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Kolosser Walvoord  Norman L. Geisler


EINFÜHRUNG
 Der Kolosserbrief entstand zwischen 60 und 62 n. Chr. während der römischen Gefangenschaft des Apostels Paulus. Der Brief richtete sich gegen bestimmte Irrlehren, die in Kolossä, einer Stadt in der römischen Provinz Asien, aufgetaucht waren.

Verfasserfrage
Für die paulinische Verfasserschaft des Kolosserbriefes gibt es überzeugende interne und externe Belege. So enthält der Text selbst drei persönliche Hinweise auf Paulus in der 1. Person Singular ( Kol 1,1;1,23;4,18 ) sowie zahlreiche Anspielungen auf Mitarbeiter des Paulus, wie z. B.
Tychikus (Kol 4,7),
Onesimus (Kol 4,9),
Aristarch (4,10),
Markus (Kol 4,10),
Justus (Kol 4,11),
Epaphras (Kol 4,12),
Lukas (Kol 4,14),
Demas (4,14) und
Archippus (Kol 4,17 ).

Stil und Inhalt des Kolosserbriefes gleichen dem des Briefes an die Epheser, der etwa um dieselbe Zeit entstand und auf den der Verfasser wahrscheinlich mit seiner Bemerkung von dem "Brief von Laodizea" (Kol 4,16) anspielt.


 Vierunddreißig der im Kolosserbrief verwendeten griechischen Vokabeln kommen in keinem der anderen Paulusbriefe vor, doch handelt es sich dabei durchweg um Begriffe, die zum Thema des Briefes passen und mit dem paulinischen Gedankengut übereinstimmen.

Dazu gehören Wörter wie
 "das Sichtbare" (Kol 1,16),
 "der Erste" (Kol 1,18),
 "erstatten" (Kol 1,24),
 "Philosophie" (Kol 2,8) und
 "Gottheit" (Kol 2,9).

Aus dem Schluß des Epheserbriefes geht zudem hervor, daß Tychikus der Überbringer sowohl jenes Briefes als auch des Schreibens an die Kolosser war ( Eph 6,21; vgl. Kol 4,7). Das ist eine weitere Bestätigung dafür, daß auch der Kolosserbrief tatsächlich von Paulus stammt.

Aber auch die äußere Beweislage spricht stark für eine Verfasserschaft des Apostels. Manche Wissenschaftler behaupten zwar, daß die Irrlehre, gegen die der Kolosserbrief zu Felde zieht, der erst im 2. Jahrhundert zur Blüte gekommene Gnostizismus sei, doch es besteht Grund zu der Annahme, daß die Anfänge des Gnostizismus sich bereits zu Paulus' Lebzeiten bemerkbar machten. Angesichts der anderen Auseinandersetzungen des Apostels mit verschiedenen Irrlehren in Schriften, deren Authentizität unbestritten ist, erscheint es daher umso plausibler, daß Paulus auch der Verfasser des Kolosserbriefes ist
(vgl. 1Kor 15; Gal 1-2; 2Thes 2).


Der Brief enthält allerdings auch einige stilistische Besonderheiten wie etwa ungewöhnliche Genitivkombinationen, z. B. "die Hoffnung der Herrlichkeit" (Kol 1,27). Donald Guthrie stellt in diesem Zusammenhang jedoch sehr richtig fest, daß derartige "stilistische Unterschiede im allgemeinen den veränderten Umständen oder dem Wechsel des Themas zuzuschreiben" sind (New Testament Introduction, Downers Grove, Ill., 1973, S. 553).

 Einer der stärksten Belege dafür, daß der Kolosserbrief im 1. Jahrhundert von Apostel Paulus verfaßt wurde, ist seine Nähe zum Philemonbrief, dessen Authentizität praktisch unantastbar ist:

(1) In beiden Texten wird in der einleitenden Begrüßungsformel der Name des Timotheus zusammen mit dem von Paulus genannt ( Kol 1,1; Phim1,1).

(2) Beide Schreiben enthalten Grüße von Aristarch, Markus, Epaphras, Lukas und Demas ( Kol 4,10-14; Phim1,23-24).
(3) In beiden Briefen ist vom Dienst des Archippus die Rede ( Kol 4,17; Phim1,2).
(4) In beiden Briefen wird der Sklave Onesimus erwähnt ( Kol 4,9; Phim1,10).


Datierung und Abfassungsort

Der Kolosserbrief entstand in Rom während Paulus' (erster) Gefangenschaft (vgl. Apg 28,30).
Etwa zur gleichen Zeit schrieb der Apostel den Epheser- und den Philemonbrief (ca. 60 - 62 n. Chr.).
 In Phim 1,9 bezeichnet Paulus sich selbst als "Gefangener Christi Jesu", und auch der Epheserbrief enthält Hinweise darauf, daß der Apostel ein "Gefangener" war ( Eph 3,1;4,1 ). Außerdem ist dem Epheserbrief zu entnehmen, daß Tychikus die Briefe des Apostels an ihren Bestimmungsort brachte ( Eph 6,21; vgl. Kol 4,7 ).

Da der Bericht der Apostelgeschichte um 60 - 62 n. Chr. endet, wurde der Kolosserbrief wahrscheinlich während dieser zweijährigen Gefangenschaft geschrieben. Da weder der Kolosser- noch der Epheser- oder der Philemonbrief das Ergebnis der Gerichtsverhandlung gegen Paulus erwähnen, das in Phil 1,19-21 erwartet wird, ist anzunehmen, daß der Kolosserbrief noch vor dem Philipperbrief entstand.

Kolossä lag im Lykustal, etwa 150 km östlich vom kleinasiatischen Ephesus. Verschiedene Andeutungen im Kolosserbrief lassen darauf schließen, daß Paulus die Stadt nie persönlich besucht hatte ( Kol 1,7;2,1;4,12 ).

 Der Name Kolossä ist möglicherweise von Colossus (einer großen Statue) abgeleitet, eine Bezeichnung, die ihrerseits möglicherweise mit den ungewöhnlich großen Steinen, die in der Gegend zu finden waren, zusammenhing. Kolossä war etwa 18 km von Hierapolis und Laodizea, den beiden anderen Städten des Lykustales, entfernt (zur geographischen Lage der drei Städte vgl. die Karte zwischen Apostelgeschichte und Römerbrief).
Die Region um die Stadt war reich an Bodenschätzen und wurde häufig von Erdbeben heimgesucht. Außerdem gab es in der Nähe fruchtbare Weidegründe.

Anlaß des Briefes
Die Umstände, die zur Abfassung des Kolosserbriefes führten, scheinen in einer bestimmten Irrlehre, die in Kolossä aufgetaucht war, begründet zu sein. Dabei scheint es sich um die Anfänge einer Richtung zu handeln, die sich später (im 2. Jahrhundert) zum Gnostizismus entwickelte. Die kolossische Irrlehre zeichnete sich durch bestimmte Aspekte aus: (1) Sie war jüdischen Ursprungs und betonte die Forderung nach einer Observanz der alttestamentlichen Gesetze und Zeremonien.

(2) Sie war philosophisch und legte besonderes Gewicht auf eine besondere oder tiefere Erkenntnis (Gnosis).
(3) Sie schloß die Verehrung von Engeln als Mittler vor Gott ein (Kol 2,18 ).
(4) Sie war streng exklusiv und unterstrich das besondere Vorrecht und die "Vollkommenheit" der wenigen Auserwählten, die dieser philosophischen Elite angehörten.
(5) Sie war außerdem christologisch. Doch diese gnostizistischen Uranfänge leugneten die Gottheit Christi und wurden so zum Anlaß für eines der großartigsten Bekenntnisse zur Gottheit Christi in der ganzen Heiligen Schrift (Kol 1,15-16;2,9 ).


Zweck des Briefes
Paulus scheint drei Anliegen verfolgt zu haben, als er seinen Brief an die Kolosser schrieb. Zum einen versuchte er, die Gottheit und Vorrangstellung Christi gegen die Häresie in Kolossä zu verteidigen (1, 18; Kol 2,9).
Zum anderen wollte er die Gläubigen der dortigen Gemeinde zu größerer geistlicher Reife führen ( Kol 1,28;2,6-7 ).
Zum dritten wollte er sie von seiner eigenen  Situation in Kenntnis setzen und bat um ihre Fürbitte (4,2-8).

 Inhalt des Briefes

 Der Inhalt des Briefes läßt sich etwa folgendermaßen wiedergeben:

"Liebe Brüder, wir grüßen euch (Kol 1,1-2). Wir danken Gott für euren Glauben und eure Liebe ( Kol 1,3-8 ) und bitten ihn, daß er euch die Erkenntnis seines Willens zuteil werden lasse. Wir beten darum, damit ihr für Christus Frucht bringt, der euch erlöst hat ( Kol 1,9-14 ). Denn Christus, unser Schöpfer und Haupt, ist über allen Dingen ( Kol 1,15-20 ).
Durch Christi Tod hat Gott euch, die ihr Fremdlinge und Feinde ward, versöhnt (Kol 1,21-23). Ich freue mich deshalb, daß ich für die Kirche leiden darf, damit Gottes ganze Fülle den Heiden kundgetan werde ( Kol 1,24-27 ). Dafür mühen wir uns, daß jeder in Christus vollkommen werde ( Kol 1,28-29 ). Denn in Christus liegt alle wahre Weisheit und alle Erkenntnis (Kol 2,1-5). Deshalb, Brüder, fahrt so fort in eurem Glauben, wie ihr in Christus begonnen habt (Kol 2,6-7).

Laßt euch aber nicht täuschen: Gottes Fülle ist allein in Christus und nicht in irgendeiner leeren menschlichen Philosophie ( Kol 2,8-10 ). Weil ihr in eurer Taufe Christus gleichgeworden seid, müßt ihr nicht mehr unter den jüdischen Gesetzen leben
( Kol 2,11-17 ). Laßt euch deshalb von niemand, der von Christus, eurem Haupt abgefallen ist, euren Siegespreis nehmen ( Kol 2,18- 19 ). Ihr seid mit Christus gestorben und braucht euch keinen weltlichen (gesetzlichen) Regeln zu unterwerfen ( Kol 2,20-23 ). Vielmehr solltet ihr, weil ihr mit Christus auferstanden seid, euren Blick auf himmlische Dinge richten (Kol 3,1-4). Gebt deshalb eure sündigen weltlichen Gepflogenheiten auf ( Kol 3,5-11 ), und kleidet euch in die Tugenden Christi ( Kol 3,12-17 ).

Im Blick auf eurer neues, erhöhtes Wesen in Christus ermahne ich die Ehefrauen, sich ihren Ehemännern unterzuordnen; die Ehemänner, ihre Frauen zu lieben; die Kinder, ihren Eltern zu gehorchen; die Väter, ihre Kinder nicht zu erbittern; die Sklaven, ihren Herren zu gehorchen; und die Herren, gerecht mit ihren Sklaven zu verfahren ( Kol 3,18-4,1 ).


Liebe Brüder,
 betet für mich, daß ich diese Botschaft wirksam und klar verkünden kann und daß ihr den Außenstehenden durch euer Leben ein gutes Beispiel geben könnt ( Kol 4,2-6 ).

Meine Mitarbeiter im Evangelium
senden euch ebenfalls Grüße ( Kol 4,7-15 ).
Tauscht euren Brief mit dem Brief an die Gemeinde in Laodizea aus, und ermahnt Archippus, seinem Amt nachzukommen ( Kol 4,16-18 )."


 GLIEDERUNG
I. Die Lehre: Ein erfüllteres Leben in Chritus (1,1-2,7)

A. Grußwort (1,1-2)
B. Danksagung (1,3-8)
C. Bitte (1,9-14)
D. Erhöhung Christi (1,15-20)
E. Versöhnung durch Christus (1,21-23)
F. Offenbarung des Geheimnisses Christi (1,24-27)
G. Vollendung in Christus (1,28-29)
H. Erkenntnis in Christus (2,1-5)
I. Mahnung zu einem Leben in Christus (2,6-7)


II. Die Polemik: Das höhere Leben in Christus (2,8-23)

A. Der Irrtum des Gnostizusmus: Die Gottheit Christi (2,8-10)
B. Der Irrtum der Gesetzlichkeit: Die Wahrheit in Christus (2,11-17)
C. Der Irrtum des Mystizismus: Christus als das Haupt (2,18-19)
D. Der Irrtum des Asketismus: Die Unbefleckbarkeit in Cristus (2,20-23)

III. Der Geist: Das innere Leben in Cristus (3,1-17)

A. Die Suche nach geistlichen Werten (3,1-4)
B. Das Ablegen der Sünden des alten Lebens (3,5-11)
C. Das Anlegen der Tugenden des neuen Lebens (3,12-17)

IV. Die Praxis: Das äußere Leben in Christus (3,18-4,18)

A. Vervollkommnung des Privatlebens (3,18-4,1)
B. Vervollkommnung des Gebetslebens (4,2-4)

C. Vervollkommnung des öffentlichen Lebens (4,5-6)
D. Grüße (4,7-18)

AUSLEGUNG

 I. Die Lehre: Ein erfüllteres Leben in Christus
(1,1-2,7)
 A. Grußwort
(1,1-2)
Kol 1,1-2 In allen seinen Briefen, außer in den beiden frühesten (1. u. 2. Thess) und in seinem sehr persönlich gehaltenen Schreiben an die Philipper, führt Paulus sich selbst gleich zu Anfang als einen Apostel Christi ein (vgl. die Tabelle "Die Einleitungsworte des Apostels Paulus zu seinen Briefen" bei Röm 1,1-7). Paulus gehörte nicht zu den Zwölfen (Apg 1,21-26), die seit dem Beginn von Jesu irdischem Wirken mit dem Herrn zusammen waren ( Lk 1,2; Joh 15,27; Apg 1,22). Doch er hatte den auferstandenen Christus gesehen ( 1Kor 9,1; 1Kor 15,8-9 ) und besaß besondere Wunderkräfte, die nur den wahren Aposteln verliehen waren ( 2Kor 12,12; vgl. Hebr 2,3-4). Timotheus tritt auch hier, wie an vielen anderen Stellen, als Begleiter und Mitstreiter von Paulus auf (vgl. 2Kor 1,1; Phil 1,1; 2Thes 1,1). Er hatte einen heidnischen Vater (Apg 16,1), doch seine Mutter und seine Großmutter waren zum christlichen Glaube


Timotheus tritt auch hier, wie an vielen anderen Stellen, als Begleiter und Mitstreiter von Paulus auf (vgl. 2Kor 1,1; Phil 1,1; 2Thes 1,1). Er hatte einen heidnischen Vater (Apg 16,1), doch seine Mutter und seine Großmutter waren zum christlichen Glauben gekommene Jüdinnen (2Tim 1,5), die ihn von Kindheit an mit den Schriften des Alten Testamentes vertraut gemacht hatten (2Tim 3,15). Paulus war Timotheus, der "einen guten Ruf bei den Brüdern" hatte, auf seiner zweiten Missionsreise in Lystra begegnet (Apg 16,2). Der Apostel wandte viel Zeit an die Unterweisung des jungen Mannes und schrieb zwei seiner letzten Briefe an ihn.

