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Johannes (Edwin A. Blum) EINLEITUNG Verfasserfrage Strenggenommen ist der Verfasser des vierten
Evangeliums anonym. Der Text enthält weder den Namen seines Autors noch
irgendeinen Hinweis auf ihn. Angesichts der völlig anderen literarischen
Form des "Evangeliums" etwa im Vergleich zum "Brief" ist das allerdings
nicht weiter überraschend. So führt sich kein einziger Evangelist selbst
namentlich ein - im Gegensatz zu den Paulusbriefen, die nach den Regeln
antiker Briefschreibekunst stets mit dem Namen des Verfassers beginnen.
Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, daß wir die Verfasser der
Evangelien heute nicht mehr feststellen können. Zum einen gibt ein Text
selbst stets gewisse Hinweise auf seinen Verfasser, und zum anderen
besitzen wir in vielen Fällen das Zeugnis der kirchlichen Überlieferung. Interne Belege : (1) Das Wort "dies" in Joh
21,24 bezieht sich auf das gesamte Johannesevangelium, nicht nur auf das
letzte Kapitel. (2) Bei dem "Jünger" in Joh 21,24 handelt es sich um
"den Jünger, den Jesus lieb hatte" ( Joh 21,7 ). (3) Aus 21,7 geht
eindeutig hervor, daß "der Jünger, den Jesus lieb hatte", eine der
sieben Personen war, die in Joh 21,2 aufgezählt werden (Simon Petrus,
Thomas, Nathanael, die beiden Söhne des Zebedäus und zwei ungenannte
Jünger). (4) "Der Jünger, den Jesus lieb hatte", saß beim letzten
Abendmahl neben dem Herrn, und Petrus "winkte" ihm ( Joh 13,23-24 ). (5)
Er muß einer der Zwölf gewesen sein, denn nur sie nahmen am Abendmahl
teil (vgl. Mk 14,17; Lk 22,14 ). (6) Johannes' Name wird häufig im
Zusammenhang mit Petrus genannt; er gehörte also offensichtlich zu dem
aus drei Jüngern bestehenden engsten Kreis um Jesus (vgl. Joh 20,2-10;
Mk 5,37;9,2;14,33 ). Da Jakobus, der Bruder des Johannes, bereits im
Jahr 44 n. Chr. starb, kann er nicht der Verfasser des
Johannesevangeliums gewesen sein ( Apg 12,2 ). (7) Auch bei dem "anderen
Jünger" in Joh 18,15-16 handelte es sich möglicherweise um den "Jünger,
den Jesus lieb hatte" (vgl. Joh 20,2 ,wo er beide Attribute bei sich
hat). (8) "Der Jünger, den Jesus lieb hatte", war Augenzeuge der
Kreuzigung ( Joh 19,26 ), und auch in Joh 19,35 scheint auf ihn
angespielt zu werden. (9) Die Aussage des Evangelisten "wir sahen seine
Herrlichkeit" ( Joh 1,14 ) ist die Aussage eines Augenzeugen (vgl. 1Joh
1,1-4 ). Alle diese Belege unterstützen die These, daß
Johannes, einer der Söhne eines Fischers namens Zebedäus, der Verfasser
des vierten Evangeliums war. Externe Belege : Externe Belege sind
Verfasserschaftszuschreibungen, die in der kirchlichen Tradition
kursierten und allgemeine Anerkennung genossen. In bezug auf den
Verfasser des Johannesevangeliums waren sich die Kirchenväter ganz
sicher. Polykarp (ca. 69 bis 155 n. Chr.) sprach davon, daß er Johannes
kannte. Irenäus (ca. 130 bis 200 n. Chr.), der Bischof von Lyon, war
überzeugt, daß "Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust
gelegen hatte, auch selbst das Evangelium heraus(gab), als er in Ephesus
in Asien weilte" ( Adversus häreses 3. 1). Er stützte sich dabei in
erster Linie auf Polykarp, den er noch selbst gehört hatte. Polykrates,
Clemens von Alexandria, Tertullian und andere spätere Kirchenväter
bestätigen ebenfalls diese Überlieferung, und auch Eusebius schreibt,
daß die Apostel Matthäus und Johannes die beiden Evangelien schrieben,
die ihre Namen tragen ( Kirchengeschichte 3. 24. 3 - 8). Johannes Die externe Überlieferung deutet stark darauf
hin, daß Johannes nach Ephesus kam, nachdem Paulus die dortige Gemeinde
gegründet hatte, und daß er viele Jahre in dieser Stadt arbeitete (vgl.
Eusebius, Kirchengeschichte 3. 24. 1). Diese Annahme wird auch
durch Offb 1,9-11 gestützt. Während seines Aufenthalts im Exil auf
Patmos, einer Insel vor der Küste Kleinasiens, schrieb Johannes Briefe
an sieben asiatische Kirchen; der erste ging an die Gemeinde in Ephesus.
Daher besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß das vierte Evangelium
während seiner Zeit in Ephesus entstand. Die Entstehung des Johannesevangeliums ist
wahrscheinlich zwischen 85 und 95 n. Chr. anzusetzen. Manche
Neutestamentler versuchten zwar, die Datierung in die Zeit um 150 n.
Chr. zu verlegen, wobei sie sich auf angebliche Parallelen des Textes zu
gnostischem Schriftgut oder auf die lange Tradition kirchlicher
Theologie, die in diesem Evangelium spürbar sei, beriefen.
Archäologische Funde, die für die Authentizität des Textes des
Johannesevangeliums sprechen (z. B. Joh 4,11; Joh 5,2-3 ), philologische
Untersuchungen einzelner Wörter (z. B. synchrOntai , Joh 4,9 ),
Manuskriptfunde (z. B. P 52) und die Entdeckung der Schriftrollen vom
Toten Meer weisen jedoch sehr viel stärker auf eine frühere Datierung
des Buches hin. Es gibt daher sogar Gelehrte, die davon ausgehen, daß
das Johannesevangelium in der Zeit zwischen 45 und 66 n. Chr. entstand.
Eine so frühe Datierung wäre zwar denkbar, doch da das
Johannesevangelium in der Kirche von Anfang an als das "vierte" bekannt
war und die frühen Kirchenväter zudem der Ansicht waren, daß Johannes es
erst in hohem Alter schrieb, scheint eine Abfassung in der Zeit zwischen
85 und 95 n. Chr. wahrscheinlicher. In diese Richtung weist auch Joh
21,18.23 , wo angedeutet wird, daß bereits einige Zeit seit den
berichteten Ereignissen vergangen und Petrus inzwischen alt geworden ist
und von Johannes überlebt wurde. Zweck Der Evangelist Johannes will, wie in
Kapitel 20,31 nachzulesen ist, von den "Zeichen" Jesu berichten, um
seine Leser durch sie zum Glauben an den Messias zu bewegen. Doch er
hatte mit Sicherheit auch noch andere Ziele im Blick. Es ist gesagt
worden, daß das Johannesevangelium gegen das traditionelle Judentum,
gegen die Gnostik oder auch gegen die Anhänger Johannes des Täufers
geschrieben sei. Andere vertreten die These, daß es als Ergänzung zu den
synoptischen Evangelien gedacht war. Doch wie auch immer - fest steht,
daß das vierte Evangelium (wie auch die drei synoptischen Evangelien) in
erster Linie evangelistische Absichten verfolgt; daher ist es auch kein
Zufall, daß es in der Kirchengeschichte immer wieder hauptsächlich zu
diesem Zweck eingesetzt wurde. Die Herrlichkeit des vierten Evangeliums In den Einführungen der meisten Bücher über das
vierte Evangelium findet sich irgendwo ein Abschnitt mit dem Titel: "Das
Problem des vierten Evangeliums." Das Johannesevangelium war denn auch
stets das Problem in der neutestamentlichen Forschung. Doch worin genau
liegt dieses Problem? Vor vielen Jahren sagte einmal ein
Neutestamentler, daß Jesus in den synoptischen Evangelien (Matthäus,
Markus, Lukas) zwar historisch, nicht aber göttlich, und im vierten
Evangelium zwar göttlich, nicht aber historisch sei. Welch eine
ungerechtfertigte Behauptung! Beginnt doch das Johannesevangelium mit
der eindeutigen Aussage der Gottheit des Wortes, das Fleisch wurde ( Joh
1,1.14 ), und endet sozusagen mit dem Bekenntnis desThomas "mein Herr
und mein Gott" ( Joh 20,28 ). Jesus Christus ist beides, göttlich (der
Sohn Gottes) und historisch (ein Mensch, der auf Erden lebte). So ist
das, was für viele Neutestamentler ein Problem darstellt, in
Wirklichkeit die Herrlichkeit der Kirche. Umgekehrt legen die synoptischen Evangelien
ebensoviel Gewicht auf die Göttlichkeit des Messias wie das
Johannesevangelium - was auch immer manche Gelehrte behaupten mögen. Das
Johannesevangelium ist lediglich in seinen christologischen Aussagen so
eindeutig und pointiert, daß die johanneische Theologie die Kirche sehr
beeinflußt hat. Der Satz "das Wort ward Fleisch" ( Joh 1,14 ) wurde zum
Dreh- und Angelpunkt des Nachdenkens und Studiums der frühen
Kirchenväter. Für Johannes ist die Inkarnation - die Manifestation
Gottes im Fleisch - die Grundlage des Evangeliums. Hierin liegt denn
auch, wie bereits gesagt, die "Herrlichkeit" - und nicht etwa das
"Problem" - des vierten Evangeliums. Besonderheiten des Johannesevangeliums Ein Vergleich des Johannesevangeliums mit den
synoptischen Evangelien läßt vor allem seine stilistische
Einzigartigkeit hervortreten. Johannes geht weder auf Jesu Stammbaum
noch auf seine Geburt, Taufe oder Versuchung näher ein, er berichtet
nicht von Dämonenaustreibungen, erzählt keine Gleichnisse und spricht
auch nicht von der Einsetzung des Abendmahls, von Jesu Verklärung,
seiner Todesangst in Gethsemane oder seiner Himmelfahrt. Statt dessen
konzentriert er sich auf die jüdischen Feste, auf Jesu Wirken in
Jerusalem, seine privaten Gespräche mit Einzelpersonen (z. B. Joh 3-4;
Joh 18,28- Joh 19,16 ) und die Weisungen, die er seinen Jüngern gab
( Joh 13-17 ). Den größten Teil des Evangeliums nimmt dabei das "Buch
der Zeichen" ( Joh 1,19- Joh 12,50 ) ein, in dem sieben Wunder oder
"Zeichen" beschrieben werden, die Jesus als den Messias, den Sohn
Gottes, offenbaren. Dieses "Buch der Zeichen" enthält daneben
verschiedene große Reden Jesu, die die Bedeutung der Wunder erhellen. So
bezeichnet er sich z. B. nach der Speisung der Fünftausend ( Joh
6,1-15 ) als das Brot des Lebens, das vom Himmel kommt und der Welt das
Leben gibt ( Joh 6,26-35 ). Ein weiteres wichtiges und ausschließliches
Merkmal des Johannesevangeliums sind die "Ich bin"-Aussagen Jesu
(vgl. Joh 6,35;8,12;10,7.9.11.14;11,25;14,6;15,1.5 ). All diese Besonderheiten müssen jedoch vom
richtigen Standpunkt aus beurteilt werden. Ein Evangelium ist keine
Biographie und will auch keine sein. Jeder Evangelist wählte aus einer
Vielzahl von Informationen das Material aus, das seiner besonderen
Absicht am ehesten entsprach. Schätzungen ergaben, daß das laute Lesen
der in den synoptischen Evangelien enthaltenen Jesusworte nur etwa drei
Stunden erfordern würde. Angesichts der Tatsache, daß Jesus sich drei
Jahre lang auf der Erde aufhielt, ist das sehr kurz. Jedes Evangelium
berichtet also nur von ganz bestimmten Wundern oder Gleichnissen und
läßt andere aus. Den Mittelpunkt bildet jedoch stets die Nachricht von
Jesu Tod und seiner Auferstehung. Aufgrund dieser Konzentration auf den
Tod Christi wurden die Evangelien auch als "Leidensgeschichten mit
ausführlicher Einleitung" bezeichnet. Dem eigentlichen Anliegen (z.
B. Mk 11-16 ) wird stets nur soviel Information vorausgeschickt (z.
B. Mk 1-10 ), daß das Wesen dessen, der hier auf Erden wirkte und starb,
deutlich wird. Über die Beziehung des Johannesevangeliums zu den
Synoptikern ist folgendes bekannt: Johannes, ein Sohn des Zebedäus,
hielt sich in der Anfangszeit der Kirche als Mitarbeiter von Petrus in
Jerusalem auf ( Apg 3,1-4,23;8,14;12,1-2 ). Er galt als eine der
"Säulen" der Jerusalemer Kirche ( Gal 2,9 ), die von den Aposteln
geleitet wurde, wobei Jakobus, der Halbbruder Jesu, gemeinsam mit Petrus
und Johannes häufig eine führende Rolle übernahm ( Apg 15,7-21 ). Sehr
rasch entwickelte sich dann ein bestimmter fester Kern apostolischer
Lehre und Predigt: Wer bekehrt wurde, "blieb ... beständig in der Lehre
der Apostel" (5000 Männer; Apg 2,42 ). Später, mit der wachsenden Zahl
der Gläubigen ( Apg 4,4 ), wurde es nötig, die Lehre zu systematisieren,
um einen bestimmten Grundstock an definitiven Glaubensaussagen
festzulegen, der den Gemeindemitgliedern vermittelt werden sollte. Dabei
kristallisierte sich als Kern Jesu messianische Erfüllung der
alttestamentlichen Prophezeiungen, insbesondere sein Wirken und seine
Leidensgeschichte, heraus. Im Mittelpunkt der Unterweisung standen die
Gebote Jesu - seine "mündliche Tora" ( Mt 28,20 ). Nach einer relativ gut gestützten kirchlichen
Überlieferung geht das Markusevangelium direkt auf die Predigt des
Petrus zurück. Bestätigt wird diese Vermutung durch Apg 10,36-43 , dem
Beispiel einer petrinischen Predigt, in der viele Forscher die Grundzüge
des gesamten Markusevangeliums wiederfinden. Wenn aber das
Markusevangelium auf Predigten von Petrus aufbaut, dann muß auch
Johannes - der mit ziemlicher Sicherheit viele Jahre in der Nähe von
Petrus lebte - mit seiner Lehre vertraut gewesen sein. Der Kern dieser Lehre wurde von Markus, der
Petrus in seinen späteren Amtsjahren unterstützte, schriftlich fixiert.
Johannes, der ebenfalls viele Jahre (vielleicht zwanzig) in Jerusalem
lebte, schrieb, nachdem er nach Kleinasien gegangen war und sich in
Ephesus niedergelassen hatte, unter der Führung des Heiligen Geistes
sein Evangelium nieder und schuf damit ein großes Ergänzungswerk zu der
frühen Lehre der Apostel in Jerusalem. So enthält das johanneische Bild
Jesu im Vergleich zu den synoptischen Evangelien dreiundneunzig Prozent
authentisches Material. Dennoch war sich auch Johannes, wie er
ausdrücklich bemerkt, der Tatsache bewußt, daß sein Bericht nur einen
Bruchteil dessen wiedergab, was verdiente, aufgeschrieben zu werden
( Joh 20,30-31;21,25 ). (Näheres zur Beziehung der einzelnen Evangelien
zueinander in den Einleitungen zu Matthäus und Markus.) Der Text des Evangeliums Der griechische Text des vierten Evangeliums
liegt, wie der des gesamten Neuen Testaments, in sehr gut erhaltener
Form vor. Die unterschiedlichen Lesarten in den verschiedenen
Bibelausgaben gehen z. T. auf neue archäologische Funde und
Forschungsergebnisse zurück. Aufbau und Inhalt Das Schlüsselwort des Johannesevangeliums ist
"glauben" ( pisteuO ); es findet sich - meistens im Präsens und in
Partizipialformen - insgesamt achtundneunzigmal im Text. Das griechische
Substantiv "Glaube" ( pistis ) kommt dagegen nicht vor. Anscheinend lag
Johannes an einem aktiven, beständigen und lebendigen Vertrauen in
Jesus. Sein Evangelium läßt sich in folgende Hauptabschnitte
unterteilen: Prolog ( Joh 1,1-18 ), Buch der Zeichen ( Joh 1,19-12,50 ),
Abschiedsreden an die Jünger ( Joh 13-17 ), Passion und Auferstehung
( Joh 18-20 ) und Epilog ( Joh 21 ). Der Prolog enthält die theologische
Einführung, die es den Lesern überhaupt erst ermöglicht zu verstehen,
daß die Worte und Taten Jesu die Worte und Taten Gottes waren, der sich
im Fleisch manifestierte. Das Buch der Zeichen erzählt dann von sieben
Wundern, die die Herrlichkeit des Vaters im Sohn offenbaren. Die Wunder
und die anschließenden erklärenden Diskurse zielen von Mal zu Mal
stärker auf die zwei möglichen Reaktionen der Menschen auf Jesu
Botschaft ab: Glaube bzw. Unglaube und Verstockung. Am Ende von Jesu Wirken reagierte das Volk fast
nur noch mit völlig irrationalem Unglauben ( Joh 12,37 ). In den
Abschiedsreden bereitete Jesus die Seinen dann auf seinen Tod und das
zukünftige Wirken der Jünger vor. Den Höhepunkt des Unglaubens bildet
der Abschnitt über die Leidensgeschichte, dem unmittelbar darauf - im
Bericht über die Auferstehung - der Glaube der Jünger entgegengesetzt
wird. Der Epilog, in dem der Bogen zum Wirken der Jünger geschlagen
wird, rundet die Darstellung des Evangeliums ab. GLIEDERUNG I. Prolog ( 1,1-18 ) A. Der Logos in Zeit und Ewigkeit ( 1,1-5 ) B. Das Zeugnis Johannes' des Täufers
( 1,6-8 ) C. Das Kommen des Lichts ( 1,9-13 ) D. Die Inkarnation und Offenbarung
( 1,14-18 ) II. Jesu Manifestation vor dem Volk
( 1,19-12,50 ) A. Jesu frühes Wirken ( 1,19-4,54 ) B. Jesu Kontroverse in Jerusalem ( Kap. 5 ) C. Jesu Offenbarung in Galiläa ( 6,1-7,9 ) D. Jesu Rückkehr nach Jerusalem und das
erneute Aufflammen der Feindseligkeiten ( 7,10-10,39 ) E. Die Auferweckung des Lazarus ( 11,1-44 ) F. Der Plan, Jesu zu töten ( 11,45-57 ) G. Das Ende des öffentlichen Wirkens Jesu
( 12,1-36 ) H. Der Unglaube des jüdischen Volkes
( 12,37-50 ) III. Jesu Weisungen an seine Jünger ( Kap.
13-17 ) A. Das letzte Abendmahl ( 13,1-30 ) B. Jesu bevorstehender Abschied ( 13,31-38 ) C. Jesus, der Weg zum Vater ( 14,1-14 ) D. Die Verheißung des Heiligen Geistes
( 14,15-31 ) E. Der Weinstock und die Reben ( 15,1-10 ) F. Jesu Freunde ( 15,11-17 ) G. Der Haß der Welt ( 15,18-16,4 ) H. Das Wirken des Heiligen Geistes
( 16,5-15 ) I. Die bevorstehenden Veränderungen
( 16,16-33 ) J. Jesu Fürbitte ( Kap.17 ) IV. Jesu Passion und Auferstehung ( Kap. 18-20 ) A. Die Gefangennahme Jesu ( 18,1-11 ) B. Die Verhandlungen vor dem Hohenpriester
und die Leugnung des Petrus ( 18,12-27 ) C. Der Zivilprozeß vor Pilatus
( 18,28-19,16 ) D. Die Kreuzigung ( 19,17-30 ) E. Das Begräbnis ( 19,31-42 ) F. Das leere Grab ( 20,1-9 ) G. Jesu Erscheinen vor Maria ( 20,10-18 ) H. Jesu Erscheinen vor seinen Jüngern
( 20,19-23 ) I. Jesu Erscheinen vor Thomas ( 20,24-29 ) J. Der Zweck des Buches ( 20,30-31 ) V. Epilog ( Kap. 21 ) A. Jesu Erscheinen am See ( 21,1-14 ) B. Die Wiederherstellung von Petrus
( 21,15-23 ) C. das Kolophon ( 21,24-25 ) AUSLEGUNG I. Prolog ( 1,1 - 18 ) Am Anfang aller vier Evangelien wird Jesus in ein
historisches Umfeld gestellt. Die Eröffnung des Johannesevangeliums
nimmt dabei jedoch einen einzigartigen Platz ein. Das Matthäusevangelium
beginnt mit dem Stammbaum Jesu und verfolgt Jesu Herkunft bis auf David
und Abraham zurück. Das Markusevangelium setzt mit der Predigt Johannes
des Täufers ein. Lukas widmet sein Buch Theophilus und schließt daran
die Vorhersage der Geburt von Johannes dem Täufer an. Das
Johannesevangelium aber beginnt mit einem theologischen Prolog. Es ist
beinahe so, als ob Johannes gesagt hätte: "Ich möchte, daß Sie die Lehre
und Taten Jesu näher kennenlernen. Doch Sie werden die gute Nachricht
von Jesus nicht in ihrer ganzen Tragweite verstehen, wenn Sie nicht
zugleich erkennen, daß Jesus Gott ist, der sich im Fleisch manifestiert
hat, und daß alle seine Worte und Taten die Worte und Taten des
Gottmenschen sind." Die wichtigsten Themen des Johannesevangeliums
klingen bereits im Prolog an und werden später weiterentwickelt. Zu den
Schlüsselbegriffen der johanneischen Sprache gehören "Leben" (V. 4 ),
"Licht" (V. 4 ), "Finsternis" (V. 5 ), "Zeugnis" (V. 7 ), "wahr"
(V. 9 ), "Welt" (V. 9 ), "Sohn" (V. 14 ), "Vater" (V. 14 ),
"Herrlichkeit" (V. 14 ) und "Wahrheit" (V. 14 ). Zwei weitere
entscheidende theologische Termini sind "das Wort" (V. 1 ) und "Gnade"
(V. 14 ). Sie kommen allerdings trotz ihrer Bedeutung nur in der
Einleitung vor. Der Begriff "Wort" (Logos) steht zwar noch an anderer
Stelle, dort aber nicht mehr als christologischer Titel. A. Der Logos in Zeit und Ewigkeit ( 1,1 - 5 ) Joh 1,1 In einer Zeit, die so weit zurückliegt, wie der
Mensch nur denken kann - im Anfang - war das Wort . Für den
theologischen Terminus "Wort" steht hier der ganz normale griechische
Begriff logos , der einfach "Sprechen, Botschaft oder Wörter" bedeutet.
