Frau Mode

Es sprach Frau Mode ein grosses Wort:
"Der Schmuck des Weibes - der Zopf muss fort!"

Und abgeschnitten ward Zopf um Zopf.
verwandelt in einen Bubikopf.

Und Frau Mode sprach: "Halt mit mir Schritt!
Als Neuestes gilt nun der Herrenschnitt."

Da wurde geopfert der letzte Schmuck,
und lächelnd sprach sie: "Nun ist's genug!"

Der Kleider Kürze reicht kaum zum Knie;
Frau Mode befiehlt's - da gehorchen sie.

In Raubtierfelle gehüllt der Rumpf,
der Hals weit offen, von Flor der Strumpf.

Und sind auch die Füsse wie Eis so kalt,
was macht es! Frau Mode verlangt es halt!

Die neuste Hutform ist wie ein Topf;
man stülpt ihn von hinten über den Kopf,

so tief, dass die Augen es kaum noch sehn,
wohin die trippelnden Füsse gehn.

Jung muss man aussehn um jeden Preis!
(Die Gestalt wie ein Kind - das Gesicht wie ein Greis.)

"Vor allem fort mit dem Schamgefühl;
es hindert bei Tanz, bei Sport und Spiel!"

So sprach Frau Mode. Da gab man hin
der Keuschheit Kleinod mit leichtem Sinn.

Der Schmelz der Reinheit, des Weibes Schmuck,
er ging verloren, ach schnell genug!

Die Augen glanzlos, die Seele leer,
von wahrer Schönheit blieb gar nichts mehr.

Das Gottesbildnis fiel in den Staub,
der Eitelkeit und der Mode Raub.

Und Frauenwürde in Scham und Zucht, -
ein Traumbild ist's in der Zeiten Flucht.

Und einer freut sich und lacht und lacht:
"Hei, Mode! das hast du gut gemacht.

Dein Netz ist schillernd und fest und fein,
da gehen viel tausend Seelen hinein.

Und was dem Laster noch widerstand,
ganz willig folgt es dem Wink deiner Hand!

Nun vorwärts! Ich habe nur wenig Zeit!
Bald lautet die Losung: Hinweg mit dem Kleid!"

Du Frauenseele, ach, merkst Du es nicht,
was für ein Geist aus der Mode spricht!

Siehst Du das Netz nicht, das Dich umgarnt!
Höre die Stimme, die heute Dich warnt!

Entsage der Schande, der Schmach, dem Schein,
wage! und sage entschlossen: Nein!

Was nicht geziemend in Schritt und Schnitt,
das weise von Dir, - mache nicht mit!

Zerbrich die Kette, sei frei und rein!
und unverlierbare Schönheit ist Dein!

 

Eva von Tiele-Winckler, um 1930
geschrieben von Kurt Bilang, Frauenfeld