Paulus spricht die kolossischen Christen als die Heiligen in Kolossä, die gläubigen Brüder in Christus an. Sie sind damit als Heilige gekennzeichnet, die für Gott auserwählt und ausgesondert sind. Fast dieselbe Formulierung findet sich in der Einleitung zum Epheserbrief, der an "die Heiligen in Ephesus, die Gläubigen in Christus Jesus", gerichtet ist (Eph 1,1). In der typischen paulinischen Grußformel Gnade ... und Friede kommt das Wort charis ("Gnade") vor, eine Abwandlung des üblichen griechischen Grußes chaire ("Sei gegrüßt"; vgl. Lk 1,28). Chaire erinnerte wahrscheinlich an das ähnlich klingende, aber bedeutungsvollere charis. Daneben enthält Paulus' Grußformel auch den gebräuchlichen jüdischen Gruß "Friede". Der Apostel wünscht seinen Adressaten also Gottes Wohlwollen (Gnade) und gute Lebensbedingungen (Friede)

 
B. Danksagung
(1,3-8)
 Kol 1,3-4

 Immer wieder erwähnt Paulus in seinen Briefen, daß er Gott fortwährend in seinen Gebeten für die Gläubigen dankt ( Röm 1,8; 1Kor 1,4; Eph 1,16; usw.), nur im Galaterbrief und im 2. Korintherbrief unterbleibt dieses Lob. Gott ist für ihn die Ursache aller positiven Entwicklungen bei den von ihm bekehrten Christen. Dafür wird ihm nach den Worten des Apostels allezeit Dank gesagt, wenn wir beten. Der Grund für diese Danksagung liegt darin, daß Paulus (durch Epaphras; Kol 1,7; vgl. Kol 4,12) vom wachsenden Glauben an Christus Jesus in der Gemeinde von Kolossä und von ihrer Liebe zu allen Heiligen ... (gehört) hat. Das Gebet ist dabei der umfassendere Vorgang der Anbetung, die Danksagung und Fürbitte einschließt (vgl. Mt 6,7; Apg 16,25).
 
Kol 1,5

Paulus dankt Gott für den Glauben und die Liebe, die die KolosPaulus dankt Gott für den Glauben und die Liebe, die die Kolosser haben um der Hoffnung willen.

Diese Trilogie christlicher Tugenden aus Glaube, Liebe und Hoffnung wird von Paulus (vgl. 1Kor 13,13; 1Thes 1,3) wie auch von Petrus ( 1Pet 1,3.5.22 ) gern angeführt. Im Glauben blickt die Seele nach oben auf Gott; die Liebe blickt nach außen auf den Nächsten;die Hoffnung blickt nach vorn in die Zukunft. Der Glaube beruht auf dem, was Christus in der Vergangenheit vollbracht hat, die Liebe ist tätig in der Gegenwart, und die Hoffnung nimmt die Zukunft vorweg. "Ohne Glauben ist's unmöglich, Gott zu gefallen" (Hebr 11,6), und "Hoffnung läßt nicht zuschanden werden" (Röm 5,5), doch "die Liebe ist die größte unter ihnen" (1Kor 13,13). Die Liebe der Kolosser gilt "allen Heiligen" (Kol 1,4) oder allen Gläubigen, wahrscheinlich nicht nur in Kolossä, sondern überall (vgl. 1Thes 1,7-8 ,wo ein ganz ähnliches Lob ausgesprochen wird).


 Glaube und Liebe entspringen aus (dia, wörtlich "bestehen wegen") der "Hoffnung", dem Vertrauen auf das, was Gott in der Zukunft tun wird. Diese Zuversicht führt zu einem festeren Vertrauen auf Gott und zu einer tieferen Liebe zu den Mitmenschen. Die zuversichtliche Erwartung der Wiederkunft Christi, "die selige Hoffnung" (Tit 2,13), bestimmt das Leben der Gläubigen (vgl. 1Thes 4,13-18; 1Joh 3,3).

Die Hoffnung ist bereit ... im Himmel, weil Christus, das Wesen dieser Hoffnung, im Himmel ist. Ohne seine Himmelfahrt (Apg 1,10-11) und seine Fürsprache für die Gläubigen ( Hebr 7,25; 1Joh 2,1) wären sie ohne Hoffnung (vgl. 1Kor 15,16-19 ). Diese Botschaft ist das Wort der Wahrheit (vgl. Eph 1,13; 2Tim 2,15; Jak 1,18), das Evangelium, wie Paulus es hier und an anderer Stelle definiert (vgl. 1Kor 15,1-3; Röm 10,9-10 ).

 
Kol 1,6

Paulus dankt Gott, weil das Evangelium sich in aller Welt verbreitet. In Vers 23 schreibt er sogar in einer offensichtlichen Übertreibung, daß das Evangelium "allen Geschöpfen unter dem Himmel gepredigt ist" (vgl. Röm 1,8 ). Aber der Apostel unterstreicht nicht nur die Universalität des Evangeliums, sondern auch seine praktischen Auswirkungen, denn es (bringt) Frucht und ... wächst . Wie ein Baum Früchte trägt und wächst, so trägt das Evangelium geistliche Früchte im Leben der Gläubigen (vgl. "die Frucht des Geistes", Gal 5,22-23; "Frucht der Gerechtigkeit", Phil 1,11) und breitet sich aus und nimmt Einfluß auf das Leben anderer (vgl. die gleichen Worte in Kol 1,10 : "Frucht bringt" und "wächst"). Irrlehren wie die, die sich in Kolossä breitgemacht hat, sind auf bestimmte Orte beschränkt und richten Schaden an, die Wahrheit aber ist universal und hilfreich. Eines der untrüglichen Kennzeichen des wahren Evangeliums ist die Gnade Gottes ... in der Wahrheit. Manche Leute predigen ein "anderes Evangelium, obwohl es doch kein andres gibt" (Gal 1,6-7 ). Meist handelt es sich dabei um ein Evangelium, in dem die Gnade oder der Glaube jeweils mit den Werken der Menschen in Zusammenhang gebracht wird.
Das wahre Evangelium jedoch ist ein Evangelium der Gnade ohne alle Zusätze ( Röm 11,6; Eph 2,8-9; Tit 3,5-7 ).
 
Kol 1,7

Die Kolosser haben das Evangelium von Epaphras, der offenbar der Gründer der Kirche in Kolossä war (vgl. Kol 4,12), gelernt. Paulus nennt ihn seinen lieben Mitknecht - ein Ausdruck der Bescheidenheit des großen Apostels - und einen treuen Diener Christi , zweifellos im Gegensatz zu den unzuverlässigen Gottesdienern, die hier und an anderen Orten die Gemeinde Gottes in ihrem Glauben verwirren (vgl. 2Kor 11,15; 2Pet 2,1-3.12-19 ). Später bezeichnet Paulus auch Tychikus als einen "treuen Diener und Mitknecht in dem Herrn" (Kol 4,7). Epaphras war offenbar in Rom mit Paulus zusammen, denn dieser erwähnt ihn im Philemonbrief als "Mitgefangenen" (V. 23). "Epaphras" ist die Kurzform von "Epaphroditus", ein Name, der in Phil 2,25 und Phil 4,18 auftaucht. Es könnte sich dabei um dieselbe Person oder um zwei verschiedene Männer handeln, da beide Namen relativ häufig waren.

 Epaphras arbeitete wahrscheinlich als Paulus' Stellvertreter in Kolossä (vgl. Phil 2,25;4,18 ,wo von einer ähnlichen Situation berichtet wird). Das besagt indirekt, daß Paulus Kolossä nicht selbst besucht hatte (vgl. Kol 2,1). Doch wenn Epaphras auch von Paulus in die Stadt gesandt worden war, so war er doch in erster Linie ein Diener Christi.


 Kol 1,8

 Epaphras brachte nicht nur den Menschen in Kolossä die gute Nachricht von Christus, er berichtete auch dem in Haft befindlichen Apostel von der Liebe im Geist, die die Kolosser Christus entgegenbrachten. Die Gläubigen sind im Geist und der Geist ist in ihnen (Röm 8,9). Ihre Liebe "zu allen Heiligen" ( Kol 1,4; vgl. V. 5 ) rührt also von der Kraft des innewohnenden Geistes her. An einer anderen Stelle ermahnt Paulus die Gläubigen eindringlich, "durch die Liebe des Geistes" (Röm 15,30) auch die "Frucht des Geistes" (Gal 5,22) hervorzubringen.

C. Bitte
(1,9-14)


 Kol 1,9

Darum, weil Paulus von Epaphras so Gutes über die Kolosser gehört hatte, betet er "allezeit" für sie. Die Wendung "lassen wir ... nicht ab, für euch zu beten" (vgl. 1Thes 5,17 ) bedeutet nicht, daß Paulus tatsächlich unaufhörlich betete, sondern daß er bei seinem täglichen Gebet die Gemeinde niemals vergaß (vgl. Apg 20,31; Eph 1,16). "Beten" (Kol 1,9) ist der Oberbegriff für das Gebet (proseuchomenoi), der auch in Vers 3 verwendet wird; bitten dagegen ist der Ausdruck für eine Fürbitte oder Bitte (aitoumenoi).

Die vordringlichste Bitte des Apostels an Gott für die Gemeinde in Kolossä gilt dem Wunsch, daß sie mit der Erkenntnis seines Willens ... (erfüllt) werden möge. Paulus verwendet an dieser Stelle zwei wichtige Begriffe, "erfüllen" (plEroO) und "Erkenntnis" (epignOsis; ebenso in V. 10 und Kol 3,10 ). Der erstere drückt ein völliges Ausfüllen aus, der zweite ein vollständiges, tiefgehendes Verstehen. Eine solche Erkenntnis des göttlichen Wissens kommt nicht aus einem weltlich gesinnten Geist (der sich "aufbläht"; 1Kor 8,1), sondern vom Heiligen Geist, der den Gläubigen innerlich erleuchtet (1Kor 2,5-6.13 ), und aus dem Wort Gottes. Gottes Wille, der in der Bibel offenbart ist, wird den Gläubigen durch die Unterweisung des Heiligen Geistes bekanntgemacht. Paulus fügt hinzu: in aller geistlichen Weisheit (sophia; der Begriff kommt sechsmal im Kolosserbrief vor: Kol 1,9.28;2,3.23;3,16;4,5 ), d. h. in einer praktischen Kenntnis, die von Gott kommt ( Jak 1,5;3,15 ), und Einsicht (synesei; nochmals in Kol 2,2 ), d. h. in vernünftigem Umgang mit dieser Kenntnis bei ihrer Anwendung auf unterschiedliche Probleme. Im Gegensatz dazu bieten die Irrlehrer nur "einen Schein von Weisheit" (sophia; Kol 2,23 ), der ihr Denken und ihr Leben in einem Kreisen um Gesetzesvorschriften gefangenhält. Die wahre geistliche Weisheit wirkt demgegenüber zugleich festigend und befreiend (Eph 4,14). Erkenntnis (oder Verständnis oder Einsicht) und Weisheit werden in der Schrift oft miteinander verknüpft (vgl. 2Mo 31,3; 5Mo 4,6; Jes 11,2; 1Kor 1,19). Der Ursprung von beiden aber ist die "Furcht des Herrn" (vgl. Spr 1,7;9,10 ).

Kol 1,10

Die Bitte des Apostels zielt auf etwas ganz Praktisches: daß ihr des Herrn würdig lebt. Die echte Erkenntnis Christi zeigt sich in einer gewandelten Persönlichkeit (vgl. Eph 4,1;1Thes 2,12), die Christus immer ähnlicher wird. AxiOs , "würdig", bedeutet "gleichwertig". Die Gläubigen sollen danach streben, den Maßstäben des Herrn gerechtzuwerden und heilig zu sein, wie er heilig ist (vgl. 1Pet 1,15). Ihr Ziel in ihrem ganzen Lebenswandel sollte sein, ihm in allen Stücken zu gefallen, seinen Wunsch und Willen in jeder Lebenslage zu erspüren und zu erfüllen (vgl. Eph 5,10). Sein ganzes Trachten nur darauf zu richten, den Menschen zu gefallen, ist unvereinbar mit einem Leben als Knecht Christi ( Gal 1,10; Eph 6,6; Kol 3,22; 1Thes 2,4). Paulus machte es statt dessen zum höchsten Ziel seines Lebens, Gott zu gefallen (2Kor 5,9 ). Vier Dinge - im Griechischen sind sie durch Partizipialkonstruktionen ausgedrückt - folgen aus einem solchen gottgefälligen Leben: Fruchtbringen und Wachstum (Kol 1,10), Stärkung ( V. 11) und Danksagung ( V. 12). Die beiden ersten hängen zusammen: daß ihr ... Frucht bringt ... und wachst in der Erkenntnis (epignOsei) Gottes (genau die gleichen Worte gebraucht Paulus in Vers 6). Wenn jemand nach außen hin die Frucht des Glaubens zeigt (vgl. Mt 7,16; Gal 5,22-23 ), wächst er selbst im Glauben (vgl. Eph 4,13). Er gelangt zu einer tieferen "Erkenntnis" (epignOsis; vgl. Kol 1,9) Gottes. Wie Augustin sagt: "Der Glaube ist eine Stufe der Einsicht, und die Einsicht ist der Lohn des Glaubens."

 Kol 1,11

Ein dritter Faktor, der mit der Erkenntnis des göttlichen Willens und dem Streben nach Gottes Wohlgefallen zusammenhängt, ist die geistliche Kraft, die daraus resultiert. In der Wendung "gestärkt ... mit aller Kraft durch seine herrliche Macht" kommt dreimal der Begriff Stärke vor: "gestärkt werden" ist dynamoumenoi, "Kraft" ist dynamei, geistliche Lebenskraft, und "Macht" ist kratos ("überwältigende Macht", ein Begriff, der im Neuen Testament nur für Gott gebraucht wird). Diese von Gott geschenkte Kraft befähigt die Gläubigen zu aller Geduld und Langmut. Das beste Beispiel für diese Geduld (Jak 1,3) war Hiob (Jak 5,11 ). Zur Geduld fügt Paulus noch "Langmut" hinzu, ein Wort, das allgemein mit Freundlichkeit und Sanftmut in Verbindung gebracht wird (wie in 1Kor 13,4). Geduld und Langmut werden an vielen Stellen nebeneinander genannt (vgl. 2Kor 6,4.6; 2Tim 3,10; Jak 5,10-11). Geduld (hypomonE, wörtlich ein "Bleiben unter") haben bedeutet, dem Leiden nicht zu unterliegen, und "Langmut" (makrothymia; vgl. Kol 3,12 ) zeigen heißt, eine Selbstbeherrschung zu üben, die sich nicht zu vorschneller Vergeltung hinreißen läßt, denn mangelnde Geduld führt oft zu Verzagtheit und Mutlosigkeit, mangelnde Langmut dagegen oft zu Zorn oder Rache (vgl. Spr 15,18;16,32 ).