Er war sowohl in der griechischen Philosophie als auch in der jüdischen
Weisheitsliteratur wohlbekannt. Wahrscheinlich wählte Johannes diesen
Ausdruck, weil er seinen Lesern so vertraut war; doch er verlieh ihm
eine ganz eigene Bedeutung, die gleich im Prolog entwickelt wird. Das Wort war bei Gott , d. h., es hatte innerhalb
der Trinität eine ganz besondere Beziehung ewiger Gemeinschaft mit Gott.
"Bei" ist die Übersetzung des griechischen pros , hier im Sinne von
"Gemeinschaft haben mit" (vgl. dieselbe Bedeutung von pros in Joh 1,2;
1Thes 3,4; 1Joh 1,2 ). Dann fügt Johannes hinzu: Gott war das Wort . Die
Zeugen Jehovas schreiben: "das Wort war ein Gott" - eine falsche
Übersetzung, die - logisch zu Ende gedacht - zum Polytheismus führt. In
anderen Bibelversionen steht "das Wort war göttlich", wasjedoch
ebenfalls nicht ganz eindeutig ist und zu einem falschen Verständnis von
Jesus führen könnte. Richtig übersetzt kann dieser Vers dagegen die
Lehre von der Trinität ganz entscheidend erhellen. Das Wort ist ewig; es
steht in Beziehung zu Gott (dem Vater); und es ist Gott. Joh 1,2 Das Wort war schon immer bei Gott . Christi
Existenz begann nicht irgendwann innerhalb der Zeit, genausowenig wie er
erst zu irgendeinem Zeitpunkt in Beziehung zum Vater trat. Der Vater
(Gott) und der Sohn (das Wort) sind seit Ewigkeit eine liebende Einheit.
Sowohl Vater als auch Sohn sind Gott, und dennoch gibt es nicht zwei
Götter. s Joh 1,3 Warum gibt es etwas und nicht nichts? Auf diese
berühmte Frage der Philosophie antwortet das Christentum mit Gott. Er
ist ewig und der Schöpfer aller Dinge. Das Werkzeug der Schöpfung aber
war das Wort (vgl. 1Kor 8,6; Kol 1,16; Hebr 1,2 ). Die ganze Schöpfung
wurde gemacht: vom Vater, durch das Wort, mit der Hilfe des Geistes. Im
Johannesevangelium steht das Wort im Mittelpunkt. Es kam, um den
Menschen den Vater zu offenbaren ( Joh 1,14.18 ). Im Grunde begann das
Offenbarungswerk bereits in der Schöpfung, denn auch die Schöpfung
offenbart Gott ( Ps 19,1-6; Röm 1,19-20 ). Joh 1,4 Das Leben ist das Wertvollste, was der Mensch
besitzt. Der Verlust des Lebens ist tragisch. Johannes bestätigt das: In
ihm (Christus) war das Leben . Christus verdanken die Menschen ihr
physisches und ihr geistliches Leben. (Zu Johannes' Lehre über das Leben
vgl. Joh 5,26;6,57;10,10;11,25;14,6;17,3;20,31 .) Jesus, die "Quelle des
Lebens" (vgl. Joh 11,25 ), ist das Licht der Menschen (vgl. Joh 8,12 ).
Das Licht ist in der Bibel ein Emblem Gottes; die Finsternis wird
gemeinhin mit Tod, Beschränktheit, Unwissenheit, Sünde und Getrenntsein
von Gott identifiziert. Jesaja beschrieb die Rettung als das Kommen
eines großen Lichtes, das die Menschen, die in Finsternis leben,
erblicken werden ( Jes 9,1; vgl. Mt 4,16 ). Joh 1,5 Es liegt im Wesen des Lichts, das Dunkle hell zu
machen - die Finsternis, die in diesem Vers gleichsam personifiziert
ist, zu vertreiben. Die Finsternis ist nicht in der Lage, das Licht zu
begreifen. In diesem einen Satz hat Johannes sein ganzes Evangelium
zusammengefaßt: (a) Das Licht wird in das Reich der Finsternis kommen;
(b) Satan, der Herrscher dieses Reiches, und seine Untertanen werden
sich dem Licht widersetzen, doch sie werden seiner Macht nichts anhaben
können; (c) das Wort wird gegen alle Widerstände siegen. B. Das Zeugnis Johannes' des Täufers ( 1,6 - 8 ) Joh 1,6 Bevor jedoch das ewige Wort kam, betrat ein
Mensch die Bühne der Geschichte: der hieß Johannes . Bei diesem Johannes
handelte es sich nicht um den Verfasser des Johannesevangeliums, sondern
um den berühmten Wegbereiter Jesu, Johannes den Täufer. Er war v on Gott
gesandt - und hierin liegt auch das Geheimnis seiner Bedeutung. Gott
selbst hatte ihn - wie früher die Propheten des Alten Testaments - für
seinen besonderen Auftrag ausgestattet und bevollmächtigt. Joh 1,7 Das Zeugnis (sowohl als Substantiv, martyria ,
als auch als Verb, martyreO ) ist ebenfalls ein Schlüsselbegriff des
Johannesevangeliums (vgl. V. 15.32.34 ; Joh 3,11.26;5,31-34.36-37; Joh
18,37;19,35; usw.). (Vgl. auch die Karte beim Kommentar zu Joh
5,33-34 .) Johannes der Täufer war gesandt, um die Menschen auf Jesus
vorzubereiten, um ihnen von der Wahrheit Jesu, dem Offenbarer des
Vaters, zu verkünden, denn sie lebten in so tiefer Finsternis der Sünde,
daß sie jemanden brauchten, der ihnen sagte, was Licht überhaupt ist.
Johannes' Ziel war es, alle Menschen zum Glauben an Jesus zu führen. Joh 1,8 Johannes der Täufer war zwar groß, doch er war
nicht das Licht . Es gibt Hinweise darauf, daß die Bewegung, die mit dem
Täufer begann, nach seinem Tod und auch nach dem Todund der Auferstehung
Jesu weiterexistierte ( Joh 4,1; vgl. Mk 6,29; Lk 5,33 ). Zwanzig Jahre
nach Jesu Auferstehung (vgl. Apg 18,25;19,1-7 ) traf Paulus, als er nach
Ephesus kam, dort etwa zwölf Jünger Johannes' des Täufers, und noch
heute gibt es im Gebiet südlich von Bagdad eine mandäische Sekte, die -
obwohl sie dem Christentum feindlich gegenübersteht - nach eigener
Aussage auf den Täufer zurückgeht. C. Das Kommen des Lichts ( 1,9 - 13 ) Joh 1,9 Dieser Vers wird auch der "Quäkertext" genannt,
weil die Gründer dieser Sekte eine irrtümliche Schlußfolgerung daraus
zogen: sie stellten das "innere Licht" in den Mittelpunkt ihrer Lehre.
(In manchen Bibelausgaben wurde das "Kommen" [ erchomenon ] nicht auf
die Menschen, sondern auf Christus, das wahre Licht, zurückbezogen und
als Hinweis auf die Inkarnation verstanden.) Christus erleuchtet alle Menschen . Das bedeutet
nicht, daß er sich allen offenbart, daß alle gerettet werden, oder auch
nur, daß allen eine innere Erleuchtung zuteil wird. Es besagt lediglich,
daß Christus, das Licht, jedem Menschen leuchtet ( phOtizei ), ihm die
Augen für seine Sünde und das kommende Gericht öffnet ( Joh
3,18-21;9,39-41; 16,8-11 ) und ihn rettet, wenn er Christus annimmt. Joh 1,10 Mit der Welt ( kosmos ) ist hier die Welt, in der
die Menschen leben, und die menschliche Gesellschaft gemeint, die Gott
ungehorsam ist und unter der Herrschaft Satans steht (vgl. Joh 14,30 ).
Der Logos kam zu den Menschen durch die Inkarnation, doch die
Menschheit erkannte ( egnO , kennen) den, der sie gemacht
hatte, nicht (vgl. Jes 1,2-3 ). Ihr Versagen war nicht darauf
zurückzuführen, daß das Wesen Gottes irgendwo im Menschen "verborgen"
war, wie manche behaupten. Es war vielmehr eine Folge der durch die
Sünde bedingten Unwissenheit und Blindheit der Menschen ( Joh 12,37 ). Joh 1,11 Der Logos kam in sein Eigentum, doch die Seinen
nahmen ihn nicht auf . In gewisser Weise ist das einer der traurigsten
Verse der Bibel. Jesus kam zu seinem Volk, doch Israel verwarf ihn. Das
jüdische Volk weigerte sich, Jesus als die vom Vater gesandte
Offenbarung anzuerkennen und seinen Geboten zu gehorchen. Schon Jesaja
hatte vor langer Zeit diesen Unglauben Israels vorausgesagt: "Aber wer
glaubt dem, was uns verkündet wurde?" ( Jes 53,1 ). Joh 1,12 Doch nicht alle waren ungläubig. Manche nahmen
Jesu Einladung, die der ganzen Menschheit galt, an. Allen, die ihn als
den Offenbarer des Willens des Vaters und als Sühneopfer
akzeptierten, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden . Das Wort "Kinder"
( tekna ) ist der Übersetzung "Söhne" vorzuziehen. Die Menschen sind
nicht von Natur aus Kinder Gottes, doch sie können es werden, wenn sie
das Geschenk ihrer Wiedergeburt annehmen. Joh 1,13 Diese Wiedergeburt kommt nicht aus dem Blut noch
aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes , ist also
weder eine dem Menschen in die Wiege gelegte Vorherbestimmung noch auf
den natürlichen Wunsch der Menschen nach Kindern zurückzuführen. Die
Geburt eines Gotteskindes ist keine natürliche Geburt; sie ist ein
übernatürliches Werk von Gott, eine "Wiedergeburt" bzw. Erneuerung. Wenn
ein Mensch Jesus annimmt und ihm in Glauben und Gehorsam antwortet, so
ist das ein Geheimnis, dessen "Ursache" im Wirken des Heiligen Geistes
liegt ( Joh 3,5-8 ). D. Die Inkarnation und Offenbarung ( 1,14 - 18 ) Joh 1,14 Das Wort ( Logos ; vgl. V. 1 ) ward Fleisch .
Christus, der ewige Logos , der Gott ist, kam als Mensch auf die Erde.
Doch er erschien nicht nur in Gestalt eines Menschen; er wurde Mensch
(vgl. Phil 2,6-8 ). Das Menschsein wurde der Gottheit Christi
hinzugefügt. Und doch wandelte Christussich nicht, als er "Fleisch"
wurde; daher ist das "ward" ( egeneto ) vielleicht besser mit "nahm auf
sich" oder "kam als" zu übersetzen. "Fleisch" bedeutet in diesem Vers "menschliche
Natur", nicht Sündhaftigkeit oder Schwäche. Im Griechischen erinnert die
Wendung und wohnte unter uns an die Zeit des Alten Testaments, in der
Gott sich im Tempel, mitten unter seinem Volk, aufhielt. Das griechische
Wort für "wohnte" ist eskEnOsen , von skEnE ("Stiftshütte"). So wie Gott
in der Stiftshütte anwesend war ( 2Mo 40,34 ), wohnte auch Jesus unter
den Menschen. Wir sahen impliziert selbstverständlich, daß der
Autor dieses Evangeliums ein Augenzeuge war. S eine Herrlichkeit bezieht
sich auf die einzigartige Größe, die in Jesu Leben - in seinen Wundern,
seinem Tod und seiner Auferstehung - zutage traten. Die Wendung des
eingeborenen Sohnes ( monogenous ; vgl. Joh 1,18;3,16.18; 1Joh 4,9 )
bedeutet, daß Jesus von Anbeginn der Welt an auf eine Art und Weise der
Sohn Gottes ist, die sich grundlegend von der Art und Weise
unterscheidet, wie ein Mensch, der glaubt, ein Kind Gottes wird . Jesu
Sohnschaft ist einzigartig, denn er ist ewig und eines Wesens mit
dem Vater . Die herrliche Offenbarung Gottes, die der Logos verkörperte,
war voller Gnade und Wahrheit , d. h., sie war eine gnädige und wahre
Offenbarung (vgl. Joh 1,17 ). Joh 1,15 Johannes der Täufer gab ein bleibendes Zeugnis
von Jesus, wie das Präsens der Verben gibt Zeugnis und ruft im
Griechischen und auch im Deutschen deutlich macht. Jesus, der jünger war
als Johannes, begann sein Wirken später als dieser. Doch Johannes sagte,
daß Jesus aufgrund seiner Präexistenz (also aufgrund seiner wahren
Natur) eher war als er. Joh 1,16 Das fleischgewordene Wort ist die Quelle der
Gnade ( charin ), die die Summe allen Segens ist, den Gott den Menschen
gibt. Die Wendung wir alle bezieht sich auf die Christen, einschließlich
des Verfassers des Evangeliums, Johannes. Aufgrund seiner
(Christi) Fülle wird den Christen Gnade um Gnade ( charin anti
charitos , wörtlich: "Gnade auf Gnade") zuteil - ebenso unaufhörlich,
wie die Wellen des Meeres ans Ufer schlagen. Das Leben der Christen wird
getragen von Beweisen der Gnade Gottes, die sie immer wieder empfangen. Joh 1,17 Das größte Geschenk, das Gott seinem Volk vor dem
Kommen Jesu gemacht hatte, war das Gesetz, das er ihm durch Mose ,
seinen Knecht, gegeben hatte. Keinem anderen Volk wurde ein solches
Privileg zuteil. Die Herrlichkeit der Kirche heute aber besteht darin,
daß sie die Offenbarung von Gottes Gnade und Wahrheit durch Jesus
Christus besitzt (vgl. V. 14 ). Joh 1,18 Die Aussage "niemand hat Gott jemals
gesehen" (vgl. 1Joh 4,12 ) scheint ein Problem aufzuwerfen. Sagte nicht
Jesaja: "Ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen
Augen" ( Jes 6,5 )? Und doch ist Gott von seinem Wesen her unsichtbar
( 1Tim 1,17 ). Er ist der, "den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann"
( 1Tim 6,16 ). Was Johannes hier ( Joh 1,18 ) eigentlich meinte, war
also wohl, daß "kein Mensch je Gottes wahres Wesen gesehen hat". Gott
kann sich wohl in einer Theophanie in anthropomorpher Gestalt zeigen
(wie es Jesaja geschah), doch sein inneres bzw. eigentliches Wesen
offenbart sich nur in Jesus. Der Eingeborene, der Gott ist heißt wörtlich "der
einzige Gott" oder "der eingeborene Gott" ( monogenEs theos ;
vgl. monogenous , "des eingeborenen Sohnes", in V. 14 ). Mit der
Rückkehr zu der Wahrheit von Vers 1 , daß das Wort Gott ist, schließt
sich der Kreis des Johannesprologs. Vers 18 ist eine erneute
Bekräftigung der Gottheit Christi: Christus ist der eine und einzige
Gott. Der Sohn ist in des Vaters Schoß - ein Zeichen für die enge
Beziehung zwischen Gott Vater und Gott Sohn (vgl. das Wort "bei" in V. 1
- 2 ). Dieser Sohn hat uns den Vater verkündigt ( exEgEsato ). Der Sohn
ist der "Exeget" des Vaters, er manifestiert in seiner Person das Wesen
des unsichtbaren Vaters (vgl. Joh 6,46 ). II. Jesu Manifestation vor dem Volk ( Joh 1,19-12,50 ) Dieser Abschnitt, der den größten Teil des
Johannesevangeliums ausmacht, beschreibt das öffentliche Wirken Jesu für
das Volk Israel. Man könnte ihn ein "Buch der Zeichen" nennen, denn er
erzählt von sieben Wundern, die Jesus vollbrachte und die ihn als den
Messias ausweisen. An die Wunder schließen sich jeweils Reden und
Auslegungen an. Darüber hinaus enthält der Abschnitt noch zwei lange
Privatgespräche ( Joh 3-4 ). A. Jesu frühes Wirken ( 1,19 - 4,54 ) 1. Frühe Zeugnisse für Jesus ( 1,19 - 34 ) a. Johannes' erstes Zeugnis ( 1,19 - 28 ) Joh 1,19 Wie die synoptischen Evangelien berichtet auch
Johannes von dem Wirken Johannes des Täufers, der so großen Erfolg
hatte, daß die religiösen Machthaber in Jerusalem auf ihn aufmerksam
wurden. Die Juden ist die Bezeichnung des Evangelisten für die
politischen und religiösen Führer der Stadt Jerusalem. Die Priester und
Leviten fragten Johannes also nach seiner Taufe und Identität. Joh 1,20-21 Johannes antwortete ihnen: Ich bin nicht der
Christus (d. h. der Messias). (Zur Bedeutung des Titels "Messias" vgl.
den Kommentar zu V. 40 - 41 .) Seine Aussage hat, wie an der
Wiederholung des Verbs "bekannte" deutlich wird, Bekenntnischarakter. Interessanterweise wurden die Entgegnungen des
Täufers auf die Fragen, die ihm gestellt wurden, von Mal zu Mal kürzer:
"Ich bin nicht der Christus" (V. 20 ). Ich bin's
nicht (V. 21 ). Nein (V. 21 ). Johannes wollte nicht von sich selbst
sprechen, seine Aufgabe war es vielmehr, auf einen anderen hinzuweisen.
Sein Amt kam dem Elias gleich. Ebenso unvermutet wie dieser erschien er
auf der Bühne der Geschichte, und er kleidete sich auch wie Elia. Wie
Elia zu seiner Zeit versuchte auch er, die Menschen zu Gott zu bekehren.
