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Louis A. Barbieri Jr.
3. Seine Kindheit
( Mt 2 )
a. In Bethlehem
( 2,1-12 )
Mt 2,1-2
Es besteht in der Forschung keine volle Übereinstimmung über den genauen
Zeitpunkt der Ankunft der Weisen aus dem Morgenland , doch anscheinend
kamen sie einige Zeit nach Jesu Geburt. Jesus, Maria und Josef hielten
sich noch immer in Bethlehem auf, wohnten inzwischen jedoch in einem
Haus (V. 11 ). Bei Matthäus wird Jesus als kleines Kind ( paidion ;
V. 9.11 ) bezeichnet, während das Wort für Kind bei Lukas ( brephos ; Lk
2,12 ) eher "Neugeborenes" bedeutet.
Wir können heute nicht mehr genau sagen, wer diese "Weisen" waren. Es
sind in diesem Zusammenhang mehrere Deutungsvorschläge gemacht worden.
Man hat sie mit traditionellen Namen belegt und als Repräsentanten der
drei Völkergruppen gesehen, die von Noahs Söhnen Sem, Ham und Japhet
abstammen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß sie hochgestellte Heiden aus
einem Land nordöstlich von Babylon - vielleicht aus dem Partherreich -
waren, denen eine besondere Offenbarung Gottes über die Geburt
des Königs der Juden zuteil geworden war. Dieses besondere Zeichen war
vielleicht einfach am Himmel sichtbar, worauf ihr Titel "Weise"
(Astronomen) und auch die Tatsache, daß sie von einem Stern sprechen,
den siegesehen haben, hindeutet. Oder sie erfuhren davon durch den
Kontakt mit jüdischen Gelehrten, die mit Kopien von Handschriften des
Alten Testaments in den Osten gekommen waren. Nach Ansicht vieler
Exegeten lassen die Aussagen der Weisen auf ein Wissen um die Weissagung
Bileams über den "Stern", der "aus Jakob" aufgehen wird, schließen ( 4Mo
24,17 ). Ganz gleich, worauf sich ihre Gewißheit stützte, sie kamen auf
jeden Fall nach Jerusalem, um den neugeborenen König der
Juden anzubeten . (Nach der Überlieferung waren es drei Weise, die nach
Bethlehem zogen. Die Bibel gibt ihre Zahl allerdings nicht genau an.)
Mt 2,3-8
Es ist verständlich, daß König Herodes erschrak, als er hörte, daß die
Weisen nach Jerusalem gekommen waren, um den neugeborenen König der
Juden zu suchen (V. 2.3 ). Herodes war seiner Herkunft nach kein
Nachkomme Davids und daher strenggenommen kein rechtmäßiger König.
Tatsächlich war er nicht einmal ein Nachkomme Jakobs, sondern Esaus und
damit also Edomiter. (Er regierte in Palästina von 37 v. Chr. bis 4 n.
Chr. Vgl. auch die Tabelle unter Lk 1,5 .) Viele Juden haßten ihn dafür
und hatten ihn nie wirklich als König akzeptiert, obwohl er viel für das
Land tat. Wenn nun ein rechtmäßiger König geboren war, war Herodes' Amt
in Gefahr. Daher ließ er die jüdischen Schriftgelehrten zusammenkommen
und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte ( Mt
2,4 ). Interessanterweise brachte Herodes den "neugeborenen König der
Juden" mit "dem Christus", dem Messias, in Verbindung. Offensichtlich
hoffte Israel noch immer auf den Messias und glaubte an seine Geburt.
Die Antwort auf Herodes' Frage war einfach, da der Prophet Micha
Jahrhunderte zuvor den Ort genau angegeben hatte: Der Messias sollte in
Bethlehem geboren werden ( Mi 5,1 ). Anscheinend überbrachte Herodes den
Weisen selbst die Auskunft der Hohenpriester und Schriftgelehrten des
Volkes. Dann fragte er sie aus, wann sie den Stern zum ersten Mal
gesehen hätten ( Mt 2,7 ). Die verhängnisvollen Folgen dieser
Unterredung zeigten sich später (V. 16 ). Schon hier wird jedoch
deutlich, daß Herodes bereits den Plan hegte, sich dieses gefährlichen
jungen Königs zu entledigen. Er bat die Weisen ausdrücklich,
zurückzukehren und ihm zu sagen, wo sich der König befinde, so daß er
kommen und ihn ebenfalls anbeten könne. Seine Gedanken gingen allerdings
in eine ganz andere Richtung.
Mt 2,9-12
Als die Weisen Jerusalem hinter sich ließen, begegnete ihnen ein
weiteres Wunder. Der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten ,
erschien wieder und führte sie zu einem ganz bestimmten Haus in
Bethlehem, wo sie das Kindlein Jesus fanden. Bethlehem liegt etwa sieben
Kilometer südlich von Jerusalem. "Sterne" (d. h. Planeten) bewegen sich
jedoch am Himmel naturgemäß von Osten nach Westen, nicht von Norden nach
Süden. War der "Stern", den die Weisen sahen und der sie zu dem Haus
führte, möglicherweise die Gegenwart der Herrlichkeit Gottes selbst, die
die Kinder Israel in Gestalt einer Feuer- und Wolkensäule 40 Jahre lang
durch die Wüste geführt hatte? Vielleicht war das die Erscheinung, die
die Weisen im Osten sahen und die sie mangels eines passenderen Begriffs
als "Stern" bezeichneten. Alle anderen Versuche, diesen Stern zu
erklären (z.B. mit einer Konjunktion von Jupiter, Saturn und Mars, als
Supernova, Komet usw.) erscheinen unzureichend.
Wie dem auch sei, die Weisen wurden auf diese wunderbare Weise zu dem
Kind geführt, traten in das Haus ein und beteten es an . Ihre Huldigung
ging aber noch darüber hinaus, sie schenkten ihm Gold, Weihrauch und
Myrrhe ; lauter Gaben, die eines Königs würdig waren. Diese Tat
heidnischer Fürsten ist wie ein Abbild des Reichtums der Völker, der
eines Tages dem Messias dargebracht werden wird ( Jes
60,5.11;61,6;66,20; Zeph 3,10; Hag 2,7-8 ). Manche Ausleger sind
außerdem der Ansicht, daß die Geschenke symbolisch bereits das besondere
Leben dieses Kindes widerspiegeln. Gold steht für seine Gottheit oder
Reinheit, der Weihrauch für den Duft seines Lebens und die Myrrhe für
seinen Opfertod (Myrrhe wurde zum Einbalsamieren benutzt). Diese
Geschenke gaben Josef offensichtlich die Mittel, mit seiner Familie nach
Ägypten zu fliehen und dort zu leben, bis Herodes starb. Den Weisen
befahl Gott im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren und ihm von
ihrer Reise zu berichten, und so zogen sie auf einem anderen Weg wieder
in ihr Land .
b. In Ägypten
( 2,13-18 )
Mt 2,13-15
Nach dem Besuch der Weisen erschien der Engel des Herrn Josef im
Traum (im zweiten von Josefs vier Träumen: Mt 1,20;2,13.19.22 ) und
sprach: "Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh
nach Ägypten", denn Herodes hatte vor, das Kindlein zu suchen, um es
umzubringen. Josef gehorchte; im Schutz der Dunkelheit verließ er mit
seiner Familie Bethlehem (vgl. die Karte) und entwich nach Ägypten.
Warum gerade Ägypten? Der Messias wurde nach Ägypten gesandt und kehrte
von dort zurück, damit das Wort des Propheten "Aus Ägypten habe ich
meinen Sohn gerufen" , erfüllt würde. Das ist eine Anspielung auf Hos
11,1 .Hosea selbst scheint seine Aussage nicht unbedingt als
Prophezeiung aufgefaßt zu haben. Er meinte damit Gottes Ruf an Israel
aus Ägypten in den Exodus. Matthäus jedoch verstand diese Worte anders.