Dies entspricht Gottes "herrlicher Macht" (wörtlich "der Macht seiner Herrlichkeit"). In Gottes Herrlichkeit manifestiert sich sein inneres Wesen. In Eph 1,19-20 sprach Paulus von der "überschwenglichen großen Kraft" (dynamis) Gottes und dem "Wirken" (energeian) "der Macht" (kratous) "seiner Stärke" (ischyos), die Christus von den Toten auferweckt hat.

 
 Kol 1,12-13
 Die Kraft zu einer solchen Geduld sollte von fröhlicher, keinesfalls erzwungener Danksagung an den Vater, von dem alles Gute und Vollkommene kommt, begleitet sein (Jak 1,17).

Dankbarkeit, eine vierte Haltung, die aus der Befolgung des göttlichen Willens und dem Streben nach einem gottgefälligen Leben erwächst, spielt eine entscheidende Rolle im geistlichen Leben. An einer anderen Stelle fordert Paulus die Gläubigen auf: "Seid dankbar in allen Dingen" (1Thes 5,18), und "laßt in allen Dingen eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden" (Phil 4,6). Noch viermal im Kolosserbrief ( Kol 3,15-17;4,2 ) schärft Paulus seinen Lesern ein, dankbar zu sein. Aber auch die Freude ist ein Teil der Frucht des Geistes (Gal 5,22). Sie entspringt der guten Nachricht des Evangeliums (vgl. Jes 29,19; Joh 16,20; Apg 13,52). An dieser Stelle konzentriert Paulus den Dank in erster Linie auf die Tatsache, daß Gott euch tüchtig gemacht hat (vgl. 2Kor 3,6) zu dem Erbteil der Heiligen (d. h., für die königlichen Schätze, die den Gläubigen aufbewahrt sind; vgl. Eph 1,7 ). Auch wenn sie selbst unvollkommen sind, so macht Gott sie doch fähig, am Erbe seines heiligen Volkes teilzuhaben. Dieses "Erbteil" (tEn merida tou klErou, wörtlich "der Anteil") erinnert daran, wie den Israeliten unter Josua das Land der Verheißung zugeteilt wurde (Jos 14,2). Es ist ein Erbteil im Licht (vgl. 2Kor 4,6; 1Pet 2,9).

 

Das Licht ist die geistliche Sphäre, in die die Gläubigen aus der Macht der Finsternis versetzt wurden ( Lk 22,53; Apg 26,18; Eph 6,12). Sie wurden aus dem Machtbereich (exousias) der Finsternis (vgl. Joh 3,19-20 ) errettet. Durch Christus sind sie aus einem unrechtmäßigen Königreich unter die Souveränität ihres rechtmäßigen Königs, in das Reich seines lieben Sohnes ("des Sohnes seiner Liebe"; vgl. 1Joh 4,8.16 ), wie der herrschende Christus hier von Paulus bezeichnet wird, gebracht worden. Nach J. B. Lightfoot weist dies auf den Sohn als Verkörperung und irdische Manifestation der Liebe Gottes hin (St. Paul's Epistles to the Colossians and to Philemon , S. 142). H. C. G. Moule sieht darin dagegen eine Bezeichnung des Sohnes, der "der gesegnete Gegenstand der Liebe des Vaters ... der über alle Maßen Geliebte" ist (The Epistles of Paul the Apostle to the Colossians and to Philemon, S. 75). Diese zweite Deutung scheint vom Kontext her plausibler (vgl. Eph 1,6).



Kol 1,14

Durch Christus, den "geliebten Sohn Gottes", haben die Christen die Erlösung ... nämlich die Vergebung der Sünden. Die parallele Textpassage in Eph 1,7 enthält noch den Zusatz "durch sein Blut" (wie es auch in einigen Handschriften zu lesen ist). "Erlösung" (apolytrOsin) bedeutet "durch ein Lösegeld freikaufen" (vgl. die Tabelle "Neutestamentliche Begriffe für 'Erlösung' " bei Mk 10,45), und mit "Vergebung" (aphesin ) ist "Erlaß" (der Strafe) durch den Heiland gemeint. Die Christen kommen allein durch den hohen Preis, den Christus am Kreuz bezahlt hat, in den Genuß dieser Befreiung (vgl. Röm 3,24-26).


 D. Erhöhung Christi
(1,15-20)
Von seiner Bitte um die Erleuchtung der Christen in Kolossä über Gottes erlösendes Wirken in ihrem Leben geht Paulus nun zum Hauptanliegen seines Briefes über - der Erhöhung und Vorrangstellung Christi. In der folgenden Passage (V. 15-20) spricht er von sieben einzigartigen Wesenszügen Christi,
die ihn berechtigtermaßen zum "Ersten" schlechthin (V. 18 ) machen. Christus ist:
(1) das Ebenbild Gottes,
 (2) der Erstgeborene der Schöpfung,
(3) der Schöpfer des Universums,
(4) das Haupt der Gemeinde,
(5) der Erstgeborene von den Toten,
(6) die Fülle Gottes und
(7) der Versöhner aller Dinge.

 Nirgendwo sonst im Neuen Testament gibt es eine vergleichbare Aufzählung so vieler Merkmale Christi und seiner Gottheit. Christus ist der überragende Souverän des Universums.

 

Kol 1,15

Erstens: Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Neben der unmittelbaren Bedeutung von "Ähnlichkeit" (vgl. 2Kor 4,4 ) steckt in dem Begriff "Ebenbild" noch der Gedanke der Repräsentation und Manifestation. Wie der Kopf eines Souveräns auf einer Münze ist Christus "das Ebenbild seines Wesens (des Vaters)" (Hebr 1,3). Jesus selbst formulierte es so: "Wer mich sieht, der sieht den Vater" (Joh 14,9 ). Wer Christus, die sichtbare Manifestation des unsichtbaren Gottes, erblickte, hatte damit indirekt Gott selbst "gesehen". Denn "niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist ... der hat ihn uns verkündigt" (Joh 1,18). Paulus sprach immer wieder vom "unsichtbaren" Gott (1Tim 1,17), doch Christus ist die vollkommene, sichtbare Widerspiegelung und Verkörperung dieses Gottes. Auch wenn das Wort "Ebenbild" (eikOn) nicht immer auf eine vollkommene Ebenbildlichkeit hinweist (vgl. 1Kor 11,7), so ist in diesem Kontext eindeutig eine solche Vollkommenheit gefordert. Wie das Wort "Gestalt" (morphE; vgl. Phil 2,6-7) bezieht sich eikOn auf das innerste Wesen und den Wesenskern einer Sache oder Person. In Hebr 10,1 wird der "Schatten" dem "Wesen" (eikOn), das Christus ist, gegenübergestellt (vgl. Kol 2,17 ). So zeigt sich die überragende Stellung Christi zuerst in seiner Beziehung zu Gott dem Vater. Er ist der vollkommene Abglanz und das Ebenbild Gottes.

Zum zweiten zeigt sich Christi Stellung in seiner Beziehung zur Schöpfung. Er ist der Erstgeborene vor aller Schöpfung . Grammatikalisch wäre es auch möglich, die griechische Wendung mit "der Erstgeborene in der Schöpfung" wiederzugeben, doch das verbietet sich aus fünf Gründen vom Zusammenhang her:

(1) Die vorliegende Passage (und der ganze Kolosserbrief) zielt in erster Linie darauf ab,die absolute Überlegenheit Christi herauszustellen.

(2) Weitere Äußerungen über Christus in diesem Abschnitt (wie etwa "in ihm ist alles geschaffen", V. 16, und "alles besteht in ihm", V. 17 ) deuten klar auf seine Vorrangstellung und Überlegenheit über die Schöpfung hin.

(3) Der "Erstgeborene" kann nicht Teil der Schöpfung sein, wenn er seinerseits "alles" geschaffen hat. Man kann sich nicht selbst schaffen. (Die Zeugen Jehovas fügen in ihrer Bibelübersetzung in diese Passage fälschlicherweise sechsmal das Wort "anderer" ein. Das erweckt den Eindruck, als habe Christus alle anderen Dinge geschaffen, nachdem er selbst geschaffen war. Im griechischen Urtext findet sich dieses zusätzliche Wort jedoch nicht.)

(4) Der "Erstgeborene" wurde von allen Engeln angebetet (Hebr 1,6), doch Geschaffenes darf nicht auf solche Weise verehrt werden (2Mo 20,4-5).

 (5) Der griechische Begriff für "Erstgeborener" ist prototokos. Wenn Christus aber der "Erst-Geschaffene" wäre, hieße das im Griechischen protoktisis.

"Erstgeborener" steht für zwei Eigenschaften Christi: Er ging der ganzen Schöpfung voran, und er ist Herr über die Schöpfung. Im Alten Testament besaß ein Erstgeborener die Vorrechte, Würde und Überlegenheit der Erstgeburt (vgl. 2Mo 13,2-15; 5Mo 21,17). Als Jesus sich zum "Ersten" (ho protos; Offb 1,17 ) erklärte, benutzte er ein Wort, das "zuallererst" bedeutet. Die "Erstgeburt" ist zudem gleichbedeutend mit absoluter Souveränität. "Erstgeborener" war im Alten Testament noch kein gebräuchlicher Messiastitel.

"Und ich will ihn zum erstgeborenen Sohn machen, zum Höchsten unter den Königen auf Erden" (Ps 89,28) - diese Königshymne bezieht sich zwar auf David, doch sie spricht auch vom Messias, wie Offb 1,5 zeigt, wo Christus der "Erstgeborene von den Toten" (vgl. Kol 1,18 ) und "Herrscher über die Könige auf Erden" genannt wird. Der Titel "Erstgeborener" impliziert also Christi Vorrangstellung vor der ganzen Schöpfung (in zeitlicher Hinsicht) und seine Souveränität über die ganze Schöpfung (in statusmäßiger Hinsicht).


 Kol 1,16-17

 Der dritte Wesenszug Christi ist, daß in ihm alles geschaffen (ist), ja es ist alles durch ihn (di? autOu, in instrumentellem Sinn) und zu ihm (eis auton, in finalem Sinn) geschaffen ... und es besteht alles ihn ihm (en autO ), d. h., er ist der Schöpfer und Erhalter. Christus ist nicht nur der, durch den alle Dinge geworden sind, sondern er ist es auch, der sie am Leben erhält. Zwei andere Textpassagen aus dem Neuen Testament beschreiben ihn in ganz ähnlicher Form: "Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht" (Joh 1,3), und Christus, der Sohn, ist derjenige, "durch den er (der Vater) auch die Welt gemacht hat" (Hebr 1,2 ). Der Vater ist also die letzte Ursache der Schöpfung und der Sohn das Mittel, durch das die Welt entstanden ist. Der Sohn war der "Vorarbeiter" der Schöpfung, "der Anfang" (archE) "der Schöpfung Gottes" (Offb 3,14).

 In diese Schöpfung des Sohnes ist alles eingeschlossen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare. Damit ist das gesamte Universum, die materielle und die immaterielle Welt, gemeint. Die Hierarchie der Engel - Throne (thronoi) oder Herrschaften (kyriotEtes) oder Mächte (archai) oder Gewalten (exousiai ) - deutet auf einen hochentwickelten Herrschaftsbereich in der spirituellen Welt, einer Sphäre, der sich die Kolosser mit ihrer Engelverehrung (Kol 2,18) näherten und über die Christus als souveräner Herrscher gebietet (vgl. Eph 1,21;3,10;6,12; Phil 2,9-10; Kol 2,10.15).



 Kol 1,18
 Viertens ist Christus das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist nicht nur der Herr des Universums, sondern auch das Oberhaupt der Gemeinde (vgl. Eph 1,22-23;5,23 ). An dieser Stelle dürfte die unsichtbare oder universale Kirche gemeint sein, in die alle Gläubigen in dem Augenblick, in dem sie glauben, durch den Heiligen Geist hineingetauft werden (1Kor 12,13). Dieses Werk des Geistes begann mit Pfingsten ( Apg 1,5; Apg 2,1-2; Apg 11,15-16 ). Die "unsichtbare Kirche" bildet einen ganz besonderen Leib, in dem es "nicht Jude noch Grieche" (Gal 3,28) gibt, aber dafür eine ganz neue Schöpfung Gottes (Eph 2,15). Die Kirche ist ein "Geheimnis ..., [das] in früheren Zeiten den Menschenkindern nicht kundgemacht (war)" ( Eph 3,3-5; vgl. Röm 16,25-26; Kol 1,26).

Zum fünften ist Christus der Anfang (archE), der Erstgeborene von den Toten (vgl. Offb 1,5). Christus ist als erster mit einem unsterblichen Körper auferstanden (1Kor 15,20), und als solcher geht er der ganzen neuen Schöpfung als Herrscher voran (vgl. "Erstgeborener" in Kol 1,15). Seine Auferstehung war der Beweis für seinen Sieg über den Tod ( Hebr 2,14; vgl. 1Joh 3,8). Er war der "Erstling" der Sterblichen (1Kor 15,20 ), da er, anders als andere, auferstand, um nie wieder zu sterben. Er wurde "eingesetzt ... als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten" (Röm 1,4) und lebt "nach der Kraft unzerstörbaren Lebens" (Hebr 7,16). Das geschah, damit er in allem der Erste sei. Christus hat den ersten Platz in der Schöpfung. Derselbe ewige Logos (Joh 1,1), der "Fleisch wurde" (Joh 1,14) und "sich selbst erniedrigte" (Phil 2,8), ist nun von Gott dem Vater "erhöht" und erhält "den Namen ... der über alle Namen ist" (Phil 2,9).


Kol 1,19
Das sechste Kennzeichen des erhöhten Christus ist, daß in ihm alle Fülle Gottes wohnen sollte. An einer späteren Stelle schreibt Paulus: "In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig"
(Kol 2,9).
Kol 1,19
 ist eine der eindrucksvollsten Aussagen zur Gottheit Christi im ganzen Neuen Testament (vgl. Hebr 1,8). "Fülle" (plErOma) taucht als Schlüsselbegriff im Kolosserbrief in Kol 1,19 und Kol 2,9 auf. (Das Verb plEroO kommt in Kol 1,9.25;2,10 und Kol 4,17 vor.) Das Substantiv bedeutet "Vollständigkeit" und wird in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, unter anderem zur Versinnbildlichung des göttlichen Wesens (Eph 3,19), der Zeit (Gal 4,4) und der Gnade in Christus (Joh 1,16). Diese vollkommene Gottheit "wohnt" (katoikEsai, "für immer bleiben") nach den Worten des Apostels in Christus.