Da Maleachi vorausgesagt hatte, daß Elia zurückkehren werde, bevor der
Messias käme ( Mal 3,23 ), stellten viele Menschen Vermutungen darüber
an, ob Johannes vielleicht Elia sei. Den Propheten dagegen erwarteten
die Menschen aufgrund einer Prophezeiung von 5Mo 18,15 ,die sich auf
Christus bezog (vgl. Joh 1,45 ), jedoch von vielen dahingehend
mißverstanden wurde, daß der Prophet und der Messias zwei Personen seien
(V. 23 ; Joh 7,40-41 ). Joh 1,22-23 Johannes antwortete, daß er keiner dieser
erwarteten Propheten sei, daß aber auch sein Amt bereits im Alten
Testament beschrieben worden sei. Er war die Stimme ( phOne ), Jesus war
das Wort ( Logos ). Johannes hatte die Aufgabe, die Menschen auf das
Wort vorzubereiten, und er erfüllte sie in der Wüste . (Zur Bedeutung
von Johannes' Zitat aus Jes 40,3 vgl. den Kommentar zu Mt 3,3 .) Joh 1,24-25 Die Pharisäe r waren eine wichtige jüdische
Sekte, die etwa sechstausend Mitglieder zählte und außerordentlich
einflußreich war. Sie lebten nach ihrer eigenen, sehr strengen
Auffassung des Gesetzes und hielten sich außerdem noch an viele
mündliche Traditionen. Die Pharisäer überlebten als einzige kleinere
Gruppe den jüdischen Krieg von 66 - 70 n. Chr., und ihre Lehre wurde zur
Grundlage des talmudischen Judentums. Diese wichtigen Vertreter des
Judentums fragten nun den Täufer: "Wenn du keinen offiziellen Titel
hast, warum taufst du denn? " Joh 1,26-27 Johannes wußte, daß seine Taufe nur die
Vorwegnahme der eigentlichen Taufe war. Er erklärte ihnen, daß ein
anderer kommen werde, den sie nicht kannten. Dieser Kommende werde so
groß sein, daß er, Johannes, sich nicht für wert hielt, ihm auch nur die
niedrigsten Dienste zu erweisen (wie z. B. seine Schuhriemen zu lösen ). Joh 1,28 Wo das Betanien jenseits des Jordan lag, wissen
wir nicht. (Es darf jedoch nicht mit dem anderen Betanien, der
Heimatstadt von Maria, Marta und Lazarus, in der Nähe von Jerusalem,
verwechselt werden.) Schon Origenes, der um 200 n. Chr. Palästina
besuchte, konnte es nicht mehr finden. In Frage käme eine Ortschaft
gegenüber von Jericho. b. Johannes' zweites Zeugnis ( 1,29 - 34 ) Joh 1,29 Als nächstes ist von einer Reihe von Tagen die
Rede (vgl. "am nächsten Tag" in V. 29.35.43 ; "am dritten Tage" in Joh
2,1 ), an deren ersten beiden Johannes erneut Zeugnis über Jesus
ablegte. Am zweiten dieser Tage berief Jesus seine ersten Jünger, die
ihm glaubten und nachfolgten. Johannes identifizierte Jesus als Gottes
Lamm (vgl. Joh 1,36; 1Pet 1,19 ) - eine Bezeichnung, die auf die
Opferungen des Alten Testaments verweist. Im allgemeinen wurden in
Israel Lämmer geopfert, doch das Opfertier, das am Versöhnungstag die
Sünde des Volkes trug, war ein Ziegenbock ( 3Mo 16 ). Vielleicht dachte
Johannes bei seinen Worten aber auch an das Passalamm ( 2Mo 12 ) und an
eine Aussage Jesajas, der von der Ähnlichkeit des Messias mit einem Lamm
sprach ( Jes 53,7 ). In jedem Fall zeigte ihm der Heilige Geist Jesus
als das Sühneopfer, das für der Welt Sünde sterben mußte (vgl. Jes
53,12 ). Joh 1,30-31 Dann wiederholte Johannes nochmals, was er
bereits früher über Jesus gesagt hatte (V. 15.27 ). Sein Ruhm sollte
noch vom Ruhm Jesu übertroffen werden, dessen Vorrangstellung in seiner
Präexistenz begründet liegt: Er war eher als ich. Doch warum sagte
Johannes "und ich kannte ihn nicht "? Obwohl Johannes und Jesus durch
Maria und Elisabeth miteinander verwandt waren ( Lk 1,36 ), wissen wir
nichts darüber, ob sie sich vielleicht in ihrer Kindheit oder Jugend
bereits begegnet waren. Jedenfalls wußte Johannes erst dann, daß Jesus
der war, der da kommen sollte, als er ihm vom Vater als Messias
offenbart wurde. Bis dahin wußte er nur, daß er dem, auf den alle
warteten, durch die Taufe mit Wasser den Weg bereiten sollte. Gott würde
Israel seinen Erlöser zur gegebenen Zeit senden. Joh 1,32 Das Johannesevangelium sagt nichts darüber, daß
Jesus getauft wurde, doch es setzt die Erzählungen aus den synoptischen
Evangelien voraus (vgl. "Die Besonderheiten des Johannesevangeliums" in
der Einleitung). Es ist auch nicht die Rede davon, daß der Heilige
Geist bei der Taufe wie eine Taube auf Jesus herabkam. Wichtig ist dem
Evangelisten vielmehr, daß der unsichtbare Geist vom Himmel
herabfuhr und sich körperlich manifestierte (in Gestalt einer Taube).
Johannes sah, daß der Geist als Taube auf Jesus blieb (vgl. Jes 11,2; Mk
1,10 ). Joh 1,33 Er hatte von Gott (der ihn sandte) erfahren, daß
derjenige, auf den die Taube herabkäme, der Auserwählte sei, der mit dem
Heiligen Geist taufen würde. Die Reinigung durch Wasser ist eine Sache,
doch die Reinigung durch den Heiligen Geist ist eine andere. Später an
Pfingsten, fünfzig Tage nach Jesu Auferstehung, leitete die Taufe mit
dem Heiligen Geist ein neues Zeitalter ein ( Apg 1,5;2,1-4 ) - das
Kirchenzeitalter, das Zeitalter "des Geistes" (vgl. 1Kor 12,13 ). Joh 1,34 Das Zeugnis des Täufers lautete, daß dieser
Gottes Sohn sei. Der prophezeite davidische König war der Sohn Gottes
( 1Sam 7,13-14 a), und der messianische König ist in einzigartiger Weise
Gottes Sohn ( Ps 2,7 ). Der Titel "Sohn Gottes" geht über die
Vorstellung des Gehorsams und des messianischen Königs hinaus und
verweist auf das wahre Wesen Jesu. Deshalb werden die gläubigen Menschen
im Johannesevangelium denn auch an keiner Stelle als "Söhne" Gottes
bezeichnet. Sie sind die "Kinder" ( tekna ; z. B. Joh 1,12 ) Gottes, der
Titel "Sohn" ( hyios ) gebührt nur Jesus. 2. Jesu Jünger ( 1,35 - 51 ) a. Jesu erste Jünger ( 1,35 - 42 ) Joh 1,35-36 Der nächste Tag bezieht sich auf den zweiten Tag
in der zeitlichen Abfolge (vgl. V. 29.35.43 ; Joh 2,1 ).Wahrscheinlich
legt der Evangelist so großen Wert auf die Chronologie, weil er zeigen
will, wie einige Jünger des Täufers zu Jüngern Jesu wurden. Die Zeiten
der Verben in Joh 1,35-36 sind ungewöhnlich. Johannes stand da
(Imperfekt), während Jesus vorüber geht (Präsens). Das Gesetz des
Handelns geht nun von Johannes dem Täufer auf Jesus über. Johannes
selbst wies seine Jünger auf ihn hin und sprach: Siehe, das ist Gottes
Lamm (vgl. den Kommentar zu V. 29 ). Joh 1,37 Zwei seiner Jünger hörten diese Worte und folgten
Jesus nach . Das Verb "folgen" hat hier wahrscheinlich doppelte
Bedeutung: Sie folgten ihm in wörtlichem Sinne - gingen hinter ihm her -
und als seine Jünger, d. h., sie waren von diesem Tag an Anhänger Jesu. Joh 1,38 Die ersten Worte, die die Jünger von Jesus
hörten, lauteten: "Was sucht ihr?" Das war eine ganz simple Frage, und
die Jünger antworteten mit der Gegenfrage, wo er wohne. Doch der
Evangelist scheint noch mehr mit dieser Frage zu beabsichtigen.
Vielleicht meinte Jesus auch: "Was sucht ihr in eurem Leben?" Das Wort,
das hier mit Herberge ( menO ) übersetzt ist und an dieser Stelle zum
ersten Mal auftaucht, ist einer der Lieblingsbegriffe des Evangelisten.
Von den 112 Stellen im Neuen Testament, an denen er steht, finden sich
66 in seinen Schriften - 40 im Johannesevangelium, 23 im 1. und drei im
2. Johannesbrief (William F. Arndt und F. Wilbur Gingrich, A
Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian
Literature . Chicago 1957, S. 504 - 505). Manchmal hat er, wie hier, die
Bedeutung von "bleiben oder wohnen", ein paarmal heißt er "bleiben oder
fortsetzen", doch meistens ist er im theologischen Sinn von "(bestehen)
bleiben, fortfahren, festhalten" gemeint (z. B. Joh 15,4-7 ). Joh 1,39 Jesus antwortete ihnen mit den einladenden
Worten: Kommt und seht! Ein Mensch muß zunächst zu ihm kommen, dann wird
er sehen. Doch sie sollten nicht nur sehen, wo er wohnte; auch diese
Worte hatten einen tieferen theologischen Sinn. Die beiden
Jünger blieben diesen Tag bei ihm - ab der zehnten Stunde , d. h. ab
vier Uhr nachmittags oder zehn Uhr vormittags, je nachdem, ob der
Evangelist die Tage von sechs Uhr morgens (wie es die Synoptiker
gewöhnlich tun) oder von Mitternacht bzw. Mittag an zählt. Zehn Uhr
vormittags - also nach der offiziellen römischen Zeitrechnung (vgl. den
Kommentar zu Joh 4,6;19,14 ) gerechnet - scheint jedoch plausibler. Joh 1,40-41 Andreas , einer der beiden Jünger, die
Jesus nachgefolgt waren , war der erste, der Jesus
als Messias verkündigte. Dem hebräischen "Messias", "der Gesalbte",
entspricht der griechische Begriff "Christus" ( ho Christos ). Er stammt
aus der alttestamentlichen Praxis, Priester und Könige mit Öl zu salben,
ein Symbol des Heiligen Geistes, das auf den vorauswies, der kommen
sollte (vgl. Jes 61,1 ). "Messias" war ein Titel des zukünftigen
davidischen Königs (vgl. Mt 1,1; Joh 6,15 ). Kein Mensch in der
Geschichte des Christentums erwies der Kirche je einen größeren Dienst
als Andreas, als er seinen Bruder Simon Petrus zu Jesus brachte. Andreas
tritt noch zweimal im Johannesevangelium in Erscheinung ( Joh
6,8-9;12,20-22 ); beide Male bringt er jemanden zu Jesus. Hinter dem
ungenannten Jünger vermuteten die Neutestamentler gewöhnlich Johannes,
einen Sohn des Zebedäus und Bruder von Jakobus, der auch als Verfasser
des Johannesevangeliums angesehen wird. In Mk 1,16-20 beruft Jesus zwei
Brüderpaare (Simon und Andreas und Johannes und Jakobus), allesamt
Fischer. Joh 1,42 Sofort, als Jesus Simon sah (vgl. V. 47 ),
erkannte er seine Bestimmung. Er gab ihm den aramäischen
Beinamen Kephas , griechisch Petrus (Fels). Im Hebräischen lautete der
Name Simon wahrscheinlich Simeon (griechisch in Apg 15,14; 2Pet 1,1 ).
Für die Änderung seines Namens von Simon in Kephas wird hier kein Grund
angegeben. Im allgemeinen gehen die Forscher davon aus, daß der Beiname
ein Hinweis auf das war, was Gott inseiner Gnade mit Petrus vorhatte: er
sollte in den Anfangsjahren des Christentums zum "Felsen" der Kirche
werden (vgl. Mt 16,18; Lk 22,31-32; Joh 21,15-19;2-5;10-12 ). b. Die Berufung von Philippus und Nathanael ( 1,43 - 51 ) Joh 1,43-44 Die ersten Jünger stammten aus Galiläa, doch
berufen hatte Jesus sie in Judäa, aus dem Gefolge des Täufers. Auf dem
Weg nach Norden, nach Galiläa , berief er dann Philippus , dessen
Heimatstadt Betsaida war, wo auch Andreas und Petrus herstammten.
Betsaida lag am Nordostufer des Sees Genezareth ( Joh 12,21 ), politisch
gesehen also im Süden der Provinz Gaulanitis, die zum Herrschaftsbereich
des Herodes Philippus (Josephus, Ant. 18. 2. 1) gehörte. Aus Philippus'
griechischem Namen sollten keine Schlußfolgerungen über seine
Nationalität gezogen werden. Joh 1,45 Philippus bezeugte gegenüber Nathanael , daß
Jesus der Verheißene sei, von dem Mose ( 5Mo 18,18-19; vgl. Joh
1,21.25 ) und die Propheten ( Jes 52,13-53,12; Dan 7,13; Mi 5,1; Sach
9,9 ) schrieben. Überraschenderweise nannte er Jesus Josefs Sohn - zu
diesem Zeitpunkt waren die Jünger also noch davon überzeugt, daß Jesus
der leibliche Sohn Josefs war. Doch Nathanael sollte schon bald
erkennen, daß Jesus " Gottes Sohn" war ( Joh 1,49 ). Joh 1,46 Nathanael stockte kurz angesichts der niedrigen
Herkunft des Messias. Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Wie alle Juden
kannte er den schlechten Ruf dieser Stadt und war davon überzeugt, daß
der Messias aus Jerusalem, Hebron oder einer anderen berühmten Stadt
kommen würde. Die Herablassung Jesu ist noch heute für viele Menschen
unbegreiflich. Wie kann überhaupt der Logos ein Mensch werden? Doch
Philippus war klug genug, sich nicht auf ein Streitgespräch einzulassen,
er lud seinen Freund einfach ein, Jesus kennenzulernen: Komm und sieh
es! Er wußte, daß Nathanaels Fragen dann eine Antwort finden würden. Joh 1,47 Jesus, der übernatürliches Wissen besaß (vgl.
V. 42 ), nannte Nathanael einen rechten Israeliten, in dem kein
Falsch ( dolos , "Täuschung") ist im Gegensatz zu Jakob (vgl.
V. 51 mit 1Mo 28,12 ). Joh 1,48 Nathanael war erstaunt, daß Jesus ihn kannte, ja
sogar ganz genau wußte, womit er beschäftigt war, als Philippus ihn
traf: Er war unter einem Feigenbaum . Der Feigenbaum war eine Metapher
für Muße und Sicherheit (vgl. 1Kö 5,5; Mi 4,4; Sach 3,10 ); vielleicht
ein Ort der Meditation (vgl. den Kommentar zu Joh 1,50-51 ). Ps
139 führt das Thema, daß Gott das Leben eines Menschen bis in jede
Einzelheit kennt, genauer aus. Joh 1,49 Jesu übernatürliches Wissen brachte Nathanael
dazu, ihn als Gottes Sohn und König von Israel zu bekennen. Das heißt
nicht, daß er bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Trinität oder die
Inkarnation völlig verstanden hatte. Doch er hatte verstanden, daß Jesus
der Sohn Gottes, der erwartete Messias, war (vgl. Ps 2,6-7 ). Auf diesem
zukünftigen davidischen König sollte der Geist Gottes ruhen ( Jes
11,1-2 ). Joh 1,50-51 Doch Jesus verhieß Nathanael noch Größeres ,
wobei er vielleicht von den Wundern in Kapitel 2 - 13 sprach.
Vers 48.51 sind vielleicht Hinweise darauf, daß Nathanael sich
gedanklich mit Jakob, insbesondere mit dem Zwischenfall, über den 1Mo
28,12 berichtet, beschäftigte. Dort wird erzählt, daß Jakob in einem
Traum sah, wie Engel eine Leiter hinauf- und hinabgingen. Nathanael aber
sollte die Engel Gottes hinauf- und herabfahren (sehen) über dem
Menschensohn . So wie Jakob sah, daß die Engel vom Himmel mit der Erde
in Verbindung standen, so sollte Nathanael (und die anderen;
das du in Joh 1,50 ist zwar Singular, doch in V. 51 steht dann
Plural, ihr ) Jesus als den göttlichen Mittler zwischen Himmel und Erde
erfahren. Der Menschensohn, der die Stelle der Leiter einnimmt, ist
Gottes Verbindungsglied zur Erde (vgl. Dan 7,13; Mt 26,64 ). Vielleicht
ist hierin auch ein Hinweis Jesu zu sehen, daß er das neue "Bethel", das
neue Haus Gottes, war ( 1Mo 18,17; Joh 1,14 ). Als Menschensohn verließ Jesus den Himmel und kam
auf die Erde. Er selbst benutzte diesen Terminus über 80mal. Er ist ein
Symbol seiner Menschlichkeit und seines Leidens sowie seines Wirkens als
"vollkommener Mensch". Wahrlich, wahrlich, ich sage euch steht 25mal im
Johannesevangelium und lenkt stets die Aufmerksamkeit auf wichtige
Aussagen: Joh
1,51;3,3.5.11;5,19.24-25;6,26.32.47.53;8,34.51.58;10,1.7;12,24;13,16.20-21.38;14,12;16,20.23;21,18 .Interessanterweise
findet sich dieses doppelte "Amen" bei den Synoptikern überhaupt nicht. 3. Jesu erstes Zeichen ( 2,1 - 11 ) Das erste Wunder, das Jesus im Johannesevangelium
vollbrachte, war ein ganz privates, das nur die Jünger, einige Knechte
und wahrscheinlich Jesu Mutter als solches erkannten. Daß in den
synoptischen Evangelien nicht von diesem Wunder berichtet wird, könnte
vielleicht damit zusammenhängen, daß Matthäus zu diesem frühen Zeitpunkt
noch nicht zum Jünger berufen war. Von den vier Evangelisten war
überhaupt nur Johannes anwesend. Er verwendet für den Vorfall bewußt das
Wort "Zeichen" ( sEmoeiOn , V. 11 ), um die Aufmerksamkeit von den
Wundertaten selbst abzulenken, hin zur eigentlichen Bedeutung der
Wunder. Was sich dabei vollzieht, ist etwas "Wunderbares" ( teras ), das
Wirken einer "Kraft" ( dynamis ), ein "unerwartetes ( paradoxos )
Geschehen". Die Verwandlung von Wasser in Wein war das erste
von insgesamt 35 Wundern, die uns von Jesus überliefert sind. (Vgl. die
Tabelle, die Aufschluß über die Wunder, die Orte, an denen sie
geschahen, und die Parallelstellen in den Evangelien gibt.) Joh 2,1 Die Zeitangabe am dritten Tag bedeutet
wahrscheinlich drei Tage nach der Berufung von Philippus und Nathanael.
(Vgl. die Abfolge der Tage, auf die das jeweils in Joh 1,29.35 und 43
wiederholte "am nächsten Tag" hindeutet.) Die Reise von Betanien bei
Jericho in Judäa ( Joh 1,28 ) nach Kana in Galiläa dauerte mehrere Tage.
Wo genau Kana lag, wissen wir heute nicht mehr, doch es muß in der Nähe
von Nazareth gewesen sein. Auch die Mutter Jesu war auf dem Fest
anwesend, doch Johannes nennt sie nicht mit Namen (vgl. Joh
2,12;6,42;19,25-27 ), wie er auch an keiner anderen Stelle in diesem
Evangelium seinen oder den Namen der Mutter Jesu erwähnt. (Jesu Mutter
lebte nach dem Tod Jesu bei dem "Jünger, den Jesus lieb hatte"; vgl. Joh
19,27 .) Joh 2,2-3 Orientalische Hochzeitsfeiern dauerten nicht
selten sieben Tage. Das Fest setzte ein nach der Überführung der Braut
in das Haus des Bräutigams bzw. seines Vaters, bevor die Ehe vollzogen
wurde. Als der Wein ausging , wandte sich Maria an Jesus in der
Hoffnung, daß er das Problem lösen könnte. Erwartete sie ein Wunder? Das
ist angesichts der Aussage von Vers 11 unwahrscheinlich; bis jetzt hatte
Maria ihren Sohn noch keine Wunder vollbringen sehen. Joh 2,4-5 Das Wort Frau , mit dem Jesus seine Mutter hier
anredet, klingt dem heutigen Leser fremd, war damals jedoch eine sehr
höfliche und freundliche Wendung (vgl. Joh 19,26 ). Im Gegensatz dazu
deutete der Satz " was geht's dich an " im Griechischen darauf hin, daß
Jesus und Maria grundsätzlich zwei ganz verschiedenen Bereichen
angehörten. Dämonen z. B. sagten es, wenn sie mit Christus konfrontiert
wurden ("Was willst du von uns?"; Mk 1,24; "Was willst du von mir?"; Mk
5,7 ). Maria mußte hier, was für sie als Mutter sicherlich sehr
schmerzlich war (vgl. Lk 2,35 ), erkennen, daß Jesus ausschließlich den
Willen Gottes tat und daß der Zeitpunkt seiner Offenbarung ganz allein
in der Hand des Vaters lag. Meine Stunde ist noch nicht gekommen oder
ähnliche Wendungen finden sich fünfmal bei Johannes ( Joh
2,4;7,6.8.30;8,20 ). Später wird dreimal auf die Tatsache hingewiesen,
daß seine Stunde nun gekommen ist ( Joh 12,23;13,1;17,1 ). Marias
Anweisung gegenüber den Dienern (was er euch sagt, das tut) zeigt
jedoch, daß sie ihrem Sohn gehorsam war. Obwohl sie ihn nicht verstand,
vertraute sie ihm. Joh 2,6-8 Das Wasser in den sechs steinernen Wasserkrügen
(die je zwei oder drei Maße - das sind 80 bzw. 120 Liter - faßten) wurde
für jüdische Reinigungsrituale vor und nach den Mahlzeiten benutzt
(vgl. Mt 15,1-2 ). Hier wird der Gegensatz zwischen der neuen und der
alten Ordnung ganz deutlich (vgl. Joh 4,13-14;7,38-39 ). Diese Wasserkrüge befanden sich wahrscheinlich
etwas außerhalb des Festsaals. Der Speisemeister, der die Oberaufsicht
über das Fest hatte, wußte also nicht, daß er aus den Reinigungskrügen
trank - was für einen Juden auch unvorstellbar gewesen wäre. Die Knechte
schenkten das Wasser, das Wein geworden war, aus. Joh 2,9-10 Als aber der Speisemeister den Wein kostete ,
stellte er fest, daß er besser war als der, den sie zuvor getrunken
hatten. Im Gegensatz zu dem Brauch, den besseren Wein zuerst
auszuschenken und später auf minderwertigeren überzugehen, versicherte
er, daß der Wein, der zuletzt ausgeschenkt wurde, der beste sei. Dieses
Wunder will deutlich machen, daß das Christentum gegenüber dem Judentum
ein Fortschritt ist. Gott hat das beste Geschenk - seinen Sohn - bis
jetzt zurückbehalten . Joh 2,11 Johannes erklärt dieses Wunder als eine
Manifestation der Herrlichkeit Christi. Im Gegensatz zu Mose, der als
Zeichen für das göttliche Gericht Wasser in Blut verwandelte ( 2Mo
7,14-24 ), bringt Jesus Freude. Sein erstes Wunder war ein Vorgeschmack
der Freude, die er den Menschen durch den Heiligen Geist bringen will.
