Stoiker


Die Stoiker
Die Kyniker waren von großer Bedeutung für die stoische Philosophie, die um das Jahr 300 v. Chr. in Athen aufkam. Ihr Begründer war Zenon, der ursprünglich aus Zypern kam, der sich aber nach einem Schiffbruch den Stoikern in Athen anschloß. Er versammelte seine Zuhörer in einem Säulengang. Der Name Stoiker kommt vom griechischen Wort für »Säulengang« (Stoa). Der Stoizismus sollte später für die römische Kultur große Bedeutung erlangen.

158
Wie Heraklit meinten die Stoiker, daß alle Menschen an der selben Weltvernunft — oder am selben »Logos« - teilhätten. Sie hielten jeden Menschen für eine Welt im Miniaturformat, einen

»Mikrokosmos«, der den »Makrokosmos« widerspiegelt.
Das führte zu dem Gedanken an ein allgemeingültiges Recht, das sogenannte Naturrecht.
Das Naturrecht gründet auf der zeit losen Vernunft des Menschen und des Universums und ändert sich deshalb nicht mit Zeit und Ort.
Hier ergriffen sie also mit Sokrates Partei gegen die Sophisten.

Das Naturrecht gilt für alle Menschen, auch für die Sklaven. Die Gesetzeswerke der verschiedenen Staaten galten den Stoikern als unvollständige Nachahmungen eines Rechtes, das in der Natur selber begründet liegt.

Wie die Stoiker den Unterschied zwischen dem einzelnen Menschen und dem Universum auswischten, stritten sie auch einen Gegensatz zwischen »Geist« und »Stoff« ab. Es gibt nur eine Natur, meinten sie. Eine solche Auffassung nennen wir Monismus (im Gegensatz zum Beispiel zu Platons klarem Dualismus, der Zweiteilung der Wirklichkeit).

Als echte Kinder ihrer Zeit waren die Stoiker ausgeprägte »Kosmopoliten«. Sie waren also offener für die zeitgenössische Kultur als die »Tonnenphilosophen« (die Kyniker). Sie wiesen auf die Gemeinschaft der Menschen hin, interessierten sich für Politik, und einige von ihnen waren aktive Staatsmänner, zum Beispiel der römische Kaiser Marc Aure/(121 -180). Sie trugen dazu bei, in Rom griechische Kultur und Philosophie zu verbreiten, was besonders für den Redner, Philosophen und Politiker Cicero (106-43 V. Chr.) gilt. Er prägte den Begriff Humanismus für eine Weltanschauung, die den einzelnen Menschen in den Mittel punkt rückt. Der Stoiker Seneca (4 v. Chr. - 65 n. Chr.) schrieb einige Jahre später, der Mensch sei dem Menschen heilig. Das wurde für die Nachwelt zu einer Art Schlagwort des Humanis
mus.
   Außerdem betonten die Stoiker, daß alle Naturprozesse-zum Beispiel Krankheit und Tod - den unwandelbaren Gesetzen der
159
Natur folgen. Der Mensch muß daher lernen, sich mit seinem Schicksal zu versöhnen. Nichts geschieht zufällig, meinten sie. Alles geschieht notwendigerweise, und es hilft wenig, seine Not zu bejammern, wenn das Schicksal an die Tür klopft. Auch die glücklichen Umstände des Lebens muß der Mensch mit größter Ruhe hinnehmen. Hier sehen wir die Verwandtschaft mit den Kynikern, die alle Äußerlichkeiten für gleichgültig hielten. Noch heute sprechen wir von »stoischer Ruhe«, wenn sich ein Mensch nicht von seinen Gefühlen mitreißen läßt.