 Kol 1,20
Das siebte Merkmal Christi ist seine Versöhnerrolle. Durch ihn will Gott alles mit sich versöhnen. Der Begriff "alles" ist auf die guten Engel und die Erlösten beschränkt, da nur die Dinge auf Erden oder im Himmel erwähnt werden. Das, was "unter der Erde" ist (Phil 2,10), bleibt unversöhnt. (Zu dem wiederherstellenden Wesen Gottes vgl. den Kommentar zu Röm 8,19-21; zur Versöhnung der Sünder vgl. den Kommentar zu Röm 5,10-11; 2Kor 5,17-20 .) Es fällt auf, daß die Menschen mit Gott versöhnt werden, und nicht Gott mit den Menschen. Die Menschheit ist von Gott abgefallen und bedarf der Versöhnung, nicht umgekehrt. In 2Kor 5,19 verwendet Paulus den Begriff "Versöhnung" in dem Sinn, daß sie der ganzen "Welt" durch Christi Tod zugänglich geworden ist. Der Apostel spricht davon, daß "viele" (d. h. die, "die die Fülle der Gnade empfangen" haben) durch das Kreuz "zu Gerechten" gemacht werden ( Röm 5,17-19 ). Die Wendung "indem er Frieden machte durch sein Blut" besagt, daß durch Christi Tod die Feinde Gottes ( Röm 5,10; Kol 1,21) durch den Glauben zu seinen Freunden und Kindern werden (vgl. Eph 2,11-19 ).


E. Versöhnung durch Christus
(1,21-23) Kol 1,21

Nachdem er die Versöhnung als siebtes Merkmal des erhöhten Christus besonders herausgestellt hat, geht Paulus näher auf diesen Punkt ein. Versöhnung ist notwendig, weil die Menschen dem Leben und Gott fremd ("abgeschnitten, entfremdet") sind ( Eph 2,12;4,18 ). Vor ihrer Bekehrung waren auch die Gläubigen in Kolossä Gott in Worten und Werken feindlich gesinnt. Die Sünde beginnt im Herzen des Menschen ( Mt 5,27-28 ) und schlägt sich dann in seinen Taten nieder (in bösen Werken; vgl. Gal 5,19 ). Die Menschen sind nicht wegen ihres äußeren sündigen Verhaltens Feinde Gottes, sondern sie begehen Sünden, weil sie innerlich in Feindschaft zu Gott stehen.
 
Kol 1,22
Die Versöhnung der Sünder mit Gott geschieht durch den Tod seines (Christi) sterblichen Leibes . Die gnostische Färbung der Irrlehre in Kolossä mit ihrer Orientierung an Plato bestritt sowohl, daß Christus wirklich Mensch, als auch, daß er wirklich Gott gewesen war. Wie Johannes erklärt, müssen die Christen bekennen, "daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist" (1Joh 4,2). Geistwesen können nicht sterben, und "ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung" (Hebr 9,22). Um die Menschen zu erlösen, mußte Christus wirklich Mensch werden (vgl. 1Tim 2,5; Hebr 2,17). Es ist also unerläßlich für das Heil der Menschen, daß er einen realen Körper besaß und einen wirklichen Tod starb (vgl. Röm 7,4; Hebr 10,10).


Die Folge von Christi Tod ist die Erlösung - damit er euch heilig ... vor sein Angesicht stelle . Das kann sich auf die Rechtfertigung des Gläubigen oder auf seine geistliche Vollendung beziehen. Am Ende strebt Gott beides für die Gläubigen an, und Christi Tod ist denn auch die Grundlage für die Rechtfertigung (Röm 3,21-26), die fortschreitende Heiligung (Röm 6-7) und auch für die schließliche Verherrlichung der Gläubigen (Röm 8 ). Wie Paulus an die Epheser schreibt: "Denn in ihm hat er uns erwählt, bevor der Welt Grund gelegt war, daß wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten" (Eph 1,4). Die Christen sind untadelig (amOmous; vgl. Eph 5,27; Phil 2,15; Jud 1,24) und makellos (anenklEtous ) in Christus. Dieser zweite Begriff taucht fünfmal im Neuen Testament auf und wird ausschließlich von Paulus verwendet (hier und in 1Kor 1,8; 1Tim 3,10; Tit 1,6-7). Er steht für einen Menschen, der völlig unbescholten ist. Satan ist der "Verkläger unserer Brüder" (Offb 12,10), doch Christus ist unser "Fürsprecher" (1Joh 2,1) beim Vater. Deshalb stehen die Gläubigen um Christi willen schuldlos da (vgl. Röm 8,33). In Christus sind die Angeklagten Gerechte und die Verurteilten Freigesprochene.


Kol 1,23

Diese Versöhnung in Christus wird nur durch einen festen Glauben ermöglicht - wenn ihr nur bleibt im Glauben. Die Kolosser waren in ihrem Glauben gegründet (wie ein Gebäude auf festem Grund steht) und fest (hedraioi; vgl. 1Kor 7,37; 15,58), so daß Paulus nicht an ihrer Standhaftigkeit zweifelt. Er spricht vielmehr von der Hoffnung (der sicheren Erwartung), die das Evangelium der Versöhnung nicht nur ihnen, sondern der ganzen Welt - allen Geschöpfen unter dem Himmel - bringt. Das ist offensichtlich eine Redewendung, die die Universalität des Evangeliums und seiner Verkündigung ausdrücken soll und nicht etwa besagt, daß jeder Mensch auf dem Erdball Paulus predigen hörte. In Apg 2,5 sind damit Menschen der unterschiedlichsten geographischen Herkunft gemeint (vgl. auch 1Mo 41,57; 1Kö 10,24; Röm 1,8).




F. Offenbarung des Geheimnisses Christi
(1,24-27)

Kol 1,24
Die Versöhnung von Juden und Heiden zu einem "Leib", die Christus vollbracht hat, ist ein Geheimnis, das nur in ihm offenbart ist. Paulus freut sich, daß er für seine Leser leiden darf und auf diese Weise erstattet, was an den Leiden Christi noch fehlt. Damit meint er nicht, daß Christi Leiden am Kreuz nicht ausreichten (vgl. Röm 3,21-26; Hebr 10,10-14), denn er spricht hier nicht von der Rettung, sondern vom Dienst. Die Rettung hat allein das Leiden Christi bewirkt ( 1Pet 1,11;5,1; Hebr 2,9), doch es ist das Vorrecht der Gläubigen, für Christus zu leiden ( 2Tim 3,11; 1Pet 3,13-14;5,9; Hebr 10,32). Das Wort "Bedrängnis" (thlipsis ) - das im übrigen nirgends im Neuen Testament für den Tod Christi verwendet wird - bedeutet soviel wie "Leid", "Druck", "Sorge" (wovon Paulus mehr als genug hatte; 2Kor 11,23-28 ). Es bezieht sich auf schwere Prüfungen im Leben, nicht auf Todesqualen. So leidet denn auch wirklich Christus, wenn die Gläubigen für ihn leiden. Das zeigt auch seine Frage an Saulus (aus dem später Paulus wurde) auf der Straße nach Damaskus: "Saul, Saul, was verfolgst du mich?" (Apg 9,4 ). Weil die Gemeinde der Leib Christi ist, empfindet Christus alles, was die Gläubigen empfinden. Um des Leibes Christi willen leidet Paulus gern (Phil 1,29).


Kol 1,25-26
Paulus ist ein berufener Diener der kostbaren Wahrheit des göttlichen Wortes, das er reichlich predigen soll (vgl. Kol 1,9 ). Die Häretiker in Kolossä rühmten sich eines "reichen" Wissens, das ihnen durch mystische Erfahrungen zuteil geworden war. Paulus hält dagegen, daß das Geheimnis nur in Christus zu finden ist. Mit "Geheimnis" meint er etwas, was bisher verborgen war und jetzt enthüllt, offenbart ist. Das widerspricht der Vorstellung der Irrlehrer in Kolossä, für die das Geheimnis in einer "Geheimlehre" bestand, in die nur eine exklusive Gruppe eingeweiht war, nicht die große Masse. Die Menschen des Alten Testamentes wußten noch nichts von der Gemeinde, denn sie (war) verborgen seit ewigen Zeiten und Geschlechtern. Auch jetzt, sagt Paulus, ist dieses Geheimnis nur den Heiligen (offenbart) . Da die Gemeinde der Leib Christi ist, der aus seinem Tod am Kreuz hervorging, kann sie im Alten Testament noch gar nicht existiert haben. Erst Jesus sagte sie in seinem irdischen Leben als etwas Zukünftiges voraus (Mt 16,16-18 ). Als Leib Christi, der durch die Taufe des Heiligen Geistes zusammengehalten wird (1Kor 12,13), wurde die Gemeinde im Augenblick dieser Taufe geboren ( Apg 1,5;2 ), und Paulus mußte bald einsehen, daß dieser geheimnisvolle Leib Christi, die Gemeinde, tatsächlich existierte und er sie verfolgte ( Apg 9,4; vgl. Gal 1,13).

 Daß die Gemeinde ein "Geheimnis" war, bedeutet jedoch nicht, daß die Erlösung und Segnung der Heiden vor Christus unvorstellbar war (vgl. Lk 2,29-32; Am 9,11-12 ). Das Geheimnisvolle daran war nicht so sehr, daß die Heiden gerettet wurden, sondern vielmehr wie sie zu "Miterben" werden konnten (Eph 3,6), gleichberechtigt mit den Juden - ohne einen trennenden "Zaun" zwischen beiden Gruppen ( Eph 2,12-14 ). Im Alten Testament galten Heiden, die zum jüdischen Glauben übertraten, danach immer noch weniger als Juden. Die besondere Einheit, in der "nicht Jude noch Grieche" ( Gal 3,28; d. h. "Heide") gilt, gibt es erst seit dem Tod Christi und dem Kommen des Geistes, der alle Gläubigen in diesen neuen Leib hineintauft. (Zu den anderen "Geheimnissen" im Neuen Testament vgl. die Tabelle bei Mt 13,10-16.)


 Kol 1,27

 Gott wollte den Heiligen des Neuen Testaments dieses Geheimnis kundtun. Er war in seiner Gnade bereit, seinen ewigen Plan mit all seinem herrlichen Reichtum (d. h. göttlichen Glanz) zu offenbaren. Das Überraschende daran ist, daß all das nun auch unter den Heiden geoffenbart ist, während die besondere Offenbarung Gottes bis dahin den Juden vorbehalten war ( Röm 2,17; Röm 3,1-2; Röm 9,4). Jetzt wurden die, "die ihr einst Ferne wart, Nahe durch das Blut Christi" (Eph 2,13). Die zuvor ohne "Hoffnung ... und ohne Gott" waren (Eph 2,12), haben nun eine herrliche Hoffnung, nämlich Christus . Wegen des "herrlichen Reichtums" (wörtlich: "des Reichtums der Herrlichkeit") dieses Geheimnisses haben die Gläubigen nun Christus, die Hoffnung der Herrlichkeit. Sie sind damit "in Christus" ( 2Kor 5,17; Eph 1,4), und Christus ist in ihnen (vgl. Röm 8,10; 2Kor 13,5). Durch Christus haben sie die Vorfreude auf die Teilhabe an seiner Herrlichkeit (Röm 5,2; 8,18.30; 2Kor 4,17; Gal 5,5; Kol 3,4; 1Pet 5,10; vgl. auch Röm 8,24).


 G. Vollendung in Christus (1,28-29)

 Kol 1,28-29 Indem er diesen Christus, der nun in den heidnischen Gläubigenwohnt, verkündigt, ermahnt (nouthetountes, "raten") und lehrt (didaskontes) Paulus alle Menschen (vgl. Kol 3,16 ). In diesem Fall richtet sich seine Ermahnung und Unterweisung zweifellos gegen die Irrlehren über Christus, die in Kolossä aufgetaucht waren. Er handelt darin "weise" (vgl. Kol 4,5-6 ), denn er will unbedingt vermeiden, daß die Christen in Kolossä womöglich noch stärker unter den Einfluß der Häretiker geraten. Sein Bestreben geht grundsätzlich dahin, einen jeden Menschen in Christus vollkommen (teleion, "reif"; vgl. Jak 1,4) zu machen. Paulus liegt daran, daß die von ihm Bekehrten in ihrer geistlichen Entwicklung nicht zurückbleiben (vgl. 1Kor 3,1-2), sondern reifer werden (vgl. Hebr 5,11-14 ). An einer anderen Stelle betete er um die vollkommene Heiligung der Gläubigen (1Thes 5,23 ). Er verkündet den ganzen "Reichtum" des Evangeliums, damit die Gläubigen den ganzen Reichtum des von Jesus verheißenen Lebens erfahren können (Joh 10,10). Dafür setzt Paulus alle seine ihm von Gott geschenkte Kraft ein. Die Gläubigen in ihrem Glaubensleben voranzubringen, kostet große Mühe (kopiO; vgl. 1Kor 15,10.58; Gal 4,11; 1Thes 1,3), ja Kampf (agOnizomenos; vgl. Kol 2,1;4,12 ) und den vollen Einsatz, wie ihn ein Athlet in der Rennbahn aufbieten muß (vgl. 1Kor 9,25; 1Tim 6,12). Die Kraft für diesen Kampf fließt ihm von Christus zu (vgl. Phil 4,13).

 
H. Erkenntnis in Christus
(2,1-5)

 Kol 2,1
 Der selbstlose Kampf (agOna; vgl. Kol 1,29; 4,12 ) des Apostels dient nicht nur denen, die er persönlich kannte; er kämpft auch um alle, die ihn nicht von Angesicht gesehen haben . Diese Äußerung ist ein klares Indiz dafür, daß Paulus die Gemeinden im Lykustal nicht selbst gegründet hatte. Die Erwähnung von Laodizea (Kol 4,16) zeigt, daß die Irrlehre sich offenbar bis dorthin ausgebreitet hatte, wenn auch ihr Zentrum wahrscheinlich in Kolossä lag.


 Kol 2,2-3
Paulus' erklärtes Ziel war es, daß die Herzen der Gläubigen gestärkt und zusammengefügt werden in der Liebe . Vertrauen und Überzeugungsstärke gepaart mit einer festen Einheit führen zum vollkommenen Begreifen der Wahrheit. Es gibt keinen Reichtum an ... Verständnis (syneseOs , "Einsicht") ohne rückhaltlose Hingabe an Gott. Dieses Verständnis ist seinem Wesen nach christozentrisch. Die Einsicht in die Wege Gottes befähigt die Christen dazu, Christus ganz zu erkennen (epignOsin). Christus, das wahre Geheimnis Gottes, offenbart Gott den Menschen (vgl. Joh 1,18; Hebr 1,2-3), denn in ihm sind verborgen (vgl. Kol 1,26) alle Schätze der Weisheit (sophia; vgl. Kol 1,9) und der Erkenntnis . Erkenntnis ist das Erfassen der Wahrheit; Weisheit ist die Anwendung dieser Erkenntnis auf das praktische Leben. Erkenntnis ist kluges Urteil, Weisheit ist kluges Handeln. Beide sind in Christus (vgl. Röm 11,33; 1Kor 12,8), dessen Weisheit für die Welt Torheit ist (1Kor 1,21-25), der jedoch die Macht Gottes verkörpert, durch die der Gläubige "Gerechtigkeit ... Heiligung und ... Erlösung" empfängt (1Kor 1,30).


