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Johannes (Edwin A. Blum)

EINLEITUNG

Verfasserfrage

 

Strenggenommen ist der Verfasser des vierten Evangeliums anonym. Der Text enthält weder den Namen seines Autors noch irgendeinen Hinweis auf ihn. Angesichts der völlig anderen literarischen Form des "Evangeliums" etwa im Vergleich zum "Brief" ist das allerdings nicht weiter überraschend. So führt sich kein einziger Evangelist selbst namentlich ein - im Gegensatz zu den Paulusbriefen, die nach den Regeln antiker Briefschreibekunst stets mit dem Namen des Verfassers beginnen. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, daß wir die Verfasser der Evangelien heute nicht mehr feststellen können. Zum einen gibt ein Text selbst stets gewisse Hinweise auf seinen Verfasser, und zum anderen besitzen wir in vielen Fällen das Zeugnis der kirchlichen Überlieferung.

Interne Belege : (1) Das Wort "dies" in Joh 21,24 bezieht sich auf das gesamte Johannesevangelium, nicht nur auf das letzte Kapitel. (2) Bei dem "Jünger" in Joh 21,24 handelt es sich um "den Jünger, den Jesus lieb hatte" ( Joh 21,7 ). (3) Aus 21,7 geht eindeutig hervor, daß "der Jünger, den Jesus lieb hatte", eine der sieben Personen war, die in Joh 21,2 aufgezählt werden (Simon Petrus, Thomas, Nathanael, die beiden Söhne des Zebedäus und zwei ungenannte Jünger). (4) "Der Jünger, den Jesus lieb hatte", saß beim letzten Abendmahl neben dem Herrn, und Petrus "winkte" ihm ( Joh 13,23-24 ). (5) Er muß einer der Zwölf gewesen sein, denn nur sie nahmen am Abendmahl teil (vgl. Mk 14,17; Lk 22,14 ). (6) Johannes' Name wird häufig im Zusammenhang mit Petrus genannt; er gehörte also offensichtlich zu dem aus drei Jüngern bestehenden engsten Kreis um Jesus (vgl. Joh 20,2-10; Mk 5,37;9,2;14,33 ). Da Jakobus, der Bruder des Johannes, bereits im Jahr 44 n. Chr. starb, kann er nicht der Verfasser des Johannesevangeliums gewesen sein ( Apg 12,2 ). (7) Auch bei dem "anderen Jünger" in Joh 18,15-16 handelte es sich möglicherweise um den "Jünger, den Jesus lieb hatte" (vgl. Joh 20,2 ,wo er beide Attribute bei sich hat). (8) "Der Jünger, den Jesus lieb hatte", war Augenzeuge der Kreuzigung ( Joh 19,26 ), und auch in Joh 19,35 scheint auf ihn angespielt zu werden. (9) Die Aussage des Evangelisten "wir sahen seine Herrlichkeit" ( Joh 1,14 ) ist die Aussage eines Augenzeugen (vgl. 1Joh 1,1-4 ).

Alle diese Belege unterstützen die These, daß Johannes, einer der Söhne eines Fischers namens Zebedäus, der Verfasser des vierten Evangeliums war.

Externe Belege : Externe Belege sind Verfasserschaftszuschreibungen, die in der kirchlichen Tradition kursierten und allgemeine Anerkennung genossen. In bezug auf den Verfasser des Johannesevangeliums waren sich die Kirchenväter ganz sicher. Polykarp (ca. 69 bis 155 n. Chr.) sprach davon, daß er Johannes kannte. Irenäus (ca. 130 bis 200 n. Chr.), der Bischof von Lyon, war überzeugt, daß "Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust gelegen hatte, auch selbst das Evangelium heraus(gab), als er in Ephesus in Asien weilte" ( Adversus häreses 3. 1). Er stützte sich dabei in erster Linie auf Polykarp, den er noch selbst gehört hatte. Polykrates, Clemens von Alexandria, Tertullian und andere spätere Kirchenväter bestätigen ebenfalls diese Überlieferung, und auch Eusebius schreibt, daß die Apostel Matthäus und Johannes die beiden Evangelien schrieben, die ihre Namen tragen ( Kirchengeschichte 3. 24. 3 - 8).

Johannes

 Entstehungsort

 

Die externe Überlieferung deutet stark darauf hin, daß Johannes nach Ephesus kam, nachdem Paulus die dortige Gemeinde gegründet hatte, und daß er viele Jahre in dieser Stadt arbeitete (vgl. Eusebius, Kirchengeschichte 3. 24. 1). Diese Annahme wird auch durch Offb 1,9-11 gestützt. Während seines Aufenthalts im Exil auf Patmos, einer Insel vor der Küste Kleinasiens, schrieb Johannes Briefe an sieben asiatische Kirchen; der erste ging an die Gemeinde in Ephesus. Daher besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß das vierte Evangelium während seiner Zeit in Ephesus entstand.

 

 atierung

 

Die Entstehung des Johannesevangeliums ist wahrscheinlich zwischen 85 und 95 n. Chr. anzusetzen. Manche Neutestamentler versuchten zwar, die Datierung in die Zeit um 150 n. Chr. zu verlegen, wobei sie sich auf angebliche Parallelen des Textes zu gnostischem Schriftgut oder auf die lange Tradition kirchlicher Theologie, die in diesem Evangelium spürbar sei, beriefen. Archäologische Funde, die für die Authentizität des Textes des Johannesevangeliums sprechen (z. B. Joh 4,11; Joh 5,2-3 ), philologische Untersuchungen einzelner Wörter (z. B. synchrOntai , Joh 4,9 ), Manuskriptfunde (z. B. P 52) und die Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer weisen jedoch sehr viel stärker auf eine frühere Datierung des Buches hin. Es gibt daher sogar Gelehrte, die davon ausgehen, daß das Johannesevangelium in der Zeit zwischen 45 und 66 n. Chr. entstand. Eine so frühe Datierung wäre zwar denkbar, doch da das Johannesevangelium in der Kirche von Anfang an als das "vierte" bekannt war und die frühen Kirchenväter zudem der Ansicht waren, daß Johannes es erst in hohem Alter schrieb, scheint eine Abfassung in der Zeit zwischen 85 und 95 n. Chr. wahrscheinlicher. In diese Richtung weist auch Joh 21,18.23 , wo angedeutet wird, daß bereits einige Zeit seit den berichteten Ereignissen vergangen und Petrus inzwischen alt geworden ist und von Johannes überlebt wurde.

 

Zweck

 

Der Evangelist Johannes will, wie in Kapitel 20,31 nachzulesen ist, von den "Zeichen" Jesu berichten, um seine Leser durch sie zum Glauben an den Messias zu bewegen. Doch er hatte mit Sicherheit auch noch andere Ziele im Blick. Es ist gesagt worden, daß das Johannesevangelium gegen das traditionelle Judentum, gegen die Gnostik oder auch gegen die Anhänger Johannes des Täufers geschrieben sei. Andere vertreten die These, daß es als Ergänzung zu den synoptischen Evangelien gedacht war. Doch wie auch immer - fest steht, daß das vierte Evangelium (wie auch die drei synoptischen Evangelien) in erster Linie evangelistische Absichten verfolgt; daher ist es auch kein Zufall, daß es in der Kirchengeschichte immer wieder hauptsächlich zu diesem Zweck eingesetzt wurde.

 

 

Die Herrlichkeit des vierten Evangeliums

 

In den Einführungen der meisten Bücher über das vierte Evangelium findet sich irgendwo ein Abschnitt mit dem Titel: "Das Problem des vierten Evangeliums." Das Johannesevangelium war denn auch stets das Problem in der neutestamentlichen Forschung. Doch worin genau liegt dieses Problem? Vor vielen Jahren sagte einmal ein Neutestamentler, daß Jesus in den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) zwar historisch, nicht aber göttlich, und im vierten Evangelium zwar göttlich, nicht aber historisch sei. Welch eine ungerechtfertigte Behauptung! Beginnt doch das Johannesevangelium mit der eindeutigen Aussage der Gottheit des Wortes, das Fleisch wurde ( Joh 1,1.14 ), und endet sozusagen mit dem Bekenntnis desThomas "mein Herr und mein Gott" ( Joh 20,28 ). Jesus Christus ist beides, göttlich (der Sohn Gottes) und historisch (ein Mensch, der auf Erden lebte). So ist das, was für viele Neutestamentler ein Problem darstellt, in Wirklichkeit die Herrlichkeit der Kirche.

Umgekehrt legen die synoptischen Evangelien ebensoviel Gewicht auf die Göttlichkeit des Messias wie das Johannesevangelium - was auch immer manche Gelehrte behaupten mögen. Das Johannesevangelium ist lediglich in seinen christologischen Aussagen so eindeutig und pointiert, daß die johanneische Theologie die Kirche sehr beeinflußt hat. Der Satz "das Wort ward Fleisch" ( Joh 1,14 ) wurde zum Dreh- und Angelpunkt des Nachdenkens und Studiums der frühen Kirchenväter. Für Johannes ist die Inkarnation - die Manifestation Gottes im Fleisch - die Grundlage des Evangeliums. Hierin liegt denn auch, wie bereits gesagt, die "Herrlichkeit" - und nicht etwa das "Problem" - des vierten Evangeliums.

 

 

Besonderheiten des Johannesevangeliums

 

Ein Vergleich des Johannesevangeliums mit den synoptischen Evangelien läßt vor allem seine stilistische Einzigartigkeit hervortreten. Johannes geht weder auf Jesu Stammbaum noch auf seine Geburt, Taufe oder Versuchung näher ein, er berichtet nicht von Dämonenaustreibungen, erzählt keine Gleichnisse und spricht auch nicht von der Einsetzung des Abendmahls, von Jesu Verklärung, seiner Todesangst in Gethsemane oder seiner Himmelfahrt. Statt dessen konzentriert er sich auf die jüdischen Feste, auf Jesu Wirken in Jerusalem, seine privaten Gespräche mit Einzelpersonen (z. B. Joh 3-4; Joh 18,28- Joh 19,16 ) und die Weisungen, die er seinen Jüngern gab ( Joh 13-17 ). Den größten Teil des Evangeliums nimmt dabei das "Buch der Zeichen" ( Joh 1,19- Joh 12,50 ) ein, in dem sieben Wunder oder "Zeichen" beschrieben werden, die Jesus als den Messias, den Sohn Gottes, offenbaren. Dieses "Buch der Zeichen" enthält daneben verschiedene große Reden Jesu, die die Bedeutung der Wunder erhellen. So bezeichnet er sich z. B. nach der Speisung der Fünftausend ( Joh 6,1-15 ) als das Brot des Lebens, das vom Himmel kommt und der Welt das Leben gibt ( Joh 6,26-35 ). Ein weiteres wichtiges und ausschließliches Merkmal des Johannesevangeliums sind die "Ich bin"-Aussagen Jesu (vgl. Joh 6,35;8,12;10,7.9.11.14;11,25;14,6;15,1.5 ).

All diese Besonderheiten müssen jedoch vom richtigen Standpunkt aus beurteilt werden. Ein Evangelium ist keine Biographie und will auch keine sein. Jeder Evangelist wählte aus einer Vielzahl von Informationen das Material aus, das seiner besonderen Absicht am ehesten entsprach. Schätzungen ergaben, daß das laute Lesen der in den synoptischen Evangelien enthaltenen Jesusworte nur etwa drei Stunden erfordern würde. Angesichts der Tatsache, daß Jesus sich drei Jahre lang auf der Erde aufhielt, ist das sehr kurz. Jedes Evangelium berichtet also nur von ganz bestimmten Wundern oder Gleichnissen und läßt andere aus. Den Mittelpunkt bildet jedoch stets die Nachricht von Jesu Tod und seiner Auferstehung. Aufgrund dieser Konzentration auf den Tod Christi wurden die Evangelien auch als "Leidensgeschichten mit ausführlicher Einleitung" bezeichnet. Dem eigentlichen Anliegen (z. B. Mk 11-16 ) wird stets nur soviel Information vorausgeschickt (z. B. Mk 1-10 ), daß das Wesen dessen, der hier auf Erden wirkte und starb, deutlich wird.

Über die Beziehung des Johannesevangeliums zu den Synoptikern ist folgendes bekannt: Johannes, ein Sohn des Zebedäus, hielt sich in der Anfangszeit der Kirche als Mitarbeiter von Petrus in Jerusalem auf ( Apg 3,1-4,23;8,14;12,1-2 ). Er galt als eine der "Säulen" der Jerusalemer Kirche ( Gal 2,9 ), die von den Aposteln geleitet wurde, wobei Jakobus, der Halbbruder Jesu, gemeinsam mit Petrus und Johannes häufig eine führende Rolle übernahm ( Apg 15,7-21 ). Sehr rasch entwickelte sich dann ein bestimmter fester Kern apostolischer Lehre und Predigt: Wer bekehrt wurde, "blieb ... beständig in der Lehre der Apostel" (5000 Männer; Apg 2,42 ). Später, mit der wachsenden Zahl der Gläubigen ( Apg 4,4 ), wurde es nötig, die Lehre zu systematisieren, um einen bestimmten Grundstock an definitiven Glaubensaussagen festzulegen, der den Gemeindemitgliedern vermittelt werden sollte. Dabei kristallisierte sich als Kern Jesu messianische Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen, insbesondere sein Wirken und seine Leidensgeschichte, heraus. Im Mittelpunkt der Unterweisung standen die Gebote Jesu - seine "mündliche Tora" ( Mt 28,20 ).

 

 

Nach einer relativ gut gestützten kirchlichen Überlieferung geht das Markusevangelium direkt auf die Predigt des Petrus zurück. Bestätigt wird diese Vermutung durch Apg 10,36-43 , dem Beispiel einer petrinischen Predigt, in der viele Forscher die Grundzüge des gesamten Markusevangeliums wiederfinden. Wenn aber das Markusevangelium auf Predigten von Petrus aufbaut, dann muß auch Johannes - der mit ziemlicher Sicherheit viele Jahre in der Nähe von Petrus lebte - mit seiner Lehre vertraut gewesen sein.

Der Kern dieser Lehre wurde von Markus, der Petrus in seinen späteren Amtsjahren unterstützte, schriftlich fixiert. Johannes, der ebenfalls viele Jahre (vielleicht zwanzig) in Jerusalem lebte, schrieb, nachdem er nach Kleinasien gegangen war und sich in Ephesus niedergelassen hatte, unter der Führung des Heiligen Geistes sein Evangelium nieder und schuf damit ein großes Ergänzungswerk zu der frühen Lehre der Apostel in Jerusalem. So enthält das johanneische Bild Jesu im Vergleich zu den synoptischen Evangelien dreiundneunzig Prozent authentisches Material. Dennoch war sich auch Johannes, wie er ausdrücklich bemerkt, der Tatsache bewußt, daß sein Bericht nur einen Bruchteil dessen wiedergab, was verdiente, aufgeschrieben zu werden ( Joh 20,30-31;21,25 ). (Näheres zur Beziehung der einzelnen Evangelien zueinander in den Einleitungen zu Matthäus und Markus.)

 

 

Der Text des Evangeliums

 

Der griechische Text des vierten Evangeliums liegt, wie der des gesamten Neuen Testaments, in sehr gut erhaltener Form vor. Die unterschiedlichen Lesarten in den verschiedenen Bibelausgaben gehen z. T. auf neue archäologische Funde und Forschungsergebnisse zurück.

 

 

Aufbau und Inhalt

 

Das Schlüsselwort des Johannesevangeliums ist "glauben" ( pisteuO ); es findet sich - meistens im Präsens und in Partizipialformen - insgesamt achtundneunzigmal im Text. Das griechische Substantiv "Glaube" ( pistis ) kommt dagegen nicht vor. Anscheinend lag Johannes an einem aktiven, beständigen und lebendigen Vertrauen in Jesus. Sein Evangelium läßt sich in folgende Hauptabschnitte unterteilen: Prolog ( Joh 1,1-18 ), Buch der Zeichen ( Joh 1,19-12,50 ), Abschiedsreden an die Jünger ( Joh 13-17 ), Passion und Auferstehung ( Joh 18-20 ) und Epilog ( Joh 21 ). Der Prolog enthält die theologische Einführung, die es den Lesern überhaupt erst ermöglicht zu verstehen, daß die Worte und Taten Jesu die Worte und Taten Gottes waren, der sich im Fleisch manifestierte. Das Buch der Zeichen erzählt dann von sieben Wundern, die die Herrlichkeit des Vaters im Sohn offenbaren. Die Wunder und die anschließenden erklärenden Diskurse zielen von Mal zu Mal stärker auf die zwei möglichen Reaktionen der Menschen auf Jesu Botschaft ab: Glaube bzw. Unglaube und Verstockung.

Am Ende von Jesu Wirken reagierte das Volk fast nur noch mit völlig irrationalem Unglauben ( Joh 12,37 ). In den Abschiedsreden bereitete Jesus die Seinen dann auf seinen Tod und das zukünftige Wirken der Jünger vor. Den Höhepunkt des Unglaubens bildet der Abschnitt über die Leidensgeschichte, dem unmittelbar darauf - im Bericht über die Auferstehung - der Glaube der Jünger entgegengesetzt wird. Der Epilog, in dem der Bogen zum Wirken der Jünger geschlagen wird, rundet die Darstellung des Evangeliums ab.

 

 

GLIEDERUNG

 

I. Prolog ( 1,1-18 )

 

     A. Der Logos in Zeit und Ewigkeit ( 1,1-5 )

     B. Das Zeugnis Johannes' des Täufers ( 1,6-8 )

     C. Das Kommen des Lichts ( 1,9-13 )

     D. Die Inkarnation und Offenbarung ( 1,14-18 )

 

II. Jesu Manifestation vor dem Volk ( 1,19-12,50 )

 

     A. Jesu frühes Wirken ( 1,19-4,54 )

     B. Jesu Kontroverse in Jerusalem ( Kap. 5 )

     C. Jesu Offenbarung in Galiläa ( 6,1-7,9 )

     D. Jesu Rückkehr nach Jerusalem und das erneute Aufflammen der Feindseligkeiten ( 7,10-10,39 )

     E. Die Auferweckung des Lazarus ( 11,1-44 )

     F. Der Plan, Jesu zu töten ( 11,45-57 )

     G. Das Ende des öffentlichen Wirkens Jesu ( 12,1-36 )

     H. Der Unglaube des jüdischen Volkes ( 12,37-50 )

 

III. Jesu Weisungen an seine Jünger ( Kap. 13-17 )

 

     A. Das letzte Abendmahl ( 13,1-30 )

     B. Jesu bevorstehender Abschied ( 13,31-38 )

     C. Jesus, der Weg zum Vater ( 14,1-14 )

     D. Die Verheißung des Heiligen Geistes ( 14,15-31 )

     E. Der Weinstock und die Reben ( 15,1-10 )

     F. Jesu Freunde ( 15,11-17 )

     G. Der Haß der Welt ( 15,18-16,4 )

     H. Das Wirken des Heiligen Geistes ( 16,5-15 )

     I. Die bevorstehenden Veränderungen ( 16,16-33 )

     J. Jesu Fürbitte ( Kap.17 )

 

IV. Jesu Passion und Auferstehung ( Kap. 18-20 )

 

     A. Die Gefangennahme Jesu ( 18,1-11 )

     B. Die Verhandlungen vor dem Hohenpriester und die Leugnung des Petrus ( 18,12-27 )

     C. Der Zivilprozeß vor Pilatus ( 18,28-19,16 )

     D. Die Kreuzigung ( 19,17-30 )

     E. Das Begräbnis ( 19,31-42 )

     F. Das leere Grab ( 20,1-9 )

     G. Jesu Erscheinen vor Maria ( 20,10-18 )

     H. Jesu Erscheinen vor seinen Jüngern ( 20,19-23 )

     I. Jesu Erscheinen vor Thomas ( 20,24-29 )

     J. Der Zweck des Buches ( 20,30-31 )

 

V. Epilog ( Kap. 21 )

 

     A. Jesu Erscheinen am See ( 21,1-14 )

     B. Die Wiederherstellung von Petrus ( 21,15-23 )

     C. das Kolophon ( 21,24-25 )

 

 

AUSLEGUNG

 

I. Prolog

( 1,1 - 18 )

 

Am Anfang aller vier Evangelien wird Jesus in ein historisches Umfeld gestellt. Die Eröffnung des Johannesevangeliums nimmt dabei jedoch einen einzigartigen Platz ein. Das Matthäusevangelium beginnt mit dem Stammbaum Jesu und verfolgt Jesu Herkunft bis auf David und Abraham zurück. Das Markusevangelium setzt mit der Predigt Johannes des Täufers ein. Lukas widmet sein Buch Theophilus und schließt daran die Vorhersage der Geburt von Johannes dem Täufer an. Das Johannesevangelium aber beginnt mit einem theologischen Prolog. Es ist beinahe so, als ob Johannes gesagt hätte: "Ich möchte, daß Sie die Lehre und Taten Jesu näher kennenlernen. Doch Sie werden die gute Nachricht von Jesus nicht in ihrer ganzen Tragweite verstehen, wenn Sie nicht zugleich erkennen, daß Jesus Gott ist, der sich im Fleisch manifestiert hat, und daß alle seine Worte und Taten die Worte und Taten des Gottmenschen sind."

Die wichtigsten Themen des Johannesevangeliums klingen bereits im Prolog an und werden später weiterentwickelt. Zu den Schlüsselbegriffen der johanneischen Sprache gehören "Leben" (V. 4 ), "Licht" (V. 4 ), "Finsternis" (V. 5 ), "Zeugnis" (V. 7 ), "wahr" (V. 9 ), "Welt" (V. 9 ), "Sohn" (V. 14 ), "Vater" (V. 14 ), "Herrlichkeit" (V. 14 ) und "Wahrheit" (V. 14 ). Zwei weitere entscheidende theologische Termini sind "das Wort" (V. 1 ) und "Gnade" (V. 14 ). Sie kommen allerdings trotz ihrer Bedeutung nur in der Einleitung vor. Der Begriff "Wort" (Logos) steht zwar noch an anderer Stelle, dort aber nicht mehr als christologischer Titel.

 

 

A. Der Logos in Zeit und Ewigkeit

( 1,1 - 5 )

 

Joh 1,1

 

In einer Zeit, die so weit zurückliegt, wie der Mensch nur denken kann - im Anfang - war das Wort . Für den theologischen Terminus "Wort" steht hier der ganz normale griechische Begriff logos , der einfach "Sprechen, Botschaft oder Wörter" bedeutet. Er war sowohl in der griechischen Philosophie als auch in der jüdischen Weisheitsliteratur wohlbekannt. Wahrscheinlich wählte Johannes diesen Ausdruck, weil er seinen Lesern so vertraut war; doch er verlieh ihm eine ganz eigene Bedeutung, die gleich im Prolog entwickelt wird.

Das Wort war bei Gott , d. h., es hatte innerhalb der Trinität eine ganz besondere Beziehung ewiger Gemeinschaft mit Gott. "Bei" ist die Übersetzung des griechischen pros , hier im Sinne von "Gemeinschaft haben mit" (vgl. dieselbe Bedeutung von pros in Joh 1,2; 1Thes 3,4; 1Joh 1,2 ). Dann fügt Johannes hinzu: Gott war das Wort . Die Zeugen Jehovas schreiben: "das Wort war ein Gott" - eine falsche Übersetzung, die - logisch zu Ende gedacht - zum Polytheismus führt. In anderen Bibelversionen steht "das Wort war göttlich", wasjedoch ebenfalls nicht ganz eindeutig ist und zu einem falschen Verständnis von Jesus führen könnte. Richtig übersetzt kann dieser Vers dagegen die Lehre von der Trinität ganz entscheidend erhellen. Das Wort ist ewig; es steht in Beziehung zu Gott (dem Vater); und es ist Gott.

 

Joh 1,2

 

Das Wort war schon immer bei Gott . Christi Existenz begann nicht irgendwann innerhalb der Zeit, genausowenig wie er erst zu irgendeinem Zeitpunkt in Beziehung zum Vater trat. Der Vater (Gott) und der Sohn (das Wort) sind seit Ewigkeit eine liebende Einheit. Sowohl Vater als auch Sohn sind Gott, und dennoch gibt es nicht zwei Götter.

s

 

Joh 1,3

 

Warum gibt es etwas und nicht nichts? Auf diese berühmte Frage der Philosophie antwortet das Christentum mit Gott. Er ist ewig und der Schöpfer aller Dinge. Das Werkzeug der Schöpfung aber war das Wort (vgl. 1Kor 8,6; Kol 1,16; Hebr 1,2 ). Die ganze Schöpfung wurde gemacht: vom Vater, durch das Wort, mit der Hilfe des Geistes. Im Johannesevangelium steht das Wort im Mittelpunkt. Es kam, um den Menschen den Vater zu offenbaren ( Joh 1,14.18 ). Im Grunde begann das Offenbarungswerk bereits in der Schöpfung, denn auch die Schöpfung offenbart Gott ( Ps 19,1-6; Röm 1,19-20 ).

 

 

Joh 1,4

 

Das Leben ist das Wertvollste, was der Mensch besitzt. Der Verlust des Lebens ist tragisch. Johannes bestätigt das: In ihm (Christus) war das Leben . Christus verdanken die Menschen ihr physisches und ihr geistliches Leben. (Zu Johannes' Lehre über das Leben vgl. Joh 5,26;6,57;10,10;11,25;14,6;17,3;20,31 .) Jesus, die "Quelle des Lebens" (vgl. Joh 11,25 ), ist das Licht der Menschen (vgl. Joh 8,12 ). Das Licht ist in der Bibel ein Emblem Gottes; die Finsternis wird gemeinhin mit Tod, Beschränktheit, Unwissenheit, Sünde und Getrenntsein von Gott identifiziert. Jesaja beschrieb die Rettung als das Kommen eines großen Lichtes, das die Menschen, die in Finsternis leben, erblicken werden ( Jes 9,1; vgl. Mt 4,16 ).

 

 

Joh 1,5

 

Es liegt im Wesen des Lichts, das Dunkle hell zu machen - die Finsternis, die in diesem Vers gleichsam personifiziert ist, zu vertreiben. Die Finsternis ist nicht in der Lage, das Licht zu begreifen. In diesem einen Satz hat Johannes sein ganzes Evangelium zusammengefaßt: (a) Das Licht wird in das Reich der Finsternis kommen; (b) Satan, der Herrscher dieses Reiches, und seine Untertanen werden sich dem Licht widersetzen, doch sie werden seiner Macht nichts anhaben können; (c) das Wort wird gegen alle Widerstände siegen.

 

 

B. Das Zeugnis Johannes' des Täufers

( 1,6 - 8 )

 

Joh 1,6

 

Bevor jedoch das ewige Wort kam, betrat ein Mensch die Bühne der Geschichte: der hieß Johannes . Bei diesem Johannes handelte es sich nicht um den Verfasser des Johannesevangeliums, sondern um den berühmten Wegbereiter Jesu, Johannes den Täufer. Er war v on Gott gesandt - und hierin liegt auch das Geheimnis seiner Bedeutung. Gott selbst hatte ihn - wie früher die Propheten des Alten Testaments - für seinen besonderen Auftrag ausgestattet und bevollmächtigt.

 

 

Joh 1,7

 

Das Zeugnis (sowohl als Substantiv, martyria , als auch als Verb, martyreO ) ist ebenfalls ein Schlüsselbegriff des Johannesevangeliums (vgl. V. 15.32.34 ; Joh 3,11.26;5,31-34.36-37; Joh 18,37;19,35; usw.). (Vgl. auch die Karte beim Kommentar zu Joh 5,33-34 .) Johannes der Täufer war gesandt, um die Menschen auf Jesus vorzubereiten, um ihnen von der Wahrheit Jesu, dem Offenbarer des Vaters, zu verkünden, denn sie lebten in so tiefer Finsternis der Sünde, daß sie jemanden brauchten, der ihnen sagte, was Licht überhaupt ist. Johannes' Ziel war es, alle Menschen zum Glauben an Jesus zu führen.

 

 

Joh 1,8

 

Johannes der Täufer war zwar groß, doch er war nicht das Licht . Es gibt Hinweise darauf, daß die Bewegung, die mit dem Täufer begann, nach seinem Tod und auch nach dem Todund der Auferstehung Jesu weiterexistierte ( Joh 4,1; vgl. Mk 6,29; Lk 5,33 ). Zwanzig Jahre nach Jesu Auferstehung (vgl. Apg 18,25;19,1-7 ) traf Paulus, als er nach Ephesus kam, dort etwa zwölf Jünger Johannes' des Täufers, und noch heute gibt es im Gebiet südlich von Bagdad eine mandäische Sekte, die - obwohl sie dem Christentum feindlich gegenübersteht - nach eigener Aussage auf den Täufer zurückgeht.

 

 

C. Das Kommen des Lichts

( 1,9 - 13 )

 

Joh 1,9

 

Dieser Vers wird auch der "Quäkertext" genannt, weil die Gründer dieser Sekte eine irrtümliche Schlußfolgerung daraus zogen: sie stellten das "innere Licht" in den Mittelpunkt ihrer Lehre. (In manchen Bibelausgaben wurde das "Kommen" [ erchomenon ] nicht auf die Menschen, sondern auf Christus, das wahre Licht, zurückbezogen und als Hinweis auf die Inkarnation verstanden.)

Christus erleuchtet alle Menschen . Das bedeutet nicht, daß er sich allen offenbart, daß alle gerettet werden, oder auch nur, daß allen eine innere Erleuchtung zuteil wird. Es besagt lediglich, daß Christus, das Licht, jedem Menschen leuchtet ( phOtizei ), ihm die Augen für seine Sünde und das kommende Gericht öffnet ( Joh 3,18-21;9,39-41; 16,8-11 ) und ihn rettet, wenn er Christus annimmt.

 

 

Joh 1,10

 

Mit der Welt ( kosmos ) ist hier die Welt, in der die Menschen leben, und die menschliche Gesellschaft gemeint, die Gott ungehorsam ist und unter der Herrschaft Satans steht (vgl. Joh 14,30 ). Der Logos kam zu den Menschen durch die Inkarnation, doch die Menschheit erkannte ( egnO , kennen) den, der sie gemacht hatte, nicht (vgl. Jes 1,2-3 ). Ihr Versagen war nicht darauf zurückzuführen, daß das Wesen Gottes irgendwo im Menschen "verborgen" war, wie manche behaupten. Es war vielmehr eine Folge der durch die Sünde bedingten Unwissenheit und Blindheit der Menschen ( Joh 12,37 ).

 

 

Joh 1,11

 

Der Logos kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf . In gewisser Weise ist das einer der traurigsten Verse der Bibel. Jesus kam zu seinem Volk, doch Israel verwarf ihn. Das jüdische Volk weigerte sich, Jesus als die vom Vater gesandte Offenbarung anzuerkennen und seinen Geboten zu gehorchen. Schon Jesaja hatte vor langer Zeit diesen Unglauben Israels vorausgesagt: "Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde?" ( Jes 53,1 ).

 

 

Joh 1,12

 

Doch nicht alle waren ungläubig. Manche nahmen Jesu Einladung, die der ganzen Menschheit galt, an. Allen, die ihn als den Offenbarer des Willens des Vaters und als Sühneopfer akzeptierten, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden . Das Wort "Kinder" ( tekna ) ist der Übersetzung "Söhne" vorzuziehen. Die Menschen sind nicht von Natur aus Kinder Gottes, doch sie können es werden, wenn sie das Geschenk ihrer Wiedergeburt annehmen.

 

Joh 1,13

 

Diese Wiedergeburt kommt nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes , ist also weder eine dem Menschen in die Wiege gelegte Vorherbestimmung noch auf den natürlichen Wunsch der Menschen nach Kindern zurückzuführen. Die Geburt eines Gotteskindes ist keine natürliche Geburt; sie ist ein übernatürliches Werk von Gott, eine "Wiedergeburt" bzw. Erneuerung. Wenn ein Mensch Jesus annimmt und ihm in Glauben und Gehorsam antwortet, so ist das ein Geheimnis, dessen "Ursache" im Wirken des Heiligen Geistes liegt ( Joh 3,5-8 ).

 

 

D. Die Inkarnation und Offenbarung

( 1,14 - 18 )

 

Joh 1,14

 

Das Wort ( Logos ; vgl. V. 1 ) ward Fleisch . Christus, der ewige Logos , der Gott ist, kam als Mensch auf die Erde. Doch er erschien nicht nur in Gestalt eines Menschen; er wurde Mensch (vgl. Phil 2,6-8 ). Das Menschsein wurde der Gottheit Christi hinzugefügt. Und doch wandelte Christussich nicht, als er "Fleisch" wurde; daher ist das "ward" ( egeneto ) vielleicht besser mit "nahm auf sich" oder "kam als" zu übersetzen.

"Fleisch" bedeutet in diesem Vers "menschliche Natur", nicht Sündhaftigkeit oder Schwäche. Im Griechischen erinnert die Wendung und wohnte unter uns an die Zeit des Alten Testaments, in der Gott sich im Tempel, mitten unter seinem Volk, aufhielt. Das griechische Wort für "wohnte" ist eskEnOsen , von skEnE ("Stiftshütte"). So wie Gott in der Stiftshütte anwesend war ( 2Mo 40,34 ), wohnte auch Jesus unter den Menschen.

Wir sahen impliziert selbstverständlich, daß der Autor dieses Evangeliums ein Augenzeuge war. S eine Herrlichkeit bezieht sich auf die einzigartige Größe, die in Jesu Leben - in seinen Wundern, seinem Tod und seiner Auferstehung - zutage traten. Die Wendung des eingeborenen Sohnes ( monogenous ; vgl. Joh 1,18;3,16.18; 1Joh 4,9 ) bedeutet, daß Jesus von Anbeginn der Welt an auf eine Art und Weise der Sohn Gottes ist, die sich grundlegend von der Art und Weise unterscheidet, wie ein Mensch, der glaubt, ein Kind Gottes wird . Jesu Sohnschaft ist einzigartig, denn er ist ewig und eines Wesens mit dem Vater . Die herrliche Offenbarung Gottes, die der Logos verkörperte, war voller Gnade und Wahrheit , d. h., sie war eine gnädige und wahre Offenbarung (vgl. Joh 1,17 ).

 

Joh 1,15

 

Johannes der Täufer gab ein bleibendes Zeugnis von Jesus, wie das Präsens der Verben gibt Zeugnis und ruft im Griechischen und auch im Deutschen deutlich macht. Jesus, der jünger war als Johannes, begann sein Wirken später als dieser. Doch Johannes sagte, daß Jesus aufgrund seiner Präexistenz (also aufgrund seiner wahren Natur) eher war als er.

 

 

Joh 1,16

 

Das fleischgewordene Wort ist die Quelle der Gnade ( charin ), die die Summe allen Segens ist, den Gott den Menschen gibt. Die Wendung wir alle bezieht sich auf die Christen, einschließlich des Verfassers des Evangeliums, Johannes. Aufgrund seiner (Christi) Fülle wird den Christen Gnade um Gnade ( charin anti charitos , wörtlich: "Gnade auf Gnade") zuteil - ebenso unaufhörlich, wie die Wellen des Meeres ans Ufer schlagen. Das Leben der Christen wird getragen von Beweisen der Gnade Gottes, die sie immer wieder empfangen.

 

 

Joh 1,17

 

Das größte Geschenk, das Gott seinem Volk vor dem Kommen Jesu gemacht hatte, war das Gesetz, das er ihm durch Mose , seinen Knecht, gegeben hatte. Keinem anderen Volk wurde ein solches Privileg zuteil. Die Herrlichkeit der Kirche heute aber besteht darin, daß sie die Offenbarung von Gottes Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus besitzt (vgl. V. 14 ).

 

Joh 1,18

 

Die Aussage "niemand hat Gott jemals gesehen" (vgl. 1Joh 4,12 ) scheint ein Problem aufzuwerfen. Sagte nicht Jesaja: "Ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen" ( Jes 6,5 )? Und doch ist Gott von seinem Wesen her unsichtbar ( 1Tim 1,17 ). Er ist der, "den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann" ( 1Tim 6,16 ). Was Johannes hier ( Joh 1,18 ) eigentlich meinte, war also wohl, daß "kein Mensch je Gottes wahres Wesen gesehen hat". Gott kann sich wohl in einer Theophanie in anthropomorpher Gestalt zeigen (wie es Jesaja geschah), doch sein inneres bzw. eigentliches Wesen offenbart sich nur in Jesus.

Der Eingeborene, der Gott ist heißt wörtlich "der einzige Gott" oder "der eingeborene Gott" ( monogenEs theos ; vgl. monogenous , "des eingeborenen Sohnes", in V. 14 ). Mit der Rückkehr zu der Wahrheit von Vers 1 , daß das Wort Gott ist, schließt sich der Kreis des Johannesprologs. Vers 18 ist eine erneute Bekräftigung der Gottheit Christi: Christus ist der eine und einzige Gott. Der Sohn ist in des Vaters Schoß - ein Zeichen für die enge Beziehung zwischen Gott Vater und Gott Sohn (vgl. das Wort "bei" in V. 1 - 2 ). Dieser Sohn hat uns den Vater verkündigt ( exEgEsato ). Der Sohn ist der "Exeget" des Vaters, er manifestiert in seiner Person das Wesen des unsichtbaren Vaters (vgl. Joh 6,46 ).

 

 

II. Jesu Manifestation vor dem Volk

( Joh 1,19-12,50 )

 

Dieser Abschnitt, der den größten Teil des Johannesevangeliums ausmacht, beschreibt das öffentliche Wirken Jesu für das Volk Israel. Man könnte ihn ein "Buch der Zeichen" nennen, denn er erzählt von sieben Wundern, die Jesus vollbrachte und die ihn als den Messias ausweisen. An die Wunder schließen sich jeweils Reden und Auslegungen an. Darüber hinaus enthält der Abschnitt noch zwei lange Privatgespräche ( Joh 3-4 ).

A. Jesu frühes Wirken

( 1,19 - 4,54 )

 

1. Frühe Zeugnisse für Jesus

( 1,19 - 34 )

 

a. Johannes' erstes Zeugnis

( 1,19 - 28 )

 

Joh 1,19

 

Wie die synoptischen Evangelien berichtet auch Johannes von dem Wirken Johannes des Täufers, der so großen Erfolg hatte, daß die religiösen Machthaber in Jerusalem auf ihn aufmerksam wurden. Die Juden ist die Bezeichnung des Evangelisten für die politischen und religiösen Führer der Stadt Jerusalem. Die Priester und Leviten fragten Johannes also nach seiner Taufe und Identität.

 

 

Joh 1,20-21

 

Johannes antwortete ihnen: Ich bin nicht der Christus (d. h. der Messias). (Zur Bedeutung des Titels "Messias" vgl. den Kommentar zu V. 40 - 41 .) Seine Aussage hat, wie an der Wiederholung des Verbs "bekannte" deutlich wird, Bekenntnischarakter.

Interessanterweise wurden die Entgegnungen des Täufers auf die Fragen, die ihm gestellt wurden, von Mal zu Mal kürzer: "Ich bin nicht der Christus" (V. 20 ). Ich bin's nicht (V. 21 ). Nein (V. 21 ). Johannes wollte nicht von sich selbst sprechen, seine Aufgabe war es vielmehr, auf einen anderen hinzuweisen. Sein Amt kam dem Elias gleich. Ebenso unvermutet wie dieser erschien er auf der Bühne der Geschichte, und er kleidete sich auch wie Elia. Wie Elia zu seiner Zeit versuchte auch er, die Menschen zu Gott zu bekehren. Da Maleachi vorausgesagt hatte, daß Elia zurückkehren werde, bevor der Messias käme ( Mal 3,23 ), stellten viele Menschen Vermutungen darüber an, ob Johannes vielleicht Elia sei. Den Propheten dagegen erwarteten die Menschen aufgrund einer Prophezeiung von 5Mo 18,15 ,die sich auf Christus bezog (vgl. Joh 1,45 ), jedoch von vielen dahingehend mißverstanden wurde, daß der Prophet und der Messias zwei Personen seien (V. 23 ; Joh 7,40-41 ).

 

 

Joh 1,22-23

 

Johannes antwortete, daß er keiner dieser erwarteten Propheten sei, daß aber auch sein Amt bereits im Alten Testament beschrieben worden sei. Er war die Stimme ( phOne ), Jesus war das Wort ( Logos ). Johannes hatte die Aufgabe, die Menschen auf das Wort vorzubereiten, und er erfüllte sie in der Wüste . (Zur Bedeutung von Johannes' Zitat aus Jes 40,3 vgl. den Kommentar zu Mt 3,3 .)

 

 

Joh 1,24-25

 

Die Pharisäe r waren eine wichtige jüdische Sekte, die etwa sechstausend Mitglieder zählte und außerordentlich einflußreich war. Sie lebten nach ihrer eigenen, sehr strengen Auffassung des Gesetzes und hielten sich außerdem noch an viele mündliche Traditionen. Die Pharisäer überlebten als einzige kleinere Gruppe den jüdischen Krieg von 66 - 70 n. Chr., und ihre Lehre wurde zur Grundlage des talmudischen Judentums. Diese wichtigen Vertreter des Judentums fragten nun den Täufer: "Wenn du keinen offiziellen Titel hast, warum taufst du denn? "

 

 

Joh 1,26-27

 

Johannes wußte, daß seine Taufe nur die Vorwegnahme der eigentlichen Taufe war. Er erklärte ihnen, daß ein anderer kommen werde, den sie nicht kannten. Dieser Kommende werde so groß sein, daß er, Johannes, sich nicht für wert hielt, ihm auch nur die niedrigsten Dienste zu erweisen (wie z. B. seine Schuhriemen zu lösen ).

 

 

Joh 1,28

 

Wo das Betanien jenseits des Jordan lag, wissen wir nicht. (Es darf jedoch nicht mit dem anderen Betanien, der Heimatstadt von Maria, Marta und Lazarus, in der Nähe von Jerusalem, verwechselt werden.) Schon Origenes, der um 200 n. Chr. Palästina besuchte, konnte es nicht mehr finden. In Frage käme eine Ortschaft gegenüber von Jericho.

 

 

b. Johannes' zweites Zeugnis

( 1,29 - 34 )

 

Joh 1,29

 

Als nächstes ist von einer Reihe von Tagen die Rede (vgl. "am nächsten Tag" in V. 29.35.43 ; "am dritten Tage" in Joh 2,1 ), an deren ersten beiden Johannes erneut Zeugnis über Jesus ablegte. Am zweiten dieser Tage berief Jesus seine ersten Jünger, die ihm glaubten und nachfolgten. Johannes identifizierte Jesus als Gottes Lamm (vgl. Joh 1,36; 1Pet 1,19 ) - eine Bezeichnung, die auf die Opferungen des Alten Testaments verweist. Im allgemeinen wurden in Israel Lämmer geopfert, doch das Opfertier, das am Versöhnungstag die Sünde des Volkes trug, war ein Ziegenbock ( 3Mo 16 ). Vielleicht dachte Johannes bei seinen Worten aber auch an das Passalamm ( 2Mo 12 ) und an eine Aussage Jesajas, der von der Ähnlichkeit des Messias mit einem Lamm sprach ( Jes 53,7 ). In jedem Fall zeigte ihm der Heilige Geist Jesus als das Sühneopfer, das für der Welt Sünde sterben mußte (vgl. Jes 53,12 ).

 

 

Joh 1,30-31

 

Dann wiederholte Johannes nochmals, was er bereits früher über Jesus gesagt hatte (V. 15.27 ). Sein Ruhm sollte noch vom Ruhm Jesu übertroffen werden, dessen Vorrangstellung in seiner Präexistenz begründet liegt: Er war eher als ich. Doch warum sagte Johannes "und ich kannte ihn nicht "? Obwohl Johannes und Jesus durch Maria und Elisabeth miteinander verwandt waren ( Lk 1,36 ), wissen wir nichts darüber, ob sie sich vielleicht in ihrer Kindheit oder Jugend bereits begegnet waren. Jedenfalls wußte Johannes erst dann, daß Jesus der war, der da kommen sollte, als er ihm vom Vater als Messias offenbart wurde. Bis dahin wußte er nur, daß er dem, auf den alle warteten, durch die Taufe mit Wasser den Weg bereiten sollte. Gott würde Israel seinen Erlöser zur gegebenen Zeit senden.

 

 

Joh 1,32

 

Das Johannesevangelium sagt nichts darüber, daß Jesus getauft wurde, doch es setzt die Erzählungen aus den synoptischen Evangelien voraus (vgl. "Die Besonderheiten des Johannesevangeliums" in der Einleitung). Es ist auch nicht die Rede davon, daß der Heilige Geist bei der Taufe wie eine Taube auf Jesus herabkam. Wichtig ist dem Evangelisten vielmehr, daß der unsichtbare Geist vom Himmel herabfuhr und sich körperlich manifestierte (in Gestalt einer Taube). Johannes sah, daß der Geist als Taube auf Jesus blieb (vgl. Jes 11,2; Mk 1,10 ).

 

 

Joh 1,33

 

Er hatte von Gott (der ihn sandte) erfahren, daß derjenige, auf den die Taube herabkäme, der Auserwählte sei, der mit dem Heiligen Geist taufen würde. Die Reinigung durch Wasser ist eine Sache, doch die Reinigung durch den Heiligen Geist ist eine andere. Später an Pfingsten, fünfzig Tage nach Jesu Auferstehung, leitete die Taufe mit dem Heiligen Geist ein neues Zeitalter ein ( Apg 1,5;2,1-4 ) - das Kirchenzeitalter, das Zeitalter "des Geistes" (vgl. 1Kor 12,13 ).

 

 

Joh 1,34

 

Das Zeugnis des Täufers lautete, daß dieser Gottes Sohn sei. Der prophezeite davidische König war der Sohn Gottes ( 1Sam 7,13-14 a), und der messianische König ist in einzigartiger Weise Gottes Sohn ( Ps 2,7 ). Der Titel "Sohn Gottes" geht über die Vorstellung des Gehorsams und des messianischen Königs hinaus und verweist auf das wahre Wesen Jesu. Deshalb werden die gläubigen Menschen im Johannesevangelium denn auch an keiner Stelle als "Söhne" Gottes bezeichnet. Sie sind die "Kinder" ( tekna ; z. B. Joh 1,12 ) Gottes, der Titel "Sohn" ( hyios ) gebührt nur Jesus.

 

 

2. Jesu Jünger

( 1,35 - 51 )

 

a. Jesu erste Jünger

( 1,35 - 42 )

 

Joh 1,35-36

 

Der nächste Tag bezieht sich auf den zweiten Tag in der zeitlichen Abfolge (vgl. V. 29.35.43 ; Joh 2,1 ).Wahrscheinlich legt der Evangelist so großen Wert auf die Chronologie, weil er zeigen will, wie einige Jünger des Täufers zu Jüngern Jesu wurden. Die Zeiten der Verben in Joh 1,35-36 sind ungewöhnlich. Johannes stand da (Imperfekt), während Jesus vorüber geht (Präsens). Das Gesetz des Handelns geht nun von Johannes dem Täufer auf Jesus über. Johannes selbst wies seine Jünger auf ihn hin und sprach: Siehe, das ist Gottes Lamm (vgl. den Kommentar zu V. 29 ).

 

 

Joh 1,37

 

Zwei seiner Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus nach . Das Verb "folgen" hat hier wahrscheinlich doppelte Bedeutung: Sie folgten ihm in wörtlichem Sinne - gingen hinter ihm her - und als seine Jünger, d. h., sie waren von diesem Tag an Anhänger Jesu.

 

 

Joh 1,38

 

Die ersten Worte, die die Jünger von Jesus hörten, lauteten: "Was sucht ihr?" Das war eine ganz simple Frage, und die Jünger antworteten mit der Gegenfrage, wo er wohne. Doch der Evangelist scheint noch mehr mit dieser Frage zu beabsichtigen. Vielleicht meinte Jesus auch: "Was sucht ihr in eurem Leben?" Das Wort, das hier mit Herberge ( menO ) übersetzt ist und an dieser Stelle zum ersten Mal auftaucht, ist einer der Lieblingsbegriffe des Evangelisten. Von den 112 Stellen im Neuen Testament, an denen er steht, finden sich 66 in seinen Schriften - 40 im Johannesevangelium, 23 im 1. und drei im 2. Johannesbrief (William F. Arndt und F. Wilbur Gingrich, A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature . Chicago 1957, S. 504 - 505). Manchmal hat er, wie hier, die Bedeutung von "bleiben oder wohnen", ein paarmal heißt er "bleiben oder fortsetzen", doch meistens ist er im theologischen Sinn von "(bestehen) bleiben, fortfahren, festhalten" gemeint (z. B. Joh 15,4-7 ).

 

 

Joh 1,39

 

Jesus antwortete ihnen mit den einladenden Worten: Kommt und seht! Ein Mensch muß zunächst zu ihm kommen, dann wird er sehen. Doch sie sollten nicht nur sehen, wo er wohnte; auch diese Worte hatten einen tieferen theologischen Sinn. Die beiden Jünger blieben diesen Tag bei ihm - ab der zehnten Stunde , d. h. ab vier Uhr nachmittags oder zehn Uhr vormittags, je nachdem, ob der Evangelist die Tage von sechs Uhr morgens (wie es die Synoptiker gewöhnlich tun) oder von Mitternacht bzw. Mittag an zählt. Zehn Uhr vormittags - also nach der offiziellen römischen Zeitrechnung (vgl. den Kommentar zu Joh 4,6;19,14 ) gerechnet - scheint jedoch plausibler.

 

 

Joh 1,40-41

 

Andreas , einer der beiden Jünger, die Jesus nachgefolgt waren , war der erste, der Jesus als Messias verkündigte. Dem hebräischen "Messias", "der Gesalbte", entspricht der griechische Begriff "Christus" ( ho Christos ). Er stammt aus der alttestamentlichen Praxis, Priester und Könige mit Öl zu salben, ein Symbol des Heiligen Geistes, das auf den vorauswies, der kommen sollte (vgl. Jes 61,1 ). "Messias" war ein Titel des zukünftigen davidischen Königs (vgl. Mt 1,1; Joh 6,15 ). Kein Mensch in der Geschichte des Christentums erwies der Kirche je einen größeren Dienst als Andreas, als er seinen Bruder Simon Petrus zu Jesus brachte. Andreas tritt noch zweimal im Johannesevangelium in Erscheinung ( Joh 6,8-9;12,20-22 ); beide Male bringt er jemanden zu Jesus. Hinter dem ungenannten Jünger vermuteten die Neutestamentler gewöhnlich Johannes, einen Sohn des Zebedäus und Bruder von Jakobus, der auch als Verfasser des Johannesevangeliums angesehen wird. In Mk 1,16-20 beruft Jesus zwei Brüderpaare (Simon und Andreas und Johannes und Jakobus), allesamt Fischer.

 

 

Joh 1,42

 

Sofort, als Jesus Simon sah (vgl. V. 47 ), erkannte er seine Bestimmung. Er gab ihm den aramäischen Beinamen Kephas , griechisch Petrus (Fels). Im Hebräischen lautete der Name Simon wahrscheinlich Simeon (griechisch in Apg 15,14; 2Pet 1,1 ). Für die Änderung seines Namens von Simon in Kephas wird hier kein Grund angegeben. Im allgemeinen gehen die Forscher davon aus, daß der Beiname ein Hinweis auf das war, was Gott inseiner Gnade mit Petrus vorhatte: er sollte in den Anfangsjahren des Christentums zum "Felsen" der Kirche werden (vgl. Mt 16,18; Lk 22,31-32; Joh 21,15-19;2-5;10-12 ).

 

 

b. Die Berufung von Philippus und Nathanael

( 1,43 - 51 )

 

Joh 1,43-44

 

Die ersten Jünger stammten aus Galiläa, doch berufen hatte Jesus sie in Judäa, aus dem Gefolge des Täufers. Auf dem Weg nach Norden, nach Galiläa , berief er dann Philippus , dessen Heimatstadt Betsaida war, wo auch Andreas und Petrus herstammten. Betsaida lag am Nordostufer des Sees Genezareth ( Joh 12,21 ), politisch gesehen also im Süden der Provinz Gaulanitis, die zum Herrschaftsbereich des Herodes Philippus (Josephus, Ant. 18. 2. 1) gehörte. Aus Philippus' griechischem Namen sollten keine Schlußfolgerungen über seine Nationalität gezogen werden.

 

 

Joh 1,45

 

Philippus bezeugte gegenüber Nathanael , daß Jesus der Verheißene sei, von dem Mose ( 5Mo 18,18-19; vgl. Joh 1,21.25 ) und die Propheten ( Jes 52,13-53,12; Dan 7,13; Mi 5,1; Sach 9,9 ) schrieben. Überraschenderweise nannte er Jesus Josefs Sohn - zu diesem Zeitpunkt waren die Jünger also noch davon überzeugt, daß Jesus der leibliche Sohn Josefs war. Doch Nathanael sollte schon bald erkennen, daß Jesus " Gottes Sohn" war ( Joh 1,49 ).

 

 

Joh 1,46

 

Nathanael stockte kurz angesichts der niedrigen Herkunft des Messias. Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Wie alle Juden kannte er den schlechten Ruf dieser Stadt und war davon überzeugt, daß der Messias aus Jerusalem, Hebron oder einer anderen berühmten Stadt kommen würde. Die Herablassung Jesu ist noch heute für viele Menschen unbegreiflich. Wie kann überhaupt der Logos ein Mensch werden? Doch Philippus war klug genug, sich nicht auf ein Streitgespräch einzulassen, er lud seinen Freund einfach ein, Jesus kennenzulernen: Komm und sieh es! Er wußte, daß Nathanaels Fragen dann eine Antwort finden würden.

 

 

Joh 1,47

 

Jesus, der übernatürliches Wissen besaß (vgl. V. 42 ), nannte Nathanael einen rechten Israeliten, in dem kein Falsch ( dolos , "Täuschung") ist im Gegensatz zu Jakob (vgl. V. 51 mit 1Mo 28,12 ).

 

 

Joh 1,48

 

Nathanael war erstaunt, daß Jesus ihn kannte, ja sogar ganz genau wußte, womit er beschäftigt war, als Philippus ihn traf: Er war unter einem Feigenbaum . Der Feigenbaum war eine Metapher für Muße und Sicherheit (vgl. 1Kö 5,5; Mi 4,4; Sach 3,10 ); vielleicht ein Ort der Meditation (vgl. den Kommentar zu Joh 1,50-51 ). Ps 139 führt das Thema, daß Gott das Leben eines Menschen bis in jede Einzelheit kennt, genauer aus.

 

 

Joh 1,49

 

Jesu übernatürliches Wissen brachte Nathanael dazu, ihn als Gottes Sohn und König von Israel zu bekennen. Das heißt nicht, daß er bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Trinität oder die Inkarnation völlig verstanden hatte. Doch er hatte verstanden, daß Jesus der Sohn Gottes, der erwartete Messias, war (vgl. Ps 2,6-7 ). Auf diesem zukünftigen davidischen König sollte der Geist Gottes ruhen ( Jes 11,1-2 ).

 

 

Joh 1,50-51

 

Doch Jesus verhieß Nathanael noch Größeres , wobei er vielleicht von den Wundern in Kapitel 2 - 13 sprach. Vers 48.51 sind vielleicht Hinweise darauf, daß Nathanael sich gedanklich mit Jakob, insbesondere mit dem Zwischenfall, über den 1Mo 28,12 berichtet, beschäftigte. Dort wird erzählt, daß Jakob in einem Traum sah, wie Engel eine Leiter hinauf- und hinabgingen. Nathanael aber sollte die Engel Gottes hinauf- und herabfahren (sehen) über dem Menschensohn . So wie Jakob sah, daß die Engel vom Himmel mit der Erde in Verbindung standen, so sollte Nathanael (und die anderen; das du in Joh 1,50 ist zwar Singular, doch in V. 51 steht dann Plural, ihr ) Jesus als den göttlichen Mittler zwischen Himmel und Erde erfahren. Der Menschensohn, der die Stelle der Leiter einnimmt, ist Gottes Verbindungsglied zur Erde (vgl. Dan 7,13; Mt 26,64 ). Vielleicht ist hierin auch ein Hinweis Jesu zu sehen, daß er das neue "Bethel", das neue Haus Gottes, war ( 1Mo 18,17; Joh 1,14 ).

 

Als Menschensohn verließ Jesus den Himmel und kam auf die Erde. Er selbst benutzte diesen Terminus über 80mal. Er ist ein Symbol seiner Menschlichkeit und seines Leidens sowie seines Wirkens als "vollkommener Mensch". Wahrlich, wahrlich, ich sage euch steht 25mal im Johannesevangelium und lenkt stets die Aufmerksamkeit auf wichtige Aussagen: Joh 1,51;3,3.5.11;5,19.24-25;6,26.32.47.53;8,34.51.58;10,1.7;12,24;13,16.20-21.38;14,12;16,20.23;21,18 .Interessanterweise findet sich dieses doppelte "Amen" bei den Synoptikern überhaupt nicht.

 

 

3. Jesu erstes Zeichen

( 2,1 - 11 )

 

Das erste Wunder, das Jesus im Johannesevangelium vollbrachte, war ein ganz privates, das nur die Jünger, einige Knechte und wahrscheinlich Jesu Mutter als solches erkannten. Daß in den synoptischen Evangelien nicht von diesem Wunder berichtet wird, könnte vielleicht damit zusammenhängen, daß Matthäus zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht zum Jünger berufen war. Von den vier Evangelisten war überhaupt nur Johannes anwesend. Er verwendet für den Vorfall bewußt das Wort "Zeichen" ( sEmoeiOn , V. 11 ), um die Aufmerksamkeit von den Wundertaten selbst abzulenken, hin zur eigentlichen Bedeutung der Wunder. Was sich dabei vollzieht, ist etwas "Wunderbares" ( teras ), das Wirken einer "Kraft" ( dynamis ), ein "unerwartetes ( paradoxos ) Geschehen".

Die Verwandlung von Wasser in Wein war das erste von insgesamt 35 Wundern, die uns von Jesus überliefert sind. (Vgl. die Tabelle, die Aufschluß über die Wunder, die Orte, an denen sie geschahen, und die Parallelstellen in den Evangelien gibt.)

 

 

Joh 2,1

 

Die Zeitangabe am dritten Tag bedeutet wahrscheinlich drei Tage nach der Berufung von Philippus und Nathanael. (Vgl. die Abfolge der Tage, auf die das jeweils in Joh 1,29.35 und 43 wiederholte "am nächsten Tag" hindeutet.) Die Reise von Betanien bei Jericho in Judäa ( Joh 1,28 ) nach Kana in Galiläa dauerte mehrere Tage. Wo genau Kana lag, wissen wir heute nicht mehr, doch es muß in der Nähe von Nazareth gewesen sein. Auch die Mutter Jesu war auf dem Fest anwesend, doch Johannes nennt sie nicht mit Namen (vgl. Joh 2,12;6,42;19,25-27 ), wie er auch an keiner anderen Stelle in diesem Evangelium seinen oder den Namen der Mutter Jesu erwähnt. (Jesu Mutter lebte nach dem Tod Jesu bei dem "Jünger, den Jesus lieb hatte"; vgl. Joh 19,27 .)

 

 

Joh 2,2-3

 

Orientalische Hochzeitsfeiern dauerten nicht selten sieben Tage. Das Fest setzte ein nach der Überführung der Braut in das Haus des Bräutigams bzw. seines Vaters, bevor die Ehe vollzogen wurde. Als der Wein ausging , wandte sich Maria an Jesus in der Hoffnung, daß er das Problem lösen könnte. Erwartete sie ein Wunder? Das ist angesichts der Aussage von Vers 11 unwahrscheinlich; bis jetzt hatte Maria ihren Sohn noch keine Wunder vollbringen sehen.

