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CALVINISMUS – Dave Hunt

Übersetzt von Joachim Deubler, Mannheim

 

Frage: Es hat den Anschein, dass der Calvinisumus immer mehr an Einfluß gewinnt und als Konsequenz Kontroversen und sogar Spaltungen in manchen Gemeinden hervorruft. Dies ist meiner Meinung nach ein wichtiges Thema; auch haben Sie meines Wissens hierzu noch nie ein Statement abgegeben. Könnten Sie dies bitte jetzt in diesem Frage-und-Antwort-Teil nachholen?

 

Antwort: Dieses Thema habe ich in mindestens zwei Büchern aufgegriffen, zum einen in Whatever Happened to Heaven? (S. 235-237) und auch in How Close Are We? (S. 132/134); kurz ging ich darauf auch im TBC[1] vom März bzw. Juli 1993 und auch im Juli 1995 ein. Wir versuchten uns auf die Themen zu fokusieren, die das Evangelium selber betreffen. Ich betrachte den 5-Punkte-Calvinismus[2] nicht als „Falsches Evangelium“, wiewohl er doch unbiblische Lehren enthält. Ich habe gute Freunde, die Calvinisten sind. Wir diskutierten miteinander, ohne dass jemand seine Meinung änderte; dabei beließen wir es dann.

Es ist jedoch wichtig, ob der Mensch total verdorben ist oder ob er durch das Werben des Heiligen Geistes gültige moralische und geistige Entscheidungen treffen kann; ob Gott nur einige wenige ausgewählte Menschen, die sogenannten Erwählten, errretten möchte, oder ob er alle Menschen erreten möchte (1. Tim. 2,4; 2. Petr. 3,9); ob Christus nur für die Sünden der Erwählten oder für die Sünden der ganzen Welt starb (Joh. 1,29; 1. Joh. 2,2). Um diese Unterschiede herauszustellen, müssen wir zunächst einige weitverbreitete Missverständisse ausräumen.

Erstens: Nicht jeder, der den Calvinismus ablehnt, ist zwangsläufig ein Arminianer[3]. Viele Nicht-Calvinisten halten an der Ewigen Sicherheit fest, lehnen den Calvinismus aber aus anderen Gründen ab. Weiterhin ist es keine Anfrage an Gottes Souveränität. Er ist der Töpfer, wir sind der Ton, und der Ton kann sich nicht darüber beschweren, wie Gott ihn benutzt. Die Frage ist: Hat Gott in seiner Souveränität dem Menschen die Fähigkeit gegeben, genuine moralische und geistliche Entscheidungen zu treffen – oder ist der Mensch absolut verderbt und kann daher weder Gott noch das Gute erwählen. Es ist biblisch, dass wir nicht zu Gott oder Christus kommen können, wenn er uns nicht durch seinen Geist zu sich zieht. Aber wenn er uns zieht, antworten wir dann wirklich, oder ist unsere Antwort, Christus anzunehmen, nicht impliziert durch die Unwiderstehliche Gnade? Lieben wir Gott wirklich aus ganzem Herzen (die Liebe erfordert die Möglichkeit zur Wahl) – oder werden wir getäuscht, wenn wir so denken?

Zur Disposition steht auch nicht, ob der Mensch die Hölle verdient. Wir alle verdienen, in die Hölle geworfen zu werden; Gott wäre vollkommen gerecht, wenn er jeden Menschen für ewig dort hin schicken würde. Die Frage ist: Möchte Gott, dass jeder in die Hölle kommt? Die Bibel sagt uns, dass es Gottes Wille sei, „dass alle Menschen errettet werden“ und dass er das „ewige Feuer“ nicht für den Menschen, sondern „dem Teufel und seinen Engeln“ bereitet hat (Matth. 25,41). Im Gegensatz hierzu möchte Gott, so wie er von Calvinisten gesehen wird, dass viele in der Hölle enden. Wenn er nicht so handeln würde, dann würde seine unwiderstehliche Gnade über alle Menschen ausgebreitet werden und alle würden in den Himmel eingehen. Wie sieht und beschreibt die Bibel nun Gott?