 Kol 2,4-5
Nur diese vollkommene Erkenntnis und Weisheit Christi kann den Gläubigen davor bewahren, von verführerischen Reden (pithanologia , wörtlich "überzeugende Rede", die plausible, aber falsche Argumente verwendet; das Wort taucht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament auf) getäuscht zu werden. Wahrheit und Überzeugungskraft gehen nicht immer Hand in Hand; Irrtümer können manchmal genauso zwingend sein wie die Wahrheit. Alles hängt davon ab, ob man die volle Wahrheit besitzt und ganz auf sie verpflichtet ist. Deshalb freut sich Paulus, obwohl er leiblich abwesend ist, an der Ordnung (vgl. 1Kor 14,40) und dem festen Glauben an Christus, den die Gemeinde in Kolossä besitzt.

 I. Mahnung zu einem Leben in Christus
(2,6-7)
 Kol 2,6-7

Diese beiden Verse bilden den Abschluß des Gedankenganges,der in Kol 1,15 aufgenommen wurde. Paulus' Ausführungen lassen sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: Die göttliche Erhöhung gebührt Christus (1,15-20), in ihm sind (a) die Versöhnung mit Gott (Kol 1,21-23), (b) die Offenbarung des Geheimnisses Christi ( Kol 1,24-27 ), (c) die Vollendung der Gläubigen ( Kol 1,28-29 ) und (d) die Erkenntnis und ihre Anwendung (Kol 2,1-5). Deshalb sollen die Gläubigen sich bemühen, weiter in ihm zu bleiben (V. 6-7).

Das Leben des Christen soll so weiterverlaufen, wie es begonnen hat: Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm. Die gleiche Mahnung richtete Paulus auch an andere Gemeinden ( 2Kor 11,4; Gal 1,6 ). Da der Glaube, der ursprünglich in sie gelegt war, sich auf das Evangelium des Apostels gründete, fordert Paulus sie auf, die göttliche Autorität dieser Botschaft nicht für irgendwelche menschlichen Sophistereien aufs Spiel zu setzen. Sie sind von ihrer Vergangenheit her so in ihm verwurzelt, daß sie immer mehr im Glauben gegründet (aufgebaut) und fest werden können. Wenn sie dabei bleiben, werden sie nicht von jeder x-beliebigen Lehre in ihren Überzeugungen wankend gemacht werden (Eph 4,14). Die Gläubigen, die fest in Christus gegründet sind, werden reichlich dankbar (vgl. Kol 1,12).


 II. Die Polemik: Das höhere Leben in Christus
(2,8-23)
 Nach der Ermahnung an die Gläubigen, in Christus zu bleiben (Kol 2,6-7 ) - in dem die Fülle Gottes ist und der die Erlösung gebracht hat -, verurteilt Paulus die Häresie, die für den Abfall der Kolosser von Christus verantwortlich ist.

 A. Der Irrtum des Gnostizismus: Die Gottheit Christi
(2,8-10)
 Kol 2,8 Paulus liegt daran, daß niemand die Gläubigen in Kolossä einfange durch Philosophie und leeren Trug (vgl. V. 4 ). Das richtet sich nicht gegen die Philosophie an sich, sondern gegen irrige philosophische Vorstellungen, so wie sich die Bibel auch gegen falsche Religionen wendet (Jak 1,26). Die Philosophie in Kolossä, von der der Apostel hier spricht, war "leer" (kenEs) und trügerisch, gegründet auf die Lehre von Menschen ... und nicht auf Christus. Wirkliche christliche Philosophie dagegen nimmt "gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus" (2Kor 10,5). Philosophie ist die Liebe zur Weisheit, doch wer eine Weisheit liebt, die Christus (die Summe aller Weisheit; Kol 2,3 ) nicht entspricht, liebt ein hohles Götzenbild. Ein solcher Mensch ist "immer auf neue Lehren aus" und wird doch "nie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können" (2Tim 3,7). Die falsche Philosophie stützt sich auf die Mächte (stoicheia; vgl. Kol 2,20; Gal 4,3.9) der Welt. Das bezieht sich möglicherweise auf böse Geister, von denen sie inspiriert ist, die Christus jedoch besiegt hat (vgl. 2Kor 4,3-4; Eph 6,11-12 ). Diese Philosophie ist dämonisch und weltlich, nicht gottgefällig oder christlich. Wenn die Gläubigen sich nicht vorsehen, geraten sie womöglich in ihr Netz.


 Kol 2,9

 In einer Philosophie, die auf leerer menschlicher Logik basiert, gibt es keine "Fülle" (plErOma). Die ganze Fülle der Gottheit (wohnt) nur in Christus. Nur in ihm ist die Fülle erfahrbar, ohne ihn gibt es nur die Leere. Wie der Philosoph Jean Paul Sartre notierte: "Das Leben ist eine leere Seifenblase auf dem Meer des Nichts" (vgl. Pred 1,14-18 ). Das Wort für "Gottheit", das Paulus hier verwendet, ist theotEtos . Es kommt nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vor und unterstreicht das göttliche Wesen Christi. Und doch ist die "Fülle der Gottheit" Christi leibhaftig - in vollkommener Menschlichkeit - da (vgl. Kol 1,22 ). Die frühgnostische Häresie stellte sowohl die Gottheit als auch die Menschheit Christi in Frage. Sie machte aus Christus einen Engel, dessen "Leib" nur ein "Scheinleib" war. Dieser Verfälschung hält Paulus entgegen, daß Christus beides ist, wahrer Gott und wahrer Mensch (vgl. 1Joh 4,1-6).


 Kol 2,10
Die ganze "Fülle" (plErOma) ist nicht nur in Christus, sondern die Gläubigen haben an dieser Fülle ... teil in ihm. Der Reichtum des Lebens, das sie besitzen, strömt aus der Fülle Christi. Durch ihn haben sie Anteil am göttlichen Wesen (2Pet 1,4), denn "von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade" (Joh 1,16 ). Das bedeutet natürlich nicht, daß die Gläubigen selbst göttlich werden. Sie haben lediglich am Wesen Gottes teil, d. h., sie besitzen oder teilen die Güte dessen, was er in ganzer Fülle ist. Sie haben am Leib dessen teil, der das Haupt (vgl. Kol 1,18) aller Mächte (archEs, "Herrscher") und Gewalten (exousias, "herrschende Macht") ist (vgl. Kol 1,16;2,15 ). Zu diesen Gewalten sind auch die zu zählen, die die Kolosser zu einem Leben nach den Maßstäben der Welt und nicht nach Christus überreden wollen.

B. Der Irrtum der Gesetzlichkeit: Die Wahrheit in Christus

(2,11-17)
Kol 2,11-12 Von den theologischen Irrtümern der falschen Lehrer und deren Gnostizismus geht Paulus zu ihren praktischen Fehlern, ihrem Legalismus, über. Die Heidenchristen in Kolossä haben es nicht nötig, sich an die jüdischen Gesetze und Vorschriften wie etwa die Beschneidung anzupassen. Sie sind schon in Christus beschnitten. Diese geistliche "Beschneidung" wurde durch Christus und nicht durch Menschenhand vollzogen. Sie war eine Kreuzigung oder ein Ablegen des Leibes, eine Beschneidung des Herzens (vgl. Röm 2,29; Eph 2,11). Ihr fleischliches Wesen (wörtlich "der Fleischesleib"; vgl. "fleischlicher Sinn" in Kol 2,18 ) ist ihnen durch Christi Tod und Auferstehung endgültig abgenommen worden. Was sie in Adam gewesen waren - sündig, gefallen und verderbt -, wurde durch Christus ausgelöscht. Nun, "in Christus", ist der Gläubige eine "neue Kreatur" (2Kor 5,17). In seinem neuen Haupt hat er einen neuen Maßstab für sein Leben: nicht mehr das mosaische Gesetz, sondern die Nachfolge Christi. Die Verbform "ablegtet" kommt von dem Substantiv apekdysei (ein totaler Abbruch), das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vorkommt. Das Ablegen der alten Existenz vollzieht sich bei der Erlösung, wenn der Gläubige mit Christus begraben wird durch die Taufe des Geistes (vgl. 1Kor 12,13) und mit ihm aufersteht zu einem neuen Leben. Dieses Begrabenwerden und Auferstehen des Christen mit seinem Herrn wird in der Taufe versinnbildlicht. Bei der Wassertaufe symbolisiert das Eintauchen das Begrabenwerden und das Emporkommen aus dem Wasser die Auferstehung durch die Kraft Gottes, "um in einem neuen Leben (zu) wandeln" ( Röm 6,4 ).

 Kol 2,13-14
Bevor ein Mensch zu diesem neuen Leben in Christus befreit wird, ist er tot ... in seinen Sünden und in der Unbeschnittenheit seines Fleisches (vgl. den Kommentar zu "Gliedern ... auf Erden" in Kol 3,5 und zum "alten Menschen" in Kol 3,9 ). Der Tod bedeutet eine Trennung, nicht die Auslöschung. Selbst die Unerlösten tragen noch immer die Ebenbildlichkeit Gottes in sich ( 1Mo 9,6; Jak 3,9 ), doch sie sind von Gott geschieden. Sie sind zwar vom geistlichen Leben abgeschnitten, aber sie haben noch ihr menschliches Leben. Nun aber hat Gott euch mit ihm (Christus) lebendig gemacht (vgl. Eph 2,1-6). Dieselbe "Kraft" (energeias; vgl. Kol 1,29), die Christus von den Toten auferweckt hat (Kol 2,12), erweckt gläubige Sünder zu geistlichem Leben (V. 13).

 Dieses neue Leben wurde den Menschen zuteil, als Gott ihnen alle Sünden (vergeben) hat, denn er hat den Schuldbrief getilgt. Vor Gottes Gesetz, seinem "Schuldbrief", standen die Menschen verurteilt da (vgl. Röm 3,19 ), denn er war mit seinen Forderungen gegen sie. Doch in Christus ist dasGesetz erfüllt (Röm 8,2) und abgetan ( Gal 3,25; Hebr 7,12 ). Es ist deshalb falsch, sich nach wie vor ans Gesetz zu klammern, denn die Gläubigen sind in Christus tot für das Gesetz. Christus hat die Forderungen des Gesetzes in seinem Leben und durch seinen Tod erfüllt, und die Christen sind in ihm.

 Weil die Menschen das Gesetz nicht halten können, sind sie seine Schuldner. Weil sie ihre Schuld nicht bezahlen können, sind sie Verbrecher. Doch Jesus hat diese Anschuldigung durch seinen Tod weggetan. Es ist, als habe er sie an das Kreuz geheftet , an dem er selbst hing und mit dem er deutlich machte, daß er die Schuld bezahlt hat. Das Schuldkonto der Menschen ist gelöscht.



 Kol 2,15-17
Indem er die Forderungen des Gesetzes erfüllte, hat Christus die dämonischen Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet (vgl. Kol 1,16;2,10 ) und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht (vgl. 2Kor 2,14 ). Dadurch sind die Gläubigen von diesen schlimmen Mächten befreit, die ihnen Speise- und Festtagsvorschriften auferlegen wollen. So laßt euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank - die Christen sind frei von den Forderungen des Gesetzes (wie sie z. B. in 3Mo 11;17 und 5Mo 14 aufgeführt sind). Gott verurteilt diejenigen nicht, die alles essen (Röm 14,1- 4 ). Im Gegenteil, er sagt sogar ausdrücklich, daß alle Speisen gegessen werden können, weil er sie "geschaffen hat, daß sie mit Danksagung empfangen werden von den Gläubigen und denen, die die Wahrheit erkennen" (1Tim 4,3). Eine Lehre, die dies verbietet, ist nach den Worten des Paulus "teuflisch" (1Tim 4,1) und stammt von jenen Mächten, die Christus überwunden hat (Kol 2,15).

Diese Befreiung der Gläubigen erstreckt sich auch auf Festtage wie die Feier des Neumondes oder Sabbats (vgl. Gal 4,10 ). Diejenigen, die die Christen unter die Knechtschaft des Gesetzes bringen wollen, machen künstliche Unterscheidungen zwischen dem "zeremoniellen" und dem "moralischen" Gesetz und sagen deshalb, daß der Sabbat nicht aufgehoben sei. Daß diese Auffassung falsch ist, zeigt sich an verschiedenen Dingen: (1) Das Sabbatgebot wird als einziges der Zehn Gebote im Neuen Testament nicht wiederholt. (2) Die Urchristen versammelten sich sonntags ( Apg 20,7; 1Kor 16,2), weil Christus an diesem Tag auferstanden und erschienen war ( Mk 16,1; Joh 20,1 ). (3) Die Bibel unterscheidet nirgends zwischen den sogenannten "moralischen" und den "zeremoniellen" Geboten (eine derartige Trennung wurde erst seit dem 13. Jahrhundert n. Chr. eingeführt). (4) Die vorliegende Passage des Kolosserbriefes verurteilt ausdrücklich all diejenigen, die die Observanz des Sabbatgebotes fordern. (5) Nach den Worten des Paulus war das alttestamentliche Gesetz (einschließlich des Sabbatgebotes) nur ein Schatten des Zukünftigen. Leibhaftig oder "substantiell" (sOma, wörtlich "Leib") aber ist es in Christus (vgl. Hebr 8,5;10,1 ). Was im Alten Testament nur schattenhaft zu erahnen war, wurde in Christus Realität (vgl. Mt 5,17; Röm 8,3-4). Ein "Schatten" (skia ) ist nur der Umriß eines Gegenstandes. Wer aber Christus gefunden hat, der braucht nicht länger hinter dem alten Schatten herzulaufen.

 
C. Der Irrtum des Mystizismus: Christus als das Haupt

(2,18-19)
Kol 2,18
 Diejenigen, die die Gläubigen von der Wahrheit in Christus abbringen und zum Schatten des Gesetzes zurückführen wollen, nehmen ihnen den Siegespreis. D. h., sie rauben (katabrabeuetO, "sich dagegen entscheiden"; vgl. brabeuetO in Kol 3,15 ) den Gläubigen ihre geistliche Belohnung. Wie Läufer, die im Rennen in die falsche Richtung laufen, vom Schiedsrichter disqualifiziert werden, so gehen die Christen, die sich von der treuen Nachfolge Christi abwenden, ihrer Belohnung verlustig (1Kor 3,10-15). Manche der Häretiker, die die Gläubigen von ihrem treuen Dienst abbringen, treten mit falscher Demut auf, die "den Schein der Frömmigkeit hat, aber deren Kraft (in Christus; Röm 8,3-4) verleugnet" (2Tim 3,5). Diese


künstliche Frömmigkeit der Legalisten war mit der Verehrung der Engel verbunden, die die Schrift ausdrücklich untersagt ( 2Mo 20,3-4; vgl. Offb 22,8-9 ). Die legalistische Richtung ist eine Lehre, die von den gefallenen Engeln herkommt (1Tim 4,1), die die Menschen als "Mächte der Welt" (Gal 4,3 ) durch mystische Meditation unter ihre Herrschaft bringen wollen. Die legalistischen Mystiker betonen gewichtig, was sie alles (in Visionen) geschaut haben, und sind in den Augen des Paulus doch nur ohne Grund aufgeblasen (eikE, "hohl"; vgl. Gal 3,4). Statt demütig zu sein, wie es sich für wirkliche Diener Gottes geziemt, ist der fleischliche Sinn dieser Leute aufgebläht vor Stolz auf ihre visionären Erfahrungen.