 

Joh 2,4-5

 

Das Wort Frau , mit dem Jesus seine Mutter hier anredet, klingt dem heutigen Leser fremd, war damals jedoch eine sehr höfliche und freundliche Wendung (vgl. Joh 19,26 ). Im Gegensatz dazu deutete der Satz " was geht's dich an " im Griechischen darauf hin, daß Jesus und Maria grundsätzlich zwei ganz verschiedenen Bereichen angehörten. Dämonen z. B. sagten es, wenn sie mit Christus konfrontiert wurden ("Was willst du von uns?"; Mk 1,24; "Was willst du von mir?"; Mk 5,7 ). Maria mußte hier, was für sie als Mutter sicherlich sehr schmerzlich war (vgl. Lk 2,35 ), erkennen, daß Jesus ausschließlich den Willen Gottes tat und daß der Zeitpunkt seiner Offenbarung ganz allein in der Hand des Vaters lag. Meine Stunde ist noch nicht gekommen oder ähnliche Wendungen finden sich fünfmal bei Johannes ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ). Später wird dreimal auf die Tatsache hingewiesen, daß seine Stunde nun gekommen ist ( Joh 12,23;13,1;17,1 ). Marias Anweisung gegenüber den Dienern (was er euch sagt, das tut) zeigt jedoch, daß sie ihrem Sohn gehorsam war. Obwohl sie ihn nicht verstand, vertraute sie ihm.

 

 

Joh 2,6-8

 

Das Wasser in den sechs steinernen Wasserkrügen (die je zwei oder drei Maße - das sind 80 bzw. 120 Liter - faßten) wurde für jüdische Reinigungsrituale vor und nach den Mahlzeiten benutzt (vgl. Mt 15,1-2 ). Hier wird der Gegensatz zwischen der neuen und der alten Ordnung ganz deutlich (vgl. Joh 4,13-14;7,38-39 ).

Diese Wasserkrüge befanden sich wahrscheinlich etwas außerhalb des Festsaals. Der Speisemeister, der die Oberaufsicht über das Fest hatte, wußte also nicht, daß er aus den Reinigungskrügen trank - was für einen Juden auch unvorstellbar gewesen wäre. Die Knechte schenkten das Wasser, das Wein geworden war, aus.

 

 

Joh 2,9-10

 

Als aber der Speisemeister den Wein kostete , stellte er fest, daß er besser war als der, den sie zuvor getrunken hatten. Im Gegensatz zu dem Brauch, den besseren Wein zuerst auszuschenken und später auf minderwertigeren überzugehen, versicherte er, daß der Wein, der zuletzt ausgeschenkt wurde, der beste sei. Dieses Wunder will deutlich machen, daß das Christentum gegenüber dem Judentum ein Fortschritt ist. Gott hat das beste Geschenk - seinen Sohn - bis jetzt zurückbehalten .

 

 

Joh 2,11

 

Johannes erklärt dieses Wunder als eine Manifestation der Herrlichkeit Christi. Im Gegensatz zu Mose, der als Zeichen für das göttliche Gericht Wasser in Blut verwandelte ( 2Mo 7,14-24 ), bringt Jesus Freude. Sein erstes Wunder war ein Vorgeschmack der Freude, die er den Menschen durch den Heiligen Geist bringen will. Es deutet auf Jesus als das fleischgewordene Wort, den mächtigen Schöpfer. Jedes Jahr verwandelt er bei der Ernte und den späteren Gärungsprozessen sozusagen Wasser in Wein - dasselbe Wunder wie hier, nur daß es hier in kürzerer Zeit stattfand. Die 120 Liter guten Weines waren sein Geschenk für das junge Paar. Sein erstes Wunder - eine Verwandlung - verweist auf sein verwandelndes Wirken unter den Menschen (vgl. 2Kor 5,17 ). Die Jünger glaubten an ihn . Doch ihr anfänglicher Glaube sollte im Laufe der Offenbarung Jesu, des Logos , auf die Probe gestellt und weiterentwickelt werden. Zu diesem Zeitpunkt verstanden sie seinen Tod und seine Auferstehung noch nicht ( Joh 20,8-9 ), doch sie kannten nun seine Macht.

 

 

4. Jesu Besuch in Kapernaum

( 2,12 )

 

Joh 2,12

 

Jesu Reise nach Kapernaum, das am Nordwestufer des Sees Genezareth lag, und sein kurzer Aufenthalt dort waren nur ein Zwischenspiel in seinem Leben. Obwohl Kapernaum nordöstlich von Kana lag, ging er dorthin hinab, denn das Land fällt zum Meer hin ab. Kapernaum wurde Jesu Wahlheimat (vgl. Mt 4,13; Mk 1,21;2,1 ). Von nun an schien er sich seiner Familie ( Mk 3,21.31-35; Joh 7,3-5 ) und seiner Heimatstadt Nazareth zu entfremden ( Mk 6,1-6; Lk 4,14-30 ).

 

 

5. Jesu erstes Wirken in Jerusalem

( 2,13 - 3,21 )

 

a. Die Reinigung des Tempels

( 2,13 - 25 )

 

Nach dem Bericht des Evangelisten Johannes fand die Reinigung des Tempels zu Beginn von Jesu Wirken statt, nach den Erzählungen der Synoptiker hingegen am Ende seines öffentlichen Auftretens ( Mt 21,12-17; Mk 11,15-18; Lk 19,45-48 ). Wahrscheinlich gab es zwei Tempelreinigungen, denn die beiden Berichte sind unterschiedlich. Johannes kannte zweifellos die synoptischen Evangelien und schrieb seine eigene Darstellung als Ergänzung zu ihren Berichten. Die erste Reinigung überrumpelte die Menschen völlig; die zweite, etwa drei Jahre später, war einer der unmittelbaren Gründe für Jesu Tod (vgl. Mk 11,15-18 ).

 

 

Joh 2,13-14

 

Wie es bei den Juden Brauch war ( 2Mo 12,14-20.43-49; 5Mo 16,1-8 ), zog Jesus hinauf nach Jerusalem, um das Passafest zu feiern (vgl. zwei andere Passafeste, eines in Joh 6,4 und eines in Joh 11,55;12,1;13,1 ). Dieses jährliche Fest sollte die Juden an die Gnade Gottes erinnern, der ihr Volk aus der Knechtschaft in Ägypten befreit hatte. Die Passazeit eignete sich damit in besonderer Weise, den Menschen das zu verkündigen, was Jesus ihnen zu sagen hatte.

Mit dem Tempel ist der große äußere Hof, der sogenannte "Vorhof der Heiden", der den inneren Tempelbezirk umgab, gemeint. (Vgl. die Skizze des Tempelbezirks.) Wahrscheinlich aus Gründen der Bequemlichkeit für die Pilger, die nach Jerusalem kamen, hatten die Pharisäer in diesem Bezirk, der eigentlich heilig war, das Kaufen und Verkaufen von Opfertieren gestattet. Daraus hatte sich allmählich ein einträglicher Handel entwickelt, so daß der Pilgerverkehr zu einer der Haupteinnahmequellen der Stadt geworden war. Eine weitere Annehmlichkeit für die Pilger waren die Geldwechsler. Die Tempelsteuern und -gebühren mußten in tyrischer Währung entrichtet werden, und für das Wechseln wurde eine hohe Gebühr erhoben. Diese Mißstände führten letzlich zu einer Korrumpierung der heiligen Handlungen.

 

 

Joh 2,15

 

Maleachi hatte einst prophezeit, daß eines Tages einer in den Tempel kommen und die Religion des Volkes "rein" machen würde ( Mal 3,1-3 ). Voller Entrüstung stieß Jesus die Tische um und trieb die Schafe und Rinder mitsamt ihren Verkäufern aus dem Tempelbezirk hinaus.

 

 

Joh 2,16

 

Jesus verurteilte nur die Entweihung seines Vaters Haus zum Kaufhaus , er wandte sich nicht gegen das Opfersystem selbst, auch wenn es stark an Sinn eingebüßt hatte. Bei der zweiten Reinigung des Tempels am Ende seines Wirkens dagegen griff er die religiöse Praxis wesentlich schärfer an und bezeichnete den Tempelbereich als "Räuberhöhle" ( Lk 19,46; vgl. Jer 7,11 ).

 

 

Jesus sprach häufig von Gott als von seinem "Vater". Nur durch ihn kann man den Vater kennenlernen: "Niemand kennt den Sohn als nur der Vater und wem es der Sohn offenbaren will" ( Mt 11,27 ).

 

 

Joh 2,17

 

Sein Tun erinnerte die Jünger an Ps 69,10 ,wo davon die Rede ist, daß der Gerechte den Preis für seinen Eintritt in Gottes Tempel zahlen muß. Jesu Eifer für Gott führte schließlich zu seinem Tod.

 

 

Joh 2,18-19

 

Die Juden - womit entweder die jüdischen Machthaber oder die Kaufleute gemeint waren - verlangten ein Zeichen dafür, daß Jesus das Recht hatte, die bestehende Ordnung umzuwerfen ("Denn die Juden fordern Zeichen"; 1Kor 1,22 ). Statt dessen erwiderte ihnen Jesus jedoch nur mit einer verhüllten Anspielung. Wie bei den Gleichnissen in den synoptischen Evangelien diente das rätselhafte Wort auch hier unter anderem dazu, die Hörer, die sich ihm widersetzten, zu verwirren. Jesus wollte, daß sie über sein Wort nachdachten und auf diesem Wege seine Bedeutung erkannten. Brecht diesen Tempel ab klingt wie ein Gebot, ist jedoch entweder ironisch oder vielleicht auch hypothetisch gemeint. Später, bei seiner Gerichtsverhandlung, wurde Jesus angeklagt, behauptet zu haben, er könne den Tempel zerstören und in drei Tagen wieder aufrichten ( Mt 26,60-61 ). Etwas Ähnliches wurde auch Stephanus zur Last gelegt ( Apg 6,14 ).

 

 

Joh 2,20-21

 

Herodes der Große hatte beschlossen, den von Serubbabel errichteten Tempel, dessen Herrlichkeit nicht an den Tempel Salomos heranreichte ( Hag 2,3 ), neu zu erbauen. Er begann damit im Jahr 20 oder 19 v. Chr., also bringen uns die sechsundvierzig Jahre , von denen hier die Rede ist, auf das Jahr 27 oder 28 n. Chr. Der Bau war jedoch erst 63 n. Chr. vollendet. Die Juden hatten also entweder vom Allerheiligsten oder von irgendeinem anderen Teil des Tempels gesprochen. Wie, so fragten sie, wollte Jesus ihn in drei Tagen neu erbauen? Das war unmöglich! Die Worte und du sind im Griechischen stark betont und unterstreichen die Verachtung der Pharisäer. Doch Jesus meinte mit dem Tempel hier natürlich seinen Leib , der nach drei Tagen auferweckt werden sollte.

 

 

Joh 2,22

 

Selbst die Jünger verstanden Jesu dunkle Worte zuerst nicht. Erst im Lichte der Auferstehung begriffen sie, wovon er gesprochen hatte. Da sie zuvor nicht hatten einsehen können, warum er sterben mußte, und auch die alttestamentlichen Aussagen über das Leiden und Sterben des Messias nicht verstanden hatten ( Jes 52,12-53,12; Lk 24,25-27 ), dachten sie erst nach seinem Tod wieder an diese Worte.

 

 

Joh 2,23

 

Als er aber am Passafest in Jerusalem war, tat Jesus noch weitere Zeichen, auf die Johannes hier nicht näher eingeht. Diese Zeichen bestanden wahrscheinlich hauptsächlich in Heilungen, die den Glauben vieler Menschen wecken sollten. Sie glaubten denn auch an seinen Namen , d. h., sie vertrauten auf ihn. Der Glaube, der hier zum Ausdruck kam, war jedoch noch nicht unbedingt der rettende Glaube, wie die nächsten Verse implizieren. Die Leute glaubten zwar, daß Jesus ein großer Heiler war, nicht aber, daß er sie auch von ihrer Schuld erretten konnte.

 

 

Joh 2,24-25

 

Jesus wußte, daß ein solches kurzfristiges Aufgerütteltsein oder auch ein Glaube, der auf Zeichen basierte, nicht ausreichte. Viele von denen, die ihm zu Anfang nachfolgten, verließen ihn denn auch wieder, als er keine Anstalten machte, die Rolle des politischen Königs zu übernehmen (vgl. Joh 6,15.60.66 ). Bis zu Jesu Tod und Auferstehung und dem Kommen des Heiligen Geistes war die Grundlage für den Glauben noch nicht ganz gelegt. Jesus in seinem übernatürlichen Wissen bedurfte nicht, daß ihm jemand Zeugnis gab vom Menschen . Wie Gott sah er in die Herzen ( 1Sam 16,7; Ps 139; Apg 1,24 ). Joh 3 und Joh 4 sind Beispiele für diese Fähigkeit. Jesus wußte, wonach Nikodemus strebte, und er kannte das Vorleben der Samariterin ( Joh 4,29 ). Die Verbindung zwischen dem dritten und dem zweiten Kapitel liegt auf der Hand (vgl. was im Menschen war , Joh 2,25 ,und "es war aber ein Mensch", Joh 3,1 ).

 

 

b. Jesu Gespräch mit Nikodemus

( 3,1 - 21 )

 

Joh 3,1

 

Nikodemus repräsentierte die Elite des Volkes. Er war Lehrer (V. 10 ), Pharisäer und Angehöriger des Hohen Rats, der Oberen der Juden . Der Hohe Rat setzte sich aus 70 Personen zusammen, die für religiöse Entscheidungen und, zur Zeit der römischen Besetzung, auch für Zivilangelegenheiten zuständig waren. Zwei Mitglieder dieses Rats sind im Neuen Testament positiv dargestellt: Josef von Arimathäa ( Joh 19,38 ) und Rabbi Gamaliel ( Apg 5,34-39;22,3 ). Auch Jesus wurde nach seiner Gefangennahme dem Rat vorgeführt ( Lk 22,66 ). Nikodemus tadelte die Pharisäer später, weil sie sich ein Urteil über Jesus gebildet hatten, ohne ihn zuvor anzuhören ( Joh 7,50-51 ), und er half Josef von Arimathäa, ihn zu begraben ( Joh 19,39-40 ).

 

 

Joh 3,2

 

Warum kam Nikodemus aber bei Nacht zu Jesus? Aus Angst? Weil es die übliche Zeit für Besuche war? Weil er ihn ungestört von der Menge sprechen wollte? Johannes geht nicht näher darauf ein, doch im allgemeinen hat die Nacht, die Zeit der Dunkelheit, im vierten Evangelium etwas Unheilvolles an sich (vgl. Joh 9,4;11,10;13,30 ). Nikodemus begann seine Rede mit den Worten: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen . Das "wir" bezieht sich wahrscheinlich auf die vornehmen Mitglieder des Hohen Rates. Die Titel "Rabbi" und "Meister" sind zwar ein Ausdruck der Höflichkeit und waren als Schmeichelei für Jesus gedacht, doch sie beweisen auch, daß Nikodemus nicht verstanden hatte, wer Jesus war. Die nähere Bestimmung "von Gott" ist im Griechischen hervorgehoben. Die Zeichen, die Jesus getan hatte, hatten ihn als Mann Gottes ausgewiesen ( Gott war mit ihm ), und Nikodemus wollte nun quasi von Rabbi zu Rabbi zu ihm sprechen.

 

 

Joh 3,3

 

Doch Jesus stand nicht auf derselben Ebene wie Nikodemus. Er war "von oben" ( anOthen , V. 31 ), daher mußte auch Nikodemus "von neuem" (V. 3 , anOthen ) geboren werden. Von neuem oder "von oben" ( anOthen heißt beides; z. B. "von oben" in Joh 19,11 und "von neuem" in Gal 4,9 ) geboren zu werden bedeutet eine geistliche Verwandlung, die den Menschen aus dem Reich der Finsternis in das Reich Gottes hineinholt (vgl. Kol 1,13 ). Das Gottesreich ist der Bereich, in dem Gott herrscht und die Menschen segnet, das Reich, das im Moment noch unsichtbar ist, aber auf Erden errichtet werden wird ( Mt 6,10 ).

 

 

Joh 3,4

 

Nikodemus war zwar sicher, daß Jesus hier nicht von irgend etwas Absurdem (wie etwa von einer zweiten physischen Geburt) sprach, doch das wirkliche Wesen einer geistlichen Wiedergeburt verstand er nicht.

 

 

Joh 3,5

 

Jesu Worte über das Geboren werden aus Wasser und Geist sind unterschiedlich ausgelegt worden: (1) Das "Wasser" bezieht sich auf die natürliche Geburt, und der "Geist" auf die Geburt "von oben". (2) Das "Wasser" bezieht sich auf das Wort Gottes ( Eph 5,26 ). (3) Das "Wasser" bezieht sich auf die Taufe als einen wesentlichen Teil der Wiedergeburt. (Diese These widerspricht jedoch anderen Bibelversen, die deutlich machen, daß die Rettung nur durch den Glauben geschieht; z. B. Joh 3,16.36; Eph 2,8-9; Tit 3,5 .) (4) Das "Wasser" ist ein Symbol für den Heiligen Geist ( Joh 7,37-39 ). (5) Das "Wasser" bezieht sich auf die Predigt der Buße durch Johannes den Täufer, und mit dem Geist ist das Kommen Christi durch den Heiligen Geist zu einem einzelnen Menschen gemeint.

Die fünfte These klingt historisch am wahrscheinlichsten und theologisch am überzeugendsten. Johannes der Täufer hatte das Volk durch seine Predigt, in der er so großen Wert auf die Buße legte, aufgewühlt ( Mt 3,1-6 ). Die Erwähnung des "Wassers" sollte Nikodemus offensichtlich an diese Botschaft erinnern. Jesus wies Nikodemus also darauf hin, daß er, um in das Reich Gottes zu kommen , zu ihm umkehren (Buße tun) müsse, damit er durch den Heiligen Geist wiedergeboren würde.

 

Johannes

 

Joh 3,6-7

 

Es gibt zwei Reiche: die Welt der gefallenen Menschen (das Fleisch) und das Reich Gottes (den Geist ). Ein gefallener Mensch kann nicht von sich aus wiedergeboren werden; er braucht das göttliche Eingreifen. Nur der Heilige Geist Gottes kann den menschlichen Geist erneuern.

Die Menschen sollen sich nicht an der Bedeutung der Worte Jesu stoßen oder sie ablehnen. Sie müssen von neuem geboren werden . Das ist eine absolute Notwendigkeit, die für alle gilt.

 

 

Joh 3,8

 

Der nächste Vers enthält ein Wortspiel, das im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann. Das griechische Wort pneuma bedeutet sowohl "Wind" als auch "Geist". Das Werk d es Geistes ( pneuma ) ist unsichtbar und geheimnisvoll wie das Wehen des Windes ( pneuma ). Auf beides haben die Menschen keinerlei Einfluß.

 

 

Joh 3,9-10

 

Nikodemus fragte, wie diese spirituelle Verwandlung vor sich gehe.Jesus antwortete ihm, daß er als Lehrer Israels (im Griechischen steht hier der Artikel) es doch eigentlich wissen müsse. Die alttestamentlichen Propheten sprachen von dem neuen Zeitalter des Geistes ( Jes 32,15; Hes 36,25-27; Joe 3,1-2 ). Die großen Lehrer des Volkes sollten wissen, wie Gott in seiner Gnade jemandem ein neues Herz geben kann ( 1Sam 10,6; Jer 31,33 ).

 

Joh 3,11

 

Doch Nikodemus wußte nichts von dem, worüber Jesus hier sprach. Er verkörperte in seiner Person den Unglauben und das Unwissen des ganzen Volkes. Wie einst die Propheten sprach auch Jesus zum Volk über göttliche Dinge, doch die Juden lehnten sein Zeugnis ab. Das Wort "Zeugnis" ( martyrian ) kommt im Johannesevangelium sehr oft vor (vgl. die Tabelle bei Joh 5,33-34 ).

 

 

Joh 3,12

 

Da Nikodemus schon die grundlegende Lehre der Wiedergeburt, von der Jesus in irdischen Analogien sprach, nicht verstand, wie sollte er dann die abstrakteren himmlischen Wahrheiten wie die Trinität, die Inkarnation und Jesu kommende Verherrlichung verstehen und glauben?

 

Joh 3,13

 

Und niemand ist gen Himmel aufgefahren und dann zur Erde zurückgekommen, um klare Auskunft über diese göttlichen Dinge zu geben. Die einzige Ausnahme ist Jesus, der Menschensohn (vgl. Joh 1,50-51; Dan 7,13; Mt 26,64 ). Er ist die "Leiter" zwischen Himmel und Erde und hat Zugang zu beiden Reichen (vgl. den Kommentar zu Joh 1,50-51 ). In der Inkarnation "stieg er herab", bei der Himmelfahrt "ging er hinauf". Er hielt sich bereits vor der Inkarnation im Himmel auf, daher kennt er die göttlichen Geheimnisse.

 

 

Joh 3,14-15

 

Der Gedanke des Auffahrens in den Himmel (V. 13 ) führt folgerichtig zum Gedanken der Erhöhung Jesu (vgl. Joh 8,28;12,32 ). Mose hielt, als Heilmittel für eine Strafe, die die Juden für ihren Ungehorsam erlitten, eine bronzene Schlange an einem Stab empor (vgl. 4Mo 21,4-9 ). In gleicher Weise sollte Jesus am Kreuz erhöht werden für die Sünde der Menschheit, so daß der Blick des Glaubens auf dieses Kreuz den zum Tode Verurteilten das ewige Leben geben konnte.

 

 

Joh 3,16

 

Ganz gleich, ob nun der Evangelist oder Jesus diesen Vers sprach, er ist Gottes Wort und gleichzeitig eine wichtige Zusammenfassung des Evangeliums. Gott liebt die Menschen. Seine Liebe gilt nicht nur wenigen oder einer bestimmten Gruppe, sondern der ganzen Welt. Für sie gab er sein größtes Gut - seinen eingeborenen ( monogenE ; vgl. auch Joh 1,14.18;3,18 und 1Joh 4,9 ) Sohn (vgl. Röm 8,3.32 ). Die Menschen können dieses Geschenk nur annehmen, nicht verdienen ( Joh 1,12-13 ). Sie werden durch den Glauben, durch das Vertrauen in Christus, gerettet. Verloren ( apolEtai ) bedeutet nicht Vernichtung, sondern Leben in der Hölle, weit entfernt von Gott, der Leben, Wahrheit und Freude ist. Das ewige Leben ist ein qualitativ neues, das der Gläubige bereits jetzt besitzt und das ihm für immer sicher ist (vgl. Joh 10,28;17,3 ).

 

 

Joh 3,17

 

Das Licht wirft zwar Schatten, doch seine Bestimmung ist es zu erhellen. Zwar wird, wer nicht glaubt, verdammt, doch eigentlich sandte Gott seinen Sohn , um die Menschen zu retten , und nicht, sie zu richten . Gott hat nicht etwa Freude am Tod der Bösen ( Hes 18,23.32 ); er will, daß alle Menschen gerettet werden ( 1Tim 2,4; 2Pet 3,9 ).

 

 

Joh 3,18

 

Der Weg zur Rettung ist der Glaube an das Werk, das Jesus am Kreuz vollendet hat. Die Menschen aber, die das Licht des Logos ablehnen, sind in der Finsternis ( Joh 1,5;8,12 ) und daher schon jetzt unter dem Gericht. Sie sind bereits gerichtet, so wie die sündigen, sterbenden Israeliten, die das göttliche Heilmittel, den Stab Moses, bewußt zurückwiesen ( 4Mo 21,4-9 ). Wer jedoch an Christus glaubt, ist unter keiner Verdammnis ( Röm 8,1 ); er "kommt nicht in das Gericht" ( Joh 5,24 ).

 

 

Joh 3,19

 

Die Menschen lieben die Finsternis nicht um ihrer selbst willen, sondern um dessentwillen, was sie verbirgt. Sie wollen ungestört mit ihren bösen Werken (ponera; vgl. V. 20 , wo ein anderes Wort für "böse" steht) fortfahren. Ein Gläubiger ist zwar auch ein Sünder (wenn auch ein erlöster), doch er bekennt seine Sünde und antwortet Gott (vgl. 1Joh 1,6-7 ). Letztlich ist die Liebe der Menschen zur Finsternis statt zu Gott, dem Licht ( Joh 1,5.10-11; 1Joh 1,5 ), ein Ausdruck ihrer Götzenliebe. Sie "verehren das Geschöpf und dienen ihm statt dem Schöpfer" ( Röm 1,25 ).

 

 

Joh 3,20

 

Ebenso wie das natürliche Licht des Tages sichtbar macht, was normalerweise verborgen bleibt, so macht Christus, das Licht , die Werke der Menschen als böse offenbar. (Das griechische Wort für "böse" an dieser Stelle lautet phaula ["nichtsnutzig"]; vgl. auch Joh 5,29 .) Die Ungläubigen kennen nicht den letzten Sinn des Lebens, sie haben keine echte Motivation, kein richtiges Ziel - ihr Schicksal ist die Verdammnis. Wer Böses tut, haßt das Licht (und liebt die Finsternis; Joh 3,19 ). Er fürchtet, daß im Licht die Wertlosigkeit seiner Werke offenbar wird und er sich von ihnen abwenden muß.

 

 

Joh 3,21

 

Jesus wirkt wie ein Magnet. Die Menschen, die zu ihm gehören, werden von ihm angezogen und hören seine Offenbarung gern. Das Licht tadelt ihre Sünde, und sie antworten mit Buße und Glauben. Sie leben durch die Wahrheit (vgl. 2Joh 1,1-2.4; 3Joh 1,1.4 ). Weil sie wiedergeboren sind, leben sie ein anderes Leben als ihr früheres, das sie in Finsternis verbrachten. Ihr neues Leben gründet sich auf den Glauben an Jesus und sein Wort. Der Geist, der von nun an in ihrem Leben wirkt, gibt ihnen neue Kraft, Ziele und Interessen ( 2Kor 5,17; Eph 2,10 ).

 

 

6. Das letzte Zeugnis Johannes' des Täufers

( 3,22 - 30 )

 

Joh 3,22-24

 

Für kurze Zeit überlappten sich das Amt Johannes' des Täufers und Jesu Wirken. Das Land Judäa muß erfüllt gewesen sein von der Lehre dieser beiden großen Prediger der Buße und des Gottesreiches. Sowohl Johannes als auch Jesus hatten Jünger, beiden folgten große Menschenmassen, und beide tauften . Mit der Aussage, daß Jesus "taufte" (V. 22.26 ), ist wahrscheinlich gemeint, daß er die Taufen, die seine Jünger vornahmen, überwachte ( Joh 4,2 ). (Die Lage von Änon, nahe bei Salim , ist uns heute nicht mehr bekannt, doch möglicherweise lag es etwa in der Mitte zwischen dem See Genezareth und dem Toten Meer [etwa Joh 4,5 Kilometer östlich von Sichem].) Da bei beiden Gruppierungen, den Anhängern des Johannes und Jesus, getauft wurde, gab es gleichzeitig zwei bedeutende "Reformbewegungen" im Land. Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen ( Joh 3,24 ). Diese Aussage macht deutlich, daß das vierte Evangelium als Ergänzung der Synoptiker zu sehen ist, denn hier wird vorausgesetzt, daß die Leser aus den synoptischen Evangelien ( Mt 14,1-12; Mk 6,14-29; Lk 3,19-20 ) oder aus anderen kirchlichen Überlieferungen von der Gefangennahme des Täufers wußten.

 

 

Joh 3,25

 

Die eifrigen Jünger des Johannes befanden sich eines Tages in Beweisnot gegenüber einem Juden, der fragte, warum er sich dem Täufer anschließen sollte. Er vertrat eine andere Auffassung von der Reinigung . Es gab bereits die Reinigunsrituale der Essener und die Waschungen der Pharisäer, warum sollten sie jetzt noch eine dritte Reinigung, die Taufe des Johannes, befolgen? Außerdem war die Gruppe, die Jesus folgte, größer (V. 26 ).

 

 

Joh 3,26

 

Höchstwahrscheinlich waren die Johannesjünger aufgebracht und eifersüchtig (ihnen lag nichts an Jesus, sie waren Johannes treu ergeben). Sie beklagten sich, daß Jesus, von dem Johannes doch Zeugnis gegeben hatte, nun die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich zog, und sehnten sich nach den alten Zeiten, als jedermann kam, um Johannes den Täufer zu hören ( Mk 1,5 ).

 

 

Joh 3,27

 

Johannes' Antwort bewies seine Größe. Er sagte: Ein Mensch kann nichts nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist . Gott ist völlig frei darin, wem er seinen Segen gibt. Wenn Jesus Erfolg hatte, so mußte das der Wille Gottes sein. Dieses Prinzip von Gottes freier Souveränität ist ein Hauptanliegen nicht nur des Johannesevangeliums (vgl. Joh 6,65;19,11 ), sondern des ganzen Neuen Testaments (z. B. 1Kor 4,7 ).

 

 

Joh 3,28

 

Darüber hinaus erinnerte Johannes seine Jünger nochmals an das, was er predigte: daß er nicht der verheißene Messias sei, sondern nur vor ihm her gesandt , um ihm den Weg zu bereiten ( Joh 1,8.15.20.23 ).

 

 

Joh 3,29-30

 

In Jesu wachsendem Einfluß fand Johannes seine Freude erfüllt. Er beschrieb sie seinen Jüngern am Beispiel der im Nahen Osten üblichen Hochzeitsfeier. Der Freund des Bräutigams ist diesem nur behilflich, er ist nicht die Hauptperson des Festes. Seine Aufgabe ist es lediglich, die Zeremonie für den Bräutigam vorzubereiten. Wenn er hört, daß der Bräutigam kommt und die Braut holt, freut er sich. Die Aufgabe Johannes' des Täufers war es, die Ankunft Christi, des "Bräutigams", vorzubereiten. Johannes taufte nur mit Wasser, nicht mit dem Geist. Daher muß Jesus wachsen , Johannes aber muß abnehmen . Das war nicht nur ratsam oder geschah rein zufällig, sondern entsprach der göttlichen Ordnung. Johannes akzeptierte bereitwillig und mit Freuden Jesu wachsende Popularität, die dem Plan Gottes entsprach.

 

 

7. Das Zeugnis des Evangelisten

( 3,31 - 36 )

 

Es ist plausibler, den folgenden Abschnitt (V. 31 - 36 ) nicht als Fortsetzung der Rede des Täufers, sondern als das Zeugnis des Evangelisten zu sehen. Die theologische Exposition über den Vater und den Sohn entstammt wohl eher dem Gedankengut einer bereits entwickelten christlichen Theologie als dem Zeugnis Johannes' des Täufers.

Joh 3,31

 

Im folgenden entwickelt der Evangelist Johannes das Thema der Überlegenheit Jesu, auf die Johannes der Täufer seine Jünger hingewiesen hatte (V. 28 - 30 ). Da Jesus vom Himmel kam, gelten seine Worte mehr als die eines jeden religiösen Führers. Ein menschlicher Lehrer lehrt innerhalb seiner irdischen Grenzen ( er ist von der Erde und redet von der Erde ). Doch der Logos , der vom Himmel kommt, ist über allen ; er überragt alle ( Kol 1,18 ).

 

 

Joh 3,32

 

Jesu Verkündigung zeugte von seiner präexistenten Schau des Vaters und seiner Gemeinschaft mit ihm im Himmel (vgl. Joh 1,1.14 ). Doch trotz seines klaren, verläßlichen Zeugnisses hat die Menschheit seine Botschaft verworfen (vgl. Joh 1,11 ).

 

Joh 3,33

 

Dennoch wurde die Botschaft nicht so universal verworfen, wie Vers 32 anzudeuten scheint. Wer sie annimmt, besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist (vgl. V. 21 ). Jesu Zeugnis zu verwerfen ist gleichbedeutend damit, Gott einen Lügner zu nennen ( 1Joh 5,10 ).

 

 

Joh 3,34

 

Da Jesus Gottes Worte redete , sprach er die vollkommene Wahrheit. Er war ermächtigt vom Heiligen Geist und hatte den Geist ohne Maß . Die alttestamentlichen Propheten besaßen im Vergleich dazu den Geist stets nur für bestimmte Aufgaben und für begrenzte Zeit.

Der Apostel Johannes bezeichnet Jesus als den, den Gott gesandt hat , eine Tatsache, auf die er in seinem Evangelium insgesamt neunundreißigmal hinweist (V. 3,17.34; 4,34; 5,23-24.30.36-38; 6,29.38-39.44.57; 7,16.28-29; 8,16.18.26.29.42; 9,4; 10,36; 11,42; 12,44-45.49; 13,16.20; 14,24; 15,21;16,5; 17,3.18.21.23.25; 20,21 ). Sie bestätigt Jesu Gottheit und göttliche Herkunft sowie Gottes Souveränität und Liebe, die den Sohn Fleisch werden ließ (vgl. Gal 4,4; 1Joh 4,9-10.14 ).

 

Joh 3,35

 

Das Verhältnis zwischen dem Sohn und dem Vater ist von liebender Vertrautheit und absolutem Vertrauen gekennzeichnet. Der Sohn besitzt alle Vollmacht, den Plan des Vaters zu erfüllen ( Joh 5,22; Mt 28,18 ).

 

 

Joh 3,36

 

Die Menschen haben nur zwei Möglichkeiten: an den Sohn zu glauben oder ihn zu verwerfen (vgl. V. 16.18 ). Unglaube kann sowohl auf tragische Unwissenheit als auch auf wissentlichen Ungehorsam gegenüber der klaren Erkenntnis zurückgehen. Nur an dieser Stelle ist im vierten Evangelium vom Zorn Gottes die Rede (vgl. jedoch Offb 6,16-17;11,18;14,10;16,19;19,15 ). Der "Zorn", Gottes unvermeidliche gerechte Reaktion auf das Böse, bleibt ( menei ) über dem Ungläubigen. Dieser Zorn hat eine zukünftige Dimension, doch er existiert auch schon jetzt. Unausgesetzte Sünde und dauernder Ungehorsam werden zu ewiger Bestrafung führen ( Mt 25,46 ).

 

 

 

 

8. Jesu Wirken in Samaria

( 4,1 - 42 )

 

a. Jesu Gespräch mit der Samariterin

( 4,1 - 26 )

 

Joh 4,1-3

 

Im Griechischen wie in der deutschen Lutherübersetzung bilden diese Verse einen einzigen langen Satz, der als Einführung in ein zweites, langes Gespräch Jesu dient. Das plötzliche Hervortreten Jesu und die Tatsache, daß er so viele Anhänger gewann, hatte die Aufmerksamkeit der Pharisäer auf ihn gelenkt. Jesus, der sich in Einklang mit Gottes Plan wußte, war klar, wie sein Amt enden würde und daß er bis zu dieser festgesetzten Zeit vorsichtig leben mußte. Daher ging er Konflikten aus dem Weg, bis seine "Stunde" gekommen war ( Joh 7,6.8.30;8,20; vgl. Joh 12,23;13,1;17,1 ). Er verließ also Judäa (vgl. Joh 3,22 ) und ging wieder nach Galiläa .

Dieses zweite Gespräch ist ein weiteres Beispiel für die Tatsache, daß Jesus "wußte, was im Menschen war" ( Joh 2,25 ). Die samaritische Frau, mit der er sich hier unterhielt, steht in schroffem Kontrast zu Nikodemus. Dieser suchte; sie war gleichgültig. Er war ein angesehener Mann; sie war eine leichtfertige Person. Er war Jude, sie eine verachtete Samariterin. Er war ein von moralischen Skrupeln geplagter Mensch; sie führte ein unmoralisches Leben. Er war rechtgläubig; sie war andersgläubig. Er kannte sich in religiösen Dingen aus; sie war unwissend. Doch trotz all dieser Unterschiede zwischen dem "Mann des Glaubens" und dem "Weltkind" hatten es beide nötig, wiedergeboren zu werden. Beiden fehlte etwas, das nur Christus ihnen geben konnte.

 

 

Joh 4,4

 

Er mußte aber durch Samarien reisen . Das war zwar der kürzeste, doch nicht der einzige Weg von Judäa nach Galiläa. Die andere Route verlief durch Peräa, östlich des Jordan. (Vgl. die beiden Wege auf der Karte.) In Jesu Zeit nahmen die Juden, weil sie die Samariter so sehr haßten, gewöhnlich den Weg östlich des Flusses, um Samaria zu umgehen. Jesus aber zog durch Samaria, um auch diese verachteten Menschen mit seiner Botschaft zu erreichen. Als Retter der Welt sucht er die Verachteten und Außenseiter (vgl. Lk 19,10 ).

Als "Samaria" wurde in neutestamentlicher Zeit das Gebiet in der Mitte Palästinas, zwischen Judäa im Süden und Galiläa im Norden, bezeichnet. Die Region bildete keine politische Einheit und stand unter römischer Verwaltung. Die Religion der dortigen Mischbevölkerung hatte sich aus dem Judentum und synkretistischen Kulten entwickelt; ihr Zentrum war der Berg Garizim. Noch heute hat eine kleine Gruppe Samariter in Jerusalem diese Traditionen bewahrt.

 

 

Joh 4,5-6

 

Das Dorf Sychar lag zwischen dem Berg Ebal und dem Garizim, bei Sichem, einem Ort, der meistens mit dem heutigen Akar, manchmal jedoch auch mit Balatah identifiziert wird. Ein Brunnen, den man in neuerer Zeit bei Sychar fand, ist möglicherweise der Brunnen Jakobs . In 1Mo 48,21-22 ist von dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab , die Rede. Jakob hatte es Jahre zuvor gekauft ( 1Mo 33,18-20 ). Jesus, müde von der Reise, setzte sich am Brunnen nieder. Es war um die sechste Stunde , nach römischer Zeitrechnung also etwa sechs Uhr abends. (Vgl. den Kommentar zu Joh 1,39;19,14 .)

 

 

Als Mensch litt Jesus Durst, Müdigkeit, Schmerz und Hunger, doch selbstverständlich besaß er auch alle Attribute der Göttlichkeit (Allwissenheit, Allmacht usw.).

 

 

Joh 4,7-8

 

Während seine Jünger in der Stadt waren, um Essen zu kaufen , tat Jesus etwas Überraschendes: er sprach mit einer Frau aus Samarien , die er noch nie gesehen hatte. Sie war schockiert, daß ein Jude sie bat, ihr zu trinken zu geben. Die damaligen Sitten verboten den öffentlichen Kontakt zwischen Frauen und Männern, zwischen Juden und Samaritern und besonders zwischen Fremden. Ein jüdischer Rabbi wäre eher durstig wieder gegangen, als daß er diese Bräuche verletzt hätte.

 

 

Joh 4,9

 

Die Frau war überrascht und neugierig; sie konnte nicht verstehen, wie es Jesus wagen konnte, sie um etwas zu trinken zu bitten, denn die Juden haben keine Gemeinschaft ( synchrOntai ) mit den Samaritern , d. h., sie benützen nichts, was zuvor ein Samariter benützt hat.

 

 

Joh 4,10

 

Nachdem er ihre Neugier geweckt hatte, sagte Jesus der Frau ein rätselhaftes Wort, das sie zum Nachdenken bringen sollte. Man könnteseine Äußerung etwa folgendermaßen umschreiben: "Dein Entsetzen wäre noch sehr viel größer, wenn du wüßtest, wer ich wirklich bin. Dann würdest du - nicht ich - diese Bitte äußern!" Drei Dinge brachten die Frau wohl zum Grübeln: (1) Wer ist er? (2) Was ist die Gabe Gottes ? (3) Was ist lebendiges Wasser ? "Lebendiges Wasser" war der Ausdruck für fließendes Wasser, bezeichnet hier aber den Heiligen Geist (vgl. Jer 2,13; Sach 14,8; Joh 7,38-39 ).

 

 

Joh 4,11-12

 

Die Frau mißverstand den Ausdruck "lebendiges Wasser" jedoch und dachte, Jesus spräche von dem Brunnen. Wie konnte er an das lebendige Wasser kommen, wo doch Jakobs Brunnen so tief war? Man hat festgestellt, daß der Brunnen bei Sychar einer der tiefsten in ganz Palästina ist. Sie fragte ihn: " Bist du mehr als unser Vater Jakob? " Die Formulierung dieser Frage verlangt im Griechischen eine negative Antwort. Die Frau konnte nicht glauben, daß Jesus größer war als Jakob. Daß sie "unser Vater Jakob" sagt, ist angesichts der Tatsache, daß die Juden ihn für den Gründer ihres Volkes halten, sehr interessant. Der Brunnen hatte eine lange Geschichte, doch, fragte sie sich, was kann dieser Fremde vorweisen ?

 

 

Joh 4,13-14

 

Jesus enthüllte ihr seine rätselhafte Äußerung vom Anfang in einem neuen rätselhaften Bild. Dieses Wasser aus dem Brunnen Jakobs löschte nur den physischen Durst, und auch ihn nur eine Zeitlang. Doch das Wasser, das er gab, befriedigte alle Bedürfnisse und Wünsche für immer. Wer es trinkt, wird in sich eine Quelle des Wassers haben (vgl. Joh 7,38-39 ), aus der man das Wasser nicht, wie aus dem Brunnen, erst mühsam heraufholen muß. Es ist der Heilige Geist, der dem, der glaubt, die Rettung bringt und durch ihn auch anderen das Heil anbietet.

 

 

Joh 4,15

 

Weil die Frau jedoch ganz in ihrer Sünde und ihrem materialistischen Denken gefangen war, konnte sie dieses dunkle Wort nicht verstehen. Sie begriff nur, daß sie mit einer solchen Quelle in sich nie mehr dürsten würde und nicht mehr so hart arbeiten müßte.

 

 

Joh 4,16-18

 

Da sie die Wahrheit, von der er gesprochen hatte, nicht begreifen konnte ( 1Kor 2,14 ), wandte Jesus sich dem Grundproblem der Frau zu. (Anscheinend gab sie ihm nichts zu trinken, und auch er selbst vergaß sein körperliches Bedürfnis in dem Versuch, ihr in geistlicher Hinsicht zu helfen.) Er schlug ihr vor, ihren Mann zu rufen und mit ihm zusammen wieder herzukommen . Damit bewies er ihr, daß er alles über sie wußte (vgl. Joh 2,24-25 ). Dieser Fremde kannte alle ihre Männergeschichten und wußte auch, daß sie in Sünde lebte. Auf diese Weise enthüllte Jesus ihr in ein paar Worten ihr ganzes sündiges Leben und gleichzeitig ihr Bedürfnis nach Rettung.

 

 

Joh 4,19-20

 

Wie interessant war nun ihre Reaktion darauf! Jesus war kein reisender jüdischer Rabbi, der zufällig vorbeikam. Da er übernatürliches Wissen besaß, mußte er ein Prophet Gottes sein. Doch statt ihre Sünden zu bekennen und zu bereuen, lenkte die Frau ihn auf ein intellektuelles Problem. Für die Samariter war der Ort der Anbetung der nahegelegene Berg Garizim. Die Juden dagegen vertraten die Ansicht, daß diese Ehre nur dem Tempel in Jerusalem gebühre. Wer hatte recht in diesem Streit?

Johannes

 

Joh 4,21

 

Es kommt die Zeit (vgl. V. 23 ) bezieht sich auf den bevorstehenden Tod Jesu, der eine neue Phase in Gottes Plan einleiten sollte. Denn im Kirchenzeitalter, der Zeit des Heiligen Geistes, findet der Gottesdienst nicht mehr in Tempeln, weder auf dem Garizim noch auf dem Zion, statt.

 

 

Joh 4,22

 

Was das bedeutete, machte Jesus im folgenden ganz deutlich: Die samaritische Religion basierte auf Unwissenheit. Ihr wißt nicht, was ihr anbetet . Die Samariter waren nicht das Werkzeug der Rettung der Menschheit. Israel war das von Gott erwählte Volk, dem Großes vorherbestimmt war ( Röm 9,4-5 ). Mit dem Ausspruch: denn das Heil kommt von den Juden , meinte Jesus nicht, daß die Juden auf jeden Fall gerettet oder besonders fromm waren.Aber Jesus, ein Nachkomme Abrahams, hat es gebracht.

 

 

Joh 4,23

 

Mit dem Kommen des Messias kam die Zeit für eine neue Form der Anbetung. Wahre Anbeter sind die, die erkennen, daß Jesus die Wahrheit Gottes ( Joh 3,21;14,6 ) und der einzige Weg zum Vater ( Apg 4,12 ) ist. In der Wahrheit anbeten heißt, Gott durch Jesus anbeten. Im Geist anbeten heißt, in dem neuen Reich, das Gott den Menschen offenbart hat, anzubeten. Der Vater sucht nach wahren Anbetern, weil er will, daß die Menschen in der Wahrheit, nicht in der Lüge, leben. Jeder Mensch sucht etwas, das er verehren kann ( Röm 1,25 ), doch die Sünde macht viele blind und läßt sie ihr Vertrauen nutzlosen Dingen schenken.

 

 

Joh 4,24

 

Gott ist Geist ist eine bessere Übersetzung als "Gott ist ein Geist", wie es in manchen Bibelausgaben steht. Gott ist nicht ein Geist unter vielen. Was hiermit ausgedrückt werden soll, ist die Unsichtbarkeit seines Wesens. Er ist nicht an einen Ort gebunden. Die Anbetung Gottes kann nur durch den (Jesus) geschehen, in dem Gottes unsichtbares Wesen Gestalt annimmt ( Joh 1,18 ), und sie kann nur geschehen kraft des Heiligen Geistes, der dem Gläubigen die neue Wirklichkeit des Gottesreiches offenbart (vgl. Joh 3,3.5;7,38-39 ).

 

 

Joh 4,25

 

Auch die Samariter warteten auf einen messianischen Führer. Da für sie jedoch nur die fünf Bücher Mose bindend waren, mußte er nicht der Gesalbte aus dem Geschlecht König Davids sein. Ausgehend von 5Mo 18,15-18 hofften sie auf eine Mose ähnelnde Persönlichkeit, die all ihre Probleme lösen würde. Jetzt verstand die Samariterin - zumindest teilweise - was Jesus gemeint hatte, denn auch sie wartete sehnsüchtig auf die messianische Zeit, wenn der Messias alles verkündigen würde .

 

Joh 4,26

 

Die Selbstoffenbarung Jesu - Ich bin's (der Messias) - war sehr ungewöhnlich. Er sprach sonst während seines Wirkens in Galiläa und Judäa (vgl. Joh 6,15 ) nicht über seine Aufgabe und zog den Titel "Menschensohn" dem "Messias" vor. Doch in diesem besonderen Fall war die Gefahr eines Aufstands, wie er bei den Juden von seiten der national gesinnten Zeloten drohte, gegenstandslos.

 

 

b. Jesu Anweisungen an seine Jünger

( 4,27 - 38 )

 

Joh 4,27-30

 

Die Frau, aufgeregt durch das, was Jesus zu ihr gesagt hatte, und vielleicht auch etwas eingeschüchtert dadurch, daß nun auch die Jünger zurückkamen, verließ ihn und ging in die Stadt. In der Freude über ihre Entdeckung vergaß sie ihren Krug. Im Moment war es ihr wichtiger, den anderen von ihrem neuen Glauben zu erzählen. Ihre Worte "kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe" sollten die Aufmerksamkeit der Dorfbevölkerung wecken. Vielleicht hatte sie mit einigen von ihnen früher zusammengelebt, und die fragten sich nun: "Weiß der womöglich auch über uns Bescheid?"

Sie fragte die Dorfbewohner, ob sie es für möglich hielten, daß er (...) der Christus sei . Wörtlich lautete ihre Frage: "Das kann nicht der Messias sein, oder?" Sie verlangte also eine negative Antwort. Wahrscheinlich wählte sie diese Formulierung, weil sie wußte, daß die Leute auf die entschiedene Versicherung einer Frau - vor allem einer Frau mit ihrem Ruf - kaum wohlwollend reagieren würden. Wie Jesus zuvor ihre Neugier geweckt hatte, stachelte nun auch sie die Neugier der anderen an, und sie beschlossen, der Sache selbst nachzugehen.

 

 

Joh 4,31-32

 

Als die Jünger dann mit Jesus sprachen, merkten sie, daß etwas geschehen war. Bevor sie ihn verlassen hatten, war er müde und durstig gewesen, doch jetzt hatte er kein Interesse mehr an Speise und Trank. Seine Stimmung hatte sich geändert. Sie boten ihm Essen an, doch er lehrte sie: Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nicht wißt - wieder eine seiner rätselhaften Aussagen.

 

 

Joh 4,33-34

 

Das Unverständnis der Jünger gab Jesus Gelegenheit, ihnen seine Worte zu erklären. Wie gewöhnlich hatten sie nur ans Materielle gedacht. Doch Jesus sprach: Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat . Das bedeutet nicht etwa, daß Jesus keine physische Nahrung brauchte, sondern besagt vielmehr, daß es seine größte Leidenschaft und sein sehnlichster Wunsch war, den Willen Gottes zu tun (vgl. Joh 5,30; Joh 8,29 ). Jesus wußte, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern "von einem jeglichen Wort, das aus dem Mund des Herrn kommt" ( 5Mo 8,3 ). Das Geistige hat Vorrang vor dem Materiellen. Das Werk des Vaters muß getan werden (vgl. Joh 17,4 ) - dieser Gedanke füllte Jesus ganz aus.

 

 

Joh 4,35

 

In der Landwirtschaft ist zwischen dem Aussäen und dem Ernten eine Zeit des Wartens vorgesehen. "Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte" war vielleicht ein Sprichwort, das den Menschen damals vertraut war. Doch in geistlicher Hinsicht gab es kein langes Warten mehr. Jesus war gekommen und damit die Zeit der Entscheidung. Alles, was den Menschen fehlte, waren die Einsicht und die richtige Perspektive. Wie groß ihr Bedürfnis nach geistlicher Neuorientierung war, hätte den Jüngern ein Blick in die Runde gezeigt. Die Samariter, die sich in ihrer weißen Kleidung vom Dorf her näherten (V. 30 ), ähnelten vom optischen Eindruck her vielleicht einem Feld, das reif zur Ernte war.

 

Joh 4,36-38

 

Als diejenigen, die berufen waren zu ernten, besaßen die Jünger das große und lohnende Privileg, die Menschen zum Glauben an Christus zu führen. Andere haben bereits gearbeitet , d. h. gesät. Das bezieht sich möglicherweise auf die alttestamentlichen Propheten oder auch auf Johannes den Täufer, der Jesus den Weg bereitete. Beide Arbeiter - der da sät und der da erntet - werden ihren Lohn erhalten. Wer erntet, (...) sammelt Frucht zum ewigen Leben , d. h., Jesu Jünger waren in einem Dienst für andere tätig, in dem es für diese anderen um Leben und Tod ging ( 2Kor 2,15-16 ).

Die Erntezeit war in der Alten Welt eine Zeit der Freude ( Rt 3,2.7; Jes 9,2 ). Auch zur Zeit des Heils wird große Freude sein (vgl. Lk 15,7.10.32 ). Die Jünger erlebten die noch größere Freude, Augenzeugen der Vollendung dieses Prozesses zu sein ( Joh 4,38 ). Wer sät, ist weiter von dieser Freude entfernt, weil er die unmittelbare Erfüllung nicht vor Augen hat. Johannes der Täufer rief das Volk zur Buße auf, doch er starb noch vor Pfingsten, als die Jünger zu ihrer großen Freude sahen, daß Tausende zum Glauben an Jesus fanden.

 

 

c. Die Reue der Samariterin

( 4,39 - 42 )

 

Joh 4,39

 

Die kleine Erweckungsbewegung unter den Samaritern , die aus dem Erlebnis der Frau erwuchs, ist insofern bemerkenswert, als das Thema der Ablehnung Jesu durch das jüdische Volk ( Joh 1,11 ) bereits angeklungen war und auch schon ein Hinweis auf die umfassende Tragweite der Aufgabe Jesu ( Joh 3,16; vgl. Apg 1,8 ) erfolgte. Das Zeugnis der Frau war, obwohl in gewisser Hinsicht unnötig ("ich aber nehme nicht Zeugnis von einem Menschen"; Joh 5,34 ), doch sehr wirksam. Jesu Kenntnis des menschlichen Herzens und sein Wissen um das Leben des einzelnen waren ein Beweis für seine Gottheit ( Ps 139; Joh 1,47-49;2,24-25 ).

 

 

Joh 4,40-41

 

Das Bekenntnis der Frau führte zu einer persönlichen Begegnung der Samariter mit Jesus. Er blieb zwei Tage bei ihnen. Das Wort "blieb" (von meno , "bleiben, festhalten") ist einer von Johannes' theologischen Lieblingsbegriffen (vgl. Joh 3,36;6,56;15,4-7; usw; und den Kommentar zu Joh 1,39 ). Und noch viel mehr glaubten um seines Wortes willen . Ihr Glaube gründete sich auf seine Botschaft. Noch heute sind das persönliche Zeugnis der Menschen und die Botschaft von Jesus Gottes Werkzeug der Rettung. Joh 4,42 : Ein Glaube, der sich nur auf das Zeugnis anderer stützt, ist zweitrangig. Wahrer Glaube dringt zu eigener Erfahrung und persönlicher Begegnung mit Jesus vor: Wir haben selber gehört. Daß Jesus der Welt Heiland ist, bedeutet nicht, daß jeder gerettet wird (Universalismus), sondern, daß sein Licht für alle Menschen scheint ( Joh 1,9 ). Das Licht ist nicht nur zum Volk Israel gekommen, sondern zu "allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen" ( Offb 7,9 ).

 

 

9. Der Sohn des königlichen Beamten

( 4,43 - 54 )

 

Joh 4,43-45

 

Nach dem zweitägigen Aufenthalt in Samarien setzten Jesus und seine Jünger ihre Reise nach Galiläa fort. Denn er selber, Jesus, bezeugte, daß ein Prophet daheim nichts gilt . Diese sprichwörtliche Äußerung Jesu (vgl. Mt 13,57; Mk 6,4 ), die der Evangelist in diesem Zusammenhang zitiert, ist schwer zu deuten. Ist mit "daheim" nun Judäa oder Galiläa gemeint? Im allgemeinen standen ihm die Galiläer wohlwollender gegenüber als die Judäer, doch auch sie versuchten, ihn zu töten ( Lk 4,14-30 ). Wahrscheinlich wollte Johannes seine Leser mit diesem Wort auf die kommende Verwerfung vorbereiten; vielleicht wollte er sagen, daß Jesus trotz der freundlichen Aufnahme, die ihm in Galiläa zuteil wurde, nicht wirklich akzeptiert wurde (vgl. Joh 2,24-25;4,48 ). Die Menschen waren zwar von seiner Reinigung des Tempels auf dem Fest ( Joh 2,13-22 ) und von seinen Wundern ( Joh 2,23 ) beeindruckt, doch ihr Enthusiasmus für den Heiler (vgl. Mk 5,21.24 b) war nicht immer auch ein Zeichen dafür, daß sie an ihn glaubten ( Mk 6,1-6 ).

 

 

Joh 4,46-47

 

Der Mann im Dienst des Königs wird nicht genauer identifiziert. Er kann Heide, aber auch Jude gewesen sein, ein Hauptmann oder kleinerer Beamter am Hof des Herodes. Wahrscheinlich war er Jude, denn Jesus rechnet ihn zu den Menschen, die Zeichen und Wunder sehen wollen (V. 48 ; vgl. 1Kor 1,22 ). Sein Sohn war krank , und sicherlich hatte er bereits alle Mittel, die ihm zur Verfügung standen, ausprobiert. Seine niedrige soziale Stellung und Geldmangel trieben ihn von Kapernaum nach dem etwa 30 Kilometer entfernten Kana , in der Hoffnung, daß der berühmte Heiler, von dem er gehört hatte, seinen Sohn gesund machen könnte.

 

 

Joh 4,48

 

Jesu scharfe Zurechtweisung ihm gegenüber war notwendig. Ein Glaube, der nur auf wunderbaren Zeichen beruht, ist nicht genug (vgl. 2,23-25 ). Viele ( ihr ) zögerten, an Jesus zu glauben, wenn sie nicht Zeichen ( sEmeia ) und Wunder ( terata ) sahen. Der Glaube an Jesus wird von allen gefordert, doch nicht alle dürfen Wunder sehen (vgl. Mt 16,1-4; 1Kor 1,22 ).

 

 

Joh 4,49

 

Aber der Mann war jetzt nicht in der Verfassung, sich mit Jesus über theologische Dinge zu streiten. Er konnte nur noch um Gnade bitten, denn sein Kind lag im Sterben.

 

 

Joh 4,50

 

Jesu ruhige Antwort auf die verzweifelte Bitte des Vaters führte die Wende herbei. Er sagte: "Geh hin, dein Sohn lebt!" Wenn der Beamte wirklich glaubte, daß Jesus in Kapernaum etwas bewirken konnte, so mußte er ihm auch hier in Kana glauben. Also glaubte (er) Jesus und ging hin .

 

Joh 4,51-53

 

Auf dem Rückweg dachte er wohl über all das nach, was Jesus ihm gesagt hatte. Als ihm seine Knechte mit der Nachricht entgegenkamen, daß sein Kind lebe, fragte er sie, wann es besser mit ihm geworden war . Die Heilung war denn auch kein Zufall, sondern war genau zu der Stunde geschehen, als Jesus ihm gesagt hatte, daß sein Kind leben würde: zur siebenten Stunde , nach römischer Zeitrechnung um sieben Uhr morgens. Von da an wuchs der Glaube des Mannes, und er glaubte mit seinem ganzen Hause . Die Lehre dieses Zwischenfalls ist, daß Jesus auch aus großer Entfernung Menschen vor dem Tod bewahren kann. Sein Wort wirkt, wenn ihm nur geglaubt wird. Joh 4,54 : Die Zeichen in Galiläa (die Verwandlung von Wasser in Wein [ Joh 2,1-11 ] und die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten) bewiesen, daß Jesus der Verheißene war. Beide waren jedoch noch im Verborgenen geschehen. Das Wunder auf der Hochzeit hatten nur die Jünger und ein paar Knechte bemerkt, und auch die Heilung des Kindes drang nicht an die Öffentlichkeit.

 

 

B. Jesu Kontroverse in Jerusalem

( Joh 5 )

 

1. Die Heilung eines Gelähmten

( 5,1 - 15 )

 

Joh 5,1

 

Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem . Dieses "Fest" wird nicht genauer bezeichnet (in manchen Handschriften fehlt der Hinweis darauf sogar ganz), doch es ist möglich, daß es sich um das Passafest handelte. Jesus nahm noch an drei weiteren Passafesten teil ( Joh 2,23;6,4;11,55 ). Wahrscheinlich wollte Johannes hier nur begründen, warum Jesus sich in Jerusalem aufhielt.

 

 

Joh 5,2

 

Nördlich des Tempelbezirks befand sich ein Teich, der heißt hebräisch Betesda (vgl. die Karte zur Lage des Teiches). Ausgrabungen eines Brunnens in der Nähe des Schaftores haben fünf Säulenhallen bzw. überdachte Hallen zutage gefördert, die die Genauigkeit dieser Beschreibung bestätigen. Betesda bestand genaugenommen aus zwei Brunnen, die direkt nebeneinander lagen.

 

 

Joh 5,3 a

 

Die vielen Kranken sind zugleich ein Bild für die große geistliche Not in der Welt.

 

 

Joh 5,3-4 (Joh 5,3b-4)

 

In den frühesten Handschriften fehlen diese Verse. Wahrscheinlich wurden sie später eingefügt als Erklärung, warum das Wasser des Teiches sich "bewegte" (V. 7 ). Die Menschen glaubten, daß in regelmäßigen Abständen ein Engel käme und das Wasser berühre. Nach der Überlieferung sollte der erste, der danach hineinstieg, geheilt werden. In der Bibel ist allerdings nirgendwo sonst von diesem Aberglauben, einer Situation, die wohl jedesmal in einen für die meisten Kranken sehr grausamen Wettkampf ausartete, die Rede. Keine einzige Handschrift vor 400 n. Chr. enthält einen Hinweis darauf.

 

 

 

 

Joh 5,5

 

Am Sabbat (V. 9 ) dieses Festes nun wandte Jesus sich einem Menschen zu, der bereits seit achtunddreißig Jahren krank war. Johannes sagt nicht, an welcher Krankheit er litt oder ob er von Geburt an krank war. Auf jeden Fall war seine Lage aussichtslos.

