoch wahrscheinlich in Griechisch. Als Teil des biblischen Kanons und damit Gotteswort wurde es vom Geist Gottes inspiriert und bewahrt.

 

 

Die Datierung des ersten Evangeliums

 

Eine genaue Festlegung der Entstehung des ersten Evangeliums auf ein bestimmtes Jahr ist nicht möglich. Die traditionalistische Forschung hat mehrere Daten zur Diskussion gestellt. C.I. Scofield nannte in der "Scofield Reference Bible" das Jahr 37 n. Chr. als mögliches Datum. Nur wenige Forscher plädieren für einen Zeitpunkt nach dem Jahr 70 n. Chr., denn Matthäus erwähnt die Zerstörung Jerusalems mit keinem Wort, und die Bezeichnung Jerusalems als "heilige Stadt" ( Mt 4,5;27,53 ) deutet darauf hin, daß die Stadt noch stand.

Auf jeden Fall scheint jedoch eine gewisse Zeit seit den Geschehnissen der Kreuzigung und Auferstehung vergangen zu sein. Mt 27,7-8 spricht von einem bestimmten Brauch, der sich "bis auf den heutigen Tag" erhalten hat, und Mt 28,15 berichtet von einer Geschichte, die "bis auf den heutigen Tag" erzählt wird. Wendungen wie diese setzen voraus, daß Zeit verstrichen ist, wenn auch nicht so viel, daß die jüdischen Bräuche bereits untergegangen sind. Da die kirchliche Überlieferung andererseits sehr stark die Annahme stützt, daß das Matthäusevangelium das älteste Evangelium ist, wird vielleicht eine Datierung um das Jahr 50 n. Chr. herum den historischen und inhaltlichen Bedingungen am ehesten gerecht. Dieser Zeitpunkt läge früh genug für die Hypothese, daß Matthäus auch zeitlich das erste Evangelium ist. (Zur weiteren Diskussion über die Datierung und andere Ansätze dazu [z. B., daß Markus das älteste der vier Evangelien sei] vgl. den Abschnitt "Quellen" in der Einleitung zu Markus.)

 

 

Der Anlaß für die Niederschrift des ersten Evangeliums

 

Der genaue Anlaß, der zur Niederschrift des Matthäusevangeliums führte, ist zwar unbekannt, doch es ist anzunehmen, daß wohl zumindest zwei Gründe für Matthäus bestimmend waren. Zunächst wollte er den ungläubigen Juden beweisen, daß Jesus der Messias war. Er wollte, daß andere den Messias ebenso finden wie er selbst. Zweitens schrieb Matthäus, um die gläubigen Juden in ihrem Glauben zu stärken. Denn wenn Jesus tatsächlich der Messias war, so war etwas Schreckliches geschehen - die Juden hatten ihren Messias und König gekreuzigt! Was sollte nun aus ihnen werden? War Gott mit ihnen fertig? Hier konnte Matthäus ihnen Mut zusprechen. Auch wenn ihr Ungehorsam Gottes Zorn über die gegenwärtige Generation der Israeliten bringen sollte, so dachte Gott doch keineswegs daran, sein Volk aufzugeben. Sein verheißenes Königreich würde dennoch errichtet werden, wenn auch erst in der Zukunft. In der Zwischenzeit jedoch ist es die Aufgabe der Gläubigen, eine andere, neue Botschaft des Glaubens an diesen Messias in die ganze Welt zu tragen und bei allen Völkern Jünger zu gewinnen.

 

 

Einige Besonderheiten des Matthäusevangeliums

 

1. Das Buch Matthäus legt großen Nachdruck auf das Lehramt Jesu Christi. Von allen Evangelien enthält Matthäus die längsten Redepassagen, und in keinem anderen Evangelium stehen so viele Lehren Jesu: Der allgemein als Bergpredigt bezeichnete Abschnitt in Mt 5-7 ; Kapitel 10 mit den Anweisungen Jesu an seine Jünger vor der Aussendung; die Gleichnisse über das Gottesreich in Kapitel 13 ; die scharfe Abrechnung mit den Pharisäern und Schriftgelehrten in Kapitel 23 ; und schließlich die Rede über die Endzeit auf dem Ölberg, eine detaillierte Schilderung der künftigen Ereignisse, die Jerusalem und das Volk erwarten, in Kapitel 24-25 .