Er sah in der Flucht nach Ägypten eine Identifikation des Messias mit
dem Volk Israel. Es gibt tatsächlich gewisse Parallelen zwischen dem
Gottesvolk und dem Gottessohn. Israel war Gottes durch Adoption
erwählter "Sohn" ( 2Mo 4,22 ), und Jesus ist der Messias, der
Gottessohn. Beide zogen nach Ägypten hinab, um einer Gefahr zu
entkommen, und ihre Rückkehr war wichtig für die Heilsgeschichte des
Volkes. Während Hoseas Aussage sich auf Israels historische Befreiung
bezog, brachte Matthäus sie unmittelbar mit der Berufung des Sohnes, des
Messias, aus Ägypten in Zusammenhang. Er verlieh den Worten des
Propheten eine "erhöhte" Bedeutung und sah sie als visionären Verweis
auf die Rückkehr des Messias aus Ägypten, und in diesem Sinn "erfüllten"
sie sich tatsächlich.
Mt 2,16-18
Sobald Herodes erfuhr, daß die Weisen seinen Befehl, ihm den Ort, an dem
er den neugeborenen König finden konnte, mitzuteilen, nicht befolgt
hatten, ließ er alle männlichen Kinder in Bethlehem töten, die
zweijährig und darunter waren . Das Alter der Kinder, zweijährig und
darunter , entsprach der Zeit, zu der die Weisen den "Stern" im Osten
gesehen hatten. Diese Zeitangabe deutet möglicherweise auch darauf hin,
daß Jesus, als die Weisen ihn besuchten, noch nicht zwei Jahre alt war.
Der Kindermord in Bethlehem wird nur in der Bibel erwähnt. Nicht einmal
der jüdische Geschichtsschreiber Josephus (37 - 100? n. Chr.) berichtet
über dieses feige Verbrechen, unschuldige Säuglinge und kleine Kinder
hinzuschlachten. Andererseits ist es auch wieder nicht weiter
überraschend, daß er und andere Geschichtsschreiber der damaligen Zeit
über den Tod einiger hebräischer Kinder in einem kleinen, unbedeutenden
Dorf hinweggingen, denn Herodes beging zahllose ähnlich grausame
Schandtaten. So ließ er mehrere seiner eigenen Kinder und auch einige
seiner Ehefrauen, die er im Verdacht hatte, eine Verschwörung gegen ihn
zu planen, umbringen. Kaiser Augustus soll über ihn gesagt haben, es sei
besser, eines der Schweine des Herodes zu sein, als sein Sohn, denn als
sein Schwein habe man bessere Chancen, in einer jüdischen Gemeinschaft
zu überleben. Das griechische Wort "Schwein" ( huos ) unterscheidet sich
nur in einem Buchstaben von dem Wort "Sohn" ( huios ).
Auch der Kindermord wird als Erfüllung einer Prophezeiung
von Jeremia gedeutet. Seine Aussage ( Jer 31,15 ) bezieht sich
ursprünglich auf das Weinen des Volkes, als zur Zeit des babylonischen
Exils (586 v. Chr.) viele Kinder umkamen. Doch die Parallele zur
Situation im Neuen Testament ist nicht von der Hand zu weisen, denn auch
hier wurden Kinder durch Nicht-Juden umgebracht. Darüber hinaus lag in
der Nähe von Bethlehem das Grab Rahels, die allgemein als Mutter des
Volkes galt. Deshalb der Verweis auf Rahel, die über den Tod dieser
Kinder weint.
c. In Nazareth
( 2,19-23 )
Mt 2,19-23
Als aber Herodes gestorben war , erhielt Josef abermals von einem Engel
des Herrn Anweisungen. Zum dritten Mal erschien ihm ein Engel im
Traum (vgl. Mt 1,20;2,13.19.22 ). Er erfuhr von Herodes' Tod und erhielt
den Befehl, in das Land zurückzukehren (V. 20 ). Josef gehorchte dem
Herrn und wollte in das Land Israel, vielleicht nach Bethlehem,
zurückkehren. Doch über die Gebiete von Judäa , Samaria und Idumäa
herrschte mittlerweile ein Sohn von Herodes, Archelaus . Dieser
Archelaus, berüchtigt für seine Tyrannei, seine Mordtaten und seine
Labilität, war wahrscheinlich infolge der am Hof üblichen Heiratspraxis
unter zu engen Verwandten geisteskrank. (Er regierte von 4 v. Chr. bis 6
n. Chr.; vgl. die Tabelle zu Herodes bei Lk 1,5 .) Gott warnte Josef
daher (wieder im Traum ; Mt 2,22; vgl. Mt 1,20;2,13.19 ), nicht nach
Bethlehem zurückzuziehen, sondern sich nach Norden, ins galiläische
Land , in eine Stadt mit Namen Nazareth zu wenden. In dieser Region
herrschte Antipas, ein anderer Sohn des Herodes (vgl. Mt 14,1; Lk
23,7-12 ), der jedoch ein sehr fähiger König war.
Die Tatsache, daß die Familie nach Nazareth zog, gilt wiederum als
Erfüllung einer Prophezeiung ( Mt 2,23 ). Die Worte "Er soll Nazoräer
heißen" , beziehen sich allerdings nicht auf die wörtliche Aussage eines
alttestamentlichen Propheten, wenngleich mehrere Prophezeiungen dieser
Formulierung sehr nahekommen. Jesaja sagte einmal, der Messias würde
"aus dem Stamm Isais" hervorgehen wie ein "Zweig" ( Jes 11,1 ). "Zweig"
heißt im Hebräischen neQer . Das Wort hat also dieselben Konsonanten wie
"Nazoräer" und steht allgemein für den Gedanken von "klein anfangen".
Da Matthäus den Plural, Propheten , benutzt, dachte er vielleicht auch
überhaupt nicht an eine bestimmte Prophezeiung, sondern an die
Vorstellung, die in einer ganzen Reihe von Prophezeiungen mit der
Verachtung des Messias in Zusammenhang gebracht wurde. In Nazareth lag
die für den Norden Galiläas zuständige römische Garnison. Die meisten
Juden mieden daher jede Verbindung mit dieser Stadt. Wer in Nazareth
lebte, galt als Kollaborateur, der sich mit dem Feind, den Römern,
einließ; jemanden einen "Nazoräer" zu nennen, war ein Ausdruck der
Verachtung. Auch Jesus wurde später von vielen Israeliten schon deshalb
geringschätzig angesehen, weil Josef und seine Familie sich in Nazareth
niedergelassen hatten. Das zeigt Nathanaels Reaktion, als er hörte, daß
Jesus aus Nazareth stamme: "Was kann aus Nazareth Gutes kommen?" ( Joh
1,46 ). Diese Auffassung paßt gut zu vielen alttestamentlichen
Prophezeiungen, die von dem geringen und verachteten Wesen des Messias
sprechen (z. B. Jes 42,1-4 ). Das Wort "Nazoräer" erinnerte die
jüdischen Leser aber auch an das ähnlich klingende "Nasiräer" ( 4Mo
6,1-21 ) - Jesus gehorchte Gottes Willen mehr als die Nasiräer.
C. Der Wegbereiter Jesu
( 3,1-12 ) ( Mk 1,1-8; Lk 3,1-9.15-18; Joh 1,19-28 )
Mt 3,1-2
Matthäus überspringt die folgenden 30 Jahre von Jesu Leben und setzt
seinen Bericht mit der Botschaft Johannes des Täufers , dem "Vorboten"
des Messias-Königs, fort. Mehrere Männer in der Bibel tragen den Namen
Johannes, doch nur einer hat den Beinamen "der Täufer". Die Juden
kannten zwar die Selbsttaufe der Proselyten, doch die Taufe, die
Johannes praktizierte, war ungewöhnlich; er war der erste, der andere
taufte.