Es deutet auf Jesus als das fleischgewordene Wort, den mächtigen
Schöpfer. Jedes Jahr verwandelt er bei der Ernte und den späteren
Gärungsprozessen sozusagen Wasser in Wein - dasselbe Wunder wie hier,
nur daß es hier in kürzerer Zeit stattfand. Die 120 Liter guten Weines
waren sein Geschenk für das junge Paar. Sein erstes Wunder - eine
Verwandlung - verweist auf sein verwandelndes Wirken unter den Menschen
(vgl. 2Kor 5,17 ). Die Jünger glaubten an ihn . Doch ihr anfänglicher
Glaube sollte im Laufe der Offenbarung Jesu, des Logos , auf die Probe
gestellt und weiterentwickelt werden. Zu diesem Zeitpunkt verstanden sie
seinen Tod und seine Auferstehung noch nicht ( Joh 20,8-9 ), doch sie
kannten nun seine Macht. 4. Jesu Besuch in Kapernaum ( 2,12 ) Joh 2,12 Jesu Reise nach Kapernaum, das am Nordwestufer
des Sees Genezareth lag, und sein kurzer Aufenthalt dort waren nur ein
Zwischenspiel in seinem Leben. Obwohl Kapernaum nordöstlich von Kana
lag, ging er dorthin hinab, denn das Land fällt zum Meer hin ab.
Kapernaum wurde Jesu Wahlheimat (vgl. Mt 4,13; Mk 1,21;2,1 ). Von nun an
schien er sich seiner Familie ( Mk 3,21.31-35; Joh 7,3-5 ) und seiner
Heimatstadt Nazareth zu entfremden ( Mk 6,1-6; Lk 4,14-30 ). 5. Jesu erstes Wirken in Jerusalem ( 2,13 - 3,21 ) a. Die Reinigung des Tempels ( 2,13 - 25 ) Nach dem Bericht des Evangelisten Johannes fand
die Reinigung des Tempels zu Beginn von Jesu Wirken statt, nach den
Erzählungen der Synoptiker hingegen am Ende seines öffentlichen
Auftretens ( Mt 21,12-17; Mk 11,15-18; Lk 19,45-48 ). Wahrscheinlich gab
es zwei Tempelreinigungen, denn die beiden Berichte sind
unterschiedlich. Johannes kannte zweifellos die synoptischen Evangelien
und schrieb seine eigene Darstellung als Ergänzung zu ihren Berichten.
Die erste Reinigung überrumpelte die Menschen völlig; die zweite, etwa
drei Jahre später, war einer der unmittelbaren Gründe für Jesu Tod
(vgl. Mk 11,15-18 ). Joh 2,13-14 Wie es bei den Juden Brauch war ( 2Mo
12,14-20.43-49; 5Mo 16,1-8 ), zog Jesus hinauf nach Jerusalem, um das
Passafest zu feiern (vgl. zwei andere Passafeste, eines in Joh 6,4 und
eines in Joh 11,55;12,1;13,1 ). Dieses jährliche Fest sollte die Juden
an die Gnade Gottes erinnern, der ihr Volk aus der Knechtschaft in
Ägypten befreit hatte. Die Passazeit eignete sich damit in besonderer
Weise, den Menschen das zu verkündigen, was Jesus ihnen zu sagen hatte. Mit dem Tempel ist der große äußere Hof, der
sogenannte "Vorhof der Heiden", der den inneren Tempelbezirk umgab,
gemeint. (Vgl. die Skizze des Tempelbezirks.) Wahrscheinlich aus Gründen
der Bequemlichkeit für die Pilger, die nach Jerusalem kamen, hatten die
Pharisäer in diesem Bezirk, der eigentlich heilig war, das Kaufen und
Verkaufen von Opfertieren gestattet. Daraus hatte sich allmählich ein
einträglicher Handel entwickelt, so daß der Pilgerverkehr zu einer der
Haupteinnahmequellen der Stadt geworden war. Eine weitere Annehmlichkeit
für die Pilger waren die Geldwechsler. Die Tempelsteuern und -gebühren
mußten in tyrischer Währung entrichtet werden, und für das Wechseln
wurde eine hohe Gebühr erhoben. Diese Mißstände führten letzlich zu
einer Korrumpierung der heiligen Handlungen. Joh 2,15 Maleachi hatte einst prophezeit, daß eines Tages
einer in den Tempel kommen und die Religion des Volkes "rein" machen
würde ( Mal 3,1-3 ). Voller Entrüstung stieß Jesus die Tische um und
trieb die Schafe und Rinder mitsamt ihren Verkäufern aus dem
Tempelbezirk hinaus. Joh 2,16 Jesus verurteilte nur die Entweihung
seines Vaters Haus zum Kaufhaus , er wandte sich nicht gegen das
Opfersystem selbst, auch wenn es stark an Sinn eingebüßt hatte. Bei der
zweiten Reinigung des Tempels am Ende seines Wirkens dagegen griff er
die religiöse Praxis wesentlich schärfer an und bezeichnete den
Tempelbereich als "Räuberhöhle" ( Lk 19,46; vgl. Jer 7,11 ). Jesus sprach häufig von Gott als von seinem
"Vater". Nur durch ihn kann man den Vater kennenlernen: "Niemand kennt
den Sohn als nur der Vater und wem es der Sohn offenbaren will" ( Mt
11,27 ). Joh 2,17 Sein Tun erinnerte die Jünger an Ps 69,10 ,wo
davon die Rede ist, daß der Gerechte den Preis für seinen Eintritt in
Gottes Tempel zahlen muß. Jesu Eifer für Gott führte schließlich zu
seinem Tod. Joh 2,18-19 Die Juden - womit entweder die jüdischen
Machthaber oder die Kaufleute gemeint waren - verlangten ein Zeichen
dafür, daß Jesus das Recht hatte, die bestehende Ordnung umzuwerfen
("Denn die Juden fordern Zeichen"; 1Kor 1,22 ). Statt dessen erwiderte
ihnen Jesus jedoch nur mit einer verhüllten Anspielung. Wie bei den
Gleichnissen in den synoptischen Evangelien diente das rätselhafte Wort
auch hier unter anderem dazu, die Hörer, die sich ihm widersetzten, zu
verwirren. Jesus wollte, daß sie über sein Wort nachdachten und auf
diesem Wege seine Bedeutung erkannten. Brecht diesen Tempel ab klingt
wie ein Gebot, ist jedoch entweder ironisch oder vielleicht auch
hypothetisch gemeint. Später, bei seiner Gerichtsverhandlung, wurde
Jesus angeklagt, behauptet zu haben, er könne den Tempel zerstören
und in drei Tagen wieder aufrichten ( Mt 26,60-61 ). Etwas Ähnliches
wurde auch Stephanus zur Last gelegt ( Apg 6,14 ). Joh 2,20-21 Herodes der Große hatte beschlossen, den von
Serubbabel errichteten Tempel, dessen Herrlichkeit nicht an den Tempel
Salomos heranreichte ( Hag 2,3 ), neu zu erbauen. Er begann damit im
Jahr 20 oder 19 v. Chr., also bringen uns die sechsundvierzig Jahre ,
von denen hier die Rede ist, auf das Jahr 27 oder 28 n. Chr. Der Bau war
jedoch erst 63 n. Chr. vollendet. Die Juden hatten also entweder vom
Allerheiligsten oder von irgendeinem anderen Teil des Tempels
gesprochen. Wie, so fragten sie, wollte Jesus ihn in drei Tagen neu
erbauen? Das war unmöglich! Die Worte und du sind im Griechischen stark
betont und unterstreichen die Verachtung der Pharisäer. Doch Jesus
meinte mit dem Tempel hier natürlich seinen Leib , der nach drei Tagen
auferweckt werden sollte. Joh 2,22 Selbst die Jünger verstanden Jesu dunkle Worte
zuerst nicht. Erst im Lichte der Auferstehung begriffen sie, wovon er
gesprochen hatte. Da sie zuvor nicht hatten einsehen können, warum er
sterben mußte, und auch die alttestamentlichen Aussagen über das Leiden
und Sterben des Messias nicht verstanden hatten ( Jes 52,12-53,12; Lk
24,25-27 ), dachten sie erst nach seinem Tod wieder an diese Worte. Joh 2,23 Als er aber am Passafest in Jerusalem war, tat
Jesus noch weitere Zeichen, auf die Johannes hier nicht näher eingeht.
Diese Zeichen bestanden wahrscheinlich hauptsächlich in Heilungen, die
den Glauben vieler Menschen wecken sollten. Sie glaubten denn auch an
seinen Namen , d. h., sie vertrauten auf ihn. Der Glaube, der hier zum
Ausdruck kam, war jedoch noch nicht unbedingt der rettende Glaube, wie
die nächsten Verse implizieren. Die Leute glaubten zwar, daß Jesus ein
großer Heiler war, nicht aber, daß er sie auch von ihrer Schuld erretten
konnte. Joh 2,24-25 Jesus wußte, daß ein solches kurzfristiges
Aufgerütteltsein oder auch ein Glaube, der auf Zeichen basierte, nicht
ausreichte. Viele von denen, die ihm zu Anfang nachfolgten, verließen
ihn denn auch wieder, als er keine Anstalten machte, die Rolle des
politischen Königs zu übernehmen (vgl. Joh 6,15.60.66 ). Bis zu Jesu Tod
und Auferstehung und dem Kommen des Heiligen Geistes war die Grundlage
für den Glauben noch nicht ganz gelegt. Jesus in seinem übernatürlichen
Wissen bedurfte nicht, daß ihm jemand Zeugnis gab vom Menschen . Wie
Gott sah er in die Herzen ( 1Sam 16,7; Ps 139; Apg 1,24 ). Joh 3 und Joh
4 sind Beispiele für diese Fähigkeit. Jesus wußte, wonach Nikodemus
strebte, und er kannte das Vorleben der Samariterin ( Joh 4,29 ). Die
Verbindung zwischen dem dritten und dem zweiten Kapitel liegt auf der
Hand (vgl. was im Menschen war , Joh 2,25 ,und "es war aber ein
Mensch", Joh 3,1 ). b. Jesu Gespräch mit Nikodemus ( 3,1 - 21 ) Joh 3,1 Nikodemus repräsentierte die Elite des Volkes. Er
war Lehrer (V. 10 ), Pharisäer und Angehöriger des Hohen Rats,
der Oberen der Juden . Der Hohe Rat setzte sich aus 70 Personen
zusammen, die für religiöse Entscheidungen und, zur Zeit der römischen
Besetzung, auch für Zivilangelegenheiten zuständig waren. Zwei
Mitglieder dieses Rats sind im Neuen Testament positiv dargestellt:
Josef von Arimathäa ( Joh 19,38 ) und Rabbi Gamaliel ( Apg
5,34-39;22,3 ). Auch Jesus wurde nach seiner Gefangennahme dem Rat
vorgeführt ( Lk 22,66 ). Nikodemus tadelte die Pharisäer später, weil
sie sich ein Urteil über Jesus gebildet hatten, ohne ihn zuvor anzuhören
( Joh 7,50-51 ), und er half Josef von Arimathäa, ihn zu begraben ( Joh
19,39-40 ). Joh 3,2 Warum kam Nikodemus aber bei Nacht zu Jesus? Aus
Angst? Weil es die übliche Zeit für Besuche war? Weil er ihn ungestört
von der Menge sprechen wollte? Johannes geht nicht näher darauf ein,
doch im allgemeinen hat die Nacht, die Zeit der Dunkelheit, im vierten
Evangelium etwas Unheilvolles an sich (vgl. Joh 9,4;11,10;13,30 ).
Nikodemus begann seine Rede mit den Worten: Meister, wir wissen, du bist
ein Lehrer, von Gott gekommen . Das "wir" bezieht sich wahrscheinlich
auf die vornehmen Mitglieder des Hohen Rates. Die Titel "Rabbi" und
"Meister" sind zwar ein Ausdruck der Höflichkeit und waren als
Schmeichelei für Jesus gedacht, doch sie beweisen auch, daß Nikodemus
nicht verstanden hatte, wer Jesus war. Die nähere Bestimmung "von Gott"
ist im Griechischen hervorgehoben. Die Zeichen, die Jesus getan hatte,
hatten ihn als Mann Gottes ausgewiesen ( Gott war mit ihm ), und
Nikodemus wollte nun quasi von Rabbi zu Rabbi zu ihm sprechen. Joh 3,3 Doch Jesus stand nicht auf derselben Ebene wie
Nikodemus. Er war "von oben" ( anOthen , V. 31 ), daher mußte auch
Nikodemus "von neuem" (V. 3 , anOthen ) geboren werden. Von neuem oder
"von oben" ( anOthen heißt beides; z. B. "von oben" in Joh 19,11 und
"von neuem" in Gal 4,9 ) geboren zu werden bedeutet eine geistliche
Verwandlung, die den Menschen aus dem Reich der Finsternis in das Reich
Gottes hineinholt (vgl. Kol 1,13 ). Das Gottesreich ist der Bereich, in
dem Gott herrscht und die Menschen segnet, das Reich, das im Moment noch
unsichtbar ist, aber auf Erden errichtet werden wird ( Mt 6,10 ). Joh 3,4 Nikodemus war zwar sicher, daß Jesus hier nicht
von irgend etwas Absurdem (wie etwa von einer zweiten physischen Geburt)
sprach, doch das wirkliche Wesen einer geistlichen Wiedergeburt verstand
er nicht. Joh 3,5 Jesu Worte über das Geboren werden aus Wasser und
Geist sind unterschiedlich ausgelegt worden: (1) Das "Wasser" bezieht
sich auf die natürliche Geburt, und der "Geist" auf die Geburt "von
oben". (2) Das "Wasser" bezieht sich auf das Wort Gottes ( Eph 5,26 ).
(3) Das "Wasser" bezieht sich auf die Taufe als einen wesentlichen Teil
der Wiedergeburt. (Diese These widerspricht jedoch anderen Bibelversen,
die deutlich machen, daß die Rettung nur durch den Glauben geschieht; z.
B. Joh 3,16.36; Eph 2,8-9; Tit 3,5 .) (4) Das "Wasser" ist ein Symbol
für den Heiligen Geist ( Joh 7,37-39 ). (5) Das "Wasser" bezieht sich
auf die Predigt der Buße durch Johannes den Täufer, und mit dem Geist
ist das Kommen Christi durch den Heiligen Geist zu einem einzelnen
Menschen gemeint. Die fünfte These klingt historisch am
wahrscheinlichsten und theologisch am überzeugendsten. Johannes der
Täufer hatte das Volk durch seine Predigt, in der er so großen Wert auf
die Buße legte, aufgewühlt ( Mt 3,1-6 ). Die Erwähnung des "Wassers"
sollte Nikodemus offensichtlich an diese Botschaft erinnern. Jesus wies
Nikodemus also darauf hin, daß er, um in das Reich Gottes zu kommen , zu
ihm umkehren (Buße tun) müsse, damit er durch den Heiligen Geist
wiedergeboren würde. Johannes Joh 3,6-7 Es gibt zwei Reiche: die Welt der gefallenen
Menschen (das Fleisch) und das Reich Gottes (den Geist ). Ein gefallener
Mensch kann nicht von sich aus wiedergeboren werden; er braucht das
göttliche Eingreifen. Nur der Heilige Geist Gottes kann den menschlichen
Geist erneuern. Die Menschen sollen sich nicht an der Bedeutung
der Worte Jesu stoßen oder sie ablehnen. Sie müssen von neuem geboren
werden . Das ist eine absolute Notwendigkeit, die für alle gilt. Joh 3,8 Der nächste Vers enthält ein Wortspiel, das im
Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann. Das griechische
Wort pneuma bedeutet sowohl "Wind" als auch "Geist". Das Werk d es
Geistes ( pneuma ) ist unsichtbar und geheimnisvoll wie das Wehen des
Windes ( pneuma ). Auf beides haben die Menschen keinerlei Einfluß. Joh 3,9-10 Nikodemus fragte, wie diese spirituelle
Verwandlung vor sich gehe.Jesus antwortete ihm, daß er als Lehrer
Israels (im Griechischen steht hier der Artikel) es doch eigentlich
wissen müsse. Die alttestamentlichen Propheten sprachen von dem neuen
Zeitalter des Geistes ( Jes 32,15; Hes 36,25-27; Joe 3,1-2 ). Die großen
Lehrer des Volkes sollten wissen, wie Gott in seiner Gnade jemandem ein
neues Herz geben kann ( 1Sam 10,6; Jer 31,33 ). Joh 3,11 Doch Nikodemus wußte nichts von dem, worüber
Jesus hier sprach. Er verkörperte in seiner Person den Unglauben und das
Unwissen des ganzen Volkes. Wie einst die Propheten sprach auch Jesus
zum Volk über göttliche Dinge, doch die Juden lehnten sein Zeugnis ab.
Das Wort "Zeugnis" ( martyrian ) kommt im Johannesevangelium sehr oft
vor (vgl. die Tabelle bei Joh 5,33-34 ). Joh 3,12 Da Nikodemus schon die grundlegende Lehre der
Wiedergeburt, von der Jesus in irdischen Analogien sprach, nicht
verstand, wie sollte er dann die abstrakteren himmlischen Wahrheiten wie
die Trinität, die Inkarnation und Jesu kommende Verherrlichung verstehen
und glauben? Joh 3,13 Und niemand ist gen Himmel aufgefahren und dann
zur Erde zurückgekommen, um klare Auskunft über diese göttlichen Dinge
zu geben. Die einzige Ausnahme ist Jesus, der Menschensohn (vgl. Joh
1,50-51; Dan 7,13; Mt 26,64 ). Er ist die "Leiter" zwischen Himmel und
Erde und hat Zugang zu beiden Reichen (vgl. den Kommentar zu Joh
1,50-51 ). In der Inkarnation "stieg er herab", bei der Himmelfahrt
"ging er hinauf". Er hielt sich bereits vor der Inkarnation im Himmel
auf, daher kennt er die göttlichen Geheimnisse. Joh 3,14-15 Der Gedanke des Auffahrens in den Himmel (V. 13 )
führt folgerichtig zum Gedanken der Erhöhung Jesu (vgl. Joh
8,28;12,32 ). Mose hielt, als Heilmittel für eine Strafe, die die Juden
für ihren Ungehorsam erlitten, eine bronzene Schlange an einem Stab
empor (vgl. 4Mo 21,4-9 ). In gleicher Weise sollte Jesus am Kreuz erhöht
werden für die Sünde der Menschheit, so daß der Blick des Glaubens auf
dieses Kreuz den zum Tode Verurteilten das ewige Leben geben konnte. Joh 3,16 Ganz gleich, ob nun der Evangelist oder Jesus
diesen Vers sprach, er ist Gottes Wort und gleichzeitig eine wichtige
Zusammenfassung des Evangeliums. Gott liebt die Menschen. Seine Liebe
gilt nicht nur wenigen oder einer bestimmten Gruppe, sondern der ganzen
Welt. Für sie gab er sein größtes Gut - seinen eingeborenen ( monogenE ;
vgl. auch Joh 1,14.18;3,18 und 1Joh 4,9 ) Sohn (vgl. Röm 8,3.32 ). Die
Menschen können dieses Geschenk nur annehmen, nicht verdienen ( Joh
1,12-13 ). Sie werden durch den Glauben, durch das Vertrauen in
Christus, gerettet. Verloren ( apolEtai ) bedeutet nicht Vernichtung,
sondern Leben in der Hölle, weit entfernt von Gott, der Leben, Wahrheit
und Freude ist. Das ewige Leben ist ein qualitativ neues, das der
Gläubige bereits jetzt besitzt und das ihm für immer sicher ist
(vgl. Joh 10,28;17,3 ). Joh 3,17 Das Licht wirft zwar Schatten, doch seine
Bestimmung ist es zu erhellen. Zwar wird, wer nicht glaubt, verdammt,
doch eigentlich sandte Gott seinen Sohn , um die Menschen zu retten ,
und nicht, sie zu richten . Gott hat nicht etwa Freude am Tod der Bösen
( Hes 18,23.32 ); er will, daß alle Menschen gerettet werden ( 1Tim 2,4;
2Pet 3,9 ). Joh 3,18 Der Weg zur Rettung ist der Glaube an das Werk,
das Jesus am Kreuz vollendet hat. Die Menschen aber, die das Licht
des Logos ablehnen, sind in der Finsternis ( Joh 1,5;8,12 ) und daher
schon jetzt unter dem Gericht. Sie sind bereits gerichtet, so wie die
sündigen, sterbenden Israeliten, die das göttliche Heilmittel, den Stab
Moses, bewußt zurückwiesen ( 4Mo 21,4-9 ). Wer jedoch an Christus
glaubt, ist unter keiner Verdammnis ( Röm 8,1 ); er "kommt nicht in das
Gericht" ( Joh 5,24 ). Joh 3,19 Die Menschen lieben die Finsternis nicht um ihrer
selbst willen, sondern um dessentwillen, was sie verbirgt. Sie wollen
ungestört mit ihren bösen Werken (ponera; vgl. V. 20 , wo ein anderes
Wort für "böse" steht) fortfahren. Ein Gläubiger ist zwar auch ein
Sünder (wenn auch ein erlöster), doch er bekennt seine Sünde und
antwortet Gott (vgl. 1Joh 1,6-7 ). Letztlich ist die Liebe der Menschen
zur Finsternis statt zu Gott, dem Licht ( Joh 1,5.10-11; 1Joh 1,5 ), ein
Ausdruck ihrer Götzenliebe. Sie "verehren das Geschöpf und dienen ihm
statt dem Schöpfer" ( Röm 1,25 ). Joh 3,20 Ebenso wie das natürliche Licht des Tages
sichtbar macht, was normalerweise verborgen bleibt, so macht
Christus, das Licht , die Werke der Menschen als böse offenbar. (Das
griechische Wort für "böse" an dieser Stelle
lautet phaula ["nichtsnutzig"]; vgl. auch Joh 5,29 .) Die Ungläubigen
kennen nicht den letzten Sinn des Lebens, sie haben keine echte
Motivation, kein richtiges Ziel - ihr Schicksal ist die Verdammnis. Wer
Böses tut, haßt das Licht (und liebt die Finsternis; Joh 3,19 ). Er
fürchtet, daß im Licht die Wertlosigkeit seiner Werke offenbar wird und
er sich von ihnen abwenden muß. Joh 3,21 Jesus wirkt wie ein Magnet. Die Menschen, die zu
ihm gehören, werden von ihm angezogen und hören seine Offenbarung gern.