2. Die Darstellung des Matthäusevangeliums folgt manchmal eher logischen als chronologischen Gesichtspunkten. So ist z. B. der Stammbaum Jesu in drei gleich große Gruppen unterteilt, viele Wunder werden unmittelbar nacheinander aufgelistet, und der Widerstand gegen Jesus wird in einen einzigen Abschnitt zusammengefaßt. Matthäus legte also offensichtlich mehr Wert auf den thematischen Zusammenhang als auf die chronologische Reihenfolge der Ereignisse.

3. Das Evangelium enthält sehr viele (beinahe 50) wörtliche Zitate aus dem Alten Testament, daneben wird etwa fünfundsiebzigmal auf alttestamentliche Geschehnisse Bezug genommen. Das liegt zweifellos vor allem an der Leserschaft, für die das Buch bestimmt war. Das Matthäusevangelium richtete sich, wie bereits angedeutet, in erster Linie an Juden, die durch die vielen Verweise auf alttestamentliche Fakten und Ereignisse beeindruckt werden sollten. Wenn der Text tatsächlich um das Jahr 50 herum entstand, existierten außerdem noch nicht viele neutestamentliche Schriften, die Matthäus oder gar seinen Lesern bekannt gewesen wären, so daß er aus ihnen hätte zitieren können.

4. Das erste Evangelium zeigt Jesus Christus als den Messias Israels und Verkünder des kommenden Gottesreiches (Stanley D. Toussaint, Behold the King: A Study of Matthew , S. 18 - 20). "Wenn Jesus wirklich der Messias war", so könnte ein Jude fragen, "was wurde dann aus dem verheißenen Gottesreich?" Das Alte Testament lehrte ganz eindeutig, daß der Messias auf Erden eine ruhmreiche, utopische Herrschaft heraufführen werde, in der das Volk Israel eine bevorzugte Stellung einnehmen sollte. Was wurde jedoch nun, da das Volk seinen wahren König abgelehnt hatte, aus dem Gottesreich? Das Buch Matthäus offenbart in diesem Zusammenhang einige "Geheimnisse" über das Gottesreich, die so noch nicht im Alten Testament stehen. Sie deuten darauf hin, daß das Gottesreich im gegenwärtigen Zeitalter eine andere Form angenommen hat, daß das verheißene davidische Königreich jedoch in der Zukunft errichtet werden wird, wenn Jesus Christus auf die Erde zurückkehrt, um endgültig zu herrschen.

5. Im ersten Vers des ersten Evangeliums wird lapidar angekündigt: "Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams." Warum wird David hier vor Abraham genannt? Hätte nicht Abraham, der Stammvater Israels, größere Bedeutung für einen Juden? Möglicherweise nennt Matthäus David zuerst, weil der König, der über das Volk herrschen würde, ein Nachfahre Davids sein sollte ( 1Sam 7,12-16 ). Jesus Christus kam mit einer Botschaft für sein eigenes Volk. Nach dem Ratschluß Gottes wurde diese Botschaft jedoch nicht angenommen und richtet sich nun als universale Botschaft an die ganze Welt. Die Verheißung des Segens für alle Völker aber nimmt ihren Anfang bei dem Bund Gottes mit Israel ( 1Mo 12,3 ). Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß Matthäus in seinem Evangelium auch von Heiden, wie den Weisen aus dem Morgenland ( Mt 2,1-12 ), dem römischen Hauptmann mit dem starken Glauben ( Mt 8,5-13 ) und der kanaanitischen Frau, bei der Jesus einen größeren Glauben fand als in ganz Israel ( Mt 15,22-28 ), erzählt. Außerdem endet das Matthäusevangelium mit dem großen Missionsauftrag: "Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker" ( Mt 28,19 ).