Adam und Eva waren mit Sicherheit nicht verdorben, geschweige denn total verdorben, so wie der Mensch heute von Calvinisten gesehen wird. Es war also nicht die Verderbtheit, die Adam und Eva veranlaßte, sich wider Gott aufzulehnen. Man fragt sich, wieso Gott nicht die calvinistische unwiderstehliche Gnade über ihnen ausgebreitet hat, da es hierdurch doch nie zu Sünde, Krankheit, Leiden etc. gekommen wäre. Ebenso fragt man sich, wieso Christen, die durch unwiderstehliche Gnade an Christus glauben, kein perfektes Leben führen? Sind manche Christen, Paulus zum Beispiel, solche Heroen (Helden) des Glaubens, weil Gott sie dazu bestimmt hat – und versagen andere, da Gott ihnen aus unerforschlichen Gründen nicht genug Gnade zukommen läßt? Welchen Sinn hat dann der Richterstuhl Christi – und was ist mit dem Lohn, den Gott den Gläubigen gibt, wenn er derjenige ist, der einige Menschen ein hingegebenes und fruchtbares Leben führen läßt, während er von anderen seine Gnade zurückhält, so dass sie in ihrem Leben weniger Frucht bringen können? Gibt es auf seitens des Menschen keine Verantwortlichkeit? Sind wir Roboter?

Gott ist souverän, war immer souverän und wird es immer sein. Seine Souveränität verhinderte jedoch weder Satans Rebellion im Himmel noch Adams und Evas Rebellion im Garten Eden. Es wurden Entscheidungen getroffen, die nicht dem Willen Gottes entsprachen. Es ist nicht Gottes Willen, dass diese Welt voll ist von Korruption, Abtreibung, Mord, Begierde, Krieg etc. Er läßt es zu, aber es entspricht nicht seinem vollkommenen Willen. Gottes Sourveränität wird jedoch im Calvinismus derart übersteigert, dass letztendlich Gott all die Schuld für das Böse gegeben werden muß. Wieso? Der total verdorbene Mensch kann nichts als sündigen – es sei denn, Gott hält ihn davon ab, was er (Gott) mit seiner unwiderstehlichen Gnade bei alle Menschen tun könnte, wenn er wollte.

Ja, Gott kann tun, was er sich vornimmt. Er könnte uns alle in die Hölle schicken, denn genau dies verdienen wir alle. Ein unvoreingenommener Leser, der die Bibel für bare Münze nimmt, der ihren Worten ihre gewöhnliche Bedeutung beimisst, wird jedoch sicher dahin geführt zu glauben, dass Gott ursprünglich die ganze Welt retten wollte und dass Christus kam, um für die Sünden der ganzen Welt zu sterben, um damit allen Menschen Erlösung zu offerieren. Dies kommt in vielen Versen zum Tragen, die Wendungen enthalten wie „das die Sünden der Welt wegnimmt“, „denn so hat Gott die Welt geliebt“, „dass die Welt durch ihn errettet werde“, „ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette“, „den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt“ etc. (Joh. 1,29; 3,16f; 4,42; 12,47; 1. Joh. 4,14). Und lesen wir andere Verse, die Passagen enthalten wie „jeder nun, der diese meine Worte hört“, „jeder, der zu mir kommt“, „damit jeder, der an ihn glaubt“, „jeder, der Sünde tut“, „jeder, der an mich glaubt“, „jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird“, „jeder, der an ihn glaubt“, „wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“ etc. (Matth. 7,24; Luk. 6,47; Joh. 3,15f; 8,34; 12,46; Apg. 2,21; Röm. 10,11; Off. 22,17) – dann glaubt der gewöhnliche Leser mit Sicherheit, dass „jeder“ jedermann ohne Ausnahme bedeutet – und nicht eine besondere Klasse von auserwählten Menschen. Nimmt derselbe Leser Aussagen wie „kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen“, „welcher will, dass alle Menschen errettet werden“, „der sich selbst als Lösegeld für alle gab“, „da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (Matth. 11,28; 1. Tim. 2,4-6; 2. Petr. 3,9) wörtlich, dann kommt er wiederum zu dem Schluß, dass mit „alle“ tatsächlich alle gemeint sind, dass Gott liebevoll und frei die Errettung jedem Menschen anbietet.