Das Licht tadelt ihre Sünde, und sie antworten mit Buße und Glauben. Sie
leben durch die Wahrheit (vgl. 2Joh 1,1-2.4; 3Joh 1,1.4 ). Weil sie
wiedergeboren sind, leben sie ein anderes Leben als ihr früheres, das
sie in Finsternis verbrachten. Ihr neues Leben gründet sich auf den
Glauben an Jesus und sein Wort. Der Geist, der von nun an in ihrem Leben
wirkt, gibt ihnen neue Kraft, Ziele und Interessen ( 2Kor 5,17; Eph
2,10 ). 6. Das letzte Zeugnis Johannes' des Täufers ( 3,22 - 30 ) Joh 3,22-24 Für kurze Zeit überlappten sich das
Amt Johannes' des Täufers und Jesu Wirken. Das Land Judäa muß erfüllt
gewesen sein von der Lehre dieser beiden großen Prediger der Buße und
des Gottesreiches. Sowohl Johannes als auch Jesus hatten Jünger, beiden
folgten große Menschenmassen, und beide tauften . Mit der Aussage, daß
Jesus "taufte" (V. 22.26 ), ist wahrscheinlich gemeint, daß er die
Taufen, die seine Jünger vornahmen, überwachte ( Joh 4,2 ). (Die Lage
von Änon, nahe bei Salim , ist uns heute nicht mehr bekannt, doch
möglicherweise lag es etwa in der Mitte zwischen dem See Genezareth und
dem Toten Meer [etwa Joh 4,5 Kilometer östlich von Sichem].) Da bei
beiden Gruppierungen, den Anhängern des Johannes und Jesus, getauft
wurde, gab es gleichzeitig zwei bedeutende "Reformbewegungen" im
Land. Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen ( Joh 3,24 ).
Diese Aussage macht deutlich, daß das vierte Evangelium als Ergänzung
der Synoptiker zu sehen ist, denn hier wird vorausgesetzt, daß die Leser
aus den synoptischen Evangelien ( Mt 14,1-12; Mk 6,14-29; Lk 3,19-20 )
oder aus anderen kirchlichen Überlieferungen von der Gefangennahme des
Täufers wußten. Joh 3,25 Die eifrigen Jünger des Johannes befanden sich
eines Tages in Beweisnot gegenüber einem Juden, der fragte, warum er
sich dem Täufer anschließen sollte. Er vertrat eine andere Auffassung
von der Reinigung . Es gab bereits die Reinigunsrituale der Essener und
die Waschungen der Pharisäer, warum sollten sie jetzt noch eine dritte
Reinigung, die Taufe des Johannes, befolgen? Außerdem war die Gruppe,
die Jesus folgte, größer (V. 26 ). Joh 3,26 Höchstwahrscheinlich waren die Johannesjünger
aufgebracht und eifersüchtig (ihnen lag nichts an Jesus, sie waren
Johannes treu ergeben). Sie beklagten sich, daß Jesus, von dem Johannes
doch Zeugnis gegeben hatte, nun die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich
zog, und sehnten sich nach den alten Zeiten, als jedermann kam, um
Johannes den Täufer zu hören ( Mk 1,5 ). Joh 3,27 Johannes' Antwort bewies seine Größe. Er
sagte: Ein Mensch kann nichts nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel
gegeben ist . Gott ist völlig frei darin, wem er seinen Segen gibt. Wenn
Jesus Erfolg hatte, so mußte das der Wille Gottes sein. Dieses Prinzip
von Gottes freier Souveränität ist ein Hauptanliegen nicht nur des
Johannesevangeliums (vgl. Joh 6,65;19,11 ), sondern des ganzen Neuen
Testaments (z. B. 1Kor 4,7 ). Joh 3,28 Darüber hinaus erinnerte Johannes seine Jünger
nochmals an das, was er predigte: daß er nicht der verheißene Messias
sei, sondern nur vor ihm her gesandt , um ihm den Weg zu bereiten ( Joh
1,8.15.20.23 ). Joh 3,29-30 In Jesu wachsendem Einfluß fand Johannes seine
Freude erfüllt. Er beschrieb sie seinen Jüngern am Beispiel der im Nahen
Osten üblichen Hochzeitsfeier. Der Freund des Bräutigams ist diesem nur
behilflich, er ist nicht die Hauptperson des Festes. Seine Aufgabe ist
es lediglich, die Zeremonie für den Bräutigam vorzubereiten. Wenn er
hört, daß der Bräutigam kommt und die Braut holt, freut er sich. Die
Aufgabe Johannes' des Täufers war es, die Ankunft Christi, des
"Bräutigams", vorzubereiten. Johannes taufte nur mit Wasser, nicht mit
dem Geist. Daher muß Jesus wachsen , Johannes aber muß abnehmen . Das
war nicht nur ratsam oder geschah rein zufällig, sondern entsprach der
göttlichen Ordnung. Johannes akzeptierte bereitwillig und mit Freuden
Jesu wachsende Popularität, die dem Plan Gottes entsprach. 7. Das Zeugnis des Evangelisten ( 3,31 - 36 ) Es ist plausibler, den folgenden Abschnitt (V. 31
- 36 ) nicht als Fortsetzung der Rede des Täufers, sondern als das
Zeugnis des Evangelisten zu sehen. Die theologische Exposition über den
Vater und den Sohn entstammt wohl eher dem Gedankengut einer bereits
entwickelten christlichen Theologie als dem Zeugnis Johannes' des
Täufers. Joh 3,31 Im folgenden entwickelt der Evangelist Johannes
das Thema der Überlegenheit Jesu, auf die Johannes der Täufer seine
Jünger hingewiesen hatte (V. 28 - 30 ). Da Jesus vom Himmel kam, gelten
seine Worte mehr als die eines jeden religiösen Führers. Ein
menschlicher Lehrer lehrt innerhalb seiner irdischen Grenzen ( er ist
von der Erde und redet von der Erde ). Doch der Logos , der vom Himmel
kommt, ist über allen ; er überragt alle ( Kol 1,18 ). Joh 3,32 Jesu Verkündigung zeugte von seiner präexistenten
Schau des Vaters und seiner Gemeinschaft mit ihm im Himmel (vgl. Joh
1,1.14 ). Doch trotz seines klaren, verläßlichen Zeugnisses hat die
Menschheit seine Botschaft verworfen (vgl. Joh 1,11 ). Joh 3,33 Dennoch wurde die Botschaft nicht so universal
verworfen, wie Vers 32 anzudeuten scheint. Wer sie annimmt, besiegelt,
daß Gott wahrhaftig ist (vgl. V. 21 ). Jesu Zeugnis zu verwerfen ist
gleichbedeutend damit, Gott einen Lügner zu nennen ( 1Joh 5,10 ). Joh 3,34 Da Jesus Gottes Worte redete , sprach er die
vollkommene Wahrheit. Er war ermächtigt vom Heiligen Geist und hatte den
Geist ohne Maß . Die alttestamentlichen Propheten besaßen im Vergleich
dazu den Geist stets nur für bestimmte Aufgaben und für begrenzte Zeit. Der Apostel Johannes bezeichnet Jesus als
den, den Gott gesandt hat , eine Tatsache, auf die er in seinem
Evangelium insgesamt neunundreißigmal hinweist (V. 3,17.34; 4,34;
5,23-24.30.36-38; 6,29.38-39.44.57; 7,16.28-29; 8,16.18.26.29.42; 9,4;
10,36; 11,42; 12,44-45.49; 13,16.20; 14,24; 15,21;16,5;
17,3.18.21.23.25; 20,21 ). Sie bestätigt Jesu Gottheit und göttliche
Herkunft sowie Gottes Souveränität und Liebe, die den Sohn Fleisch
werden ließ (vgl. Gal 4,4; 1Joh 4,9-10.14 ). Joh 3,35 Das Verhältnis zwischen dem Sohn und dem Vater
ist von liebender Vertrautheit und absolutem Vertrauen gekennzeichnet.
Der Sohn besitzt alle Vollmacht, den Plan des Vaters zu erfüllen ( Joh
5,22; Mt 28,18 ). Joh 3,36 Die Menschen haben nur zwei Möglichkeiten: an den
Sohn zu glauben oder ihn zu verwerfen (vgl. V. 16.18 ). Unglaube kann
sowohl auf tragische Unwissenheit als auch auf wissentlichen Ungehorsam
gegenüber der klaren Erkenntnis zurückgehen. Nur an dieser Stelle ist im
vierten Evangelium vom Zorn Gottes die Rede (vgl. jedoch Offb
6,16-17;11,18;14,10;16,19;19,15 ). Der "Zorn", Gottes unvermeidliche
gerechte Reaktion auf das Böse, bleibt ( menei ) über dem Ungläubigen.
Dieser Zorn hat eine zukünftige Dimension, doch er existiert auch schon
jetzt. Unausgesetzte Sünde und dauernder Ungehorsam werden zu ewiger
Bestrafung führen ( Mt 25,46 ). 8. Jesu Wirken in Samaria ( 4,1 - 42 ) a. Jesu Gespräch mit der Samariterin ( 4,1 - 26 ) Joh 4,1-3 Im Griechischen wie in der deutschen
Lutherübersetzung bilden diese Verse einen einzigen langen Satz, der als
Einführung in ein zweites, langes Gespräch Jesu dient. Das plötzliche
Hervortreten Jesu und die Tatsache, daß er so viele Anhänger gewann,
hatte die Aufmerksamkeit der Pharisäer auf ihn gelenkt. Jesus, der sich
in Einklang mit Gottes Plan wußte, war klar, wie sein Amt enden würde
und daß er bis zu dieser festgesetzten Zeit vorsichtig leben mußte.
Daher ging er Konflikten aus dem Weg, bis seine "Stunde" gekommen war
( Joh 7,6.8.30;8,20; vgl. Joh 12,23;13,1;17,1 ). Er verließ also
Judäa (vgl. Joh 3,22 ) und ging wieder nach Galiläa . Dieses zweite Gespräch ist ein weiteres Beispiel
für die Tatsache, daß Jesus "wußte, was im Menschen war" ( Joh 2,25 ).
Die samaritische Frau, mit der er sich hier unterhielt, steht in
schroffem Kontrast zu Nikodemus. Dieser suchte; sie war gleichgültig. Er
war ein angesehener Mann; sie war eine leichtfertige Person. Er war
Jude, sie eine verachtete Samariterin. Er war ein von moralischen
Skrupeln geplagter Mensch; sie führte ein unmoralisches Leben. Er war
rechtgläubig; sie war andersgläubig. Er kannte sich in religiösen Dingen
aus; sie war unwissend. Doch trotz all dieser Unterschiede zwischen dem
"Mann des Glaubens" und dem "Weltkind" hatten es beide nötig,
wiedergeboren zu werden. Beiden fehlte etwas, das nur Christus ihnen
geben konnte. Joh 4,4 Er mußte aber durch Samarien reisen . Das war
zwar der kürzeste, doch nicht der einzige Weg von Judäa nach Galiläa.
Die andere Route verlief durch Peräa, östlich des Jordan. (Vgl. die
beiden Wege auf der Karte.) In Jesu Zeit nahmen die Juden, weil sie die
Samariter so sehr haßten, gewöhnlich den Weg östlich des Flusses, um
Samaria zu umgehen. Jesus aber zog durch Samaria, um auch diese
verachteten Menschen mit seiner Botschaft zu erreichen. Als Retter der
Welt sucht er die Verachteten und Außenseiter (vgl. Lk 19,10 ). Als "Samaria" wurde in neutestamentlicher Zeit
das Gebiet in der Mitte Palästinas, zwischen Judäa im Süden und Galiläa
im Norden, bezeichnet. Die Region bildete keine politische Einheit und
stand unter römischer Verwaltung. Die Religion der dortigen
Mischbevölkerung hatte sich aus dem Judentum und synkretistischen Kulten
entwickelt; ihr Zentrum war der Berg Garizim. Noch heute hat eine kleine
Gruppe Samariter in Jerusalem diese Traditionen bewahrt. Joh 4,5-6 Das Dorf Sychar lag zwischen dem Berg Ebal und
dem Garizim, bei Sichem, einem Ort, der meistens mit dem heutigen Akar,
manchmal jedoch auch mit Balatah identifiziert wird. Ein Brunnen, den
man in neuerer Zeit bei Sychar fand, ist möglicherweise der Brunnen
Jakobs . In 1Mo 48,21-22 ist von dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef
gab , die Rede. Jakob hatte es Jahre zuvor gekauft ( 1Mo 33,18-20 ).
Jesus, müde von der Reise, setzte sich am Brunnen nieder. Es war um die
sechste Stunde , nach römischer Zeitrechnung also etwa sechs Uhr abends.
(Vgl. den Kommentar zu Joh 1,39;19,14 .) Als Mensch litt Jesus Durst, Müdigkeit, Schmerz
und Hunger, doch selbstverständlich besaß er auch alle Attribute der
Göttlichkeit (Allwissenheit, Allmacht usw.). Joh 4,7-8 Während seine Jünger in der Stadt waren, um Essen
zu kaufen , tat Jesus etwas Überraschendes: er sprach mit einer Frau aus
Samarien , die er noch nie gesehen hatte. Sie war schockiert, daß ein
Jude sie bat, ihr zu trinken zu geben. Die damaligen Sitten verboten den
öffentlichen Kontakt zwischen Frauen und Männern, zwischen Juden und
Samaritern und besonders zwischen Fremden. Ein jüdischer Rabbi wäre eher
durstig wieder gegangen, als daß er diese Bräuche verletzt hätte. Joh 4,9 Die Frau war überrascht und neugierig; sie konnte
nicht verstehen, wie es Jesus wagen konnte, sie um etwas zu trinken zu
bitten, denn die Juden haben keine Gemeinschaft ( synchrOntai ) mit den
Samaritern , d. h., sie benützen nichts, was zuvor ein Samariter benützt
hat. Joh 4,10 Nachdem er ihre Neugier geweckt hatte, sagte
Jesus der Frau ein rätselhaftes Wort, das sie zum Nachdenken bringen
sollte. Man könnteseine Äußerung etwa folgendermaßen umschreiben: "Dein
Entsetzen wäre noch sehr viel größer, wenn du wüßtest, wer ich wirklich
bin. Dann würdest du - nicht ich - diese Bitte äußern!" Drei Dinge
brachten die Frau wohl zum Grübeln: (1) Wer ist er? (2) Was ist die Gabe
Gottes ? (3) Was ist lebendiges Wasser ? "Lebendiges Wasser" war der
Ausdruck für fließendes Wasser, bezeichnet hier aber den Heiligen Geist
(vgl. Jer 2,13; Sach 14,8; Joh 7,38-39 ). Joh 4,11-12 Die Frau mißverstand den Ausdruck "lebendiges
Wasser" jedoch und dachte, Jesus spräche von dem Brunnen. Wie konnte er
an das lebendige Wasser kommen, wo doch Jakobs Brunnen so tief war? Man
hat festgestellt, daß der Brunnen bei Sychar einer der tiefsten in ganz
Palästina ist. Sie fragte ihn: " Bist du mehr als unser Vater Jakob? "
Die Formulierung dieser Frage verlangt im Griechischen eine negative
Antwort. Die Frau konnte nicht glauben, daß Jesus größer war als Jakob.
Daß sie "unser Vater Jakob" sagt, ist angesichts der Tatsache, daß die
Juden ihn für den Gründer ihres Volkes halten, sehr interessant. Der
Brunnen hatte eine lange Geschichte, doch, fragte sie sich, was kann
dieser Fremde vorweisen ? Joh 4,13-14 Jesus enthüllte ihr seine rätselhafte Äußerung
vom Anfang in einem neuen rätselhaften Bild. Dieses Wasser aus dem
Brunnen Jakobs löschte nur den physischen Durst, und auch ihn nur eine
Zeitlang. Doch das Wasser, das er gab, befriedigte alle Bedürfnisse und
Wünsche für immer. Wer es trinkt, wird in sich eine Quelle des
Wassers haben (vgl. Joh 7,38-39 ), aus der man das Wasser nicht, wie aus
dem Brunnen, erst mühsam heraufholen muß. Es ist der Heilige Geist, der
dem, der glaubt, die Rettung bringt und durch ihn auch anderen das Heil
anbietet. Joh 4,15 Weil die Frau jedoch ganz in ihrer Sünde und
ihrem materialistischen Denken gefangen war, konnte sie dieses dunkle
Wort nicht verstehen. Sie begriff nur, daß sie mit einer solchen Quelle
in sich nie mehr dürsten würde und nicht mehr so hart arbeiten müßte. Joh 4,16-18 Da sie die Wahrheit, von der er gesprochen hatte,
nicht begreifen konnte ( 1Kor 2,14 ), wandte Jesus sich dem Grundproblem
der Frau zu. (Anscheinend gab sie ihm nichts zu trinken, und auch er
selbst vergaß sein körperliches Bedürfnis in dem Versuch, ihr in
geistlicher Hinsicht zu helfen.) Er schlug ihr vor, ihren Mann zu
rufen und mit ihm zusammen wieder herzukommen . Damit bewies er ihr, daß
er alles über sie wußte (vgl. Joh 2,24-25 ). Dieser Fremde kannte alle
ihre Männergeschichten und wußte auch, daß sie in Sünde lebte. Auf diese
Weise enthüllte Jesus ihr in ein paar Worten ihr ganzes sündiges Leben
und gleichzeitig ihr Bedürfnis nach Rettung. Joh 4,19-20 Wie interessant war nun ihre Reaktion darauf!
Jesus war kein reisender jüdischer Rabbi, der zufällig vorbeikam. Da er
übernatürliches Wissen besaß, mußte er ein Prophet Gottes sein. Doch
statt ihre Sünden zu bekennen und zu bereuen, lenkte die Frau ihn auf
ein intellektuelles Problem. Für die Samariter war der Ort der Anbetung
der nahegelegene Berg Garizim. Die Juden dagegen vertraten die Ansicht,
daß diese Ehre nur dem Tempel in Jerusalem gebühre. Wer hatte recht in
diesem Streit? Johannes Joh 4,21 Es kommt die Zeit (vgl. V. 23 ) bezieht sich auf
den bevorstehenden Tod Jesu, der eine neue Phase in Gottes Plan
einleiten sollte. Denn im Kirchenzeitalter, der Zeit des Heiligen
Geistes, findet der Gottesdienst nicht mehr in Tempeln, weder auf dem
Garizim noch auf dem Zion, statt. Joh 4,22 Was das bedeutete, machte Jesus im folgenden ganz
deutlich: Die samaritische Religion basierte auf Unwissenheit. Ihr wißt
nicht, was ihr anbetet . Die Samariter waren nicht das Werkzeug der
Rettung der Menschheit. Israel war das von Gott erwählte Volk, dem
Großes vorherbestimmt war ( Röm 9,4-5 ). Mit dem Ausspruch: denn das
Heil kommt von den Juden , meinte Jesus nicht, daß die Juden auf jeden
Fall gerettet oder besonders fromm waren.Aber Jesus, ein Nachkomme
Abrahams, hat es gebracht. Joh 4,23 Mit dem Kommen des Messias kam die Zeit für eine
neue Form der Anbetung. Wahre Anbeter sind die, die erkennen, daß Jesus
die Wahrheit Gottes ( Joh 3,21;14,6 ) und der einzige Weg zum Vater
( Apg 4,12 ) ist. In der Wahrheit anbeten heißt, Gott durch Jesus
anbeten. Im Geist anbeten heißt, in dem neuen Reich, das Gott den
Menschen offenbart hat, anzubeten. Der Vater sucht nach wahren Anbetern,
weil er will, daß die Menschen in der Wahrheit, nicht in der Lüge,
leben. Jeder Mensch sucht etwas, das er verehren kann ( Röm 1,25 ), doch
die Sünde macht viele blind und läßt sie ihr Vertrauen nutzlosen Dingen
schenken. Joh 4,24 Gott ist Geist ist eine bessere Übersetzung als
"Gott ist ein Geist", wie es in manchen Bibelausgaben steht. Gott ist
nicht ein Geist unter vielen. Was hiermit ausgedrückt werden soll, ist
die Unsichtbarkeit seines Wesens. Er ist nicht an einen Ort gebunden.
Die Anbetung Gottes kann nur durch den (Jesus) geschehen, in dem Gottes
unsichtbares Wesen Gestalt annimmt ( Joh 1,18 ), und sie kann nur
geschehen kraft des Heiligen Geistes, der dem Gläubigen die neue
Wirklichkeit des Gottesreiches offenbart (vgl. Joh 3,3.5;7,38-39 ). Joh 4,25 Auch die Samariter warteten auf einen
messianischen Führer. Da für sie jedoch nur die fünf Bücher Mose bindend
waren, mußte er nicht der Gesalbte aus dem Geschlecht König Davids sein.