 

 

 

GLIEDERUNG

 

I. Einleitung ( 1,2-4,11 )

 

     A. Der Stammbaum Jesu ( 1,1-17 )

     B. Das Kommen Jesu ( 1,18-2,23 )

     C. Der Wegbereiter Jesu ( 3,1-12 )

     D. Die Bestätigung Jesu als Messias ( 3,13-4,11 )

 

II. Der Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa ( 4,12-7,29 )

 

     A. Die ersten Taten Jesu ( 4,12-25 )

     B. Die Fortsetzung des Predigtamtes ( Kap. 5-7 )

 

III. Jesu Beweise seiner Gottheit ( 8,1-11,1 )

 

     A. Seine Macht über die Krankheit ( 8,1-15 )

     B. Seine Macht über Dämonen ( 8,16-17.28-34 )

     C. Seine Macht über Menschen ( 8,18-22;9,9 )

     D. Seine Macht über die Natur ( 8,23-27 )

     E. Seine Macht über die Sünde ( 9,1-8 )

     F. Seine Macht über die Traditionen ( 9,10-17 )

     G. Seine Macht über den Tod ( 9,18-26 )

     H. Seine Macht über die Blindheit ( 9,27-31 )

     I. Seine Macht über die Stummheit ( 9,32-34 )

     J. Seine Macht, Diener zu berufen ( 9,35-11,1 )

 

IV. Jesu Vollmachtsanspruch ( 11,2-16,12 )

 

     A. Die Zurechtweisung Johannes' des Täufers ( 11,2-19 )

     B. Der Weheruf über die galiläische Städte ( 11,20-30 )

     C. Die Streitgeschpräche mit den Schriftgelehrten ( Kap. 12 )

     D. Die Gleichnisse über das ganz andere Gottesreich ( 13,1-52 )

     E. Weitere Lehre und Wunder ( 13,52-16,12 )

 

V. Jesu Lehren für die Jünger ( 16,13-20,34 )

 

     A. Seine Selbstoffenbarung ( 16,13-17,13 )

     B. Seine Weisungen an die Jünger ( 17,14-20,34 )

 

VI. Der Weg zum Ende ( Kap. 21-27 )

 

     A. Einzug in Jerusalem ( 21,1-22 )

     B. Auseinandersetzung mit den Pharisäern ( 21,23-22,46 )

     C. Abrechnung mit den Pharisäern und dem Volk ( Kap. 23 )

     D. Rede über die Endzeit ( Kap. 24-25 )

     E. Gerichtsverhandlungen und Verurteilung ( Kap. 26-27 )

 

VII. Jesu Auferstehung ( Kap. 28 )

 

     A. Das leere Grab ( 28,1-8 )

     B. Das persönliche Erscheinen ( 28,9-10 )

     C. Die "offiziele" Version der Ereignisse ( 28,11-15 )

     D. Der Missionsauftrag ( 28,16-20 )

 

AUSLEGUNG

 

I. Einleitung

( 1,1-4,11 )

 

A. Der Stammbaum Jesu

( 1,1-17 ) ( Lk 3,23-38 )

 

Mt 1,1

 

Schon in den ersten Worten seines Evangeliums nennt Matthäus sein zentrales Thema und seine Hauptfigur beim Namen: Jesus Christus . Er ist der Mittelpunkt des ganzen Berichts, und bereits der Eingangsvers bringt ihn mit zwei großen Bundesschlüssen in der Geschichte Israels in Verbindung, dem davidischen ( 1Sam 7 ) und dem abrahamitischen ( 1Mo 12;15 ). Wenn Jesus von Nazareth tatsächlich die Erfüllung dieser beiden großen Bundesschlüsse verkörpert, erfüllt er sie auch von seiner Abstammung her? Diese Frage hätten die Juden mit Sicherheit gestellt, und aus diesem Grund geht Matthäus so genau auf die Ahnenreihe Jesu ein.

 

 

Mt 1,2-17

 

Er leitet Jesu Herkunft von seinem gesetzlichen Vater, Josef , ab (V. 16 ). Auf diese Weise geht sein Stammbaum in direkter Linie auf den Thron Davids, dessen Sohn Salomo und seine Nachkommen zurück (V. 6 ). Der Ahnentafel im Lukasevangelium zufolge war Jesus dagegen durch einen anderen Sohn, Nathan, ein Nachkomme König Davids ( Lk 3,31 ). Auf jeden Fall ist bei Matthäus Jesu Anspruch auf den Thron durch die Herkunft Josefs, seines offiziellen Vaters, aus dem Geschlecht Salomos legitimiert.