Johannes predigte und taufte in der Wüste von Judäa , einem
unfruchtbaren, felsigen Landstrich westlich des Toten Meeres. Seine
Botschaft war einfach und klar und hatte zwei Schwerpunkte: 1. eine
soteriologische Aussage, "tut Buße" , und 2. eine eschatologische
Aussage, "denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen" . Die
Vorstellung vom kommenden Gottesreich war im Alten Testament fest
verwurzelt. Daß man jedoch Buße tun mußte, um in dieses Reich zu kommen,
war den Menschen neu und wurde für viele Juden zum Problem. Sie hatten
gedacht, daß ihnen als Nachkommen Abrahams das Gottesreich von selbst
offenstünde. Doch nun verkündigte Johannes, daß sie zuvor ihren Geist
und ihr Herz ändern müßten ( metanoeite , "tut Buße"). Sie hatten
überhaupt kein Gefühl mehr dafür, wie weit sie sich von Gottes Gesetz
und den Forderungen der Propheten entfernt hatten (z. B. Mal 3,7-12 ).
Den heutigen Exegeten macht dagegen der eschatologische Aspekt der
Botschaft des Täufers größere Schwierigkeiten. Nicht alle Forscher sind
sich über die Bedeutung der Aussagen von Johannes einig, selbst in
konservativen Kreisen gehen die Auffassungen auseinander. Was genau
predigte Johannes eigentlich? Er sprach von einem kommenden Gottesreich,
von einer "neuen Herrschaft", die nun anbrechen sollte. Diese Herrschaft
sollte die Herrschaft des Himmels sein: "Das Himmelreich". Wollte er
damit sagen, daß Gott von nun an im Himmel herrschen würde? Kaum
vorstellbar, denn dort hat er ja seit der Erschaffung der Welt immer
geherrscht. Johannes meinte also wohl, daß Gottes Herrschaft sich nun
auch ganz direkt auf die Erde erstrecken wird. Gottes Herrschaft über
die Erde ist nahegerückt und wird durch die Person des Messias, dem
Johannes den Weg bereiten soll, errichtet werden. Keiner der damaligen
Zuhörer fragte Johannes, wovon er eigentlich spreche, denn der Gedanke
an die Herrschaft des Messias über die Erde war den Menschen vom Alten
Testament her wohlvertraut. Bevor er jedoch Wirklichkeit werden konnte,
mußte das Volk Buße tun.
Mt 3,3-10
Durch die Botschaft des Täufers erfüllte sich die Verheißung des
Propheten Jesaja ( Jes 40,3; mit Bezügen zu Mal 3,1 ), mit der alle vier
Evangelien die Gestalt Johannes des Täufers verbinden ( Mk 1,2-3; Lk
3,4-6; Joh 1,23 ). Jes 40,3 bezieht sich gleichsam auf eine Art
"Straßenarbeiter", die dem Herrn in der Wüste einen Weg bahnen sollten,
als sein Volk im Jahre 537 v. Chr. aus der babylonischen Gefangenschaft
nach Juda zurückkehrte. Auf ähnliche Weise bereitete nun Johannes der
Täufer dem Herrn und seinem Reich den Weg in der Wüste, indem er die
Menschen dazu aufrief, sich wieder zu ihm zu kehren.
Johannes war also die Stimme eines Predigers in der Wüste , der die
Menschen seiner Zeit auf die Ankunft des Messias vorbereiten sollte. Daß
er gerade "in der Wüste von Judäa" ( Mt 3,1 ) predigte, ist auch ein
Bild dafür, daß sich seine Botschaft gegen die damals herrschenden
religiösen Vorstellungen richtete. Johannes war ähnlich gekleidet wie
Elia ( in ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel ;
vgl. 2Kö 1,8; Sach 13,4 ) und aß Heuschrecken (die Speise der Armen; 3Mo
11,22 ) und wilden Honig . Wie Elia war er ein rauher Mann der Wildnis
und verkündigte eine einfache, eindeutige Botschaft.
Viele Menschen aus Jerusalem und ganz Judäa kamen, um Johannes zu hören.
Manche akzeptierten seine Botschaft, bekannten ihre Sünden und ließen
sich mit Wasser, dem Zeichen seines Täuferamtes, taufen. Die Taufe des
Johannes entsprach nicht der christlichen Taufe; sie war ein religiöses
Ritual, ein äußeres Zeichen des Sünders, der damit seine Sünde bekannte
und sich zu einem heiligen Leben in Erwartung des Messias verpflichtete.
Doch nicht alle Menschen glaubten Johannes. Die Pharisäer und
Sadduzäer , die kamen, um einen Blick auf das Treiben dieses Mannes zu
werfen, lehnten seine Botschaft ab. Ihre Gedanken spiegeln sich in den
Worten wider, die Johannes zu ihnen sprach ( Mt 3,7-10 ). Sie glaubten,
daß ihnen, als direkten Nachkommen Abrahams, das Gottesreich sicher sei.
Dieser Überzeugung widersprach Johannes jedoch auf das entschiedenste;
er sagte, daß Gott, wenn es nötig sei, dem Abraham aus Steinen Kinder zu
erwecken vermochte. Gott konnte, wenn es erforderlich war, aus den
Außenseitern, den Heiden, Kinder Gottes machen - das Judentum war in
Gefahr, endgültig ausgelöscht zu werden. Wenn es keine rechtschaffene
Frucht der Buße (V. 8 ) gab, würde Gott den Baum fällen.
Mt 3,11-12
Auch seine Beziehung zum kommenden Messias machte Johannes ganz
deutlich: Er glaubte, daß er nicht einmal wert sei, ihm die Schuhe zu
tragen (oder zu binden). Seine Aufgabe war es lediglich, die Menschen
auf den Messias vorzubereiten und diejenigen, die ihm glaubten, mit
Wasser zu taufen. Der Kommende sollte sie dann mit dem Heiligen Geist
und mit Feuer taufen . Wer diese Worte hörte, wurde dabei vermutlich an
zwei Propheten des Alten Testaments erinnert: an Joe 3,1-2 und an Mal
3,2-5 . Joel hatte verheißen, daß der Heilige Geist über Israel kommen
werde. Dieses Ereignis wurde nach Apg 2 an Pfingsten Wirklichkeit,
allerdings ohne daß Israel daran teilhatte. Der Segen des
Pfingstgeschehens steht dem Volk jedoch noch immer offen, wenn es sich
dem Herrn bei seiner Wiederkunft zuwenden und Buße tun wird. Die Taufe
"mit Feuer" ist ein Symbol für das Gericht und die Läuterung derer, die
ins Gottesreich eingehen werden (vgl. Mal 3 ). Johannes blieb bei diesem
alttestamentlichen Bild, als er von der Worfschaufel sprach, mit der das
Getreide von der Spreu getrennt wird, wenn der Weizen in die Scheune
gesammelt und die Spreu verbrannt wird. Er wollte damit sagen, daß der
Messias, wenn er kommt, die Ernte (den Weizen) für das Königreich
einbringen und das Volk dabei läutern wird. Diejenigen, die ihn
verwerfen (die Spreu), werden gerichtet und in das
ewige, unauslöschliche Feuer geworfen werden (vgl. Mal 3,19 ).