Ausgehend von 5Mo 18,15-18 hofften sie auf eine Mose ähnelnde
Persönlichkeit, die all ihre Probleme lösen würde. Jetzt verstand die
Samariterin - zumindest teilweise - was Jesus gemeint hatte, denn auch
sie wartete sehnsüchtig auf die messianische Zeit, wenn der Messias
alles verkündigen würde . Joh 4,26 Die Selbstoffenbarung Jesu - Ich bin's (der
Messias) - war sehr ungewöhnlich. Er sprach sonst während seines Wirkens
in Galiläa und Judäa (vgl. Joh 6,15 ) nicht über seine Aufgabe und zog
den Titel "Menschensohn" dem "Messias" vor. Doch in diesem besonderen
Fall war die Gefahr eines Aufstands, wie er bei den Juden von seiten der
national gesinnten Zeloten drohte, gegenstandslos. b. Jesu Anweisungen an seine Jünger ( 4,27 - 38 ) Joh 4,27-30 Die Frau, aufgeregt durch das, was Jesus zu ihr
gesagt hatte, und vielleicht auch etwas eingeschüchtert dadurch, daß nun
auch die Jünger zurückkamen, verließ ihn und ging in die Stadt. In der
Freude über ihre Entdeckung vergaß sie ihren Krug. Im Moment war es ihr
wichtiger, den anderen von ihrem neuen Glauben zu erzählen. Ihre
Worte "kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich
getan habe" sollten die Aufmerksamkeit der Dorfbevölkerung wecken.
Vielleicht hatte sie mit einigen von ihnen früher zusammengelebt, und
die fragten sich nun: "Weiß der womöglich auch über uns Bescheid?" Sie fragte die Dorfbewohner, ob sie es für
möglich hielten, daß er (...) der Christus sei . Wörtlich lautete ihre
Frage: "Das kann nicht der Messias sein, oder?" Sie verlangte also eine
negative Antwort. Wahrscheinlich wählte sie diese Formulierung, weil sie
wußte, daß die Leute auf die entschiedene Versicherung einer Frau - vor
allem einer Frau mit ihrem Ruf - kaum wohlwollend reagieren würden. Wie
Jesus zuvor ihre Neugier geweckt hatte, stachelte nun auch sie die
Neugier der anderen an, und sie beschlossen, der Sache selbst
nachzugehen. Joh 4,31-32 Als die Jünger dann mit Jesus sprachen, merkten
sie, daß etwas geschehen war. Bevor sie ihn verlassen hatten, war er
müde und durstig gewesen, doch jetzt hatte er kein Interesse mehr an
Speise und Trank. Seine Stimmung hatte sich geändert. Sie boten ihm
Essen an, doch er lehrte sie: Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr
nicht wißt - wieder eine seiner rätselhaften Aussagen. Joh 4,33-34 Das Unverständnis der Jünger gab Jesus
Gelegenheit, ihnen seine Worte zu erklären. Wie gewöhnlich hatten sie
nur ans Materielle gedacht. Doch Jesus sprach: Meine Speise ist die, daß
ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat . Das bedeutet nicht
etwa, daß Jesus keine physische Nahrung brauchte, sondern besagt
vielmehr, daß es seine größte Leidenschaft und sein sehnlichster Wunsch
war, den Willen Gottes zu tun (vgl. Joh 5,30; Joh 8,29 ). Jesus wußte,
daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern "von einem jeglichen
Wort, das aus dem Mund des Herrn kommt" ( 5Mo 8,3 ). Das Geistige hat
Vorrang vor dem Materiellen. Das Werk des Vaters muß getan werden
(vgl. Joh 17,4 ) - dieser Gedanke füllte Jesus ganz aus. Joh 4,35 In der Landwirtschaft ist zwischen dem Aussäen
und dem Ernten eine Zeit des Wartens vorgesehen. "Es sind noch vier
Monate, dann kommt die Ernte" war vielleicht ein Sprichwort, das den
Menschen damals vertraut war. Doch in geistlicher Hinsicht gab es kein
langes Warten mehr. Jesus war gekommen und damit die Zeit der
Entscheidung. Alles, was den Menschen fehlte, waren die Einsicht und die
richtige Perspektive. Wie groß ihr Bedürfnis nach geistlicher
Neuorientierung war, hätte den Jüngern ein Blick in die Runde gezeigt.
Die Samariter, die sich in ihrer weißen Kleidung vom Dorf her näherten
(V. 30 ), ähnelten vom optischen Eindruck her vielleicht einem Feld,
das reif zur Ernte war. Joh 4,36-38 Als diejenigen, die berufen waren zu ernten,
besaßen die Jünger das große und lohnende Privileg, die Menschen zum
Glauben an Christus zu führen. Andere haben bereits gearbeitet , d. h.
gesät. Das bezieht sich möglicherweise auf die alttestamentlichen
Propheten oder auch auf Johannes den Täufer, der Jesus den Weg
bereitete. Beide Arbeiter - der da sät und der da erntet - werden ihren
Lohn erhalten. Wer erntet, (...) sammelt Frucht zum ewigen Leben , d.
h., Jesu Jünger waren in einem Dienst für andere tätig, in dem es für
diese anderen um Leben und Tod ging ( 2Kor 2,15-16 ). Die Erntezeit war in der Alten Welt eine Zeit der
Freude ( Rt 3,2.7; Jes 9,2 ). Auch zur Zeit des Heils wird große Freude
sein (vgl. Lk 15,7.10.32 ). Die Jünger erlebten die noch größere Freude,
Augenzeugen der Vollendung dieses Prozesses zu sein ( Joh 4,38 ). Wer
sät, ist weiter von dieser Freude entfernt, weil er die unmittelbare
Erfüllung nicht vor Augen hat. Johannes der Täufer rief das Volk zur
Buße auf, doch er starb noch vor Pfingsten, als die Jünger zu ihrer
großen Freude sahen, daß Tausende zum Glauben an Jesus fanden. c. Die Reue der Samariterin ( 4,39 - 42 ) Joh 4,39 Die kleine Erweckungsbewegung unter
den Samaritern , die aus dem Erlebnis der Frau erwuchs, ist insofern
bemerkenswert, als das Thema der Ablehnung Jesu durch das jüdische Volk
( Joh 1,11 ) bereits angeklungen war und auch schon ein Hinweis auf die
umfassende Tragweite der Aufgabe Jesu ( Joh 3,16; vgl. Apg 1,8 )
erfolgte. Das Zeugnis der Frau war, obwohl in gewisser Hinsicht unnötig
("ich aber nehme nicht Zeugnis von einem Menschen"; Joh 5,34 ), doch
sehr wirksam. Jesu Kenntnis des menschlichen Herzens und sein Wissen um
das Leben des einzelnen waren ein Beweis für seine Gottheit ( Ps 139;
Joh 1,47-49;2,24-25 ). Joh 4,40-41 Das Bekenntnis der Frau führte zu einer
persönlichen Begegnung der Samariter mit Jesus. Er blieb zwei Tage bei
ihnen. Das Wort "blieb" (von meno , "bleiben, festhalten") ist einer von
Johannes' theologischen Lieblingsbegriffen (vgl. Joh
3,36;6,56;15,4-7; usw; und den Kommentar zu Joh 1,39 ). Und noch viel
mehr glaubten um seines Wortes willen . Ihr Glaube gründete sich auf
seine Botschaft. Noch heute sind das persönliche Zeugnis der Menschen
und die Botschaft von Jesus Gottes Werkzeug der Rettung. Joh 4,42 : Ein
Glaube, der sich nur auf das Zeugnis anderer stützt, ist zweitrangig.
Wahrer Glaube dringt zu eigener Erfahrung und persönlicher Begegnung mit
Jesus vor: Wir haben selber gehört. Daß Jesus der Welt Heiland ist,
bedeutet nicht, daß jeder gerettet wird (Universalismus), sondern, daß
sein Licht für alle Menschen scheint ( Joh 1,9 ). Das Licht ist nicht
nur zum Volk Israel gekommen, sondern zu "allen Nationen und Stämmen und
Völkern und Sprachen" ( Offb 7,9 ). 9. Der Sohn des königlichen Beamten ( 4,43 - 54 ) Joh 4,43-45 Nach dem zweitägigen Aufenthalt in Samarien
setzten Jesus und seine Jünger ihre Reise nach Galiläa fort. Denn er
selber, Jesus, bezeugte, daß ein Prophet daheim nichts gilt . Diese
sprichwörtliche Äußerung Jesu (vgl. Mt 13,57; Mk 6,4 ), die der
Evangelist in diesem Zusammenhang zitiert, ist schwer zu deuten. Ist mit
"daheim" nun Judäa oder Galiläa gemeint? Im allgemeinen standen ihm die
Galiläer wohlwollender gegenüber als die Judäer, doch auch sie
versuchten, ihn zu töten ( Lk 4,14-30 ). Wahrscheinlich wollte Johannes
seine Leser mit diesem Wort auf die kommende Verwerfung vorbereiten;
vielleicht wollte er sagen, daß Jesus trotz der freundlichen Aufnahme,
die ihm in Galiläa zuteil wurde, nicht wirklich akzeptiert wurde
(vgl. Joh 2,24-25;4,48 ). Die Menschen waren zwar von seiner Reinigung
des Tempels auf dem Fest ( Joh 2,13-22 ) und von seinen Wundern ( Joh
2,23 ) beeindruckt, doch ihr Enthusiasmus für den Heiler (vgl. Mk
5,21.24 b) war nicht immer auch ein Zeichen dafür, daß sie an ihn
glaubten ( Mk 6,1-6 ). Joh 4,46-47 Der Mann im Dienst des Königs wird nicht genauer
identifiziert. Er kann Heide, aber auch Jude gewesen sein, ein Hauptmann
oder kleinerer Beamter am Hof des Herodes. Wahrscheinlich war er Jude,
denn Jesus rechnet ihn zu den Menschen, die Zeichen und Wunder sehen
wollen (V. 48 ; vgl. 1Kor 1,22 ). Sein Sohn war krank , und sicherlich
hatte er bereits alle Mittel, die ihm zur Verfügung standen,
ausprobiert. Seine niedrige soziale Stellung und Geldmangel trieben ihn
von Kapernaum nach dem etwa 30 Kilometer entfernten Kana , in der
Hoffnung, daß der berühmte Heiler, von dem er gehört hatte, seinen Sohn
gesund machen könnte. Joh 4,48 Jesu scharfe Zurechtweisung ihm gegenüber war
notwendig. Ein Glaube, der nur auf wunderbaren Zeichen beruht, ist nicht
genug (vgl. 2,23-25 ). Viele ( ihr ) zögerten, an Jesus zu glauben, wenn
sie nicht Zeichen ( sEmeia ) und Wunder ( terata ) sahen. Der Glaube an
Jesus wird von allen gefordert, doch nicht alle dürfen Wunder sehen
(vgl. Mt 16,1-4; 1Kor 1,22 ). Joh 4,49 Aber der Mann war jetzt nicht in der Verfassung,
sich mit Jesus über theologische Dinge zu streiten. Er konnte nur noch
um Gnade bitten, denn sein Kind lag im Sterben. Joh 4,50 Jesu ruhige Antwort auf die verzweifelte Bitte
des Vaters führte die Wende herbei. Er sagte: "Geh hin, dein Sohn
lebt!" Wenn der Beamte wirklich glaubte, daß Jesus in Kapernaum etwas
bewirken konnte, so mußte er ihm auch hier in Kana glauben. Also glaubte
(er) Jesus und ging hin . Joh 4,51-53 Auf dem Rückweg dachte er wohl über all das nach,
was Jesus ihm gesagt hatte. Als ihm seine Knechte mit der Nachricht
entgegenkamen, daß sein Kind lebe, fragte er sie, wann es besser mit ihm
geworden war . Die Heilung war denn auch kein Zufall, sondern war genau
zu der Stunde geschehen, als Jesus ihm gesagt hatte, daß sein Kind leben
würde: zur siebenten Stunde , nach römischer Zeitrechnung um sieben Uhr
morgens. Von da an wuchs der Glaube des Mannes, und er glaubte mit
seinem ganzen Hause . Die Lehre dieses Zwischenfalls ist, daß Jesus auch
aus großer Entfernung Menschen vor dem Tod bewahren kann. Sein Wort
wirkt, wenn ihm nur geglaubt wird. Joh 4,54 : Die Zeichen in Galiläa
(die Verwandlung von Wasser in Wein [ Joh 2,1-11 ] und die Heilung des
Sohnes des königlichen Beamten) bewiesen, daß Jesus der Verheißene war.
Beide waren jedoch noch im Verborgenen geschehen. Das Wunder auf der
Hochzeit hatten nur die Jünger und ein paar Knechte bemerkt, und auch
die Heilung des Kindes drang nicht an die Öffentlichkeit. B. Jesu Kontroverse in Jerusalem ( Joh 5 ) 1. Die Heilung eines Gelähmten ( 5,1 - 15 ) Joh 5,1 Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog
hinauf nach Jerusalem . Dieses "Fest" wird nicht genauer bezeichnet (in
manchen Handschriften fehlt der Hinweis darauf sogar ganz), doch es ist
möglich, daß es sich um das Passafest handelte. Jesus nahm noch an drei
weiteren Passafesten teil ( Joh 2,23;6,4;11,55 ). Wahrscheinlich wollte
Johannes hier nur begründen, warum Jesus sich in Jerusalem aufhielt. Joh 5,2 Nördlich des Tempelbezirks befand sich ein Teich,
der heißt hebräisch Betesda (vgl. die Karte zur Lage des Teiches).
Ausgrabungen eines Brunnens in der Nähe des Schaftores haben fünf
Säulenhallen bzw. überdachte Hallen zutage gefördert, die die
Genauigkeit dieser Beschreibung bestätigen. Betesda bestand
genaugenommen aus zwei Brunnen, die direkt nebeneinander lagen. Joh 5,3 a Die vielen Kranken sind zugleich ein Bild für die
große geistliche Not in der Welt. Joh 5,3-4 (Joh 5,3b-4) In den frühesten Handschriften fehlen diese
Verse. Wahrscheinlich wurden sie später eingefügt als Erklärung, warum
das Wasser des Teiches sich "bewegte" (V. 7 ). Die Menschen glaubten,
daß in regelmäßigen Abständen ein Engel käme und das Wasser berühre.
Nach der Überlieferung sollte der erste, der danach hineinstieg, geheilt
werden. In der Bibel ist allerdings nirgendwo sonst von diesem
Aberglauben, einer Situation, die wohl jedesmal in einen für die meisten
Kranken sehr grausamen Wettkampf ausartete, die Rede. Keine einzige
Handschrift vor 400 n. Chr. enthält einen Hinweis darauf. Joh 5,5 Am Sabbat (V. 9 ) dieses Festes nun wandte Jesus
sich einem Menschen zu, der bereits seit achtunddreißig Jahren
krank war. Johannes sagt nicht, an welcher Krankheit er litt oder ob er
von Geburt an krank war. Auf jeden Fall war seine Lage aussichtslos. Joh 5,6 Das Wort vernahm bedeutet nicht, daß Jesus von
anderen erfuhr, daß der Mann schon so lange krank war, sondern daß er es
einfach wußte (im Griechischen gnous , "wissend"; vgl. Joh
1,48;2,24-25;4,18 ). Seine so seltsam klingende Frage " willst du gesund
werden? " diente dazu, die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu lenken
und seinen Willen und seine Hoffnung zu wecken. Das größte Problem in
geistlicher Hinsicht ist ja immer wieder, daß die Menschen entweder
nicht erkennen, daß sie krank sind (vgl. Jes 1,5-6; Lk 5,31 ), oder
nicht geheilt werden wollen. Meistens sind sie - zumindest für eine
Weile - ganz glücklich in ihrer Sünde. Joh 5,7 Der Mann antwortete, daß ihm nicht der Wunsch,
geheilt zu werden, fehle, sondern die Möglichkeit dazu, denn er
hatte keinen Menschen, der ihn in den Teich brachte, wenn das Wasser
sich bewegte . Er hatte es versucht, war jedoch immer zu spät gekommen. Joh 5,8 Da sprach Jesus zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett
und geh hin! Zugleich mit dem Aussprechen dieses Befehls wurde der Mann
in die Lage versetzt, ihm zu gehorchen. Wie bei dem toten Lazarus ( Joh
11,43 ) bewirkte Jesu Wort gleichzeitig auch seine Erfüllung - ein Bild
für die Bekehrung. In dem Menschen, der Gottes Forderung zu glauben
gehorcht, wirkt Gott durch sein Wort. Joh 5,9-10 In der sofortigen Heilung des Mannes trat Gottes
übernatürliche Macht zutage, denn er nahm sein Bett und ging hin . Die
so lange gelähmten Muskeln waren urplötzlich wieder voll funktionsfähig.
Schon Jesaja hatte prophezeit, daß die Lahmen in den Tagen des Messias
"springen (werden) wie ein Hirsch" ( Jes 35,1-7 ). Hier in Jerusalem
geschah nun das öffentliche Zeichen, daß der Messias gekommen war. Der Sabbat gab ständig Anlaß zu Streitigkeiten
zwischen Jesus und seinen theologischen Gegnern (vgl. Mk 2,23-3,4 ). Das
mosaische Gesetz verbot jegliche Arbeit am siebten Tag der Woche. Die
späteren jüdischen religiösen Machthaber fügten dem weitere,
außerordentlich komplizierte und beschwerliche Gesetze hinzu. Häufig
verschleierten diese menschlichen Überlieferungen die ursprüngliche
Absicht, die den Geboten Gottes zugrunde lag. "Der Sabbat ist um des
Menschen willen gemacht" ( Mk 2,27 ), an diesem Tag soll er sich
ausruhen und Zeit zum Gottesdienst und zur Freude haben. Die strengen
Traditionen der Juden (nicht etwa das Alte Testament) schrieben vor,
daß, wer an einem Sabbat etwas aus einem bestimmten Zweck von einem
öffentlichen an einen privaten Ort beförderte, zu steinigen sei. Der
Mann, den Jesus soeben geheilt hatte, war also in Gefahr, sein Leben zu
verlieren. Joh 5,11 Der Geheilte wußte das jedoch und kam dem
Vorwurf, die Tradition verletzt zu haben, zuvor, indem er sagte, daß er
nur einen Befehl ausgeführt habe. Joh 5,12-13 Natürlich waren die Machthaber an der Identität
dieses Menschen, der dem Invaliden quasi befohlen hatte, ihre Regeln zu
übertreten, interessiert. Der aber gesund geworden war, wußte nicht, wer
es war ; es scheint sich hier also um eine Heilung gehandelt zu haben,
bei der der Glaube keine Rolle spielte. Der Gelähmte war von Jesus aus
Gnade erwählt worden, weil er in Not war und weil Jesus Gottes
Herrlichkeit an ihm erweisen wollte. Unmittelbar darauf war Jesus
entwichen, da so viel Volk an dem Ort war (vgl. Joh 8,59;10,39;12,36 ).
Daher wußte niemand, wer den Mann geheilt hatte. Joh 5,14-15 Später fand Jesus den Geheilten im Tempel . Das
Verb "finden" setzt voraus, daß er ihn suchte, weil er mit ihm sprechen
wollte. Doch der vormals Gelähmte schien Jesus nicht besonders dankbar
zu sein; sein Verhalten setzt ihn jedenfalls in ziemlich schlechtes
Licht. Jesu Warnung ( sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas
Schlimmeres widerfahre ) bedeutet nicht, daß die Lähmung durch eine
bestimmte Sünde hervorgerufen wurde (vgl. Joh 9,3 ), wenngleich alle
Krankheit und auch der Tod letztlich aus der Sünde kommen, sondern
sollte ihn darauf hinweisen, daß sein tragisches Leben - 38 Jahre der
Krankheit - nichts waren angesichts der Verdammung in der Hölle, die ihm
drohte, wenn er weiter sündigte. Jesus wollte nicht nur den Körper
heilen, weit wichtiger war ihm die Heilung der Seele. 2. Die Lehre Jesu ( 5,16-47 ) Joh 5,16 All dies hatte Jesus am Sabbat getan . Außer von
der Heilung des Gelähmten ( Joh 5,1-15 ) berichtet Johannes später noch
von der Heilung eines Blinden, die ebenfalls am Sabbat geschah ( Joh
9 ). Auch das Ährenraufen ( Mk 2,23-28 ), die Heilung des Mannes mit der
verdorrten Hand ( Mk 3,1-5 ), die Heilung der Frau, die 18 Jahre gelähmt
gewesen war ( Lk 13,10-17 ), und die Heilung des Wassersüchtigen ( Lk
14,1-6 ) fanden am Sabbat statt. Hier zeigt sich, daß Jesus eine völlig
andere Auffassung vom Sabbat hatte als seine Widersacher. Letzere mußten
im Laufe der Kontroversen immer häufiger Niederlagen einstecken, während
die Menge sich immer stärker Jesus zuwandte. Doch das führte lediglich
dazu, daß sie ihn nun verfolgten und zu töten versuchten ( Joh
5,16.18;7,19.25 ). Joh 5,17 Am siebten Tag ruhte Gott von seinem
Schöpfungswerk ( 1Mo 2,2-3 ). Doch Jesus wies zur Rechtfertigung dafür,
daß er am Sabbat heilte, auf das ständige Wirken Gottes hin. In jeder
Sekunde erhält Gott das Universum, bringt neues Leben hervor und sucht
die Menschen heim. Daher konnte es auch kein Unrecht sein, wenn sein
Sohn am Sabbat Werke der Gnade und Barmherzigkeit tat. Vor allem die
Worte mein Vater sind wichtig. Jesus sagte nicht "euer" oder wenigstens
"unser Vater". Der Anspruch auf Gottheit, der sich darin manifestierte,
entging seinen Gegnern nicht. Joh 5,18 Hatte bereits der Streit um den Sabbat genügt, um
den Haß der religiösen Machthaber gegen Jesus zu schüren, so konnten sie
seinen implizit zum Ausdruck gebrachten Anspruch, daß Gott sein
Vater sei, auf keinen Fall hinnehmen. Für die Juden ist Gott einer und
einzig, niemand kommt ihm gleich. Was Jesus hier behauptete, war deshalb
in ihren Augen eine ungeheuerliche Gotteslästerung. Wer behauptete, Gott
gleich zu sein, postulierte im Grunde genommen den Polytheismus. Die
anmaßende und arrogante Unabhängigkeit, die in dieser Aussage steckte,
war zutiefst zu verurteilen. Im Talmud wurden vier Menschen als
hochmütig gebrandmarkt, weil sie sich Gott gleichgesetzt hatten: der
heidnische Herrscher Hiram, Nebukadnezar, Pharao und der jüdische König
Joasch. Joh 5,19 Doch Jesus erklärte gleichzeitig, daß er
keinesfalls unabhängig vom Vater sei oder sich ihm widersetze. Er
tat nichts von sich aus . Der Vater hat den Sohn gesandt und leitet ihn.