Die Epikureer
Wie wir gesehen haben, wollte Sokrates herausfinden, wie der Mensch ein gutes Leben leben kann. Kyniker und Stoiker inter pretierten ihn dahingehend, daß der Mensch sich vom materiel len Luxus befreien muß. Aber Sokrates hatte auch einen Schüler namens Aristippos. Aristippos hielt es für das Ziel des Lebens, so viel sinnlichen Genuß wie möglich zu erlangen. Das höchste Gut sei die Lust, sagte er, das größte Übel der Schmerz. Deshalb wollte er eine Lebenskunst entwickeln, die jeder Form von Schmerzen auswich. (Das Ziel von Kynikern und Stnikpm war es, alle Formen von Schmerzen auszubalten. Es ist etwas anderes, alles daranzusetzen, um Schmerzen aus dem Weg zu gehen.)
Um das Jahr 30ov. Chr. begründete fp/kur (341 -270) in Athen eine philosophische Schule (die Epikureer). Er entwickelte Ari stippos Lustethik weiter und kombinierte sie mit Demokrits Atomlehre.
Angeblich trafen sich die Epikureer in einem Garten. Deshalb wurden sie auch als »Gartenphilosophen« bezeichnet. Über dem Gartentor soll gestanden haben: »Fremder, hier wirst du es gut haben. Hier ist die Lust das höchste Gut.«
Epikur stellte klar, daß das lustvolle Ergebnis einer Handlung immer mit ihren eventuellen Nebenwirkungen verglichen wer den muß. Wenn Du je zuviel Schokolade gegessen hast, ver-
160stehst Du, was ich meine. Wenn nicht, dann gebe ich Dir fol gende Hausaufgabe auf: Nimm Deine Sparbüchse und kauf Dir für hundert Kronen Schokolade. (Ich gehe davon aus, daß Du gern Schokolade ißt.) Bei dieser Aufgabe kommt es darauf an, daß Du die ganze Schokolade auf einmal ißt. Etwa eine halbe Stunde nach Verzehr dieser vielen köstlichen Schokolade wirst du begreifen, was Epikur mit »Nebenwirkungen« gemeint hat.
Epikur wollte ebenfalls ein kurzfristiges lustvolles Resultat mit einer größeren, dauerhafteren oder intensiveren Lust auf längere Sicht vergleichen. (Es ist zum Beispiel denkbar, daß Du be schließt, ein Jahr lang keine Schokolade zu essen, weil Du lieber Dein ganzes Taschengeld für ein neues Fahrrad oder eine Aus landsreise sparst.) Im Gegensatz zu Tieren hat der Mensch näm lich die Möglichkeit, sein Leben zu planen. Er hat die Fähigkeit, eine »Lustberechnung« anzustellen. Leckere Schokolade ist natürlich ein Wert, aber das sind auch das Fahrrad und die Reise nach England.
Epikur betonte aber auch, daß »Lust« nicht unbedingt das selbe ist wie sinnlicher Genuß —zum Beispiel Schokolade. Auch die Freundschaft und das Erlebnis eines Kunstwerks können lust voll sein. Eine Voraussetzung für den Genuß des Lebens sind au ßerdem alte griechische Ideale wie Selbstbeherrschung, Mäßig keit und Gemütsruhe. Denn die Begierde muß gezügelt werden. Auf diese Weise wird uns die Gemütsruhe auch helfen, Schmer zen zu ertragen.
Oft waren es Menschen mit religiösen Ängsten, die Epikurs Garten aufsuchten. In diesem Zusammenhang war Demokrits Atomlehre ein nützliches Mittel gegen Religion und Aberglau ben. Um ein gutes Leben zu führen, ist es nicht zuletzt wichtig, daß wir die Angst vor dem Tod überwinden. In dieser Frage griff Epikur auf Demokrits Lehre der »Seelenatome« zurück. Du er innerst Dich vielleicht noch daran, daß Demokrit nicht an ein Leben nach dem Tode glaubte, weil sich bei unserem Tod die
»Seelenatome« nach allen Seiten zerstreuen.
»Warum sollte man Angst vor dem Tode haben?« sagte Epikur.

161
»Denn solange wir sind, ist der Tod nicht da, und sobald er da ist, sind wir nicht mehr.« (So gesehen hat es eigentlich keinen Menschen je gequält, tot zu sein.)

Epikur selber fasste mit dem, was er das vierfache Heilmittel nannte,
seine befreiende Philosophie zusammen:

Die Götter brauchen wir nicht zu fürchten.
Über den Tod brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.
Das Gute ist leicht zu erlangen.
Das Furchtbare ist leicht zu ertragen.

In Griechenland war es nichts Neues, die Aufgabe des Philosophen mit der des Arztes zu vergleichen.

Der Mensch muß sich demzufolge mit einer »philosophischen Reiseapotheke« ausrü sten, die, wie gesagt, vier wichtige Medizinen enthält.

Im Gegensatz zu den Stoikern interessierten sich die Epikureer nur wenig für Politik und Gesellschaft. »Lebe im Verborgenen!« lautete Epikurs Rat. Wir können seinen Garten vielleicht mit heu tigen Wohngemeinschaften vergleichen. Auch in unserer Zeit suchen viele in der großen Gesellschaft eine Insel oder einen
»Nothafen«.
Nach Epikur entwickelten viele Epikureer sich in Richtung einer einseitigen Genußsucht. Ihr Motto wurde: »Lebe im Augen blick!« Das Wort »Epikureer« wird heute gerne abwertend auf einen »Lebemenschen« angewandt.