D. Die Bestätigung Jesu als Messias
( 3,13-4,11 )
1. Die Taufe
( 3,13-17 ) ( Mk 1,9-11; Lk 3,21-22 )
Mt 3,12-14
Nachdem er jahrelang in Nazareth gelebt hatte, ohne irgendwie öffentlich
hervorzutreten, erschien Jesus eines Tages unter der Zuhörerschaft des
Johannes und wollte sich von ihm taufen lassen. Nur Matthäus berichtet,
daß Johannes sich diesem Ansinnen zunächst widersetzte: "Ich bedarf
dessen, daß ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?" Johannes
erkannte, daß Jesus seine Taufe, das Symbol für die Buße, nicht nötig
hatte. Jesus hatte nichts zu bereuen. Er war sündlos ( 2Kor 5,21; Hebr
4,15;7,26; 1Joh 3,5 ) und konnte sich daher strenggenommen der Taufe des
Johannes überhaupt nicht unterziehen, selbst wenn er es wollte. Manche
Exegeten deuten die Stelle so, daß Jesus mit seiner Handlung die Sünden
des Volkes bekannte, wie es Mose, Esra und Daniel getan hatten. Mt
3,15 legt jedoch auch noch eine andere Lösung nahe.
Mt 3,15
Jesu Antwort auf Johannes' Einwand lautete, daß er sich taufen lassen
müsse, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen . Was meinte er damit? Im
Gesetz wurde die Taufe nicht gefordert, also konnte er dabei nicht an
die levitischen Vorschriften denken. Doch in der Botschaft von Johannes
war von der Buße die Rede, und all diejenigen, die diese Botschaft
hörten und annahmen, freuten sich auf den kommenden Messias als den, der
gerecht sein und Gerechtigkeit bringen würde. Um jedoch den Sündern
Gerechtigkeit bringen zu können, mußte der Messias ihnen zuerst gleich
werden. Deshalb war es der Wille Gottes, daß Jesus von Johannes getauft
würde, damit er so den Sündern gleich würde (das ist die eigentlich
Bedeutung des Wortes "getauft").
Mt 3,16-17
Bemerkenswert an Jesu Taufe war die Bestätigung seiner Identität und
seines Amtes vom Himmel. Als Jesus getauft war, stieg er heraus aus dem
Wasser und sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich
kommen. Eine Stimme vom Himmel - die Stimme Gottes des Vaters - sprach:
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe (vgl. Eph 1,5;
Kol 1,13 ). Dieselben Worte wiederholte Gott bei der Verklärung Christi
( Mt 17,5 ). Alle drei Personen der Gottheit waren bei diesem Ereignis
anwesend: der Vater, der von seinem Sohn sprach, der Sohn, der getauft
wurde, und der Geist, der in Gestalt einer Taube auf den Sohn
herabschwebte. Für Johannes war dies die endgültige Bestätigung, daß
Jesus Gottes Sohn war ( Joh 1,32-34 ). Es stimmte außerdem mit Jesajas
Prophezeiung überein, derzufolge der Geist auf dem Messias ruhen würde
( Jes 11,2 ). Das Herabkommen des Heiligen Geistes gab dem Sohn, dem
Messias, die Vollmacht für seinen Dienst unter den Menschen.
2. Die Versuchung
( 4,1-11 ) ( Mk 1,12-13; Lk 4,1-13 )
Mt 4,1-2
Unmittelbar nach der Taufe wurde Jesus vom Geist in die Wüste
geführt (nahe bei Jericho; vgl. die Karte), damit er von dem Teufel
versucht würde . Diese Zeit, die er unter Gottes Führung verbrachte, war
eine notwendige Prüfungszeit, in der Jesus seinen Gehorsam gegenüber dem
Vater erweisen mußte ( Hebr 5,8 ).
Nachdem er vierzig Tage gefastet hatte, hungerte ihn , und die
Versuchung begann. Von Gottes Standpunkt aus waren diese Versuchungen
ein Beweis für die innere Kraft Jesu. Dem Sohn Gottes war es nicht
möglich zu sündigen - eine Tatsache, die die Prüfungen noch verschärfte.
Jesus konnte den Versuchungen nicht nachgeben und sündigen, aber er
mußte ausharren, bis sie vorüber waren.
Mt 4,3-4
Die erste Versuchung bezog sich auf sein Verhältnis zum Vater. Der
Teufel ging davon aus, daß Jesus, wenn er wirklich der Sohn Gottes war,
überredet werden könnte, unabhängig vom Vater zu handeln. Diese
Versuchung war äußerst subtil: Wenn Jesus Gottes Sohn war, hatte er
tatsächlich die Macht, Steine in Brot zu verwandeln. Das war es jedoch
nicht, was der Vater von ihm wollte. Der Vater wollte, daß er ohne
Nahrung in der Wüste bleiben und hungern sollte. Auf die Einflüsterung
des Satans einzugehen und seinen Hunger zu stillen hätte also dem Willen
Gottes widersprochen. Daher zitierte Jesus 5Mo 8,3 : "Der Mensch lebt
nicht vom Brot allein, sondern von allem, das aus dem Mund Gottes
geht." Es ist besser, Gottes Wort zu gehorchen, als seine menschlichen
Bedürfnisse zu befriedigen. Die Tatsache, daß Jesus das 5. Buch Mose
zitierte, zeigt darüber hinaus, daß er die unfehlbare Autorität dieses
Buches, die in der Forschung häufig in Zweifel gezogen wird, durchaus
anerkannte.
Mt 4,5-7
Die zweite Versuchung zielte auf die persönliche Geltungssucht. Sie
baute auf der ersten auf, denn wenn Jesus tatsächlich Gottes Sohn und
der Messias war, war er unverletzbar. Der Teufel stellte ihn auf die
Zinne des Tempels - ob das wirklich geschah, oder ob es sich nur um eine
Vision handelte, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Hier
machte er dem Messias abermals einen raffinierten Vorschlag. Er
erinnerte Jesus an die Prophezeiung Maleachis ( Mal 3,1 ), die bei den
Juden zu der gängigen Vorstellung geführt hatte, daß der Messias
plötzlich am Himmel erscheinen und zu seinem Tempel herabsteigen werde,
und fragte ihn: "Warum tust du nicht, was die Menschen erwarten, und
gibst ihnen ein großartiges Schauspiel? Schließlich sagt die Schrift,
daß die Engel Gottes dich beschützen werden und du dir nicht einmal den
Fuß verletzen wirst, wenn du hinabspringst." Der Teufel dachte wohl, er
könne die Schrift ebenso gut zitieren wie Jesus. Er gab Ps
91,11-12 jedoch mit Absicht nicht ganz korrekt wieder, sondern ließ die
entscheidende Wendung "auf allen deinen Wegen" aus. Nach dem Psalmisten
steht ein Mensch jedoch nur dann unter Gottes Schutz, wenn er den Willen
des Herrn tut. Jesus aber hätte nicht nach Gottes Willen gehandelt, wenn
er sich selbst auf diese dramatische Weise von der Zinne des Tempels
hinabgestürzt hätte, um die Menschen zu beeindrucken. Er entgegnete
daher, wieder mit Bezugnahme auf das 5. Buch Mose ( Mt 6,16 ), daß es
nicht gut sei, den Herrn zu versuchen und etwas von ihm zu erwarten,
während man selbst seinen Willen übergeht.
Mt 4,8-11
Die letzte Versuchung des Teufels betraf Jesu Auftrag und Vollmacht. Es
war und ist Gottes ausdrücklicher Wille, daß Jesus in der Welt herrscht.
Der Satan zeigte Jesus nun alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit .
Im Moment gehören sie noch ihm, dem "Gott" ( 2Kor 4,4 ) und "Fürsten
dieser Welt" ( Joh 12,31; vgl. Eph 2,2 ). Es stand also in seiner Macht,
sie Jesus zu geben - "wenn du niederfällst und mich anbetest" . Satan
sagte: "Ich kann den Willen Gottes für dich wahrmachen und dir alle
Reiche der Welt schon jetzt geben." Das hätte natürlich bedeutet, daß
Jesus nicht gekreuzigt worden wäre. Zwar hätte er vermutlich auch ohne
das Kreuz der König der Könige sein können, doch Gottes Heilsplan für
die Menschen wäre durchkreuzt worden. Außerdem hätte Jesus damit einen
unter ihm Stehenden angebetet. Er antwortete wieder mit einem Satz aus
dem 5. Buch Mose ( 5Mo 6,13 und 5Mo 10,20 ): "Du sollst anbeten den
Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen." Er widerstand also auch
dieser Versuchung.