 

 

Joh 5,6

 

Das Wort vernahm bedeutet nicht, daß Jesus von anderen erfuhr, daß der Mann schon so lange krank war, sondern daß er es einfach wußte (im Griechischen gnous , "wissend"; vgl. Joh 1,48;2,24-25;4,18 ). Seine so seltsam klingende Frage " willst du gesund werden? " diente dazu, die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu lenken und seinen Willen und seine Hoffnung zu wecken. Das größte Problem in geistlicher Hinsicht ist ja immer wieder, daß die Menschen entweder nicht erkennen, daß sie krank sind (vgl. Jes 1,5-6; Lk 5,31 ), oder nicht geheilt werden wollen. Meistens sind sie - zumindest für eine Weile - ganz glücklich in ihrer Sünde.

 

 

Joh 5,7

 

Der Mann antwortete, daß ihm nicht der Wunsch, geheilt zu werden, fehle, sondern die Möglichkeit dazu, denn er hatte keinen Menschen, der ihn in den Teich brachte, wenn das Wasser sich bewegte . Er hatte es versucht, war jedoch immer zu spät gekommen.

 

Joh 5,8

 

Da sprach Jesus zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Zugleich mit dem Aussprechen dieses Befehls wurde der Mann in die Lage versetzt, ihm zu gehorchen. Wie bei dem toten Lazarus ( Joh 11,43 ) bewirkte Jesu Wort gleichzeitig auch seine Erfüllung - ein Bild für die Bekehrung. In dem Menschen, der Gottes Forderung zu glauben gehorcht, wirkt Gott durch sein Wort.

 

 

Joh 5,9-10

 

In der sofortigen Heilung des Mannes trat Gottes übernatürliche Macht zutage, denn er nahm sein Bett und ging hin . Die so lange gelähmten Muskeln waren urplötzlich wieder voll funktionsfähig. Schon Jesaja hatte prophezeit, daß die Lahmen in den Tagen des Messias "springen (werden) wie ein Hirsch" ( Jes 35,1-7 ). Hier in Jerusalem geschah nun das öffentliche Zeichen, daß der Messias gekommen war.

Der Sabbat gab ständig Anlaß zu Streitigkeiten zwischen Jesus und seinen theologischen Gegnern (vgl. Mk 2,23-3,4 ). Das mosaische Gesetz verbot jegliche Arbeit am siebten Tag der Woche. Die späteren jüdischen religiösen Machthaber fügten dem weitere, außerordentlich komplizierte und beschwerliche Gesetze hinzu. Häufig verschleierten diese menschlichen Überlieferungen die ursprüngliche Absicht, die den Geboten Gottes zugrunde lag. "Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht" ( Mk 2,27 ), an diesem Tag soll er sich ausruhen und Zeit zum Gottesdienst und zur Freude haben. Die strengen Traditionen der Juden (nicht etwa das Alte Testament) schrieben vor, daß, wer an einem Sabbat etwas aus einem bestimmten Zweck von einem öffentlichen an einen privaten Ort beförderte, zu steinigen sei. Der Mann, den Jesus soeben geheilt hatte, war also in Gefahr, sein Leben zu verlieren.

 

 

Joh 5,11

 

Der Geheilte wußte das jedoch und kam dem Vorwurf, die Tradition verletzt zu haben, zuvor, indem er sagte, daß er nur einen Befehl ausgeführt habe.

 

 

Joh 5,12-13

 

Natürlich waren die Machthaber an der Identität dieses Menschen, der dem Invaliden quasi befohlen hatte, ihre Regeln zu übertreten, interessiert. Der aber gesund geworden war, wußte nicht, wer es war ; es scheint sich hier also um eine Heilung gehandelt zu haben, bei der der Glaube keine Rolle spielte. Der Gelähmte war von Jesus aus Gnade erwählt worden, weil er in Not war und weil Jesus Gottes Herrlichkeit an ihm erweisen wollte. Unmittelbar darauf war Jesus entwichen, da so viel Volk an dem Ort war (vgl. Joh 8,59;10,39;12,36 ). Daher wußte niemand, wer den Mann geheilt hatte.

 

 

Joh 5,14-15

 

Später fand Jesus den Geheilten im Tempel . Das Verb "finden" setzt voraus, daß er ihn suchte, weil er mit ihm sprechen wollte. Doch der vormals Gelähmte schien Jesus nicht besonders dankbar zu sein; sein Verhalten setzt ihn jedenfalls in ziemlich schlechtes Licht. Jesu Warnung ( sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre ) bedeutet nicht, daß die Lähmung durch eine bestimmte Sünde hervorgerufen wurde (vgl. Joh 9,3 ), wenngleich alle Krankheit und auch der Tod letztlich aus der Sünde kommen, sondern sollte ihn darauf hinweisen, daß sein tragisches Leben - 38 Jahre der Krankheit - nichts waren angesichts der Verdammung in der Hölle, die ihm drohte, wenn er weiter sündigte. Jesus wollte nicht nur den Körper heilen, weit wichtiger war ihm die Heilung der Seele.

 

 

2. Die Lehre Jesu

( 5,16-47 )

 

Joh 5,16

 

All dies hatte Jesus am Sabbat getan . Außer von der Heilung des Gelähmten ( Joh 5,1-15 ) berichtet Johannes später noch von der Heilung eines Blinden, die ebenfalls am Sabbat geschah ( Joh 9 ). Auch das Ährenraufen ( Mk 2,23-28 ), die Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand ( Mk 3,1-5 ), die Heilung der Frau, die 18 Jahre gelähmt gewesen war ( Lk 13,10-17 ), und die Heilung des Wassersüchtigen ( Lk 14,1-6 ) fanden am Sabbat statt. Hier zeigt sich, daß Jesus eine völlig andere Auffassung vom Sabbat hatte als seine Widersacher. Letzere mußten im Laufe der Kontroversen immer häufiger Niederlagen einstecken, während die Menge sich immer stärker Jesus zuwandte. Doch das führte lediglich dazu, daß sie ihn nun verfolgten und zu töten versuchten ( Joh 5,16.18;7,19.25 ).

 

 

Joh 5,17

 

Am siebten Tag ruhte Gott von seinem Schöpfungswerk ( 1Mo 2,2-3 ). Doch Jesus wies zur Rechtfertigung dafür, daß er am Sabbat heilte, auf das ständige Wirken Gottes hin. In jeder Sekunde erhält Gott das Universum, bringt neues Leben hervor und sucht die Menschen heim. Daher konnte es auch kein Unrecht sein, wenn sein Sohn am Sabbat Werke der Gnade und Barmherzigkeit tat. Vor allem die Worte mein Vater sind wichtig. Jesus sagte nicht "euer" oder wenigstens "unser Vater". Der Anspruch auf Gottheit, der sich darin manifestierte, entging seinen Gegnern nicht.

 

 

Joh 5,18

 

Hatte bereits der Streit um den Sabbat genügt, um den Haß der religiösen Machthaber gegen Jesus zu schüren, so konnten sie seinen implizit zum Ausdruck gebrachten Anspruch, daß Gott sein Vater sei, auf keinen Fall hinnehmen. Für die Juden ist Gott einer und einzig, niemand kommt ihm gleich. Was Jesus hier behauptete, war deshalb in ihren Augen eine ungeheuerliche Gotteslästerung. Wer behauptete, Gott gleich zu sein, postulierte im Grunde genommen den Polytheismus. Die anmaßende und arrogante Unabhängigkeit, die in dieser Aussage steckte, war zutiefst zu verurteilen. Im Talmud wurden vier Menschen als hochmütig gebrandmarkt, weil sie sich Gott gleichgesetzt hatten: der heidnische Herrscher Hiram, Nebukadnezar, Pharao und der jüdische König Joasch.

 

 

Joh 5,19

 

Doch Jesus erklärte gleichzeitig, daß er keinesfalls unabhängig vom Vater sei oder sich ihm widersetze. Er tat nichts von sich aus . Der Vater hat den Sohn gesandt und leitet ihn. Das Wirken des Sohnes ahmt das Wirken des Vaters nach, beide sind immer zusammen am Werk. (Zu der Wendung wahrlich, wahrlich, ich sage euch vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 .)

 

 

Joh 5,20

 

Der Sohn ist in nichts unabhängig vom Vater oder lehnt sich gar gegen ihn auf. Sie sind in beständiger Liebe miteinander verbunden. Der Sohn tut nicht einfach einen Teil von Gottes Willen; er weiß um alles, was der Vater tut. Durch den Vater sollte Jesus noch weit überraschendere Werke vollbringen, als es die Heilungen waren.

 

 

Joh 5,21

 

Eines der Vorrechte der Gottheit ist die Macht über Leben und Tod. (Ein König von Israel fragte Naaman: "Bin ich denn Gott, daß ich töten und lebendig machen könnte?"; 2Kö 5,7 .) Zu den größten Wundern ( Joh 5,20 ), die Jesus tat, zählte, daß er den Menschen das Leben brachte. Der Sohn (macht) lebendig, welche er will - so wie er auch aus der Menge der Kranken, die ihn umgaben, einen auswählte, um ihn zu heilen. Zum Geschenk des Lebens gehören das geistliche (ewige) Leben und der auferstandene Körper, wie die Auferweckung des Lazarus zeigt ( Joh 11 ).

 

 

Joh 5,22

 

Die Macht des Sohnes, das Leben zu bringen, ist allerdings auch unlösbar verbunden mit seinem Recht, die Menschheit zu richten (vgl. V. 27 ). Der Vater hat sein eschatologisches Vorrecht in Jesu Hände gelegt.

 

 

Joh 5,23

 

Jesu Einheit mit seinem Vater ist so vollkommen, daß die Ehre Gottes an ihn gebunden ist. Gott, den Sohn , zu verwerfen oder ihm nicht die Ehre zu geben, heißt, Gott, den Vater , abzulehnen oder zu mißachten.

 

 

Joh 5,24

 

Da Jesus eins mit Gott ist und die göttlichen Vorrechte, von denen in 19-23 die Rede war, besitzt, hat, wer seiner Botschaft und seinem Vater vertraut, schon jetzt das ewige Leben (vgl. Joh 3,36 ). Er wird am Ende der Zeit nicht dem Gericht übergeben werden ("er wird nicht gerichtet"; vgl. Joh 3,18; Röm 6,13; 8,1 ), weil er schon jetzt aus demeinen Reich - dem Tod - in das andere - das Leben - eingegangen ist (vgl. Eph 2,1.5 ). Nur noch ein einziges Mal im Neuen Testament (in 1Joh 3,14 ) steht die Wendung "daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind".

 

 

Joh 5,25

 

Jesu lebenschenkende Macht kann einen Menschen vom Tod auferwecken ( Joh 11,43 ), alle, die in den Gräbern sind ( Joh 5,28-29 ), auferstehen lassen und einen jeden aus dem geistlichen Tod in das ewige Leben (V. 24 ) berufen. (Die Worte es kommt die Stunde stehen viermal im Johannesevangelium: Joh 4,21.23;5,25.28 .)

 

 

Joh 5,26-27

 

Hier sprach Jesus nochmals von den beiden wichtigsten Vorrechten, die ihm Gott übertragen hat: der Macht über Leben und Tod (V. 21.24 - 26 ) und der Vollmacht zum Gericht (vgl. V. 22.24 - 25.27 ). Beide besaß er, weil der Vater ... das Leben ... dem Sohn ... gegeben hat. Das gilt für Zeit und Ewigkeit. Christus, der Logos , besitzt in sich selbst das Leben als ewiges Geschenk seines Vaters ( Joh 1,4 ), und in der Inkarnation wurde ihm zusätzlich die Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten . Als der Menschensohn (vgl. Dan 7,13 ) hat er also alle Vollmacht.

 

 

Joh 5,28-29

 

Seine Hörer sollten sich nicht wundern , daß diejenigen, die glauben, vom Tode zum Leben hindurchdringen (V. 24 ), denn in der Zukunft werden alle auf sein Gebot hin auferstehen. Von dieser universalen Auferstehung ist bereits in Dan 12,1 - 2 die Rede. Andere Textstellen sprechen davon, daß die Auferstehung zum Leben, "die erste Auferstehung", in Stufen vor sich gehen wird: die Gemeinde wird entrückt werden, die Heiligen aus der Zeit der großen Trübsal werden beim zweiten Kommen des Herrn am Ende dieser Zeit auferstehen. Die Auferstehung derer, die gerichtet werden, wird dann am Ende des Tausendjährigen Reiches erfolgen ( Offb 20,11-15 ). Joh 5,28-29 ist eine der wenigen Stellen im Johannesevangelium, die einen ausdrücklich eschatologischen Inhalt haben.

 

 

Die Formulierungen "die Gutes getan haben" und "die aber Böses getan haben" ( ta phaula , "nichtsnutzige Dinge; vgl. Joh 3,20 ) mögen, für sich betrachtet, vielleicht zu der Schlußfolgerung verführen, daß man durch "gute Werke" gerettet oder aufgrund böser Taten verdammt wird, doch wenn man die johanneische Theologie im Zusammenhang betrachtet, verbietet sich ein solcher Gedanke (vgl. Joh 3,17-21;6,28-29 ). Die, die wirklich wiedergeboren sind, leben ein anderes Leben. Sie gehorchen Gott ( Joh 14,15 ), sie verlassen sich auf ihn ( Joh 15,5-7 ), und sie wandeln im Licht ( Joh 8,12; 1Joh 1,7 ). Sie sind gerettet durch das Lamm Gottes, das stellvertretend für sie die Strafe ihrer Sünde auf sich nimmt. Rettung bringt nur der Glaube an Christus. Doch wer den Sohn Gottes verwirft, verfällt dem Gericht ( Joh 3,36 ).

 

 

Joh 5,30

 

Dieser Vers bildet eine Überleitung; er beschließt die Aussagen über die Einheit Jesu mit dem Vater (V. 19 - 30 ). Der Abschnitt endet, wie er begann: mit dem Hinweis, daß der Sohn nichts von sich aus tut (vgl. V. 19 ). Das Gericht , das er halten wird, geht, wie alles, was er tut, auf den ausdrücklichen Willen des Vaters zurück. Er ist das Sprachrohr des Vaters, dessen Willen er ausführt. Sein Wille ist es, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34;8,29 ) - ein Beweis dafür, daß er selbst göttlichen Wesens ist.

 

 

Joh 5,31-32

 

Auf das Thema der Einheit Jesu mit dem Vater folgt nun das Zeugnis des Vaters für Jesus. Dabei scheinen sich Joh 5,31 und Joh 8,14 zu widersprechen, in Wirklichkeit sprechen sie jedoch nur von verschiedenen Dingen. In Joh 5,31 ging es Jesus darum, daß er, wenn er für sich selbst zeugte, von den jüdischen Machthabern nicht akzeptiert würde. Sie würden sein Zeugnis als anmaßende Selbsterhöhung sehen. In einem anderen Umfeld ( 8, 14 ) ist sein Zeugnis für sich selbst jedoch vollkommen gültig, da der Mensch selbst seine eigenen Erfahrungen immer am besten kennt. Jesus versicherte, daß es ihm nicht um unabhängige Selbstbestätigung ging. Er unterwarf sich dem Willen des Vaters und ließ sich vom Vater bezeugen.

 

 

Joh 5,33-34

 

Wie bereits erwähnt (vgl. Joh 1,7 ), spielt der Begriff des "Zeugnisses" im Johannesevangelium eine wichtige Rolle (vgl. dazu auch die Tabelle zum Begriff "Zeugnis").

So war es die Aufgabe Johannes' des Täufers, Zeugnis zu geben. Ein guter Zeuge sagt die Wahrheit nach bestem Wissen und Gewissen. Das Zeugnis des Täufers für Jesus ist unvergänglich ( hat bezeugt ist im Griechischen Perfekt). Doch nicht Jesus bedurfte des Zeugnisses von einem Menschen ; Johannes half damit vielmehr den Menschen: Er wies ihnen, die in Finsternis lebten, das Licht, damit ihr selig werdet . Die große Bewegung, die er im Volk hervorrief, war nur eine antizipatorische, die auf Jesus als Lamm Gottes vorauswies.

 

 

Joh 5,35

 

Johannes war nur ein brennendes und scheinendes Licht , noch nicht das wahre Licht ( Joh 1,9 ). Für eine kleine Weile wurde das jüdische Volk von ihm aufgerüttelt und freute sich an seiner Botschaft. Eine kurze Zeitlang glaubten die Menschen, mit ihm sei das messianische Zeitalter angebrochen. Obwohl seine Predigt in einigen Punkten scharf mit ihnen ins Gericht ging, versetzte sie das Volk in freudige Erregung. Israel wurde zwar zurechtgewiesen, doch die Menschen hofften auch, daß nun die Feinde endlich vernichtet würden.

 

 

Joh 5,36

 

Johannes der Täufer ließ zwar seine Stimme für Gott erschallen, doch er tat keine Wunder ( Joh 10,41 ). Die "Zeichen" waren besondere Werke, die zu vollbringen Gott allein dem Sohn vorbehalten hatte. Bereits im Alten Testament waren diese Wunder prophezeit worden ( Jes 35,5-6 ). Sie waren der Beweis, daß Gott mit Jesus war und durch ihn wirkte (vgl. Nikodemus' Worte, Joh 3,2; Jesu Ausführungen in Mk 3,23-29 und die Aussage eines vormals Blinden, Joh 9,30-33 ).

 

 

Joh 5,37-38

 

Gott tritt als Zeuge für seinen Sohn auf. Der Vater, der mich gesandt hat, hat von mir Zeugnis gegeben . Doch wann und wie gab bzw. gibt der Vater Zeugnis vom Sohn? Hier sind anzuführen: (1) bei Jesu Taufe ( Mt 3,17 ), (2) bei seiner Verklärung ( Mt 17,5 ), (3) beim Einzug in Jerusalem ( Joh 12,28 ), (4) in Jesu Werken ( Joh 3,2 ), (5) im Geist und Herzen der Menschen ( Joh 6,45 ). Höchstwahrscheinlich bezog sich Jesus an dieser Stelle auf das innere Wirken Gottes, der den Menschen bewußt macht, daß Jesus die Wahrheit ist ( Joh 6,45; 1Joh 5,9-12 ). Im Gegensatz dazu wissen Jesu Widersacher nichts von Gott. Sie haben keine Vorstellung von ihm und wenden sich nicht an ihn. Sie haben sein Wort , die Heilsbotschaft, nicht gehört ( habt ihr nicht in euch wohnen [ menonta , von menO , "bleiben, bewahren"], weil sie Jesus ablehnen.

 

 

Joh 5,39-40

 

Die Domäne der jüdischen Religionsführer war das Alte Testament. Sie glaubten, daß der, der die Worte dieses Buches verstand, sich damit ein Anrecht auf die zukünftige Welt verschaffe. Wer das Gesetz nicht kannte, lebte in ihren Augen unter einem Fluch ( Joh 7,49 ). Auch heute noch ist das Lesen in der Bibel für manche Menschen Selbstzweck und nicht eine Möglichkeit, etwas über Gott und sein Wesen zu erfahren. In gewisser Weise waren die Augen dieser jüdischen Gelehrten gehalten ( 2Kor 3,15 ); sie sahen nicht, daß Jesus der Verheißene war, die Erfüllung des alttestamentlichen Opfersystems, der wahre, gerechte Gottesknecht, der kommende Prophet, der Menschensohn, der davidische König und der verheißene Sohn Gottes und Hohepriester. Trotz der Eindeutigkeit der Offenbarung weigerten sie sich, zu ihm zu kommen und das Leben zu finden (vgl. Joh 3,19-20 ).

 

 

Joh 5,41-42

 

Vielleicht dachten die Juden, daß Jesus darüber aufgebracht war, daß er bei ihrer Führungsschicht keine offizielle Anerkennung fand. Doch er bestritt das. Sie glaubten seine Motivation zu kennen, doch es war vielmehr so, daß er sie und auch den Grund für ihren Unglauben kannte (vgl. Joh 2,24-25 ): sie hatten nicht Gottes Liebe (d. h. die Liebe zu Gott, nicht die Liebe von Gott) in sich. Das größte Gebot aber lautet, Gott zu lieben ( 2Mo 20,4; 5Mo 6,5 ); die größte Sünde ist es demgemäß, ihn abzulehnen und statt seiner "das Geschöpf" zu lieben und ihm zu dienen ( Röm 1,25 ).

 

Joh 5,43-44

 

An zwei Dingen zeigte sich die mangelnde Liebe der Menschen zu Gott. (1) Sie lehnten Christus, den "Stellvertreter" des Vaters, ab. Einen Botschafter zu schmähen oder zurückzuweisen ist eine Zurückweisung dessen, der ihn gesandt hat. (2) Sie hörten auf falsche Lehrer oder Propheten - ein Zeichen, daß sie keinen Bezug zur Wahrheit hatten. Hinzu kam ihr Wunsch, von der Welt - den sündigen Menschen - akzeptiert und anerkannt zu werden, während sie die Gnade und den Willen des alleinigen Gottes ablehnten. Sie besaßen überhaupt nicht die Fähigkeit zu wahrem Glauben, weil sie sich an der falschen Stelle orientierten: an den Menschen, nicht an Gott.

 

Joh 5,45-47

 

Jesus kam als Retter, nicht als Richter (vgl. Joh 3,17 ). Er wollte die Menschen nicht verklagen . Mose, dem sie angeblich nachfolgten, hätte sie verurteilt, weil sie den Bund, den er geschlossen hatte, gebrochen hatten und nicht auf den, von dem er ihnen gekündet hatte, hörten. Die Wendung "auf den ihr hofft" impliziert, daß sie glaubten, durch ihre "guten Werke", d. h. das Halten der Gebote, gerettet zu werden.

Doch wenn die Juden Mose wirklich geglaubt hätten, hätten sie auch Christus geglaubt, denn Mose hatte über ihn geschrieben . Damit bezog sich Jesus nicht auf einen bestimmten Text im Alten Testament (vgl. 1Mo 3,15;22,18;49,10; 4Mo 24,17; 5Mo 18,15 ) oder auf ein bestimmtes Ereignis, einen Gegenstand oder eine Einrichtung (wie z. B. das Passafest, das Manna, den Felsen, die Opfer oder die Hohepriesterschaft). Da die Juden jedoch Moses Offenbarung abgelehnt hatten (vgl. Lk 16,29-31 ), lehnten sie nun auch Jesu Worte ab. An einer anderen Stelle führte Jesus auch Jesaja als alttestamentlichen Zeugen an ( Mt 13,14.15 ).

 

 

C. Jesu Offenbarung in Galiläa

( 6,1 - 7,9 )

 

1. Jesu Zeichen an Land und auf dem See

( 6,1 - 21 )

 

a. Die Speisung der Fünftausend

( 6,1 - 15 ) ( Mt 14,13-21; Mk 6,30-44; Lk 9,10-17 )

 

Die Speisung der Fünftausend ist neben der Auferstehung Jesu das einzige Wundergeschehen, von dem in allen vier Evangelien berichtet wird. Schon daran wird deutlich, wie wichtig es war. Jesus selbst legte es in einer langen Rede aus (V. 22 - 55 ). Eine der Folgen dieses spektakulären Wunders, das die messianischen Erwartungen des Volkes erneut anheizte, war jedoch, daß sich viele der Jünger danach von Jesus abwandten (V. 66 ).

 

 

Joh 6,1-2

 

Die Zeitangabe danach ist zwar etwas ungenau, doch wir wissen aus den synoptischen Evangelien, daß Herodes Antipas inzwischen Johannes den Täufer hatte enthaupten lassen ( Mk 6,14-29; vgl. Joh 3,24 ), daß die Jünger in ganz Galiläa ausgesandt worden waren und gepredigt hatten ( Mk 6,7-13.30-31 ), daß das Volk neugierig auf Jesus geworden war und Herodes Antipas nach ihm suchte ( Lk 9,7-9 ). Der Zeitraum zwischen Joh 5 und Joh 6 beträgt also wohl mindestens sechs Monate. Die beiden ersten Verse des sechsten Kapitels scheinen darauf hinzudeuten, daß Jesus mit seinen Jüngern an das Nordostufer des Galiläischen Meeres gegangen war, um sich dort zu erholen. Dieser See, der See Genezareth, wurde auch See von Tiberias genannt (vgl. Joh 21,1 ), nach einer Stadt an seinem Westufer, die Herodes Antipas erbaut hatte. Doch auch dort, in der "einsamen, öden Gegend" (vgl. Mt 14,13.15; Mk 6,32 ), sammelte sich viel Volk um Jesus.

 

 

Joh 6,3-4

 

Die Erwähnung des Berges deutet vielleicht darauf hin, daß Johannes hier eine Parallele zu Moses Erfahrung am Sinai schaffen wollte (vgl. V. 31 - 32 ). Die Bemerkung, daß das Passa, das Fest der Juden , nahe war, ist nur theologisch relevant und hat für die Chronologie keinerlei Bedeutung. Die Menschen damals dachten in Begriffen von Blut, Fleisch, Lämmern und ungesäuerten Broten. Sie sehnten sich nach einem Messias, der sie aus der römischen Knechtschaft erlöste.

Da dies das zweite Passafest ist, von dem Johannes spricht (vgl. Joh 2,13.23 ), und da er von mindestens noch einem weiteren Passa berichtet ( Joh 13,1;5,1 bezieht sich auf ein nicht näher bezeichnetes Fest der Juden), kann man schließen, daß Jesus mindestens drei Jahre auf Erden wirkte. Die Ereignisse im sechsten Kapitel fanden also etwa ein Jahr vor seiner Kreuzigung statt.

 

 

Joh 6,5-6

 

Mit der Frage an Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? , bat Jesus nicht wirklich um eine Information; sie war vielmehr Teil seines "Erziehungsprogramms" für die Jünger. Philippus stammte aus Betsaida ( Joh 1,44 ), der ihnen im Moment nahegelegensten Stadt, und kannte die Gegend wohl am besten. Er erwiderte, daß es unmöglich sei, so spät am Tag noch für Tausende von Menschen in den kleinen umliegenden Dörfern etwas zu essen zu bekommen. Johannes hält in seiner Rückschau auf dieses Ereignis fest, daß Jesus Philippus mit seiner Frage nur prüfen wollte. Gott prüft die Menschen, um ihren Glauben zu stärken, nicht, um sie zum Bösen zu verführen (vgl. 1Mo 22,1-18; 1Pet 1,7; Jak 1,2.13-15 ).

 

 

Joh 6,7

 

Um alle satt zu bekommen, wäre sehr viel Geld nötig gewesen: zweihundert Silbergroschen . Ein Silbergroschen (ein Denar) war der Tageslohn eines Arbeiters - sie hätten also acht Monatslöhne gebraucht. Selbst wenn in den Dörfern der Umgegend genügend Brot vorhanden gewesen wäre, besaßen die Jünger doch nicht genügend Geld, um es zu kaufen, denn sie waren auf das angewiesen, was die Anhänger Jesu ihnen zukommen ließen (vgl. Mk 6,7-13 ).

 

 

Joh 6,8-9

 

Im Gegensatz zu Philippus war Andreas gegangen, um festzustellen, wieviel Nahrungsmittel die Menschen selbst beisteuern konnten (vgl. Jesu Gebot, "geht hin und seht"; Mk 6,38 ). Doch sie fanden nur fünf Brote und zwei Fische bei einem Jungen. Diese schlechte Ausgangssituation bildete den Hintergrund für eine ganz besondere Manifestation der Fürsorge und der Macht Jesu. Die Gerstenbrote erinnern an die Speisung der 100 Männer durch den Propheten Elia, der damals 20 Gerstenbrote zur Verfügung hatte ( 2Kö 4,42-44 ). Doch hier war einer, der weit größer war als Elia.

 

 

Joh 6,10-11

 

Als der gute Hirte ließ Jesus die "Schafe" ( Mk 6,34 ) sich auf grünen Weiden lagern (vgl. Ps 23,2 ). Nach Mk 6,40 bildeten die Menschen Gruppen von je 50 und 100 Personen. Dadurch waren sie leicht zu zählen, und das Essen konnte bequem verteilt werden. Es waren fünftausend Männer , dazu Frauen und Kinder ( Mt 14,21 ); also wurden wahrscheinlich über zehntausend Menschen gespeist.

Die öde Gegend und die Zeit - es war Passa - erinnert an den Aufenthalt Israels mit Mose in der Wüste, wo das Volk ebenfalls auf ein Wunder angewiesen war, um zu überleben. Wie das Wunder selbst vonstatten ging, beschreibt Johannes nicht. Jesus dankte ,ohne daß damit jedoch irgendwelche eucharistischen Implikationen verbunden gewesen wären. Bei frommen Juden war es üblich, vor und nach den Mahlzeiten zu danken. Die wunderbare Vermehrung fand statt, als Jesus die Brote (mit Hilfe der Jünger; Mk 6,41 ) austeilte.

 

 

Joh 6,12-13

 

Die Worte "als sie aber satt waren" machen deutlich, daß Johannes ausdrücklich unterstreichen wollte, daß hier ein Wunder geschehen war. Manche Exegeten versuchen, dieses Wunder "wegzuerklären"; ihrer Ansicht nach handelte es sich lediglich um ein Opfermahl oder ein symbolisches Mahl. Wieder andere meinen, daß das eigentliche Wunder darin bestand, daß die Menschen bereit waren, ihre mitgebrachten Vorräte zu teilen. Diese rationalen Erklärungen haben jedoch nichts mit der eindeutigen Aussage des Evangelisten zu tun.

Auch das Einsammeln der zwölf Körbe übriggebliebener Brocken durch die Jünger war quasi eine "Erziehungsmaßnahme", die ihnen vor Augen führen sollte, daß Jesus mehr als angemessen für sie sorgen konnte. Wie andernorts (vgl. Mk 8,17-21 ) versuchte er auch hier, sie aus ihrer geistlichen Stumpfheit zu reißen. Obwohl die Jünger Jesus näherstanden als das übrige Volk, waren auch sie blind für seine Messianität ( Mk 6,52 ).

 

 

Joh 6,14-15

 

Angesichts des Zeichens ( sEmeion ) der Brotvermehrung erinnerten die Menschen sich an Moses Vorhersage, daß ein Prophet , der ihm glich, in die Welt kommen sollte ( 5Mo 18,15 ). Mose hatte dem Volk zu essen gegeben und es aus der Knechtschaft geführt. Ebenso hatte Jesus den Menschen zu essen gegeben, und nun hofften sie, daß er sie auch aus der Knechtschaft der verhaßten Römer befreien würde.

Die Menschen sahen das Zeichen, doch sie deuteten es falsch. Sie versuchten, Jesus zu ergreifen, um ihn zum König zu machen . Jesus stand hier auf dem Höhepunkt seiner Popularität - eine große Versuchung für ihn. War es möglich, daß er das Gottesreich errichtete, ohne zuvor am Kreuz zu sterben? Nein. Er würde das Reich aus den Händen des Vaters empfangen (vgl. Ps 2,7-12; Dan 7,13-14 ), es würde nicht von dieser Welt sein ( Joh 18,36 ). Der Weg des Vaters führte in eine andere Richtung. Bevor Jesus zum herrschenden Löwen Judas werden konnte, mußte er zum Lamm werden, das die Sünde der Welt trägt ( Joh 1,29 ).

 

 

b. Jesus auf dem See

( 6,16 - 21 )

 

Joh 6,16-17

 

Nach Mk 6,45 forderte Jesus seine Jünger im Anschluß an die Speisung der Fünftausend auf, mit dem Boot nach Betsaida zu fahren, während er sich aus der Menge zurückzog. Von Betsaida aus wollten sie dann nach Kapernaum gehen. Beide Dörfer liegen nördlich des Sees Genezareth. Am Abend aber gingen seine Jünger hinab an den See (das Land an der Ostseite ist hügelig und liegt höher als der See). Als sie in See stachen, ging gerade die Sonne unter und Wind kam auf. Jesus war noch oben in den Bergen und betete, doch er konnnte sehen, wie sie sich abmühten ( Mk 6,45-48 ).

 

 

Joh 6,18-19

 

Der Westwind, der dort häufig um die Abendzeit aufkommt, trieb sie auf den See hinaus, wo sie kaum noch vorankamen, obwohl sie sich "abplagten beim Rudern" ( Mk 6,48 ). Der See Genezareth ist berüchtigt für seine plötzlichen, schweren Stürme. Als sie nun etwa eine Stunde gerudert hatten , befanden sie sich mitten auf dem See . Plötzlich sahen sie eine Gestalt, die sich auf dem See dem Boot näherte, und fürchteten sich über die Maßen, denn sie hielten die Erscheinung für ein Gespenst ( Mk 6,49 ). Zu den rationalen Erklärungen, die für dieses Phänomen angeführt wurden, gehört auch die Theorie, daß Jesus auf dem Sand an der Küste entlangging oder auf einem großen Balken oder Baumstamm herantrieb, doch keine dieser Vermutungen wird dem Text gerecht. Das Wunder geschah um die "vierte Nachtwache", also etwa zwischen drei und sechs Uhr morgens ( Mt 14,25; Mk 6,48 ).

 

 

Joh 6,20-21

 

Der Satz "Ich bin's" lautet wörtlich "Ich bin" und wurde normalerweise von Jesus in theologischem Sinn benutzt (vgl. Joh 8,58 ). Diesmal war er jedoch anscheinend lediglich als Erkennungszeichen für die Jünger gedacht, die ihn daraufhin ins Boot nahmen. Die Worte "und sogleich war das Boot am Land" , deuten vielleicht auf ein weiteres Wunder hin. Die beiden Zeichen zu Land und auf dem See offenbaren Jesus als "Beschaffer" des "Brotes", das Leben gibt (wie der nächste Abschnitt erläutern wird) und als Retter, der für sein Eigentum eintritt und es beschützt. In Zeiten der Not bringt er den Menschen die Rettung.

 

 

2. Die Lehre

( 6,22 - 71 )

 

Joh 6,22-25

 

Die Volksmenge, die gespeist worden war, befand sich noch immer am Ostufer des Sees. Die Menschen hatten gesehen, daß Jesus seinen Jüngern gebot, ein am Ufer festgemachtes Boot zu besteigen. Da er jedoch nicht mit einstieg, nahmen sie an, daß er in diesem Gebiet bleiben wollte. Als sie kurz darauf sahen, daß er nicht mehr da war, beschlossen sie, Jesus in der Gegend von Kapernaum zu suchen, und stiegen in andere Boote, die von Tiberias kamen . Ihre Frage: Rabbi, wann bist du hergekommen? , bildet nun die Einleitung für die lange Rede, die Jesus in Kapernaum hielt (V. 59 ). Er erklärte ihnen jedoch nicht, wann oder auf welche Weise er den See überquert hatte, denn sein Wandeln auf dem See war ein nur für die Jünger bestimmtes Zeichen gewesen.

 

 

Joh 6,26

 

Jesus begann mit den feierlichen Worten: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch (vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 ), die er im Verlauf der Rede noch dreimal wiederholte ( Joh 6,32.47.53 ). Sie dienten jeweils dazu, die Aufmerksamkeit auf das folgende zu lenken. Er warf seinen Zuhörern ihre materialistischen Interessen und ihre mangelnde geistliche Einsicht vor. Sie hatten bereits ein Zeichen gesehen, doch für sie zählte nur die bequeme Mahlzeit, die sie dadurch erhielten. Ihnen fehlte der Blick für das, was eigentlich geschehen war.

 

 

Joh 6,27

 

Mit den Worten "schafft euch Speise, die nicht vergänglich ist" wollte Jesus nicht etwa der Faulheit das Wort reden. Doch er riet den Menschen, ihre Anstrengungen auf bleibende Dinge zu richten. "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht" ( Mt 4,4 ). Die Speise für den Körper hält nur kurz vor, doch die unvergängliche Speise bleibt zum ewigen Leben . Der Menschensohn (der Zugang zum Himmel hat; Joh 3,13 ) wird den Menschen diese "geistliche Speise" geben, denn Christus selbst ist "das Brot des Lebens" ( Joh 6,35 ). Gott der Vater persönlich hatte Jesu Aussage, daß er die wahre, himmlische "Speise" sei, bestätigt.

 

Joh 6,28

 

Die Menschen erkannten, daß Jesus hier von einer Forderung sprach, die Gott an sie stellte, und sie waren bereit, dieser Forderung nachzukommen, wenn er ihnen sagte, was sie tun sollten. Sie selbst glaubten, daß sie mit einem gottgefälligen Leben und guten Werken das ewige Leben erwerben könnten (vgl. Röm 10,2-4 ).

 

 

Joh 6,29

 

Was Jesus von ihnen verlangte, war jedoch ganz genau das Gegenteil. Mit guten Werken konnten sie Gott nicht gefallen. Es gibt nur ein Werk Gottes , d. h. nur eines, was Gott von den Menschen fordert: Sie sollten an den glauben, den Gott gesandt hat . Weil sie immer Sünder bleiben, können die Menschen Gott nie gefallen und sich auch nicht mit guten Werken retten ( Eph 2,8-9; Tit 3,5 ). Statt dessen verlangt Gott, daß sie ihre Unfähigkeit, sich selbst zu retten, einsehen und seine Gabe annehmen ( Röm 6,23 ).

 

 

Joh 6,30-31

 

Auf diese Worte hin forderten die Anwesenden ein Zeichen ( sEmeion ; vgl. "die Juden fordern Zeichen"; 1Kor 1,22 ) von Jesus. Sie waren der Ansicht, daß man erst seh en und dann glauben muß, doch in der göttlichen Reihenfolge kommt der Glaube vor dem Sehen (vgl. Joh 11,40 ). Obwohl die Menschen weder Glaubennoch geistliche Einsicht besaßen, spürten sie doch, daß Jesus hier von etwas Neuem zu ihnen sprach.

Ihnen war gesagt worden, daß das Kommen Jesu ein Fortschritt gegenüber Mose bedeute. Daher argumentierten sie nun: "Wenn du mehr als Mose bist, dann tue auch mehr als er." Anscheinend hielt die Menge die Speisung der Fünftausend für geringer als das Werk Moses, der ihnen Brot vom Himmel gegeben hatte. Sie dachten dabei an das Manna , das Gott ihnen in der Wüste gegeben ( 2Mo 16; 4Mo 11,7 ) und von dem ein ganzes Volk vierzig Jahre lang gelebt hatte, während Jesus ja nur Fünftausend gespeist hatte. Dabei übersahen sie zweierlei. Erstens: Viele der Israeliten, die vierzig Jahre lang gespeist worden waren, hatten nicht geglaubt. Entscheidend ist also nicht die Größe des Wunders, sondern ob die Menschen seine Bedeutung erkennen (vgl. Lk 16,29-31 ). Zweitens: Sowohl Mose als auch Jesus waren von Gott durch Zeichen bestätigt worden; daher sollte auf beide gehört und beiden geglaubt werden.

 

 

Joh 6,32

 

Abermals mit der feierlichen Einleitung ( wahrlich, wahrlich, ich sage euch ; vgl. V. 26.47.53 ) korrigierte Jesus ihre irrigen Vorstellungen mit drei Argumenten. (1) Der Vater, nicht Mose , hatte ihnen das Manna gegeben. (2) Der Vater gab ihnen auch jetzt noch zu essen. (3) Das wahre Brot vom Himmel ist Jesus (Jesus hatte wiederholt gesagt, daß er vom Himmel gekommen sei; V. 32 - 33.38.41 - 42.50 - 51.58 ), nicht das Manna. Vor diesem Hintergrund bedeutet die angebliche Überlegenheit von Mose und des Zeichens, das er gab, nichts mehr. Manna war Speise für den Körper, und als solche notwendig und nützlich. Doch in Jesus zeigte sich Gottes Sorge für den Menschen in seiner Ganzheit.

 

 

Joh 6,33

 

Gott ist die Quelle allen Lebens. Der Sohn, der dieses Leben in sich hat ( Joh 1,4;5,26 ), ist gekommen, um den Menschen das wahre und bleibende Leben zu bringen. Die Sünde entfernt die Menschen von Gott, der das Leben ist, und sie sterben - an Leib, Seele und Geist. Christus aber ist vom Himmel gekommen, um der Welt das Leben zu geben . Daher ist Jesus das wahre Brot vom Himmel .

 

 

Joh 6,34

 

Doch die Menschen verstanden auch jetzt noch nicht, daß Jesus das wahre Brot war. Wie die Frau am Brunnen ( Joh 4,15 ) baten sie ihn um diese bessere Speise, von der er gesprochen hatte. Sie wollten es für immer (allezeit) haben, nicht wie das Manna nur vierzig Jahre lang.

 

 

Joh 6,35

 

Ich bin das Brot des Lebens . Hier werden zwei weitere Irrtümer im Denken der Menschen richtiggestellt: (1) Die Speise, von der Jesus sprach, bezog sich auf eine Person, nicht eine Ware. (2) Wer erst einmal die richtige Beziehung zu Jesus hergestellt hat, wird für immer, nicht nur für eine gewisse Zeit, zufrieden sein. Diese "Ich bin"-Aussage bildet die erste einer Reihe von "Ich bin"-Offenbarungen (vgl. Joh 8,12;10,7.9.11.14;11,25;14,6;15,1.5 ). Das "Brot des Lebens" ist "Brot, das Leben gibt". Jesus ist die "Speise", die die Menschen brauchen. In der heutigen Zeit im westlichen Abendland können wir meist frei wählen, ob wir neben all den anderen Nahrungsmitteln, die uns zur Verfügung stehen, auch noch Brot essen, doch in damaliger Zeit war Brot ein unverzichtbarer Bestandteil der Mahlzeiten. Jesus versprach: Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Das "nicht" und das "nimmermehr" sind im Griechischen betont.

 

Joh 6,36

 

Dann tadelte Jesus die Menge für ihren fehlenden Glauben. Sie hatten das große Vorrecht, ihn zu sehen, und glaubten doch nicht . Auch Sehen führt also nicht zwangsläufig zum Glauben (vgl. V. 30 ).

 

Joh 6,37

 

Schließlich erklärte ihnen Jesus noch, warum sie nicht an ihn glaubten: Der Vater wirkt im Leben der Menschen. Die Auswahl, die er trifft, ist sein Geschenk an den Sohn. Der Sohn muß sich nicht sorgen, daß sein Werk vergebens sein wird, denn der Vater wird die Menschen befähigen, zu Jesus zu kommen. Jesus hat Vertrauen, doch auch die Menschen müssen Vertrauen haben. (Vgl. die Anwort des Gelähmten auf Jesu Frage: "Willst du gesund werden?" Joh 5,6-9 .) Wer zu Jesus kommt, um gerettet zu werden, wird unter keinen Umständen hinausgestoßen werden (vgl. Joh 6,39 ).

 

 

Joh 6,38-39

 

Danach wiederholte er, daß er vom Himmel gekommen sei, weil er den Willen dessen, der ihn gesandt hat , tun wollte. Der Wille des Vaters aber ist, daß von denen, die er dem Sohn gibt, nicht ein einziger verloren geht, sondern daß sie alle auferweckt werden am Jüngsten Tage (vgl. V. 40.44.54 ). In diesem Abschnitt geht es vor allem darum, daß die Gläubigen für immer gerettet sind.

 

 

Joh 6,40

 

Diese Verse wiederholen und bekräftigen das zuvor Gesagte nochmals. Wer sieht und glaubt , daß Jesus ihn retten wird, der ist gerettet. Der göttliche Ratschluß hat das bestätigt (vgl. Röm 8,28-30 ). Er besitzt das ewige Leben ( Joh 6,47.50-51.54.58 ) und wird am Jüngsten Tag auferweckt werden (vgl. V. 39.44.54 ).

 

 

Joh 6,41-42

 

Die ihm feindlich gesinnten, ungläubigen Juden aber nahmen Anstoß daran, daß Jesus behauptet hatte, vom Himmel zu kommen. Sie murrten über ihn, wie ihre Väter in der Wüste gemurrt hatten ( 2Mo 15,24;16,2.7.12;17,3; 4Mo 11,1;14,2.27 ). Dabei waren ihre Überlegungen nicht ohne eine gewisse Logik: Ein Mensch, dessen Eltern sie kannten, konnte nicht vom Himmel kommen (vgl. Mk 6,3; Lk 4,22 ). Doch sie kannten Jesu wahre Herkunft und sein wahres Wesen nicht. Sie sagten, er sei Josefs Sohn , aber sie wußten nichts über die Jungfrauengeburt und die Inkarnation. Jesus war vom Himmel herabgekommen, weil er der Logos war ( Joh 1,1.14 ).

 

 

Joh 6,43-44

 

Jesus machte keinen Versuch, ihrer Unwissenheit abzuhelfen. Er tadelte sie lediglich für ihr Murren und wies sie darauf hin, daß Gott ständig bemüht sei, sie zu sich zu "ziehen", und ihnen viele Lehrer gegeben hatte, die ihnen von ihm erzählten. Es steht den Menschen deshalb nicht zu, über Gottes Tun zu richten. Ohne Gottes klärende Hilfe wird jede Beurteilung des Boten Gottes sich als falsch erweisen. Niemand kann zu Jesus kommen oder an ihn glauben ohne die Hilfe des Vaters. Die Menschen sind so festgefahren im Treibsand der Sünde und des Unglaubens, daß ihre Lage aussichtslos ist, es sei denn, Gott selbst zieht sie heraus (vgl. V. 65 ). Und er zieht nicht nur einige wenige heraus. Jesus sagte: "Ich (will) alle zu mir ziehen" ( 12, 32 ). Das heißt nicht, daß alle gerettet werden, sondern daß Griechen (d. h. Heiden; Joh 12,20 ) ebenso gerettet werden werden wie Juden. Wer gerettet ist, wird auch auferstehen (vgl. Joh 6,39-40 ).

 

 

Joh 6,45

 

Zur Unterstützung seiner Lehre von der Rettung durch die Gnade Gottes zitierte Jesus das Alte Testament. Das Zitat, das er hier anführt - sie werden alle von Gott gelehrt sein - stammt aus den Propheten, wahrscheinlich aus Jes 54,13 ,doch auch in Jer 31,34 findet sich ein ähnlicher Gedanke. Dieses "Belehrtwerden" von Gott bezieht sich auf Gottes Wirken im inneren Menschen, das ihn befähigt, die Wahrheit über Jesus anzunehmen und ihm zu antworten. Wer es vom Vater hört und lernt , der wird zu Jesus kommen und ihm glauben.

 

 

Joh 6,46

 

Dieses geheime Wirken Gottes ist jedoch kein mystisches Geschehen, durch das die Menschen direkt mit Gott in Beziehung treten. Das Wissen über Gott kommt nur durch Jesus, den Logos Gottes (vgl. Joh 1,18 ). Wenn jemand mit ihm konfrontiert wird, seine Worte hört und seine Werke sieht, wirkt der Vater in ihm.

 

Joh 6,47-48

 

In diesen beiden Versen faßte Jesus seine Lehre zusammen. Sie ist abermals durch die Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" unterstrichen (vgl. auch V. 26.32.53 ). Die Verbform wer glaubt ist im Griechischen ein Partizip Präsens - damit ist ausgedrückt, daß derjenige, der bleibendes, festes, unerschütterliches Vertrauen in Gott setzt, ein Gläubiger ist und das ewige Leben bereits jetzt, in der Gegenwart, und für immer besitzt. Nochmals wiederholte Jesus: Ich bin das Brot des Lebens (vgl. den Kommentar zu V. 35 ).

 

 

Joh 6,49-50

 

Das Manna in der Wüste stillte nur ein einziges, bestimmtes Bedürfnis. Es ermöglichte für begrenzte Zeit das physische Überleben. Allmählich wurde es den Israeliten zuwider, und schließlich starben sie. Jesus ist ein anderes Brot. Er ist vom Himmel und bringt das Leben. Wer von diesem Brot ißt, wird nicht sterben .

 

 

Joh 6,51

 

Was bedeutet es aber nun genau, Jesus, das lebendige Brot , zu essen? Viele Exegeten sind der Ansicht, daß Jesus damit auf das Herrenmahl anspielte. Tatsächlich läßt sich das hier Gesagte durchaus auf seinen Tod und das Herrenmahl beziehen. Doch da das letzte Abendmahl erst ein Jahr nach den in diesem Kapitel berichteten Ereignissen stattfand, sollte das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes an dieser Stelle nicht im Sinne eines Sakraments aufgefaßt werden. Das "Essen" des lebendigen Brotes ist eine Redefigur, die, wie die anderen Metaphern - zu ihm zu kommen (V. 35 ), auf ihn zu hören (V. 45 ) und ihn zu sehen (V. 40 ) - einfach bedeutet, an Jesus zu glauben. Von diesem Brot zu essen, heißt, ewig zu leben (vgl. V. 40.47.50.54.58 ). Jesu Aussage über das Brot des Lebens wird noch weiter ausgeführt: nicht nur der Vater gibt das Brot (Jesus), sondern auch Jesus selbst gibt es den Menschen. Dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt . Der Opfertod des Lammes Gottes bringt die Rettung ( Joh 1,29 ). Durch Jesu Tod gewann die Welt das Leben.

 

 

Joh 6,52

 

Wie so oft verstanden die Menschen auch diesmal nicht, was Jesus sagte (vgl. Joh 2,20;3,4;4,15;6,32-34 ). Es entstand eine heiße Debatte über den Sinn der Worte Jesu, die jedoch ganz auf der materialistischen Ebene blieb. Sie fragten sich: "Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?"

 

 

Joh 6,53-54

 

Die folgende Äußerung Jesu wird durch die zum vierten Mal wiederholte Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. V. 26.32.47 ) als besonders wichtig gekennzeichnet. Exegeten, die an dieser Stelle bereits an die Einsetzung eines Sakramentes denken, verstehen die Worte "wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns eßt und sein Blut trinkt" als Hinweis auf die Eucharistie. Wie bereits gesagt, ist der grundlegende Einwand gegen diese These historischer Natur: Jesus stiftete das Sakrament des Heiligen Abendmahls erst ein Jahr später. Auch das "Trinken des Blutes" ist nur eine kühne Redefigur. Die Juden kannten das Gebot, "daß ihr weder Fett noch Blut esset" ( 3Mo 3,17; vgl. 3Mo 17,10-14 ). Und doch war das Blut das Mittel der Versöhnung. Durch Blut konnte das Leben entsühnt werden ( 3Mo 17,11 ). Jesu Hörer müssen von diesen rätselhaften Worten schockiert und völlig verwirrt gewesen sein. Diese Verwirrung löst sich jedoch, wenn man versteht, daß Jesus hier von der Versöhnung sprach, die er durch seinen Tod, durch die Hingabe seines Lebens für die, die ihm gehören, erwirkte (vgl. Joh 6,63 ). Der Glaube an Christi Tod bringt das ewige Leben (vgl. V. 40.47.50 - 51 ) und (später) die leibliche Auferstehung (vgl. V. 39 - 40. 44 ).

 

 

Joh 6,55

 

Wie gutes Essen und Trinken das physische Leben erhalten, so erhält Jesus, die wahre (unvergängliche), geistliche Speise und der geistliche Trank, das geistliche Leben derer, die ihm nachfolgen. Sein Fleisch und sein Blut geben denen, die ihn annehmen, das ewige Leben.

 

 

Joh 6,56-57

 

Wer an Christus teilhat, erfreut sich einer wechselseitigen, dauernden Beziehung zu ihm. Er bleibt ( menei ) in Christus , und Christus bleibt in ihm . M enO ist einer der wichtigsten theologischen Begriffe des Johannesevangeliums (vgl. den Kommentar zu Joh 1,39 ). Der Vater "bleibt" im Sohn ( Joh 14,10 ), der Geist "bleibt" auf Jesus ( Joh 1,32 ) und die Gläubigen "bleiben" in Jesus und er in ihnen ( Joh 6,56;15,4 ). Dieses "bleiben" hat viele Implikationen. So freut sich der Glaubende an der Vertrautheit mit Jesus und an der Sicherheit, die er durch ihn hat. Wie Jesus das Leben vom Vater hat, habendie Gläubigen das Leben um seinetwillen.

 

Joh 6,58-59

 

Jesus hielt seine Rede über das Brot des Lebens in der Synagoge in Kapernaum . Er predigte oft in jüdischen Synagogen, wo die Männer Gelegenheit hatten, Schriftstellen auszulegen und Ermahnungen anzubringen ( Mk 6,1-6; Lk 4,16-28; Apg 13,15-42 ). Die damaligen jüdischen Gottesdienste waren nicht so formal wie die in den heutigen traditionellen christlichen Kirchen; gewöhnlich waren es "Laien", die predigten. In seiner Schlußfolgerung wiederholte Jesus nochmals den Kernsatz seiner Auslegung des Manna-Wunders: Das Brot, das Mose den Menschen verschaffte, bewirkte kein bleibendes Leben (das Gesetz kann die Menschen nicht retten); erst in Jesus hat Gott das echte, lebenspendende Brot vom Himmel gegeben; wer auf ihn vertraut, besitzt das ewige Leben.

 

 

Joh 6,60

 

Nun allmählich begannen die Menschen, Jesu Lehre zu verstehen, doch sie konnten sie deshalb umso weniger annehmen. Nicht nur die Jesus ohnehin feindlich gesonnenen jüdischen Machthaber, sondern auch viele seiner Jünger aus Galiläa wandten sich enttäuscht von ihm ab. Mit der Begeisterung des Volkes für Jesus als politischen Messias (V. 15 ) war es vorbei. Sie mußten einsehen, daß er sie nicht von den Römern befreien würde. Er war vielleicht ein großer Heiler, doch seine Worte waren hart (d. h. streng). Wer kann sie hören , d. h. wer konnte ihnen gehorchen? Wie konnte ihnen überhaupt jemand gerecht werden?

 

Joh 6,61-62

 

Jesus kannte seine Hörer ( Joh 1,47;2,24-25; Joh 6,15 ). Als er merkte, daß seine Jünger murrten (vgl. V. 41 ), fragte er sie, was sie ärgerte ( skandalizei ). Paulus schrieb später, daß der gekreuzigte Messias den Juden ein "Ärgernis" ( skandalon ) sei ( 1Kor 1,23 ). Dasselbe gilt auch für das Auffahren des Menschensohnes. Doch Jesu Verherrlichung ist seine Rechtfertigung vom Himmel her. Er wurde in Niedrigkeit gekreuzigt, doch in Herrlichkeit auferweckt ( 1Kor 15,43 ).

 

 

Joh 6,63

 

Nach seiner Himmelfahrt ließ Jesus den Menschen den Heiligen Geist zurück ( Joh 7,38-39; Apg 1,8-9 ). Der Heilige Geist , der in die Welt entsandt ist, macht die, die an ihn glauben, lebendig (rettet sie). Ohne ihn sind die Menschen ( das Fleisch ) nicht in der Lage, Jesus und sein Wirken zu verstehen ( Joh 3,6; 1Kor 2,14 ). Wenn die Menge seine Worte auch als "hart" empfand ( Joh 6,60 ), so sind sie in Wirklichkeit doch Geist und Leben . D. h. Jesu Worte bewirken durch das Werk des Heiligen Geistes geistliches Leben.

 

 

Joh 6,64

 

Das Leben, das Jesus schenkt, muß im Glauben empfangen werden. Sein Wort wirkt nicht "automatisch". Jesus wußte, wer von denen, die ihm folgten, glaubte, und wer nicht. Auch darin manifestierte sich sein übernatürliches Wissen (vgl. Joh 1,47;2,24-25;6,15 ).

 

 

Joh 6,65

 

Jesus hatte gelehrt, daß die Menschen der Hilfe Gottes bedürfen, um zum Glauben zu kommen (V. 44 ). Aus dieser Sicht ist der Abfall so vieler Anhänger (V. 66 ) weniger überraschend. Die Gläubigen, die bei Jesus bleiben, sind ein Beweis für das geheime Wirken des Vaters; die ungläubige Menge dagegen ist der Beweis, daß "das Fleisch nichts nütze ist" (V. 63 ).

 

 

Joh 6,66

 

Jesu Ablehnung des Wunsches der Menge, ihn zum politischen König zu machen, seine Forderung nach persönlichem Glauben, seine Lehre der Versöhnung und seine Betonung der völligen Unfähigkeit der Menschen, zum Heil zu gelangen, die die Rettung als alleiniges Werk Gottes erscheinen ließ - das alles wirkte auf viele seiner Zuhörer wenig verlockend. Sie gingen hinfort nicht mehr mit ihm (damit sind nicht die zwölf Apostel gemeint, sondern ganz allgemein die, die ihm folgten; vgl. V. 67 ).

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Joh 6,67

 

Wollt ihr auch weggehen? Diese Frage sollte den schwachen Glauben der Jünger stärken. Die Zwölf blieben nicht unbeeindruckt von der Abwendung der vielen Menschen, und Jesus benutzte die Gelegenheit, ihren Glauben zu vertiefen. Auch sie verstanden seine Worte noch immer nicht ganz; das sollte ihnen erst nach der Auferstehung möglich sein ( Joh 20,9 ).

 

 

Joh 6,68-69

 

Petrus als Sprecher der Jünger bekannte seinen Glauben an Jesus. Der Weg mochte schwierig sein, doch er war überzeugt, daß Jesus die Worte des ewigen Lebens hatte. Wir haben geglaubt und erkannt . Petrus war sicher, daß die Apostel ebenso wie er selbst Jesus als den Heiligen Gottes anerkannten. Dieser Titel ist ungewöhnlich (nur ein Dämon sprach Jesus noch so an; Mk 1,24 ). Er deutet auf Jesu "Transzendentalität" ("der Heilige") und seine Eigenschaft als Stellvertreter des Vaters (Gottes) hin, ist also ebenfalls ein Messiastitel. Auch Petrus' Einsicht an dieser Stelle war das Werk des Vaters (vgl. Mt 16,17 ).

 

 

Joh 6,70-71

 

Dann fragte Jesus: "Habe ich nicht euch Zwölf erwählt?" Das Johannesevangelium berichtet nicht über Jesu Berufung der Jünger; es setzt voraus, daß die Leser darüber bereits aus den synoptischen Evangelien oder aus der kirchlichen Überlieferung Bescheid wissen (vgl. Mk 3,13-19 ). Die Erwählung machte sie jedoch noch nicht zu Geretteten, sondern berief sie lediglich in den Dienst Jesu. Dieser ergänzte daher: "Und einer von euch ist ein Teufel!" Im Lichte von Joh 13,2.27 war das Wirken Satans in Judas dasselbe, als ob Judas selbst ein Teufel war. Dafür spricht auch der griechische Text in Vers 70 , der den unbestimmten Artikel "ein" nicht enthält und daher auch mit "Einer von euch ist Satan" (der Teufel) übersetzt werden kann. Daß Jesus bereits alles über Judas (genannt Judas Iskariot nach seinem Vater Simon Iskariot) wußte, war abermals ein Beispiel für seine Allwissenheit (vgl. Joh 1,47;2,24-25;6,15.61 ). Hernach, in dem Raum, in dem sie das Abendmahl zusammen feierten, sagte Jesus nochmals, daß einer der Zwölf ihn verraten würde ( Joh 13,21 ). Der Evangelist Johannes bezeichnete Judas als den, "der ihn verriet" ( Joh 18,5 ). Später erinnerten sich die Jünger an die Vorhersage Jesu und wurden durch ihre Erfüllung in ihrem Glauben bestärkt. Judas war letztlich eine tragische Gestalt, er stand unter dem Einfluß Satans; dennoch war er verantwortlich für das Böse, das er tat.

 

 

3. Das Wirken in Galiläa

( 7,1 - 9 )

 

Dieser Abschnitt ist die Vorbereitung für eine weitere Konfrontation zwischen Jesus und seinen Widersachern in Jerusalem. Sein Wirken in Galiläa, das keinerlei Aufsehen erregte, verzögerte den bevorstehenden Konflikt nur.

 

 

Joh 7,1

 

Danach ist ein ziemlich vager Ausdruck. Da die Ereignisse, von denen im sechsten Kapitel die Rede war, kurz vor dem Passafest im April stattfanden ( Joh 6,4 ) und inzwischen das Laubhüttenfest im Oktober vor der Tür stand ( Joh 7,2 ), muß Jesus sich etwa sechs Monate in Galiläa aufgehalten haben. Galiläa war sicherer für ihn, weil seine Hauptfeinde, die ihm nach dem Leben trachteten, in Judäa saßen.