 
Kol 2,19
 Während er davon überzeugt ist, daß sein Mystizismus ihn mit einer "höheren" Realität in Berührung bringt, hält sich der gesetzestreue Mystiker in Wirklichkeit nicht an das Haupt (Christus), das allein dem Leib Leben gibt und ihn durch Gottes Wirken wachsen läßt (vgl. Joh 15,1-5 ). Wahre Spiritualität erwächst nicht aus der Befolgung von Gesetzen (die ja nur ein Schatten sind), sondern aus der Verbindung zum Leben (das die Wirklichkeit ausmacht). Ohne eine lebendige Verbindung zu seinem Haupt kann der Leib Christi nicht leben. In einem ganz ähnlichen Bild sagte Jesus: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun" (Joh 15,5).

 D. Der Irrtum des Asketismus: Die Unbefleckbarkeit in Christus

 (2,20-23)
 Kol 2,20-21
 Eine weitere Begleiterscheinung von Legalismus und Mystizismus ist der Hang zur Askese. In ihr offenbart sich eine pseudo-spirituelle Haltung, die in den verschiedensten Regeln und Formen der physischen Selbstverleugnung schwelgt: Du sollst das nicht anfassen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren . Die Verbote reichen vom Vermeiden des Umgangs mit bestimmten Dingen bis hin zum Untersagen auch nur der Berührung bestimmter Gegenstände. Derselbe Legalismus spricht aus der Übertreibung, mit der Eva das göttliche Gebot auslegt: "Rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet" ( 1Mo 3,3; vgl. 1Mo 2,16-17 ). Asketizismus erwächst aus einem Gefühl der Schuld. Doch Christus hat durch seinen Tod alle menschliche Schuld getilgt ( Kol 2,13-14 ). Weil aber die Christen mit Christus den Mächten (stoicheia; vgl. den Kommentar zu V. 8) der Welt gestorben sind, sind sie ihnen nicht länger Gehorsam schuldig (zu dem ihre fleischlichen Neigungen sie drängen). Nur diejenigen, die für die Sünde leben (vgl. Röm 6,1-7 ), müssen sich ihrer Herrschaft unterwerfen. "Weltlichkeit" bedeutet ein Leben nach den Gesetzen der Welt, auch nach jenen, die einen Schein von Demut vortäuschen und angeblich auf irgendwelche "Engelwesen" zurückgehen sollen. "Geistlichkeit" ist dagegen ein Leben in der Macht des Geistes in Einheit mit Christus, durch den der Gläubige der Sünde gestorben ist. "Wir wissen ja, daß unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde" (Röm 6,6).


Kol 2,22-23

Der Asketizismus ist ein von Menschen erdachtes System von Vorschriften (die häufig aus dem Kontext des göttlichen Gesetzes herausgerissen sind), das sich auf Gebote und Lehren von Menschen stützt. Das beste, im Neuen Testament immer wieder angeführte Beispiel für Gesetzlichkeit ist das alttestamentliche Gebot der Beschneidung, die Gott den Juden als ein Zeichen des Glaubens (Röm 4,11) gegeben hatte und aus der die Legalisten eine Vorbedingung für die Gnademachen wollten (Gal 2,21). Ein Leben nach derartigen Vorschriften und einer solchen selbstgemachten Religion hat zwar einen gewissen Schein von Weisheit (sophias; vgl. Kol 1,9;2,3;4,5 ), doch letztlich sind alle diese Regeln nichts wert und befriedigen nur das Fleisch (sarkos; vgl. Kol 2,11.18 ). Denn wer dem Körper die Befriedigung seiner Bedürfnisse verweigert, steigert sie nur, wie jeder weiß, der einmal versucht hat abzunehmen, indem er sich an eine strenge Diät hielt. Körperfeindlichkeit tut nach Ansicht des Apostels nichts für die Weiterentwicklung des Geistes.



 III. Der Geist: Das innere Leben in Christus
(3,1-17)
Paulus weiß, daß alle Weisheit in Christus ist (Kol 2,1-5) und bittet die Kolosser deshalb, in ihrem Herrn zu bleiben (Kol 2,6-7) und sich nicht von leeren philosophischen Spekulationen irreführen zu lassen ( Kol 2,8-10 ). Da die Gläubigen Christus gleichgeworden sind, sollen sie nicht unter dem jüdischen Gesetz leben, denn das würde ihnen nur ihren Lohn rauben ( Kol 2,18- 19 ). Sie sind mit Christus gestorben und haben es daher nicht nötig, sich irgendwelchen Gesetzesvorschriften zu unterwerfen ( Kol 2,20-23 ).

Außerdem sind sie auch mit Christus auferweckt worden und sollen ihr Sinnen und Trachten deshalb auf himmlische Dinge richten (Kol 3,1-4), ihre sündigen, weltlichen Verhaltensweisen aufgeben ( Kol 3,5-11 ) und sich in Christi Tugenden kleiden ( Kol 3,12-17 ). Mit anderen Worten wird von den Gläubigen erwartet, daß sie nach geistlichen Werten streben (Kol 3,1-4), die Sünden ihres alten Lebens ab- ( Kol 3,5-11 ) und die Tugenden des neuen Lebens anlegen ( Kol 3,12-17 ). Dieser tiefgreifende Wandel sollte wiederum Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu anderen haben, sowohl innerhalb der Familien als auch in der Gesellschaft ( Kol 3,18-4,1 ).

 A. Die Suche nach geistlichen Werten
(3,1-4)
Kol 3,1
 Da die Gläubigen nicht nur mit Christus gestorben, sondern auch mit Christus auferstanden sind (vgl. Röm 6,8-10; Kol 2,12-13 ), sollen sie nach dem streben, was droben ist . Das Leben der Gläubigen soll also vom Gedanken an den Himmel beherrscht werden, und sie sollen ihre irdischen Pflichten an diesem Gedanken ausrichten. "Sucht" (zEteite) bedeutet "ernsthaft suchen oder streben" (vgl. Offb 9,6; 1Kor 7,27 ). Daß sie ihren Blick ganz auf das, "was droben ist", richten sollen, bedeutet eine Zentrierung des christlichen Lebens auf den erhöhten (Eph 4,10), verherrlichten ( Joh 17,5; Phil 2,9) Christus, der zur Rechten Gottes sitzt ( Ps 110,1; Lk 22,69; Apg 2,33; 5,31; Röm 8,34; Eph 1,20; 1Pet 3,22; Hebr 1,3.13;8,1;10,12;12,2 ). Dieser Ehrenplatz wurde ihm zuteil, weil er die Mächte des Bösen und des Todes besiegt hat ( Hebr 2,14-15 ).


Kol 3,2
Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist . Paulus will damit sagen: "Kümmert euch um das Ewige, nicht um das Zeitliche." Die Christen sollen "nicht ... auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare" sehen, "denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig" (2Kor 4,18). Die beiden fast gleich lautenden Gebote in Kol 3,1-2 unterstreichen die Dringlichkeit der Aufforderung des Apostels. "Sucht, was droben ist" heißt im Griechischen ta anO zEteite, und "trachtet nach dem, was droben ist" heißt ta anO phroneite. Die erstere Wendung drückt ein starkes Streben aus, die zweite eine starke Konzentration der Bemühungen.

Paulus war kein Verfechter eines jenseitigen Asketismus; im Gegenteil, er hatte derartige Bestrebungen kurz zuvor verdammt ( Kol 2,20-23 ). Er versucht nur, seinen Lesern klarzumachen, daß das Leben in dieser Welt besser sein kann, wenn es von einer Macht, die über diese Welt hinausgeht,der Macht des auferweckten, erhöhten, verherrlichten Christus, durchdrungen wird. "Das, was auf Erden ist" (ta epi tEs gEs, Kol 3,2; dieselbe Wendung taucht nochmals in V. 5 auf) und gemieden werden soll, ist moralischer, nicht physischer Natur (vgl. Unmoral, Unreinheit, Begierden usw. in V. 5 ). Paulus redet damit nicht der gnostischen Verachtung alles Materiellen das Wort. Alles, was Gott geschaffen hat, auch der Leib und die Sexualität, ist gut (vgl. 1Mo 1,27-28.31; 1Tim 4,1-4). Doch die Tatsache, daß die Menschen einen Körper haben, schafft auch Gelegenheiten für die Werke des Fleisches (vgl. Röm 7,4-6 ). Deshalb warnt Paulus davor, die eigenen Neigungen zu ausschließlich auf derartige Dinge zu richten und dadurch die Bestimmung, die Gott ihnen zugedacht hat, zu verfälschen.



Kol 3,3-4
 Im Augenblick seiner Erlösung ist ein Christ den Begierden des Fleisches, der sündigen Natur gestorben ( Röm 6,3-8; Kol 2,11), und sein Leben ist verborgen mit Christus in Gott . "Verborgen" heißt sowohl "verhüllt" als auch "in Sicherheit sein", es versinnbildlicht Unsichtbarkeit und Geborgenheit. Der Christ ist noch nicht verherrlicht, aber er ist fest und sicher in Christus, ja Christus ist sein Leben. Jesus hat gesagt, er werde dort hingehen, wo "die Welt (mich) nicht mehr sehen" wird ( Joh 14,19 ).

Doch wenn er bei der Entrückung erscheinen wird ( 1Thes 4,16-18 ), dann werden auch die Gläubigen offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit . Johannes drückt es so aus: "Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist" (d. h. die Gläubigen werden verherrlicht werden, wie er verherrlicht ist; 1Joh 3,2; vgl. 1Kor 13,12; Kol 1,27). Paulus rückt also etwas Neues ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Gläubigen: sie sollen nach oben, auf Christi himmlische Herrschaft sehen, und sie sollen den Blick nach vorn, auf seine Wiederkunft in den Wolken richten.


B. Das Ablegen der Sünden des alten Lebens
(3,5-11)
 Kol 3,5-6

 Die Bilderwelt, die Paulus zur Veranschaulichung seiner theologischen Ausführungen heranzieht, wechselt von dem Gegensatzpaar "Tod" und "Leben" zum An- und Ablegen der Kleider. "So tötet nun die Glieder, die auf Erden sind." Im Griechischen drückt diese

Aufforderung durch das Tempus einen Aufruf zu entschlossenem Handeln aus, so als habe Paulus gesagt: "Bringt sie um! Jetzt gleich! Greift hart durch!" Gott hat zwar das alles bereits bewirkt, aber die Christen müssen es wissen, sich darauf verlassen und danach handeln ( Röm 6,5-14 ). Mit anderen Worten, sie dürfen nicht so weiterleben, als ob sie noch für die Sünde lebendig wären, wenn sie es eigentlich nicht mehr sind. Sie müssen ihr altes Leben, das aus ihrer irdischen Natur erwuchs, wegwerfen. "Die Glieder, die auf Erden sind" (ta melE ta epi tEs gEs) bilden einen Kontrast zu dem, "was droben ist" ( Kol 3,1; ta epi tEs gEs kommt auch in V. 2 vor). Dieses irdische Wesen ist das "alte Ich" (oder die sündige Natur [Kol 2,13], "der alte Mensch"; Eph 4,22; Kol 3,9 ). Manche Exegeten sehen darin einen Hinweis auf den Zustand der Christen vor der Bekehrung, andere hängen der (plausibler klingenden) These an, damit seien die schlimmen Neigungen (d. h. die "alte Natur") in den Gläubigen gemeint. Doch selbst wenn die zuerst angeführte Auslegung recht hätte, bleibt die Aussage im Grunde genommen die gleiche: die Gläubigen sollen nicht so weiterleben wie zuvor, denn sie sind nun "neue Kreatur(en)" in Christus (2Kor 5,17).

Der Lasterkatalog im Zusammenhang mit der "irdischen Natur" ist lang und umfaßt Unzucht (porneia), Unreinheit (verschiedene Formen der Verderbtheit), schändliche Leidenschaft (pathos; "unbezähmbare Leidenschaft"), böse Begierde ("unerlaubtes Begehren") und Habsucht (oder Begehrlichkeit), die Götzendienst ist (weil sie Befriedigung in den Dingen auf der Erde und nicht in dem, "was droben ist", sucht). Solche Lasterkataloge finden sich häufiger in den Paulusbriefen ( Röm 1,29-31; 1Kor 5,11; 6,9-10; Gal 5,19-21; Eph 5,3-5 ). Der Apostel setzt hinzu, daß um solcher Dinge willen ... der Zorn Gottes über die Menschen kommt (erchetai; Präsens). Das Tempus des Verbs deutet an, daß dieser Zorn Gottes schon begonnen hat (vgl. Joh 3,36). Seinen Höhepunkt wird er freilich in der künftigen Bestrafung des Bösen erreichen ( Röm 2,5; 2Thes 1,7-9 ).


Kol 3,7-9

Auch die Kolosser lebten einst in dem allen , bevor sie das Evangelium von Christus kennenlernten, doch Paulus fordert sie auf, nun niemals mehr in die alten sündigen Gewohnheiten zurückzufallen: "Nun aber legt alles ab von euch." Der Imperativ "legt ab" (apothesthe ) beschwört das Bild vom Ablegen der Kleidung herauf. Er hat hier die ethische Bedeutung "zieht eure Sünden aus wie ein schmutziges Hemd" (vgl. Röm 13,12; Eph 4,22.25; Jak 1,21; 1Pet 2,1; Hebr 12,1). Das Verhalten der Menschen wird in der Bibel auch an anderen Stellen oft mit einem Gewand verglichen (z. B. Hi 29,14; Ps 35,26; Jes 11,5; Röm 13,12; 1Thes 5,8).

 Solche üblen Verhaltensweisen wie Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte stehen einem Christen nicht an, sie passen nicht zu ihm (vgl. Eph 4,17.31). OrgEn ("Zorn") ist ein Ausdruck für eine dauernde Empfindung, für schwelenden Haß; thymon ("Grimm") dagegen ist der akute Ausbruch des Zorns. An anderen Stellen wird das Substantiv thymos mit "Zorn" ( 2Kor 12,20; Gal 5,20) und in Eph 4,31 ebenfalls mit "Grimm" wiedergegeben. "Bosheit" (kakian, die Bösartigkeit, die Zorn und Grimm zugrundeliegt) ist genauso verboten wie "Lästerung" (blasphEmian, "Schmähreden" oder "üble Nachrede"). "Schandbare Worte" (aischrologian) steht für eine verdorbene oder rohe Redeweise. Darüber hinaus dürfen Christen auf keinen Fall lügen (vgl. Eph 4,25), denn Wahrhaftigkeit ist etwas ganz Wesentliches für Leute, die dem nachfolgen, der selbst "die Wahrheit" ist ( Joh 14,6 ).