Das Wirken des Sohnes ahmt das Wirken des Vaters nach, beide sind immer
zusammen am Werk. (Zu der Wendung wahrlich, wahrlich, ich sage euch vgl.
den Kommentar zu Joh 1,51 .) Joh 5,20 Der Sohn ist in nichts unabhängig vom Vater oder
lehnt sich gar gegen ihn auf. Sie sind in beständiger Liebe miteinander
verbunden. Der Sohn tut nicht einfach einen Teil von Gottes Willen; er
weiß um alles, was der Vater tut. Durch den Vater sollte Jesus noch weit
überraschendere Werke vollbringen, als es die Heilungen waren. Joh 5,21 Eines der Vorrechte der Gottheit ist die Macht
über Leben und Tod. (Ein König von Israel fragte Naaman: "Bin ich denn
Gott, daß ich töten und lebendig machen könnte?"; 2Kö 5,7 .) Zu den
größten Wundern ( Joh 5,20 ), die Jesus tat, zählte, daß er den Menschen
das Leben brachte. Der Sohn (macht) lebendig, welche er will - so wie er
auch aus der Menge der Kranken, die ihn umgaben, einen auswählte, um ihn
zu heilen. Zum Geschenk des Lebens gehören das geistliche (ewige) Leben
und der auferstandene Körper, wie die Auferweckung des Lazarus zeigt
( Joh 11 ). Joh 5,22 Die Macht des Sohnes, das Leben zu bringen, ist
allerdings auch unlösbar verbunden mit seinem Recht, die Menschheit zu
richten (vgl. V. 27 ). Der Vater hat sein eschatologisches Vorrecht in
Jesu Hände gelegt. Joh 5,23 Jesu Einheit mit seinem Vater ist so vollkommen,
daß die Ehre Gottes an ihn gebunden ist. Gott, den Sohn , zu verwerfen
oder ihm nicht die Ehre zu geben, heißt, Gott, den Vater , abzulehnen
oder zu mißachten. Joh 5,24 Da Jesus eins mit Gott ist und die göttlichen
Vorrechte, von denen in 19-23 die Rede war, besitzt, hat, wer seiner
Botschaft und seinem Vater vertraut, schon jetzt das ewige
Leben (vgl. Joh 3,36 ). Er wird am Ende der Zeit nicht dem Gericht
übergeben werden ("er wird nicht gerichtet"; vgl. Joh 3,18; Röm 6,13;
8,1 ), weil er schon jetzt aus demeinen Reich - dem Tod - in das andere
- das Leben - eingegangen ist (vgl. Eph 2,1.5 ). Nur noch ein einziges
Mal im Neuen Testament (in 1Joh 3,14 ) steht die Wendung "daß wir aus
dem Tode in das Leben gekommen sind". Joh 5,25 Jesu lebenschenkende Macht kann einen Menschen
vom Tod auferwecken ( Joh 11,43 ), alle, die in den Gräbern sind ( Joh
5,28-29 ), auferstehen lassen und einen jeden aus dem geistlichen Tod in
das ewige Leben (V. 24 ) berufen. (Die Worte es kommt die Stunde stehen
viermal im Johannesevangelium: Joh 4,21.23;5,25.28 .) Joh 5,26-27 Hier sprach Jesus nochmals von den beiden
wichtigsten Vorrechten, die ihm Gott übertragen hat: der Macht über
Leben und Tod (V. 21.24 - 26 ) und der Vollmacht zum Gericht (vgl.
V. 22.24 - 25.27 ). Beide besaß er, weil der Vater ... das Leben ... dem
Sohn ... gegeben hat. Das gilt für Zeit und Ewigkeit. Christus,
der Logos , besitzt in sich selbst das Leben als ewiges Geschenk seines
Vaters ( Joh 1,4 ), und in der Inkarnation wurde ihm zusätzlich die
Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten . Als
der Menschensohn (vgl. Dan 7,13 ) hat er also alle Vollmacht. Joh 5,28-29 Seine Hörer sollten sich nicht wundern , daß
diejenigen, die glauben, vom Tode zum Leben hindurchdringen (V. 24 ),
denn in der Zukunft werden alle auf sein Gebot hin auferstehen. Von
dieser universalen Auferstehung ist bereits in Dan 12,1 - 2 die Rede.
Andere Textstellen sprechen davon, daß die Auferstehung zum Leben, "die
erste Auferstehung", in Stufen vor sich gehen wird: die Gemeinde wird
entrückt werden, die Heiligen aus der Zeit der großen Trübsal werden
beim zweiten Kommen des Herrn am Ende dieser Zeit auferstehen. Die
Auferstehung derer, die gerichtet werden, wird dann am Ende des
Tausendjährigen Reiches erfolgen ( Offb 20,11-15 ). Joh 5,28-29 ist eine
der wenigen Stellen im Johannesevangelium, die einen ausdrücklich
eschatologischen Inhalt haben. Die Formulierungen "die Gutes getan
haben" und "die aber Böses getan haben" ( ta phaula , "nichtsnutzige
Dinge; vgl. Joh 3,20 ) mögen, für sich betrachtet, vielleicht zu der
Schlußfolgerung verführen, daß man durch "gute Werke" gerettet oder
aufgrund böser Taten verdammt wird, doch wenn man die johanneische
Theologie im Zusammenhang betrachtet, verbietet sich ein solcher Gedanke
(vgl. Joh 3,17-21;6,28-29 ). Die, die wirklich wiedergeboren sind, leben
ein anderes Leben. Sie gehorchen Gott ( Joh 14,15 ), sie verlassen sich
auf ihn ( Joh 15,5-7 ), und sie wandeln im Licht ( Joh 8,12; 1Joh 1,7 ).
Sie sind gerettet durch das Lamm Gottes, das stellvertretend für sie die
Strafe ihrer Sünde auf sich nimmt. Rettung bringt nur der Glaube an
Christus. Doch wer den Sohn Gottes verwirft, verfällt dem Gericht ( Joh
3,36 ). Joh 5,30 Dieser Vers bildet eine Überleitung; er
beschließt die Aussagen über die Einheit Jesu mit dem Vater (V. 19 -
30 ). Der Abschnitt endet, wie er begann: mit dem Hinweis, daß der
Sohn nichts von sich aus tut (vgl. V. 19 ). Das Gericht , das er halten
wird, geht, wie alles, was er tut, auf den ausdrücklichen Willen des
Vaters zurück. Er ist das Sprachrohr des Vaters, dessen Willen er
ausführt. Sein Wille ist es, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh
4,34;8,29 ) - ein Beweis dafür, daß er selbst göttlichen Wesens ist. Joh 5,31-32 Auf das Thema der Einheit Jesu mit dem Vater
folgt nun das Zeugnis des Vaters für Jesus. Dabei scheinen sich Joh
5,31 und Joh 8,14 zu widersprechen, in Wirklichkeit sprechen sie jedoch
nur von verschiedenen Dingen. In Joh 5,31 ging es Jesus darum, daß er,
wenn er für sich selbst zeugte, von den jüdischen Machthabern nicht
akzeptiert würde. Sie würden sein Zeugnis als anmaßende Selbsterhöhung
sehen. In einem anderen Umfeld ( 8, 14 ) ist sein Zeugnis für sich
selbst jedoch vollkommen gültig, da der Mensch selbst seine eigenen
Erfahrungen immer am besten kennt. Jesus versicherte, daß es ihm nicht
um unabhängige Selbstbestätigung ging. Er unterwarf sich dem Willen des
Vaters und ließ sich vom Vater bezeugen. Joh 5,33-34 Wie bereits erwähnt (vgl. Joh 1,7 ), spielt der
Begriff des "Zeugnisses" im Johannesevangelium eine wichtige Rolle (vgl.
dazu auch die Tabelle zum Begriff "Zeugnis"). So war es die Aufgabe Johannes' des Täufers,
Zeugnis zu geben. Ein guter Zeuge sagt die Wahrheit nach bestem Wissen
und Gewissen. Das Zeugnis des Täufers für Jesus ist unvergänglich ( hat
bezeugt ist im Griechischen Perfekt). Doch nicht Jesus bedurfte
des Zeugnisses von einem Menschen ; Johannes half damit vielmehr den
Menschen: Er wies ihnen, die in Finsternis lebten, das Licht, damit ihr
selig werdet . Die große Bewegung, die er im Volk hervorrief, war nur
eine antizipatorische, die auf Jesus als Lamm Gottes vorauswies. Joh 5,35 Johannes war nur ein brennendes und scheinendes
Licht , noch nicht das wahre Licht ( Joh 1,9 ). Für eine kleine
Weile wurde das jüdische Volk von ihm aufgerüttelt und freute sich an
seiner Botschaft. Eine kurze Zeitlang glaubten die Menschen, mit ihm sei
das messianische Zeitalter angebrochen. Obwohl seine Predigt in einigen
Punkten scharf mit ihnen ins Gericht ging, versetzte sie das Volk in
freudige Erregung. Israel wurde zwar zurechtgewiesen, doch die Menschen
hofften auch, daß nun die Feinde endlich vernichtet würden. Joh 5,36 Johannes der Täufer ließ zwar seine Stimme für
Gott erschallen, doch er tat keine Wunder ( Joh 10,41 ). Die "Zeichen"
waren besondere Werke, die zu vollbringen Gott allein dem Sohn
vorbehalten hatte. Bereits im Alten Testament waren diese Wunder
prophezeit worden ( Jes 35,5-6 ). Sie waren der Beweis, daß Gott mit
Jesus war und durch ihn wirkte (vgl. Nikodemus' Worte, Joh 3,2; Jesu
Ausführungen in Mk 3,23-29 und die Aussage eines vormals Blinden, Joh
9,30-33 ). Joh 5,37-38 Gott tritt als Zeuge für seinen Sohn auf. Der
Vater, der mich gesandt hat, hat von mir Zeugnis gegeben . Doch wann und
wie gab bzw. gibt der Vater Zeugnis vom Sohn? Hier sind anzuführen: (1)
bei Jesu Taufe ( Mt 3,17 ), (2) bei seiner Verklärung ( Mt 17,5 ), (3)
beim Einzug in Jerusalem ( Joh 12,28 ), (4) in Jesu Werken ( Joh 3,2 ),
(5) im Geist und Herzen der Menschen ( Joh 6,45 ). Höchstwahrscheinlich
bezog sich Jesus an dieser Stelle auf das innere Wirken Gottes, der den
Menschen bewußt macht, daß Jesus die Wahrheit ist ( Joh 6,45; 1Joh
5,9-12 ). Im Gegensatz dazu wissen Jesu Widersacher nichts von Gott. Sie
haben keine Vorstellung von ihm und wenden sich nicht an ihn. Sie
haben sein Wort , die Heilsbotschaft, nicht gehört ( habt ihr nicht in
euch wohnen [ menonta , von menO , "bleiben, bewahren"], weil sie Jesus
ablehnen. Joh 5,39-40 Die Domäne der jüdischen Religionsführer war das
Alte Testament. Sie glaubten, daß der, der die Worte dieses Buches
verstand, sich damit ein Anrecht auf die zukünftige Welt verschaffe. Wer
das Gesetz nicht kannte, lebte in ihren Augen unter einem Fluch ( Joh
7,49 ). Auch heute noch ist das Lesen in der Bibel für manche Menschen
Selbstzweck und nicht eine Möglichkeit, etwas über Gott und sein Wesen
zu erfahren. In gewisser Weise waren die Augen dieser jüdischen
Gelehrten gehalten ( 2Kor 3,15 ); sie sahen nicht, daß Jesus der
Verheißene war, die Erfüllung des alttestamentlichen Opfersystems, der
wahre, gerechte Gottesknecht, der kommende Prophet, der Menschensohn,
der davidische König und der verheißene Sohn Gottes und Hohepriester.
Trotz der Eindeutigkeit der Offenbarung weigerten sie sich, zu ihm zu
kommen und das Leben zu finden (vgl. Joh 3,19-20 ). Joh 5,41-42 Vielleicht dachten die Juden, daß Jesus darüber
aufgebracht war, daß er bei ihrer Führungsschicht keine offizielle
Anerkennung fand. Doch er bestritt das. Sie glaubten seine Motivation zu
kennen, doch es war vielmehr so, daß er sie und auch den Grund für ihren
Unglauben kannte (vgl. Joh 2,24-25 ): sie hatten nicht Gottes Liebe (d.
h. die Liebe zu Gott, nicht die Liebe von Gott) in sich. Das größte
Gebot aber lautet, Gott zu lieben ( 2Mo 20,4; 5Mo 6,5 ); die größte
Sünde ist es demgemäß, ihn abzulehnen und statt seiner "das Geschöpf" zu
lieben und ihm zu dienen ( Röm 1,25 ). Joh 5,43-44 An zwei Dingen zeigte sich die mangelnde Liebe
der Menschen zu Gott. (1) Sie lehnten Christus, den "Stellvertreter" des
Vaters, ab. Einen Botschafter zu schmähen oder zurückzuweisen ist eine
Zurückweisung dessen, der ihn gesandt hat. (2) Sie hörten auf falsche
Lehrer oder Propheten - ein Zeichen, daß sie keinen Bezug zur Wahrheit
hatten. Hinzu kam ihr Wunsch, von der Welt - den sündigen Menschen -
akzeptiert und anerkannt zu werden, während sie die Gnade und den Willen
des alleinigen Gottes ablehnten. Sie besaßen überhaupt nicht die
Fähigkeit zu wahrem Glauben, weil sie sich an der falschen Stelle
orientierten: an den Menschen, nicht an Gott. Joh 5,45-47 Jesus kam als Retter, nicht als Richter (vgl. Joh
3,17 ). Er wollte die Menschen nicht verklagen . Mose, dem sie angeblich
nachfolgten, hätte sie verurteilt, weil sie den Bund, den er geschlossen
hatte, gebrochen hatten und nicht auf den, von dem er ihnen gekündet
hatte, hörten. Die Wendung "auf den ihr hofft" impliziert, daß sie
glaubten, durch ihre "guten Werke", d. h. das Halten der Gebote,
gerettet zu werden. Doch wenn die Juden Mose wirklich geglaubt
hätten, hätten sie auch Christus geglaubt, denn Mose hatte über
ihn geschrieben . Damit bezog sich Jesus nicht auf einen bestimmten Text
im Alten Testament (vgl. 1Mo 3,15;22,18;49,10; 4Mo 24,17; 5Mo 18,15 )
oder auf ein bestimmtes Ereignis, einen Gegenstand oder eine Einrichtung
(wie z. B. das Passafest, das Manna, den Felsen, die Opfer oder die
Hohepriesterschaft). Da die Juden jedoch Moses Offenbarung abgelehnt
hatten (vgl. Lk 16,29-31 ), lehnten sie nun auch Jesu Worte ab. An einer
anderen Stelle führte Jesus auch Jesaja als alttestamentlichen Zeugen an
( Mt 13,14.15 ). C. Jesu Offenbarung in Galiläa ( 6,1 - 7,9 ) 1. Jesu Zeichen an Land und auf dem See ( 6,1 - 21 ) a. Die Speisung der Fünftausend ( 6,1 - 15 ) ( Mt 14,13-21; Mk 6,30-44; Lk
9,10-17 ) Die Speisung der Fünftausend ist neben der
Auferstehung Jesu das einzige Wundergeschehen, von dem in allen vier
Evangelien berichtet wird. Schon daran wird deutlich, wie wichtig es
war. Jesus selbst legte es in einer langen Rede aus (V. 22 - 55 ). Eine
der Folgen dieses spektakulären Wunders, das die messianischen
Erwartungen des Volkes erneut anheizte, war jedoch, daß sich viele der
Jünger danach von Jesus abwandten (V. 66 ). Joh 6,1-2 Die Zeitangabe danach ist zwar etwas ungenau,
doch wir wissen aus den synoptischen Evangelien, daß Herodes Antipas
inzwischen Johannes den Täufer hatte enthaupten lassen ( Mk
6,14-29; vgl. Joh 3,24 ), daß die Jünger in ganz Galiläa ausgesandt
worden waren und gepredigt hatten ( Mk 6,7-13.30-31 ), daß das Volk
neugierig auf Jesus geworden war und Herodes Antipas nach ihm suchte
( Lk 9,7-9 ). Der Zeitraum zwischen Joh 5 und Joh 6 beträgt also wohl
mindestens sechs Monate. Die beiden ersten Verse des sechsten Kapitels
scheinen darauf hinzudeuten, daß Jesus mit seinen Jüngern an das
Nordostufer des Galiläischen Meeres gegangen war, um sich dort zu
erholen. Dieser See, der See Genezareth, wurde auch See von
Tiberias genannt (vgl. Joh 21,1 ), nach einer Stadt an seinem Westufer,
die Herodes Antipas erbaut hatte. Doch auch dort, in der "einsamen, öden
Gegend" (vgl. Mt 14,13.15; Mk 6,32 ), sammelte sich viel Volk um Jesus. Joh 6,3-4 Die Erwähnung des Berges deutet vielleicht darauf
hin, daß Johannes hier eine Parallele zu Moses Erfahrung am Sinai
schaffen wollte (vgl. V. 31 - 32 ). Die Bemerkung, daß das Passa, das
Fest der Juden , nahe war, ist nur theologisch relevant und hat für die
Chronologie keinerlei Bedeutung. Die Menschen damals dachten in
Begriffen von Blut, Fleisch, Lämmern und ungesäuerten Broten. Sie
sehnten sich nach einem Messias, der sie aus der römischen Knechtschaft
erlöste. Da dies das zweite Passafest ist, von dem
Johannes spricht (vgl. Joh 2,13.23 ), und da er von mindestens noch
einem weiteren Passa berichtet ( Joh 13,1;5,1 bezieht sich auf ein nicht
näher bezeichnetes Fest der Juden), kann man schließen, daß Jesus
mindestens drei Jahre auf Erden wirkte. Die Ereignisse im sechsten
Kapitel fanden also etwa ein Jahr vor seiner Kreuzigung statt. Joh 6,5-6 Mit der Frage an Philippus: Wo kaufen wir Brot,
damit diese zu essen haben? , bat Jesus nicht wirklich um eine
Information; sie war vielmehr Teil seines "Erziehungsprogramms" für die
Jünger. Philippus stammte aus Betsaida ( Joh 1,44 ), der ihnen im Moment
nahegelegensten Stadt, und kannte die Gegend wohl am besten. Er
erwiderte, daß es unmöglich sei, so spät am Tag noch für Tausende von
Menschen in den kleinen umliegenden Dörfern etwas zu essen zu bekommen.
Johannes hält in seiner Rückschau auf dieses Ereignis fest, daß Jesus
Philippus mit seiner Frage nur prüfen wollte. Gott prüft die Menschen,
um ihren Glauben zu stärken, nicht, um sie zum Bösen zu verführen
(vgl. 1Mo 22,1-18; 1Pet 1,7; Jak 1,2.13-15 ). Joh 6,7 Um alle satt zu bekommen, wäre sehr viel Geld
nötig gewesen: zweihundert Silbergroschen . Ein Silbergroschen (ein
Denar) war der Tageslohn eines Arbeiters - sie hätten also acht
Monatslöhne gebraucht. Selbst wenn in den Dörfern der Umgegend genügend
Brot vorhanden gewesen wäre, besaßen die Jünger doch nicht genügend
Geld, um es zu kaufen, denn sie waren auf das angewiesen, was die
Anhänger Jesu ihnen zukommen ließen (vgl. Mk 6,7-13 ). Joh 6,8-9 Im Gegensatz zu Philippus war Andreas gegangen,
um festzustellen, wieviel Nahrungsmittel die Menschen selbst beisteuern
konnten (vgl. Jesu Gebot, "geht hin und seht"; Mk 6,38 ). Doch sie
fanden nur fünf Brote und zwei Fische bei einem Jungen. Diese schlechte
Ausgangssituation bildete den Hintergrund für eine ganz besondere
Manifestation der Fürsorge und der Macht Jesu. Die Gerstenbrote erinnern
an die Speisung der 100 Männer durch den Propheten Elia, der damals 20
Gerstenbrote zur Verfügung hatte ( 2Kö 4,42-44 ). Doch hier war einer,
der weit größer war als Elia. Joh 6,10-11 Als der gute Hirte ließ Jesus die "Schafe" ( Mk
6,34 ) sich auf grünen Weiden lagern (vgl. Ps 23,2 ). Nach Mk
6,40 bildeten die Menschen Gruppen von je 50 und 100 Personen. Dadurch
waren sie leicht zu zählen, und das Essen konnte bequem verteilt werden.