 

 

Joh 7,2

 

Das Laubhüttenfest war eines der drei großen Feste der Juden, laut Josephus sogar das heiligste und größte ( Ant. 5. 4. 1). Auch Fest der Lese genannt, war es ein Erntedankfest. Fromme Juden wohnten in dieser Zeit sieben Tage lang in mit Zweigen überdachten Hütten, zur Erinnerung an Gottes Schutz während des Aufenthalts ihrer Väter in der Wüste. Zugleich war das Fest ein Zeichen dafür, daß Gott selbst unter seinem Volk Wohnung nahm.

 

 

Joh 7,3

 

Jesu Brüder , Söhne von Maria und Josef, die nach Jesus zur Welt gekommen waren, glaubten zu der Zeit noch nicht (vgl. Mk 3,21.31-35; Joh 7,5 ). Sie argumentierten ganz logisch, daß die messianische Frage nicht in Galiläa gelöst werden konnte, da Jerusalem die religiöse Hauptstadt war. Das populäre Laubhüttenfest wäre also der richtige Zeitpunkt für Jesus gewesen, sich als Messias zu präsentieren. Wenn er seine Macht in Judäa unter Beweis stellte, so dachten sie, wäre es ihm vielleicht möglich, das verlorene Volk für sich zu gewinnen. Joh 7,4-5 : In ihren Augen war es höchst unvernünftig, daß Jesus seine Herrlichkeit nicht offenbarte. Wenn er wirklich der war, der er zu sein vorgab, so sagten sie, sollte er es auch öffentlich beweisen. Sie rieten ihm, sich in all seiner Macht und Herrlichkeit zur Schau zu stellen: Offenbare dich vor der Welt . Doch nach dem Willen Gottes sollte die öffentliche Zurschaustellung des Messias am Kreuz, in der Erniedrigung, erfolgen. Der Evangelist muß deshalb hinzufügen, daß auch seine Brüder nicht an ihn glaubten (vgl. Joh 1,10-11;12,37 ). Die Nähe zu Jesus, sei es im Rahmen der Familie oder als sein Jünger, macht noch keinen Glauben.

 

 

Joh 7,6-7

 

Jesus entgegnete auf ihr Ansinnen, daß seine Zeit sich von der ihren unterschied. Ihr Kommen und Gehen hatte keinerlei Folgen in der Welt; ihre Zeit war allewege. Er aber tat allezeit nur das, was dem Vater gefiel, und richtete sich auch in diesem Punkt nach dem Willen des Vaters. Die Zeit seiner öffentlichen Manifestation (das Kreuz) war noch nicht da , eine Tatsache, auf die Johannes mehrere Male hinweist ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ). Später begann Jesus sein Bittgebet an den Vater unmittelbar vor der Kreuzigung mit den Worten: "Vater, die Stunde ist da" ( Joh 17,1; vgl. Joh 12,32.27;13,1 ).

Den Brüdern Jesu gegenüber verhielt die Welt sich nicht feindlich, denn sie waren ein Teil von ihr ( die Welt kann euch nicht hassen ). Doch Jesus haßte sie, weil er nicht aus ihr war. Er war als das Licht gekommen und wies sie auf ihre Sünde und ihren Widerstand gegen den Vater hin. Christus bezeugte, daß die Religionen, Programme, Pläne und Werte der Welt böse ( ponEra ) sind. Nicht zuletzt deshalb hielt er sich häufig verborgen, damit er lange genug am Leben blieb, um den Willen des Vaters erfüllen zu können.

 

 

Joh 7,8-9

 

Der Satz "ich will nicht hinaufgehen zu diesem Fest" bezieht sich ganz eindeutig auf Vers 10 . In den meisten griechischen Ausgaben des Neuen Testamentes wurde das Wörtchen "noch" weggelassen, weil diese Lesart als unsicher gilt, doch von den Handschriften her ist sie relativ gut bezeugt. Wenn Jesus wirklich nur gesagt hätte, "ich will nicht hinaufgehen zu diesem Fest" (wie auch Luther schreibt), könnte man auf die Idee kommen, daß er gelogen hätte, weil er - laut Vers 10 - später doch noch ging. Doch wie auch immer, fest steht, daß er hier einfach sagen wollte, daß er "noch nicht jetzt" hinaufging, wie die Brüder verlangt hatten, sondern noch eine Zeitlang in Galiläa blieb und dort tat, was ihm der Vater aufgetragen hatte.

"Hinaufgehen" war hier sowohl geographisch (Jerusalem liegt in den Bergen) als auch theologisch (zurückgehen zum Vater) gemeint.

 

 

D. Jesu Rückkehr nach Jerusalem und das erneute Aufflammen der Feindseligkeiten

( 7,10 - 10,39 )

 

1. Das Laubhüttenfest

( 7,10 - 8,59 )

 

a. Der Anfang des Festes

( 7,10 - 13 )

 

Joh 7,10

 

Aufgrund der Verschwörung gegen ihn (V. 1.25 ) betrat Jesus die Stadt heimlich, denn die Zeit für seine Offenbarung als Messias (am Kreuz) war noch nicht gekommen.

 

Joh 7,11-13

 

Während seine Feinde ihn suchten, um ihn zu vernichten, debattierte das Volk über diesen kontroversen Lehrer. Der Widerstand gegen ihn nahm zu. Ein großes Gemurmel (vgl. Joh 6,41.61 ) war zu hören. (Vgl. das Murren der Israeliten in der Wüste.) Der Vorwurf, er verführe das Volk , hatte drohende Untertöne, denn darauf stand nach dem Gesetz des Talmud die Todesstrafe durch Steinigung. Da auf dem Fest nur Juden anwesend waren, war mit der Wendung "aus Furcht vor den Juden" die Furcht der Menschen vor den religiösen Machthabern gemeint.

 

b. Jesus auf dem Fest

( 7,14 - 36 )

 

Joh 7,14-15

 

Die ersten drei Tage vergingen, ohne daß jemand Jesus zu Gesicht bekam. Die Menschen fragten sich, ob er überhaupt noch kommen und seinen Anspruch, der Messias zu sein, geltend machen werde. Dann, mitten im Fest , begann er, im Tempel zu lehren. Als die offiziellen religiösen Führer ihn hörten, verwunderten sie sich (vgl. Mk 1,22 ), denn das, was er sagte, war fundiert und wurde beredet vorgetragen, obgleich Jesus niemals eine ihrer Rabbinerschulen besucht hatte. Sie fragten sich, wie das möglich war.

 

 

Joh 7,16-17

 

Die religiösen Führer gingen davon aus, daß jeder, der sich in der Schrift auskannte, entweder in einer traditionellen Schule studiert hatte oder Autodidakt war. Doch Jesu Antwort wies ihnen noch einen dritten Weg. Seine Lehre war von dem, der ihn gesandt hatte (vgl. Joh 12,49-50;14,11.24 ). Gott selbst hatte Jesus gelehrt, und damit die Menschen Jesu Lehre verstehen konnten, mußte Gott auch sie lehren ( Joh 6,45 ). Um Jesus richtig beurteilen zu können, muß man bereit sein, Gottes Willen zu tun . Gottes Wille für die Menschen aber ist Jesus, daher müssen sie an ihn glauben ( Joh 6,29 ). Der Glaube ist die Voraussetzung für das Verständnis. Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen ( Hebr 11,6 ).

 

 

Joh 7,18

 

Wenn Jesus Autodidakt ( von sich selbst aus geredet hätte) oder ein Genie gewesen wäre, hätte sein Wirken eine Selbsterhöhung bedeutet. So aber suchte er darin nicht seine eigene Ehre . Die ursprüngliche Bestimmung der Menschen ist es, Gott zu verherrlichen (seine Ehre zu suchen) und sich an ihm zu freuen. Jesus tut und ist in jeder Hinsicht alles das, was die Menschen tun und sein sollten. Alles, was er will, ist, den Vater angemessen zu vertreten ( Joh 1,18 ). Er ist wahrhaftig (d. h. zuverlässig; vgl. Joh 7,28;8,26 ) und ohne jede Ungerechtigkeit .

 

 

Joh 7,19

 

Jesu Hörer prahlten mit dem mosaischen Gesetz ( Joh 9,28 ), doch Jesus wandte sich gegen ihre religiöse Überheblichkeit. Sie waren überzeugt, das Gesetz zu halten, doch in Wirklichkeit waren ihre Herzen (Gedanken) böse ( Mk 7,6-7.20-22; Mt 5,21-22 ). Jesus kannte sie ( Joh 2,24-25 ) und wußte, daß ihr Haß sie bis zum Mord führen würde.

 

Joh 7,20

 

Statt Buße zu tun, schmähten ihn die Menschen jedoch und warfen ihm vor, er sei besessen . Dasselbe hatte das Volk auch von Johannes dem Täufer gesagt ( Mt 11,18 ). Seinen Halbbrüdern hatte Jesus erklärt, daß die Welt ihn hasse ( Joh 7,7 ), weil "das Licht haßt, wer Böses tut" ( Joh 3,20 ). Ihn, den von Gott Gesandten, als "besessen" zu bezeichnen, heißt, das Licht Finsternis zu nennen (vgl. Joh 8,48.52;10,20 ). Die Menschen leugneten, daß sie ihn töten wollten, obgleich sie vor noch nicht allzu langer Zeit den Versuch gemacht hatten, eben dies zu tun ( Joh 5,18 ). (Vgl. Petrus, der bestritt, daß er Jesus verleugnen würde; Mk 14,29 .)

 

 

Joh 7,21-23

 

Das einzige Werk , auf das Jesus sich hier bezog, war die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda, die er bei seinem letzten Aufenthalt in Jerusalem vollbracht hatte ( Joh 5,1-18 ). Um diese an einem Sabbat geschehene Tat entbrannte eine hitzige Debatte. Die Beschneidung ist ein religiöser Ritus, der auf die Zeit vor Mose zurückgeht. Abraham hatte sie als Zeichen des Bundes eingeführt ( 1Mo 17,9-14 ). Mose hatte die Beschneidung dann in das levitische System, d. h. unter das Gesetz, aufgenommen. Bei ihm heißt es: "Und am achten Tage soll man ihn beschneiden" ( 3Mo 12,3 ). Wenn nun dieser Tag auf einen Sabbat fiel, geriet man automatisch in Widerspruch zu dem Gebot, den Sabbat zu heiligen. Trotzdem führten die Juden auch am Sabbat Beschneidungen durch. Sie hatten mithin keinen Grund, Jesus zu zürnen.

 

 

Joh 7,24

 

Ihr Problem war, daß sie die Schrift nur oberflächlich verstanden. Sie stritten sich um Kleinigkeiten, daher entging ihnen häufig das wesentliche (vgl. Mt 23,23; Joh 5,39-40 ). Ihr Urteil war zu stark von dem bestimmt, was vor Augen lag. Demgegenüber forderte Jesus sie nun auf, gerecht zu richten . Darin lag ein letzter Aufruf zur Umkehr. Ihr mangelndes Begreifenrührte nicht zuletzt von ihrer Feindseligkeit gegenüber dem Stellvertreter Gottes her. Sie lebten in der Finsternis und gingen in die Irre.

 

Joh 7,25-26

 

Einige der Jerusalemer Juden, die von der Verschwörung gegen Jesus wußten, waren überrascht über diesen kühnen öffentlichen Auftritt. Doch die Führer unternahmen nichts, obwohl sie es angedroht hatten. Warum nicht? Waren sie anderen Sinnes geworden? Das Volk war verwirrt über die mangelnde Konsequenz seiner religiösen "Oberhirten". Die Menschen erwarteten, daß Jesus, wenn er ein Verführer war, gefangengenommen wurde, oder daß er, wenn er der Messias war, in seiner Messianität anerkannt wurde.

 

Joh 7,27

 

Es herrschte allerdings die allgemeine Ansicht, daß Jesus nur ein galiläischer Zimmermann aus Nazareth sei. Die Menschen gingen davon aus, daß die Herkunft des Messias ( der Christus ) unbekannt bleiben würde. Wer das Evangelium liest, dem wird die Ironie, die in dieser Fehleinschätzung liegt, sehr rasch klar. Jesus war weit mehr als ein Galiläer; er war der Logos , in Bethlehem von einer Jungfrau geboren. Da die Menschen jedoch Josef für seinen Vater hielten, war seine Herkunft den meisten tatsächlich unbekannt.

 

 

Joh 7,28-29

 

Daß Jesus die folgenden Worte rief , war das Zeichen für eine feierliche Verkündigung (vgl. Joh 1,15;7,37;12,44 ). Er reagierte damit auf das, was die Menschen von ihm zu wissen glaubten ( Joh 7,27 ). Seine Herkunft war vom Vater, der ihn gesandt hat und wahrhaftig ("verläßlich"; vgl. V. 18 ; Joh 8,26 ) ist. Jesus kannte den Vater, weil er von ihm abstammte ( Joh 1,1.14.18 ) und von ihm gesandt war, seine Feinde aber kannten weder den Vater noch ihn ( Joh 1,18; vgl. Mt 11,27 ).

 

 

Joh 7,30

 

Diese Unterstellung brachte die Jerusalemer dermaßen auf, daß sie versuchten, Jesus zu ergreifen ( piazO , gefangennehmen; vgl. V. 32.44 ; Joh 8,20;10,39 ). Doch der Vater hatte die Zeit und den Ort für das Offenbarwerden Jesu (seinen Tod) festgesetzt, und bis dahin sollte alles, was geschah, nur diesem einen Ziel dienen. Niemand legte Hand an ihn, denn der Vater schützte ihn vor dem Zugriff seiner Feinde.

 

 

Joh 7,31

 

Viele aus dem Volk kamen durch Jesu Worte aber auch zum Glauben an ihn. Wer solche Zeichen tat, mußte etwas Ungewöhnliches sein. Ganz sicher würde der Messias nicht mehr Wunder tun können als dieser. Trotzdem war der Glaube der Menschen an Jesus als den Messias noch sehr zögernd und tastend und enthielt noch nicht den Gedanken an seinen Sühnetod.

 

 

Joh 7,32

 

Da sich so viele aus dem Volk Jesus zuwandten, sahen die Pharisäer als Wächter der jüdischen Tradition (vgl. den Kommentar zu den Pharisäern bei Joh 1,24-25 ) ihre Lehren in Gefahr (vgl. Mk 7,1-23 ). Ihnen war klar, daß bald etwas geschehen mußte. Die Hohenpriester waren die obersten Priester. Ergreifen ist im Griechischen dasselbe Wort ( piazO ) wie in Joh 7,30.44; 8,20 und Joh 10,39 .

 

 

Joh 7,33

 

Während der Plan zur Gefangennahme Jesu allmählich konkretere Formen annahm, fuhr Jesus fort zu lehren. Dem Volk blieb nur noch eine kleine Zeit , um zu einer Entscheidung über ihn zu kommen. Diese Zeitspanne war nicht von den Machthabern, sondern von Gott gesetzt. Wenn Jesus seinen Auftrag in der Welt erfüllt hatte, würde er zum Vater zurückkehren.

 

 

Joh 7,34

 

Ihr werdet mich suchen war eine Prophezeiung, daß das jüdische Volk sich nach dem Messias sehnen würde. Dieser Zustand ist auch eingetreten, allerdings in Unkenntnis der Tatsache, daß in Jesus der ersehnte (vgl. Sach 12,10-13; Offb 1,7 ) Messias bereits zur Welt gekommen ist. Jetzt war die Gelegenheit da, sich für ihn zu entscheiden, später würde es zu spät sein. Jesus fuhr auf in den Himmel, wo die Ungläubigen nicht hinkommen können (vgl. Joh 8,21 ). Den Menschen, die heute leben, ist die einzigartige Möglichkeit, den Messias von Angesicht zu Angesicht zu sehen, nicht vergönnt.

 

 

Joh 7,35

 

Doch wieder einmal waren Jesu Worte den Juden (vgl. V. 15.31.41 - 42 )ein Rätsel. Wo konnte er hingehen, wo sie ihn nicht fänden? Weil sie von der Erde waren, konnten sie nur irdische Gedanken denken (vgl. Jes 55,8 ). Manche Juden hatten sich außerhalb Palästinas, irgendwo im riesigen römischen Reich oder noch weiter entfernt, angesiedelt; manche waren sogar bis nach Babylon gekommen. Sie lebten in der Zerstreuung unter den Griechen . "Griechen" bedeutet hier nicht nur Griechen oder griechisch Sprechende, sondern ganz allgemein Nicht-Juden oder Heiden (vgl. "Griechen" und "Juden" in Kol 3,11 ). Die Frage lautete also: "Wird Jesus die Heiden lehren ?" Ohne daß sie es wußten, war ihre Frage eine Prophezeiung der weltweiten Ausbreitung des Evangeliums nach Jesu Himmelfahrt.

 

Joh 7,36

 

Da sie Jesus nicht verstanden hatten, wiederholten sie ihre Frage nochmals.

 

 

c. Der letzte Tag des Festes

( 7,37 - 52 )

 

Joh 7,37

 

Zu den Ritualen des Laubhüttenfestes gehörte unter anderem eine jeden Tag stattfindende, feierliche Prozession vom Tempel zum Gihonbrunnen. Dort füllte ein Priester einen goldenen Henkelkrug mit Wasser, während der Chor Jes 12,3 sang. Dann kehrte der Zug zum Altar zurück, und das Wasser wurde ausgegossen. Dieses Ritual erinnerte an das Felsenwunder während Israels Aufenthalt in der Wüste ( 4Mo 20,8-11; Ps 78,15-16 ) und wies voraus auf die kommenden Tage des Messias (vgl. Sach 14,8.16-19 ). Der siebte und letzte Tag des Festes war gleichzeitig der höchste (vgl. 3Mo 23,36 ). An diesem Tag trat auch Jesus auf . Er stand während seiner Ansprache, im Gegensatz zu der üblichen Haltung der Rabbis, die sitzen blieben, wenn sie lehrten. Das "Rufen" (vgl. Joh 1,15;7,28;12,44 ) war stets die Ankündigung einer feierlichen Aussage. Sein Angebot "wen da dürstet, der komme zu mir und trinke" war ein Heilsangebot (vgl. Joh 4,14;6,53-56 ).

 

 

Joh 7,38

 

Ströme lebendigen Wassers werden von dem Leib dessen fließen , der an Jesus glaubt. D. h., er wird eine ständige Quelle der Zufriedenheit in sich haben, die ihm Leben spendet (vgl. Joh 4,14 ). Jesus fügte noch hinzu: wie die Schrift sagt , doch er bezeichnete die Schriftstelle, an die er hier dachte, nicht genauer. Vielleicht bezog er sich auf Ps 78,15-16 oder Sach 14,8 (vgl. Hes 47,1-12; Offb 22,1-2 ).

 

 

Joh 7,39

 

Der Evangelist erklärt, daß das "lebendige Wasser" (V. 38 ), von dem Jesus hier spricht, das kommende Geschenk des Heiligen Geistes sei. Der Geist befriedigt das Bedürfnis des Glaubenden nach Gott und erneuert, leitet und bevollmächtigt ihn. Die Wendung "denn der Geist war noch nicht da" steht schon in den ältesten griechischen Handschriften, darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht wörtlich verstanden werden. Auch unter den Menschen des Alten Testaments hatte der Geist bereits gewirkt. Jesus sprach hier von dem besonderen Werk der Taufe, der Versiegelung und des Innewohnens des Geistes in den Menschen des Kirchenzeitalters, das an Pfingsten begann ( Apg 1,5.8 ). Er versprach, denen, die ihm nachfolgten, "den Geist zu senden" ( Joh 15,26;16,7 ). Daß dieser Geist "noch nicht da" war, bedeutete, daß er noch nicht ständig in den Gläubigen Wohnung genommen hatte (vgl. Ps 51,11 ). Das geschah erst nach Jesu Verherrlichung , d. h. nach seinem Tod, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. "Verherrlicht", "Herrlichkeit" und "verherrlichen" sind wiederum Schlüsselwörter im Johannesevangelium ( Joh 7,39;11,4;12,16.23.28;13,31-32;14,13;15,8;16,14;17,1.4-5.10 ).

 

 

Joh 7,40-41

 

Das Volk stritt sich weiterhin über Jesu Identität. Einige sahen in ihm den Propheten , den Mose angekündigt hatte ( 5Mo 18,15.18 ). Tatsächlich war Jesus dieser verheißene Prophet ( Apg 3,22 ), doch viele erkannten ihn nicht an. Zwar hielten ihn manche sogar für den Christus , d. h. den Messias, doch wieder andere glaubtenes nicht, weil sie wußten, daß er aus Galiläa kam (vgl. Joh 7,52 ).

 

 

Joh 7,42

 

Nach den Prophezeiungen bei Samuel und Jesaja ( 1Sam 7,16; Jes 11,1 ) sollte der Messias aus dem Geschlecht Davids kommen. Micha sagte voraus, daß er in Bethlehem, wo David war, geboren würde ( Mi 5,1 ). Jesus war aus dem Geschlecht Davids ( Mt 1,1-17; Lk 3,23-38; Röm 1,3 ), und er war auch in Bethlehem zur Welt gekommen ( Mt 2,1-6 ), doch die Menschen übersahen diese Tatsachen.

 

 

Joh 7,43-44

 

Da das Volk nach wie vor geteilter Meinung über seine Person war, konnte Jesus seine Lehre fortsetzen, ohne sofort gefangengenommen zu werden ( ergreifen , piazo, vgl. V. 30.32 ; Joh 8,20;10,39 ). Viele seiner Zuhörer waren ihm wohlgesonnen, wenn sie sich auch nicht für die Nachfolge entschieden (vgl. Joh 7,12.31.40-41 ). Seine Feinde mußten sich deshalb vorsehen, wenn sie keinen Aufstand riskieren wollten. Eine Zeitlang legte daher niemand Hand an ihn . Auch später kam es noch zweimal zu einer Spaltung der öffentlichen Meinung über Jesus ( Joh 9,16;10,19-21 ).

 

 

Joh 7,45-46

 

Die Knechte , die Jesus gefangennehmen sollten (V. 32 ), kehrten unverrichteter Dinge zurück. Auf die Frage der Hohenpriester und Phärisäer, warum sie ihn nicht mitgebracht hatten, antworteten sie: Noch nie hat ein Mensch so geredet wie dieser . Wörtlich lautete ihre Antwort: "Noch nie sprach ein solcher Mensch", was darauf hindeutet, daß sogar diese Vollzugsbeamten das Ungewöhnliche, das Jesus ausstrahlte, spürten und das Gefühl hatten, daß er mehr als ein Mensch war. Die Evangelien zeigen Jesus häufig als höchst beeindruckenden Lehrer und Redner (z. B. Mt 7,28-29;22,46 ). Er traf zwar auf sehr viel Widerstand, doch viele, die ihn hörten, wurden zutiefst von seinen Worten berührt (vgl. Joh 7,15;12,19 ).

 

 

Joh 7,47-48

 

Die Frage der Pharisäer an die Wachen "glaubt denn einer von den Oberen oder den Pharisäern an ihn?" war ein Beweis für ihre intellektuelle Überheblichkeit. Sie hielten sich für zu gebildet (V. 15 ), um einem Demagogen zu erliegen. Dabei glaubte eine ganze Reihe der Oberen durchaus an Jesus ( Joh 12,42;19,38-39 ), wenngleich die Führungsschicht im allgemeinen eifersüchtig auf seine Beliebtheit beim Volk war ( alle Welt läuft ihm nach ; Joh 12,19 ).

 

 

Joh 7,49

 

Sie führten diese Popularität auf die Unwissenheit der Massen zurück, die nicht erkennen konnten, daß sie getäuscht wurden. Nach Ansicht der Pharisäer kannte die Menge (das Volk) das Gesetz nicht und konnte ihm daher auch nicht gehorchen. Da sie aber dem Gesetz nicht gehorchten, waren diese einfachen Leute zwangsläufig verflucht ( 5Mo 28,15 ). Die Ironie dieser Situation lag darin, daß die Pharisäer, und nicht etwa das Volk, unter Gottes Zorn standen, denn sie waren es, die seine Offenbarung in Jesus verworfen hatten ( Joh 3,36 ).

 

 

Joh 7,50-51

 

Das mosaische ( 5Mo 1,16-17 ) und das rabbinische Gesetz legten fest, daß eine Person, die eines Verbrechens angeklagt war, verhört wurde, bevor man über sie richtete. Hier tat sich vor allem Nikodemus als ein um Gerechtigkeit bemühter Mann hervor, der verhindern wollte, daß der Hohe Rat ein falsches oder übereiltes Urteil über Jesus fällte. Er hatte persönlich mit ihm gesprochen und wußte, daß er von Gott kam ( Joh 3,1-2; vgl. Joh 12,42;19,38-39 ).

 

 

Joh 7,52

 

Obwohl Nikodemus ein vom Volk geachteter Lehrer war ( Joh 3,10 ), wurde er wegen seiner ausgleichenden Haltung von den Mitgliedern des Hohen Rats angegriffen. Ihre Vorurteile und ihr Haß gegen Jesus waren bereits so groß, daß sie keinen Vernunftgründen mehr zugänglich waren. Man warf Nikodemus vor, ebenso unwissend zu sein wie die Galiläer. Aus Galiläa steht kein Prophet auf , hieß es, daher kann auch der messianische Prophet nicht aus Galiläa kommen (vgl. Joh 7,41 ).

Anmerkung zu Joh 7,53-8,11 :

 

 

Joh 7,53-8,11

 

Fast alle Neutestamentler stimmen darin überein, daß die folgenden Verse nicht zum ursprünglichen Manuskript des Johannesevangeliums gehören. Auch in der Lutherausgabeist die Bemerkung hinzugefügt: "Der Bericht Joh 7,53-8,11 ist in den ältesten Textzeugen des Johannes-Evangeliums nicht enthalten." Stil und Vokabular dieses Abschnitts unterscheiden sich vom übrigen Text des Evangeliums, außerdem unterbricht er die Erzählung von Joh 7,52-8,12 .Möglicherweise handelt es sich hier um eine mündliche Überlieferung, die dem griechischen Manuskript später hinzugefügt wurde. Zu weiteren Ausführungen zu diesem Problem vgl. den Anhang vor der Bibliographie zum Johannesevangelium.

 

 

d. Jesus als das Licht der Welt

( 8,12 - 59 )

 

Ein wichtiger Bestandteil des Laubhüttenfestes war das Anzünden riesiger Lampen im Frauenhof des Tempels (vgl. die Skizze des Tempelbereichs). Die Dochte für die Kerzen wurden aus den abgelegten Kleidungsstücken der Priester gefertigt. Ihr Licht erhellte den gesamten Tempelbereich, wo die Menschen sich versammelten, um zu beten und zu tanzen. Das Fest sollte die Juden daran erinnern, wie Gott sie auf ihrer Wanderung durch die Wüste in einer Wolkensäule, die nachts zur Feuersäule wurde, begleitet hatte ( 4Mo 9,15-23 ).

 

 

Joh 8,12

 

Diese Rede ist die Fortsetzung der öffentlichen Rede, die Jesus im Tempel in Jerusalem hielt. Sehr passend zum Laubhüttenfest, an dem die großen Lampen brannten, sagte er: Ich bin das Licht der Welt (vgl. Joh 1,4.9;12,35.46 ). Er sprach damit von der Rettung der Welt. Die Welt lebte in Finsternis - ein Symbol für das Böse, die Sünde und Unwissenheit ( Jes 9,2; Mt 4,16;27,45; Joh 3,19 ). Das "Licht" ist in der Bibel ein Symbol Gottes und seiner Heiligkeit ( Apg 9,3; 1Joh 1,5 ). Jesus nun ist " das Licht" schlechthin, nicht nur ein Licht bzw. ein Licht unter vielen. Er ist das einzige Licht, "das wahre Licht" ( Joh 1,9 ) der ganzen Welt. Mit wer mir nachfolgt meinte er die Gläubigen, alle, die ihm gehorchten (vgl. Joh 10,4-5.27;12,26;21,19-20.22 ).

 

 

Zu Christus zu kommen, um gerettet zu werden, heißt, von nun an ein anderes Leben zu führen. Ein Glaubender wird nicht wandeln in der Finsternis , d. h., er wird nicht in der Finsternis leben (vgl. Joh 12,46; 1Joh 1,6-7 ). Er steht nicht mehr unter der Herrschaft des Bösen und der Unwissenheit ( Joh 12,46 ), denn Christus ist sein Licht und sein Heil (vgl. Ps 36,10 ).

 

 

Joh 8,13

 

Wieder erhoben die Pharisäer Einspruch. Da Jesus hier als sein eigener Zeuge auftrat, behaupteten sie, sein Zeugnis sei nicht wahr. Es stimmt, daß ein solches Selbstzeugnis in manchen Fällen nicht akzeptiert werden kann. So verlangte das jüdische Gesetz bei schweren Verbrechen zwei unabhängige Zeugen ( 5Mo 17,6; 5Mo 19,15; Joh 8,17 ). Auch in der rabbinischen Tradition hatte eine Aussage zu den eigenen Gunsten keinen Wert.

 

 

Joh 8,14

 

Manchmal ist ein solches Zeugnis jedoch der einzige Weg zur Wahrheit, weil nur der Betreffende die Wahrheit über sich selbst kennt. Für Gott kann nur Gott selbst Zeugnis ablegen. Auch Jesus war qualifiziert, wahres Zeugnis über sich abzulegen, weil er selbst Gott war und wußte, woher er kam und wohin er gehen würde ( Joh 7,29 ). Die Pharisäer glaubten zwar, Jesus zu kennen, doch in Wirklichkeit wußten sie nichts über seine Herkunft vom Himmel und seine Bestimmung (vgl. Joh 7,33-34 ) und waren daher keineswegs geeignet, über ihn zu richten.

 

 

Joh 8,15

 

Ihr Urteil richtete sich, wie Jesus sagte, nach dem Fleisch , d. h., sie beschränkten sich auf das oberflächliche Erscheinungsbild. Auch bei Jesus sahen sie nur das "Fleisch", die irdische Erscheinung, nicht seine Gottheit, und gingen deshalb verhängnisvoll in die Irre. Doch Jesus war nicht gekommen, um die Menschen zu richten , sondern um sie zu retten ( Joh 3,17 ). Wenn er richten wird - in der Zukunft - wird er auf der Grundlage der Wahrheit und des Gesetzes den Willen des Vaters ausführen (vgl. Joh 5,27.45 ). Er selbst wird niemand richten .

 

 

Joh 8,16

 

Jesu Richteramt unterschied sich also vollkommen von dem der Pharisäer. Sie steckten voller Vorurteile und Wahrnehmungsfehler. Er aber richtet nicht von sich aus, sondern aufgrund seiner einzigartigen Einheit mit dem Vater . So zeugte er auch nicht allein für sich, sondern mit göttlicher Autorität.

 

 

Joh 8,17-18

 

Die Wendung "in eurem Gesetz" bezieht sich wahrscheinlich auf 5Mo 17,6 und 5Mo 19,15 (oder auch auf rabbinische Vorschriften), nach denen eine Aussage jeweils von zwei Zeugen bestätigt werden mußte. Jesus konnte jedoch nur von Gott bestätigt werden. Gott, der Sohn, und Gott, der Vater, sind die beiden Zeugen, die notwendig sind, um die Tatsache der Messianität Jesu zu bestätigen. Der Vater sandte Jesus und legitimierte ihn durch die Zeichen (Wunder), die er vollbrachte.

Johannes

 

Joh 8,19

 

Jesu Aussage, daß Gott sein Vater sei, war sehr ungewöhnlich (vgl. Joh 5,18 ), und die Juden waren denn auch völlig verwirrt von dieser vertrauten Anrede für einen Gott, dessen Namen sie kaum auszusprechen wagten. Sie fragten: "Wo ist dein Vater?" Sprach Jesus, wie es den Anschein hatte, von Gott, oder von seinem menschlichen Vater? Ihre Unwissenheit in bezug auf Jesus offenbarte auch ihre Unwissenheit in bezug auf Gott, denn Jesus war die Offenbarung des Vaters (vgl. Joh 1,14.18;14,7.9 ).

 

 

Joh 8,20

 

Diese Worte redete Jesus an dem Gotteskasten, als er lehrte im Tempel . Jesus war einfach in den Tempel, höchstwahrscheinlich in den Frauenhof (vgl. die Skizze bei Joh 8,12; vgl. Mk 12,41-42 ), gegangen und hatte begonnen, die Menschen zu lehren. Und niemand ergriff ( piazO ) ihn (vgl. Joh 7,30.32.44;10,39 ), denn, wie Johannes immer wieder hervorhebt, er richtete sich ganz nach dem Willen und Zeitplan seines Vaters (vgl. Joh 2,4;7,6.30;12,23.27;13,1;17,1 ).

 

 

Joh 8,21

 

Da die Zeit seines Aufenthalts auf der Erde kurz war, war auch die Gelegenheit für die Menschen, zum Glauben an ihn zu finden, begrenzt. Schon bald würde er zu seinem Vater zurückgehen, wohin sie ihm nicht folgen konnten (vgl. Joh 7,33-34 ). Ihr werdet in eurer Sünde sterben . Der Singular "Sünde" bezieht sich auf die Sünde, den, der ihnen die Rettung bringen wollte, verworfen zu haben (vgl. Joh 16,9 ). Sie würden "sterben", weil sie weiterhin unter der Herrschaft der Sünde lebten. Doch der physische Tod sollte nur das Vorspiel für die ewige Trennung von Gott sein.

 

 

Joh 8,22

 

Ihre Frage "will er sich denn selbst töten?" beruhte auf einem Mißverständnis und war zugleich eine ironische Prophezeiung. Sie fragten sich, ob Jesus vorhatte, Selbstmord zu begehen und sich auf diese Weise ihrem Zugriff zu entziehen. (Zuvor hatten sie gedacht, er spreche davon, zu den Heiden in andere Länder zu gehen und sie zu lehren; Joh 7,35 .) Jesus tötete sich zwar nicht selbst, doch er ließ sein Leben ( Joh 10,11.18 ).

 

 

Joh 8,23

 

Wieder wies Jesus sie auf seine Herkunft vom Himmel und auf sein wirkliches Zuhause hin ( von oben ... nicht von dieser Welt ). Die Menschen gehörten in diese Welt ( von unten ), er jedoch nicht.

 

 

Joh 8,24

 

Zweimal sagte er ihnen, daß sie sterben werden in ihren Sünden (vgl. diesen Plural mit dem Singular "Sünde" in V. 21 ). Wenn sie den, der dieSünde auf sich nehmen wollte ( Joh 1,29 ), ablehnten, würden sie unter der Herrschaft der Sünde bleiben und sich ihrer einzigen Hoffnung auf Rettung berauben. Wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin bezieht sich auf das rätselhafte "Ich bin", eine Selbstaussage Gottes in ganz bestimmten Situationen (vgl. Jes 43,10-11 ,LXX).

 

 

Joh 8,25

 

Diese "Ich bin"-Offenbarung Jesu verwirrte die Juden jedoch nur noch mehr, und seine Worte über die Sünde ärgerten sie vermutlich. Sie fragten ihn: Wer bist du denn? Und er antwortete: Zuerst das, was ich euch auch sage. (In anderen Übersetzungen wurde aus diesem problematischen griechischen Satz manchmal eine Frage oder auch ein Ausruf gemacht.)

 

Joh 8,26-27

 

Jesus hätte noch viel mehr sagen und seine Zuhörer auch verurteilen können, doch er war gekommen, ihnen und der Welt Nachricht von dem, der ihn gesandt hatte, zu bringen. Seine Botschaft war wahr, weil der, von dem er sie gehört hat, wahrhaftig ist (vgl. Joh 7,18.28 ). Der Evangelist fügt noch hinzu, daß die Menschen nicht verstanden, daß er zu ihnen vom Vater sprach . Weil sie nichts von Gott wußten, verstanden sie auch Jesus nicht (vgl. Joh 1,18 ).

 

 

Joh 8,28

 

Im Moment war Jesus den Menschen noch unbekannt. Erst die Kreuzigung ( wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet ; vgl. Joh 3,14;12,32 ) sollte ihnen die Augen dafür öffnen, wer er wirklich war. Das Kreuz bedeutete nicht, daß alle gerettet würden, doch es würde den Menschen offenbaren, daß Jesus das Wort Gottes (der Logos ) war und daß er sie lehrte, was ihn der Vater gelehrt hat .

 

 

Joh 8,29

 

Jesu Einheit mit dem Vater beruht auf Liebe und fortgesetztem Gehorsam (vgl. Joh 4,34;5,30 ). Die Menschen verwarfen Jesus, doch der Vater wird ihn nie verlassen. Jesus ist niemals allein und wurde selbst am Kreuz vom Vater verherrlicht (vgl. Joh 16,32;17,5 ).

 

 

Joh 8,30

 

Trotz des weitverbreiteten Unglaubens und der offiziellen Ablehnung brachte Jesus durch sein Wirken viele Menschen zum Glauben (vgl. Joh 7,31 ). Doch dieser Glaube mußte noch geprüft und geläutert werden. Die Worte "viele glaubten an ihn" stehen im Gegensatz zum folgenden Vers. Viele nahmen Jesus zwar an, doch viele fielen auch von ihm ab.

 

 

Joh 8,31-32

 

Die Wendung "Juden, die an ihn glaubten" deutet darauf hin, daß manche Menschen Jesus zwar zuhörten, sich ihm jedoch nicht persönlich verpflichteten (vgl. Joh 6,53 ). Es war möglich, an die Botschaft der Buße und des kommenden Gottesreiches zu "glauben", ohne wiedergeboren zu werden. Das Merkmal der wahren Nachfolger und Jünger ist es jedoch, in der Wahrheit zu bleiben. Wenn sie seine Botschaft wirklich verstanden hatten, würden sie die rettende Wahrheit finden und ihr Wissen würde sie von der Knechtschaft der Sünde befreien.

 

 

Joh 8,33

 

Doch die Antwort der Menschen auf diese befreiende Botschaft war ein Beweis dafür, wie wenig sie Christus verstanden hatten. Obwohl die Juden unter römischer Verwaltung lebten, bestanden sie darauf, daß sie als Abrahams Kinder frei seien. Wie konnte Jesus sie aber befreien, wenn sie niemandes Knechte waren? Sie hatten kein Gefühl für die Sünde, in der sie gefangen waren.

 

 

Joh 8,34

 

Dreimal in diesem Kapitel (V. 34.51.58 ) gebrauchte Jesus die Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 ). Wer sündigt, beweist damit, daß er unter der Knechtschaft der Sünde steht. Die Sünde ist ein grausamer Herr. Auch Paulus verwendete dieses Bild später ( Röm 6,15-23 ).

 

 

Joh 8,35

 

Wie Ismael, Abrahams Sohn von der Sklavin Hagar, aus dem Haus getrieben wurde ( 1Mo 21,8-21 ), so sind die, die in der Knechtschaft der Sünde leben, in Gefahr. Isaak aber war der Sohn, der zum Haus gehörte und daher auch im Haus blieb. Waren die Juden nun wie Ismael oder wie Isaak? Hier ging es nicht um die Abstammung, sondern um die geistige Verwandtschaft.

 

 

Joh 8,36

 

Jesus ist der wahre Sohn und Nachkomme Abrahams ( Gal 3,16 ). Erbleibt im Haus und herrscht über seinen Besitz ( Hebr 3,6 ). Wenn die Menschen durch den Glauben an Christus, den Sohn, Söhne Gottes werden, können sie wirklich frei werden ( Gal 3,25-26 ).

 

Joh 8,37

 

Von der Abstammung her gesehen sind die Juden selbstverständlich Abrahams Kinder . Doch ihr Versuch, Jesus, den wahren Sohn Abrahams, zu töten, zeigte, daß sie nicht Abrahams geistliche Nachkommen waren (vgl. Röm 2,28-29; 9,6-8; Gal 3,29 ). Sie verwarfen Jesu Botschaft ( mein Wort ).

 

Joh 8,38

 

Jesus redete, was er vom Vater gesehen hatte (vgl. V. 28 ), daher waren seine Worte Gottes Wahrheit. Die Menschen aber waren dem abgeneigt, was er sagte, weil sie auf ihren Vater (Satan; V. 44 ) hörten und ihm folgten. Noch hatte Jesus ihren Vater zwar nicht beim Namen genannt, doch es war klar, von wem er sprach.

 

 

Joh 8,39

 

Auf dieses Argument hin hielten die Juden ihm entgegen, daß Abraham ihr Vater sei, doch Jesus antwortete ihnen, daß die geistlichen Nachkommen Abrahams auch die Werke Abrahams täten, d. h., daß sie Gott glaubten und ihm gehorchten. Sie sollten in Glauben auf die Botschaft vom Himmel reagieren und tun, was er sagte. Johannes der Täufer hatte sie bereits vor der Gefahr, sich allzusehr auf ihre abrahamitische Abstammung zu verlassen, gewarnt ( Lk 3,8 ).

 

Joh 8,40

 

Statt diesen eindringlichen Mahnungen zu gehorchen, verwarfen die Menschen den Boten vom Himmel und versuchten, den zu töten, der ihnen Gottes Wort brachte. Das hat Abraham nicht getan ; er hatte den Geboten Gottes gehorcht (vgl. 1Mo 12,1-9;15,6;22,1-19 ).

 

 

Joh 8,41

 

Da also die Werke der Juden anders waren, mußte auch ihr Vater (vgl. V. 38 ) ein anderer sein. Sie konnten Jesu zwingender Logik nur ausweichen, indem sie bestritten, illegitime Nachkommen eines irdischen Vaters zu sein, und statt dessen einen himmlischen Vater für sich beanspruchten. Mit ihrer Leugnung "wir sind nicht unehelich geboren" spielten sie möglicherweise auf Jesu Geburt an.

 

 

Joh 8,42

 

In einer wirklichen Familie lieben die Menschen einander jedoch ( 1Joh 5,1 ). Wenn Gott also tatsächlich der Vater der Juden wäre und sie ihn wirklich liebten (die griechische Formulierung geht davon aus, daß sie das nicht tun), hätten sie auch Jesus geliebt, denn er ist von Gott ausgegangen . Wieder bekräftigte Jesus sein Amt als Stellvertreter Gottes: Der Vater hat ihn gesandt .

 

 

Joh 8,43

 

Jesus, der Logos , sprach zu den Menschen, doch ihr prinzipielles Widerstreben ließ sie ihn ständig mißverstehen. Weil ihr mein Wort nicht hören könnt , bezieht sich auf ihre grundsätzliche geistliche Unfähigkeit, richtig auf Jesus zu reagieren. Paulus schrieb später: "Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen" ( 1Kor 2,14 ).

 

 

Joh 8,44

 

Der Teufel ist der Feind des Lebens und der Wahrheit. Durch eine Lüge brachte er den Menschen den geistlichen und den physischen Tod (vgl. 1Mo 3,4.13; 1Joh 3,8.10-15 ). Noch heute verdreht er die Wahrheit ( denn die Wahrheit ist nicht in ihm ... er ist ein Lügner und der Vater der Lüge ) und versucht, die Menschen von Gott, der Quelle der Wahrheit und des Lebens, abzubringen ( 2Kor 4,4 ). Daß die hier anwesenden Juden Jesu Tod wollten, die Wahrheit verwarfen und sich der Lüge zuwandten, war der Beweis, daß sie im Grunde Nachkommen Satans waren und seinen Wünschen gehorchten. Wie anders hätten sie sich verhalten, wäre Abraham ihr Vater gewesen!

 

 

Joh 8,45

 

Im Gegensatz zu ihnen lebte Jesus in der Wahrheit, die er auch verkündete. Da die Ungläubigen die Finsternis, nicht das Licht (vgl. Joh 3,19-20 ) - die Lüge, nicht die Wahrheit - liebten, verwarfen sie ihn.

 

 

Joh 8,46

 

Gegen Jesus wurden viele Anschuldigungen erhoben (vgl. Joh 7,12 b. 20 ). Doch er tat so ausschließlich den Willen Gottes ("denn ich tue allezeit, was ihm gefällt"; Joh 8,29 ), daß es unmöglich war, ihm irgendeine Verbindung mit der Sünde nachzuweisen: "Wer voneuch kann mich einer Sünde zeihen?" Auch daran hätte man seine Herkunft vom Himmel erkennen können. Seine zweite Frage: warum glaubt ihr mir nicht?, wird im nächsten Vers beantwortet.

 

 

Joh 8,47

 

Die Zugehörigkeit zu Gott ist die Grundlage dafür, ihn hören zu können. Es dreht sich hier nicht darum, Geräusche wahrzunehmen, sondern um den Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes. Daß die Menschen in Jesus auch das göttliche Wort so voll und ganz verwarfen, zeigte deutlich, daß sie nicht von Gott waren.

 

 

Joh 8,48

 

Die Samariter waren ein Mischvolk, deren Religion in den Augen der Juden in die Abtrünnigkeit geführt hatte (vgl. den Kommentar zu Joh 4,4 ). Jesus einen Samariter zu nennen war daher eine Beschimpfung, die ihn zum Häretiker oder Irrlehrer abstempelte. Der gleichzeitige Vorwurf, daß er einen bösen Geist habe (vgl. Joh 7,20;8,52;10,20 ), deutet darauf hin, daß seine Gegner ihn für verrückt, unrein und böse hielten. Auch hier springt die Ironie ins Auge: Nachdem Jesus den Menschen gesagt hatte, daß ihr Vater der Teufel sei ( Joh 8,44 ), warfen sie ihm vor, er sei von Dämonen besessen!

 

 

Joh 8,49-50

 

Doch Jesu Aussagen waren nicht die eines Besessenen. Ihm ging es nicht um Selbsterhöhung, sondern darum, seinen Vater zu ehren . Der Versuch der Menschen, dem Sohn die Ehre zu nehmen , war gleichzeitig ein Angriff auf den Vater. (Vgl. Hanuns Schändung der Boten Davids, die gleichzeitig eine Schändung des Königs war; 1Sam 10,1-6 .)

Als er angeklagt wurde, unternahm Jesus nichts, um sich zu rechtfertigen (vgl. Joh 8,54 ). Er übergab seinen Fall dem himmlischen Richter, in dem Wissen, daß sein Vater, wenn die Menschen ihn zu Unrecht verurteilten, das Urteil aufheben und ihn rechtfertigen würde.

 

 

Joh 8,51

 

Wieder sprach Jesus: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch (vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 ). Wer mein Wort hält , ist eine Umschreibung für die positive Antwort der Menschen auf seine Botschaft. (Ähnliche Formulierungen sind: sein Wort "hören", Joh 5,24 und an seinem Wort "bleiben", Joh 8,31; sie sind gleichbedeutend mit dem "Befolgen" oder "Erfüllen" des Wortes.) Wer Jesus gehorcht, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit , d. h., er wird nicht für immer von Gott getrennt werden (vgl. Joh 3,16;5,24 ).

 

 

Joh 8,52-53

 

Jesu Widersacher glaubten jedoch, daß er vom physischen Tod spräche. "Den Tod nicht sehen" bedeutet, den Tod nicht zu schmecken (vgl. Hebr 2,9 ). Weil Abraham und die Propheten jedoch gestorben waren, kamen sie zu dem Schluß, daß Jesus geisteskrank sei oder einen bösen Geist habe (vgl. Joh 7,20;8,48;10,20 ). Im Griechischen erfordert ihre erste Frage in Joh 8,53 eine negative Antwort: "Du bist doch wohl nicht mehr als unser Vater Abraham , oder?" Die Ironie liegt darin, daß Jesus selbstverständlich mehr war. Doch er war nicht gekommen, um seine Größe zur Schau zu stellen.

 

 

Joh 8,54

 

Wenn er sich selbst ehrte (vgl. V. 50 ), so wäre seine Ehre nichts . Doch er wird von seinem Vater gerechtfertigt werden. Wenn die, die nicht an ihn glaubten und ihm feindlich gesonnen waren, von Gott sagten " er ist unser Gott " irrten sie. Gott war der Vater von Jesus; ihr Vater war Satan.

 

Joh 8,55

 

Jesus, der mit Gott verbunden, ja eins mit ihm ist, kennt ( oida , "von innen heraus oder intuitiv kennen") ihn auch, doch seine Feinde, die keine Beziehung zu Gott haben, kennen (ginosko, "aufgrund von Erfahrung oder Beobachtung kennen") ihn nicht. Wenn Jesus Gott verleugnete, würde er zum Lügner, wie auch die Menschen logen. Aber Jesus kannte den Vater und gehorchte ihm ( halte sein Wort ; vgl. V. 52 ).

 

 

Joh 8,56

 

Die ungläubigen Juden waren keineswegs Abrahams geistliche Nachkommen (V. 39 ); wenn Jesus von ihrem Vater Abraham sprach, so bezog er sich damit lediglich auf ihre physische Abstammung. Abraham wurde froh, daß er seinen Tag , d. h. die von Gott verheißene Rettung durch den Messias ("in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden, 1Mo 12,3 ), sehen sollte . Weil er glaubte, wurde ihm ein Sohn geschenkt, Isaak, durch den der Same (Christus) kommen sollte. Was und wieviel Gott seinem Freund Abraham über die messianische Zeit offenbarte, wissen wir nicht; doch es ist sicher, daß er von der Rettung wußte, sich darüber freute und auf ihr Kommen wartete.

 

 

Joh 8,57

 

Die ungläubigen Juden wandten ein, daß jemand, der so jung war wie Jesus ( du bist noch nicht fünfzig Jahre alt ), auf keinen Fall Abraham gesehen haben konnte. (Aus dieser Bemerkung sollten jedoch keine Schlußfolgerungen auf Jesu Alter gezogen werden.) Sie konnten nicht verstehen, wie es möglich war, daß Abraham und Jesus einander begegnet waren.

 

 

Joh 8,58

 

Dann bekräftigte Jesus nochmals seine Überlegenheit über die Propheten und Abraham. Abraham kam ins Leben; doch als er wurde, existierte Jesus bereits. "Ich bin" ist ein Titel Gottes (vgl. 2Mo 3,14; Jes 41,4;43,11-13; Joh 8,28 ), und die heftige Reaktion der Juden (V. 59 ) bewies, daß sie genau verstanden, was diese Äußerung bedeutete. Da Jesus gleichen Wesens mit Gott war ( Joh 5,18;20,28; Phil 2,6; Kol 2,9 ), existierte er von Ewigkeit her ( Joh 1,1 ).

 

 

Joh 8,59

 

Diese eindeutige Aussage Jesu führte zu einer Krise. Die Menschen mußten nun entscheiden, ob er war, was er zu sein behauptete, oder ob seine Worte Gotteslästerung waren (vgl. Joh 5,18 ). Auf die Sünde der Gotteslästerung aber stand die Todesstrafe. Die Worte " aber Jesus verbarg sich " weisen möglicherweise auf eine übernatürliche Flucht Jesu hin, denn seine Stunde war noch immer nicht gekommen (vgl. Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ).

 

 

2. Die Heilung eines Blindgeborenen

( Joh 9 )

 

Jesaja hatte vorhergesagt, daß in der Zeit, in der der Messias auf Erden weilen würde, viele Zeichen geschehen würden. Er würde unter anderem auch "die Augen der Blinden öffnen" ( Jes 42,7; vgl. Jes 29,18; 35,5 ).

 

 

Tatsächlich heilte Jesus viele Blinde (vgl. Mt 9,27-31;12,22;15,30;20,29-34;21,14 ). Das Wunder in Joh 9 ist deshalb sehr wichtig, weil Jesus sich zuvor als "Licht der Welt" ( Joh 8,12 ) bezeichnet hatte. Als öffentliche Demonstration dieses Anspruchs schenkte er sodann einem Blindgeborenen das Augenlicht.

 

 

Joh 9,1

 

In Jerusalem sah Jesus einen Menschen, der blind geboren war . Daß er gerade diesen Mann auswählte, ist von großer Bedeutung (vgl. Joh 5,5-6 ), denn Jesus war in allem, was er tat, vollkommen selbstbestimmt. Die angeborene Blindheit des Mannes zeigt die offensichtliche Aussichtslosigkeit seines Falles und ist somit ein Bild für die geistliche Blindheit der Menschen von Geburt an ( Joh 9,39-41; 2Kor 4,4; Eph 2,1-3 ).

 

 

Joh 9,2-3

 

Der Blinde stellte die Jünger vor ein theologisches Problem. Da sie davon ausgingen, daß alle Krankheiten und Leiden ganz direkt auf bestimmte Sünden zurückgingen, fragten sie sich natürlich, wie ein Mensch mit einer Behinderung geboren werden konnte. Entweder mußte dieser Mann also bereits im Mutterleib gesündigt haben ( Hes 18,4 ), oder seine Eltern hatten gesündigt ( 2Mo 20,5 ). Doch Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern . Diese Aussage widerspricht jedoch nicht der Tatsache, daß die Menschen "allesamt Sünder sind" ( Röm 3,9-20.23 ). Jesus sagte vielmehr, daß die Blindheit des Mannes nicht die Folge einer bestimmten Sünde sei. Er war blind, damit an seiner scheinbaren Tragödie die Werke Gottes offenbar werden konnten (vgl. 2Mo 4,11; 2Kor 12,9 ).

 

 

Joh 9,4-5

 

"Tag" bedeutet hier die Zeit, die Gott Jesus gegeben hatte, um seinen Willen zu tun ( die Werke dessen ..., der mich gesandt hat ). In das wir sind die Jünger und alle Gläubigen miteingeschlossen. Die Nacht ist die Grenze, die diesem Wirken gesetzt ist; in Jesu Fall sein bevorstehender Tod. Als das Licht der Welt brachte Jesus den Menschen die Rettung (vgl. Joh 8,12 ). Nach seinem Tod sollten seine Jünger sein Licht weitertragen (vgl. Mt 5,14; Eph 5,8-14 ) und Christus verkündigen.

 

 

Joh 9,6-7

 

Jesus legte dem Mann Lehm auf die Augen ( er spuckte auf die Erde und machte daraus einen Brei ) - die Substanz, aus der der Mensch gemacht ist: Staub der Erde ( 1Mo 2,7 ). Der Lehm diente wahrscheinlich dazu, den Glauben des Mannes durch ein spürbares Zeichen zu stärken, nicht als Medizin. Mit der Herstellung des Lehms brach er das rabbinische Gesetz, am Sabbat keinen Lehm zu kneten (vgl. Joh 9,14 ). Dann sprach er zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt übersetzt: gesandt . Siloah lag im Südosten Jerusalems (vgl. die Karte). Der Teich wurde aus dem Gihonbrunnen gespeist, von dem aus über ein Tunnelsystem, das Hiskia hatte graben lassen, Wasser in die Stadt geleitet wurde. Dorthin wurde der Mann "gesandt", so wie Jesus vom Vater "gesandt" war. Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder .

 

 

Joh 9,8-9

 

Als die Leute ihn erblickten, fragten sie sich, ob dieser Mann tatsächlich derselbe sei wie der, der dasaß und bettelte . Wenn ja, so war es unglaublich, daß er wieder sehen konnte. Vielleicht verwechselten sie ihn? Doch er selbst sprach: Ich bin's .

 

 

Joh 9,10-12

 

Wie war das möglich? Der Blinde gab ihnen nur einen dürren Tatsachenbericht darüber, wie das Wunder geschehen war. Er sprach vom Herrn als von dem Menschen, der Jesus heißt . Da er blind war, als das Wunder geschah, hatte er keine Ahnung, wohin Jesus nach der Heilung gegangen war.

 

 

Joh 9,13-14

 

Dieses Wunder war so ungewöhnlich, daß die Juden den Geheilten zu den Pharisäern führten, die in religiösen Dingen hochangesehen waren. Deren erster Gedanke war jedoch, daß die Heilung eines Menschen (wenn er nicht in Lebensgefahr war) und das Kneten von Lehm am Sabbat eine Verletzung des Sabbatgebots darstellten.

 

 

Joh 9,15-16

 

Auch den Pharisäern erzählte der Blinde auf ihr Befragen nur kurz, was geschehen war (vgl. V. 11 ). Sie interessierte jedoch nur, daß Jesus den Sabbat "verletzt" hatte. Deshalb war er für sie ein falscher Prophet, der die Menschen zum Abfall von Gott verführte ( 5Mo 13,3-5 ). Sie kamen zu der Schlußfolgerung: Dieser Mensch ist nicht von Gott . Später bezeichneten sie Jesus sogar als "Sünder" ( Joh 9,24 ). Andere dagegen hielten die Wunder, die Jesus tat, für so beeindruckend, daß sie nicht von einem sündigen Menschen vollbracht werden konnten. (Ein falscher Prophet konnte ebenfalls Wunder vollbringen, wenn auch trügerische; vgl. 2Thes 2,9 .) Aufgrund dieser unterschiedlichen Einschätzung der Lage entstand Zwietracht unter ihnen (vgl. Joh 7,43;10,19 ).

 

 

Joh 9,17

 

Der geheilte Blinde selbst war der Ansicht, daß Jesus ein Prophet war. Die alttestamentlichen Propheten hatten manchmal Wunder vollbracht, die sie als Männer Gottes auswiesen.

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Joh 9,18-20

 

Doch noch immer glaubten die Juden nicht , daß der Mann blind gewesen war. Sie waren überzeugt, daß hier ein Mißverständnis vorlag, und sandten nach seinen Eltern . Die bestätigten ihnen jedoch, daß der Geheilte ihr Sohn und daß er blind geboren war.

 

 

Joh 9,21-23

 

Sie scheuten sich aber, weitere Aussagen über die Heilung ihres Sohnes und den, der ihn geheilt hatte, zu machen, denn die Pharisäer und andere jüdische Autoritäten ( die Juden ) hatten sich schon geeinigt , daß Jesus nicht der Messias war. Wer daher weiterhin eine solche gotteslästerliche Ansicht vertrat, dem drohte der Ausschluß aus der Synagoge . (Manche Forscher vertreten die These, daß dieser Vers erst von einem späteren Herausgeber eingefügt wurde; das ist möglich, allerdings waren derartige Maßnahmen auch zur Zeit Jesu keineswegs unvorstellbar.) Aus Angst vor den Juden schoben die Eltern des Geheilten die Verantwortung deshalb ganz allein ihrem Sohn zu, indem sie sagten, daß er alt genug sei, um für sich selbst zu reden (V. 21.23 ).

 

 

Joh 9,24

 

Daraufhin versuchten die jüdischen Machthaber, den Menschen, der blind gewesen war , dazu zu bringen, sein Zeugnis über Jesus zu widerrufen: Gib Gott die Ehre (vgl. Jos 7,19; 1Sam 6,5; Jer 13,16 ) war die Aufforderung, zuzugeben, daß er, indem er für Jesus, den sie einen Sünder nannten, Partei ergriffen hatte, schuldig geworden war. Mit den Worten " wir wissen " setzten sie ihn unter Druck. Es kommt häufig vor, daß der Unglaube auf seine Wissenschaftlichkeit pocht, doch hier handelte es sich letztlich um nichts anderes als Starrsinn und Willkür.

 

 

Joh 9,25-26

 

Trotz dieser Einschüchterungsversuche blieb der Geheilte bei seiner Aussage: ... daß ich blind war und bin nun sehend. Da forderten sie ihn - in der Hoffnung, einen Widerspruch in seinem Bericht zu entdecken - auf, das Geschehene nochmals zu erzählen.

Nun wurde der ehemals Blinde allmählich ungeduldig. Er hatte ihnen bereits gesagt , wie er geheilt worden war (V. 15 ), doch sie hatten es nicht gehört , d. h., sie glaubten es nicht. Mit beißender Ironie fragte er sie daher, ob ihre Bitte an ihn, seine Geschichte nochmals zu wiederholen, etwa ein Zeichen für eine Sinnesänderung ihrerseits sei. Waren sie so interessiert an der Heilung, weil sie Jesu Jünger werden wollten?

 

 

Joh 9,28-29

 

Was ihnen dieser Analphabet spöttisch unterstellte, war mehr, als die Pharisäer ertragen konnten. Sie schmähten ihn und erklärten dann, daß sie Jünger Moses seien. Für sie war Jesus ein Unbekannter: Woher aber dieser ist, wissen wir nicht . Mose dagegen, der doch, wie Jesus sagte, über ihn geschrieben hatte ( Joh 5,46 ), behaupteten sie zu kennen.