Interessanterweise gibt es Entsprechungen zwischen den Versuchungen Jesu
in der Wüste und den Versuchungen Evas im Paradies. Zunächst setzt der
Satan bei einem physischen Bedürfnis an ( 1Mo 3,1-3; Mt 4,3 ), dann beim
Streben nach persönlichem Vorteil ( 1Mo 3,4-5; Mt 4,6 ), und schließlich
versucht er es mit dem leichten Weg zu Macht oder Ruhm ( 1Mo 3,5-6; Mt
4,8-9 ). Jedes Mal verdreht er dabei Gottes Wort ( 1Mo 3,4; Mt 4,6 ).
Auch die Versuchungen, mit denen die Menschen von heute konfrontiert
sind, fallen sicherlich oft in dieselben drei Kategorien (vgl. 1Jo
2,16 ). Der Eine jedoch, der sich selbst durch die Taufe mit den Sündern
identifiziert hatte und Gerechtigkeit bringen sollte, bewies, daß er
selbst gerecht war und zu Recht vom Vater bestätigt worden war. Der
Teufel verließ ihn endlich, und sofort traten Engel zu ihm und dienten
ihm .
II. Der Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa
( 4,12-7,29 )
A. Die ersten Taten Jesu
( 4,12-25 )
1. Im Wort
( 4,12-22 ) ( Mk 1,14-20; Lk 4,14-15 )
a. Seine Predigt
( 4,12-17 )
Mt 4,12-16
Matthäus' Hinweis, daß Jesus sein öffentliches Amt erst antrat,
nachdem Johannes der Täufer gefangengesetzt worden war , liefert uns
eine wichtige Information über den zeitlichen Ablauf der Ereignisse. Der
Grund für die Gefangennahme des Johannes wird hier nicht genannt, kommt
aber später zur Sprache ( Mt 14,3 ). Als Jesus erfuhr, daß Johannes im
Gefängnis saß, verließ er Nazareth und ging nach Kapernaum ( Lk
4,16-30 erklärt, warum er Nazareth verließ). In dieser Region hatten
sich nach den Eroberungen zur Zeit Josuas die Stämme Sebulon und
Naftali angesiedelt. Jesaja hatte prophezeit ( Jes 8,23-9,1 ), daß
ein Licht in dieses Land kommen werde, und Matthäus sah im Ortswechsel
Jesu die Erfüllung dieser Verkündigung. Eine der Aufgaben des Messias
war es ja, Licht in die Dunkelheit zu bringen, für die Juden wie für die
Heiden (vgl. Joh 1,9;12,46 ).
Nach der Gefangennahme des Täufers fing Jesus an zu predigen . Was er
sagte, klang nicht neu: "Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe
herbeigekommen!" (vgl. Mt 3,2 ). Der Messias nahm die zweiteilige
Botschaft des Johannes auf. Das Werk Gottes näherte sich der Errichtung
des herrlichen Gottesreiches auf Erden. Wer in diesem Reich leben
wollte, mußte Buße tun. Ohne Buße war keine Gemeinschaft mit Gott
möglich.
b. Die Berufung der Jünger
( 4,18-22 ) ( Mk 1,16-20; Lk 5,1-11 )
Mt 4,18-22
Da Jesus der verheißene Messias war, hatte er das Recht, Menschen aus
ihrem normalen Leben herauszureißen und sie aufzufordern, ihm
zu folgen . Es war nicht das erste Mal, daß diese Menschen mit Jesus zu
tun hatten; das vierte Evangelium enthält eine Anspielung auf eine
frühere Begegnung zwischen Jesus und einigen seiner späteren Jünger
( Joh 1,35-42 ). Diesmal rief Jesus die Fischer jedoch dazu auf, ihren
Beruf aufzugeben und für immer mit ihm zu ziehen. Er wollte sie von
Fischern zu Menschenfischern machen. Die Botschaft des kommenden
Gottesreiches mußte überall verkündet werden, damit viele sie hören und,
nachdem sie Buße getan hatten, dieses Reiches teilhaftig werden konnten.
Doch die Berufung hatte auch ihren Preis: Sie forderte nicht nur den
Verzicht auf den Beruf, sondern auch auf alle Familienbindungen. So
berichtet Matthäus von Jakobus und Johannes , daß sie nicht nur ihr
Boot, sondern auch ihren Vater verließen und Jesus nachfolgten.
2. In Taten
( 4,23-25 ) ( Lk 6,17-19 )
Mt 4,23
Jesu Wirken beschränkte sich jedoch nicht nur auf das Predigen. Seine
Taten waren ebenso wichtig wie seine Worte, denn eine der ersten Fragen
der Juden würde sein: "Kann dieser Mann, der behauptet, der Messias zu
sein, auch die Werke eines Messias vollbringen?" Mt 4,23 faßt deshalb
das ganze Spektrum der Tätigkeit Jesu in einen einzigen Satz zusammen,
der für Matthäus' ganze Darstellung entscheidend ist (vgl. die fast
wörtliche Übereinstimmung zwischen Mt 9,35 und Mt 4,23 ). Es sind
mehrere wichtige Elemente, die in diesem Vers zusammengetragen sind:
1. Und Jesus zog umher in ganz Galiläa (und) lehrte in ihren Synagogen .
Der Wirkungskreis des Mannes, der für sich den Anspruch erhob, der König
der Juden zu sein, war also die jüdische Gesellschaft. Er trat in
Synagogen auf, dem Ort, an dem sich die Juden zum Gottesdienst
versammelten. 2. Er lehrte und predigte und übte damit auch das Amt
eines Propheten aus - er war der "Prophet", von dem im 5. Buch
Mose 18,15-19 die Rede ist. 3. Er verkündigte das Evangelium von dem
Reich . Seine Botschaft lautete, daß Gott seinen Bund mit Israel nun
erfüllen und sein Reich auf Erden errichten werde. 4. Er heilte alle
Krankheiten und alle Gebrechen im Volk (vgl. die Verben "lehren",
"predigen" und "heilen" in Mt 9,35 ). Das wies ihn als "echten"
Propheten aus, dessen Worte durch die entsprechenden Zeichen bestätigt
wurden. Alle diese Handlungen hätten die Juden überzeugen sollen, daß
die Erfüllung der Verheißung gekommen war. An ihnen war es nun, Buße zu
tun und Jesus als den Messias anzuerkennen.
Mt 4,24-25
Das Wirken Jesu - und wahrscheinlich auch die Taten der vier Männer, die
er berufen hatte (V. 18-22 ) - blieb offensichtlich nicht unbeachtet.
Die Menschen hörten davon und begannen zu ihm zu strömen. Die Kunde von
ihm erscholl durch ganz Syrien , das Gebiet nördlich von Galiläa. Die
Menschen brachten alle möglichen Kranken zu ihm, und Jesus machte sie
gesund . Kein Wunder, daß ihm eine große Menge aus Galiläa, aus den Zehn
Städten (ein Gebiet östlich und südlich des Sees Genezareth), aus
Jerusalem, aus Judäa und von jenseits (westlich) des Jordan (vgl. die
Karte "Palästina zur Zeit Jesu") folgte.