Lügen und alle anderen Laster ziemen sich nicht für einen Christen, der ja bei der Rettung den alten Menschen, d. h. seine frühere sündige Lebensweise, die ihn als Nicht-Wiedergeborenen auswies ( Kol 2,11.13 a), mit seinen Werken abgelegt hat (vgl. "gestorben" in Kol 2,20;3,3 ).



 Kol 3,10

 Statt dessen hat der Christ den neuen Menschen (ein neues Leben, eine neue Haltung) angezogen (vgl. V. 12 ) und muß nun auch sein Leben seiner neuen Position entsprechend gestalten. Der "neue Mensch" braucht ständige Erneuerung und Überwachung - er (wird) erneuert (Präsens) -, um siegreich über die Sünde bleiben zu können. Den gleichen Gedanken fortwährender Erneuerung vertritt Paulus auch in 2Kor 4,16 ("wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert"), in Röm 12,2 ("ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes") sowie in Eph 4,23 ("erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn").

Diese Erneuerung des "neuen Menschen" geschieht zur Erkenntnis (eis epignOsin; vgl. Kol 1,9;2,2 ), wenn der Gläubige zu einer persönlichen, tiefen Gotteserkenntnis und zu einer echten Gemeinschaft mit Christus findet. Sie vollzieht sich nach (kat'; "gemäß") dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat; ihr Ziel ist es, den Gläubigen Christus gleichförmig zu machen, denn der "neue Mensch" ist "nach Gott geschaffen" (Eph 4,24). Adam wurde nach dem Bild Gottes geschaffen (1Mo 1,27 ), das heißt, daß er Gott auch in seinen moralischen und geistigen Fähigkeiten glich. Diese Ebenbildlichkeit wurde zwar durch den Sündenfall ( 1Mo 9,6; Jak 3,9 ) nicht völlig ausgelöscht (sondern nur überschattet), aber sie wurde verdorben und bedarf deshalb der Wiederherstellung und Erneuerung. Die Christen werden im Prozeß der Erneuerung ihrer neuenNatur dem Herrn immer ähnlicher, indem sie sich dem heiligenden Wirken des Geistes öffnen. In der Auferstehung schließlich werden sie "das Bild des himmlischen [Christus] tragen" (1Kor 15,49). Dann wird die Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit vollendet sein, denn dann "werden wir ihm gleich sein" (1Joh 3,2).


Kol 3,11
 In Christus sind alle Unterscheidungen aufgehoben, seien sie nun nationaler (Grieche oder Jude; die Juden bezeichneten alle, die nicht ihrem Volk angehörten, als Griechen; vgl. Gal 3,28), religiöser (Beschnittener oder Unbeschnittener), kultureller (jeder, der nicht der griechischen Kultur angehörte, war ein Nichtgrieche, ein Skythe dagegen war ein wilder Nomade) oder ökonomischer bzw. sozialer Art (Sklave, Freier) . Wenn ein Grieche, ein Unbeschnittener, ein Nichtgrieche, ein Skythe oder ein Sklave zum Glauben kam, so war er eine "neue Kreatur" (2Kor 5,17), ein "neuer Mensch" (Kol 3,10), genauso wie ein Jude oder ein Freier, der Christ wurde. Denn Christus ist alles und in allem. Die normalen menschlichen Unterscheidungen haben also ausgedient und sind durch die Einheit in Christus verwandelt worden.

In Christus fallen alle Barrieren fort, und alle Gläubigen sind wirklich "gleich geschaffen". Daher wird von den Christen erwartet, daß sie - ungeachtet ihrer Nationalität, ehemaligen Religion, ihrer Kultur oder ökonomischen Lage - mit ihren früheren sündigen Verhaltensweisen brechen und ganz in Einklang mit dem "neuen Menschen" leben.

 C. Das Anlegen der Tugenden des neuen Lebens
(3,12-17)

 Weil sie in Christus ein neues Leben haben, sind die Gläubigen dazu aufgerufen, tugendhaft zu leben und ihre Herzen vom Frieden Christi berühren zu lassen. Sein Wort soll "reichlich unter ihnen wohnen", und sie sollen alles im Namen des Herrn Jesus tun.

Kol 3,12

Noch einmal fordert Paulus die Gläubigen zu energischem Handeln auf: So zieht nun an (endysasthe). Weil sie "den neuen (Menschen) angezogen haben" (endysamenoi; V. 10 ), sollen sie nun auch ihrem neuen Stand gemäß leben und wirklich christliche Eigenschaften und Einstellungen an den Tag legen. In den Versen 8-9 hatte Paulus sechs Laster aufgezählt (Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte und Lüge). Im Gegensatz dazu sollen die Christen als die Auserwählten Gottes (vgl. Röm 8,33; Tit 1,1), als die Heiligen ("die für Gott Ausgesonderten"; vgl. Kol 1,2) und Geliebten (vgl. Röm 5,8; 1Joh 4,9-11.19 ) verschiedene Tugenden besitzen. Darunter sind herzliches Erbarmen (splanchna oiktirmou; ein besonders anrührender Ausdruck; in Phil 2,1 verbindet Paulus die beiden Substantive mit einem "und"), Freundlichkeit (tätiges Wohlwollen; vgl. 2Kor 6,6), Demut (eine demütige Haltung gegenüber Gott; vgl. Phil 2,3; 1Pet 5,5), Sanftmut (prautEta; Milde, eine duldsame Haltung gegenüber anderen) und Geduld (makrothymian, "Selbstbeherrschung", Ruhe und Festigkeit angesichts von Provokationen von außen; vgl. Kol 1,11). Die drei letzten dieser Tugenden werden in Eph 4,2 im Griechischen in genau derselben Anordnung genannt, und auch Gal 5,22 - 23 greift drei von ihnen heraus: Geduld, Sanftmut und Freundlichkeit.


 Kol 3,13

Die in Vers 12 genannten Grundhaltungen sollen sich auch auf den Umgang der Gläubigen miteinander auswirken: "Ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern." Wie soll diese Vergebung aussehen? Christen sollen einander vergeben, wie der Herr ihnen vergeben hat, freundlich und großzügig (Eph 4,32). Streit und Hader haben keinen Platz im Leben der Christen, denn sie können zu jenen Sünden führen, die in Kol 3,8-9 aufgeführt sind.



 Kol 3,14
 Doch über alles andere sollen die Gläubigen die Liebe "anziehen". Wie Paulus an anderer Stelle schreibt:"Die Liebe ist die größte unter ihnen" (1Kor 13,13). Die Liebe soll die "Hülle" über allen anderen Tugenden sein, sie ist am wichtigsten und ist das Band der Vollkommenheit, das alle andern Tugenden zusammenhält.



 Kol 3,15

Außerdem soll der Friede Christi ... in den Herzen der Gläubigen regieren, denn sie sind zum Frieden berufen als Glieder in einem Leibe . Je näher sie Christus (und seinem Bild) sind, desto näher sind sie sich auch untereinander. Im zwischenmenschlichen Umgang der Christen soll "Friede" (eine übernatürliche, von Gott geschenkte Ruhe) herrschen (brabeuetO, "Schiedsrichter sein, jeden Streit schlichten"; das Wort kommt nur an dieser Stelle im Neuen Testament vor; vgl. katabrabeuetO, "sich dagegen entscheiden", in Kol 2,18). Diejenigen, die Christus nachfolgen und die von Paulus genannten Tugenden angelegt haben ( Kol 3,12-15 ), bemühen sich darum, sich in jeder schwierigen Situation von seinem Frieden und nicht von ihrem Gezänk bestimmen zu lassen. Aber die Christen sollen auch dankbar sein (vgl. Phil 4,6; Kol 1,12;3,16-17;4,2; 1Thes 5,18). Die Grundhaltung der Dankbarkeit verhilft zu geistlicher Ruhe, während innerer Groll den Menschen nicht zur Ruhe kommen läßt.

 Kol 3,16

Das neue Leben, das die Christen "anlegen" sollen, ist ein Leben, in dem das Wort Christi reichlich wohnt. Die Worte Christi werden von den geistgeleiteten Aposteln an die Menschen weitergegeben (vgl. Joh 14,26; 16,13; 20,31), und das Wort der Bibel, das geschriebene Wort Gottes, soll in den Gläubigen wohnen . Durch Bibelstudium, Meditation und praktische Anwendung des Wortes wird es zu einem festen Bestandteil des christlichen Lebens. Wenn die Worte Christi eng mit dem Wesen des Gläubigen verwoben sind, so bricht sich diese Verbundenheit ganz natürlich Bahn in Psalmen (Lieder aus dem Buch der Psalmen), Lobgesängen und geistlichen Liedern (im Gegensatz zu weltlichen Liedern) mit Dankbarkeit (en tE chariti; wörtlich "in Gnade"). Mit en tE chariti kann (a) Gottes Gnade, (b) der Ausdruck des Dankes im Gesang der Christen oder (c) der Dank der Christen gemeint sein. Ein solch frohes Singen dient nicht nur dazu, sich selbst oder andere zu erfreuen, sondern Gott zu loben. Durch ein so geisterfülltes Leben (vgl. Eph 5,18-19 ) können die Christen einander lehren (unterweisen) und ermahnen (raten; Kol 3,16; vgl. "ermahnen und lehren" in Kol 1,28), wenn es in aller Weisheit (sophia; vgl. Kol 1,9;2,3;4,5 ) und nicht taktlos geschieht (vgl. Gal 6,1).

Kol 3,17
 Alles, was ein Christ (vgl. V. 23) mit Worten oder mit Werken tut - denn in Gottes Augen gibt es keine Trennung zwischen weltlichen und heiligen Dingen, er ist der Herrscher über alles - , soll im Namen des Herrn Jesus (d. h. zu seiner Ehre; vgl. 1Kor 10,31) und in einem Geist der Dankbarkeit (vgl. Phil 4,6; 1Thes 5,18) getan werden. Dreimal in drei Versen spricht Paulus von der Dankbarkeit: "seid dankbar" (Kol 3,15), "singt ... dankbar in euren Herzen" ( V. 16), und schließlich "dankt Gott dem Vater" ( V. 17).




 IV. Die Praxis: Das äußere Leben in Christus
 (3,18-4,18)

In diesem letzten Abschnitt seines Briefes behandelt der Apostel praktische zwischenmenschliche Beziehungen, die durch die Geborgenheit der Gläubigen in Christus ebenfalls ein neues Gepräge bekommen. Zunächst ermahnt er alle Glieder der antiken Hausgemeinschaft (Ehefrauen, Ehemänner, Kinder, Väter, Sklaven, Herren), in ihrem Privatleben immer vollkommener und reifer zu werden ( Kol 3,18-4,1 ). Dann fordert er die Gläubigen dazu auf, auch ihr Gebetsleben ( Kol 4,2-4 ) und ihr öffentliches oder gesellschaftliches Leben (Kol 4,5-6 ) zu reformieren und immer stärker der Vollendung zuzuführen. Schließlich übermittelt er seinen Lesern ausführliche Grüße und Segenswünsche ( Kol 4,7-18 ).

A. Vervollkommnung des Privatlebens


( Kol 3,18-4,1 )

In logischer Fortführung des Grundthemas, das den ganzen Kolosserbrief wie ein roter Faden durchzieht, des Reiferwerdens in Christus, fordert Paulus die Gläubigen dazu auf, sich auch in ihren privaten Beziehungen um diese Reife zu bemühen.

Kol 3,18

Die Frauen sollen sich ihren Männern als den Oberhäuptern der Familie unterordnen. Daß der Apostel sich dieses Gebot nicht nur auf seine Zeitgenossinnen beschränkt dachte, wird an zwei Begründungen deutlich, die er an anderer Stelle zum selben Thema anführt: (1) die Ordnung der Schöpfung (der Mann wurde zuerst geschaffen und erst danach die Frau; 1Tim 2,13); (2) die Ordnung innerhalb der Gottheit (Christus unterwirft sich dem Vater; 1Kor 11,3 ). Unterwerfung oder Unterordnung ist in diesem Zusammenhang keinesfalls gleichbedeutend mit Unterlegenheit oder niedrigerer Stellung, es bedeutet einfach, daß der Mann und nicht die Frau das Familienoberhaupt ist.
 Er ist quasi der "Präsident" der Familie und sie die "Vizepräsidentin".


Natürlich gibt es moralische Grenzen für diese Unterordnung. Sie muß nur so weit gehen wie sich's gebührt in dem Herrn. Ähnlich wie an anderer Stelle in den neutestamentlichen Briefen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gefordert wird ( Röm 13,1; Tit 3,1; 1Pet 2,13), jedoch nur solange sich die Regierung in ihrem Amt Gott unterstellt ( 2Mo 1; Dan 3;6 ), so muß sich auch die Ehefrau ihrem Mann nur "in dem Herrn" unterordnen. Sie ist jedoch nicht verpflichtet, der Führung ihres Mannes auch dann zu folgen, wenn sein Handeln sich nicht mit den verschiedenen Geboten der Heiligen Schrift verträgt.

 
 Kol 3,19
 Die Männer sollen ihre Frauen lieben (wie Christus die Kirche liebt; Eph 5,28-29 ). Sie sollen ihre Führungsrolle also in Liebe ausüben und nicht als diktatorische Herrschaft. Vielleicht haben die Ehemänner die Mahnung zu Liebe und Rücksichtnahme fast noch nötiger als die Frauen die Warnung davor, sich zuviel Autorität anzueignen. Wenn ein Mann sich die absolute Autorität in der Familie anmaßt, verbittert er seine Frau und verscherzt sich ihre Zuneigung. Die Wendung "seid nicht bitter" gibt das griechische pikrainesthe wieder und heißt wörtlich eher "macht nicht bitter". (In Kol 3,21 steht ein anderes Wort; vgl. den dortigen Kommentar.) Wie zarte und empfindliche Blumen (vgl. 1Pet 3,7 ) welken Frauen möglicherweise unter einer autoritären Herrschaft des Mannes, aber sie erblühen unter zärtlicher und liebender Fürsorge. In einer wirklich reifen Ehe zeigt der Mann einfühlsame Fürsorge, und seine Frau antwortet ihm mit bereitwilliger Unterordnung unter seine liebende Führung.


 Kol 3,20

Die Kinder sollen ihren Eltern in allen Dingen (gehorsam) sein. Ungehorsam gegenüber den Eltern wird im Alten Testament mit der Auflehnung gegen Gott gleichgesetzt und streng bestraft ( 2Mo 21,17; 3Mo 20,9). Ein Beispiel für den kindlichen Gehorsam gab auch Jesus in seinem Gehorsam gegenüber Josef und seiner Mutter Maria (Lk 2,51). Kindlicher Gehorsam ist wohlgefällig in dem Herrn . Das bedeutet nicht, daß das Kind sich durch seinen Gehorsam die Rettung verdienen kann. Er spiegelt lediglich die von Gott eingesetzte Ordnung in der Hausgemeinschaft wider. Wie Paulus an anderer Stelle schrieb, "ist es recht" (dikaion, "gerecht" oder "angemessen"), daß Kinder ihren Eltern gehorchen (Eph 6,1).