 

 

Joh 9,30-33

 

Da sie zugaben, nichts über Jesu Herkunft zu wissen, belehrte der Bettler sie weiter. Für den Leser, der ja weiß, woher Jesus kam ( Joh 1,14.18 ), tritt die Ironie in den folgenden Versen deutlich zutage. Der Mann sagte, das Wunder, das Jesus vollbracht habe, sei bemerkenswert und einzigartig gewesen: Von Anbeginn der Welt an hat man nicht gehört, daß jemand einem Blindgeborenen die Augen aufgetan habe. Er argumentierte, daß Gott nicht die Sünder erhört, sondern den, der gottesfürchtig ist (vgl. Elia; Jak 5,16-18 ). Dieser (Jesus), so sagte er, müsse von Gott sein, denn sonst hätte er nichts tun können.

 

 

Joh 9,34

 

Von einem Bettler hochnäsig zurechtgewiesen, blieb den Pharisäern nur noch übrig, ihn erneut zu schmähen und aus der Synagoge auszustoßen (vgl. V. 22 ). Sie erklärten, seine Blindheit müsse auf eine ganz besondere "Sünde" zurückzuführen sein (wobei sie offensichtlich das Buch Hiob aus ihren Gedanken verdrängten). Doch was sie sagten, war unlogisch. Wie konnte jemand in Sünden geboren sein? Zwar kommt jeder als Sünder auf die Welt ( Ps 51,7; Röm 5,12 ), doch ein Säugling kann wohl kaum unmittelbar nach seiner Geburt unzählige Sünden begehen!

 

 

Joh 9,35

 

Auch bei diesem Geheilten ergriff Jesus wieder die Initiative (vgl.V. 6 ) und suchte ihn auf. Glaubst du (im Griechischen hervorgehoben) an den Menschensohn ? Das war ein Aufruf zur Nachfolge. (Der "Menschensohn" ist einer der wichtigsten Messiastitel; vgl. Dan 7,13 und den Kommentar zu Mk 2,10 .)

 

 

Joh 9,36-37

 

Der Bettler antwortete, daß er bereit sei zu glauben, jedoch noch zu wenig wisse. Daraufhin gab Jesus sich ihm zu erkennen und sagte ihm, was er wissen mußte, um glauben zu können. Denn der Glaube ist begleitet von einem auf Information beruhenden Willensakt.

Johannes

 

Joh 9,38

 

Nachdem Jesus ihm offenbart hatte, daß er der Menschensohn war, glaubte der Mann ( Herr, ich glaube ) und betete ihn an . An die Stelle seiner früheren Anbetung in der Synagoge trat nun für ihn die Anbetung Jesu. Die Juden hatten ihn aus der Synagoge geworfen, doch Jesus stößt die, die zu ihm kommen, nicht hinaus ( Joh 6,37 ). Ein Ziel der Rettung ist es, daß der Gerettete von nun an den anbetet, der ihn gerettet hat ( Joh 4,23 ).

 

 

Joh 9,39

 

Stellt dieser Vers einen Widerspruch zu der Aussage von Joh 3,17 dar? Demnach (und auch gemäß der Aussage von Joh 12,47 ) war Jesus gerade nicht gesandt, "die Welt zu richten". Hier nun sagte er: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen . Er war gekommen, um als Richter das Urteil über die Gottlosen zu verkündigen (vgl. Joh 5,22.27 ). Die Blinden, die sehend werden, sind die, die ihre Hilflosigkeit und Ohnmacht zugeben und ihr Heil in Jesus suchen. Die Sehenden aber, die blind werden, sind die, deren Selbstvertrauen und Stolz sie blind für die Wunder Jesu macht. Er richtet sie nicht, indem er sie blind macht ; sie sind selbst für ihre Blindheit verantwortlich, denn sie verwerfen ihn. Bei ihrer Erblindung hat allerdings auch Satan seine Hand im Spiel ( 2Kor 4,4 ).

 

 

Joh 9,40-41

 

Einige der Pharisäer fragten: " Wir sind doch aber nicht blind, oder? " Sie erwarteten eine negative Antwort, denn sie setzten voraus, daß sie, was das Religiöse anbelangte, hellsichtiger als alle ihre Glaubensbrüder waren. Die Sünde verführt die Menschen jedoch ständig zur Selbsttäuschung. Jesus entgegnete ihnen, daß sie, wenn sie tatsächlich für religiöse Dinge absolut blind wären, wenigstens ihre Unwissenheit als Entschuldigung anführen könnten. Doch ihr Anspruch, in religiösen Fragen die absolute Erkenntnis zu besitzen ( ihr aber sagt: Wir sind sehend ), und ihr Anspruch auf Führerschaft machte sie schuldig. Sie waren für ihre Sünden verantwortlich, weil sie quasi mit Absicht sündigten. Lehrer der Wahrheit zu sein, birgt Gefahren (vgl. Joh 3,10; Röm 2,19-24; Jak 3,1 ).

 

 

3. Der gute Hirte

( 10,1 - 21 )

 

Die Rede über den guten Hirten schließt sich an das in Kapitel 9 Gesagte an. Der Vergleich vom Hirten und seiner Herde war im Nahen Osten eine gebräuchliche Metapher. Könige und Priester bezeichneten sich als "Hirten" und ihre Untertanen als "Schafe", ein Bild, das die Bibel häufig verwendet. Viele der großen Männer im Alten Testament waren tatsächlich Hirten (z. B. Abraham, Isaak, Jakob und zeitweise auch David). Mose und David wurden in einem übetragenen Sinn als "Hirten" Israels bezeichnet. Einigen der berühmtesten Passagen in der Bibel liegt das Motiv des Hirten zugrunde (vgl. Ps 23; Jes 53,6; Lk 15,1-7 ).

Jesus entwickelte diese Analogie in verschiedenen Bildern. Seine Gegenübersetzung der Pharisäer und des Blindgeborenen stellte zunächst den Zusammenhang zum vorhergehenden Kapitel her. Die Pharisäer - in religiöser Hinsicht blind, obgleich sie behaupten, Einsicht zu haben ( Joh 9,41 ) - waren falsche Hirten. Jesus aber kam als wahrer Hirte, um zu suchen und zu heilen. Seine Schafe hören seine Stimme und antworten ihm.

Joh 10,1-2

 

Vers 1 - 5 beschreiben das morgendliche Ritual eines Hirten, der seine Schafe auf die Weide bringt. Er geht zur Tür in ein umzäuntes Gehege, einen Schafstall, hinein , in dem sich mehrere Herden befinden. Der Stall,der Steinmauern hat, wird nachts von einem Türhüter bewacht, um Diebe und wilde Tiere abzuhalten. Wer also über die Mauern kletterte, hatte auf keinen Fall etwas Gutes im Sinn.

 

 

Joh 10,3-4

 

Der Hirte dagegen hat das Recht, den Schafstall zu betreten. Dem macht der Türhüter auf , und der Hirte kommt herein, und die Schafe (seine Schafe) hören seine Stimme . Ein Hirte kennt die Schafe seiner Herde und hat jedem einzelnen einen Namen gegeben. Wenn die Schafe die vertraute Stimme ihres Herrn hören, laufen sie zu ihm hin. Er führt sie hinaus aus dem Stall und sammelt die Herde. Dann geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach .

 

 

Joh 10,5-6

 

Wenn jedoch ein Fremder den Stall betritt, fliehen die Schafe vor ihm, denn sie kennen die Stimme der Fremden nicht . In diesem Gleichnis geht es darum, wie ein Hirte seine Herde sammelt. Die Menschen kommen zu Gott, weil er sie ruft (vgl. V. 16.27 ; Röm 8,28.30 ). Die richtige Antwort auf diesen Ruf ist, ihm zu folgen (vgl. Joh 1,43;8,12;12,26;21,19.22 ). Doch die Jesus zuhörten, verstanden nicht, was er ihnen damit sagen wollte , obwohl ihnen das Beispiel des Hirten und seiner Schafe zweifellos einleuchtete. In ihrer Blindheit konnten sie ihn nicht als den Herrn, der auch Hirte war, erkennen (vgl. Ps 23 ).

 

 

Joh 10,7-9

 

Daraufhin erzählte ihnen Jesus ein weiteres Gleichnis vom guten Hirten, der die Schafe auf die Weide führt, in ein umzäuntes Gebiet, vor dem er sich, gleichsam als Tür, niederläßt. Die Schafe dürfen hinausgehen, wenn sie wollen, und können sich, wenn sie Angst haben, wieder in das geschützte Gebiet zurückziehen. Jesus ist die einzige Tür, durch die die Menschen in den Schutz gelangen können, den Gott für sie bereithält.

Die Worte " alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Räuber " bezogen sich auf die Führer des Volkes, die sich nicht um das geistliche Wohl der ihnen anvertrauten Menschen kümmerten, sondern nur um ihr eigenes Wohlergehen. Der Hirte Jesus aber bietet seiner Herde Schutz vor ihren Feinden ( wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden bzw. "sicher sein") und sorgt für alles, was sie brauchen (die Schafe werden ein- und ausgehen und Weide finden ).

 

 

Joh 10,10

 

Der Dieb hingegen, d. h. ein falscher Hirte, sorgt nur für sein eigenes Wohl, nicht für das der Herde. Er stiehlt Schafe, um sie umzubringen, und vernichtet damit einen Teil der Herde. Doch Christus ist gekommen, um ihnen wohlzutun. Der Dieb nimmt das Leben; Christus gibt das Leben - und zwar kein beengtes, sondern volle Genüge .

 

 

Joh 10,11

 

Noch ein drittes Gleichnis vom guten Hirten erzählte Jesus. Wenn es in Palästina Nacht wurde, lauerte Gefahr. Auf dem Land gab es damals noch Löwen, Wölfe, Schakale, Panther, Leoparden, Bären und Hyänen. Ein Hirte lebte gefährlich, wie der Kampf Davids mit einem Löwen und einem Bären zeigte ( 1Sam 17,34-35.37 ). Auch Jakob erlebte, wie mühevoll und anstrengend es war, ein treuer Hirte zu sein ( 1Mo 31,38-40 ). Jesus sagte: "Ich bin der gute Hirte" (vgl. Joh 10,14 ). Im Alten Testament wird Gott als der Hirte seines Volkes bezeichnet ( Ps 23,1; Ps 80,2; Pred 12,11; Jes 40,11; Jer 31,10 ). Als solcher kam Jesus, um sein Leben für die Schafe zu lassen (vgl. Joh 10,14.17-18; Gal 1,4; Eph 5,2.25; Hebr 9,14 ). Er wird auch der "große Hirte" ( Hebr 13,20-21 ) und der "Erzhirte" ( 1Pet 5,4 ) genannt.

 

 

Joh 10,12-13

 

Im Gegensatz zum guten Hirten, dem die Schafe gehören, der für sie sorgt, sie füttert, schützt und für sie stirbt, bringt der, der sie für Lohn hütet - der Mietling - nicht denselben Einsatz. Er ist nur an seinem eigenen Wohlergehen und Fortkommen interessiert. Wenn ein Wolf kommt ( harpazei , wörtlich: "etwas entreißt"; vgl. dasselbe Verb in V. 28 ), verläßt er die Schafe und flieht , so daß sie durch seinen Eigennutz zerstreut werden. Offensichtlich kümmert er sich nicht um die Schafe . In Israel traten viele falsche Propheten, selbstsüchtige Königeund falsche Messiasse auf, unter denen Gottes Herde immer wieder zu leiden hatte ( Jer 10,21-22;12,10; Sach 11,4-17 ).

 

 

Joh 10,14-15

 

Im Gegensatz zum "Mietling" hat der gute Hirte eine persönliche Beziehung zu den Schafen und nimmt Anteil an ihnen (vgl. V. 3.27 ). Die Wendung " ich ... kenne die Meinen " hebt hervor, daß er sie als sein Eigentum betrachtet und sorgsam über sie wacht. Und die Meinen kennen mich betont umgekehrt, daß auch die Schafe ihren Hirten kennen und eine enge Beziehung zu ihm haben. Diese Nähe und Vertrautheit hat ihr Vorbild in der auf Liebe und gegenseitigem Vertrauen basierenden Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn. Der höchste Beweis für Jesu Fürsorge für die Schafe liegt in der Ankündigung, daß er für die Herde sterben wird. Es kam vor, daß Hirten umkamen, während sie ihre Schafe vor Gefahr bewahrten. So gab auch Jesus sein Leben für seine Schafe (V. 11.15.17 - 18 ) - ihretwegen, an ihrer Stelle ( Röm 5,8.10; 2Kor 5,21; 1Pet 2,24;3,18 ) - und erwarb ihnen mit seinem Tod das Leben.

 

 

Joh 10,16

 

Die anderen Schafe, die nicht aus diesem Stall sind , sind die gläubigen Heiden. Durch seinen Tod bringt Jesus auch sie zum Vater. Und sie werden meine Stimme hören . Jesu Rettungswerk gilt weiterhin all jenen, die seine Stimme aus der Schrift hören. Apg 18,9-11 beschreibt, wie sich das in der Geschichte der Kirche auswirkte. "Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt" (Korinth), sagte der Herr zu Paulus. Eine Herde und ein Hirte bezieht sich auf die Gemeinschaft von gläubigen Juden und Heiden, die zusammen einen Leib bilden, dessen Haupt Christus ist (vgl. Eph 2,11-22;3,6 ).

 

 

Joh 10,17-18

 

Und wieder - insgesamt viermal - sagte Jesus, daß er sterben müsse und freiwillig sein Leben lassen würde (V. 11.15.17 - 18 ). Deshalb liebt der Vater Jesus, der sich im Gehorsam als Opfer hingab. Er gab sein Leben freiwillig: Niemand nimmt es von mir . Zweimal erwähnte Jesus hier seine Auferstehung ( ich habe Macht, es wiederzunehmen ) und wies darauf hin, daß er auch hierin selbst über sein Schicksal bestimmte. Jesus war keine hilflose Figur auf dem Schachbrett der Geschichte.

 

 

Joh 10,19-21

 

Zum dritten Mal entstand nach dieser Rede Zwietracht unter den Zuhörern (vgl. Joh 7,43;9,16 ). Viele Menschen in der feindseligen Menge sprachen: Er hat einen bösen Geist und ist von Sinnen (vgl. Joh 7,20;8,48.52 ). Doch andere widersprachen ihnen, denn, so fragten sie, wie kann ein böser Geist die Augen der Blinden auftun? (vgl. Joh 9,16 ).

 

 

4. Der letzte öffentliche Auftritt als Lehrer

( 10,22 - 42 )

 

Als nächstes berichtet Johannes über den letzten Zusammenstoß zwischen Jesus und der feindlichen Menge in Jerusalem (V. 22 - 39 ) und beschreibt dann, wie er über den Jordan ging (V. 40 - 42 ), weil sie versuchten, ihn zu töten.

 

 

Joh 10,22-23

 

Das Fest der Tempelweihe heißt heute Hanukka oder Lichterfest. Es erinnert an die Neueinweihung des Tempels durch Judas Makkabäus im Jahr 165 v. Chr., nachdem er 168 v. Chr. durch Antiochus IV. (Epiphanes) entheiligt worden war, und rief den Juden die letzte große Befreiung von ihren Feinden in Erinnerung. Das achttägige Fest wurde im Dezember gefeiert; es war also Winter. Als Salomos Halle wurde der lange, überdachte Wandelgang an der Ostseite des Tempels bezeichnet. Seit Jesu letztem Streitgespräch mit den Juden ( Joh 7,1-10,21 ) beim Laubhüttenfest ( Joh 7,2 ), das im Oktober stattfand, waren zwei Monate vergangen. Jesus war in den Tempel zurückgekehrt.

 

 

Joh 10,24

 

Da umringten ihn die Juden (wörtlich: sie "schlossen sich eng um ihn herum zusammen" - ekyklOsan ). Die Jesus feindlich gesonnenen jüdischen Machthaber in Jerusalem waren entschlossen, ihn diesmal festzunageln. Seine rätselhaften Worte ließen ihnenkeine Ruhe; sie wollten endlich eine klare Antwort von ihm hören. Wie lange hältst du uns im Ungewissen? (wörtlich: "hältst du unsere Seele noch"), wollten sie wissen. Bist du der Christus, so sage es frei heraus.

 

 

Joh 10,25-26

 

Jesus entgegnete, daß die Werke (vgl. V. 32.38 ), die er getan hatte, ihnen hätten zeigen müssen, daß er vom Vater war (vgl. Jes 35,3-6; Joh 3,2;9,32-33 ). Er war vom Vater gesandt, auch wenn er ihre Erwartungen nicht erfüllte, denn er trat weder als zweiter Judas Makkabäus noch wie Mose auf. Ihre Unfähigkeit, sich auf ihn einzulassen, lag im Grunde an ihrer mangelnden geistlichen Einsicht und ihrem fehlenden Glauben. " Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen " ist eine nüchterne Feststellung, die zugleich an das letzte große Geheimnis der Erwählung durch Gott erinnert (vgl. Joh 6,37 ).

 

Joh 10,27

 

Jesu Herde aber ist empfänglich für seine Lehre. Meine Schafe hören meine Stimme (V. 3 - 5.16 ). Sie haben eine Beziehung zu ihm ( ich kenne sie ; vgl. V. 3.14 ), sie verstehen seine Heilsbotschaft, und sie folgen ihm (V. 4 - 5 ). Jesus zu folgen bedeutet, den Willen des Vaters zu tun, wie Jesus es tat.

 

 

Joh 10,28

 

Hier wird eine der klarsten Aussagen der Bibel gemacht. Auch die Gläubigen sündigen und straucheln, doch Jesus, der vollkommene Hirte, verliert kein Schaf aus seiner Herde (vgl. Lk 22,31-32 ). Das ewige Leben ist ein Geschenk ( Joh 3,16.36;5,24;10,10; Röm 6,23 ). Wer es besitzt, hat es für immer. "Sie werden nimmermehr umkommen" ist im Griechischen noch sehr viel entschiedener formuliert: ou mE apolOntai eis ton aiOna ("sie werden auf keinen Fall jemals umkommen"; vgl. Joh 3,16 , mE apolEtai , "nicht verloren gehen"). Die Sicherheit der Schafe gründet sich auf die Fähigkeit des Hirten, sie zu verteidigen und zu bewahren, sie ist nicht von der eigenen, wenig verläßlichen Kraft der Schafe abhängig. Niemand wird sie aus meiner Hand reißen . "Herausreißen" heißt im Griechischen harpasei und ist verwandt mit harpax ("raubgierige Wölfe, Räuber"). Das fügt sich ausgezeichnet in den Zusammenhang, denn dasselbe Wort ( harpazei ) steht in Vers 12 : "der Wolf stürzt sich auf die Schafe" (wörtlich: "reißt sie").

 

 

Joh 10,29

 

Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles . D. h., niemand kann auch nur ein einziges Schaf der Herde Jesu aus des Vaters Hand (oder aus Jesu Hand;V. 28 ) reißen . Der allmächtige Vater schützt die Herde. Sein Heilsplan ist unerschütterlich.

 

 

Joh 10,30

 

Mit den Worten "ich und der Vater sind eins" meinte Jesus nicht, daß er und Gott ein und dieselbe Person sind. Der Sohn und der Vater sind zwei Personen in der Dreieinigkeit. Der Beweis dafür ist das Geschlecht des Wortes "eins", das Neutrum ist. Jesus sagte also, daß er und sein Vater in ihrem Willen eins sind. Jesu Wille ist identisch mit dem des Vaters; beiden geht es um die Rettung der Schafe. Diese absolute Willenseinheit aber setzt die Wesenseinheit voraus. Jesus und der Vater sind in ihrem Willen (und daher auch in ihrem Wesen) eins, beide sind Gott (vgl. Joh 20,28; Phil 2,6; Kol 2,9 ).

 

 

Joh 10,31-32

 

Auf diese Aussage hin versuchten die Jesus feindlich Gesonnenen unter seinen Zuhörern, denen durchaus klar war, welchen Anspruch Jesus hier geltend machte, ihn zu steinigen (vgl. Joh 8,59 ). Seine ruhige Frage, viele gute Werke (vgl. Joh 10,25.38 ) habe ich euch erzeigt vom Vater; um welches dieser Werke willen wollt ihr mich steinigen?, bewies, wie unerschrocken er der Gefahr ins Auge sah.

 

 

Joh 10,33

 

Sie antworteten ihm, daß sie an seinen Worten nichts auszusetzen hätten (wenngleich seine Heilungen am Sabbat sie aufgebracht hatten, vgl. Joh 5,18;9,16 ), sondern daß sie ihn steinigen wollten, weil er, ein Mensch, behauptete, Gott zu sein. Das war Gotteslästerung . Damit trafen sie im Grunde den Kern des Problems: In Jesus wurde Gott tatsächlich Mensch ( Joh 1,1.14.18 ). Jesus zog zwar nicht durch Palästina und verkündete "Ich bin Gott", doch seine Deutung des Sabbats und die Worte über die Einheit mit demVater offenbarte seinen Anspruch, eines Wesens mit dem Vater zu sein.

 

 

Joh 10,34

 

Um Jesu Antwort auf den Vorwurf der Gotteslästerung zu verstehen, muß man bis zu einem gewissen Grad mit den bei einer Diskussion zwischen Rabbinern üblichen Argumentationsmethoden vertraut sein. Zunächst verwies Jesus auf das Alte Testament: in eurem Gesetz . Das sind normalerweise nur die fünf Bücher Mose, doch Jesus bezog hier das ganze Alte Testament mit ein, denn er zitierte aus den Psalmen. "Ihr" Gesetz war es insofern, als sie sich seines Besitzes rühmten und sich ihm eigentlich hätten unterwerfen sollen. Ps 82 bezeichnet Gott als Richter ( Ps 82,1.8 ) und hält fest, daß die Menschen, die eigentlich dazu eingesetzt waren, anstelle von Gott Recht zu sprechen, versagt haben ( Ps 82,2-7 ). Der Ausdruck "Götter" ( Ps 82,1 und 6) bezieht sich also auf die zum Richten berufenen Menschen. In diesem Sinn sagte Gott zu den Juden: ihr seid Götter . Keinesfalls war damit gemeint, daß der Mensch göttlicher Natur sei.

 

 

Joh 10,35

 

Jesus argumentierte also, daß die Menschen in bestimmten Situationen (wie z. B. in Ps 82,1.6 ) Götter genannt wurden. Das hebräische Wort für "Gott" und "Götter", ?MlOhIm , wird an anderer Stelle (z. B. 2Mo 21,6;22,8 ) auch für die Menschen in ihrer Funktion als Richter verwendet. Er fügte hinzu: Und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden , d. h., niemand darf behaupten, daß die Schrift irre. Hierin liegt, nebenbei bemerkt, ein Hinweis auf die Unfehlbarkeit der Bibel.

 

 

Joh 10,36

 

In diesem Vers führte Jesus seinen Argumentationsgang zu Ende. Wenn die unfehlbare Bibel ihre Richter "Götter" nennt, können die Juden ihn nicht der Gotteslästerung zeihen, wenn er sich Gottes Sohn nennt, da er geheiligt wurde und Gottes Auftrag ausführt ( in die Welt gesandt ist ).

 

 

Joh 10,37-38

 

Obwohl die Juden sich sträubten, Jesu Worten zu glauben, gab Gott ihnen Werke (wörtl. "Wunder"; vgl. V. 25.32 ), die er durch Jesus wirkte. Sie erhielten diese Zeichen, damit sie über sie nachdachten und durch sie lernten und an ihnen Jesu Einheit mit dem Vater ( der Vater ist in mir und ich in ihm ) erkannten. Nikodemus war das klar geworden, denn er sagte: Niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm ( Joh 3,2 ).

 

 

Joh 10,39

 

Da suchten sie abermals, ihn zu ergreifen (von piazO ; vgl. Joh 7,30.32.44;8,20 ), vielleicht, um ihn vor Gericht zu stellen. Doch wieder entging er ihren Händen , da die von Gott festgelegte Zeit noch nicht gekommen war (vgl. Joh 5,13;8,59;12,36 ). Wie er die Flucht bewerkstelligte, sagt Johannes nicht.

 

 

Joh 10,40-42

 

Wegen der Feindseligkeit des Volkes ging Jesus wieder auf die andere Seite des Jordan nach Peräa, wo auch Johannes der Täufer gepredigt hatte ( Joh 1,28 ). Hier wurde er freundlicher aufgenommen, möglicherweise, weil der Täufer die Menschen auf sein Kommen vorbereitet hatte. Obwohl Johannes tot war, besaß sein Zeugnis doch noch immer großen Einfluß. Er selbst hatte zwar nie ein Zeichen ( sEmeion ) vollbracht, doch sie glaubten dem, was er ihnen über Jesus gesagt hatte. Die Juden in Jerusalem dagegen hatten Jesu Zeichen gesehen und dennoch nicht gehorcht. In Peräa aber glaubten viele an ihn als den Retter.

 

 

E. Die Auferweckung des Lazarus

( 11,1 - 44 )

 

Der Höhepunkt der Wunder Jesu, die Auferweckung des Lazarus, war der öffentliche Beweis für die Wahrheit seines Anspruchs: "Ich bin die Auferstehung und das Leben." Der Tod ist der große Schrecken, den die Sünde in die Welt gebracht hat ( Röm 5,12; Jak 1,15 ). Der physische Tod ist gleichsam das "Lehrbeispiel" Gottes für das, was die Sünde im geistlichen Leben des Menschen bewirkt. Wie der physische Tod das Leben beendet und die Menschen voneinander trennt, so bedeutet der geistliche Tod die Trennung der Menschen von Gott und den Verlustdes Lebens, das in Gott ist ( Joh 1,4 ). Jesus ist gekommen, damit die Menschen das volle Leben haben können ( Joh 10,10 ). Wer ihn verwirft, wird das Leben nicht "sehen" ( Joh 3,36 ) und am Ende in den "zweiten Tod", den Feuersee, geworfen werden ( Offb 20,14-15 ).

 

 

Joh 11,1-2

 

Von Lazarus ist im Neuen Testament nur an dieser Stelle und in Kap. 12 die Rede. Betanien (vgl. Joh 11,18 ) lag östlich des Ölbergs (ein zweites Betanien gab es in Peräa; vgl. Joh 1,28 ). Das Lukasevangelium berichtet etwas ausführlicher über die beiden Schwestern des Lazarus, Maria und Marta ( Lk 10,38-42 ). Maria war dieselbe, die den Herrn später (vgl. Joh 12,1-10 ) mit Salböl salbte und seine Füße mit ihrem Haar trocknete . Wahrscheinlich setzt der Evangelist Johannes hier voraus, daß die Leser seines Evangeliums Maria kannten (vgl. Mk 14,3-9 ).

 

 

Joh 11,3

 

Anscheinend hatten die Schwestern gedacht, daß Jesus, der ja die Macht hatte, Menschen zu heilen, und Lazarus zudem sehr liebte, sofort auf ihre Nachricht, daß er erkrankt war, reagieren und kommen würde.

 

 

Joh 11,4

 

Doch Jesus machte sich keineswegs sofort nach Betanien auf (vgl. V. 6 ). Diese Verzögerung hatte nichts damit zu tun, daß er Lazarus nicht genügend liebte (vgl. V. 5 ) oder Angst vor den Juden hatte; er wartete vielmehr, bis der richtige Moment im Plan des Vaters gekommen war. Lazarus' Krankheit sollte nicht zum Tode , d. h. nicht zum dauernden Tod führen, sondern in ihr sollte Jesus verherrlicht werden (vgl. Joh 9,3 ). Darin liegt auch eine gewisse Paradoxie: Jesu Macht und Gehorsam gegenüber dem Vater waren bereits ausreichend erwiesen, die Auferweckung des Lazarus aber führte schließlich zu seinem Tod (vgl. Joh 11,50-53 ), der zugleich seine wahre Herrlichkeit an den Tag brachte ( Joh 17,1 ).

 

 

Joh 11,5-6

 

Trotz seiner Liebe zu allen dreien ( Marta und ihre Schwester und Lazarus ) wartete Jesus also noch zwei Tage, bevor er sich auf den Weg machte. Möglicherweise (V. 11.39 ) war Lazarus auch bereits tot, als Jesus von seiner Krankheit hörte. Jedenfalls tat er alles, was er tat, unter der Führung Gottes (vgl. Joh 7,8 ).

 

 

Joh 11,7-10

 

Seine Jünger wußten, daß es gefährlich für ihn war, nach Judäa zu gehen ( Joh 10,31 ), und versuchten daher, ihn von der Reise abzubringen. Um ihnen klar zu machen, daß er nicht in Gefahr war, sprach Jesus hier "verhüllt", wie in einem Gleichnis, zu ihnen. Er verglich das Tun des Willens Gottes mit dem Gehen (Leben) bei Tageslicht. Das Leben im Bereich des Bösen, in der Dunkelheit, ist dagegen gefährlich. So lange die Menschen dem Plan Gottes folgen, kann ihnen vor der Zeit, die ihnen bestimmt ist, nichts geschehen. Auf die Menschen damals angewandt hieß das, sie hätten Jesus annehmen sollen, solange er als das Licht in der Welt war (vgl. Joh 1,4-7;3,19; 8,12;9,5 ). Mit ihm verließ sie auch diese einzigartige Möglichkeit.

 

 

Joh 11,11-12

 

Dann sagte Jesus: Lazarus, unser Freund, schläft . (Das Wort "Freund" hat in der Schrift eine ganz besondere Bedeutung, vgl. Joh 15,13-14; Jak 2,23 .) Bei diesem "Schlaf" handelte es sich um den Schlaf des Todes. Seit dem Kommen Christi wird der Tod eines Gläubigen als "Schlaf" bezeichnet (vgl. Apg 7,60; 1Kor 15,20; 1Thes 4,13-18 ). Die toten Christen liegen jedoch nicht in einem unbewußten "Schlaf der Seele", nur ihr Körper scheint zu schlafen. Die Jünger aber gingen irrigerweise davon aus, daß Jesus meinte, Lazarus sei nicht gestorben, sondern eingeschlafen (vgl. Joh 11,13 ) und befände sich auf dem Wege der Besserung: Herr, wenn er schläft, wird's besser mit ihm.

 

 

Joh 11,13-15

 

Wie so oft in den Evangelien sprach Jesus auch hier von einer Sache, doch die Jünger dachten an eine andere. Die Worte "Lazarus ist gestorben; und ich bin froh um euretwillen, daß ich nicht dagewesen bin" scheinen im ersten Moment schockierend. Doch wenn Lazarus nicht gestorben wäre, hätten die Jünger (und alle späteren Leser des Evangeliums) nicht die einzigartige Möglichkeit gehabt, durch dieses Ereignis neue Glaubenskraft zu gewinnen. Lazarus starb, damit ihr glaubt .

 

 

Joh 11,16

 

Thomas wird wegen des Zwischenfalls, von dem in Joh 20,24-25 die Rede ist häufig auch der "ungläubige Thomas" genannt. Hier übernahm er jedoch die Führung und bewies seine Treue zu Jesus, die bis in den Tod ging. In der Äußerung "daß wir mit ihm sterben" liegt nichtsdestoweniger eine gewisse Ironie. Auf der einen Seite enthüllt sie Thomas' Unwissenheit in bezug auf die Einzigartigkeit des Sühnetods Christi. Auf der anderen Seite ist sie eine Prophezeiung des Schicksals vieler Jünger ( Joh 12,25 ).

 

 

Joh 11,17

 

Lazarus war anscheinend schon bald nach der Abreise der Boten gestorben, als Jesus noch eine Tagesreise entfernt war. Da es in Palästina sehr warm ist und die Verwesung rasch eintritt, wurde ein Mensch gewöhnlich noch an demselben Tag, an dem er gestorben war, begraben (vgl. V. 39 ).

 

Joh 11,18-19

 

Die Tatsache, daß Betanien nahe bei Jerusalem war, etwa eine halbe Stunde entfernt , weist auf zweierlei hin. Erstens erklärt sie, warum so viele Juden aus Jerusalem Zeuge der Auferweckung des Lazarus wurden (V. 45 - 46 ), und zweitens bereitet sie den Leser auf den kommenden Höhepunkt des Wirkens Jesu, der in dieser Stadt geschehen sollte, vor. Wenn ein Mensch starb, trauerten die Juden längere Zeit. Es galt dabei als fromme Pflicht, die trauernden Hinterbliebenen zu trösten .

 

 

Joh 11,20-22

 

Marta, die Tatkräftige, ging Jesus entgegen, während Maria , die kontemplative Schwester, wartete. (Vgl. Lk 10,39-42 ,wo die beiden Schwestern ähnlich charakterisiert werden.) Martas Gruß war so etwas wie ein Glaubensbekenntnis. Sie war überzeugt, daß Jesus ihren Bruder hätte heilen können, wenn er da gewesen wäre. Darin scheint keine Kritik an Jesus zu stecken, denn sie wußte ja, daß ihr Bruder bereits tot war, als die Boten bei Jesus anlangten. Ihre Worte "aber auch jetzt weiß ich: was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben" könnten zwar als Hinweis auf die Aufweckung ihres Bruders verstanden werden, doch ihr Protest vor dem Grab ( Joh 11,39 ) und ihre Worte in Vers 24 widersprechen dieser Interpretation. Was sie hier sagte, war also wohl nur ganz allgemein ein Ausdruck ihrer Überzeugung, daß Jesus den Segen des Vaters besaß.

 

 

Joh 11,23-24

 

Dein Bruder wird auferstehen . Mit diesen Worten eröffnete Jesus sein Gespräch mit Marta. Diese dachte dabei jedoch nicht an eine sofortige Auferstehung, sondern an die Auferstehung am Jüngsten Tage .

 

 

Joh 11,25-26

 

Ich bin die Auferstehung und das Leben . Das ist die fünfte von Jesu großen "Ich bin"-Aussagen. Die Auferstehung und das neue Zeitalter sind bereits jetzt Wirklichkeit, weil Jesus Herr über das Leben ist ( Joh 1,4 ). Seine Worte über Leben und Tod scheinen paradox: Der Tod eines Gläubigen führt in das neue Leben. Ein Gläubiger lebt so, daß er in geistlicher Hinsicht nimmermehr sterben wird . Er hat das ewige Leben ( Joh 3,16;5,24;10,28 ); das Ende des physischen Lebens ist nur ein Schlaf des Körpers, bis er auferweckt wird zum Leben. Im Tod geht der geistige Teil seines Körpers, die Seele, zum Herrn (vgl. 2Kor 5,6.8; Phil 1,23 ).

 

 

Joh 11,27

 

Marta bekannte ihren Glauben an Christus. Sie stimmte Jesu Aussage über das ewige Leben für die, die glauben, zu. Dann bekannte sie drei Dinge: Jesus ist (a) der Christus ("Messias"), (b) der Sohn Gottes - das ist wahrscheinlich ein Messiastitel (vgl. Joh 1,49; Ps 2,7 ) - und (c) der, der in die Welt gekommen ist (wörtlich: "der Kommende"; vgl. Joh 12,13 ). Marta glaubte, daß Jesus der Messias war, der gekommen war, um Gottes Willen zu tun, doch sie hatte bis jetzt noch keinen Hinweis auf das Wunder, das er an ihrem Bruder vollbringen würde.

 

 

Joh 11,28-30

 

Dann richtete Marta ihrer Schwester Maria aus, daß Jesus, der Meister, da sei und nach ihr rufe. Offensichtlich wünschte Jesus eine private Unterredung mit Maria, vielleicht, um sie zu trösten und zu unterweisen. Der Titel "Meister", den Marta hier verwendete, ist bemerkenswert, denn gewöhnlich lehrte ein jüdischer Rabbi keine Frauen (vgl. Joh 4,1-42 ).

 

 

Joh 11,31-32

 

Marias plötzlicher Aufbruch, um Jesus zu sehen, veranlaßte die Juden, die bei ihr im Hause waren und sie trösteten, ihr zu folgen , daher wurde ein privates Gespräch mit Jesus unmöglich. Als Maria zu Jesus kam, fiel sie ihm zu Füßen . Sie hatte schon einmal zu Jesu Füßen gesessen und seiner Lehre zugehört ( Lk 10,39 ) und begrüßte ihn nun auf dieselbe Weise wie zuvor ihre Schwester ( Joh 11,21 ). Auch sie gab der Ansicht Ausdruck, daß die Tragödie nicht eingetreten wäre, wenn Jesus da gewesen wäre. Ihr Glaube war aufrichtig, doch begrenzt.

 

 

Joh 11,33-34

 

In schroffem Kontrast zu der Gleichgültigkeit oder dem fehlenden Mitgefühl, die etwa die griechischen Götter kennzeichnen, bestätigten Jesu Gefühle in dieser Situation, daß er wirklich mit den Menschen verbunden war. Er ergrimmte im Geist ( enebrimEsato , von enebrimaomai ; dieses griechische Verb steht nur fünfmal im Neuen Testament und bezieht sich jedesmal auf Gefühle oder Worte des Herrn oder der Jünger; Mt 9,30; Mk 1,43;14,5; Joh 11,33.38 ).

Warum war Jesus zornig? Manche Forscher sind der Ansicht, daß er sich über den Unglauben und die geheuchelte Trauer der Menschen ärgerte. Das scheint vom Text her jedoch nicht sehr plausibel. Eher trifft es zu, daß Jesus zornig war über die Tyrannei Satans, der durch die Sünde Leid und Tod über die Menschen gebracht hatte (vgl. Joh 8,44; Hebr 2,14-15 ). Er war sehr betrübt ( etaraxen , wörtlich: "bewegt", wie das Wasser im Teich in Joh 5,7; vgl. Joh 12,27;13,21;14,1.27 ); seine Trauer war wohl auf den Konflikt mit der Sünde, dem Tod und Satan zurückzuführen.

 

 

Joh 11,35-37

 

Jesus weinte anders als die Menschen weinten. Sein stilles Tränenvergießen ( edakrysen ) unterschied sich von ihrem lauten Wehklagen ( klaiontas ; V. 33 ). Er weinte über die tragischen Folgen der Sünde. Die Menge aber deutete seine Tränen als Ausdruck der Liebe oder der Trauer, weil er nicht dagewesen war, um Lazarus zu retten.

 

 

Joh 11,38-39

 

Noch ganz aufgewühlt (vgl. den Kommentar zu "ergrimmte im Geist"; V. 33 ) kam er zum Grab . Die jüdischen Gräber waren meist in Kalkstein gehauene Nischen oder Höhlen in einer Steinmauer. Vor der Nische lag ein Stein. Jesus befahl: "Hebt den Stein weg!" Wer diesem Befehl nachkam, lief zwar Gefahr, sich zu verunreinigen, doch es war unbedingter Gehorsam nötig, wenn Jesu Vorhaben in die Tat umgesetzt werden sollte. Die ganze Szene war hochdramatisch. Die Menge stand schweigend da, wartete und hörte zu. Maria weinte laut, und Marta protestierte, weil nach den vier Tagen , die ihr Bruder bereits im Grab lag, mit Sicherheit bereits die Verwesung eingesetzt hatte.

 

 

Joh 11,40

 

Jesus aber erinnerte Marta an seine zuvor gegebene Verheißung (V. 25 - 26 ; vgl. V. 4 ). Wenn sie seinem Wort, daß er die Auferstehung und das Leben sei, glaubte und sich darauf verließ, sollte sie die Herrlichkeit Gottes sehen . Doch wenn die Schwestern Jesus nicht sowieso vertraut hätten, hätten sie ihm wohl kaum die Erlaubnis gegeben, das Grab zu öffnen.

 

 

Joh 11,41-42

 

Als der Stein entfernt worden war, stieg die allgemeine Spannung. Was würde Jesus nun tun? Er dankte einfach nur seinem Vater, daß er ihn erhört hatte . Jesus wußte, daß er in dieser Manifestation seiner Liebe und seiner Macht den Willen Gottes tat. Sein Dankgebet war für die Öffentlichkeit gedacht, nicht, damit er als Wundertäter verehrt, sondern damit der Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater deutlich würde. Daß der Vater seine Bitte erfüllte, sollte für das Volk der Beweis sein, daß er von ihm gesandt war, und den Glauben der Menschen wecken (vgl. Elias Gebet, 1Kö 18,37 ).

 

 

Joh 11,43-44

 

An anderer Stelle hatte Jesus gesagt, daß die Menschen seine Stimme vernehmen und aus ihren Gräbern herauskommen werden ( Joh 5,28-29 ) und daß seine Schafe seine Stimme hören ( Joh 10,16.27 ). Nach kurzem Gebet rief ( ekraugasen ) er Lazarus mit lauter Stimme beim Namen. Das hier verwendete Verb für "rufen" kommt nur neunmal im Neuen Testament vor, davon achtmal in den Evangelien ( Mt 12,19; Lk 4,41; Joh 11,43;12,13;18,40;19,6.12.15; Apg 22,23 ).

Jesus rief nur drei Worte: "Lazarus, komm heraus!" (Augustinus hat einmal gesagt, daß, wenn Jesus nicht Lazarus' Namen gesagt hätte, alle Toten aus den Gräbern gekommen wären.) Sofort kam der Verstorbene heraus . Da er mit Grabtüchern an Füßen und Händen gebunden war, mußte allein Gottes Macht ihn herausgebracht haben. Jesu Anweisung "löst die Binden" ermöglichte es ihm, wieder aus eigener Kraft zu gehen und war gleichzeitig der Beweis, daß er lebendig und kein Geist war.

Dieses Ereignis veranschaulicht in eindrücklichster Weise, wie der Sohn Gottes den Menschen das Leben schenkt. Den Heiligen des Kirchenzeitalters wird er es bei der Entrückung bringen ( 1Thes 4,16 ), den Heiligen des Alten Testaments ( Dan 12,2 ) und den Heiligen der Zeit der großen Trübsal ( Offb 20,4.6 ) bei seiner Rückkehr. Doch schon jetzt beruft er die geistlich Toten zum geistlichen Leben. Viele, die durch Sünden und Vergehen bereits tot sind, glauben und kommen durch die Macht Gottes zum Leben ( Eph 2,1-10 ).

 

 

F. Der Plan, Jesus zu töten

( 11,45 - 57 )

 

Joh 11,45-47 a

 

Jesu Selbstoffenbarungen provozierten jeweils zweierlei Reaktionen. Für viele von den Juden war dieses Wunder ein eindeutiger Beweis für die Wahrheit seines Anspruchs, und sie glaubten an ihn . Andere dagegen wurden nur noch verstockter oder wußten überhaupt nicht mehr, was sie denken sollten. Sie gingen hin zu seinen Feinden, den Pharisäern, und sagten ihnen, was Jesus getan hatte . Dieses letzte wunderbare Zeichen war so bedeutsam, daß die Hohenpriester und die Pharisäer beschlossen, eine Krisensitzung des Hohen Rats einzuberufen (zum Hohen Rat vgl. den Kommentar zu Joh 3,1 ). Zweifellos dachten sie, Jesus sei eine Art Zauberer, der mittels irgendwelcher geheimnisvoller Künste die Menschen verführte.

 

 

Joh 11,47-48 (Joh 11,47b-48)

 

Der Hohe Rat erkannte, daß er Jesus mit den bisherigen Mitteln nicht ausschalten konnte. Durch offizielle Mißbilligung, "Exkommunikation" und Streitgespräche war seinem Einfluß kein Einhalt mehr zu gebieten. Sie befürchteten einen Aufstand, der die Römer auf den Plan riefe, die ihnen Land (den Tempel) und Leute nehmen würden.

 

 

Joh 11,49-50

 

Kaiphas war in dem Jahr Hoherpriester (vgl. Joh 18,13-14.24.28 ). Ursprünglich wurde der Hohepriester lebenslang in sein Amt berufen, doch die Römer wollten verhindern, daß ein einzelner Mann zu großen Einfluß gewann, und behielten sich daher seine Ernennung vor. Kaiphas amtierte von 18 bis 36 n. Chr. Wie sehr er Jesus verachtete, zeigte sich an seinen Worten: "Ihr wißt nichts!" Er war der Ansicht, daß dieser Mensch geopfert werden müsse, wenn die römische Besatzungsmacht dem Volk weiterhin wohlgesonnen bleiben sollte. Die Alternative war seiner Ansicht nach die Zerstörung des jüdischen Volkes durch einen Krieg ( Joh 11,48 ). Sein Entschluß sollte jedoch den Krieg nicht verhindern können. Das jüdische Volk folgte falschen Hirten in einen Krieg gegen Rom (66 - 70 n. Chr.), nach dem es dann als Nation tatsächlich zerstreut wurde.

 

Joh 11,51-53

 

Dem Evangelisten Johannes war die tiefe Ironie, die in Kaiphas' Worten lag, klar. Als Hoherpriester wies er in einer prophetischen Äußerung, von der er nicht einmal wußte, daß er sie aussprach, auf das letzte Opferlamm hin. Kaiphas war der Ansicht, daß Jesus getötet werden müsse, und Gott machte seine Worte zu einem Hinweis auf den stellvertretenden Sühnetod Jesu. Jesu Tod sollte in Gottes Augen als vollkommene Erfüllung des Gesetzes das alte System aufheben. Er starb nicht nur für die Juden, sondern für die ganze Welt und schuf auf diese Weise etwas Neues (vgl. Eph 2,14-18;3,6 ). Der Hohe Rat faßte also den Beschluß, Jesus zu töten.

 

 

Joh 11,54

 

Jesus aber zog sich von Betanien etwa 20 Kilometer nördlich in eine Stadt mit Namen Ephraim zurück. Die kleine Ortschaft bot ihm Zuflucht und lag nahe genug bei der Wüste, so daß er, falls es nötig würde, fliehen konnte.

 

 

Joh 11,55-57

 

Zum Passafest gingen viele jüdische Pilger nach Jerusalem und fragten dort nach Jesus . Bis jetzt ( Joh 2,13-25 ) hatte er stets an den nationalen Festen teilgenommen und bei dieser Gelegenheit öffentlich im Tempel gepredigt. Würde er das weiterhin tun? Große Volksmengen versammelten sich in der Stadt und warteten auf ihn. Die religiösen Machthaber aber hatten Befehl gegeben: Wenn jemand weiß, wo er ist, soll er's anzeigen, damit sie ihn ergreifen könnten .

 

 

G. Das Ende des öffentlichen Wirkens Jesu

( 12,1 - 36 )

 

1. Die Salbung in Betanien

( 12,1 - 8 )

 

Johannes schließt seinen Bericht über Jesu öffentliches Wirken im zwölften Kapitel (a) mit dem Bericht über Jesu Salbung durch Maria (die Einleitung für seinen Opfertod), (b) mit Jesu triumphalen Einzug in Jerusalem und (c) mit der Vorhersage seines Todes.

 

 

Joh 12,1-2

 

Die Zeitangaben werden nun genauer und bedeutsamer: es war sechs Tage vor dem Passafest . Jesus kehrte aus Ephraim ( Joh 11,54 ) nach Betanien zurück, wo auch Lazarus war, und nahm an einem Mahl teil, das ihm zu Ehren veranstaltet wurde. Markus berichtet noch, daß es im Hause Simons des Aussätzigen stattfand ( Mk 14,3-9 ). Es muß ein Freudenmahl gewesen sein, bei dem auch Maria, Marta und Lazarus anwesend waren. Die Beziehung dieser Familie zu Simon ist uns nicht bekannt, doch muß es eine sehr enge gewesen sein, da Marta bei Tisch bediente.

 

 

Joh 12,3

 

Die unverfälschte Narde war ein aus den Wurzeln und unteren Stengelteilen eines aus Nordindien kommenden aromatischen Baldriangewächses gewonnenes Duftöl. Es war sehr kostbar und wurde in versiegelten Alabasterfläschchen importiert und nur zu ganz besonderen Zwecken verwendet. Marias verschwenderisches Geschenk ( ein Pfund ) war Ausdruck ihrer Liebe zu Jesus und ihres Dankes, daß er Lazarus zum Leben erweckt hatte. Das Haus aber wurde erfüllt vom Duft des Öls. Das ist eine von Johannes' zahlreichen Nebenbemerkungen, die darauf hinweisen, daß er ein Augenzeuge des Wirkens Jesu war.

 

 

Joh 12,4-5

 

Judas Iskariot erhob Einspruch gegen diese - in seinen Augen - unnötige "Verschwendung". Sein Einwand, daß man den Erlös aus dem Verkauf des Öls den Armen hätte geben können, war jedoch wohl nicht ehrlich gemeint (vgl. V. 6 ). Nach Markus ( Mk 14,4-5 ) machten sich auch die anderen Jünger seine Kritik zu eigen und tadelten Maria ebenfalls. Das Böse greift rasch um sich, und sogar führende Männer können zum Werkzeug Satans werden. Der Wert des Parfums betrug immerhin einen Jahreslohn (wörtlich: "dreihundert Silbergroschen"), eine Summe, die zu ersparen wohl ein ganzes Leben nötig war.

 

 

Joh 12,6

 

Der Evangelist war aus seiner Perspektive heraus in der Lage, die Gründe für das Verhalten von Judas anzugeben. Anscheinend war Judas der Schatzmeister der Zwölf (vgl. Joh 13,29 ) und stahl häufig kleinere Summen aus dem Geldbeutel . Maria hatte offen und freigebig geschenkt, Judas dagegen hortete heimlich und aus eigennützigen Motiven Geld für sich. Schließlich verriet er Jesus sogar für Geld - für dreißig Silberlinge (das war der Preis für einen Sklaven; vgl. 2Mo 21,32; Sach 11,12-13 ).

 

 

Joh 12,7-8

 

Normalerweise war das Salben eine festliche Handlung, in diesem Fall jedoch war es eine Vorwegnahme von Jesu Begräbnis . Jesus, der von Gottes Wort lebte, wußte, daß er als der leidende Gottesknecht Schmerzen leiden, sterben und begraben werden mußte (vgl. Jes 53,9 ).

Daher nahm er sofort Marias Liebestat und Frömmigkeit in Schutz. Der Satz "denn Arme habt ihr allezeit bei euch" war nicht als göttliche Gutheißung der Armut oder als Ermutigung, nichts für die Armen zu tun, gemeint.Jesus sagte hier vielmehr, daß es viele Gründe für Armut gibt und die Menschen immer Gelegenheit haben, Armen zu helfen ( Mk 14,7 ), daß die Gelegenheit, ihm, Jesus, auf Erden Liebe zu erweisen, jedoch bald nicht mehr gegeben sei: Mich aber habt ihr nicht allezeit (vgl. Joh 12,35;13,33;14,3-4 ).

 

 

2. Der triumphale Einzug in Jerusalem

( 12,9 - 19 )

 

Joh 12,9-11

 

Jesus war inzwischen so populär geworden, daß es unmöglich für ihn war, sich unbemerkt in der Nähe von Jerusalem aufzuhalten. Von überall her kamen die Menschen zum Passafest. Viele von ihnen suchten Jesus (vgl. Joh 11,56 ) und auch Lazarus auf: Weil letzterer auferweckt worden war, gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus . Daher beschlossen die Hohenpriester, beide - Jesus und Lazarus - zu töten!

 

 

Joh 12,12-13

 

Die Menschen waren außer sich vor Begeisterung. Tausende galiläischer Pilger waren aufs Fest gekommen und Augenzeugen der großen Taten Jesu geworden. Bis jetzt hatte er zwar die Rolle eines politischen Messias stets abgelehnt ( Joh 6,15 ), doch nun, so glaubten sie, sei der richtige Augenblick gekommen, ihn auch zum politischen Führer zu proklamieren. Jesus zog in Jerusalem, die Stadt des großen Königs, ein. Das Volk schwenkte Palmzweige , das Symbol des Sieges, und rief ( ekraugazon ; vgl. den Kommentar zu Joh 11,43 ): "Hosianna!" Das ist hebräisch und heißt "hilf uns" oder "hilf uns jetzt" (vgl. Ps 118,25 ) und war im Lauf der Zeit ein Lobgesang geworden. Außerdem verlieh ihm die Menge mehrere messianische Titel: Der da kommt ( Ps 118,26 ,wörtlich: "der Kommende"; vgl. Joh 11,27 ) und König von Israel .

 

 

Joh 12,14-15

 

Jesu Einzug in die Stadt auf einem jungen Esel war ein Symbol des Friedens (vgl. den Kommentar zu Mt 21,2 ,demzufolge Jesus auf einer Eselin und auf einem Füllen ritt). Er ritt nicht etwa ein Pferd, trug auch kein Schwert oder eine Krone und kam nicht, wie so viele Könige, in einem Kriegswagen. Sein Einzug erfüllte die Prophezeiung Sacharjas, der das Kommen Jesu ( Sach 9,9 ) dem Kommen Alexanders des Großen gegenüberstellte ( Sach 9,1-8 ). Tochter Zion war die poetische Bezeichnung für die Einwohner Jerusalems, der Stadt, die auf dem Zion erbaut ist. Hier, in dem Zitat aus Sach 9,9 , wird Jesus Israels König genannt.

 

 

Joh 12,16

 

Obwohl die Jünger Jesus so nahe standen und auch bei seinem Einzug in Jerusalem dabeiwaren, verstanden sie die Ereignisse nicht. Sie besaßen noch nicht die Perspektive des Kreuzes und der Auferstehung ( als Jesus verherrlicht war ); sie wußten nicht, daß bei Sacharja dies von ihm geschrieben stand . Ihr Glaube war noch schwach; sie hatten noch nicht den Beistand des Heiligen Geistes (vgl. Joh 16,12-14 ).

 

 

Joh 12,17-18

 

Die Menge, die Jesus folgte, wurde ständig größer. Die Neuigkeit des großen Zeichens - daß er Lazarus aus dem Grabe rief - verbreitete sich in der ganzen Stadt, und immer mehr Menschen gingen ihm entgegen. Es war ein Tag großer öffentlicher Anerkennung Jesu, doch leider besaßen die Menschen, die ihm zujubelten, nur wenig geistliche Einsicht.

 

 

Joh 12,19

 

Der begeisterte Empfang, der Jesus von den Massen bereitet wurde, vereitelte zunächst den Plan der Pharisäer, ihn zu verhaften, und sie überlegten, wie sie ihn statt dessen heimlich gefangennehmen und töten könnten. "Ja nicht bei dem Fest", sprachen sie, "damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe" ( Mk 14,1-2 ). Ganz pessimistisch gestanden sie sich ein: Alle Welt läuft ihm nach. Hierin liegt abermals eine gewisse Ironie, denn die meisten dieser Pilger glaubten nicht wirklich an Jesus.

 

 

3. Die Griechen auf dem Fest

( 12,20 - 36 )

 

Joh 12,20

 

Die Erwähnung der Griechen ist ebenfalls bedeutsam. Sie waren die Wanderer der Alten Welt, die großen Sucher der Wahrheit. Bei den Griechen, von denen hier die Rede ist, handelte es sich wahrscheinlich um sogenannte "Gottesfürchtige", die Anschluß an die Synagogen suchten und an den jüdischen Festen teilnahmen. Ihr Kommen war zugleich ein Symbol für das Kommen der Heiden, die Gott durch Christus anbeten sollten (vgl. Joh 10,16 ).

 

Joh 12,21-22

 

Warum baten sie gerade Philippus, Jesus sehen zu dürfen? Vielleicht, weil er einen griechischen Namen trug oder weil er Kontakt zu Griechen aus dem Gebiet der Dekapolis hatte. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus . Wahrscheinlich wollten sehr viele Leute Jesus sprechen und die Jünger versuchten wohl, ihn bis zu einem gewissen Grad abzuschirmen (vgl. Lk 18,15-16 ).

 

 

Joh 12,23-24

 

Jesu Entscheidungsstunde stand nun nahe bevor (vgl. Joh 2,4;4,21.23;7,6.8.30;8,20 ). Auch die Anwesenheit der Griechen bestätigte, daß die Zeit gekommen war, daß der Menschensohn verherrlicht werde (vgl. Joh 12,23;13,1;17,1 ). Für die meisten Menschen bedeutet der Tod eine Demütigung, doch für Jesus war er das Tor zur Verherrlichung. Seine Bereitwilligkeit, in Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters für die Sünden anderer zu sterben ( Jes 53,10.12 ), brachte ihm Ruhm (Herrlichkeit; vgl. Joh 12,16;17,1.5 ). "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch" war die Einleitung für eine feierliche Bestätigung. Die Analogie mit dem Weizenkorn, das in die Erde fällt und erstirbt und viel Frucht bringt , lehrt, daß der Tod nötig ist, wenn es eine Ernte geben soll.

 

 

Joh 12,25-26

 

Das Beispiel vom Weizenkorn (V. 24 ) veranschaulicht ein allgemeingültiges, paradoxes Prinzip: Der Tod ist der Weg ins Leben. In Jesu Fall führte sein Tod zu Herrlichkeit und Leben nicht nur für ihn selbst, sondern auch für andere.

Ähnlich verhält es sich bei einem Jünger Jesu. Er muß sein Leben auf dieser Welt hassen , d. h., er muß Christus so ergeben sein, daß er völlig uneigennützig handelt. Wer aber sein Leben lieb hat, der wird's verlieren . Alles im Leben, auch Ziele, Interessen und Liebe, kann zum Götzen werden (vgl. Lk 12,16-21; Lk 18,18-30 ). Ein Gläubiger aber sollte seinen egoistischen Bestrebungen absterben ( Röm 6,1-14; 2Kor 5,14-15; Gal 6,14 ).

Ein Jünger Jesu zu sein, bedeutet, ihm nachzufolgen. Viele von Jesu ersten Jüngern folgten ihm tatsächlich bis in den Tod. Nach der Überlieferung starb ein Großteil von ihnen als Märtyrer. Jesu Worte waren also eine Prophezeiung und gleichzeitig eine Verheißung. Seine wahren Jünger (die ihm dienen) folgen ihm in die Erniedrigung und später in die Ehre und Herrlichkeit ( Röm 8,17.36-39; 2Tim 2,11-13 ).

 

 

Joh 12,27-28 a

 

Jesus lehrte die Jünger den Preis für die Treue gegenüber dem Willen des Vaters, indem er ihnen seine Gefühle enthüllte. Er war in großer innerer Unruhe ( tetaraktai , "bewegt"; vgl. Joh 11,33;14,1 ), weil er im Tod zur Sünde gemacht werden sollte ( 2Kor 5,21 ). Doch sollte er deshalb vor dem Kommenden zurückschrecken und darum bitten, daß ihm aus dieser Stunde geholfen werde? Mit Sicherheit nicht, denn er war ja Fleisch geworden, damit er in diese Stunde komme (vgl. Joh 12,23;13,1;17,1 ). Mit der Bitte "Vater, verherrliche Deinen Namen" gab Jesus seiner Bereitschaft, sich dem Willen des Vaters ganz zu unterwerfen, Ausdruck. So wie er sollten sich auch die Gläubigen in Schwierigkeiten verhalten und sich trotz ihres inneren Widerstrebens dem Willen des Vaters fügen - in dem Wunsch, daß sein Name verherrlicht werde.

 

 

Joh 12,28-29 (Joh 12,28b-29)

 

Da ertönte eine Stimme vom Himmel , und der Vater bestätigte sein Wirken in Jesus sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft. Die Stimme war zwar hörbar, doch nicht alle verstanden sie (vgl. V. 30 ; Apg 9,7;22,9 ).

Für die geistlich aufgeschlossenen Menschen war die Stimme eine Bestätigung für ihren Glauben, für die Verstockten dagegen war sie nur ein lautes Donnern (vgl. 1Kor 2,14 ).

 

 

Joh 12,30-31

 

Jesu Tod am Kreuz war das Gericht über diese Welt . Das Böse wurde damit gesühnt und die Torheit der Ziele, Maßstäbe und Religionen der Welt wurde erwiesen. Aber das Kreuz war auch die Niederlage Satans ( Offb 12,10 ). Der Fürst dieser Welt (d. i. Satan; vgl. Joh 14,30;16,11 ) wird, nach Jesu Worten, ausgestoßen werden. Seine Macht über die Menschen, die sich in Sünde und Tod manifestierte, ist gebrochen; sie können nun aus seinem Reich der geistlichen Finsternis und aus der Sklaverei der Sünde erlöst werden ( Kol 1,13-14; Hebr 2,14-15 ).