B. Die Fortsetzung des Predigtamtes
( Mt 5-7 )
1. Die Untertanen in Jesu Königreich
( 5,1-16 )
a. Ihre Gesinnung
( 5,1-12 ) ( Lk 6,17-23 )
Mt 5,1-12
Als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten (vgl. Mt 4,25 ), ging
er auf einen Berg und setzte sich . Die Rabbis pflegten sich stets zu
setzen, wenn sie lehrten. Seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen
Mund auf und lehrte sie . Mt 5-7 wird als "die Bergpredigt" bezeichnet,
weil Jesus auf einem Berg zu den Menschen sprach. Die genaue Lage dieses
Berges ist nicht bekannt, er lag jedoch zweifellos in Galiläa ( Mt
4,23 ), wahrscheinlich nahe bei Kapernaum, an einem Ort, der "eben" war
( Lk 6,17 ). Mit "Jünger" sind hier nicht die Zwölf gemeint, wie manche
glauben, sondern die Menge , die ihm folgte (vgl. Mt 7,28 ,"das Volk
entsetzte [sich] über seine Lehre").
Jesus formulierte seine Aussagen im Hinblick auf das Kommen des
verheißenen Reiches ( Mt 4,17 ). Angesichts dieser Verheißung fragte
sich natürlich jeder Jude: "Bin ich auserwählt für das Reich des
Messias? Bin ich gerecht genug, in das Reich einzugehen?" Der einzige
Maßstab für Gerechtigkeit, den die Menschen kannten, war das, was die
religiösen Lehrer, die Schriftgelehrten und Pharisäer, ihnen sagten. Nun
wollten sie wissen, ob jemand, der sich nach diesen Anweisungen
richtete, des Reiches Gottes würdig war. Jesu Worte müssen also im
Kontext seiner Ankündigung des Gottesreiches und der Forderung nach Buße
gesehen werden. Er legte keine "Verfassung" des Reiches vor und
beschrieb auch keinen bestimmten Weg zum Heil. Seine Predigt zeigte
vielmehr, wie ein Mensch, der in der richtigen Beziehung zu Gott steht,
leben soll . Die gesamte Textstelle muß daher zwar einerseits im Licht
der Verkündigung des messianischen Reiches verstanden werden, sie gilt
jedoch zugleich auch fürdie heutigen Christen als Maßstab für das, was
Gott eigentlich von seinem Volk erwartet. Unter den Aussagen der
Bergpredigt sind allgemeinere (z. B. "Ihr könnt nicht Gott dienen und
dem Mammon" [ Mt 6,24 ]) und spezifische (z. B. "Und wenn dich jemand
nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei" [ Mt 5,41 ]).
Daneben gibt es Feststellungen, die sich auf die Zukunft beziehen (z. B.
"Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht
in deinem Namen geweissagt?" [ Mt 7,22 ]).
Jesus begann seine Predigt mit den sogenannten "Seligpreisungen",
Aussagen, die mit der Wendung "selig sind" beginnen. "Selig" heißt hier
"glücklich" oder "wohl dem" (vgl. Ps 1,1 ). Die Eigenschaften, die Jesus
in seiner Aufzählung mit den Seligpreisungen verknüpft, "geistlich arm",
"leidgeprüft", "sanftmütig" usw., haben ganz offensichtlich mit der
Gerechtigkeit der Pharisäer nichts zu tun. Ihnen ging es in erster Linie
um äußerliche Eigenschaften; die Eigenschaften, von denen Jesus spricht,
sind jedoch innerer Art. Sie erwachsen nur aus der engen Beziehung zu
Gott im Glauben, aus dem völligen Vertrauen auf ihn.
Die geistlich Armen ( Mt 5,3 ) sind die, die sich ganz bewußt auf Gott,
nicht auf sich selbst, verlassen; sie sind innerlich "arm", d. h. sie
besitzen von sich aus nicht die Fähigkeit, Gott zu gefallen (vgl. Röm
3,9-12 ). Die da Leid tragen ( Mt 5,4 ), erkennen, was ihnen fehlt, und
gehen damit vor Gott, der ihnen helfen kann. Die Sanftmütigen (V. 5 )
sind wahrhaft demütig und freundlich und überschätzen sich nicht. Die da
hungert und dürstet nach Gerechtigkeit ( Mt 5,6 ), haben geistlichen
Hunger, den ständigen Wunsch nach persönlicher Gerechtigkeit.
Die Barmherzigen (V. 7 ) sind barmherzig gegenüber anderen und geben so
Gottes Gnade weiter, die sie an sich selbst erfahren haben. Die reinen
Herzens sind (V. 8 ), sind die, die innerlich frei von Sünden sind, weil
sie an Gottes Liebe und Fürsorge glauben und sich zugleich immer ihrer
Sünden bewußt sind. Die Friedfertigen (V. 9 ) zeigen anderen, was
innerer Friede mit Gott bedeutet und wie man ein Werkzeug des Friedens
in der Welt sein kann. Sie ersehnen und besitzen Gottes Gerechtigkeit,
auch dann, wenn sie dafür verfolgt werden (V. 10 ).
All diese Eigenschaften stehen in schroffem Kontrast zur "Gerechtigkeit"
der Pharisäer. Die Pharisäer waren nicht "geistlich arm", sie "trugen"
auch nicht "Leid", denn sie wußten keineswegs, was ihnen fehlte. Sie
waren stolz und hart, nicht demütig und freundlich. Sie waren der
Überzeugung, daß sie die Gerechtigkeit gepachtet hatten und hungerten
und dürsteten nicht danach. Ihnen lag mehr an der "Gesetzlichkeit"
Gottes und an der Einhaltung ihrer eigenen Gesetze als daran,
Barmherzigkeit zu üben. Ihre Frömmigkeit war rein äußerlich, und ihr
Wirken brachte Spaltung statt Frieden unter die Juden. Ganz sicher
besaßen sie nicht die wahre Gerechtigkeit. Die Anhänger Jesu jedoch, die
diese Eigenschaften besitzen, werden Erben des Himmelreiches (V. 3.10 )
auf Erden (V. 5 ). Sie empfangen geistlichen Trost (V. 4 ), ihr
Gerechtigkeitshunger wird gestillt, und sie erfahren Barmherzigkeit von
Gott und anderen Menschen (V. 7 ). Sie werden Gott schauen (V. 8 ), d.
h. Jesus Christus, der Gott ist, "offenbart im Fleisch" ( 1Tim
3,16; vgl. Joh 1,18;14,7-9 ), und Gottes Kinder heißen ( Mt
5,9; vgl. Gal 3,26 ), denn sie haben teil an seiner Gerechtigkeit ( Mt
5,10 ).
Menschen, die so sind, heben sich von der Menge ab und werden nur in den
seltensten Fällen verstanden. Daher werden sie häufig verfolgt oder
verleumdet (V. 11 ). Gerade diese Menschen ermutigte Jesus jedoch, denn
ihnen ergeht es wie den Propheten, die ebenfalls mißverstanden und
verfolgt wurden (V. 12 ; vgl. 1Kö 19,1-4;22,8; Jer 26,8-11; 37,11-16;
38,1-6; Dan 3;6; Am 7,10-13 ).
b. Ihr Einfluss
( 5,13-16 ) ( Mk 9,50; Lk 14,34-35 )
Mt 5,13-16
Um den Einfluß, den solche Menschen in der Welt haben,
zuveranschaulichen, benutzte Jesus zwei bekannte Bilder: Salz und
Licht . Die Anhänger Jesu sollen wie Salz sein und bei anderen den Durst
nach weiterer Information wecken. Wenn jemand einen ganz besonderen
Menschen sieht, der in bestimmten Bereichen überlegene Qualitäten
besitzt, möchte er im allgemeinen herausfinden, was diesen Menschen so
anders macht. Eine andere Deutungsmöglichkeit ist, daß das Salz, die
Kinder Gottes, als Schutz vor dem Schlimmen in der Gesellschaft wirkt.