 Kol 3,21
 Die Väter (und Mütter; vgl. Spr 1,8;6,20 ) sollen diesen Gehorsam nicht ausnützen und ihre Kinder nicht durch ständiges Nörgeln und unvernünftige Forderungen erbittern (erethizete, "provozieren oder ärgern"). Paulus schreibt: "Ihr Väter, reizt (parorgizete) eure Kinder nicht zum Zorn" (Eph 6,4). Das würde sie nur scheu machen. Ein Lob für gutes Benehmen, gepaart mit liebevoller Disziplin (vgl. Hebr 12,7), ist sinnvoller als ständige Kritik und hilft dabei, die Kinder "inder Zucht und Ermahnung des Herrn" zu erziehen (Eph 6,4).


 Kol 3,22-25

 Die Sklaven
werden von Paulus ermahnt, ihren irdischen Herren ... (gehorsam) zu sein (das gleiche Wort wird in V. 20 im Zusammenhang mit den Kindern verwendet). "Irdisch" heißt im Griechischen wörtlich "nach dem Fleisch"; nur Christus ist der Herr über den Geist der gläubigen Sklaven. Sie sollen in Einfalt des Herzens gehorchen, und nicht nur, wenn sie unter der Kontrolle ihrer Herren stehen oder um den Menschen zu gefallen. Vielmehr sollen sie ihren Aufgaben in der Furcht des Herrn nachkommen. Ein Arbeiten im Bewußtsein von Gottes Wesen und Gegenwart verleiht auch der Arbeit von Sklaven eine eigene Würde. Die Sklaven sollen alles, was sie tun (vgl. V. 17), von Herzen tun (wörtlich "mit ganzer Seele", nicht nur mit vorgetäuschtem Eifer), und sie sollen es dem Herrn tun, und nicht den Menschen . Obwohl die Sklaverei mit Sicherheit kein wünschenswerter Zustand war, sah die Lehre des Paulus keine Veränderung dieser - oder auch anderer - sozialer Institutionen vor (vgl. 1Kor 7,17-24 ). Die Anweisungen, die er in Kolosser 3,22 - 25 in bezug auf die christlichen Sklaven gibt, ließen sich für unsere heutigen Verhältnisse auf christliche Arbeiter und Angestellte übertragen. Wenn alle Christen ihren Arbeitgebern mit wirklichem Engagement und im Gefühl ihrer Verantwortung vor Gott dienen würden, würden Qualität und Produktivität sicherlich dramatisch ansteigen. Im Grunde dienen Christen immer dem Herrn Christus. (Das ist die einzige Stelle im Neuen Testament, in der der Begriff "der Herr Christus" gebraucht wird.) Denn schließlich kommt der letzte "Zahltag" (das Erbe als Lohn) von dem Herrn (vgl. 2Kor 5,10). Er wird ohne Ansehen der Person (vgl. Röm 2,11; Eph 6,9 ), d. h. völlig gerecht, richten und den Übeltätern ihre Vergehen heimzahlen, denen, die ihm gedient haben, aber ihren Lohn geben.

In diesen Versen ( Kol 3,22-25 ) äußert sich Paulus mehrfach zu den Motiven, Einstellungen und zum Lebenswandel christlicher Sklaven. Die Ausführlichkeit dieser Unterweisungen war etwas Besonderes in einer von der Kluft zwischen Herren und Sklaven gekennzeichneten Gesellschaft.


Kol 4,1
Die Herren sollen ihrerseits Sorge tragen, daß ihre Sklaven erhalten, was recht (dikaion) und billig (isotEta, "gerecht") ist. Letztlich sind die Herren Gott, ihrem Herrn im Himmel , verantwortlich, der sie seinerseits angemessen behandelt. Auch dieses Prinzip läßt sich auf unsere heutige Strukturen und damit auf die Arbeitgeber anwenden. Wenn sie sich in dieser engagierten und unparteiischen Weise für ihre Angestellten einsetzen würden, so würde das wiederum deren Arbeitsmotivation beträchtlich verbessern.


Kolosser B.

Vervollkommnung des Gebetslebens

(4,2-4)
Kol 4,2
Paulus führte nicht nur selbst ein reifes und erfülltes Gebetsleben (vgl. Kol 1,3-12 ), sondern legte diese Praxis auch allen anderen Gläubigen nahe. Sie sollen beharrlich (vgl. Röm 12,2) im Gebet sein. Das Gebet ist kein geistlicher Luxus; es ist wesentlich für das innere Wachstum des Gläubigen. Da es so entscheidend für die geistliche Gesundheit des einzelnen ist wie das Atmen für das physische Überleben, darf das Gebet nichts Seltenes, Zufälliges sein, sondern muß ein ständiger Bestandteil des christlichen Lebens werden (1Thes 5,17 ). Im Gebet soll der Christ wachsam sein gegenüber der geistlichen Trägheit, die aus einer zu starken Konzentration auf die Welt ( Mt 24,42; Apg 20,31; 1Kor 16,13; 1Thes 5,6) und aus den Schlichen des Teufels erwächst ( Eph 6,16; 1Pet 5,8). Das Gebet sollte immer von Danksagung begleitet sein ( Phil 4,6; Kol 1,12;3,16-17; 1Thes 5,18), denn Dankbarkeit ist der richtige Ausdruck der Einstellung des Menschen gegenüber Gott (vgl. Röm 1,21).

Kol 4,3-4

"Betet ... für uns" ist eine Bitte, die Paulus oft an seine Leser richtete ( Röm 15,30; Eph 6,18- 19; 1Thes 5,25; 2Thes 3,1). Er denkt dabei nicht an sich, sondern bittet um eine Tür, die Gott ihm auftun möge (vgl. 1Kor 16,9; 2Kor 2,12), damit er die Botschaft des Evangeliums, das Geheimnis Christi (vgl. Eph 3,4;6,19; Kol 1,26-27;2,2 ), um dessentwillen er in Fesseln ist, weitersagen kann (vgl. Phil 1,7.13-14.16; Kol 4,18; Phim1,1.9-10.13). Er wünscht sich jedoch nicht nur eine Gelegenheit zur Verkündigung, sondern auch Klarheit in seiner Predigt: Damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muß (d. h., wie ich verpflichtet bin; vgl. Röm 1,14- 15 ). Kolosser


 C. Vervollkommnung des öffentlichen Lebens
(4,5-6)
Kol 4,5-6
Vervollkommnung oder Vollendung in Christus betrifft nicht nur das Privatleben und das Gebetsleben des Christen, sondern auch seine gesellschaftlichen Beziehungen. Um diese Dimension des Lebens in Christus zur Vollendung zu führen, rät Paulus den Gläubigen, sich weise zu verhalten.
Diese Weisheit (sophia; vgl. Kol 1,9.28;3,16 ), die von Gott, nicht vom Menschen kommt
(vgl. Jak 3,13.17), sollte gerade auch für die, die draußen sind, d. h. für die, die nicht zur "Familie der Gläubigen" gehören (vgl. 1Kor 5,12; 1Thes 4,12; 1Tim 3,7), spürbar werden. Aber die Leser des Kolosserbriefes sollen auch die Zeit auskaufen (exagorazomenoi). Sie sollen "zur Zeit oder zur Unzeit" (2Tim 4,2) bereit sein, Christus zu verkündigen. Ihre Rede (logos, "Wort, Gespräch") soll dabei allezeit freundlich (wörtlich "in Gnade"; vgl. Kol 3,8- 9 ,"angenehm") und doch mit Salz gewürzt (d. h. rein und überzeugend; Kol 4,6) sein. Auf diese Weise können sie einem jeden antworten, der sie nach der Hoffnung, die in ihnen ist (1Pet 3,15), fragt.



D. Grüße
(4,7-18) Am Beispiel seines eigenen Lebens zeigt Paulus, wie reife zwischenmenschliche Beziehungen aussehen sollten. Er erwähnt seine Freunde und Gefährten und gibt seiner echten Sorge um sie Ausdruck.

 

Kol 4,7-8

 Tychikus, ein führendes Mitglied der Kirche und der Überbringer des Kolosserbriefes, ist der liebe Bruder und treue Diener (vgl. Eph 6,21) und Mitknecht in dem Herrn. Er stammte aus der Provinz Asien (Apg 20,4) und wird von Paulus auch in 2Tim 4,12 und in Tit 3,12 erwähnt. Paulus sandte ihn nach Kolossä, um die dortige Gemeinde über seine eigene Situation zu informieren und ihr Mut zuzusprechen.


Kol 4,9
Onesimus, einem entflohenen Sklaven des Philemon, der sich zum christlichen Glauben bekehrt hatte, bezeichnet der Apostel ebenfalls als treuen und lieben Bruder (vgl. Phim 1,10.16), der zudem aus Kolossä stammt: der einer der Euren ist (vgl. Kol 4,12). Er sollte Tychikus begleiten und ebenfalls Bericht erstatten, wie es Paulus ging.

 
Kol 4,10
Aristarch war ein Thessalonicher, der Paulus auf seiner dritten Missionsreise begleitet hatte ( Apg 19,29; 20,4; 27,2). Er war Paulus' Mitgefangener , d. h., entweder besuchte er Paulus im Gefängnis oder, was wohl eher zutrifft, er war mit ihm inhaftiert (wahrscheinlich ebenfalls, weil er das Evangelium gepredigt hatte). An anderer Stelle bezeichnet ihn Paulus als "Mitarbeiter" (Phim1,24).

Markus, der Vetter des Barnabas, war ein Reisegefährte des Paulus bei seiner ersten Missionsreise ( Apg 12,25 ). Er war später mit Petrus zusammen ("mein Sohn"; 1Pet 5,13; vgl. Apg 12,12-13 ). Obwohl Markus Paulus auf der ersten Missionsreise im Stich gelassen hatte ( Apg 15,37-39 ), lobt ihn dieser hier (vgl. Phim1,24) und auch in einem späteren Brief (2Tim 4,11).


Kol 4,11
Jesus war ein gebräuchlicher jüdischer Name. Der Beiname dieses Gefährten des Apostels war Justus ("der Gerechte"), ebenfalls ein relativ häufiger Name ( Apg 1,23; 18,7). Diese drei - Aristarch, Markus und Justus - waren Juden (wörtlich: "Beschnittene"), und zwar entweder von Geburt oder durch Bekehrung (als Proselyten). Alle drei Mitarbeiter am Reich Gottes trösteten den gefangenen Apostel durch ihre Treue und machten ihm neuen Mut. Trost ist im Griechischen das ungewöhnliche Wort parEgoria (Erleichterung, Trost), das nur an dieser Stelle im Neuen Testament vorkommt.


 Kol 4,12-13
Epaphras war wie Onesimus (V. 9) ein Kolosser (der einer von den Euren ist), ein Knecht Christi Jesu, der nach den Worten des Paulus allezeit in seinen Gebeten um die Kolosser "rang" (agOnizomenos; vgl. Kol 1,29; wie es Jakob mit dem Engel tat; 1Mo 32,25). Er betete darum, daß die Kolosser vollkommen (teleioi) und erfüllt ( Röm 4,21 ) mit allem, was Gottes Wille ist , sein möchten. Diese Bitte stimmt mit dem Grundthema des ganzen Kolosserbriefes überein: daß die Gläubigen in Christus reifer und vollkommener werden sollen. Die intensive Fürbitte des Epaphras ging soweit, daß sie ihm viel Mühe machte (ponon, "Schmerz oder Kummer"; das Wort taucht nur hier und in Offb 16,10-11 auf). Seine schmerzliche Sorge galt allen Gläubigen im Lykustal - denen in Kolossä ebenso wie den Leuten in Laodizea und in Hierapolis (zur geographischen Lage dieser drei Städte vgl. die Karte zwischen Apostelgeschichte und Römerbrief).
 
Kol 4,14
Lukas, der Arzt, der Geliebte , ein guter Freund des Paulus, stand ihm nicht nur in dieser Gefangenschaft bei, sondern auch in seiner späteren Haft, in der ihn Demas, der hier bei Paulus ist, im Stich ließ (2Tim 4,10). Lukas ist der Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte (vgl. Apg 1,1). Nach der Überlieferung war er einer der "Zweiundsiebzig" (Lk 10,1). Manche Exegeten nehmen außerdem an, daß er der anonyme Jünger auf der Straße nach Emmaus war (Lk 24,13). Da Paulus nur Aristarch, Markus und Jesus (Justus) als "Beschnittene" bezeichnet, ist anzunehmen, daß Lukas ein Heide war.
 
Kol 4,15 Paulus bittet darum, daß seine Grüße auch an die Brüder in Laodizea und die Nympha und die Gemeinde in ihrem Hause übermittelt werden. In den Anfängen des Christentums, bevor es eigens für kirchliche Zwecke bestimmte Gebäude gab, pflegten sich die Gemeinden in Privathäusern zu versammeln ( Röm 16,5; 1Kor 16,19; Phim1,2).

 Kol 4,16
Der Apostel drängt darauf, daß die Gemeinden ihre Briefe untereinander austauschen. Wenn die Kolosser ihren Brief in der Gemeindeversammlung verlesen haben, sollen sie ihn nach Laodizea weitersenden und dafür den von Laodizea lesen. Dieser Brief an die Gemeinde von Laodizea könnte eventuell der Brief an die Epheser sein, der etwa um dieselbe Zeit geschrieben wurde und an die Gemeinden in der unmittelbaren Nachbarschaft von Kolossä gerichtet war.


 Kol 4,17
Archippus, wahrscheinlich der Sohn des Philemon (vgl. Phim1,2 ), übte in Kolossä ein Gemeindeamt aus; möglicherweise vertrat er Epaphras. Paulus legt seinen Lesern nahe, Archippus die Aufforderung zu übermitteln: "Sieh (blepe, "achten auf") auf das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, daß du es ausfüllst. " Welcher Art seine Probleme auch waren, auf jeden Fall erfüllte er offenbar seine Aufgabe nicht vollkommen. Das zeigt erneut, welch großes Anliegen es Paulus war, daß die Kolosser in Christus vollkommen würden.

Kol 4,18
Wie es Paulus' Gepflogenheit war, schreibt er auch hier zum Zeichen der Echtheit des Briefes am Schluß einen Gruß mit eigener Hand (vgl. 1Kor 16,21; Gal 6,11; 2Thes 3,17; Phim 1,19). Dann bittet er seine Leser, in ihrer Fürbitte seiner Fesseln (vgl. Kol 4,3) zu gedenken. Wie bei so vielen seiner Briefe schließt er auch hier mit einem Segenswort - der Bitte, daß die Gnade Gottes (vgl. Kol 1,2) mit ihnen allen sei (vgl. die Tabelle "Die abschließenden Segensworte des Apostels Paulus in seinen Briefen" bei Röm 16,20).

 Kolosser
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