 

 

Joh 12,32-33

 

Jesu Worte "wenn ich erhöht werde von der Erde" bezogen sich nicht auf seine Himmelfahrt, sondern auf seine Kreuzigung (vgl. Joh 3,14;8,28 ). Er wußte, daß er - erhöht am Kreuz - sterben würde. Die häufigste Todesstrafe bei den Juden war allerdings die Steinigung (vgl. den Tod des Stephanus; Apg 7,58-59 ).

Am Kreuz wollte Jesus alle zu sich ziehen . Damit meinte er nicht, daß alle gerettet würden - er wies vielmehr ausdrücklich darauf hin, daß viele auch verloren gehen würden ( Joh 5,28-29 ). Wenn dieses "Zu-Sich-Ziehen" des Sohnes dasselbe ist wie das "Ziehen" des Vaters ( Joh 6,44 ), bedeutet das, daß er die Menschen zu sich holen wird, ohne Unterschiede zu machen. Nicht nur Juden werden gerettet werden, sondern Menschen aus jedem Stamm, jeder Sprachgemeinschaft, jedem Volk und jeder Nation ( Offb 5,9; vgl. Joh 10,16;11,52 ).

 

 

Joh 12,34

 

Das Volk war verwirrt. Wenn der Messias der Menschensohn war, sollte er doch wohl in Ewigkeit bei ihnen bleiben . Dan 7,13-14 z. B. hatte vom immerwährenden Reich des Menschensohnes gesprochen. Vielleicht fragten sich die Menschen auch, ob Jesus hier zwischen dem Messias ( Christus ) und dem Menschensohn unterschied. Verwendete er den Begriff "Menschensohn" nicht im Sinne von Dan 7,13 ? Sie schienen zu verstehen, daß Jesus von seinem bevorstehenden Tod sprach, doch sie verstanden nicht, wie er sterben konnte, wenn er der Messias war.

 

 

Joh 12,35-36

 

Die Leute taten sich schwer, das, was ihrem Verstand hier zugemutet wurde, zu verarbeiten. Doch Jesus wies sie darauf hin, daß das Ganze vor allem eine Sache der ethischen Entscheidung war. Die Zeit, in der sie sich zu ihm bekennen konnten, ging zu Ende. Er war das Licht der Welt ( Joh 1,4.9;8,12;12,46 ), doch er mußte sie bald verlassen (V. 23 ). Die Finsternis der Nacht brach herein, und mit ihr sollte das Böse von den Menschen Besitz ergreifen. "Wer in der Finsternis wandelt" bezieht sich auf die Ungläubigen, die durchs Leben stolpern, ohne überhaupt zu wissen, was das Leben ist und wo es hinführt (vgl. Joh 3,19;8,12; 1Joh1,6 ). Das Privileg der Gläubigen hingegen ist es, an das Licht (d. h. an Jesus) zu glauben und Kinder des Lichts (d. h. seine Jünger; vgl. Röm 13,12; Eph 5,8.14; Kol 1,13-14; 1Thes 5,5; 1Joh 1,7;2,10 ) zu werden. Abermals entzog sich Jesus ihnen auf übernatürliche Weise (vgl. Joh 5,13;8,59;10,39 ).

 

 

H. Der Unglaube des jüdischen Volkes

( 12,37 - 50

 

1. Johannes' Erklärung

( 12,37 - 43 )

 

Joh 12,37

 

Von Anbeginn seines Evangeliums an ( Joh 1,1 ) war es dem Evangelisten Johannes um die Darstellung des Unglaubens des jüdischen Volks gegangen. Jetzt führt er aus, daß die Menschen, trotz aller Zeichen ( sEmeia ), die Jesus vor ihren Augen tat, nicht an ihn glaubten . Ihr Unglaube war stark irrational eingefärbt.

 

 

Joh 12,38

 

Bereits der Prophet Jesaja hatte auf diesen irrationalen Unglauben des jüdischen Volks hingewiesen. Die klarste Textstelle des Alten Testaments über den leidenden Gottesknecht ( Jes 53,1-12 ) beginnt mit der Aussage, daß Israel Gottes Offenbarung in und durch seinen Knecht nicht verstehen würde. Die Sätze "Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?" implizieren, daß immer, zu allen Zeiten, nur einige wenige Menschen geglaubt haben (vgl. Jes 53,1 ).

 

 

Joh 12,39-40

 

Noch ein weiteres Jesaja-Zitat ( Joh 6,10 ) führt der Evangelist an, um zu erklären, daß das Volk als Ganzes unfähig war zu glauben. Weil die Menschen Gottes Offenbarung wieder und wieder zurückgewiesen hatten, hatte er ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt . Bereits zur Zeit Jesajas hatten sie sich also geweigert zu glauben. Sie "wollten nicht glauben" ( Joh 12,37 ), daher konnten sie nicht glauben (V. 39 ). Es gibt noch viele weitere Beispiele dafür, daß Gott die Sünden der Menschen bestrafte, indem er ihre Herzen verhärtete ( 2Mo 9,12; Röm 1,24.26.28; 2Thes 2,9-12 ).

 

 

Joh 12,41

 

In einer Vision sah Jesaja "den Herrn Zebaoth" ( Jes 6,3; wörtlich: "den Herrn der Heerscharen"). Johannes schreibt, daß die Herrlichkeit, die Jesaja in seiner Vision schaute, Jesu Herrlichkeit war. Die Implikation dieser Aussage ist bestürzend: Jesus ist Jahwe! (vgl. Joh 1,18;10,30;20,28; Kol 2,9 ). Jesus ist seinem Wesen nach Gott (doch Gott, der Sohn, unterscheidet sich der Person nach von Gott, dem Vater, und Gott, dem Geist). Bereits Jesaja redetete von ihm . Viele Prophezeiungen Jesajas betreffen den kommenden Messias, Jesus von Nazareth (z. B. Jes 4,2;7,14;9,5-6;11,1-5.10;32,1;42,1-4;49,1-7;52,13-53,12;61,1-3 ). Auch Jesus hatte schon früher darauf hingewiesen, daß bereits Mose über ihn geschrieben hatte ( Joh 5,46 ).

 

 

Joh 12,42-43

 

Doch obwohl der größte Teil des Volkes nicht an Jesus glaubte, war die Situation nicht hoffnungslos. Gott hat stets eine kleine Schar Getreuer. Viele hochgestellte Personen glaubten an Jesus, bekannten sich aber nicht dazu, aus Angst, aus der Synagoge ausgestoßen zu werden . Sie fürchteten die Meinung der Leute, denn sie hatten lieber Ehre bei den Menschen als Ehre bei Gott .

 

 

2. Jesu Ermahnung

( 12,44 - 50 )

 

Wann und wo Jesus die folgenden Worte sprach, wird nicht gesagt. Es scheint sich um eine Zusammenfassung der Selbstoffenbarungen Jesu vor dem Volk zu handeln.

 

 

Joh 12,44-46

 

Daß Jesus das folgende rief ( ekraxen , "rief aus"; vgl. Joh 1,15;7,28.37 ), ist wiederum ein Hinweis auf die Bedeutung, die diesen Worten zukommt. Jesus ist die vollkommene Manifestation Gottes, der ihn gesandt hat ( Joh 1,18; Kol 1,15; Hebr 1,3 ); an Jesus zu glauben heißt also, an Gott zu glauben. Die Menschen glauben dabei nicht an zwei Personen: an Gott und/oder Jesus. Wer Jesus sieht, der sieht den, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 12,41;14,9 ). Jesus ist gekommen, um die Menschen aus dem Reich des Satans, der Finsternis, in das Reich Gottes, das Reich der Liebe und des Lichts, zu führen (vgl. Joh 1,4.9;8,12;12,35; Kol 1,13-14 ).

 

 

Joh 12,47-50

 

Da Jesus das Wort Gottes ( Logos ) an die Menschen ist, sprach Gott in ihm auch das abschließende Urteil über sie ( Hebr 1,1-3 ). Es geht um das Gebot des Vaters. Dem Vater zu gehorchen heißt, das ewige Leben zu erhalten. Das Wort des Vaters - Jesu Wort ( Joh 12,48; vgl. V. 50 b; Joh 7,16;14,10-24 ) - zu verwerfen heißt, im Tod zu bleiben. Mose sagte das Kommen des großen Propheten voraus (der für Gott sprechen sollte). Er schrieb: "Dem sollt ihr gehorchen." ( 5Mo 18,15 ). Das Gericht am Jüngsten Tage ist die Strafe für die Verwerfung dessen, den der Vater sandte ( 5Mo 18,18-19; Joh 3,18.36;5,24 ).

Mit seiner Offenbarung in Jesus verfolgte Gott etwas Positives: Er kam, die Welt zu retten, nicht, sie zu richten ( Joh 12,47; vgl. Joh 3,17 und den Kommentar zu Joh 9,39 ). Doch die Ablehnung der Offenbarung Gottes führt unausweichlich zur Verhärtung in Sünde und schließlich zum Gericht.

Seiner Schilderung des Unglaubens des jüdischen Volkes setzt der Evangelist Jesu eindringlichen Aufruf zur Buße gegenüber. Mit den Worten Moses wies er die Menschen darauf hin: "denn es ist nicht ein leeres Wort an euch, sondern es ist euer Leben" ( 5Mo 32,47 ).

 

 

III. Jesu Weisungen an seine Jünger

( Joh 13-17 )

 

A. Das letzte Abendmahl

( 13,1 - 30 )

 

1. Die Fußwaschung

( 13,1 - 17 )

 

Stärker als die Synoptiker geht das Johannesevangelium auf die Lehren, die Jesus seinen Jüngern vor seinem Tod gab, ein. Die Kap. 13 - 17 konzentrieren sich ganz auf die Weisungen in jener verhängnisvollen Nacht, in der er gefangengenommen wurde. Zuvor wusch Jesus seinen Jüngern die Füße und sagte nochmals voraus, daß er von einem von ihnen verraten würde.

 

 

Joh 13,1

 

Jesus erkannte, daß seine Stunde gekommen war (vgl. Joh 2,4;7,6.8.30;12,23.27;17,1 ), daß er aus dieser Welt ginge zum Vater . Sein Tod und seine Auferstehung standen unmittelbar bevor. Er war gekommen, um im Gehorsam gegenüber dem Willen seines Vaters zu sterben. Sein Kommen war eine Liebestat für die ganze Menschheit ( Joh 3,16 ). Doch vor allem liebte er die Seinen ; ihnen offenbarte er das ganze Ausmaß seiner Liebe. Hier ist an seinen unermüdlichen Dienst für die Menschen ( Joh 13,1-17 ), seine Lehre ( Joh 13,18-17,26 ) und an seinen Tod ( Joh 18-19 ) gedacht.

 

 

Joh 13,2-4

 

Beim Abendessen vor dem Passafest hatte der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, bereits ins Herz gegeben, Jesus zu verraten ( Joh 6,70-71 ). Später ergriff er dann noch ganz direkt von Judas Besitz ( Joh 13,27 ). Doch trotz der Einmischung Satans geschah alles, was zum Tode Jesu führte, nach Gottes Plan. Jesus kannte (vgl. V. 1. 18 ) seine Macht und seine Herkunft und wußte um sein Schicksal; und doch tat er freiwillig die Arbeit eines Sklaven und wusch seinen Jüngern die Füße. Diese Tat steht in schroffem Kontrast zu ihrer Selbstsucht (vgl. Mt 20,20-24; Mk 9,33-34; Lk 22,24-30 ) und ist ein Symbol für sein ganzes Wirken auf Erden (vgl. Phil 2,5-8 ).

 

 

Joh 13,5

 

Das Waschen der Füße war in Palästina unbedingt erforderlich. Die Straßen waren staubig, und die Menschen trugen nur Sandalen, keine Socken oder Strümpfe. Es war ein Zeichen der Hochschätzung des Gastgebers gegenüber dem Gast, wenn er ihm einen Sklaven zur Verfügung stellte, der ihm die Füße wusch, und das Unterlassen dieser Geste war eine Verletzung der Gastfreundschaft (vgl. 1Sam 25,41; Lk 7,40-50; 1Tim 5,10 ). Häufig wuschen auch die Ehefrauen ihren Männern oder die Kinder den Eltern die Füße.

 

Joh 13,6-8

 

Petrus, der spürte, daß Jesus ihnen mit der Fußwaschung einen Dienst erwies, den eigentlich die Jünger ihm hätten leisten sollen, fragte ihn, warum er, der Herr, die Füße seines Knechtes Petrus wusch. (Das Wort du ist im Griechischen hervorgehoben.) Doch Jesus antwortete ihm, daß er die Bedeutung dieser Handlung hernach (d. h. nach seinem Tod und seiner Auferstehung) erfahren werde.

Petrus wehrte sich: "Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!" Offensichtlich war ihm - ein weiteres Beispiel für seine Gedankenlosigkeit - nicht klar, daß Jesus diesen Dienst an ihm verrichten mußte (vgl. Mk 8,32;9,5 ). Jesus antwortete: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. Das heißt nicht "Wenn du nicht getauft bist, kannst du nicht gerettet werden", sondern "Wenn ich nicht durch meinen Sühnetod deine Sünden abwasche (vgl. Offb 1,5 ), so hast du keine wirkliche Beziehung zu mir" (vgl. 1Joh 1,7 ).

 

 

Joh 13,9-10

 

Petrus verstand ihn zwar noch immer nicht, doch er wollte auf alle Fälle zu Jesus gehören. Daher bat er ihn nun, auch seine Hände und sein Haupt zu waschen, doch Jesus sprach: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als daß ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. (In manchen griechischen Handschriften fehlt das Wort "Füße".) Die römisch-katholische Kirche hat Vers 10 manchmal dahingehend interpretiert, daß nach der Kindertaufe nur noch Buße nötig ist. Plausibler ist jedoch die Erklärung, daß nach der durch Jesus bewirkten Rettung nur noch das Bekenntnis der Sünden, die ständige Berufung auf Jesu Tod, notwendig ist, um sich jeden Tag aufs neue von seinen Sünden zu reinigen (vgl. 1Joh 1,7;2,1-2 ). Der Zusatz "und ihr seid rein, aber nicht alle" bezog sich auf Judas (vgl. Joh 13,11.18 ) - ein Hinweis, daß Judas nicht bekehrt war.

 

 

Joh 13,11

 

Judas hatte die lebenspendenden, reinigenden Worte Jesu zurückgewiesen (vgl. Joh 6,63;15,3 ), daher lebte er noch in der Sünde. Jesus wusch zwar auch ihm die Füße, doch für ihn hatte diese Tat keine Bedeutung. Auch hier weist Johannes auf Jesu übernatürliches Wissen (vgl. Joh 2,25;4,29 ), daß Judas ihn verraten würde, hin.

 

 

Joh 13,12-14

 

Nach seinem Demutsbeweis fragte der Herr seine Jünger, um ihnen die Bedeutung dieser Lehre klarzumachen: "Wißt ihr, was ich euch getan habe?" Daß er die Berechtigung ihrer Anrede ( Ihr nennt mich Meister [ didaskalos ] und Herr [ kyrios ]) bestätigt, zeigt, daß Jesus über seinen Jüngern steht. Und doch hatte er ihnen diesen Dienst erwiesen. In Selbstaufopferung die Bedürfnisse anderer zu erfüllen war genau das, was auch von ihnen in Zukunft verlangt wurde.

 

 

Joh 13,15-16

 

Die Fußwaschung war ein Beispiel ( hypodeigma , "Muster"). Viele Gruppen und Sekten haben sie als kirchlichen Brauch wirklich praktiziert. Heute ist es jedoch in vielen Ländern nicht mehr nötig, die Füße der Gäste zu waschen. Die Urkirche kannte nur das Ritual des Abendmahls, nicht der Fußwaschung. In dieser Bibelstelle geht es denn auch um die innere Haltung der Demut, nicht um ein äußerliches Ritual. Der Brauch, daß eine Witwe den Heiligen die Füße wusch ( 1Tim 5,10 ), bezieht sich nicht auf einen Gottesdienstritus, sondern auf den demutsvollen Dienst der Christen untereinander. Dem Beispiel Jesu nicht zu folgen heißt, sich im Stolz über ihn zu erheben. Doch der Knecht ist nicht größer als sein Herr (vgl. Joh 12,26 ).

 

 

Joh 13,17

 

Gott segnet seine Knechte nicht für das, was sie wissen, sondern für ihre Reaktion auf ihr Wissen. Christlicher Segen ( selig seid ihr ) ist die Folge gehorsamen Dienstes ( wenn ihr's tut , d. h., wenn ihr das tut, was Jesus gebot).

 

 

2. Jesu Ankündigung, daß er verraten wird

( 13,18 - 30 )

 

Joh 13,18-19

 

Jesus hatte den Jüngern soeben gesagt, daß Gehorsam zur Seligkeit führt (V. 17 ). Nun fügte er hinzu, daß einer der Jünger davon ausgenommen sei. Daß es gerade Judas war, war kein Zufall und auch kein Fehler in Gottes Plan. Jesus wählte den Verräter unter seine zwölf Jünger (vgl. Joh 6,70-71 ), damit die Schrift , d. h. Ps 41,10 , erfüllt werde . Wie König David von seinem Freund und Vertrauten Ahitofel verraten wurde, der sich daraufhin erhängte ( 1Sam 16,20-17,3.23 ), so verriet Judas, einer der engsten Vertrauten Jesu, seinen Herrn und erhängte sich dann ebenfalls. Obwohl Gott diese Tat des Judas im voraus bekannt war, trug der Jünger die Schuld doch völlig allein. Die Tatsache, daß Jesus alles, was geschehen würde, bereits wußte ( ehe es geschieht ) und daß es in Erfüllung der Schrift geschah, bestärkte die Jünger später in ihrem Glauben daran, daß Jesus von Gott gesandt war (vgl. Joh 14,29 ).

 

 

Joh 13,20

 

So wie Jesus eine heilige Würde besaß, weil ihn der Vater gesandt hatte, waren auch die Jünger als Stellvertreter Jesu zu ehren. Wer sie aufnahm, nahm Jesus - den, den sie vertraten - und damit den Vater auf.

 

 

Joh 13,21

 

Jesus war betrübt im Geist . (Das griechische Wort für "betrübt" ist etarachthE ; "bewegt"; dasselbe Wort benutzte Johannes in Joh 11,33 und Joh 12,27 ; vgl. auch Joh 14,1.27 ). Als Mensch war Jesus betrübt, daß Judas schon so bald seine Liebe und Freundschaft verraten würde. Als Gott wußte er, daß es geschehen mußte. Er spürte die Hartherzigkeit und Kälte, die die Sünde in Judas bewirkt hatte. Das Wort "bezeugte" und die Formel "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" betonen den Ernst dieser Ankündigung Jesu. Joh 13,22 : Daß ein Mitglied ihres engen, vertrauten Kreises Jesus verraten sollte, überstieg das Fassungsvermögen der Jünger. Judas hatte sich bis jetzt so sehr zurückgehalten, daß niemand auf die Idee kam, ihn zu verdächtigen.

 

 

Joh 13,23-24

 

Simon Petrus, der Leiter und vielleicht auch der gefühlsbetonteste seiner Jünger, wollte den Verrat verhindern. Lukas ( Lk 22,38.49-50 ) erwähnt, daß die Jünger sogar zwei Schwerter besaßen. Bei dem Jünger, den Jesus lieb hatte , handelte es sich offensichtlich um Johannes, den Verfasser des Evangeliums (vgl. die Einführung). Johannes und Judas saßen bei Tisch neben Jesus; da Petrus selbst zu weit von ihm entfernt war, winkte er Johannes und bat ihn, Jesus zu fragen, von wem er gesprochen hatte.

 

 

Joh 13,25-27

 

Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? Doch dabei entging ihm, daß Jesus Judas den Bissen gab - die letzte Gnadenbezeugung des Herrn gegenüber seinem Verräter. Diese Geste eines Gastgebers seinem Gast gegenüber war ein Zeichen der Freundschaft. Ausgerechnet der Freundschaftsbeweis Jesu besiegelte also den Verrrat der Freundschaft durch Judas!

Der Satz "Satan fuhr in ihn" (vgl. V. 2 ) ist eine der schrecklichsten Aussagen der Bibel. Judas wurde damit zum Werkzeug des Teufels, der ihn benutzte, um seinen Willen durchzusetzen. Tue bald heißt wörtlich: "tue rascher" - vielleicht trieb Jesus Judas an, damit der Zeitplan Gottes eingehalten wurde.

 

 

Joh 13,28-30

 

Da niemand die Bedeutung von Jesu Worten verstand, blieb wohl auch dem Jünger, den Jesus lieb hatte, zunächst verborgen, was sein Hinweis mit dem "Brocken" bedeutete. Als Judas hinausging , dachte noch keiner an etwas Böses. Sie nahmen an, daß er als ihr Schatzmeister (vgl. Joh 12,6 ) kaufen wollte, was zum Fest nötig war, oder daß er den Armen etwas geben wollte. Judas hatte also die Jünger, nicht jedoch Jesus getäuscht. Die Bemerkung "und es war Nacht" wäre in jedem anderen Evangelium wohl lediglich eine Zeitangabe, doch im Johannesevangelium besitzt sie darüber hinaus symbolische Bedeutung. Judas verließ das Licht ( Joh 8,12;12,35.46 ) und ging hinaus in die Finsternis der Sünde ( Joh 3,19 ).

 

 

B. Jesu bevorstehender Abschied

( 13,31 - 38 )

 

Joh 13,31-32

 

Nachdem Judas gegangen war, überstürzten sich die Ereignisse, die schließlich zu Jesu Tod führten. Jesus war nun frei von der nervösen Spannung, die Satan in Judas hervorgerufen hatte. Auch die lange Anspannung, die sich mit dem Näherrücken seines Todes aufgebaut hatte ( Lk 12,50 ), sollte nun bald vorüber sein. Das Wort "verherrlicht" steht fünfmal in diesen beiden Versen. In Jesu Tod offenbarten sich seine einzigartige Herrlichkeit und auch die Herrlichkeit des Vaters, weil sich in ihm die Liebe Gottes, seine liebende Hinwendung zu den Menschen und seine Gerechtigkeit zeigten (vgl. Joh 1,14; Röm 3,21-26 ). Die Worte "Gott wird ihn bald verherrlichen" sind ein Vorverweis auf die Auferstehung und die Himmelfahrt.

 

 

Joh 13,33

 

"Liebe Kinder" ist die Übersetzung von teknia ("kleine Kinder; der Diminutiv von tekna , "Kinder"). Diese liebevolle Bezeichnung war der Ausdruck von Jesu Sorge um die Jünger. Jesus benutzte ihn nur an dieser Stelle und nur in diesem Evangelium; Johannes verwendet ihn dann noch siebenmal in seinem ersten Brief ( 1Joh 2,1.12.28;3,7.18;4,4;5,21 ), und auch bei Paulus findet er sich einmal ( Gal 4,19 ). Abermals verkündigte Jesus den Jüngern, daß er sie nun bald verlassen würde und sie ihn nicht würden finden können (vgl. Mt 23,39; Joh 7,34;8,21;12,8.35 ). Das bezog sich sowohl auf seine Auferstehung als auch auf seine Himmelfahrt.

 

 

Joh 13,34-35

 

Die elf Jünger würden in seiner Abwesenheit überleben, indem sie seinem Beispiel der Liebe folgten. Dieses Gebot war insofern neu, als es sich hier um die besondere, an JesuOpfer am Kreuz anschließende Liebe zu anderen Gläubigen handelt: ... daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe . Die Liebe und Hilfsbereitschaft der Christen untereinander sollte es ihnen ermöglichen, in einer feindlichen Welt zu überleben. Wie Jesus die Verkörperung der Liebe Gottes war, so sollte jetzt jeder Jünger die Liebe Christi verkörpern. Diese Liebe ist ein Zeichen für die Welt und für jeden Gläubigen ( 1Joh 3,14 ).

 

Joh 13,36-38

 

Petrus, der stets aussprach, was ihm durch den Kopf ging, griff auf, was Jesus über sein Fortgehen gesagt hatte (V. 33 ), und wollte nun wissen, wohin er ging (vgl. die ähnliche Frage von Thomas; Joh 14,5 ). Er liebte Jesus und wollte bei ihm sein, doch Jesus antwortete ihm, daß er ihm diesmal noch nicht folgen könne . Eine solche Situation konnte Petrus sich jedoch nicht vorstellen. Er war sich sicher, daß seine Liebe und sein Mut jeder Herausforderung, auch dem Tod, gewachsen wären. Ich will mein Leben für dich lassen , versicherte er. Aber er überschätzte sich, und er kannte nicht die teuflische Macht, die gegen ihn arbeitete (vgl. Lk 22,31-32 ). Jesu Vorhersage, daß Petrus ihn verleugnen werde (du wirst mich dreimal verleugnen ), muß die anderen Jünger zutiefst erschreckt haben. Wahrscheinlich fragten sie sich daraufhin, ob Petrus der Verräter sei (vgl. Joh 13,21-25 ).

 

 

C. Jesus, der Weg zum Vater

( 14,1 - 14 )

 

Die Jünger waren nun vollkommen verwirrt und entmutigt. Jesus hatte ihnen gesagt, daß er fortgehen ( Joh 7,34;8,21.35;13,33 ) und sterben ( Joh 12,32-33 ) werde. Einer von ihnen sollte ein Verräter sein ( Joh 13,21 ), ausgerechnet der standhafte Petrus sollte Jesus dreimal verleugnen ( Joh 13,38 ), und der Satan war gegen sie alle am Werk ( Lk 22,31-32 ) und sollte sie dazu bringen, von ihrem Herrn abzufallen ( Mt 26,31 ). Alle diese Enthüllungen müssen sie völlig deprimiert haben.

 

 

Joh 14,2

 

Um sie zu trösten, gab Jesus ihnen mehrere Ermahnungen, die mit Verheißungen verbunden waren. "Euer Herz erschrecke nicht!" "Erschrecken" ist die Übersetzung des griechischen tarasseshO ("bewegt"; vgl. Joh 11,33;13,21;14,27 ). Das Herz ist der innerste Kern der Persönlichkeit eines Menschen, für das jeder Gläubige selbst verantwortlich ist (vgl. Spr 3,1.3.5;4,23;20,9 ). Durch festes Vertrauen auf Gott, den Vater, und Jesus, den Sohn, kann die Seelenangst gemildert und können die kommenden Prüfungen bestanden werden. Mit der Aufforderung "glaubt an Gott und glaubt an mich" gab Jesus den Jüngern wahrscheinlich ein Gebot, nicht nur einen Rat. Der Tod sollte sie nicht schrecken, denn Jesus verließ sie, um ihnen eine Wohnung im Himmel, seines Vaters Haus, zu bereiten .

 

 

Joh 14,3-4

 

"Ich will wiederkommen" bezieht sich hier nicht auf die Auferstehung oder auf den Tod eines Gläubigen, sondern auf die Entrückung der Gemeinde, wenn Christus zurückkehrt, um seine Schafe zu sammeln (vgl. 1Thes 4,13-18 ) und sie zu sich zu holen (vgl. Joh 17,24 ). Jesus sagte nichts über den Ort, an den er gehen würde; es genügt, daß die Gläubigen bei seinem Vater und bei ihm sein werden (vgl. 2Kor 5,8; Phil 1,23; 1Thes 4,17 ). Die Jünger wußten, wie sie in den Himmel kommen konnten: Und wo ich hingehe, den Weg wißt ihr. Während seines ganzen Amtes hatte Jesus ihnen diesen Weg gezeigt, doch sie hatten ihn, wie Thomas' Frage beweist ( Joh 14,5 ), nicht verstanden.

 

 

Joh 14,5-6

 

Die Aussage des Thomas ( Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst ) und seine Frage ( wie können wir den Weg wissen ) spiegelt das Erstaunen der Elf wider (vgl. Petrus' ähnlich lautende Frage in Joh 13,36 ). Diese Verwirrung sollte sich bis zu Jesu Tod und seiner Auferstehung und bis zum Kommen des Geistes nicht auflösen. Die Jünger besaßen alle Informationen, doch sie konnten nichts damit anfangen.

Jesu Worte "ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" sind die sechste von seinen sieben "Ich-bin"-Aussagen im Johannesevangelium ( Joh 6,48;8,12;10,9.11;11,25;14,6;15,1 ). Er ist "der Weg", weil er "die Wahrheit" und "das Leben" ist. Wie der Vater die Wahrheit und das Leben ist, so ist Jesus die Verkörperung Gottes, und über ihn können die Menschen zum Vater kommen (vgl. Joh 1,4.14.18;11,25 ). Mit den Worten "niemand kommt zum Vater denn durch mich" betonte Jesus, daß die Rettung, im Gegensatz zu dem, was die Menschen dachten, nicht auf vielen Wegen erlangt werden kann. Es gibt nur einen einzigen Weg (vgl. Apg 4,12; 1Tim 2,5 ). Jesus ist der einzige Zugang zum Vater, weil er der einzige ist, der vom Vater herkam (vgl. Joh 1,1-2.51;3,13 ).

 

 

Joh 14,7

 

Der erste Satz in diesem Vers ist entweder eine Verheißung ( wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen ) oder auch ein Tadel (wenn ihr mich erkennen würdet, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen). Der folgende Dialog ( Joh 14,8-9 ) scheint anzudeuten, daß die Jünger Jesu Person und Auftrag nicht verstanden (vgl. Joh 8,19 ). "Von nun an kennt ihr ihn" ist also eine Verheißung, die über das Kreuz und die Auferstehung hinausblickt (vgl. Joh 20,28; "Mein Herr und mein Gott").

 

 

Joh 14,8-9

 

Philippus formulierte an dieser Stelle eine universale Sehnsucht der Menschheit: den Wunsch, Gott zu sehen (vgl. 2Mo 33,18 ). In seiner pervertierten Form führt dieser Wunsch zum Götzendienst. Philippus sehnte sich wahrscheinlich nach einer Theophanie (vgl. 2Mo 24,9-10; Jes 6,1 ) oder nach einer anderen sichtbaren Manifestation der Herrlichkeit Gottes. Jesu Ausruf "wer mich sieht, der sieht den Vater" (vgl. Joh 12,45 ) ist einer der verblüffendsten Ansprüche, den er je erhob. Der Vater ist in Jesus, und Jesus ist seine vollkommene Offenbarung ( Joh 1,18 ). Daher war keine weitere Theophanie notwendig, denn in Jesus sahen die Menschen den Vater !

 

 

Joh 14,10-11

 

Es gibt drei Beweise für die Einheit zwischen Jesus und dem Vater. Die Jünger müssen Jesus glauben (a) aufgrund seines Wesens ( ich bin im Vater [vgl. V. 20 ]), und der Vater ist in mir ), (b) weil seine Worte die Worte des Vaters sind ( die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst aus ; vgl. Joh 7,16;12,49-50;14,24 ) und (c) weil seine Wunder das Wirken Gottes in ihm offenbaren (und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke ... glaubt mir doch um der Werke willen; vgl. Joh 5,36 ). Eines der Schlüsselelemente des Johannesevangeliums ist die Betonung der Zeichen als Wegweiser der Gnade zum Glauben (vgl. Joh 5,36;10,25.38;11,47;12,37;20,30-31 ).

 

 

Joh 14,12-14

 

Die Apostel sollten keine größeren Wunder als Jesus selbst tun (z. B. die Auferweckung des Lazarus), doch sie sollten mehr Menschen mit ihrer Botschaft erreichen (z. B. konnte Petrus nach einer Predigt dreitausend Bekehrte verzeichnen). Das war möglich, weil Jesus zum Vater gegangen war und den Heiligen Geist gesandt hatte. Wunder sind wichtig, doch manche Evangelisten haben noch größere Dinge als diese getan, indem sie die gute Nachricht vielen Tausenden predigten.

In meinem Namen (V. 13 - 14 ) ist keine Zauberformel oder Beschwörung. Doch die Gebete der Gläubigen in ihrer Funktion als Stellvertreter Christi, die sein Amt fortführen, werden erhört werden. Diese Lehre führte Johannes in seinem ersten Brief näher aus. Er schrieb: "Wenn wir um etwas bitten nach seinem Willen ... erhalten (wir), was wir von ihm erbeten haben" ( 1Joh 5,14-15 ). In Jesu Namen um etwas zu bitten bedeutet, mit der Bitte im Einklang mit Jesu Willen zu stehen (vgl. "in meinem Namen" in Joh 15,16;16,23-24.26 ). Manche Handschriften enthalten hier noch den Zusatz "mich" (um was ihr mich bitten werdet), was wahrscheinlich korrekt ist. Die Gebete im Neuen Testament sind normalerweise an Gott Vater gerichtet, doch es finden sich auch Gebete an Gott Sohn (z. B. das Gebet des Stephanus an den "Herrn Jesus"; Apg 7,59 ). Das Ziel der erhörten Gebete ist es, den Vater zuverherrlichen . Auch das "Frucht-Bringen" ist letztlich eine Verherrlichung des Vaters ( Joh 15,8 ).

 

 

D. Die Verheißung des Heiligen Geistes

( 14,15 - 31 )

 

Joh 14,15

 

Die Liebe der Jünger zu Christus zeigt sich in ihrem Gehorsam gegenüber seinen Geboten (vgl. V. 21.23 ; 1Joh 2,3;3,22.24;5,3 ). Christus selbst hat ihnen ein Beispiel der Liebe und des Gehorsams gegeben ( Joh 14,31 ); nun sollen ihm die Jünger folgen ( 13, 15 - 16 ).

 

 

Joh 14,16-17

 

Dies ist die erste mehrerer Äußerungen über den Heiligen Geist, die im Zusammenhang mit den Lehren in jenem "oberen Raum", in dem das letzte Abendmahl stattfand, fielen. Bisher wurde im Johannesevangelium wenig über den Geist ausgesagt. Die Worte an Nikodemus ( Joh 3,5-8 ) waren nur für diesen bestimmt, und Joh 7,39 ist ein Vorverweis auf Pfingsten. Der Heilige Geist soll ein Tröster ( paraklEtos ; vgl. Joh 14,26; 15,26; 16,7; s. a. den Kommentar zu Joh 16,7 ) sein. In gewissem Sinn ersetzt er uns heute die physische Anwesenheit Jesu; er bringt den Gläubigen Gott nahe. Der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit (vgl. Joh 15,26; 16,13 ) und Führer der Apostel, wird in Ewigkeit bei den Menschen sein (vgl. Röm 8,9 ). Er ist unsichtbar ( den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht ), und doch ist er real und bewirkt vieles. Wie Radiowellen ohne Radio unbemerkt bleiben, wird auch der Heilige Geist von den Verlorenen, die keine "Antenne" für ihn haben, nicht wahrgenommen. Die Jünger hatten bereits einige Erfahrung mit dem Geist (wenn sie predigten und Wunder vollbrachten) gemacht, doch jetzt sollte ihnen sein Wirken sehr viel vertrauter werden.

Warum sagte Jesus, daß der Heilige Geist bei ihnen sein wird (Futur)? Im Alten Testament kam der Geist nur für bestimmte Aufgaben auf ganz bestimmte Gläubige herab, doch nach Pfingsten wird er für immer in jedem Gläubigen wohnen ( Röm 8,9; 1Kor 12,13 ).

 

 

Joh 14,18-19

 

Was meinte Jesus mit den Worten: Ich komme zu euch ? Sprach er (a) von seiner Auferstehung, (b) von der Entrückung, (c) vom Tod eines Gläubigen, (d) von einer mystischen Erfahrung oder (e) vom Kommen des Heiligen Geistes an Pfingsten? Die erste und die fünfte Deutung scheinen am plausibelsten. Vers 19 spricht insofern für die erste These, als die Jünger Jesus nach seiner Auferstehung tatsächlich erblickten. Darüber hinaus war seine Auferstehung die Gewähr für ihre eigene Auferstehung ( denn ich lebe, und ihr sollt auch leben ; vgl. 1Kor 15,20-21 ) und die Grundlage ihres neuen Lebens.

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Joh 14,20-21

 

"An jenem Tag" bezieht sich möglicherweise auf Pfingsten, als die Ausgießung des Geistes den lebendigen Beweis dafür lieferte, daß Jesus beim Vater war. (Manche beziehen den "Tag" auch auf die Auferstehung, die Grundlage für die Gewißheit der Gläubigen.) An Pfingsten sollte der Geist zu den Gläubigen kommen (V. 17 ) und sie ihre Einheit mit Jesus lehren ( ihr (seid) in mir und ich in euch ), während er Christus in ihnen manifestierte.

Die christliche Liebe zeigt sich am Gehorsam der Gläubigen gegenüber den Geboten des Herrn (vgl. V. 15.23 ). Die Belohnung für diese Liebe wird groß sein: (a) der Vater wird den Gläubigen seine Liebe zeigen (vgl. V. 23 ), und (b) der Sohn wird sie lieben und sich ihnen offenbaren . Diese Textstelle will nicht der Werkgerechtigkeit das Wort reden. Sie besagt vielmehr, daß ein Mensch, der Christi Worte liebt und ihnen gehorcht, vom Herrn geliebt wird. Der rettende Glaube führt zum Gehorsam (vgl. "den Gehorsam des Glaubens", Röm 1,5 ).

 

 

Joh 14,22

 

Judas, nicht der Iskariot , war vielleicht identisch mit Thaddäus ( Mt 10,3; Mk 3,18 ). Er war verwirrt, daß Jesus sich ihnen, den Jüngern, und nicht der Welt offenbaren wollte (vgl. Joh 14,19 a).

 

 

Joh 14,23-24

 

Jesus antwortete ihm, daß er und der Vater sich denen, die seine Worte nicht halten , nicht offenbaren werden. Der Gehorsam erwächst aus der Liebe zu Jesus und seinem Wort (vgl. V. 15.21 ; 1Joh 2,3;3,22.24;5,3 ). Aufgrund des Gehorsams werden der Vater und der Sohn in dem, der ihre Worte hält, Wohnung nehmen . "Wohnung" heißt im Griechischen monEn , der Singular von monai , in Joh 14,2 mit "Wohnungen" übersetzt. Das Wort kommt im Neuen Testament nur in diesen beiden Versen vor. Sich gegen das Wort Jesu aufzulehnen heißt, sich gegen Gott, den Vater, der Jesus gesandt hat , aufzulehnen, denn Jesu Worte waren, wie er bereits früher gesagt hatte, nicht seine Worte ( Joh 12,49;14,10 ), sondern die Worte des Vaters .

 

 

Joh 14,25-26

 

Die Menschen und auch die Jünger verstanden das, was Jesus in der Zeit seiner Anwesenheit auf Erden sagte, nur zum Teil. Drei Dinge mußten geschehen, damit die Apostel ihn und seinen Auftrag ganz begreifen konnten: (1) Er mußte sterben. (2) Er mußte auferstehen, um seinen Anspruch zu bestätigen und seinen Sieg sichtbar zu machen. (3) Der Geist mußte kommen (er würde vom Vater in Jesu Namen, d. h. an Jesu Stelle, für ihn, gesandt werden ) und ihnen die Worte und Werke Jesu erklären. Der Geist, sagte Jesus, wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe . Dieser Vers ist an die Apostel gerichtet. Vom Textzusammenhang her ist "alles" auf die Interpretation und Bedeutung der Person Jesu und seiner Werke beschränkt. Der Geist wirkte in den Jüngern, erinnerte sie an die Lehren Jesu und bewirkte, daß sie sie verstanden (vgl. Joh 2,22;7,39;20,9 ).

 

 

Joh 14,27

 

Der übliche Abschiedsgruß in neutestamentlicher Zeit lautete "Friede" (hebräisch: SAlNm ). Bei seinem Tod gab Jesus seinen Jüngern ein Vermächtnis: Meinen Frieden gebe ich euch. Sie sollten "Frieden mit Gott" ( Röm 5,1 ) haben, weil ihnen ihre Sünden vergeben waren und sie im "Frieden Gottes" ( Phil 4,7 ) leben würden. Die Welt kann diesen Frieden nicht geben. Die Furcht vor dem Tod ( Hebr 2,14-15 ) und die Angst vor der Zukunft haben nur dann ein Ende, wenn man sich auf Jesus verläßt. Wer das tut, braucht sich nicht mehr zu fürchten (vgl. Joh 11,4;13,21;14,1 ).

 

Joh 14,28

 

Wenn die Liebe der Jünger zu Jesus bereits verständiger gewesen wäre, hätten sie sich über sein Weggehen gefreut. Doch sie waren noch zu selbstsüchtig. Jesus lebte auf Erden in Erniedrigung, doch als er zum Vater ging, wurde er verherrlicht (vgl. Joh 13,31-32 ). Außerdem hatte er ihnen verheißen, daß er wiederkommen werde (vgl. Joh 14,3 ).

Die Arianer und die Zeugen Jehovas leiten von der Aussage "denn der Vater ist größer als ich" ab, daß Jesus nicht so sehr Gott ist wie sein Vater. Das würde jedoch bedeuten, daß Jesus ein Geschöpf wäre, oder zum Polytheismus führen - zwei Standpunkte, die eindeutig unbiblisch sind. Der Vater und der Sohn sind eines Willens und eines Wesens (vgl. Joh 1,1-2;10,30; Joh 14,9;20,28 ). Der Vater ist nur größer in seinem Wirken bzw. seiner Herrlichkeit, als es der Sohn in seinem Erdenleben war.

 

 

Joh 14,29-31

 

Eine erfüllte Prophezeiung ist den Gläubigen im allgemeinen ein großer Trost und eine große Hilfe (vgl. Jes 46,8-10 ). Jesus hatte seinen Tod und seine Auferstehung mehrere Male vorhergesagt (z. B. Mk 8,31-32;9,31 ). Als diese Prophezeiung dann tatsächlich eintraf, trug sie, nach dem ersten Schock, sehr zur Stärkung des Glaubens der Jünger bei. Die Zeit, die Jesus auf Erden bei ihnen sein und sie lehren konnte, war begrenzt, weil Satan, der Fürst dieser Welt (vgl. Joh 12,31;16,11 ), sich in Gestalt des Judas gegen ihn wandte (vgl. Joh 13,2.27 ). Und doch hatte Satan keine Macht über Jesus . Die Sünde führt zum Tod ( Röm 5,12.21 a; Röm 6,16 ), und Sünde und Tod geben Satan Macht über die Menschen (vgl. Hebr 2,14-15; Offb 12,10 ). Doch da Jesus ohne Sünde war, konnte Satan ihn nicht in sein Reich der Finsternis holen. Jesu Tod sah zunächst wie ein Sieg des Satans aus, doch in Wirklichkeit war es ein Sieg Jesu über Satan ( Joh 16,11; Kol 2,15 ).

Weil Jesus den Vater liebte, tat er, wie ihm der Vater geboten hatte (vgl. Joh 10,17;12,49-50 ); er war "gehorsam bis in den Tod" ( Phil 2,8 ). Nachdem er all dies geredet hatte, sagte er: Steht auf und laßt uns von hier weggehen. Jesus hatte mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl gefeiert. Jetzt bereitete er sich darauf vor, in den Garten Gethsemane auf den Ölberg zu gehen. Ob er die Worte aus Kap. 15 - 17 noch in diesem Raum oder auf dem Weg nach Gethsemane sprach, wissen wir nicht; wahrscheinlicher ist jedoch, daß er sie noch im Haus sagte.

 

 

E. Der Weinstock und die Reben

( 15,1 - 10 )

 

Jesus belehrte die Jünger im Hinblick auf drei für ihr Glaubensleben entscheidende Beziehungen: Sie sollten ein richtiges Verhältnis zu Jesus (V. 1 - 10 ), zueinander (V. 11 - 17 ) und zur Welt (V. 18 - Joh 16,4 ) finden. Er gab ihnen drei Aufgaben: (in Jesus) zu bleiben, einander zu lieben und Zeugnis zu geben.

Joh 15,1

 

Ich bin der wahre Weinstock (vgl. V. 5 ). Das ist die letzte der sieben großen "Ich-bin"-Aussagen im Johannesevangelium (vgl. den Kommentar zu Joh 6,35 ). Israel war Gottes auserwählter Weinstock, auf den er viel Fürsorge und Aufmerksamkeit verwandt hatte ( Ps 80,9; Jes 5,1-7; Jer 2,3;6,9; Hes 15;17,5-10;19,10-14; Hos 10,1;14,8 ). Er wünschte sich Früchte, doch der Weinstock (Israel) verdarb und brachte nur verdorbene Frucht hervor. Daher erfüllte nun Jesus, der "wahre Weinstock", Gottes Plan mit Isreal. Der Vater ist der Weingärtner , der den Weinstock pflegt und schützt.

 

 

Joh 15,2

 

Er (d. h. der Gärtner, der Vater) will Frucht an seinem Weinstock sehen - eine Aussage, die achtmal in diesem Kapitel vorkommt (V. 2 [dreimal], V. 4 , Vers 5 , Vers 8 und Vers 16 ). Dabei ist eine Steigerung festzustellen: Frucht (V. 2 ), mehr Frucht (V. 2 ) und "viel Frucht" (V. 5 und 8 ). Die Frucht, die Gott sich von Israel wünschte, war liebender Gehorsam und Gerechtigkeit ( Jes 6,1-7 ). Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen . Die Wendung "an mir" bedeutet nicht dasselbe wie die paulinische Formel "in Christus". Hier ist sie Teil der Metapher des Weinstocks und heißt wahrscheinlich "nicht jeder, der bekennt, mein Jünger zu sein (eine "Rebe"), ist zwangsläufig auch ein wahrer Jünger." Eine Rebe, die keine Frucht bringt , ist tot, daher wird sie, wie Judas, abgeschnitten. (Vgl. den Kommentar zu Joh 15,6 .) Jedes Jahr beschneiden die Gärtner in Palästina ihre Weinstöcke. Sie schneiden die toten Äste ab, damit die lebenden um so größere Erträge bringen.

 

 

Joh 15,3

 

Die Jünger waren durch Jesus und seine Botschaft gereinigt worden - mit einer Ausnahme: Judas (vgl. 10 - 11 ).

 

 

Joh 15,4

 

"Früchte" tragen diejenigen Jünger, die in ihrem Leben dem Leben Christi auf Erden nacheifern. Ihre Aufgabe ist es zu bleiben . Das Wort bleiben , ein Schlüsselwort in der Theologie des Johannesevangeliums, im Griechischen menO , steht elfmal in diesem Kapitel, vierzigmal im ganzen Johannesevangelium und siebenundzwanzigmal in den Johannesbriefen. Möglich sind folgende Bedeutungen. Erstens: Jesus als Retter zu akzeptieren (vgl Joh 6,54.56 ). Zweitens: im Glauben zu bleiben ( Joh 8,31; 1Joh 2,19.24;4,15 ). Drittens: in Glauben und Liebe zu gehorchen ( Joh 15,9-10 ). Ohne Glauben wird keiner das Leben Gottes erhalten. Ohne das Leben Gottes kann es keine Frucht geben: Auch ihr könnt keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt.

 

 

Joh 15,5-6

 

Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht (vgl. V. 8 ). Doch wer nicht glaubt, wird verloren sein. Eine Rebe ohne Leben ist tot und wird entfernt (V. 2 ). Sie ist nutzlos und wird ins Feuer geworfen und verbrannt. Was meinte Jesus mit seinen symbolischen Worten über die Reben, die verbrannt werden? Sie sind auf mindestens drei Arten gedeutet worden: (1) Die "verbrannten" Reben sind Christen, die ihre Rettung verloren haben. (Das widerspricht jedoch vielen anderen Textstellen, z. B. Joh 3,16.36;5,24;10,28-29; Röm 8,1 .) (2) Die "verbrannten" Reben sind Christen, die im Jüngsten Gericht zwar die Belohnungen, nicht jedoch die Rettung verlieren werden ( 1Kor 3,15 ). (Doch Jesus sprach hier von toten Reben, die weggeworfen werden und verdorren .) (3) Die "verbrannten" Reben beziehen sich auf Christen, die sich zwar zu Jesus bekennen, doch, wie Judas, nicht gerettet sind und daher gerichtet werden. Wie eine tote Rebe ist ein Mensch ohne Christus geistlich tot und wird mit dem ewigen Feuer bestraft werden (vgl. Mt 25,46 ). Judas lebte bei Jesus; er schien eine "Rebe" zu sein. Doch er hatte nicht das Leben Gottes in sich; daher verließ Gott ihn, und er erlitt dasselbe Schicksal wie ein toter, abgestorbener Zweig.

 

 

Joh 15,7-8

 

Im Gegensatz zu Vers 6 enthalten diese Verse eine positive Aussage: in Jesus bleiben und viel Frucht bringen. Ein Gebet, das erhört wird, kommt aus dem Glauben an Christus und dem Vertrauen auf seine Worte, die in den Gläubigen bleiben. Sie stärken und bewahren die Gläubigen und lassen sie zu einer vollkommenen Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters kommen. Wo dies aber der Fall ist, ist der Erfolg des Gebets gewiß - es wird euch widerfahren ( 1Joh 5,14-15 ). Erfüllte Gebete verherrlichen den Vater, weil die Jünger, wie Jesus selbst, damit den Willen des himmlischen Vaters tun (vgl. "dein Reich komme, dein Wille geschehe"; Mt 6,10 ).

 

 

Joh 15,9-10

 

Ein Gläubiger lebt durch das Wunder der Liebe Jesu, die der Liebe des Vaters gleicht. Der Ausspruch "bleibt in meiner Liebe" scheint vielleicht etwas mystisch, doch Jesus meinte ihn ganz wörtlich. Wie Jesus den Geboten des Vaters gehorcht, so sollen die Jünger seinen Geboten gehorchen (vgl. Joh 14,15.21.23; 1Joh 2,3;3,22.24;5,3 ). Aktive Abhängigkeit und liebender Gehorsam sind der richtige Weg für alle Kinder Gottes.

 

 

F. Jesu Freunde

( 15,11 - 17 )

 

Joh 15,11

 

Jesus hatte große Freude daran, dem Vater durch ein fruchtbringendes Leben zu gefallen (vgl. Hebr 12,2 ). Der Zweck seiner Lehre war es, den Menschen ein volles, erfülltes Leben, nicht etwa eine freudlose Existenz, zu geben ( Joh 10,10 ). Auch die Anweisungen an die Jünger waren lediglich dazu gedacht, ihre Freude vollkommen werden zu lassen (vgl. Joh 17,13 ).

 

 

Joh 15,12

 

Ein vorrangiges Gebot hatte Jesus seinen Jüngern gegeben: sie sollten sich untereinander lieben (wiederholt in V. 17 ). Die Christen wachsen durch ihre gegenseitige Fürsorge. Das Vorbild für diese Liebe ist Christi demütiges, aufopferungsvolles Dienen: wie ich euch liebe .

 

 

Joh 15,13-14

 

Das größte, was ein Mensch für seinen Freund tun kann, ist, für ihn zu sterben; ein solcher Tod ist der eindeutige Beweis seiner Liebe. Jesus demonstrierte seine Liebe (V. 12 )b, indem er für seine Freunde - die, die ihm gehorchen - starb. Im Alten Testament wurde Abraham Gottes "Freund" genannt ( 2Chr 20,7; Jes 41,8 ), weil er ihm gehorchte. Abraham unterhielt sich mit Gott wie mit einem engen Freund (vgl. 1Mo 18,17 ).

 

 

Joh 15,15-17

 

Ein Knecht (wörtlich: "Sklave") hat keine enge Beziehung zu seinem Herrn, wie es etwa unter Freunden üblich ist. Er tut, was ihm gesagt wird, ohne seinen Herrn unbedingt zu verstehen. Da Jesus sich jedoch seinen Jüngern offenbart hatte, wurde der Titel "Sklave" ihrer Beziehung nicht gerecht. (Wenn Paulus von sich selbst als "Knecht [wörtlich: "Sklave"] Gottes" sprach [ Röm 1,1 ], hatte er ebenfalls etwas anderes im Sinn. Er wollte damit sagen, daß er Gott bereitwillig und demütig diente und gehorchte.) Jesus nannte seine Jünger Freunde, weil er ihnen die Offenbarung seines Vaters enthüllt hatte.

Dann erinnerte er sie daran, daß er sie selbst auserwählt hatte ( Joh 15,19 ) - im Gegensatz zu dem üblichen Verfahren, nach dem die Jünger sich einen Lehrer suchten. Er hatte sie gewählt,damit sie bleibende Frucht brächten. Er hatte sie für einen Auftrag ausersehen, und sein Vater würde ihre Bitten erhören, damit dieser Auftrag erfüllt werden konnte ( wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, wird er's euch geben ; vgl. V. 7 ; vgl. "in meinem Namen", Joh 14,13-14;16,23-24.26 ). Zur Freundschaft mit Jesus gehört immer auch die Liebe zu anderen Menschen: daß ihr euch untereinander liebt (vgl. Joh 15,12 ).

 

 

G. Der Haß der Welt

( 15,18 - 16,4 )

 

Joh 15,18

 

Wer Freundschaft mit Gott hat, muß den Haß der Welt erdulden. Umgekehrt bedeutet Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ( Jak 4,4 ). Jesus machte seine Jünger darauf aufmerksam, daß die Welt sie hassen würde. Die Welt ist im Johannesevangelium das gesamte System der organisierten, Gott feindlich gesonnenen Gesellschaft, die unter dem Einfluß Satans steht ( Joh 14,30 ). Diese Feindschaft mag für die Gläubigen manchmal unerwartet sein ( 1Pet 4,12-13 ), doch sie sollten sich daran erinnern, daß auch Jesus vom Zeitpunkt seiner Geburt an (als Herodes der Große versuchte, ihn zu töten) bis zu seinem Tod am Kreuz gehaßt wurde.

 

 

Joh 15,19

 

Der Grund dafür, daß die Welt die Christen haßt, liegt in ihrem Anderssein (vgl. 1Pet 4,4; Röm 12,2 ). Ein Gläubiger, der das Reich der Finsternis verlassen hat und im Reich der Kinder Gottes lebt ( Kol 1,13 ), hat eine andere Freude, ein anderes Ziel, eine andere Hoffnung und eine andere Liebe. Er besitzt Gewißheit, Wahrheit und einen Maßstab im Leben. Die Christen sind durch Christus aus der Welt erwählt (vgl. Joh 15,16 ) und gehören zu ihm. Da sie nicht mehr von der Welt sind, haßt sie die Welt .

 

 

Joh 15,20-21

 

Jesus erinnerte seine Jünger an eine kurz zuvor gemachte Aussage: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr (vgl. Joh 13,16 ). Damals bezog sich Jesus auf die Notwendigkeit, daß die Jünger sich sein demütiges Dienen zum Vorbild nahmen. Doch der Satz hat auch noch andere Konsequenzen. Die Christen sind so eng mit Jesus verbunden, daß sie auch seine Leiden teilen ( sie werden auch euch verfolgen ). Es gab zwar immer Menschen, die Jesus nachfolgten und sein Wort hielten und deshalb für die Botschaft der Apostel empfänglich waren. Im allgemeinen aber haßt die Welt die Jünger. Die Wurzel ihres Hasses ist die Identifikation der Jünger mit Jesus. Jesus aber hassen die Menschen, weil sie Gott, der ihn gesandt hat, nicht kennen .

 

Joh 15,22-23

 

Jesus kam als die Offenbarung Gottes. Wenn er nicht gekommen wäre, wäre die Sünde der Menschen nicht so groß gewesen. Die Aussage "so hätten sie keine Sünde" (vgl. V. 24 ) darf, wie Joh 16,9 zeigt, nicht absolut genommen werden (vgl. Joh 3,19;9,41 ). Vor Jesu Kommen konnten sich die Menschen vielleicht mit ihrer Unwissenheit herausreden (vgl. Apg 17,30 ). Doch nun, nachdem das Licht gekommen ist, können die, die dieses Licht bewußt ablehnen, nichts vorbringen, um ihre Sünde zu entschuldigen . Die Offenbarung des Sohnes ist so stark mit dem Vater verknüpft, daß Jesus hassen bedeutet, Gott zu hassen (vgl. Joh 15,24 b).

 

 

Joh 15,24-25

 

Im folgenden werden die Gedanken von Vers 22 - 23 noch weiter ausgeführt. Die Bedeutung von Jesu Werken war eigentlich unmißverständlich. Auf sie hin hätte das ganze jüdische Volk bekennen müssen: "Niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm" ( Joh 3,2 ). Doch das Volk verwarf sowohl Jesus als auch den Vater, weil es in seiner Sünde die Finsternis mehr liebte als das Licht ( Joh 3,19 ). Die Menschen glaubten sogar, Gott zu dienen, indem sie Jesus verwarfen ( Joh 16,2-3 ), doch in Wirklichkeit dienten sie dem Satan ( Joh 8,44 ). Die Sünde ist ihrem Wesen nach irrational. Der Haß der Menschen Jesus gegenüber hatte keinerlei vernünftigen Grund, ebensowenig wie der Haß des Ungerechten gegen den Gerechten - wie man an denen sieht, die David haßten ( Ps 35,19;69,5;109,3 ).

 

 

Joh 15,26-27

 

Angesichts des Widerstands und des Hasses der Welt ist der Gläubige unter Umständen versucht, der Welt zu entfliehen oder zu schweigen. Mönchtum, auch in extremen Formen, und mangelndes Zeugnis sind in der Kirchengeschichte nur allzu häufig anzutreffen.

Doch Jesus ermutigte seine Jünger durch die Verheißung des Geistes, in der Welt zu wirken. Wie es die Aufgabe Jesu war, für den Vater und nicht für sich selbst zu zeugen, so gibt der Geist Zeugnis von Jesus als dem Messias ( er wird Zeugnis geben von mir ). Was er sagt, ist wahr, weil er der Geist der Wahrheit ist (vgl. Joh 16,13 ). Als der Tröster (vgl. Joh 14,26;16,7 ) bringt er die Wahrheit in die Welt. Er geht vom Vater aus (vgl. Joh 14,26 ), wie auch der Sohn vom Vater gesandt war. Doch das geheimnisvolle Wirken des Geistes findet nicht außerhalb der Kirche statt. Die Apostel sollten von dem Kunde geben, der zu ihnen gesagt hatte: Auch ihr seid meine Zeugen . Durch ihr Zeugnis und die Überzeugungskraft des Geistes würden die Menschen gerettet. Diese Verbindung von menschlichem Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes ( Apg 1,8 ) und dem Wirken des Heiligen Geistes ist immer wieder aufs neue notwendig.

 

Joh 16,1-2

 

Vielleicht fragten sich die Jünger, warum Jesus ihnen von diesen düsteren Prognosen erzählte. In einer Vorwegnahme ihrer Fragen wies er sie darauf hin, daß es ihnen helfen würde, auf Gottes Weg zu bleiben, wenn sie sich von vornherein auf schlimme Erfahrungen gefaßt machten. (In Vers 4 nannte er noch einen zweiten Grund.) Auf sie warteten der Ausschluß aus ihrer Religionsgemeinschaft und sogar der Tod. Dabei würde sie die Erinnerung, daß auch Jesus ausgestoßen und gemartert wurde und daß er ihnen dasselbe Schicksal vorhergesagt hatte, stärken. Die ersten Christen waren Juden ( Apg 2,11.14.22 ), doch sie wurden schon bald aus der Synagoge ausgestoßen (etwa 90 n. Chr.). Verfolgung und Tod sind bezeugt für Stephanus ( Apg 7,58-59 ), Jakobus ( Apg 12,2 ) und andere ( Apg 9,1-4 ). Manchmal war es sogar der Eifer für Gott, der die Menschen veranlaßte, Gläubige zu verfolgen. Sie meinten, Gott damit einen Dienst zu tun (vgl. Röm 10,2 ).

 

 

Joh 16,3-4

 

Die Jünger Jesu werden verfolgt, weil die Menschen weder seinen Vater noch ihn erkennen . Sie sehen nicht, daß in den Worten und Werken Jesu Gott selbst am Werk war. Auch die Kenntnis, die das jüdische Volk durch das Gesetz von Gott besaß, half ihm nicht, denn Gott sagte von den Israeliten: "Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will und die meine Wege nicht lernen wollen" ( Ps 95,8-10 ).