Aufgrund seines Glaubens an die totale Verderbtheit und an die unwiderstehliche Gnade fordert der Calvinist jedoch, dass Gott nicht nur den Sünder zu sich ziehen muß, sondern ihn auch noch dazu bringen muß, Christus als seinen Retter anzunehmen. So kommt der Calvinist zu einem esoterischen statt zu einem gewöhnlichen Verständnis. Obwohl diese Worte fast überall in ihrer gewöhnlichen Bedeutung verwendet werden, werden mit „alle“, „jeder“, „Welt“ etc. manchmal nur die Erwählten bezeichnet, meint der Calvinist. Wann? Wannimmer der Calvinismus dies nötig erscheinen läßt.

Ist dies nicht eine künstliche Sichtweise, die der Schrift aufgezwungen wird, statt von ihr abgeleitet zu sein? dass diese Sicht der Schrift fremd ist, wird daran deutlich, dass der Calvinismus eine Uminterpretation der gesamten Bibel in einer Weise verlangt, die der gewöhnlichen Bedeutung von Worten zuwiderläuft. Wiederholt fordert Gott den Menschen auf, zu wählen, „wem ihr dienen wollt“ - aber niemand kann eine Wahl treffen, außer Gott befähigt ihn zur Wahl durch seine unwiderstehliche Gnade. Immer und immer wieder fleht Gott sein Volk Israel durch die Propheten an, Buße zu tun und von ihren Sünden umzukehren, damit er sie nicht richten muß. Er weint über Israel, zögert sein Gericht hinaus, sendet zur Warnung noch mehr Propheten – und gießt schließlich seinen Zorn über ihnen aus. Aber all die Zeit über ruft er ein Volk zur Umkehr, das total verdorben ist und daher nie umkehren kann, wenn er nicht seine unwiderstehliche Gnade über es ausbreitet. Er zögert sein Gericht hinaus, während er sie gleichzeitig dafür verurteilt, das einzige zu tun, das sie tun können, das, wovor er sie bewahren könnte, wenn er seine Gnade über ihnen ausbreiten würde –  aber es mysteriöserweise nicht tut.

Jesus weint über Jerusalem. „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Brut unter die Flügel, und ihr habt nicht gewollt.“ Christus konnte es nicht deutlicher ausdrücken, dass er sie wirklich segnen wollte – und sie ihn abgelehnt haben. Aber der Calvinismus verändert die gesamte Sicht. Wenn sie total verderbt sind, dann können sie nicht an ihn glauben, es sei denn, er gibt ihnen durch seine unwiderstehliche Gnade die Fähigkeit hierzu. Aus „habe ...ich wollen“ und „ihr habt nicht gewollt“ wird für den Calvinist „ich wollte nicht“ und „ihr konntet nicht“. Wenn sie aufgrund ihrer totalen Verderbtheit nur ablehnen konnten, wieso weinte er dann und flehte sie an, während er doch seine unwiderstehliche Gnade vor ihnen zurückhielt, die Gnade, die sie doch brauchten, um ihm antworten zu können? Das ist nicht das Verständnis, das eine denkende Person aus den Versen der Bibel gewinnt. Es ist ein unnatürliches Aufzwingen, das dazu dient, ein Dogma zu stützen.