Josefs Abstammungslinie wird von Jojachin über dessen Sohn Schealtiel und seinen Enkel Serubbabel ( Mt 1,12 ) zurückverfolgt. Auch Lukas ( Lk 3,27 ) bezieht sich auf Schealtiel, den Vater Serubbabels, und zwar als einen Vorfahren Marias, meint damit jedoch wohl eine andere Person als Matthäus. Bei Lukas ist Schealtiel der Sohn Neris, während der Schealtiel bei Matthäus ein Sohn Jojachins ist.

Interessant an der Ahnentafel bei Matthäus ist außerdem die Nennung von vier Frauen aus dem Alten Testament: Tamar ( Mt 1,3 ), Rahab (V. 5 ), Rut (V. 5 ) und Salomos Mutter, Batseba (V. 6 ). Alle diese Frauen (wie übrigens auch die meisten der genannten Männer) waren auf irgendeine Weise zwielichtig. Tamar und Rahab waren Prostituierte ( 1Mo 38,24; Jos 2,1 ), Rut war Ausländerin, eine Moabiterin ( Rt 1,4 ), und Batseba beging Ehebruch ( 1Sam 11,2-5 ). Matthäus erwähnt diese Frauen vielleicht, um besonders deutlich zu machen, daß Gottes Erwählung eines Menschen immer ein reiner Akt der Gnade ist. Möglicherweise will er damit auch den Stolz der Juden in seine Grenzen weisen.

Bei der Erwähnung der fünften Frau der ganzen Genealogie, Maria ( Mt 1,16 ), ändert sich plötzlich die Wortwahl des Berichts. Während es bisher immer wieder hieß "zeugte" , die Betonung also beim jeweiligen Vater lag, steht bei Maria plötzlich "von der geboren ist Jesus" . "Von der" ist ein weibliches Relativpronomen (ex hEs ), das ganz eindeutig besagt, daß Jesus zwar das leibliche Kind Marias, Josef jedoch nicht der leibliche Vater war. Auf die wundersame Empfängnis und Geburt, die hinter dieser Andeutung steht, wird in Mt 1,18-25 näher eingegangen.

Matthäus nennt ganz offensichtlich nicht jede einzelne Person in der Ahnenreihe zwischen Abraham und David (V. 2-6 ), zwischen David und der Zeit der babylonischen Gefangenschaft (V. 6-11 ) und zwischen der babylonischen Gefangenschaft und Jesus (V. 12-16 ). Statt dessen zählt er für jede dieser Perioden jeweils nur 14 Glieder auf (V. 17 ). Nach jüdischer Auffassung galt eine Genealogie auch dann als vollständig, wenn nicht jeder Vorfahr einzeln genannt wurde. Doch warum wählte Matthäus gerade 14 Namen aus jeder Zeit? Die plausibelste Antwort auf diese Frage ist vielleicht, daß der Name "David" in der hebräischen Zahlenmystik der Zahl 14 entspricht. In der Zeit vom babylonischen Exil bis zur Geburt Jesu (V. 12-16 ) erscheinen nur 13 neue Namen. Viele Forscher glauben daher, daß Jojachin (V. 12 ), auch wenn er bereits in Vers 11 genannt wird, den vierzehnten Namen dieser letzten Periode darstellt.

Matthäus' Ahnentafel beantwortet die wichtige und durchaus verständliche Frage der Juden nach der Berechtigung, mit der jemand behaupten kann, König der Juden zu sein. Ist dieser Mann, wie es die Tradition verlangt, ein legitimer Nachkomme Davids? Nach Matthäus lautet die Antwort ja!

 

 

B. Das Kommen Jesu

( 1,18-2,23 ) ( Lk 2,1-7 )

 

1. Seine Eltern

( 1,18-23 )

 

Mt 1,18-23

 