Jesus warnte seine Jünger vor den kommenden Verfolgungen, um ihren Glauben fest zu machen. Wenn sie sahen, daß er gewußt hatte, was ihnen bevorstand, würde ihr Vertrauen in ihn wachsen. Er hatte sie nicht früher gewarnt, weil sich der Haß der Welt zuerst gegen ihn richtete. Am Anfang konnte er sie noch durch seine persönliche Anwesenheit schützen, doch jetzt sollten sie sein Leib auf Erden sein ( Eph 1,22-23 ).

 

 

H. Das Wirken des Heiligen Geistes

( 16,5 - 15 )

 

Joh 16,5-6

 

Als die Jünger erfuhren, daß Jesus fortgehen würde, waren sie sehr traurig. Der Verlust seiner Nähe traf sie tief und nahm ihre Gedanken voll und ganz in Anspruch. Wenn sie sich jedoch klargemacht hätten, warum und zu wem er ging, hätten sie sich gefreut (V. 22 ). Jesus sagte ihnen, daß die Zeit des Kummers sich ganz plötzlich in eine Zeit der Freude verwandeln werde. Eigentlich hätte seine Aussage "jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat" sie zu Fragen veranlassen müssen, doch sie schwiegen (nicht einmal Thomas (vgl. Joh 14,5 ) fragte: Wo gehst du hin?). Sie waren so sehr mit den plötzlich auf sie einstürmenden neuen Problemen beschäftigt, daß sie den Kern der Aussage Jesu, daß nun die Zeit gekommen war ("jetzt aber"), und die immense Bedeutung der bevorstehenden Ereignisse (seines Todes, Begräbnisses, der Auferstehung und Himmelfahrt) nicht begriffen.

 

 

Joh 16,7

 

So schmerzhaft es aber auch für die Jünger war, daß Jesus sie verließ, so nötig war dieser Schritt auch. Er sollte sich vorteilhaft und segensreich für sie auswirken (das ist jedenfalls die Bedeutung des griechischen Wortes sympherei , hier: es ist gut ). Ohne sein Weggehen (und damit seinen Tod, sein Begräbnis, die Auferstehung und die Himmelfahrt) hätte es kein Evangelium gegeben. Um sein Volk aus der Sünde zu retten, war es notwendig, daß ein Sühnopfer gebracht wurde ( Mt 1,21 ). Außerdem hätte Jesus seinen Jüngern, wenn er nicht fortgegangen wäre, nicht als verherrlichter Herr den Tröster (den Heiligen Geist) senden können, der ihnen die Versöhnung, die Christus erwirkt hatte, zugänglich machte. "Tröster" ist die Übersetzung des griechischen Wortes paraklEtos . Ursprünglich war es die Bezeichnung für eine Art "Anwalt", der vor Gericht für eine Sache eintrat oder einen Fall vortrug. Dieser Tröster ist der verheißene Geist, der an Pfingsten auf ganz neue Weise in die Welt kam.

 

 

Joh 16,8

 

Eine der Aufgaben des Geistes war es, der Welt die Augen aufzutun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht . Überzeugung ist zwar nicht dasselbe wie Bekehrung, doch sie ist die Voraussetzung dafür. Die Worte "die Augen auftun über die Sünde" sind die Übersetzung von elenxei : "Tatsachen darlegen oder darstellen, von der Wahrheit überzeugen". Der Geist wirkt in den Verlorenen und zeigt ihnen die Wahrheit Gottes. Normalerweise gehört dazu jedoch menschliche Hilfe (vgl. Joh 15,26-27 ).

 

 

Joh 16,9

 

Sünde bedeutet Auflehnung gegen Gott. Ihren Höhepunkt erreichte diese Auflehnung in der Kreuzigung Jesu. Heute besteht die größte Sünde darin, nicht an Jesus zu glauben (vgl. Joh 3,18;15,22.24 ). Die meisten Menschen geben jedoch nicht so leicht zu, daß sie der Sünde schuldig sind. Sie gestehen vielleicht Vergehen oder Laster oder auch Verbrechen ein; doch die Sünde richtet sich stets gegen Gott, dessen Wahrheit die Menschen immer wieder unterdrückt haben (vgl. Röm 1,18.21.25.28 ). Um sie von ihrer verzweifelten Situation zu überzeugen, ist das mächtige Wirken des Heiligen Geistes nötig.

 

Joh 16,10

 

Mit der Kreuzigung Jesu brachten die Juden zum Ausdruck, daß er in ihren Augen kein Gerechter war, denn nur ein böser Mensch, der unter dem Fluch Gottes stand, wurde "am Holz aufgehängt" ( 5Mo 21,23; Gal 3,13 ). Doch die Auferstehung und die Himmelfahrt bestätigten Jesus als den gerechten Gottesknecht ( Apg 3,14-15; Jes 53,11 ). Der Geist kommt hier der Verkündigung des Evangeliums - der Nachricht von Jesu Auferstehung - zu Hilfe, indem er die Menschen überzeugt, daß ihre Einstellung Jesus gegenüber falsch ist ( 1Kor 15,3-4 ).

 

 

Joh 16,11

 

Der dritte Bereich des Überzeugungswerks des Heiligen Geistes betrifft das Gericht . Der Tod und die Auferstehung Jesu bedeuteten das Verdammungsurteil für Satan ( Joh 12,31; Kol 2,15 ), den Fürsten dieser Welt (vgl. Joh 14,30 ). Durch seinen Tod besiegte Jesus den Teufel, der "Gewalt über den Tod hatte" ( Hebr 2,14 ). (Obwohl er am Kreuz besiegt wurde, wirkt Satan noch immer [vgl. 1Pet 5,8 ] doch wie bei einem verurteilten Verbrecher steht seine endgültige "Hinrichtung" bevor, vgl. Offb 20,2.7-10 .)

Die Menschen, die sich gegen Jesus auflehnen, sollten sich klarmachen, daß der Teufel besiegt ist, und den Herrn fürchten, der die Macht hat zu richten. Da nun die Tatsache des kommenden Gerichts (über Satan und über die Menschen) verkündet ist, überzeugt der Geist die Menschen und bereitet sie auf die Rettung vor (vgl. Apg 17,30-31 ).

 

 

Joh 16,12-13

 

Doch zum jetzigen Zeitpunkt waren die Jünger nicht in der Lage, noch weitere Wahrheiten aufzunehmen. Ihre Herzen waren verhärtet, und ihre Hauptsorge galt dem Rang, den sie selbst in einem irdischen Königreich bekleiden würden. Vor diesem Hintergrund konnten sie die Notwendigkeit von Jesu Tod nicht einsehen. Kummer über sein Fortgehen und Entsetzenüber die Prophezeiung, daß sich ein Verräter unter ihnen befand, machte sie, zusammen mit der Vorhersage ihres eigenen Abfalls, unempfänglich für das, was der Herr ihnen noch zu sagen hatte. Doch nach Jesu Tod sollte der Geist der Wahrheit (vgl. Joh 15,26 ) kommen und die Apostel in alle Wahrheit über Jesus und sein Werk einweihen.

Der Geist, sagte Jesus, wird nicht aus sich selber (d. h. aus eigener Initiative) reden , sondern nur lehren, was er vom Vater hören wird . Das ist ein Hinweis auf die wechselseitige Abhängigkeit der Personen in der göttlichen Dreieinigkeit. Der Vater wird dem Geist sagen, was er die Apostel über den Sohn lehren soll.

Der Geist sollte sie lehren, was zukünftig ist. Das ist die Erklärung der Verheißung: Er wird euch in alle Wahrheit leiten (wörtlich: in all die Wahrheit). Darin lag ein Versprechen für die Apostel, daß ihr jetzt noch unvollkommenes Verständnis der Person und des Wirkens Jesu, des Messias, vollkommen werden sollte, wenn der Geist ihnen die Bedeutung des bevorstehenden Kreuzestodes, die Auferstehung und Rückkehr Jesu erklären würde (vgl. 1Kor 2,10 ). Die neutestamentlichen Bücher sind die Erfüllung dieses Lehramtes des Heiligen Geistes.

 

 

Joh 16,14-15

 

Weil Jesus der Logos ist, die Offenbarung des Vaters (oder, wie Paulus es formuliert, "das Ebenbild des unsichtbaren Gottes"; Kol 1,15 ), gehört alles, was der Vater hat, auch Jesus. Der Geist der Wahrheit verherrlichte Jesus, indem er den Aposteln Dinge offenbarte, die sich auf die Person und das Werk des Logos bezogen: Er wird's dem Meinen nehmen und euch verkündigen . Er wirkte in den Aposteln, so daß sie den Retter erkennen, verstehen und den Menschen von ihm erzählen konnten.

 

 

I. Die bevorstehenden Veränderungen

( 16,16 - 33 )

 

Nach diesen Ausführungen über das künftige Wirken des Heiligen Geistes ging Jesus zur unmittelbar bevorstehenden Zukunft über. Er würde zurückkehren, doch zuvor waren Angst, Schmerz und religiöses Versagen das Los der Jünger. Später jedoch sollten Freude, Gebet und Frieden ihr Teil sein.

Joh 16,16

 

Die Worte "noch eine kleine Weile" verwirrten die Jünger (und möglicherweise auch die ersten Leser des Johannesevangeliums). Auch die Vorhersage "dann werdet ihr mich sehen" war ihnen nicht sofort klar. Meinte er damit (a) das Kommen des Heiligen Geistes, (b) sein zweites Kommen oder (c) seinen kurzen, vierzigtägigen Aufenthalt bei ihnen zwischen seiner Auferstehung und der Himmelfahrt? Die letztere Annahme scheint am plausibelsten.

 

 

Joh 16,17-18

 

Die Jünger waren verwirrt über die Zeitintervalle, von denen Jesus redete. Die Wiederholung, da sprachen sie (Imperfekt), deutet darauf hin, daß sie sich untereinander die Köpfe über das zerbrachen, was er gesagt hatte, ohne jedoch zu einer Lösung zu kommen. Sie verstanden nicht, was Jesus mit den Angaben, (a) in kurzer Zeit würden sie ihn nicht mehr sehen, (b) sie würden ihn sehen und (c) er ginge zum Vater , gemeint hatte. Erst sein Tod, seine Auferstehung, die Zeit nach der Auferstehung und schließlich die Himmelfahrt öffneten ihnen die Augen.

 

 

Joh 16,19-20

 

Als ihr Herr und Meister verstand Jesus die Verwirrung seiner Schüler. Doch er klärte sie nicht auf; er wußte, daß sie mit der Zeit und mit der Hilfe des Heiligen Geistes alles verstehen würden (vgl. V. 12 - 13 ). "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 ) ist die Einführung zu der feierlichen Verkündigung, daß auf all das Schlimme, das ihnen bevorstand, Freude folgen würde. Sein Tod würde sie zunächst in tiefste Verzweiflung stürzen, während die Welt sich darüber freuen würde. Doch genau dasselbe Ereignis, der Tod des Messias, der sie zuerst weinen und klagen lassen würde, sollte ihnen später Grund zur Freude geben: Doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Jesu Auferstehung und das klärende Wirken des Geistes würden sie in die Lage versetzen zu verstehen, daß Jesus sterben mußte, damit ihnen ihre Sünden vergeben wurden. In späterer Zeit stimmte dann auch die Kirche in die Freude über Jesu Tod mit ein (vgl. 1Kor 1,23;2,2 ).

 

 

Joh 16,21-22

 

Jesus erläuterte ihnen die Tatsache, daß ihr Schmerz sich in Freude verwandeln würde, an den Schmerzen einer Geburt, auf die die Freude, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist , folgt. Den Jüngern standen jetzt Schmerzen bevor ( und auch ihr habt nun Traurigkeit ), doch das Licht der Freude wartete bereits auf sie. Als sie Jesus nach seiner Auferstehung sahen, begann die Zeit der Freude - einer Freude, die niemals enden wird, da Jesus einmal der Sünde starb, doch nun für immer lebt (vgl. Lk 24,33-52; Röm 6,9-10; Hebr 7,24-25 ).

 

 

Joh 16,23-24

 

Die bevorstehenden Ereignisse sollten auch ihre Beziehung zu ihm verändern. Da Jesus nicht mehr körperlich bei ihnen sein würde ( "an jenem Tag" bedeutet nach seiner Himmelfahrt), konnten sie ihm keine Fragen mehr stellen. Doch der Heilige Geist würde ihnen auch darin zu Hilfe kommen (V. 13 - 15 ).

"Wahrlich, wahrlich, ich sage euch" ist auch hier wieder die Einleitung zu einer wichtigen Aussage. Die Apostel sollten Jesu Botschafter sein und hatten daher das Recht, den Vater um alles zu bitten , was sie brauchten, um seinen Willen zu erfüllen. Die Worte "in meinem Namen" sind keine magische Formel, auf die hin Gott die Bitte des Betenden erhören muß , sondern mit ihnen wurde das Gebet mit dem Werk des Sohnes, der den Willen des Vaters tat, in Verbindung gebracht (vgl. "in meinem Namen" in Joh 14,13-14;15,16;16,24.26 ). Bis jetzt hatten die Jünger nicht im Namen Jesu gebetet. Von nun an, nachdem sein Tod und das Kommen des Geistes sie in das neue, von Gott gewollte Zeitalter der Kirche gebracht hatten, sollten sie es tun. Erhörte Gebete machen die Freude vollkommen (vgl. Joh 15,11;16,22 ), weil Gott in ihnen wirkt.

 

 

Joh 16,25

 

Obwohl Jesus die Jünger drei Jahre lang in Wort und Tat gelehrt hatte, war ihre Gotteserkenntnis noch immer begrenzt ( Joh 14,9; vgl. Joh 2,22;6,60;13,7.15-17 ). Die verhüllten, gleichnishaften Aussagen ( in Bildern ), in denen Jesus bis jetzt zu ihnen gesprochen hatte, würden nun der freien Verkündigung Platz machen. Nach seiner Auferstehung (vgl. Apg 1,3 ) sprach der Sohn frei heraus von dem Vater (vgl. Joh 14,25-26 ).

 

 

Joh 16,26-27

 

Der kommende neue Tag sollte die Jünger in eine neue, vertraute Beziehung zum Vater treten lassen und ihnen die Augen öffnen. Von nun an sollten sie im Namen Jesu, d. h. durch ihn persönlich, Zugang zum Vater haben (vgl. "in meinem Namen" in 14, 13 - 14; Joh 15,16;16,24 ). Jesus mußte nicht länger als Mittler für sie bitten , sie konnten für sich selbst sprechen. Das widerspricht nicht der Verheißung, daß Christus den Gläubigen dabei hilft, ihre Sünde zu besiegen (vgl. Röm 8,34; 1Joh 2,1-2 ). Doch auch die Jünger stehen nun in einer persönlichen, von Liebe und Glauben getragenen Beziehung zum Vater, ein Privileg, das nur Kinder besitzen ( Röm 5,2 ).

 

 

Joh 16,28

 

Dann faßte Jesus seinen Auftrag in der Welt in einem einzigen Satz zusammen: Inkarnation ( ich bin vom Vater ausgegangen ), Erniedrigung ( und in die Welt gekommen ) und Auferstehung, Himmelfahrt und Erhöhung ( ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater ). Das war es, was die Jünger glauben mußten.

 

 

Joh 16,29-30

 

Da verstanden und glaubten die Jünger. Jesu Aussage hatte so schlicht geklungen, daß die Jünger darauf nur mit der Anerkennung seiner Allwissenheit ( daß du alle Dinge weißt ) und göttlichen Herkunft ( daß du von Gott ausgegangen bist ) reagieren konnten.

 

 

Joh 16,31-32

 

Obwohl die Jünger ehrlich und aufrichtig waren, als sie Jesus ihres Glaubens versicherten (V. 30 ), kannte er ihre Grenzen doch weit besser als sie selbst (vgl. Joh 2,24-25 ). Jesu Frage "Jetzt glaubt ihr?" deutet an, daß ihr Glaube jetzt, vor dem Tod und der Auferstehung Jesu und dem Kommen des Geistes, noch nicht vollkommen und stark war. "Ihr werdet zerstreut werden" ist die Erfüllung der Worte Sacharjas über den Hirten (den Messias), der aufgrund des Ratschlusses des Herrn Zebaoth geschlagen werden sollte und dessen Schafe sich zerstreuen würden ( Sach 13,7 ). Trotz ihrer Treue, ihres Glaubens und ihrer Liebe zu Jesus würden die Jünger schon bald kläglich versagen. Jesu Vorhersage, daß auch sie ihn verlassen würden, erfüllte sich; sie ließen ihn alle im Stich ( Mt 26,56 ), als er gefangengenommen wurde, und auch Petrus verleugnete ihn ( Joh 18,17.25-26 ). Nur der Vater verließ ihn nicht: Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir (vgl. Joh 8,29; Ps 23,4;73,25-26 ). Am Kreuz wurde Jesus dann allerdings auch vom Vater verlassen ( Mt 27,46 ).

 

 

Joh 16,33

 

All diese Anweisungen ( Joh 14-16 ) sollten die Jünger bewahren und ihnen Frieden in Jesus geben. Die Gläubigen führen gewissermaßen eine gespaltene Existenz: Sie sind gleichzeitig in Christus und in der Welt . In der Einheit mit Jesus haben sie Frieden, doch in der Welt sind sie feindlichem Druck ausgesetzt. Die Welt, der Feind Gottes und seines Volkes, widersetzte sich der Botschaft Jesu und seiner Aufgabe (vgl. Joh 1,5.10-11; Joh 7,7 ). Doch Jesus hat die Welt überwunden . Als der "Starke", der das Reich Satans vernichtet hat ( Mt 12,25-29 ), ist Jesus letztlich der Sieger. Er wollte, daß die Jünger daran dachten und sich über seinen Sieg freuten. "Seid getrost" bedeutet "faßt Mut". (Im Neuen Testament wird das Wort tharseO , "sich ein Herz fassen, mutig sein, sich ermuntern", nur von Jesus gesprochen: Mt 9,2.22;14,27; Mk 6,50;10,49; Joh 16,33; Apg 23,11 .) Weil er gesiegt hat, können auch sie, wenn sie eins mit ihm sind, siegen ( Röm 8,37 ).

 

 

J. Jesu Fürbitte

( Joh 17 )

 

1. Jesu Bitten für sich selbst

( 17,1 - 5 )

 

Nach der symbolischen Fußwaschung der Jünger ( Joh 13,1-30 ) und den Weisungen an die Apostel ( 14 - 16 ) betete Jesus. Dieses Gebet in Joh 17 wird als "das hohepriesterliche Gebet des Herrn" oder "das Gebet des Herrn" bezeichnet.

Jesus hatte seine Weisungen mit dem Siegesruf "ich habe die Welt überwunden" ( Joh 16,33 ) beendet. Das war gewissermaßen die Vorwegnahme seines Werkes am Kreuz. Während seines ganzen Wirkens hatte Jesus sich gehorsam dem Willen des Vaters unterworfen (vgl. Lk 4,42;6,12;11,1; Mt 26,36 ). Als er sich nun wiederum an seinen Vater wandte, betete er zunächst für sich selbst ( Joh 17,1-5 ), dann für seine Apostel (V. 6 - 19 ) und dann für alle zukünftigen Gläubigen (V. 20 - 26 ).

 

 

Joh 17,1

 

Jesus, der Sohn Gottes, begann sein Gebet mit dem Wort Vater (vgl. Mt 6,9 ), das er noch dreimal benutzte ( Joh 17,5.21.24; darüber hinaus nannte er ihn "heiliger Vater", V. 11 , und "gerechter Vater", V. 25 ). Die Stunde , so sagte er, ist da . Der göttliche Plan der Erlösung ging, wie vorgesehen, seiner Vollendung entgegen. Mehrere Male zuvor hatte Jesus darauf hingewiesen, daß die Zeit noch nicht gekommen war ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ), doch jetzt war sie da (vgl. Joh 12,23;13,1 ).

Dann betete er: Verherrliche deinen Sohn (vgl. Joh 17,5 ). Diese Bitte um Verherrlichung schloß die Bewahrung Jesu im Leiden, das Annehmen seines Opfers, seine Auferstehung und die Wiederherstellung zu seiner früheren Herrlichkeit mit ein. Um all das bat er, damit durch den Sohn auch der Vater verherrlicht werde und Gottes Weisheit, Macht und Liebe durch ihn offenbar würden. Auch die Gläubigen sollen Gott verherrlichen und ehren (V. 10 ); das ist der eigentliche Daseinszweck des Menschen ( Röm 11,36; 16,27; 1Kor 10,31; Eph 1,6.12.14 ).

 

 

Joh 17,2

 

Die Worte "denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen" zeigen, daß Jesu Bittgebet in Einklang mit dem Plan des Vaters war. Der Vater hat befohlen, daß der Sohn über die Erde herrsche (vgl. Ps 2 ), daher hat der Sohn auch die Macht zu richten ( Joh 5,27 ), sein Leben zu lassen und wiederzunehmen ( Joh 10,18 ) und all denen, die ihm der Vater anvertraute, das ewige Leben zu geben . Sechsmal in diesem Gebet bezeichnet Jesus die Seinen als "die, die ihm (der Vater) gegeben hat" ( Joh 17,2.6 [zweimal] Joh 17,9.24 [zweimal]).

 

 

Joh 17,3

 

Das ewige Leben, wie es hier von Jesus definiert ist, ist das Erkennen des allein wahren Gottes durch seinen Sohn (vgl. Mt 11,27 ). Es ist eine immerwährende, dynamische, persönliche und vertraute Beziehung. Das Wort erkennen ( ginOskOsin ) steht hier im Präsens; in der Septuaginta und - weniger häufig - in den griechischen Handschriften bezeichnet es die Vertrautheit und Nähe einer sexuellen Beziehung (z. B. 1Mo 4,1 ,"erkannte", und Mt 1,25 ,"berührte"). Ein Mensch, der Gott erkennt, hat also eine enge persönliche Beziehung zu ihm, eine Beziehung, die ewig ist, nicht zeitlich. Das ewige Leben ist nicht einfach ein zeitloses Existieren. Jeder Mensch wird auf irgendeine Weise für immer existieren (vgl. Mt 25,46 ); die Frage ist nur: In welchem Zustand oder in welcher Beziehung wird er die Ewigkeit erleben?

 

 

Joh 17,4-5

 

Jesu Gebet für sich selbst stützte sich auf die Vollendung seines Werkes (vgl. Joh 4,34 ) - ich habe dich verherrlicht (vgl. Joh 17,1 ) - wozu auch sein Gehorsam bis in den Tod gehörte ( Phil 2,8 ). Wenn das Kreuz auch noch vor ihm lag, so kam es doch mit Sicherheit auf ihn zu. Jesus wiederholte seine Bitte um die Wiederherstellung seiner früheren Herrlichkeit mit dem Vater (vgl. Joh 17,1 ), die auf der Gewißheit des vollendeten Werks am Kreuz beruhte.

Außer diesem "Werk", das der Vater ihm gegeben hatte, erhielt Jesus von Gott die Gläubigen (V. 2.6.9. 24 ), seine Herrlichkeit (V. 5.24 ), seine Worte (V. 8 ) und seinen Namen (V. 11 - 12 ). Der Sohn gab Gottes Worte (V. 8.14 ) und Gottes Herrlichkeit (V. 22.24 ) an die Gläubigen weiter.

 

2. Jesu Bittgebet für die Apostel

( 17,6 - 19 )

 

Jesus betete für seine Jünger, bevor er sie erwählte ( Lk 6,12 ), während seines Wirkens ( Joh 6,15 ), am Ende seines Wirkens ( Lk 22,32 ), auf Erden ( Joh 17,6-19 ) und später im Himmel ( Röm 8,34; Hebr 7,25 ). Diese ständige Fürbitte zeigte seine Sorge und Liebe den Aposteln gegenüber.

 

 

Joh 17,6-8

 

Die kleine Herde der Jünger war dem Sohn vom Vater gegeben worden (vgl. V. 2.9.24 ). Sie waren aus der Welt ausgesondert ("Welt" steht in diesem Kapitel achtzehnmal: V. 5 - 6. 9.11 [zweimal] 13.14 [dreimal] 15.16.18 [zweimal] 21.23 - 25 ). Der Vater hatte sie auserwählt und die Apostel damit zu einem Geschenk für Jesus gemacht (vgl. Joh 6,37 ). Mit den Worten "sie haben dein Wort bewahrt" lobte Jesus die Jünger dafür, daß sie die Botschaft Gottes, der sie in ihm begegneten, angenommen hatten. Sie waren zwar nicht vollkommen, doch sie waren treu. Ihr Glaube an Jesus war Ausdruck ihres Vertrauens in seine Einheit mit dem Vater ( Joh 17,8 ). Dieser Glaube manifestierte sich in ihrem Gehorsam gegenüber seinen Worten, denn sie glaubten an seinen göttlichen Auftrag (vgl. Joh 16,27 ).

 

 

Joh 17,9-10

 

Christi Gebet (in V. 6 - 19 ) war in erster Linie für die Elf bestimmt, wenngleich es sich auf alle Gläubigen anwenden läßt (vgl. V. 20 ). Er bat hier nicht für die Welt , die nicht an ihn glaubte und ihm feindlich gegenüberstand, sondern er bat um zwei Dinge: (a) die Bewahrung (erhalte sie"; V. 11 ) und (b) die Heiligung ("heilige sie"; V. 17 ) seiner Jünger.

Die Welt muß nicht in ihrem Widerstand bewahrt und in ihrem Unglauben geheiligt werden. Jesus erbat sich das, weil die Jünger durch die Schöpfung und die Erwählung Gottes Eigentum waren ( denn sie sind dein ). Seine Worte "und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein" sind ein Beweis für seinen Anspruch auf Einheit, Vertrautheit und Wesensgleichheit mit dem Vater.

In der alten Weltordnung wohnte Gott unter den Menschen und zeigte seine Herrlichkeit. In Jesus offenbarte sich diese Herrlichkeit in völlig neuer Weise (vgl. Joh 1,14 ). Nach seinem Tod wurde Christus durch seine Jünger verherrlicht: Und ich bin in ihnen verherrlicht . Jetzt, im Kirchenzeitalter, verherrlicht der Heilige Geist den Sohn ( Joh 16,14 ), und auch die Gläubigen sollen ihn verherrlichen ( Eph 1,12 ).

 

 

Joh 17,11

 

Bald würde Jesus zum Vater gehen und seine Jünger in der Welt zurücklassen. Sie mußten hierbleiben, um Gottes Plan - die Verbreitung der guten Nachricht von der Erlösung und die Gründung der Kirche - auszuführen. Mit der Bildung der Kirche wurde die Weltgeschichte gewissermaßen zu einer "Geschichte zweier Städte": der Stadt Gottes und der Stadt der Menschen.

Da die Jünger in der Welt bleiben würden, bat Jesus Gott, sie zu bewahren. Die Feindseligkeit gegenüber Gott, die Jesus zu spüren bekommen hatte, würde nun die kleine Schar der Apostel und danach noch viele von Jesu Jüngern treffen. Mit der Anrufung seines heiligen Vaters wies Jesus auf den Unterschied zwischen Gott und der sündigen Kreatur hin. Diese Heiligkeit ist die Grundlage für die Absonderung der Gläubigen von der Welt. Gott würde sie durch die Macht seines Namens (vgl. Spr 18,10; in der damaligen Zeit stand der Name eines Menschen für die Person) vor der Sünde und der Feindschaft der Welt bewahren.

Jesus betete um die Bewahrung der Gläubigen, um ihre Einheit nach dem Vorbild der Einheit des Vaters und des Sohnes zu fördern: Daß sie eins seien wie wir (vgl. V. 21 - 22 ). Es scheint sich dabei um eine Willenseinheit zu handeln. Geschützt vor den Angriffen der Welt würden die Gläubigen in ihrem gemeinsamen Wunsch, dem Sohn zu dienen und ihn zu verherrlichen, geeint.

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Joh 17,12

 

Als "guter Hirte" sorgte Jesus sich um die Herde, die ihm vom Vater anvertraut war. Nur Judas, der hier der Sohn des Verderbens genannt wird, bildete eine Ausnahme. Er gehörte niemals zu den Schafen, auch wenn sein wahrer Charakter erst jetzt ans Licht kam (vgl. Joh 13,11; 1Joh 2,19 ). Er war eine "tote Rebe", die abgeschnitten werden mußte (vgl. den Kommentar zu Joh 15,2.6 ). Judas handelte zwar bewußt (er verkaufte Jesus), doch unwissentlich wurde er dabei zu einem Werkzeug Satans ( Joh 13,2.27 ). Auch die Willensakte der Menschen fügen sich in Gottes Plan ein (vgl. Apg 2,23;4,28 ). So erfüllte (in größerem, biblischem Zusammenhang) Judas' Verrat die Worte von Ps 41,10 über Davids Verrat durch seinen Freund.

 

 

Joh 17,13

 

Die Trostworte, die Jesus hier zu seinen Jüngern sprach ( ich rede dies ), waren sehr wichtig für sie. In der Folgezeit nach seiner Passion würden sie sich daran erinnern, und ihre Freude sollte vollkommen sein . Sie freuten sich, weil sie aus seinen Worten wußten, daß er den Bösen besiegt und ihnen das ewige Leben gebracht hatte.

 

 

Joh 17,14

 

Jesus setzte seine Fürbitte für die Jünger mit einem Hinweis auf ihren Wert und die ihnen bevorstehende Gefahr fort. Wertvoll waren sie, weil sie das Wort Gottes empfangen hatten: Ich habe ihnen dein Wort gegeben (vgl. "denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben"; V. 8 ). Sie waren in Gefahr, weil das teuflische System der Welt sie haßte . Die Welt haßte sie, weil sie nicht von der Welt waren. Da die Gläubigen Anteil an Jesus Christus haben, hat "alles, was in der Welt ist - des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben" - seine Attraktion für sie verloren ( 1Joh 2,16 ). Dem Gläubigen ist bewußt, daß die Welt nur "Dreck und Schaden" ist (vgl. Phil 3,8 ), und dafür haßt ihn die Welt, denn er entlarvt ihre trügerischen Werte (vgl. Joh 3,20 ).

 

 

Joh 17,15

 

Es war nicht Gottes Absicht, die Jünger einfach vor jeglicher Gefahr und allem Widerstand zu bewahren ( daß du sie aus der Welt nimmst ), sondern sie inmitten aller Schwierigkeiten zu erhalten. Wie von Daniel in Babylon ( Dan 1,5;3,12;6,6-12 ) und von den Heiligen im Hause des Kaisers ( Phil 4,22 ) verlangt Gott von den Jüngern, daß sie in einem Umfeld voller teuflischer Lügen Zeugen der Wahrheit sind. Satan, der Böse (vgl. Mt 5,37; 1Joh 5,19 ), als Fürst der Welt, läßt nichts unversucht, um die Gläubigen zu vernichten (vgl. Offb 2,10;12,10 ), doch Gottes Plan wird sich am Ende durchsetzen. Die Christen sollen sich nicht aus der Welt zurückziehen, sondern im Vertrauen auf Gottes Schutz Zeugnis für Jesus ablegen.

 

 

Joh 17,16-17

 

Wie Jesus gehören auch die Gläubigen nicht dem teuflischen System dieser Welt ( ich bin nicht von der Welt ; vgl. V. 14 ), sondern dem himmlischen Königreich ( Kol 1,13 ) an, denn sie sind wiedergeboren (vgl. Joh 3,3 ). Jesus hatte Gott um die Erhaltung seiner Jünger gebeten ( Joh 17,11 ); seine zweite Bitte war nun, daß sie geheiligt würden. Heiligen bedeutet "absondern für einen besonderen Zweck". Ein Gläubiger hat nichts mit der Sünde, den Werten und Zielen der Welt zu tun.

Das Mittel dieser Heiligung ist Gottes Wahrheit . Sie wird vermittelt in der persönlichen und der ethischen Dimension des Wortes. In dem Maß, in dem die Jünger Jesu Botschaft vernahmen, glaubten und begriffen, verwandelten sich ihre Herzen und ihr Verstand. Diese grundlegende Veränderung in ihrem Denken hatte Veränderungen in ihrem Leben zur Folge. Das gilt ebenso für die Gläubigen von heute. Wenn sie das Wort Gottes auf ihr Leben anwenden, sind sie geheiligt - abgesondert für Gott, verändert in ihrem Leben, in dem sie nun Gott die Ehre geben (vgl. Joh 15,3 ). Die Botschaft Gottes sonderte die Apostel von der Welt ab, so daß sie von nun an seinen, nicht mehr den Willen Satans, taten.

 

Joh 17,18

 

Jesus ist das Vorbild für jeden Gläubigen. Er war in der Welt, aber er war nicht von der Welt (V. 14 b. 16 b). Er war vom Vater in die Welt gesandt, und die Gläubigen wurden von ihm in die Welt gesandt, um den Vater zu verkünden (vgl. Joh 20,21 ). Hierin ähnelt diese Passage dem Missionsauftrag in Mt 28,18-20 . Jeder Christ sollte sich als Bote betrachten, dessen Aufgabe es ist, den andern von der Wahrheit Gottes zu erzählen.

 

 

Joh 17,19

 

Jesus heiligte sich selbst für seine Jünger. Doch inwiefern hatte er das überhaupt nötig? War er nicht bereits für Gott von der Welt abgesondert? Die besondere Heiligung, von der hier die Rede war, bezog sich auf seine Absonderung und Auslieferung an den Tod . Der Zweck seines Todes aber war es, daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit . Die Wendung "geheiligt in der Wahrheit" bedeutet, daß die Wahrheit Gottes Mittel der Heiligung ist (vgl. den Kommentar zu V. 17 ). Mit seinem Tod wollte Christus die Gläubigen für Gott und seinen Plan absondern bzw. sie ihm übergeben.

 

 

3. Jesu Fürbitte für die zukünftigen Gläubigen

( 17,20 - 26 )

 

Joh 17,20

 

Der letzte Teil von Jesu Bitte (V. 20 - 26 ) galt den Gläubigen der Zukunft, die durch das Wort der Apostel zu ihm kommen würden. Im Kirchenzeitalter haben alle Christen direkt oder indirekt durch das Zeugnis der Apostel zu Christus gefunden. Jesus wußte, daß sein Auftrag von Erfolg gekrönt sein würde. Er würde sterben und auferweckt werden, er würde den Heiligen Geist senden, die Apostel würden predigen, die Menschen würden sich bekehren, und die Kirche würde entstehen. Wie jeder Hohepriester Israels die Namen der Stämme vor die Gegenwart Gottes in der Stiftshütte und im Tempel trug (vgl. 2Mo 28,9-12.21-29 ), so stellte Jesus, der große Hohepriester, die zukünftigen Gläubigen vor die heilige Gegenwart seines himmlischen Vaters (vgl. Hebr 4,14-5,12;7,24-8,2 ).

 

 

Joh 17,21

 

Jesus bat um die Einheit derer, die in der Zukunft zum Glauben kommen würden (vgl. V. 11.21 - 22 ). Dieser Vers ist ein Lieblingsvers der heutigen ökumenischen Bewegung. Es stimmt zwar, daß das Kirchenschisma ein Skandal ist, doch die Heilung liegt nicht in einer Union der Institutionen. Jesus betete nicht für den Zusammenschluß der Christen zu einer einzigen, weltweiten ökumenischen Kirche, in der neben der Orthodoxie auch Irrlehren verbreitet werden. Er betete umdie Einheit der Liebe, eine Einheit des Gehorsams gegenüber Gott und seinem Wort. Zwischen Einheitlichkeit, willkürlichem Zusammenleben und echter Einheit besteht ein Unterschied.

Alle Gläubigen gehören zu dem einen Leib Christi ( 1Kor 12,13 ); ihre geistliche Einheit manifestiert sich in ihrem Leben. Die Einheit, die Christus sich für seine Kirche wünscht, ist dieselbe wie die zwischen Vater und Sohn: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir (vgl. Joh 10,38;17,11.23 ). Der Vater vollbrachte seine Werke durch den Sohn, und der Sohn tat nur, was dem Vater gefiel ( Joh 5,30;8,29 ). Diese geistliche Einheit soll sich auch in der Kirche zeigen. Ohne Einheit mit Jesus und dem Vater ( sie in uns ) können die Christen nichts bewirken ( Joh 15,5 ). Es ist ihr Lebensziel, den Willen des Vaters zu tun.

Die Einheit der Jünger mit Jesus wird dazu führen, daß die Welt an den Vater glaubt: Daß du mich gesandt hast (vgl. Joh 17,23 ).

 

 

Joh 17,22-23

 

Die Herrlichkeit, die Christus der Kirche gegeben hat, bezieht sich wahrscheinlich auf die Herrlichkeit des Kreuzes (vgl. V. 1 - 5 ). Durch die Erinnerung an Jesu Sühneopfer sollte die Kirche mit den Zielen Gottes und seinem Heilsplan eins werden. Abermals wird die Einheit der Christen ( damit sie eins seien ) mit der Einheit zwischen Sohn und Vater verglichen (wie wir eins sind; vgl. V. 11.21 ). Diese Einheit wird dadurch erzielt, daß Christus in den Gläubigen wohnt ( ich in ihnen ).

Das Ziel der Einheit der Gläubigen untereinander und mit Gott ist ein doppeltes: (a) die Welt soll an den göttlichen Auftrag des Sohnes glauben ( erkenne, daß du mich gesandt hast ), und (b) die Welt soll die Liebe Gottes zu den Gläubigen erkennen, die ebenso tief und unvergänglich ist wie die Liebe zu seinem Sohn (vgl. V. 26 ).

 

 

Joh 17,24

 

Die Gemeinschaft, die die Jünger bereits in diesem Leben mit Jesus haben, wird in der Ewigkeit noch enger werden. Das Ziel der Erlösung ist es, die Gläubigen zu verherrlichen und mit Jesus zu vereinen (vgl. Joh 14,3; Kol 3,4; 1Thes 4,17 ). Jesu letzter, testamentarischer Wunsch ( ich will , thelO ) bestimmte, daß seine Jünger in seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit, die er vom Vater hatte und wieder haben würde ( Joh 17,5 ), eintreten sollten ( sehen ; vgl. Hebr 2,10 ). Dieses Testament wurde besiegelt durch seinen Tod und seine Auferstehung. Da er in Willenseinheit mit dem Vater handelt ( Joh 4,34;5,30;6,38 ), steht dieser für die Verwirklichung von Jesu Vermächtnis ein.

 

 

Joh 17,25-26

 

Die Fürbitte für die Gläubigen schließt mit der Anrufung des gerechten Vaters . Das Wort, das hier mit "gerecht" übersetzt ist, kommt im Johannesevangelium selten vor (vgl. 5, 30; Joh 7,24 ). Hier ist es offensichtlich Ausdruck für den Lobpreis des göttlichen Erlösungswerkes (vgl. Mt 11,25-26 ). Der Vater ist gerecht, während die Welt im Unrecht lebt ( kennt dich nicht ). Jesus hat den Vater gekannt, offenbart ( Joh 17,6 ) und verherrlicht (V. 4 ), eine Aufgabe, die nun den Christen obliegt. Das Wesen Gottes ist die Liebe ( 1Joh 4,8 ). Jesus tat durch seinen Tod den Vater und seine Liebe der Welt kund. Die Liebe des Vaters zum Sohn wurde offenbar, als er ihn zur Herrlichkeit auferweckte. Jesus offenbarte den Vater, damit die Christen in dieser Liebe zunahmen ( damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei ) und sich in ihrem Leben seiner persönlichen Gegenwart erfreuen konnten ( und ich in ihnen ).

Jesus bat um vier Dinge für die Gläubigen: Erhaltung ( Joh 17,11 ), Heiligung (V. 17 ), Einheit (V. 11.21 - 22 ) und Teilhabe an seiner Herrlichkeit (V. 24 ). Sein Gebet wird mit Sicherheit Erhörung finden (vgl. Joh 11,42; 1Joh 5,14 ).

 

 

IV. Jesu Passion und Auferstehung

( Joh 18-20 )

 

A. Die Gefangennahme Jesu

( 18,1 - 11 )

 

Joh 18,1

 

Jesus verließ den Raum, in dem er mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl eingenommen hatte, und ging hinaus über den Bach Kidron , nach Osten. Das Kidrontal, das heutige Wadi-en-Nar, ist ein Tal bzw. Flußbett, das vom Norden Jerusalems zwischen dem Tempelberg und dem Ölberg hindurch zum Toten Meer verläuft. Wie David von einem Freund (Ahitofel) verraten wurde, während er auf dem Weg zum Ölberg den Kidron überquerte ( 1Sam 15,23.30-31 ), so wurde auch Jesus von seinem "vertrauten Freund" Judas verraten, als er diesen Weg nahm. In dem Garten auf dem Ölberg übernachteten Jesus und seine Jünger stets, wenn sie sich in Jerusalem aufhielten ( Lk 21,37 ), denn in Festzeiten (z. B. während des Passafestes) war die heilige Stadt von den Tausenden von jüdischen Pilgern so überfüllt, daß die meisten von ihnen in Zelten oder anderen provisorischen Unterkünften schlafen mußten.

 

 

Joh 18,2-3

 

"Geldgier ist eine Wurzel alles Übels" ( 1Tim 6,10 ). Auf dem Hintergrund dieses Satzes ist es nicht überraschend, daß Judas Jesus für Geld verriet ( Joh 12,4-6; Mt 26,14-16 ). Judas war kein Ungeheuer, sondern ein ganz normaler Mensch, der in einer ganz gewöhnlichen Sünde (der Gier) gefangen war, die Satan benutzte, um sein Ziel zu erreichen. Seine Tat stand allerdings in stärkstem Gegensatz zu Jesu selbstloser Liebe. Da Judas Jesu Gewohnheiten kannte, konnte er ihn den Häschern leicht ausliefern. Der Haß auf Jesus hatte die Soldaten und Knechte von den Hohenpriestern und Pharisäern zusammengeführt. Die römische Besatzungsmacht hatte eine Kohorte ( speiran , der zehnte Teil einer Legion), also sechshundert Mann, abgestellt, wahrscheinlich mit dem Befehl, einen Aufständischen, der behauptete, ein König zu sein, festzunehmen.

 

 

Joh 18,4

 

Jesus wußte alles, was ihm begegnen sollte . Er wurde nicht von seinen Feinden überrascht, sondern gab sich freiwillig als Opfer in ihre Hände ( Joh 10,15.17-18 ). Die Szene in Joh 18,4 ist voller gespenstischer Dramatik. Judas kam mit den vielen Soldaten und den religiösen Führern, um Jesus gewaltsam abzuführen. Doch Jesus trat ihnen ganz allein entgegen (die Jünger waren eingeschlafen; Lk 22,45-46 ). Obwohl er unbewaffnet war, beherrschte er die Situation. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, in der Dunkelheit der Nacht zu fliehen, wie es die Jünger bald darauf taten (vgl. Mk 14,50 ). Doch er ergab sich seinen Häschern.

Johannes

 

Joh 18,5-6

 

Seine Worte "Ich bin's" , erschreckten sie, und sie wichen zurück und fielen zu Boden , beeindruckt von der Autorität seiner Worte (vgl. Joh 7,45-46 ). Die Wendung "Ich bin" ist doppeldeutig; sie könnte sich auf Jesu Gottheit beziehen ( 2Mo 3,14; Joh 8,58 ) oder auch einfach ein Erkennungszeichen gewesen sein (wie in Joh 9,9 ).

 

 

Joh 18,7-9

 

Als der gute Hirte ließ Jesus sein Leben für die Schafe ( Joh 10,11 ). Daß er noch in diesem Augenblick die Apostel schützte, war ein vollkommenes Beispiel für seinen stellvertretenden Sühnetod. Er starb nicht nur für sie, sondern wirklich anstelle von ihnen. Damit erfüllte er den Willen seines Vaters für die Apostel ( Joh 6,38 ) und auch seine eigenen prophetischen Worte ( Joh 6,39 ).

 

 

Joh 18,10

 

Petrus hatte gesagt, daß er für Jesus sterben würde ( Mt 26,33-35 ), und wollte ihn nun retten oder zumindest im Kampf für ihn fallen. Doch er war zweifellos mit dem Fischernetz geschickter als mit dem Schwert, denn als er dem Knecht des Hohenpriesters, Malchus, sein rechtes Ohr abhieb , hatte er es mit Sicherheit auf dessen Kopf abgesehen. Sowohl Lukas ( Lk 22,50 ) als auch Johannes berichten, daß es das rechte Ohr war, was ein Beleg für die historische Verläßlichkeit ihrer Evangelien ist. (Lukas fügt noch hinzu, daß Jesus den Mann wieder heilte; Lk 22,51- ein Beweis für seine Feindesliebe.) Petrus' Treue war zwar rührend, doch sie entsprach nicht dem Plan Gottes. Ein solcher blinder Eifer ohne rechte geistliche Einsicht führt die Menschen häufig vom Weg ab (vgl. Röm 10,2 ).

 

 

Joh 18,11

 

Schon zuvor hatte Jesus Petrus getadelt ( Joh 13,6-11 ). Nun tadelte er ihn abermals, diesmal, weil er Gottes Willen nicht verstand. Trotzdem Jesus ständig von seinem bevorstehenden Tod gesprochen hatte ( Joh 3,14;8,28;12,32-33; vgl. Lk 9,22 ), sahen die Jünger seine Notwendigkeit nicht ein (vgl. Lk 24,25 ). Der Kelch, den der Vater Jesus zugeteilt hatte, bezog sich auf das Leiden und den Tod, den er erlitt, weil er Gottes Zorn über die Sünde auf sich nahm ( Ps 75,9; Jes 51,17.22; Jer 25,15; Hes 23,31-33 ). Die Worte "den Kelch, den mir mein Vater gegeben hat" deuten darauf hin, daß Jesus alles, was ihm bevorstand, als Teil des göttlichen Heilsplans sah. Seine rhetorische Frage an Petrus sollte diesen zum Nachdenken bringen. Jesus war gekommen, um den Willen des Vaters zu tun, und mußte daher auch das folgende auf sich nehmen.

 

 

B. Die Verhandlungen vor dem Hohenpriester und die Leugnung des Petrus

( 18,12 - 27 )

 

Joh 18,12-14

 

Bei der Verhaftung Jesu war es dunkel und spät in der Nacht. Er hatte bereits einen langen Tag hinter sich. Die Jünger waren so erschöpft von all dem, was auf sie eingestürmt war, daß sie in tiefen Schlaf gefallen waren. Doch Jesus durchlebte in der Zeit, in der sie schliefen, eine tiefe Krise und suchte in Todesangst Zuflucht im Gebet ( Mk 14,32-41; Lk 22,44 ). Jetzt war er gebunden und in den Händen seiner Feinde und zudem von allen verlassen, da seine Jünger in Panik auseinandergelaufen waren ( Mt 26,56; Joh 16,32 ).

Dann begannen die Verhandlungen vor der religiösen Obrigkeit (vgl. die Liste über die sechs Verhandlungen bei Mt 26,57 ). Der Hinweis, sie führten ihn zuerst zu Hannas , ist eine Information, die in den anderen Evangelien nicht enthalten ist. Hannas war von Quirinius, dem Statthalter Syriens, im Jahr 6 n. Chr. zum Hohenpriester ernannt worden und blieb im Amt, bis er von Valerius Gratus, dem Procurator Judäas, im Jahr 15 n. Chr. abgesetzt wurde. Nach jüdischem Gesetz hatte ein Hoherpriester sein Amt zwar auf Lebenszeit inne, doch die Römer sahen eine solche Konzentration von Macht in einer Person nicht gern, daher ernannten sie häufig neue Hohepriester. Auf Hannas folgten fünf seiner Söhne und sein Schwiegersohn Kaiphas (vgl. die Tabelle bei Apg 4,6 und Lk 3,2 ). Offensichtlich blieb er jedoch stets die treibende Kraft; denn vor Jesu formalem Prozeß führte er eine Vorbefragung durch. Kaiphas war in jenem Jahr , d. h. dem bedeutungsvollen Jahr von Jesu Tod, Hoherpriester . An dieser Stelle erinnert Johannes seine Leser nochmals an die unbewußte Prophezeiung des Kaiphas ( Joh 11,49-52 ).

 

 

Joh 18,15-16

 

Als die Soldaten Jesus im Olivengarten gefangengenommen hatten, waren die Jünger im ersten Schreck geflohen, doch zwei von ihnen kehrten zurück und folgten dem Herrn und seinen Feinden zurück über den Kidron in die Stadt. Es waren Simon Petrus und ein anderer Jünger . Wer der andere war, wissen wir nicht, doch es wäre denkbar, daß es sich um Johannes, den Sohn des Zebedäus, handelte (vgl. Joh 20,2;21,20.24 ). Dieser Jünger kannte den Hohenpriester und hatte Zugang zu seinem Palast - eine einzigartige Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, was nun weiter geschah. Er nahm auch Petrus mit in den Hof hinein.

 

 

Joh 18,17-18

 

Petrus' Leugnung vor der Magd stand in schroffstem Gegensatz zu seinen früheren Beteuerungen, daß er sein Leben für Jesus lassen würde ( Joh 13,37 ), und zu seinem Widerstand gegenüber Malchus, dem er das Ohr abhieb ( Joh 18,10 ). Offensichtlich befand sich auch der andere Jünger in (vielleicht sogar noch größerer) Gefahr, doch er verleugnete Jesus nicht. Petrus stand beim Kohlenfeuer und wärmte sich in der Frühlingsnacht, die sehr kalt war, denn Jerusalem liegt etwa 760 Meter über dem Meeresspiegel. Das Detail über die kalte Nacht ist ein weiterer Hinweis, daß der Verfasser dieses Buches ein Augenzeuge war.

 

 

Joh 18,19

 

Die Ereignisse in Vers 12 - 27 werden wie ein Drama auf zwei Bühnen geschildert. Bühne 1 wurde vorbereitet (V. 12 - 14 ), während das Schauspiel auf Bühne 2 stattfand (V. 15 - 18 ). Dann wandte sich die Handlung wieder Bühne 1 zu (V. 19 - 24 ) und kehrte danach nochmals zu Bühne 2 zurück (V. 25 - 27 ).

Die Vorbefragung Jesu ähnelte möglicherweise dem Verfahren, dem heute ein Festgenommener unterzogen wird, wenn er auf eine Polizeistation gebracht wird. Hannas befragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre . Das waren die üblichen Fragen, die an Aufrührer gerichtet wurden (vgl. Joh 11,48 ).

 

 

Joh 18,20-21

 

Jesus antwortete, daß er keine Geheimlehre und auch keine Organisation vertrete. Ihm folgte zwar ein enger Kreis von Jüngern, doch seine Lehre war keine Geheimreligion. Er redete offen und vor aller Welt (in der Synagoge und im Tempel) . Die Menschen wußten, was er gesagt hatte, so daß Fragen darüber leicht zu beantworten waren. Bis seine Schuld erwiesen war, war er als unschuldig anzusehen. Er verlangte deshalb, daß sie Zeugen beibrächten, wenn sie ihm etwas vorwarfen. Da jedoch nichts gegen ihn vorlag, versuchten seine Ankläger, ihn irgendwie zu überlisten.

 

 

Joh 18,22-24

 

Einer von den Knechten des Hannas, dem seine Antwort nicht gefiel, schlug Jesus ins Gesicht . Wie diese Mißhandlung waren auch andere Dinge in Jesu Vorverhör illegal. Es war unrechtmäßig zu versuchen, einem Angeklagten eine Selbstbeschuldigung zu entlocken; außerdem war es nicht erlaubt, eine Person, die noch nicht überführt war, zu schlagen. Jesu Antwort bezog sich nicht auf die Form ( sollst du ), sondern auf den Inhalt seiner Lehre ( habe ich übel geredet ). Es war leichter, sich vor der Wahrheit zu drücken oder den, der sie aussprach, zum Schweigen zu bringen, als zu versuchen, auf die Wahrheit zu antworten. Denn die Wahrheit ist aus sich selbst heraus überzeugend, und für die, die sich ihr entgegenstellen, ist es schwierig, sie zu leugnen. Darauf wies Jesus seine Widersacher hin und brachte auf diese Weise ihre Heuchelei an den Tag. Sie kannten die Wahrheit, doch sie liebten den Irrtum. Sie sahen das Licht, doch sie liebten die Finsternis (vgl. Joh 3,19; Röm 1,18 ). Nach dem Vorverhör sandte Hannas Jesus zu seinem Schwiegersohn Kaiphas (vgl. Joh 18,13 ).

 

 

Joh 18,25-27

 

In dieser Passage verleugnete Petrus Jesus zum zweiten und dritten Mal Über seinen Verrat wird in allen vier Evangelien berichtet, was zeigt, welche Bedeutung die Evangelisten dieser Schwäche des Führers der Jünger beimaßen. Da alle Menschen versagen und auch viele berühmte Christen irgendwann einmal gestrauchelt sind, ist der Bericht über die Verleugnung des Petrus (und seine folgende Wiederherstellung; vgl. Joh 21 ) ein großer Trost für die Gläubigen. Die letzte Leugnung erfolgte auf die Frage eines Verwandten jenes Malchus, den Petrus in Gethsemane töten wollte. Unmittelbar nachdem Petrus Jesus zum dritten Mal verleugnet hatte, sah der Herr ihn an ( Lk 22,61 ), und er ging hinaus und weinte bitterlich ( Lk 22,62 ). Dann krähte der Hahn (vgl. Mt 26,72-74 ). Jesu Prophezeiung ( Joh 13,38 ) hatte sich erfüllt. (Markus schreibt, daß der Hahn zweimal krähte; vgl. den Kommentar zu Mk 14,72 .) Der krähende Hahn (wie auch die sprechende Eselin Bileams; vgl. 4Mo 22,30 ) sind ein Beweis für Gottes Souveränität, mit der er alle Dinge seinem Willen und Zeitplan unterwirft.

 

 

C. Der Zivilprozeß vor Pilatus

( 18,28 - 19,16 )

 

Joh 18,28-29

 

Jeder der vier Evangelisten stellte einen ganz besonderen Aspekt von Jesu Gerichtsverhandlungen, Tod und Auferstehung in den Vordergrund. Johannes schien das Material der drei ersten Evangelien ergänzen zu wollen. Nur er berichtet so detailliert und mit so viel psychologischem Fingerspitzengefühl über das Verhör vor Hannas und Pilatus. Dagegen sagt er nichts über das Verhör vor dem Hohen Rat ( Mk 14,55-64 ) und über den Vorwurf der Gotteslästerung. (Vgl. die Liste mit den sechs Gerichtsverhandlungen Jesu bei Mt 26,57 .)

Da der jüdische Hohe Rat nicht befugt war, Jesus zum Tode zu verurteilen, mußte sein Fall vor den römischen Statthalter, Pontius Pilatus (26 - 36 n. Chr.), gebracht werden. Dieser residierte normalerweise in Cäsarea, doch während der großen Feste schien es ihm ratsam, sich in Jerusalem aufzuhalten, um einem Aufruhr vorzubeugen. Das Passafest war besonders gefährlich, weil dann - in Erinnerung an die Befreiung der Juden aus der Knechtschaft in Ägypten - die Wogen der Erregung hochschlugen.

Die genaue Lage des Palastes des römischen Statthalters ist umstritten. Er kann sich nahe der Festung Antonia an der Nordseite des Tempels befunden haben, oder es handelte sich um einen der beiden Paläste des Herodes im Westen der Stadt. Die Juden hätten niemals ein heidnisches Haus (in diesem Fall den Palast des Statthalters) betreten, doch sie konnten bis in den Hof oder unter die Kolonnaden gehen. Welche Ironie liegt darin, daß die jüdischen Machthaber sich hier Gedanken über die rituelle Unreinheit machten, während sie doch gleichzeitig einen Mord planten! Da kam Pilatus zu ihnen heraus (wahrscheinlich in den Hof) und begann mit dem informellen Verhör.

 

 

Joh 18,30-31

 

Die Antwort der Juden auf die Frage des Pilatus zeigt, wie spinnefeind sie einander waren. (Sie haßten Pilatus für seine Härte und für die Tatsache, daß er als Heide über sie herrschte. Pilatus seinerseits verachtete die Juden. Im Jahr 36 n. Chr. erreichten sie endlich, daß er nach Rom zurückberufen wurde.) Pilatus weigerte sich, für sie das Amt des Scharfrichters zu übernehmen. Er ahnte, was hinter den Kulissen vorging. Er hatte den triumphalen Einzug Jesu vor ein paar Tagen gesehen, und ihm war klar, daß es purer Neid war, der die Juden dazu veranlaßt hatte, Jesus vor ihn zu bringen ( Mt 27,18 ). Daher entschied er sich, ein Spielchen mit den Juden zu spielen - um den Einsatz von Jesu Leben. Er erklärte sich nicht bereit, ohne ausreichenden Grund irgend etwas gegen Jesus zu unternehmen. Die Anklage der Juden wegen Gotteslästerung würde schwer zu beweisen sein und reichte auf keinen Fall aus, ihn nach römischem Gesetz zum Tode zu verurteilen. Gerade darauf aber hatten es die Juden abgesehen. Jesus war beliebt beim Volk, daher hätte es der Hohe Rat gern gesehen, wenn das Todesurteil von einem römischen Gericht ausgesprochen worden wäre. Der Rat selbst konnte zwar Todesurteile verhängen, doch nur die Römer hatten das Recht, sie zu vollstrecken (vgl. jedoch die Steinigung des Stephanus in Apg 6,8-7,60 ).

 

 

Joh 18,32

 

Johannes erläutert dann noch genauer, warum Jesus den Römern ausgeliefert werden mußte. Bei jüdischen Hinrichtungen wurden die Opfer meistens gesteinigt, wobei den Menschen die Knochen gebrochen wurden. Die Römer dagegen kreuzigten ihre Verbrecher. Aus drei Gründen war es nötig, daß Jesus von den Römern auf Bitten der Juden gekreuzigt wurde: (a) um die Prophezeiungen zu erfüllen (z. B. damit ihm "kein Bein zerbrochen" würde; Joh 19,36-37 ); (b) damit sowohl Juden als auch Heiden an seinem Tod schuldig würden (vgl. Apg 2,23;4,27 ); (c) damit Jesus "erhöht" wurde wie "die Schlange in der Wüste" (vgl. den Kommentar zu Joh 3,14 ). Ein Mensch, der unter dem Fluch Gottes stand, mußte - als Zeichen, daß über seine Sünde zu Gericht gesessen worden war - an einem Baum ausgestellt (gehängt) werden ( 5Mo 21,23; Gal 3,13 ).

 

 

Joh 18,33-34

 

Nach der Überstellung des Gefangenen hatte Pilatus eine private Unterredung mit Jesus (V. 33 - 38 )a. Er wußte, daß die Juden normalerweise nicht einen der Ihren den verhaßten Römern ausliefern würden, daß es mit Jesus also eine besondere Bewandtnis haben mußte. Nach Lukas ( Lk 23,2 ) wurden Jesus drei Dinge vorgeworfen: Er habe das Volk aufgewiegelt, sich der Steuer für den Kaiser widersetzt und behauptet, er sei "Christus, ein König". Pilatus fragte ihn zunächst, ob er der König der Juden sei. Daraufhin fragte Jesus ihn, ob er diese Frage von sich aus stelle oder ob andere (Juden) sie ihm in den Mund gelegt hätten. Damit meinte er, ob Pilatus selbst in Sorge sei, daß er, Jesus, eine Bedrohung für Rom, also ein Revolutionär, sei, oder ob andere es so dargestellt hätten.