Befände sich ein Mann auf dem Grund eines Quellschachts und ich wäre am oberen Ende des Schachts, hätte ein Seil, das aber 10 m über ihm endete, und ich würde ihn ernstlich bitten, sich daran festzuhalten, damit ich ihn herausziehen könnte – würde er nicht denken, ich würde mich über ihn lustig machen? Und wenn ich ihn zusätzlich noch dafür tadeln würde, dass er das Seil nicht ergreift – er würde sich wünschen, dass er mich an der Gurgel packen könnte. Und wie könnte ich jemanden begreiflich machen, diesen Mann wirklich aus dem Brunnen retten zu wollen, er aber derjenige ist, der nicht gerettet werden will? Analog hierzu: Wie kann Gott wirklich die Menschen retten wollen, über die er nicht seine unwiderstehliche Gnade ausbreitet, wo dies doch das einzige Mittel ist, durch das sie ans Evangelium glauben können?

Beleidigt die Lehre des Calvinismus nicht vielmehr Gottes Charakter? Präsentiert sie uns nicht vielmehr einen Gott, der den Menschen nicht so viel Liebe entgegebringt, dass sie alle in den Himmel kommen können; einen Gott, der Christus nur für die Erwählten sandte, und nicht für alle Menschen? Es läßt sich kein Grund finden, wieso Gott, der unparteiisch ist, den einen erwählen sollte und den anderen nicht ( – wie es auch gar nichts in jedem von uns gibt, das Gott dazu bringen könnte, uns überhaupt zu erwählen).

Ein Calvinist, der von Versen, die deutlich davon sprechen, dass Gott die ganze Welt liebt, dass er nicht möchte, dass irgend jemand verloren gehe, dass es seinem Willen entspricht, wenn alle zur Wahrheit kommen etc., behauptet, hier wären mit den Worten „Welt“, „jeder“und „alle“ nur die Auserwählten gemeint – zwingt er diesen Versen nicht eine Sicht auf, welche die Bedeutung dessen pervertiert, was tatsächlich gesagt wird und sich darüberhinaus mit dem Rest der Bibel in Konflikt befindet? Wir besitzen mindestens einen Vers, an dem diese künstlich aufgezwungene Bedeutung scheitert: „Und er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt“ (1. Joh. 2,2). gewiss sind mit „unsere“ bzw. „unseren“ die Erwählten gemeint und mit „die ganze Welt“ müssen alle anderen gemeint sein.

Es kann nicht deutlicher auf den Punkt gebracht werden: Christi Blut wurde nicht nur für die Auserwählten vergossen, sondern für die Sünden der ganzen Welt. Damit bricht die Behauptung der begrenzten Sühne zusammen und damit auch das meiste von dem, was den Calvinismus als solchen ausmacht. Gott ist wieder rehabilitiert als ein Gott, der Liebe ist, der alle Menschen so sehr liebt, dass er wirklich alles unternommen hat, dass die ganze Welt gerettet werden könnte. Christus zahlte die Schuld für alle Menschen, der Heilige Geist sucht, überführt und zieht alle Menschen. Daher: Jeder, der die Ewigkeit in der Hölle verbringt, ist nicht dort, weil Gott ihn durch seine unwiderstehliche Gnade hätte ziehen können, es aber nicht tat; er ist dort, weil er die Rettung, die Gott ihm vorbereitet und frei zur Verfügung gestellt hat, abgelehnt hat.

 


 

[1] The Borean Call, ein monatlicher Rundbrief, herausgegeben von D. Hunt und T. A. McMahon

[2] Hiermit sind die 5 Hauptaussagen des Calvinismus über den Menschen und seine Beziehung zu Gott gemeint. Im englisch-sprachigen Raum werden diese oft durch das Akronym TULIP wiedergegeben, das für Total Depravity, Unconditional Election, Limited Atonement, Irresistible Grace, Preseveration of the Saints steht, im Deutschen etwa wiederzugeben mit: Totale Verderbtheit, Bedingungslose Erwählung, Begrenzte Sühne, Unwiderstehliche Gnade, Bewahrung der Heiligen

[3] Benannt nach Jakob Arminius, 1560-1609, niederländischer Theologe, führender Vertreter einer gegen die Calvinisten gerichteten Lehre, welche die Heilssicherheit verwarf.