Die Tatsache, daß Jesus, wie der Stammbaum andeutet, allein "von Maria" geboren ist (V. 16 ), bedarf der näheren Erklärung. Matthäus' Bericht wird sehr viel verständlicher, wenn man sich die hebräischen Heiratsbräuche ansieht. Ehen wurden damals von den Eltern arrangiert, dabei wurden Eheverträge ausgehandelt. Wenn die entsprechenden Vereinbarungen getroffen worden waren, galten die Betreffenden als verheiratet und wurden als Mann und Frau bezeichnet. Sie lebten jedoch nicht sofort zusammen, sondern die Frau wohnte noch ein Jahr lang weiterhin bei ihren Eltern und der Mann bei den seinen. Die Wartezeit sollte beweisen, daß die Braut noch unberührt war, wie sie und ihre Angehörigen gelobt hatten. Wenn sich in dieser Zeit herausstellte, daß sie schwanger war, hatte sie sich offensichtlich auf eine verbotene sexuelle Beziehung eingelassen und war keine Jungfrau mehr, ein Grund, der zur Annullierung der Ehe führen konnte. Wenn die einjährige Prüfungszeit jedoch die Reinheit der Braut erwies, ging der Ehemann zum Haus der Brauteltern und führte sie in einem großen Umzug in sein Haus. Dort lebten sie dann als Mann und Frau zusammen und vollzogen die Ehe auch physisch. Vor diesem Hintergrund sollte Matthäus' Geschichte gelesen werden.

Maria und Josef befanden sich in der einjährigen Wartezeit, als es sich fand, daß sie schwanger war . Sie hatten noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt, und Maria war auch nicht untreu gewesen (V. 20.23 ). Obwohl nur wenig über Josef erzählt wird, kann man sich doch gut vorstellen, wie sehr er betroffen war. Er liebte Maria wirklich, und nun ging das Gerücht um, daß sie schwanger sei. Sein Verhalten ist ein Beweis seiner Zuneigung zu seiner Braut. Er wollte keinen öffentlichen Skandal heraufbeschwören, indem er ihren Zustand den Richtern am Stadttor offenbarte, denn das hätte zur Folge haben können, daß Maria gesteinigt wurde ( 5Mo 22,23-24 ). Statt dessen beschloß er, sie heimlich zu verlassen .

Da erschien ihm jedoch der Engel des Herrn im Traum (vgl. Mt 2,13.19.22 ) und teilte ihm mit, daß Marias Zustand nicht von einem Menschen, sondern von dem heiligen Geist herrühre ( Mt 1,20; vgl. V. 18 ). Das Kind, das Maria trug, würde ein ganz besonderes Kind sein. Sie sollte einen Sohn gebären , dem Josef den Namen Jesus geben sollte, denn er würde sein Volk retten von dessen Sünden . Diese Worte müssen in Josef die Erinnerung an Gottes Versprechen wachgerufen haben, daß er sein Volk durch einen Neuen Bund retten werde ( Jer 31,31-37 ). Der namenlose Engel erzählte Josef weiter, daß das alles geschehe, damit Gottes Plan erfüllt werde, denn der Prophet Jesaja hatte vor 700 Jahren verkündet: "Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein" ( Mt 1,23; Jes 7,14 ). Die Alttestamentler sind sich zwar noch nicht einig, ob das hebräische Wort ZalmCh hier mit "junge Frau" oder "Jungfrau" zu übersetzen ist, doch von Gott aus soll es mit Sicherheit "Jungfrau" bedeuten (wie auch das griechische Wort parthenos besagt). Marias wundersame Empfängnis erfüllte damit Jesajas Prophezeiung, und ihr Sohn sollte wahrhaft Immanuel ... Gott mit uns sein. Angesichts dieser Erklärung sollte Josef sich nicht fürchten, Maria zu sich zu nehmen ( Mt 1,20 ). Sicher würde es in der Gemeinde Mißverständnisse und auch Tratsch geben, doch Josef kannte nun die wahre Geschichte von Marias Schwangerschaft, und er wußte, was Gott von ihm wollte.

 

 

2. Seine Geburt

( 1,24-25 )

 

Mt 1,24-25

 

Als Josef aus seinem Traum erwachte, gehorchte er. Er verstieß gegen die hergebrachten Sitten und nahm seine Frau sofort zu sich , statt noch zu warten, bis die Verlobungszeit vorüber war. Wahrscheinlich dachte er, das sei das Beste für Maria in ihrem Zustand. Er brachte sie nach Hause und sorgte für sie, doch er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar , dem er den Namen Jesus gab. Matthäus berichtet ganz einfach die Geburt des Kindes und die Tatsache, daß es den Namen Jesus erhielt, während Lukas, der Arzt ( Kol 4,14 ), noch mehrere Details in bezug auf die Geburt mitteilt ( Lk 2,1-7 ).