 

 

Joh 18,35-36

 

Pilatus antwortete sarkastisch: Bin ich ein Jude? Natürlich war er nicht an irgendwelchen jüdischen Querelen interessiert, sondern nur an Vergehen, die sich auf die Zivilverwaltung bezogen. Es muß Jesus tief verletzt haben, daß Pilatus ihn so kalt darauf hinwies, daß es die Juden waren, sein eigenes Volk, das ihn angeklagt hatte. Johannes hatte bereits im Prolog seines Evangeliums dieses traurige Thema angesprochen: "Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf" ( Joh 1,11 ). Jesus sagte, daß die Römer keinen politischen Aufstand von ihm zu befürchten hatten; er war kein Zelot oder aufständischer Guerillaführer. Sein Reich war nicht von dieser Welt , es war vom Himmel, daher würde es auch nicht durch Rebellion, sondern durch Unterwerfung unter den Willen Gottes kommen. Es konnte nicht durch gewaltsame Handlungen der Menschen herbeigeführt werden, sondern nur durch die Wiedergeburt vom Himmel, durch die die Menschen aus dem Reich Satans in das Reich Gottes kommen konnten (vgl. Joh 3,3; Kol 1,13 ).

 

 

Joh 18,37

 

Da Jesus von einem Königreich sprach, stürzte Pilatus sich sofort auf das Wort "König": So bist du dennoch ein König? Diese Frage bejahte Jesus, doch er erklärte nochmals, daß sein Reich nicht mit Rom zu vergleichen sei. Es ist ein Reich der Wahrheit, das alle anderen Königreiche in den Schatten stellt. Er sagte: Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Mit wenigen Worten bestätigte Jesus also seine göttliche Herkunft ( ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen ) und seinen Auftrag ( daß ich die Wahrheit bezeugen soll ). Später würde er über Pilatus zu Gericht sitzen.

 

Joh 18,38

 

Pilatus' Frage "Was ist Wahrheit?" zieht sich durch die Jahrhunderte bis in unsere heutige Zeit. Es ist schwer zu entscheiden, was er damit meinte. War sie Ausdruck des sehnsüchtigen Wunsches zu wissen, was keiner ihm sagen konnte? Zielte sie auf das Problem der Erkenntnistheorie und zeugte lediglich von philosophischem Zynismus? War sie ein Beispiel für seine Gleichgültigkeit gegenüber so unnützen und abstrakten Gedanken? Oder war sie Ausdruck der Verärgerung und Ungeduld über Jesu Antwort? Alle diese Interpretationen sind möglich. Wichtig ist jedoch allein, daß er sich plötzlich von dem, der "die Wahrheit" ( Joh 14,6 ) war, abwandte, ohne auf eine Antwort zu warten. Daß Pilatus Jesus für unschuldig hielt, ist von großer Bedeutung, denn Jesus mußte sterben wie ein Passalamm ( 2Mo 12,5 ), ein "Mann in der Blüte seiner Jahre und ohne Tadel".

 

 

Joh 18,39-40

 

Außer diesem mangelnden Interesse an der Wahrheit zeigte Pilatus jedoch auch mangelndes Interesse an der Gerechtigkeit. Ihm fehlte der Mut, zu seiner Überzeugung zu stehen. Wenn Jesus tatsächlich in allen Punkten unschuldig war, hätte er ihn freilassen müssen. Statt dessen schloß er eine Reihe von Kompromissen, um sich der Notwendigkeit, in einer schwierigen Situation der unbequemen Wahrheit entsprechend zu handeln, zu entziehen. Als er feststellte, daß Jesus Galiläer war, sandte er ihn zunächst zu Herodes ( Lk 23,6-7 ). Dann versuchte er, in der Hoffnung, die Pläne der Hohenpriester und Ältesten zu vereiteln, an die Menge zu appellieren ( Joh 18,38 ). Er wußte, daß Jesus beliebt war und dachte, daß die Menschen ihn Barabbas vorziehen würden (vgl. Mt 27,20 ). Sein Angebot, Barabbas, einen Mörder und Aufständischen, loszugeben , war ein politisches Armutszeugnis für einen Beamten, dessen Aufgabe es war, die Interessen Roms wahrzunehmen.

 

 

Joh 19,1-3

 

Als drittes ließ Pilatus Jesus geißeln . Das war, nach Lukas ( Lk 23,16 ), ein weiterer Versuch, einen Kompromiß herbeizuführen. Er hoffte, die Menge mit dem Anblick von etwas Blut zufriedenzustellen. Die römische Geißelung wurde mit einer Lederpeitsche, an deren Enden sich kleine Metallstücke befanden, durchgeführt, eine Methode, die häufig zum Tod des Delinquenten führte. Die Geißelung, die Krone aus Dornen, das Purpurgewand , der Spott, der darin lag, ihm als König der Juden zu huldigen, und die Schläge ins Gesicht - sie alle waren Teil von Jesu tiefer Erniedrigung, die er erlitt, weil er als der Gottesknecht mit der Sünde der Menschen identifiziert wurde (vgl. Jes 50,6;52,14-53,6 ). (Matthäus und Markus fügen noch hinzu, daß die Soldaten Jesus anspuckten [ Mt 27,30; Mk 15,19 ]). Die Dornenkrone erinnert an den Fluch der Dornen und Disteln, den die Sünde der Menschen nach sich zog ( 1Mo 3,18 ).

 

 

Joh 19,4-5

 

Doch auch dieser Versuch des Pilatus, Jesus freizubekommen, schlug fehl. Der Blutdurst der Menge war noch nicht gestillt. Pilatus' Worte "Seht, welch ein Mensch!" (lat.: Ecce homo ) sind, wie seltsamerweise auch mehrere andere seiner Aussprüche, unsterblich geworden. Jesus muß damals einen ergreifenden Anblick geboten haben: blutüberströmt, mit der Dornenkrone auf dem Haupt und in das Purpurgewand gekleidet.

 

 

Joh 19,6-7

 

Wieder flammte der Haß der jüdischen Machthaber auf, und sie schrieen: Kreuzige, kreuzige! Die Kreuzigung war eine schmachvolle Todesart, die gewöhnlich nur über Schwerverbrecher, Sklaven und vor allem Aufständische verhängt wurde. Als Pilatus sich noch immer weigerte, sich anstelle der Juden zum Henker machen zu lassen, nannten sie ihm ihren wahren Grund: Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht. Nach dem Gesetz stand auf Gotteslästerung, wenn sie bewiesen werden konnte, die Todesstrafe ( 3Mo 24,16 ). Etwa um diese Zeit sandte Pilatus' Frau ihm die seltsame Nachricht: "Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; denn ich habe heute viel erlitten im Traum um seinetwillen" ( Mt 27,19 ).

 

 

Joh 19,8-11

 

Die Reaktion des Statthalters zeigte, daß er sich fürchtete. Als Heide hatte er Geschichten von Göttern in Menschengestalt gehört, die die Menschen heimsuchten und richteten. Vielleicht beeindruckte ihn auch die Würde dieses Mannes, der den Anspruch erhob, die Wahrheit zu sein. Jesu Weigerung, die Frage nach seiner Herkunft ( woher bist du? ) zu beantworten, war die Erfüllung der Prophezeiung in Jes 53,7 .

Pilatus hatte seine Chance, die Wahrheit zu finden, doch er nützte sie nicht. Irritiert durch Jesu Schweigen fragte er: Weißt du nicht, daß ich Macht habe ...? Das stimmt, Pilatus hatte Macht, doch auch er war nur eine Schachfigur im Plan Gottes. Dennoch trug er gleichzeitig die volle Verantwortung für seine Entschlüsse (vgl. Apg 4,27-28; 1Kor 2,8 ). In Wirklichkeit ist Gott der einzige, der Macht hat. Auch Pilatus stand nach den Worten Jesu unter Gottes Willen und war ihm verantwortlich: Der mich dir überantwortet hat, der hat größere Sünde. Meinte Jesus damit Judas, Satan, Kaiphas, die Priester oder das jüdische Volk? Kaiphas ist vielleicht am plausibelsten, da er es war, der Jesus Pilatus übergab. Pilatus war schuldig (vgl. die Worte im Glaubensbekenntnis: "gelitten unter Pontius Pilatus"), doch Jesus schrieb die größere Verantwortung Kaiphas zu (vgl. Joh 11,49-50;18,13-14 ).

 

 

Joh 19,12-13

 

Pilatus, wahrscheinlich überzeugt von Jesu Unschuld, wollte ihn freilassen, doch die Juden unternahmen einen neuen Vorstoß. Wenn er Jesus freiließe, so argumentierten sie, bewiese er damit seine Illoyalität gegenüber dem Kaiser. Der Titel "des Kaisers Freund" (lat.: amicus Caesaris ) war für Pilatus sehr wichtig. Die Drohung, die der Hinweis der Juden enthielt, ließ ihn seinen Entschluß nochmals überdenken. Tiberius, der römische Kaiser, war krank, mißtrauisch und konnte sehr grausam sein. Pilatus, der viel vor ihm zu verbergen hatte, wollte nicht, daß etwa ein ungünstiger Bericht an seinen Vorgesetzten abging. Wenn erzwischen der Loyalitätsbezeugung gegenüber Rom und der Parteinahme für einen verachteten, seltsamen Juden zu wählen hatte, gab es für ihn keine Frage. Das Dilemma mußte endlich zum Abschluß gebracht werden, daher fällte Pilatus nun eine offizielle Entscheidung.

 

Joh 19,14-16

 

Die sechste Stunde könnte nach römischer Zeitrechnung sechs Uhr morgens gewesen sein (manche Forscher sind allerdings der Ansicht, daß es zwölf Uhr mittags war; vgl. den Kommentar zu Joh 1,39;4,6 ). Es war am Rüsttag für das Passafest (d. i. Freitag), also der Tag des eigentlichen Passafestes, der Tag, an dem Christus starb. An diesem Tag wurden die Vorbereitungen für das siebentägige Fest der Ungesäuerten Brote, das unmittelbar auf das Passafest folgte und manchmal die Passawoche genannt wurde (vgl. Lk 2,41;22,1.7;12,3-4; vgl. den Kommentar zu Lk 22,7-38 ), getroffen.

Pilatus sagte: Seht, das ist euer König! Auch darin liegt Ironie. (Johannes ist der einzige Evangelist, der über diesen Zwischenfall berichtet.) Pilatus glaubte nicht, daß Jesus der König der Juden war, doch er nannte ihn so, um sie zu ärgern. Für Johannes war das sehr wichtig, denn Jesus würde als König seines Volkes, als Messias, für sein Volk sterben. Pilatus konnte es nicht lassen, die Juden zu reizen: Soll ich euren König kreuzigen? Als ob Rom einen jüdischen König verschonen würde! Die Erwiderung der Juden "wir haben keinen König als den Kaiser" war ebenfalls voller Ironie. Die aufständischen Juden gaben vor, Rom treu ergeben zu sein, während sie ihren Messias nicht anerkannten (vgl. Ps 2,1-3 ).

 

 

D. Die Kreuzigung

( 19,17 - 30 )

 

Joh 19,17-18

 

Und er trug sein Kreuz und ging hinaus. Das war die Erfüllung zweier alttestamentlicher Symbole bzw. Vorbilder. Auch Isaak trug das Holz ( 1Mo 22,6 ), mit dem er als Sühneopfer vor der Stadt bzw. vor dem Lager verbrannt werden sollte, selbst hinaus (vgl. Hebr 13,11-13 ). So wurde Jesus zur Sünde gemacht ( 2Kor 5,21 ). Der Ort der Kreuzigung war Golgatha , die Schädelstätte ; er hieß so, weil der kahle, steinige Hügel entfernt an einen Schädel erinnerte. Die zwei anderen Männer, die mit Jesus gekreuzigt wurden, erwähnt Johannes, um den folgenden Bericht - daß ihnen, nicht aber Jesus, die Beine gebrochen wurden - verständlich zu machen (vgl. Joh 19,32-33 ). Lukas fügt noch hinzu, daß es sich bei den beiden um "Übeltäter" handelte ( Lk 23,32 ), und Matthäus bezeichnet sie als "Räuber" ( Mt 27,44 ).

 

 

Joh 19,19-20

 

Als nächstes wandte sich die Spannung zwischen Pilatus und den Priestern der Aufschrift (griechisch: titlon , lateinisch: titulus ) zu, die normalerweise am Kreuz eines Verbrechers angebracht wurde. Bei Jesus lautete sie: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Da sie in drei Sprachen - hebräisch, lateinisch und griechisch - geschrieben war und die Kreuzigung an einer öffentlichen Stätte stattfand, enthielt sie für alle, die lesen konnten, eine ganz klare Aussage.

 

 

Joh 19,21-22

 

Die Hohenpriester hatten natürlich nicht beabsichtigt, daß dieser Sachverhalt solcherart - als Tatsache - verkündet wurde. Daher protestierten sie vor Pilatus und verlangten, daß die Inschrift geändert werde. Doch er lehnte ihre Forderung ab. Zweifellos war er der Ansicht, daß er lange genug die Dreckarbeit für die jüdischen Machthaber getan hatte und freute sich über seinen boshaften kleinen Scherz. Seine hochmütige Antwort "Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben" war die letzte seiner bemerkenswerten Äußerungen (vgl. Joh 18,38;19,5.14-15; Mt 27,24 ). Johannes erkannte, daß zwar Pilatus diese Worte schreiben ließ, daß es letztlich jedoch Gottes Plan war, daß sein Sohn mit dieser Aufschrift an seinem Kreuz starb. Im Grunde hatte sich Pilatus mit diesen Worten selbst gerichtet. Er hatte seine Aufgabe erfüllt und seine Gelegenheit zur Erkenntnis gehabt. Doch er, ein Heide, wird - seiner Tat entsprechend - vom König der Juden gerichtet werden!

 

 

Joh 19,23-24

 

Daß die Soldaten Jesus entkleideten und seine Kleider dann untereinander aufteilten, entsprach der Grausamkeit der damaligen Zeit. Kleidungsstücke waren handgefertigt und daher - im Vergleich zu den Kleidern heutzutage - sehr teuer. Die Schergen empfingen ihren Anteil aus dem Besitz des Delinquenten als etwas ihnen Zustehendes. Das ungenähte Gewand war insofern von großer Bedeutung, als auch der Hohepriester ein solches Kleidungsstück trug, doch Johannes geht auf diesen Punkt nicht näher ein. Für ihn lag die Bedeutung des Gewandes in der Erfüllung von Ps 22,18 ,wo - gewissermaßen als lyrische Parallele zu diesem Vers - über die Teilung der Kleider Jesu gesagt wird: (a) Sie haben meine Kleider unter sich geteilt, und (b) sie haben über mein Gewand das Los geworfen . Daß Jesus nackt starb, gehörte zu der Schande, die er erlitt für unsere Sünden. Gleichzeitig war er der letzte Adam, der den Sündern die Kleidung der Gerechtigkeit zur Verfügung stellte.

 

 

Joh 19,25-27

 

In schroffem Kontrast zu der Grausamkeit und Gleichgültigkeit der Soldaten beobachtete eine Gruppe von vier Frauen, die Jesus gefolgt waren und ihn liebten, tiefbekümmert die Vorgänge am Kreuz. Der Schmerz der Mutter Jesu war die Erfüllung der Prophezeiung von Simeon: "Und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen" ( Lk 2,35 ). Jesus, der ihren Kummer sah, ehrte seine Mutter , indem er sie der Fürsorge von Johannes, dem geliebten Jünger, anvertraute. Seine Brüder und Schwestern lebten in Galiläa und waren nicht in der Lage, für sie zu sorgen oder sie zu trösten. Jesu Worte zu Maria und zu dem Jünger, den er lieb hatte, waren seine dritte Äußerung am Kreuz (die erste, von der Johannes berichtet). In den anderen Evangelien hatte er bereits den römischen Soldaten, die ihn kreuzigten, und auch dem einen der beiden Diebe, die mit ihm gekreuzigt wurden, vergeben (vgl. Lk 23,34.42-43 ).

 

 

Joh 19,28-29

 

Auch von Jesu viertem seiner sieben Aussprüche am Kreuz, "mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen", berichtet Johannes nicht (vgl. Mt 27,46; Mk 15,34 ). Er erwähnt erst wieder den fünften: Mich dürstet. Das ist ein Hinweis, daß Jesus bei vollem Bewußtsein und bereit war, alle Einzelheiten der Prophezeiungen zu erfüllen ( Ps 42,1-2;63,2 ). Das Paradoxon, daß der, der das Wasser des Lebens ist ( Joh 4,14;7,38 ), im Sterben Durst litt, ist beeindruckend. Auf seine Klage hin wurde ihm, in Erfüllung von Ps 69,21 ,Essig - ein sehr saurer Wein - gereicht. Die Prozedur, einen mit Essig gefüllten Schwamm auf ein Ysoprohr zu stecken, mutet seltsam an. Dieses Detail weist vielleicht darauf hin, daß Jesus als wahres Passalamm starb, denn Ysop wurde auch bei den Passafeierlichkeiten benutzt (vgl. 2Mo 12,22 ).

 

 

Joh 19,30

 

Der sechste Ausspruch Jesu am Kreuz bestand in dem einzigen griechischen Wort tetelestai , das bedeutet: Es ist vollbracht! Man fand es auf Papyrusquittungen für Steuern, als Empfangsbestätigung für die Zahlung. Daß Jesus gerade mit diesem Wort auf den Lippen starb, war ebenfalls von großer Bedeutung. Der Satz "es ist vollbracht" bezog sich auf die Vollendung seines Erlösungswerkes. Er war für die Menschen zur Sünde gemacht worden ( 2Kor 5,21 ) und hatte die Strafe für diese Sünde erlitten. Noch im Augenblick seines Todes blieb Jesus derjenige, der sein Leben bewußt aufgab (vgl. Joh 10,11.15.17-18 ). Er neigte das Haupt (und sagte das siebte Wort: "Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände"; Lk 23,46 ) und verschied . Das unterscheidet sich von der langsam eintretenden Bewußtlosigkeit, die die Gekreuzigten normalerweise erlebten.

 

 

E. Das Begräbnis

( 19,31 - 42 )

 

Joh 19,31-32

 

In dem einzigen archäologischen Fund, der Aufschluß über den Vorgang der Kreuzigung gibt, aus dem Jahr 1968, zeigen die Skelettreste, daß die Unterschenkel des Gekreuzigten mit einem einzigen Schlag gebrochenworden waren. Das erklärt die folgende Passage. Nach dem Gesetz ( 5Mo 21,22-23 ) war es verboten, einen Leichnam über Nacht oder gar bis zum Sabbat an einem Baum (oder Holzkreuz) hängen zu lassen. Denn ein Mensch, der gekreuzigt worden war, stand unter dem Fluch Gottes, und wenn man seinen Leichnam nicht entfernte, würde er das ganze Land verunreinigen (vgl. 5Mo 21,23; Gal 3,13 ).

Der lateinische Fachausdruck für das Zerschlagen der Unterschenkel war crurifragium . Es führte durch den Schock, den Blutverlust und die Atemnot (wenn die Beine gebrochen waren, mußte der Brustkorb das gesamte Körpergewicht tragen) sehr rasch zum Tod. Ohne diese Prozedur lebte der Verurteilte noch stunden-, manchmal sogar tagelang. Das crurifragium wurde an den beiden Dieben, die mit Jesus gekreuzigt worden waren, vollzogen.

 

 

Joh 19,33-34

 

Doch Jesus war bereits gestorben, daher wurden ihm die Beine nicht gebrochen. Statt dessen stieß einer der Soldaten Jesus zur Sicherheit mit dem Speer in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus . Das wurde ebenfalls auf mehrere Arten erklärt. Manche Forscher sehen in dieser Flüssigkeitsabsonderung einen Beleg dafür, daß Jesus an Herzversagen starb, bei dem der Herzbeutel mit Blut und Lymphflüssigkeit angefüllt ist. Für andere hat sie symbolische oder sakramentale Bedeutung. Plausibler ist jedoch, diese Erscheinung als Beleg dafür zu nehmen, daß Jesus ein wirklicher Mensch war, der eines wirklichen Todes starb. Möglicherweise durchstach der Speer den Magen und das Herz. "Der das gesehen hat" (V. 35 ), sah darin jedenfalls ein Zeichen der Rettung. Zur Zeit der Entstehung des Johannesevangeliums hatte die Urkirche große Probleme mit der Gnosis und dem Doketismus. Beide leugneten die Realität der Inkarnation und des Todes Jesu. Doch das Blut und das Wasser, die aus der Seite Jesu kamen, widerlegen diese Häresien.

 

 

Joh 19,35-37

 

Der folgende Abschnitt berichtet von dem Zeugnis eines Augenzeugen des Geschehens, der höchstwahrscheinlich mit dem Verfasser des Evangeliums, dem Jünger Johannes, identisch ist (vgl. Joh 13,23;21,20-24 ). Der Wert seines Zeugnisses liegt in dem Anspruch auf Wahrheit , den es erhebt und der die anderen dazu bringen soll, die Vorgänge am Kreuz und ihre Bedeutung zu verstehen (vgl. Joh 20,31 ). Johannes erklärte, daß die Tatsache, daß die Soldaten Jesus nicht die Beine brachen, sondern ihm die Seite durchstießen, zwei Prophezeiungen erfüllte. Jesus als dem wahren Passalamm wurde kein Bein zerbrochen ( 2Mo 12,46; 4Mo 9,12; Ps 34,21 ), und in der Zukunft werden die Menschen auf den sehen, den sie durchbohrt haben ( Sach 12,10; vgl. Offb 1,7 ).

 

 

Joh 19,38-39

 

Josef von Arimathäa war ein reicher Mann ( Mt 27,57 ), der auf das Gottesreich wartete ( Mk 15,43 ). (Arimathäa lag etwa 30 Kilometer nordwestlich von Jerusalem.) Obwohl er Mitglied des Hohen Rates war, war er "ein guter und frommer Mann und hatte ihren Rat und ihr Handeln nicht gebilligt" ( Lk 23,50-51 ). Nach der Kreuzigung überließen die Römer den Leichnam gewöhnlich den wilden Tieren - die letzte Demütigung, die zur Kreuzigung gehörte. Die Juden nahmen den Toten jedoch ab und begruben ihn (vgl. den Kommentar zu Joh 19,31-32 ).

Josef bat um die Erlaubnis, den Leichnam Jesu abnehmen zu dürfen . Zusammen mit einem anderen einflußreichen Mann ( Nikodemus ; vgl. Joh 3,1; Joh 7,50-51 ) traf er die notwendigen Vorbereitungen. Etwa hundert Pfund Myrrhe gemischt mit Aloe waren eine unglaubliche Menge von Kräutern, mit denen die Leiche für das Begräbnis vorbereitet wurde. Vielleicht verstand Nikodemus nun die Lehre Jesu, daß er erhöht würde und daß ein Mensch im Glauben zu ihm aufsehen und leben könne (vgl. Joh 3,14 ). Beide Männer waren bisher im geheimen Jünger Jesu gewesen, doch nun trat ihre Überzeugung an den Tag.

 

 

Joh 19,40-42

 

Weil es schon beinahe Sabbat war (er begann bei Sonnenuntergang), mußte das Begräbnis rasch bewerkstelligt werden. Zu den jüdischen Begräbnisriten gehörte weder die Mumifizierung noch die Einbalsamierung, bei der das Blut und die Organe aus der Leiche entfernt wurden. Der Leichnam wurde nur gewaschen und mit Tüchern und wohlriechenden Ölen bedeckt. Die Übersetzung von othoniois mit "Leinenbinden" hat einiges für sich. Manche katholischen Exegeten bevorzugen jedoch die Übersetzung "Leinentücher" (wie auch Luther schreibt), da auch Matthäus von einem Leinentuch spricht, in das Jesu Leichnam gewickelt wurde ( Mt 27,59; sindOn ).

Die neuere Diskussion über das Grabtuch von Turin ließen die Kontroversen wieder aufleben, denn die Übersetzung mit "Leinenbinden" spräche gegen die Echtheit des Turiner Tuches. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollte man sich jedoch aller dogmatischen Urteile enthalten, da wir viel zu wenig über die jüdischen Begräbnispraktiken, die Bedeutung des Wortes othoniois und den Fund des Grabtuches von Turin wissen. Jesu Leiche wurde in ein neues Grab in einem Garten , nicht in einem Friedhof, gelegt. Matthäus schreibt, daß es sich dabei um Josefs eigenes Grab handelte, "das er in einen Felsen hatte hauen lassen" ( Mt 27,60 ). Jesaja hatte prophezeit, daß der Messias, der leidende Gottesknecht, wenngleich von den Menschen verachtet und verworfen, sein Grab bei Reichen finden würde ( Jes 53,9 ).

Daß Jesus begraben wurde, gehört zur frohen Botschaft des Evangeliums ("daß er begraben worden ist"; 1Kor 15,4 ). Die Bedeutung des Begräbnisses liegt in der Tatsache, daß damit Jesu Leiden und Erniedrigung endgültig abgeschlossen waren. Darüber hinaus weist der Bericht über diesen Vorgang auf die Wirklichkeit seines Todes hin und wirft zugleich ein erstes Licht auf die Auferstehung. In seinem Begräbnis identifizierte Jesus sich mit den Gläubigen, die sterben und begraben werden.

Das Liebeswerk des Josef und des Nikodemus war für sie gefährlich und kostspielig und brachte ihnen keinerlei persönlichen Vorteil. Ebenso mutig und opferbereit sollte auch der Dienst der Christen für ihren lebendigen Herrn sein, denn ihre Mühe ist nicht umsonst ( 1Kor 15,58 ).

 

 

F. Das leere Grab

( 20,1 - 9 )

 

Das Johannesevangelium schließt mit der Verkündigung von Jesu Sieg über den Tod ( Joh 20 ). Danach folgt ein Epilog ( Joh 21 ). Auch hier betonte jeder Evangelist einen anderen Aspekt der Geschehnisse. Johannes berichtet zunächst, wie ihm persönlich die Bedeutung des offenen, leeren Grabes klar wurde und er zum Glauben an die Auferstehung fand.

 

 

Joh 20,1-2

 

Am ersten Tag der Woche , Sonntag, kamen Maria von Magdala (an anderer Stelle, Mt 28,1; Mk 16,1.9; Lk 24,10 ,"Maria Magdalena" genannt) und einige andere Frauen (vgl. das wir in V. 2 ) zum Grab. Marias Treue zu Jesus im Leben und im Tode gründete sich auf ihre Dankbarkeit, weil er sie aus der Knechtschaft des Satans erlöst hatte. Sie hatte das Geschehen am Kreuz beobachtet und war jetzt die erste, die zu seinem Grab kam. Das Grab war mit einem großen Stein verschlossen ( Mk 16,3-4 ) und von der römischen Obrigkeit, das heißt mit dem Siegel des römischen Statthalters Pontius Pilatus, versiegelt worden ( Mt 27,65-66 ). Umso erstaunter waren die Frauen, als sie es offen und anscheinend leer vorfanden. Sie liefen zurück und erzählten Petrus und dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte (vgl. Joh 19,26 ), daß etwas Schreckliches geschehen sei, denn sie nahmen an, daß Grabräuber das Grab geschändet hatten.

 

 

Joh 20,3-9

 

Daraufhin eilten Petrus und Johannes ebenfalls zum Grab . Johannes kam als erster an und sah hinein. Es war nicht ganz leer, die Leinentücher lagen noch darin. Sein erster Gedanke war vermutlich, daß die Frauen sich geirrt hatten. Er schaut ( blepei ) hinein ..., ging aber nicht hinein , vielleicht aus Furcht, sich zu verunreinigen. Petrus jedoch, der kurz nach ihm ankam, ging sofort in das Grab hinein und sah ( theOrei , "aufmerksam anschauen") die Leinentücher und daneben das Schweißtuch . Er muß vor Erstaunen über das, was er sah, wie angewurzelt stehengeblieben sein. Denn nach einer Weile ging Johannes ihm nach und sah ebenfalls ( eiden , "wahrnehmen" - das dritte griechische Wort für "sehen" in diesem Vers) und glaubte . Petrus suchte vielleicht noch nach einer Erklärung, warum ein Grabschänder die Kleider liegen lassen und den Leichnam mitnehmen sollte, doch Johannes war sofort klar, daß die fehlende Leiche und die Anordnung der Grabtücher - sie müssen so dagelegen sein, als ob der Leichnam sich noch darin befände - nicht auf Räuber zurückzuführen waren. Er begriff, daß Jesus von den Toten auferstanden war und die Tücher, in die er eingewickelt gewesen war, zurückgelassen hatte. Das Grab stand nicht etwa offen, weil er es durch den Eingang verlassen hatte, sondern damit die Jünger und die übrige Welt hineingehen und sich überzeugen konnten, daß er tatsächlich auferstanden war.

Der Bericht des Johannesevangeliums ( Joh 20,1-9 ) über die Entdeckung des leeren Grabes ist ganz eindeutig die Darstellung eines Augenzeugen, die sich dem Leser, der nur ein klein wenig Gespür dafür hat, unausweichlich als psychologisch und historisch wahr einprägt. Johannes fügt auch hier nochmals an (V. 9 ), daß die Jünger die Schrift, daß er von den Toten auferstehen müßte, noch immer nicht verstanden , obwohl nun genau das Ereignis eingetreten war, von dem Jesus wieder und wieder zu ihnen gesprochen hatte (vgl. Ps 16,10-11;110,1.4; Jes 53,11-12 ).

 

 

G. Jesu Erscheinen vor Maria

( 20,10 - 18 )

 

Joh 20,10-14

 

Als erstes erschien Jesus nach seiner Auferstehung Maria von Magdala, die er von sieben Dämonen befreit hatte ( Lk 8,2 ). (Zu einer Liste der Erscheinungen des Auferstandenen vgl. Mt 28 .). Die Jünger kehrten wieder heim, doch Maria blieb draußen vor dem Grab stehen und weinte . Johannes hatte ihr anscheinend noch nicht erzählt, daß er glaubte, daß Jesus auferstanden war. Wahrscheinlich war er zu überwältigt und bewegt, um überhaupt irgend etwas zu sagen oder mit jemandem zu reden. Als Maria nun selbst in das Grab schaute, sah sie zwei Engel in weißen Gewändern . In der Bibel erschienen die Engel den Menschen stets in Menschengestalt; sie hatten keine Heiligenscheine und auch keine Flügel (in bestimmten Visionen tauchten zwar auch geflügelte Wesen auf, z. B. Jes 6 ,doch das war eine Ausnahme).

Doch Maria war so verzweifelt, daß sie nichts Ungewöhnliches an der Erscheinung fand. Die Frage der Engel und ihre Antwort bildeten das Vorspiel für die berühmteste "Erkennungsszene" der Geschichte (die zweitgrößte ist vielleicht die, in der Josef sich seinen Brüdern in Ägypten zu erkennen gab; 1Mo 45,1-3 ). Die Erscheinung Jesu kam für sie so unerwartet, daß sie nicht wußte, daß es Jesus war . Die Tatsache, daß er Maria und nicht Pilatus oder Kaiphas oder einem seiner Jünger erschien, ist sehr wichtig. Daß ausgerechnet eine Frau ihn als erste sah, ist ebensosehr ein Beweis dafür, daß Jesus vorurteilsfrei liebte, wie für die Historizität dieses Berichts. Kein jüdischer Autor der Alten Welt hätte eine Geschichte erfunden, in der eine Frau die erste Zeugin eines so wichtigen Ereignisses gewesen wäre. Darüber hinaus offenbarte Jesus sich wohl als erstes Maria, weil sie so verzweifelt nach ihm gesucht hatte. Sie war am Kreuz gewesen, als er starb ( Joh 19,25 ), und sie war früh am Sonntagmorgen als erste zu seinem Grab gekommen.

 

 

Joh 20,15-16

 

Maria sprach sogar mit Jesus, doch sie erkannte ihn noch immer nicht. Manche Forscher sind der Ansicht, daß Jesus ihr in veränderter Gestalt erschien; andere sagen, sie sei, wie die Jünger auf der Straße nach Emmaus, deren "Augen gehalten wurden, daß sie ihn nicht erkannten" ( Lk 24,16 ), von einer zeitweiligen "Blindheit" befallen gewesen. Wieder andere vertreten die These, daß sie so sehr weinte, daß sie ihn nicht richtig sehen konnte.

Doch als Jesus, der gute Hirte, Maria beim Namen nannte (vgl. Joh 10,3 und Joh 10,4 : "die Schafe kennen seine Stimme"), erkannte sie ihn sofort und antwortete mit dem Ruf: Rabbuni!, das heißt: Meister!

 

 

Joh 20,17-18

 

Sie hätte ihn vielleicht auch umarmt, doch der Herr fuhr fort: Rühre mich nicht an! denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen .... Diese Worte verweisen auf eine ganz neue Beziehung, auf eine neue Verwandtschaft und eine neue Verantwortung. Die Übersetzung "rühre mich nicht an" hat viele Exegeten verwundert fragen lassen, warum Jesus nicht berührt werden durfte; er war ja nicht "unberührbar" (vgl. Mt 28,9; Joh 20,27 ). Die Übersetzung "halte mich nicht fest" wäre hier also glücklicher, denn das war es, was sich viele Menschen wünschten. Maria hatte Jesus kurz zuvor (bei der Kreuzigung) verloren, und es war ganz natürlich, daß sie sich nun vor einem erneuten Verlust fürchtete.

Jesus wollte sagen, daß die Gemeinschaft zwischen ihm und seiner Kirche nicht physischer Natur sei. Mit seiner Himmelfahrt und dem Geschenk des Heiligen Geistes an die Kirche sollte eine neue Beziehung zwischen den Gläubigen und ihm beginnen. Er erklärte diese neue Verwandtschaft auch: Er nannte seine Jünger Brüder. Früher hatte er sie als seine Freunde bezeichnet: "Ich sage hinfort nicht, daß ihr Knechte seid ... euch aber habe ich gesagt, daß ihr Freunde seid" ( Joh 15,15 ). Wer an Jesus glaubt, wird ein Teil seiner Familie und hat Gott zum Vater (vgl. Röm 8,15-17.29; Gal 3,26; Hebr 2,11-12 ). Marias neue Verantwortung aber war, daß sie Zeugnis geben mußte von seiner Auferstehung. Ihr wurde dreifache Gnade zuteil: sie sah die Engel; sie war die erste, die den auferstandenen Jesus lebendig sah; und sie sollte die gute Nachricht verkündigen. Auch den heutigen Christen wurde eine besondere Gnade zuteil: Auch sie haben diese neue Verantwortung, vor der Welt Zeugnis abzulegen (vgl. Mt 28,18-20 ).

Jesu Worte "ich fahre auf zu meinem Vater" sind abermals ein Zeugnis für seine Sohnschaft. Maria und die anderen Frauen verkündigten den Jüngern die Nachricht über die Auferstehung, doch nach Lukas glaubten sie ihr und den anderen nicht, "und es erschienen ihnen diese Worte, als wär's Geschwätz" ( Lk 24,11; vgl. Lk 24,23 ).

 

 

H. Jesu Erscheinen vor seinen Jüngern

( 20,19 - 23 )

 

Joh 20,19-20

 

Die Jünger waren in Gefahr gewesen, mit Jesus zusammen verhaftet zu werden. Weil sie sich vor den Juden (d. h. den jüdischen Machthabern) fürchteten , trafen sie sich im geheimen, bei Nacht, voller Furcht und hinter verschlossenen Türen. (Welch ein Kontrast zu ihrer Kühnheit sieben Wochen später an Pfingsten!) Doch Jesus kam durch die verschlossenen Türen und trat mitten unter sie (vgl. V. 26 ) - ein Beweis für die besonderen Eigenschaften seines neuen, auferstandenen Körpers. Er zeigte sich ihnen jedoch in der Gestalt, die er vor der Kreuzigung hatte (vgl. V. 27 ). Seine ersten Worte "Friede sei mit euch!" waren ein konventioneller Gruß, ähnlich dem hebräischen SAlNm , doch sie besaßen nun eine tiefere Bedeutung (vgl. Joh 14,27;16,33; Röm 5,1; Phil 4,7 ).

Als die Jünger die Wunden an seinen durchstoßenen Händen und seine Seite sahen, waren sie außer sich vor Freude (wenn sie auch zuerst erschraken, wie Lukas berichtet; Lk 24,37-38 ). Welch eine Wandlung aus der Furcht und Verzagtheit!

 

 

Joh 20,21-23

 

Dann gab Jesus seinen Jüngern ihren Auftrag als Apostel: Er sandte sie aus als seine Stellvertreter, wie der Vater ihn gesandt hatte (vgl. Joh 17,18 ). Sie erhielten seine Vollmacht, um zu predigen, zu lehren und Wunder zu tun ( Mt 28,16-20; Lk 24,47-49 ). Für ihren neuen Auftrag brauchten sie die Kraft des Geistes. Daher blies er sie an und sprach: Nehmt hin den Heiligen Geist! Das Bild des "Anblasens" erinnert an Gottes schöpferisches Tun bei der Erschaffung Adams ( 1Mo 2,7 ). Auch Jesu "Anblasen" nach der Auferstehung war ein - neues - schöpferisches Werk, denn bald sollten sie neue Geschöpfe werden ( 2Kor 5,17; Eph 2,8-10 ). Dieses Empfangen des Geistes war eine Vorwegnahme von Pfingsten und sollte als zeitlich begrenzte Gabe von Weisheit, Erkenntnis und Vollmacht bis Pfingsten, 50 Tage später, verstanden werden.

Die Vergebung der Sünden ist eine der größten Segnungen des Todes Jesu. Sie ist das Wesen des Neuen Bundes (vgl. Jer 31,31-34; Mt 26,28 ). Die Verkündigung der Vergebung der Sünden ist denn auch das hervorstechendste Merkmal der Predigt der Apostel in der Apostelgeschichte. Jesus gab den Aposteln (und damit auch der Kirche) das Vorrecht, den Menschen zu sagen, wie sie Vergebung für ihre Sünden erlangen können. Ein Christ hat das Recht, einem Menschen, wenn er an Jesus glaubt, die Sünden zu erlassen . Wenn er Jesu Opfer jedoch verwirft, kann er ihm sagen, daß seine Sünden behalten sind.

 

 

I. Jesu Erscheinen vor Thomas

( 20,24 - 29 )

 

Joh 20,24-29

 

Johannes hat in seinem Evangelium den Weg des Unglaubens nachgezeichnet, der seine äußerste Steigerung in der Kreuzigung Jesu durch seine Feinde fand. Gleichsam als Kontrapunkt dazu beschrieb er aber auch den Weg der Bekehrung der Jünger zum Glauben, dessen End- und Höhepunkt nun in Thomas sichtbar wurde. Die Jünger hatten Thomas versichert, daß Jesus auferstanden sei ( sagten in V. 25 heißt im Griechischen elegon , ein Imperfekt, das anzeigt, daß sie fortgesetzt auf ihn einredeten), doch es gelang ihnen nicht, ihn zu überzeugen. Er wollte mit eigenen Augen Jesu auferstandenen Körper sehen. Das Erscheinen Jesu nach acht Tagen gab ihm dann Gelegenheit dazu. Abermals kam Jesus auf wunderbare Weise in einen Raum, dessen Türen verschlossen waren (vgl. V. 19 ). Er forderte Thomas auf, ihn zu berühren (vgl. "zeigte" in V. 20 ) und nicht mehr ungläubig, sondern gläubig zu sein. Das war ein ganz direkter Aufruf zu persönlicher Treue.

Thomas' Antwort "mein Herr und mein Gott" ist der Höhepunkt des Johannesevangeliums. Hier war ein skeptischer Mann, der mit dem Beweis von Jesu Auferstehung konfrontiert wurde. Er bestätigte mit seinem Ausruf, daß Jesus, der Mann aus Galiläa, Gott sei, der sich im Fleisch offenbart hatte. So spiegelte sich die Wahrheit, die im ersten Kapitel ausgesprochen wird, im Begreifen dieses Apostels wider ( Joh 1,1.14.18 ). Die Auferstehung bewies (a), daß das, was Jesus über seine Auferweckung gesagt hatte, wahr war ( Mk 8,31;9,9.31;10,34; Joh 2,19 ) und (b), daß Jesus der Sohn Gottes ( Röm 1,4 ) und von Gott gesandt war ("gerechtfertigt im Geist"; 1Tim 3,16 ), sie bezeugte (c) den Erfolg seines Heilsauftrags ( Röm 4,25 ), (d) verherrlichte Jesus ( 1Pet 1,11 ) und (e) verkündete ihn ein für allemal als "den Herrn" ( Apg 2,36 ).

Dann sprach Jesus einen Segen über alle, die ohne die Hilfe einer sichtbaren, körperlichen Manifestation zum Glauben finden ( Joh 20,29; vgl. 1Pet 1,8 ), d. h., aufgrund der Verkündigung des Evangeliums und der Beweise für seine Wahrheit glauben. Die Gläubigen von heute sind nicht etwa benachteiligt, weil sie Jesus nicht sehen; sie sind vielmehr Empfänger seines besonderen Segens: Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!

 

J. Der Zweck des Buches

( 20,30 - 31 )

 

Joh 20,30-31

 

Im folgenden ging Johannes dann noch auf den Grund ein, der ihn zur Abfassung seines Evangeliums veranlaßt hatte: Er wollte, daß die Menschen die theologische Bedeutung der Wunder ( sEmeia , "Zeichen") Jesusahen und richtig verstanden. Viele Menschen heutzutage ignorieren oder leugnen Jesu Wunder oder versuchen, sie rational zu erklären. Zur Zeit Jesu schrieben manche sie Gott, manche aber auch Satan zu ( Joh 3,2;9,33; Mt 12,24 ). Sie damals zu ignorieren, zu leugnen oder rational zu erklären, war unmöglich, weil sie so zahlreich und so beeindruckend waren. Johannes' Hinweis "noch viele andere Zeichen tat Jesus" zeigt, daß er die synoptischen Evangelien, in denen noch 35 andere Wunder erzählt werden (vgl. die Liste bei Joh 2,1-11 ), sehr wohl kannte. Er selbst hatte sieben ausgewählt, die seines Erachtens besonders geeignet waren, die Menschen dazu zu bringen, daß sie glaubten, daß Jesus der Christus ist , der verheißene Messias und der Sohn Gottes .

 

 

V. Epilog

( Joh 21 )

 

In diesem Schlußkapitel möchte Johannes zum einen einen schwerwiegenden Irrtum hinsichtlich der Rückkehr des Herrn korrigieren und zum andern zeigen, wie Jesus Petrus nach seinem Fall wieder aufnahm. Darüber hinaus finden sich in diesem Kapitel weitere Hinweise auf die Identität des Verfassers. Manche Kritiker haben argumentiert, daß es - nach dem großartigen Schluß in Kap. 20 - den Höhepunkt zerstört und daher von einem anderen (anonymen) Verfasser stammen muß. Diese These läßt sich jedoch durch die linguistische Forschung nicht untermauern. Außerdem haben auch andere Bücher im Neuen Testament manchmal einen solchen Zusatz, der an den Schluß angehängt wurde (vgl. z. B. Röm 16 nach Röm 15,33 ). Wie diese ist auch Joh 21 weder sinnlos noch fällt es aus der Tradition der übrigen biblischen Bücher heraus.

 

 

A. Jesu Erscheinen am See

( 21,1-14 )

 

Joh 21,1-3

 

Ein Engel hatte verheißen, daß Jesus seine Jünger in Galiläa treffen würde ( Mt 28,7 ). Die Auferstehung Jesu manifestierte sich in zahlreichen Erscheinungen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten (vgl. Apg 1,3 ). ( See Tiberias ist eine andere Bezeichnung für den See Genezareth bzw. das Galiläische Meer; vgl. den Kommentar zu Joh 6,1 .) Die Jünger waren nach Jerusalem gegangen und hatten dort Aufregendes erlebt: den triumphalen Einzug, die Erwartung eines neuen Königreiches, den Verrat durch einen vertrauten Freund, sie waren beinahe gefangengenommen worden, mußten erfahren, wie Petrus ihren Herrn verleugnete, und mitansehen, wie Jesus gekreuzigt wurde, und sie waren Zeugen der Auferstehung und des Erscheinens des Auferstandenen geworden. Verständlicherweise waren sie nun völlig verwirrt und im Unklaren über ihre Zukunft.

In dieser unsicheren Situation ging Petrus fischen; vielleicht hatte er den Auftrag des Herrn ( Joh 20,22 ) mißverstanden. Vielleicht wandte er sich auch seinem vorigen Beruf zu, weil er das Gefühl hatte, durch seine Verleugnung Jesu versagt zu haben, und nun meinte, seine vordringliche Aufgabe liege wieder in der Versorgung seiner Familie. Wie sehr er noch immer der Anführer der Jünger war, zeigt sich daran, daß ihn sechs andere bei seinem Fischzug begleiteten. Erst als sie ohne Jesu Hilfe nichts fingen (vgl. Joh 15,5 ), und dann, als er bei ihnen war, das Netz fast nicht mehr heraufziehen konnten, wurde ihnen die neue Ausrichtung ihres Lebens bewußt.

 

 

Joh 21,4-6

 

Am Morgen erkannten die Jünger Jesus, der am Ufer stand , zunächst nicht. Vielleicht waren sie zu weit entfernt, oder die Sicht war zu schlecht. Er rief ihnen zu: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Auf seine Aufforderung hin (V. 6 ) warfen sie ihr Netz erneut aus und fingen eine riesige Menge Fische (vgl. V. 11 ). Die Ähnlichkeit mit einem früheren Wunder Jesu ( Lk 5,1-11 ) ließ sie erkennen, daß es der Herr war, der hier vor ihnen stand, und zeigte ihnen, daß er auch nach seiner Auferstehung große Wunder tun konnte.

 

 

Joh 21,7-9

 

Diese Offenbarung Jesu und seiner Macht vor seinen Jüngern wurde als erstem dem Jünger, den Jesus lieb hatte , klar, und er rief: Es ist der Herr! (vgl. Joh 20,28 ). Johannes war auch der erste gewesen, der die Bedeutung der Leinentücher im Grab erkannt hatte ( Joh 20,8 ). Als Petrus Johannes' Worte hörte, warf er sich sofort ins Wasser und schwamm offensichtlich zu Jesus hin. Das entsprach seinem impulsiven Wesen (er ging auch als erster ins Grab; Joh 20,6 ). Die einfühlsame psychologische Zeichnung des Charakters des Petrus ist ein weiterer Beleg für die historische Glaubwürdigkeit des Augenzeugen Johannes. Was Petrus hier tat, steht in Kontrast zu seinem Versinken, als er versuchte, Jesus auf dem Wasser entgegenzugehen ( Mt 14,30 ). Jesus hatte ein Frühstück aus auf Kohlenfeuer geröstetem Fisch und Brot für die hungrigen Jünger vorbereitet.

 

Joh 21,10-11

 

Die Erwähnung der riesigen Fischmenge, hundertdreiundfünfzig insgesamt, hat unzähligen allegorischen und symbolischen Interpretationen Raum gegeben, doch wahrscheinlich war es einfach die historische Zahl, die Johannes hier angibt. Wenn eine Gruppe Männer zusammen fischen ging, war es sicherlich üblich, die Fische, die sie gefangen hatten, zu zählen und dann aufzuteilen. Die theologische Lehre daran ist, daß den Bemühungen eines Menschen, wenn er den Willen des Herrn befolgt, großer Segen beschieden ist.

 

 

Joh 21,12-14

 

Als Jesus die Jünger einlud, mit ihm zu essen, fragte ihn niemand, wer er war, denn sie wußten, daß es der Herr war . Die Tatsache, daß sowohl Maria ( Joh 20,14 ) als auch die Jünger auf der Straße nach Emmaus ( Lk 24,13-35 ) ihn nicht sofort erkannt hatten, scheint darauf hinzudeuten, daß sein Aussehen sich nach seiner Auferstehung verändert hatte. Dennoch waren sich die Jünger sicher, daß es Jesus war. Die gemeinsame Mahlzeit mit ihrem auferstandenen Herrn hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck bei ihnen. Noch Jahre später sprach Petrus in seiner Predigt von sich selbst als verläßlichem Zeugen, der mit Jesus nach seiner Auferstehung aß und trank ( Apg 10,41 ). Das dritte Mal . bezog sich auf das dritte Erscheinen vor den Aposteln, von dem Johannes berichtet (vgl. Joh 20,19.26 ).

 

 

B. Die Wiederherstellung von Petrus

( 21,15 - 23 )

 

Joh 21,15-17

 

In der Nacht der Gefangennahme Jesu hatte Petrus ihn neben einem Feuer stehend verleugnet ( Joh 18,17.25.27 ). An einem anderen Feuer wurde er nun öffentlich rehabilitiert.

Jesus nannte ihn, wie bei ihrer ersten Begegnung ( Joh 1,42 ), Simon, Sohn des Johannes , und fragte ihn: Hast du mich lieber, als mich diese haben? Wen meinte er wohl mit "diese"? Angesichts Petrus' stolzer Aussage, daß er niemals von ihm abfallen werde, ganz gleich, was die anderen taten ( Mt 26,33.35; Lk 22,33; Joh 13,37 ), sprach er wohl von den Jüngern. Jesu dreiteilige Frage und der dreiteilige apostolische Auftrag bilden das Gegenstück zu Petrus' dreifacher Verleugnung. Dreimal hatte Petrus behauptet, daß er den Herrn nicht kenne ( Joh 18,17.25.27 ); jetzt bestätigte er dreimal, daß er ihn liebe ( Joh 21,15-17 ). Ganz gleich, wie groß der Glaube eines Menschen ist, er kann wankend werden (vgl. 1Kor 10,12 ). Doch Gottes Gnade und Vergebung werden den Reuigen wiederherstellen. Diese Verheißung der Gnade war sehr wichtig, denn schon bald würde die Kirche unter Verfolgungen leiden, die sogar die Leiter der Gemeinden in ihrer Treue erschütterte.

Dreimal gab Jesus Petrus den Auftrag, für seine Herde zu sorgen: Weide meine Lämmer (V. 15 ), weide meine Schafe (V. 16.17 ). Die römisch-katholische Kirche leitet daraus einen Führungsanspruch des Petrus ab, doch im Text selbst deutet nichts darauf hin (vgl. 1Pet 5,2 ). In seiner dreimaligen Frage, ob Petrus ihn liebe ( agapas, agapas und phileis ), und seinem anschließenden dreifachen Gebot ( boske , "hüten"; poimaine , "weiden"; boske ) benutzte Jesus mehrere synonyme Wörter. Da nicht mehr erkennbar ist, ob Johannes damit jeweils etwas Unterschiedliches meinte, sehen die meisten Forscher darin lediglich stilistische Variationen.

 

 

Joh 21,18-19

 

"Wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. den Kommentar zu 1,51 ) ist die feierliche Einführung der Prophezeiung, daß Petrus gekreuzigt werden würde. Tatsächlich wurde Petrus in hohem Alter mit ausgebreiteten Armen an ein Kreuz gebunden (vgl. 1. Klemensbrief 5,4; 1. Klem 6,1; Eusebius, Kirchengeschichte 2. 25). Der Gehorsam gegenüber Jesu Gebot "folge mir nach" ist der Mittelpunkt im Leben jedes Christen. Wie Jesus den Willen des Vaters tat, so sollen auch seine Jünger ihrem Herrn folgen, ob der Weg nun ans Kreuz oder in eine andere schwere Erfahrung führt.

 

 

Joh 21,20-23

 

Petrus, der nun wußte, was Gott in seinem Leben mit ihm vorhatte, fragte sich natürlich, was die Zukunft seinem Freund Johannes, dem Jünger, den Jesus lieb hatte , bringen würde. Doch Jesus tadelte ihn scharf für seine Neugier: Was geht es dich an? Folge du mir nach! Es ist möglich, daß die Jünger Jesu durch unnötige Fragen nach Gottes geheimem Plan beunruhigt werden und darüber Gottes Willen für sich selbst vernachlässigen. Die Pläne Gottes für die Christen sind vielfältig, und seine Gründe sind uns nicht immer bekannt. Petrus sollte sich ganz einfach Gottes eindeutigem Gebot unterwerfen.

Dann korrigierte Johannes noch die irrige Schlußfolgerung mancher Gläubigen, daß der Jünger Johannes nicht sterben würde. Interessanterweise beziehen sich die letzten Worte seines Evangeliums auf die Rückkehr des Herrn. Natürlich gab Jesus keinen Hinweis, wann er kommen würde. Das Gerücht, das darüber entstand, zeigte, daß Gottes Verheißungen mißverstanden werden können. Die Christen müssen also versuchen, ganz genau auf Gottes Worte zu hören.

 

 

C. Das Kolophon

( 21,24 - 25 )

 

Joh 21,24-25

 

Das vierte Evangelium schließt mit einer Information über seinen Aufbau. Der geliebte Jünger wird als der Verfasser genannt (vgl. den Kommentar zu "Verfasserfrage" in der Einführung ). Möglicherweise stammt der erste Satz in Vers 24 von jemand anderem, doch auch er klingt johanneisch (vgl. Joh 19,35 ). Dies bezieht sich höchstwahrscheinlich auf das gesamte Evangelium. Die Worte "und wir wissen, daß sein Zeugnis wahr ist" schrieb jedoch wahrscheinlich nicht Johannes selbst. Sie sind ein Zusatz, vielleicht der Gemeinde in Ephesus, oder ein Zeugnis der Urkirche. Die Menschen damals kannten die Fakten mit Sicherheit besser als jede andere Generation nach ihnen.

Der letzte Vers, die Aussage über die Welt, die nicht groß genug ist, um all die Bücher , die über Jesu Werke geschrieben werden könnten, zu fassen, scheint auf den ersten Blick eine maßlose Übertreibung zu sein. (Das ich scheint auf Johannes als Autor dieses Verses hinzudeuten, wenngleich dies keineswegs sicher ist.) Die Evangelien berichten nur einen kleinen Ausschnitt von Jesu Worten und Werken. Es ist geschätzt worden, daß man die Jesusworte, die in den Synoptikern wiedergegeben sind, in nur drei Stunden vorlesen könnte. Doch wenn man über alles, was der Sohn Gottes während seiner Inkarnation sagte und tat, nachdenken und reden wollte, so würde die Aufzeichnung dieser Auseinandersetzungen mit Jesus kein Ende finden.

 

 

ANHANG

 

Die Geschichte der Ehebrecherin

( Joh 7,53-8,11 )

 

Bevor wir diese Erzählung kommentieren, müssen wir uns fünf Fragen stellen: (1) Gehört sie zur Heiligen Schrift? (2) Stammt sie von Johannes? (3) Ist sie alt und wahr, d. h., ist sie historisch? (4) Gehört sie zum Kanon? (5) Wenn sie ursprünglich nicht zum Johannesevangelium gehörte, warum steht sie dann in den meisten Versionen gerade vor Joh 8,12 ? Die Fragen (1)und (4) sind eng miteinander verwandt, jedoch nicht identisch. Was Frage (1) angeht, so stimmen die Neutestamentler darin überein, daß der Abschnitt nicht zum ursprünglichen Johannestext gehörte. Für die Protestanten, die sich dieser These anschließen, ist damit auch die Frage nach ihrer Kanonizität, Frage (4) beigelegt: Der Abschnitt gehört nicht in den biblischen Kanon. Für die römisch-katholische Kirche ist Kanonizität anders definiert. Für sie hat dieser Abschnitt durchaus Autorität, weil er in der Vulgata steht. Frage (2), ob der Abschnitt von Johannes stammt, steht ebenfalls mit Frage (1) in Zusammenhang. Er fehlt nicht nur in vielen griechischen Handschriften, sondern ist auch in denen, die ihn enthalten, häufig mit Sternchen oder Kreuzchen gekennzeichnet. Darüber hinaus steht er in den verschiedenen Handschriften an fünf unterschiedlichen Stellen (nach Joh 7,36; nach Joh 7,44 ,nach Joh 7,52 ,nach Joh 21,25 und nach Lk 21,38 ). Sowohl die Text- als auch die stilistischen Belege deuten also darauf hin, daß es sich hier nicht um johanneisches Material handelt.

Die meisten Exegeten beantworten Frage (3) (ist er historisch?) positiv. Wenn das zutrifft, wäre die Passage eine der seltenen außerbiblischen Überlieferungen über Jesus. Johannes spielte am Schluß seiner Ausführungen auf andere Dinge an, die Jesus tat ( Joh 21,25 ); diese Geschichte könnte dazugehören. Die Antwort auf die fünfte Frage scheint zu sein, daß die Passage in den meisten Bibelversionen vor Joh 8,12 plaziert wurde, weil sie inhaltlich gut zu den beiden Aussagen Jesu in Kap. 8 passt ("ich richte niemand", Joh 8,15; und "wer von euch kann mich einer Sünde zeihen?", Joh 8,46 ).

 

 

Joh 7,53

 

Dieser Vers ist ein Hinweis darauf, daß die hier berichtete Geschichte möglicherweise in einem größeren Zusammenhang stand. Die ursprüngliche Überleitung ging verloren.

 

 

Joh 8,1-2

 

Da Jesus regelmäßig im Tempel lehrte, kamen die Menschen jeden Tag, um ihn zu hören. Wie Lukas schreibt: "Er lehrte des Tags im Tempel; des Nachts aber ging er hinaus und blieb an dem Berg, den man den Ölberg nennt. Und alles Volk machte sich früh auf zu ihm, ihn im Tempel zu hören" ( Lk 21,37-38 ).

 

 

Joh 8,3-6 a

 

Jesus wurde von einigen Schriftgelehrten und Pharisäern unterbrochen, die sich in ihrem Leben streng an das Gesetz hielten. Sie hatten die Frau, die wahrscheinlich verheiratet war, auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt und konnten, wie das Gesetz es verlangte, zwei Zeugen vorweisen, die ihre Schuld bestätigten ( 5Mo 19,15 ). Daß sie tatsächlich beim Geschlechtsverkehr ergriffen worden war, scheint allerdings unwahrscheinlich, also war sie wohl in eine Falle gelaufen, die ihr gestellt worden war. Eigentlich hätten ihre Ankläger auch den Mann vor Jesus bringen müssen, doch vielleicht war er entkommen. Sie brachten sie zu Jesus, um ihn als Meister unglaubwürdig zu machen. Wenn er sie verurteilte, würde er das Wohlwollen des einfachen Volkes verlieren. Wenn er es nicht tat, würde er sich damit gegen Mose und das mosaische Gesetz stellen.

 

 

Joh 8,6-8 (Joh 8,6b-8)

 

Viele Forscher haben Überlegungen darüber angestellt, was Jesus wohl mit dem Finger auf die Erde schrieb . Manche sind der Ansicht, daß er die Sünden derer, die die Frau anklagten, aufschrieb. Andere vertreten die These, daß er die Worte aus 2Mo 23,1 "du sollst kein falscher Zeuge sein" aufschrieb. Noch andere sagen, daß er einfach mit dem Finger im Staub malte, während er sich eine Antwort ausdachte, doch das scheint unwahrscheinlich. Da wir unmöglich wissen können, was er tatsächlich schrieb, sind Spekulationen müßig. Seine Antwort - daß nur der richten kann, der ohne Sünde ist - wies sie auf ihre eigenen Sünden und gleichzeitig auf ihn als einzigen kompetenten - weil sündlosen - Richter hin (vgl. Joh 8,16 ). Dann bückte er sich wieder und schrieb auf die Erde.

 

 

Joh 8,9-10

 

Seine in vollster Autorität gesprochenen Worte (vgl. Mt 7,28-29 ) verfehlten ihre Wirkung nicht. DieUmstehenden wurden sich ihrer eigenen Sündhaftigkeit bewußt. Die Ältesten gingen zuerst , vielleicht weil sie so klug waren, die Sünde in ihren Herzen und ihrem Leben einzusehen. Da sowohl Zeugen als auch Ankläger gegangen waren, hatte sich die Klage gegen die Frau in Luft aufgelöst.

 

 

Joh 8,11

 

Auch hier offenbarte sich Jesus als die höchste Autorität. Er tadelte ihre Sünde, doch er machte der Frau zugleich auch Hoffnung auf ein neues Leben. Theologisch gesehen konnte Jesus ihr ihre Sünde vergeben, weil er die Vollmacht dazu besaß (vgl. Mk 2,8-12 ) und weil er das Lamm Gottes war, das "der Welt Sünde" trug ( Joh 1,29 ). Gott hatte ihm die Vollmacht gegeben, Sünden zu erlassen, und Jesus handelte gnädig an der Frau. Er wurde ihr als der offenbart, der "voller Gnade" ist ( Joh 1,14 ).

 

 

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