Welcher Ansicht auch immer man hier zuneigt, entscheidend ist, daß das
Salz seine Würze behält. Wenn es nicht mehr salzt , hat es seinen
Daseinszweck verloren und wird weggeschüttet.
Die wichtigste Eigenschaft des Lichtes ist es, zu leuchten und den Weg
zu weisen. Die in Vers 3-10 beschriebenen Menschen besitzen diese
Eigenschaft offensichtlich. Ihr Wirken ist so deutlich erkennbar, wie
eine Stadt, die auf einem Berge liegt oder ein Licht auf einem
Leuchter . Ein verborgenes Licht, das unter einen Scheffel (ein
Tongefäß, mit dem man Getreide abmaß) gesetzt ist, wäre nutzlos. Die
Licht verbreitenden Menschen aber leben so, daß andere ihre guten Werke
sehen und dafür nicht sie, sondern ihren Vater im Himmel loben. (In
V. 16 spricht Jesus zum ersten Mal von "eurem [oder "unserem" oder
"meinem"] Vater im Himmel", "eurem himmlischen Vater" und "eurem Vater"
- eine Wendung die insgesamt fünfzehnmal in der Bergpredigt auftaucht.
Vgl. auch V. 45.48 ; Mt 6,1.4.6.8-9.14-15.18.26.32; 7,11.21 . Wer in
Gottes Gerechtigkeit steht, weil er an ihn glaubt, hat eine enge
geistliche Beziehung zu ihm, wie ein Kind zu einem liebenden Vater.)
2. Der Kern seiner Botschaft
( 5,17-20 )
Mt 5,17-20
Dieser Abschnitt enthält den Kern der Botschaft Jesu - er zeigt seine
Haltung gegenüber dem Gesetz. Jesus stellte nicht etwa ein "Gegengesetz"
zum mosaischen Gesetz und zu den Worten der Propheten auf, sondern
demonstrierte, wie die wirkliche Erfüllung des Gesetzes und der
Propheten - im Gegensatz zu den Traditionen der Pharisäer - aussah. "Das
Gesetz und die Propheten" stehen hier stellvertretend für das ganze Alte
Testament (vgl. Mt 7,12;11,13;22,40; Lk 16,16; Apg 13,15;24,14;28,23;
Röm 3,21 ). Das Wort "wahrlich" aus der Wendung "wahrlich, ich sage
euch" , ist die Übersetzung von "Amen". (Das griechische amEn ist eine
Übertragung des hebräischen ?Aman , "stark, wahr sein".) Dieses
"wahrlich, ich sage euch" leitet eine feierliche Aussage ein, auf die
die Hörer besonders achten sollen. Sie kommt allein im
Matthäusevangelium 31mal vor. (Im Johannesevangelium wird das
griechische Wort stets wiederholt: "Amen, Amen". Vgl. den Kommentar
zu Joh 1,51 .)
Die Erfüllung, von der Jesus sprach, war so vollständig, daß sie auch
den kleinsten hebräischen Buchstaben , das "Jota" ( yND ), und das
kleinste Zeichen der hebräischen Schrift, das "Tüpfelchen" , mit
einschloß. Im Deutschen entspräche das Jota etwa dem Punkt über dem "i"
(es sieht aus wie ein Apostroph), während einem "Tüpfelchen" dieselbe
Bedeutung zukommt wie dem kleinen Schrägstrich, der ein "R" von einem
"P" unterscheidet. Solch winzige Details sind deshalb so wichtig, weil
Wörter aus Buchstaben bestehen und schon die kleinste Veränderung eines
Buchstabens die Bedeutung des ganzen Wortes verändern kann. Jesus sagte,
er werde durch seinen Gehorsam das Gesetz und die Vorhersagen der
Propheten über den Messias und sein Königreich vollständig erfüllen .
Doch es ging darum, daß auch die Menschen ihren Teil beitrugen. Die
Gerechtigkeit, nach der sie ständig strebten - die der Schriftgelehrten
und Pharisäer -, genügte nicht, um in das Reich, von dem Jesus sprach,
zu kommen. Der Messias verlangte mehr als nur äußerliche
Rechtschaffenheit, er forderte eine wirkliche innere Gerechtigkeit, die
auf dem Glauben an GottesWort aufbaut ( Röm 3,21-22 ). Das wird in
seinen weiteren Ausführungen ganz deutlich.
3. Die Umsetzung seiner Botschaft
( 5,21-7,6 )
a. Die neuen Gebote
( 5,21-48 )
Jesus verwarf die Überlieferungen der Pharisäer (V. 21-48 ) und ihre
Praktiken ( Mt 6,1-7,6 ). Sechsmal kehrt die Wendung wieder: "Ihr habt
gehört, daß zu den Alten gesagt ist ... ich aber sage euch" ( Mt
5,21-22.27-28.31-32.33-34.38-39.43-44 ). Er legte also jeweils zunächst
dar, was die Pharisäer und Schriftgelehrten den Menschen sagten, und
führte dann aus, was Gott, im Gegensatz dazu, eigentlich mit dem Gesetz
bezweckte. Jesus erläuterte damit seine zuvor gemachte Aussage (V. 20 ),
daß die Gerechtigkeit der Pharisäer nicht ausreiche, um in das kommende
Gottesreich zu gelangen.
Mt 5,21-26
Gleich im ersten Beispiel geht es um ein sehr wichtiges Gebot: "Du
sollst nicht töten" ( 2Mo 20,13 ). Die Pharisäer lehrten, daß einen Mord
begeht, wer einem anderen das Leben nimmt. Jesus dagegen verbot nicht
nur die Tat selbst, sondern auch die innere Einstellung, die einer
solchen Handlung zugrunde liegt. Natürlich ist Mord etwas Schlimmes,
doch schon der Zorn, der möglicherweise zur Tat führt, ist genauso
schlimm wie der Griff zum Messer. Ja selbst das Zürnen und
Sich-Überheben über einen anderen, das sich darin ausdrückt, daß man ihm
Schimpfworte an den Kopf wirft (wie etwa das aramäische "Raca" - "Du
Narr" ), ist ein Zeichen für ein sündiges Herz. Wer so etwas tut, ist
offensichtlich ein Sünder und daher dem höllischen Feuer verfallen
("Hölle" heißt wörtlich "Gehenna"; vgl. Mt 5,29-30; 10,28; 18,9;
23,15.33; sieben der insgesamt elf Verweise auf die "Gehenna" stehen im
Matthäusevangelium). "Gehenna" ist ein Synonym für das Hinnomtal, das
südlich von Jerusalem lag und wo in einem ständig brennenden Feuer die
Abfälle der Stadt verbrannt wurden. Es wurde zu einem beliebten Bild für
die ewige Strafe, der die Bösen entgegengingen.
Ausschlaggebend ist also die innere Haltung des Menschen, die "in
Ordnung gebracht" werden muß. Brüder sollten sich versöhnen, wobei es
gleichgültig ist, ob der "Unschuldige" ( Mt 5,23-24 ) oder der
"Ankläger" (V. 25-26 ) den ersten Schritt tut. Ohne eine solche
Versöhnung bedeuten alle Gaben, die auf dem Altar dargebracht werden,
nichts. Schon auf dem Weg zum Gerichtshof soll ein Beklagter versuchen,
sein Problem mit seinem Nächsten zu lösen, andernfalls sollte ihn der
Hohe Rat, der aus 70 Mitgliedern bestehende jüdische Gerichtshof, ins
Gefängnis werfen, bis er den letzten Pfennig bezahlt hat .
Matthäus
Mt 5,27-30
In seinem zweiten praktischen Beispiel setzte sich Jesus mit dem Problem
des Ehebrechens ( 2Mo 20,14 ) auseinander. Die Lehren der Pharisäer
bezogen sich auch hier wieder nur auf den äußerlichen Tatbestand.
Ehebruch war danach als sexuelle Vereinigung mit einem anderen Mann oder
einer anderen Frau definiert. Diese Definition gab zwar das Gebot
korrekt wieder, verfehlte jedoch seinen eigentlichen Sinn. Ehebruch
beginnt im Herzen eines Menschen ( "Wer ... ansieht, ... zu begehren" )
und wird erst dann zur Tat. Dieses Begehren, das ein ebenso großes
Vergehen ist wie die Tat, ist ein Zeichen dafür, daß die Beziehung zu
Gott nicht in Ordnung ist.
Mt 5,29-30
wurde häufig mißverstanden. Jesus sprach natürlich nicht von der
Verstümmelung als Lösung, denn ein Blinder kann mit dem körperlichen
Begehren ebenso große Probleme haben wie ein Sehender, und ein Mann, der
nur eine Hand besitzt, kann auch mit ihr allein sündigen. Es ging ihm
vielmehr um die Beseitigung der inneren Ursache für das Vergehen. Wenn
ein begehrendes Herz zum Ehebruch führt, so muß das Herz geändert
werden. Nur eine solche innere Wandlung kann vor der Hölle ("Gehenna";
vgl. V. 22 ) retten.
Matthäus
Mt 5,31-32
( Mt 19,3-9; Mk 10,11-12; Lk 16,18 ): Unter den jüdischen Lehrern gab es
zwei unterschiedliche Haltungen zur Scheidung ( 5Mo 24,1 ). Die Anhänger
von Hillel vertraten die Auffassung, es sei einem Ehemann grundsätzlich
gestattet, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, die andere Gruppe
(die Anhänger Shammais) sagten, die Scheidung sei nur bei schweren
Vergehen erlaubt. Jesus dagegen lehrte, daß die Ehe vor Gott
unauflöslich ist und nicht durch die Scheidung beendet werden sollte.
Die "Ausnahmeregel", es sei denn wegen Ehebruchs ( porneias ), wird von
den Bibelforschern unterschiedlich ausgelegt. Hier seien vier
verschiedene Deutungsversuche genannt: 1. Ein einziger Ehebruch. 2.
Untreue in der Verlobungszeit ( Mt 1,19 ). 3. Heirat zwischen nahen
Verwandten ( 3Mo 18,6-18 ). 4. Fortgesetzte Promiskuität. (Vgl. den
Kommentar zu Mt 19,3-9 .)
Mt 5,33-37
Danach nahm Jesus Stellung zum Schwören ( 3Mo 19,12; 5Mo 23,22 ). Die
Pharisäer waren bekannt dafür, daß sie bei jeder Gelegenheit Schwüre
ablegten. Sie ließen sich jedoch stets ein Hintertürchen offen. Wenn sie
Dinge, die sie beim Himmel, bei der Erde, bei Jerusalem oder bei ihrem
Haupt geschworen hatten, nicht mehr halten wollten, behaupteten sie
einfach, daß die Eide, da sie ja nicht bei Gott selbst geschworen
hatten, nicht bindend seien.
Jesus hielt dagegen, daß Schwüre ohnehin überflüssig sein müßten: "Ich
aber sage euch, daß ihr überhaupt nicht schwören sollt" . Die Tatsache,
daß überhaupt geschworen wurde, war nichts anderes als ein Zeichen für
die Schlechtigkeit des menschlichen Herzens. Davon abgesehen ist das
Schwören beim Himmel, bei der Erde , (oder) bei Jerusalem jedoch
durchaus als bindend zu betrachten, da es sich dabei um Gottes Thron,
den Schemel seiner Füße und um seine Stadt handelte und ja selbst die
Farbe des Haupthaars der Menschen von Gott festgelegt ist ( Mt 5,36 ).
Trotzdem reagierte Jesus, wie auch Paulus ( 2Kor 1,23 ), bei einer
späteren Gelegenheit auf einen Schwur ( Mt 26,63-64 ). Nach den Worten
des Herrn sollte das Leben eines Menschen eine ausreichende Gewähr für
seine Worte sein. Ein "Ja" soll stets ja und
ein "Nein" stets nein bedeuten. Jakobus scheint dieses Wort des Herrn in
seinem Brief wiederaufgenommen zu haben ( Jak 5,12 ).
Mt 5,38-42
( Lk 6,29-30 ): Die Worte "Auge um Auge, Zahn um Zahn" stehen mehrmals
im Alten Testament ( 2Mo 21,24; 3Mo 24,20; 5Mo 19,21 ); sie werden
die lex talionis , das Gesetz der Vergeltung, genannt. Dieses Gesetz
sollte die Unschuldigen schützen und sicherstellen, daß die Vergeltung
nicht schlimmer ausfiel als das Vergehen. Nach den Worten Jesu haben die
wirklich Gerechten es jedoch überhaupt nicht nötig, auf ihr Recht zu
bestehen. Ein Gerechter zeichnet sich durch Demut und Selbstlosigkeit
aus. Er wird um des Friedens willen "zwei Meilen" mitgehen, wenn nur
eine verlangt ist. Wenn ihm Unrecht getan und er auf
eine Backe geschlagen wird, wenn er seines Rockes (das Unterkleid; das
Überkleid war der Mantel ) beraubt oder gezwungen wird, mit
jemandem eine Meile mitzugehen , so wird er nicht zurückschlagen, Ersatz
verlangen oder die Bitte ablehnen. Statt Vergeltung zu suchen, wird er
das Gegenteil tun und seinen Fall dem Herrn überlassen, der eines Tages
alles in Ordnung bringen wird (vgl. Röm 12,17-21 ). Das größte Beispiel
für diese Haltung ist das Leben des Herrn selbst, wie Petrus später
darlegte ( 1Pet 2,23 ).
Mt 5,43-48
( Lk 6,27-28.32-36 ) Die Pharisäer lehrten, daß man diejenigen, die
einem nah und lieb sind, lieben ( 3Mo 19,18 ), aber den Feinden Israels
Haß entgegenbringen solle. Sie sahen ihren Haß als Werkzeug der
göttlichen Vergeltung an ihren Feinden . Doch Jesus stellte die
revolutionäre Forderung, daß Israel Gottes Liebe sogar an seinen Feinden
beweisen solle - eine Haltung, die weit über das im Alten Testament
Verlangte hinausging! Gott liebt die Menschen; er läßt seine Sonne
aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und
Ungerechte , damit sie säen und ernten können. Da seine Liebe jedem
gilt, sollte auch Israel ein Werkzeug seiner Liebe sein und alle
Menschen lieben. In einer solchen Liebe erweist sich die
Gotteskindschaft des Volkes (vgl. Mt 5,16 ). Nur diejenigen zu
lieben, die euch lieben, und nur zu euren Brüdern freundlich zu sein,
ist dagegen nicht mehr, als die Zöllner und Heiden tun - eine bittere
Bemerkung für die Pharisäer!
Jesus schloß diesen Abschnitt mit dem Wort: "Darum sollt ihr vollkommen
sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." Seine Botschaft machte
klar, was Gerechtigkeit eigentlich ist: Gott selbst ist der Maßstab für
die wahre Gerechtigkeit. Wer gerecht sein will, muß also sein, wie Gott
ist: "vollkommen", das heißt fehlerlos ( teleioi ) oder heilig. Mord,
Begierde, Haß, Betrug und Rache haben bei Gott keinen Platz. Die
Anforderungen werden für die Menschen auch nicht niedriger angesetzt, um
ihnen die Erfüllung leichter zu machen - Gottes absolute Heiligkeit
bleibt die Richtschnur. Obwohl kein Mensch dieses Ziel von sich aus
erreichen kann, erfreut sich der, der im Glauben auf Gott vertraut, doch
der Gerechtigkeit Gottes, die sich in seinem Leben widerspiegelt.
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