Es waren fünftausend Männer , dazu Frauen und Kinder ( Mt 14,21 ); also
wurden wahrscheinlich über zehntausend Menschen gespeist. Die öde Gegend und die Zeit - es war Passa -
erinnert an den Aufenthalt Israels mit Mose in der Wüste, wo das Volk
ebenfalls auf ein Wunder angewiesen war, um zu überleben. Wie das Wunder
selbst vonstatten ging, beschreibt Johannes nicht. Jesus dankte ,ohne
daß damit jedoch irgendwelche eucharistischen Implikationen verbunden
gewesen wären. Bei frommen Juden war es üblich, vor und nach den
Mahlzeiten zu danken. Die wunderbare Vermehrung fand statt, als Jesus
die Brote (mit Hilfe der Jünger; Mk 6,41 ) austeilte. Joh 6,12-13 Die Worte "als sie aber satt waren" machen
deutlich, daß Johannes ausdrücklich unterstreichen wollte, daß hier ein
Wunder geschehen war. Manche Exegeten versuchen, dieses Wunder
"wegzuerklären"; ihrer Ansicht nach handelte es sich lediglich um ein
Opfermahl oder ein symbolisches Mahl. Wieder andere meinen, daß das
eigentliche Wunder darin bestand, daß die Menschen bereit waren, ihre
mitgebrachten Vorräte zu teilen. Diese rationalen Erklärungen haben
jedoch nichts mit der eindeutigen Aussage des Evangelisten zu tun. Auch das Einsammeln der zwölf Körbe
übriggebliebener Brocken durch die Jünger war quasi eine
"Erziehungsmaßnahme", die ihnen vor Augen führen sollte, daß Jesus mehr
als angemessen für sie sorgen konnte. Wie andernorts (vgl. Mk 8,17-21 )
versuchte er auch hier, sie aus ihrer geistlichen Stumpfheit zu reißen.
Obwohl die Jünger Jesus näherstanden als das übrige Volk, waren auch sie
blind für seine Messianität ( Mk 6,52 ). Joh 6,14-15 Angesichts des Zeichens ( sEmeion ) der
Brotvermehrung erinnerten die Menschen sich an Moses Vorhersage, daß
ein Prophet , der ihm glich, in die Welt kommen sollte ( 5Mo 18,15 ).
Mose hatte dem Volk zu essen gegeben und es aus der Knechtschaft
geführt. Ebenso hatte Jesus den Menschen zu essen gegeben, und nun
hofften sie, daß er sie auch aus der Knechtschaft der verhaßten Römer
befreien würde. Die Menschen sahen das Zeichen, doch sie deuteten
es falsch. Sie versuchten, Jesus zu ergreifen, um ihn zum König zu
machen . Jesus stand hier auf dem Höhepunkt seiner Popularität - eine
große Versuchung für ihn. War es möglich, daß er das Gottesreich
errichtete, ohne zuvor am Kreuz zu sterben? Nein. Er würde das Reich aus
den Händen des Vaters empfangen (vgl. Ps 2,7-12; Dan 7,13-14 ), es würde
nicht von dieser Welt sein ( Joh 18,36 ). Der Weg des Vaters führte in
eine andere Richtung. Bevor Jesus zum herrschenden Löwen Judas werden
konnte, mußte er zum Lamm werden, das die Sünde der Welt trägt ( Joh
1,29 ). b. Jesus auf dem See ( 6,16 - 21 ) Joh 6,16-17 Nach Mk 6,45 forderte Jesus seine Jünger im
Anschluß an die Speisung der Fünftausend auf, mit dem Boot nach Betsaida
zu fahren, während er sich aus der Menge zurückzog. Von Betsaida aus
wollten sie dann nach Kapernaum gehen. Beide Dörfer liegen nördlich des
Sees Genezareth. Am Abend aber gingen seine Jünger hinab an den See (das
Land an der Ostseite ist hügelig und liegt höher als der See). Als sie
in See stachen, ging gerade die Sonne unter und Wind kam auf. Jesus war
noch oben in den Bergen und betete, doch er konnnte sehen, wie sie sich
abmühten ( Mk 6,45-48 ). Joh 6,18-19 Der Westwind, der dort häufig um die Abendzeit
aufkommt, trieb sie auf den See hinaus, wo sie kaum noch vorankamen,
obwohl sie sich "abplagten beim Rudern" ( Mk 6,48 ). Der See Genezareth
ist berüchtigt für seine plötzlichen, schweren Stürme. Als sie nun etwa
eine Stunde gerudert hatten , befanden sie sich mitten auf dem See .
Plötzlich sahen sie eine Gestalt, die sich auf dem See dem Boot näherte,
und fürchteten sich über die Maßen, denn sie hielten die Erscheinung für
ein Gespenst ( Mk 6,49 ). Zu den rationalen Erklärungen, die für dieses
Phänomen angeführt wurden, gehört auch die Theorie, daß Jesus auf dem
Sand an der Küste entlangging oder auf einem großen Balken oder
Baumstamm herantrieb, doch keine dieser Vermutungen wird dem Text
gerecht. Das Wunder geschah um die "vierte Nachtwache", also etwa
zwischen drei und sechs Uhr morgens ( Mt 14,25; Mk 6,48 ). Joh 6,20-21 Der Satz "Ich bin's" lautet wörtlich "Ich bin"
und wurde normalerweise von Jesus in theologischem Sinn benutzt
(vgl. Joh 8,58 ). Diesmal war er jedoch anscheinend lediglich als
Erkennungszeichen für die Jünger gedacht, die ihn daraufhin ins Boot
nahmen. Die Worte "und sogleich war das Boot am Land" , deuten
vielleicht auf ein weiteres Wunder hin. Die beiden Zeichen zu Land und
auf dem See offenbaren Jesus als "Beschaffer" des "Brotes", das Leben
gibt (wie der nächste Abschnitt erläutern wird) und als Retter, der für
sein Eigentum eintritt und es beschützt. In Zeiten der Not bringt er den
Menschen die Rettung. 2. Die Lehre ( 6,22 - 71 ) Joh 6,22-25 Die Volksmenge, die gespeist worden war, befand
sich noch immer am Ostufer des Sees. Die Menschen hatten gesehen, daß
Jesus seinen Jüngern gebot, ein am Ufer festgemachtes Boot zu besteigen.
Da er jedoch nicht mit einstieg, nahmen sie an, daß er in diesem Gebiet
bleiben wollte. Als sie kurz darauf sahen, daß er nicht mehr da war,
beschlossen sie, Jesus in der Gegend von Kapernaum zu suchen,
und stiegen in andere Boote, die von Tiberias kamen . Ihre Frage: Rabbi,
wann bist du hergekommen? , bildet nun die Einleitung für die lange
Rede, die Jesus in Kapernaum hielt (V. 59 ). Er erklärte ihnen jedoch
nicht, wann oder auf welche Weise er den See überquert hatte, denn sein
Wandeln auf dem See war ein nur für die Jünger bestimmtes Zeichen
gewesen. Joh 6,26 Jesus begann mit den feierlichen
Worten: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch (vgl. den Kommentar zu Joh
1,51 ), die er im Verlauf der Rede noch dreimal wiederholte ( Joh
6,32.47.53 ). Sie dienten jeweils dazu, die Aufmerksamkeit auf das
folgende zu lenken. Er warf seinen Zuhörern ihre materialistischen
Interessen und ihre mangelnde geistliche Einsicht vor. Sie hatten
bereits ein Zeichen gesehen, doch für sie zählte nur die bequeme
Mahlzeit, die sie dadurch erhielten. Ihnen fehlte der Blick für das, was
eigentlich geschehen war. Joh 6,27 Mit den Worten "schafft euch Speise, die nicht
vergänglich ist" wollte Jesus nicht etwa der Faulheit das Wort reden.
Doch er riet den Menschen, ihre Anstrengungen auf bleibende Dinge zu
richten. "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden
Wort, das aus dem Mund Gottes geht" ( Mt 4,4 ). Die Speise für den
Körper hält nur kurz vor, doch die unvergängliche Speise bleibt zum
ewigen Leben . Der Menschensohn (der Zugang zum Himmel hat; Joh 3,13 )
wird den Menschen diese "geistliche Speise" geben, denn Christus selbst
ist "das Brot des Lebens" ( Joh 6,35 ). Gott der Vater persönlich hatte
Jesu Aussage, daß er die wahre, himmlische "Speise" sei, bestätigt. Joh 6,28 Die Menschen erkannten, daß Jesus hier von einer
Forderung sprach, die Gott an sie stellte, und sie waren bereit, dieser
Forderung nachzukommen, wenn er ihnen sagte, was sie tun sollten. Sie
selbst glaubten, daß sie mit einem gottgefälligen Leben und guten Werken
das ewige Leben erwerben könnten (vgl. Röm 10,2-4 ). Joh 6,29 Was Jesus von ihnen verlangte, war jedoch ganz
genau das Gegenteil. Mit guten Werken konnten sie Gott nicht gefallen.
Es gibt nur ein Werk Gottes , d. h. nur eines, was Gott von den Menschen
fordert: Sie sollten an den glauben, den Gott gesandt hat . Weil sie
immer Sünder bleiben, können die Menschen Gott nie gefallen und sich
auch nicht mit guten Werken retten ( Eph 2,8-9; Tit 3,5 ). Statt dessen
verlangt Gott, daß sie ihre Unfähigkeit, sich selbst zu retten, einsehen
und seine Gabe annehmen ( Röm 6,23 ). Joh 6,30-31 Auf diese Worte hin forderten die Anwesenden ein
Zeichen ( sEmeion ; vgl. "die Juden fordern Zeichen"; 1Kor 1,22 ) von
Jesus. Sie waren der Ansicht, daß man erst seh en und dann glauben muß,
doch in der göttlichen Reihenfolge kommt der Glaube vor dem Sehen
(vgl. Joh 11,40 ). Obwohl die Menschen weder Glaubennoch geistliche
Einsicht besaßen, spürten sie doch, daß Jesus hier von etwas Neuem zu
ihnen sprach. Ihnen war gesagt worden, daß das Kommen Jesu ein
Fortschritt gegenüber Mose bedeute. Daher argumentierten sie nun: "Wenn
du mehr als Mose bist, dann tue auch mehr als er." Anscheinend hielt die
Menge die Speisung der Fünftausend für geringer als das Werk Moses, der
ihnen Brot vom Himmel gegeben hatte. Sie dachten dabei an das Manna ,
das Gott ihnen in der Wüste gegeben ( 2Mo 16; 4Mo 11,7 ) und von dem ein
ganzes Volk vierzig Jahre lang gelebt hatte, während Jesus ja nur
Fünftausend gespeist hatte. Dabei übersahen sie zweierlei. Erstens:
Viele der Israeliten, die vierzig Jahre lang gespeist worden waren,
hatten nicht geglaubt. Entscheidend ist also nicht die Größe des
Wunders, sondern ob die Menschen seine Bedeutung erkennen (vgl. Lk
16,29-31 ). Zweitens: Sowohl Mose als auch Jesus waren von Gott durch
Zeichen bestätigt worden; daher sollte auf beide gehört
und beiden geglaubt werden. Joh 6,32 Abermals mit der feierlichen Einleitung
( wahrlich, wahrlich, ich sage euch ; vgl. V. 26.47.53 ) korrigierte
Jesus ihre irrigen Vorstellungen mit drei Argumenten. (1) Der Vater,
nicht Mose , hatte ihnen das Manna gegeben. (2) Der Vater gab ihnen auch
jetzt noch zu essen. (3) Das wahre Brot vom Himmel ist Jesus (Jesus
hatte wiederholt gesagt, daß er vom Himmel gekommen sei; V. 32 -
33.38.41 - 42.50 - 51.58 ), nicht das Manna. Vor diesem Hintergrund
bedeutet die angebliche Überlegenheit von Mose und des Zeichens, das er
gab, nichts mehr. Manna war Speise für den Körper, und als solche
notwendig und nützlich. Doch in Jesus zeigte sich Gottes Sorge für den
Menschen in seiner Ganzheit. Joh 6,33 Gott ist die Quelle allen Lebens. Der Sohn, der
dieses Leben in sich hat ( Joh 1,4;5,26 ), ist gekommen, um den Menschen
das wahre und bleibende Leben zu bringen. Die Sünde entfernt die
Menschen von Gott, der das Leben ist, und sie sterben - an Leib, Seele
und Geist. Christus aber ist vom Himmel gekommen, um der Welt das Leben
zu geben . Daher ist Jesus das wahre Brot vom Himmel . Joh 6,34 Doch die Menschen verstanden auch jetzt noch
nicht, daß Jesus das wahre Brot war. Wie die Frau am Brunnen ( Joh
4,15 ) baten sie ihn um diese bessere Speise, von der er gesprochen
hatte. Sie wollten es für immer (allezeit) haben, nicht wie das Manna
nur vierzig Jahre lang. Joh 6,35 Ich bin das Brot des Lebens . Hier werden zwei
weitere Irrtümer im Denken der Menschen richtiggestellt: (1) Die Speise,
von der Jesus sprach, bezog sich auf eine Person, nicht eine Ware. (2)
Wer erst einmal die richtige Beziehung zu Jesus hergestellt hat, wird
für immer, nicht nur für eine gewisse Zeit, zufrieden sein. Diese "Ich
bin"-Aussage bildet die erste einer Reihe von "Ich bin"-Offenbarungen
(vgl. Joh 8,12;10,7.9.11.14;11,25;14,6;15,1.5 ). Das "Brot des Lebens"
ist "Brot, das Leben gibt". Jesus ist die "Speise", die die Menschen
brauchen. In der heutigen Zeit im westlichen Abendland können wir meist
frei wählen, ob wir neben all den anderen Nahrungsmitteln, die uns zur
Verfügung stehen, auch noch Brot essen, doch in damaliger Zeit war Brot
ein unverzichtbarer Bestandteil der Mahlzeiten. Jesus versprach: Wer zu
mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird
nimmermehr dürsten. Das "nicht" und das "nimmermehr" sind im
Griechischen betont. Joh 6,36 Dann tadelte Jesus die Menge für ihren fehlenden
Glauben. Sie hatten das große Vorrecht, ihn zu sehen, und glaubten doch
nicht . Auch Sehen führt also nicht zwangsläufig zum Glauben (vgl.
V. 30 ). Joh 6,37 Schließlich erklärte ihnen Jesus noch, warum sie
nicht an ihn glaubten: Der Vater wirkt im Leben der Menschen. Die
Auswahl, die er trifft, ist sein Geschenk an den Sohn. Der Sohn muß sich
nicht sorgen, daß sein Werk vergebens sein wird, denn der Vater wird die
Menschen befähigen, zu Jesus zu kommen. Jesus hat Vertrauen, doch auch
die Menschen müssen Vertrauen haben. (Vgl. die Anwort des Gelähmten auf
Jesu Frage: "Willst du gesund werden?" Joh 5,6-9 .) Wer zu Jesus kommt,
um gerettet zu werden, wird unter keinen Umständen hinausgestoßen werden
(vgl. Joh 6,39 ). Joh 6,38-39 Danach wiederholte er, daß er vom Himmel gekommen
sei, weil er den Willen dessen, der ihn gesandt hat , tun wollte. Der
Wille des Vaters aber ist, daß von denen, die er dem Sohn gibt, nicht
ein einziger verloren geht, sondern daß sie alle auferweckt werden am
Jüngsten Tage (vgl. V. 40.44.54 ). In diesem Abschnitt geht es vor allem
darum, daß die Gläubigen für immer gerettet sind. Joh 6,40 Diese Verse wiederholen und bekräftigen das zuvor
Gesagte nochmals. Wer sieht und glaubt , daß Jesus ihn retten wird, der
ist gerettet. Der göttliche Ratschluß hat das bestätigt (vgl. Röm
8,28-30 ). Er besitzt das ewige Leben ( Joh 6,47.50-51.54.58 ) und wird
am Jüngsten Tag auferweckt werden (vgl. V. 39.44.54 ). Joh 6,41-42 Die ihm feindlich gesinnten, ungläubigen Juden
aber nahmen Anstoß daran, daß Jesus behauptet hatte, vom Himmel zu
kommen. Sie murrten über ihn, wie ihre Väter in der Wüste gemurrt hatten
( 2Mo 15,24;16,2.7.12;17,3; 4Mo 11,1;14,2.27 ). Dabei waren ihre
Überlegungen nicht ohne eine gewisse Logik: Ein Mensch, dessen Eltern
sie kannten, konnte nicht vom Himmel kommen (vgl. Mk 6,3; Lk 4,22 ).
Doch sie kannten Jesu wahre Herkunft und sein wahres Wesen nicht. Sie
sagten, er sei Josefs Sohn , aber sie wußten nichts über die
Jungfrauengeburt und die Inkarnation. Jesus war vom Himmel
herabgekommen, weil er der Logos war ( Joh 1,1.14 ). Joh 6,43-44 Jesus machte keinen Versuch, ihrer Unwissenheit
abzuhelfen. Er tadelte sie lediglich für ihr Murren und wies sie darauf
hin, daß Gott ständig bemüht sei, sie zu sich zu "ziehen", und ihnen
viele Lehrer gegeben hatte, die ihnen von ihm erzählten. Es steht den
Menschen deshalb nicht zu, über Gottes Tun zu richten. Ohne Gottes
klärende Hilfe wird jede Beurteilung des Boten Gottes sich als falsch
erweisen. Niemand kann zu Jesus kommen oder an ihn glauben ohne die
Hilfe des Vaters. Die Menschen sind so festgefahren im Treibsand der
Sünde und des Unglaubens, daß ihre Lage aussichtslos ist, es sei denn,
Gott selbst zieht sie heraus (vgl. V. 65 ). Und er zieht nicht nur
einige wenige heraus. Jesus sagte: "Ich (will) alle zu mir ziehen" ( 12,
32 ). Das heißt nicht, daß alle gerettet werden, sondern daß Griechen
(d. h. Heiden; Joh 12,20 ) ebenso gerettet werden werden wie Juden. Wer
gerettet ist, wird auch auferstehen (vgl. Joh 6,39-40 ). Joh 6,45 Zur Unterstützung seiner Lehre von der Rettung
durch die Gnade Gottes zitierte Jesus das Alte Testament. Das Zitat, das
er hier anführt - sie werden alle von Gott gelehrt sein - stammt aus den
Propheten, wahrscheinlich aus Jes 54,13 ,doch auch in Jer 31,34 findet
sich ein ähnlicher Gedanke. Dieses "Belehrtwerden" von Gott bezieht sich
auf Gottes Wirken im inneren Menschen, das ihn befähigt, die Wahrheit
über Jesus anzunehmen und ihm zu antworten. Wer es vom Vater hört und
lernt , der wird zu Jesus kommen und ihm glauben. Joh 6,46 Dieses geheime Wirken Gottes ist jedoch kein
mystisches Geschehen, durch das die Menschen direkt mit Gott in
Beziehung treten. Das Wissen über Gott kommt nur durch Jesus,
den Logos Gottes (vgl. Joh 1,18 ). Wenn jemand mit ihm konfrontiert
wird, seine Worte hört und seine Werke sieht, wirkt der Vater in ihm. Joh 6,47-48 In diesen beiden Versen faßte Jesus seine Lehre
zusammen. Sie ist abermals durch die Wendung "wahrlich, wahrlich, ich
sage euch" unterstrichen (vgl. auch V. 26.32.53 ). Die Verbform wer
glaubt ist im Griechischen ein Partizip Präsens - damit ist ausgedrückt,
daß derjenige, der bleibendes, festes, unerschütterliches Vertrauen in
Gott setzt, ein Gläubiger ist und das ewige Leben bereits jetzt, in der
Gegenwart, und für immer besitzt. Nochmals wiederholte Jesus: Ich bin
das Brot des Lebens (vgl. den Kommentar zu V. 35 ). Joh 6,49-50 Das Manna in der Wüste stillte nur ein einziges,
bestimmtes Bedürfnis. Es ermöglichte für begrenzte Zeit das physische
Überleben. Allmählich wurde es den Israeliten zuwider, und schließlich
starben sie. Jesus ist ein anderes Brot. Er ist vom Himmel und bringt
das Leben. Wer von diesem Brot ißt, wird nicht sterben . Joh 6,51 Was bedeutet es aber nun genau, Jesus,
das lebendige Brot , zu essen? Viele Exegeten sind der Ansicht, daß
Jesus damit auf das Herrenmahl anspielte. Tatsächlich läßt sich das hier
Gesagte durchaus auf seinen Tod und das Herrenmahl beziehen. Doch da das
letzte Abendmahl erst ein Jahr nach den in diesem Kapitel berichteten
Ereignissen stattfand, sollte das Essen seines Fleisches und das Trinken
seines Blutes an dieser Stelle nicht im Sinne eines Sakraments aufgefaßt
werden. Das "Essen" des lebendigen Brotes ist eine Redefigur, die, wie
die anderen Metaphern - zu ihm zu kommen (V. 35 ), auf ihn zu hören
(V. 45 ) und ihn zu sehen (V. 40 ) - einfach bedeutet, an Jesus zu
glauben. Von diesem Brot zu essen, heißt, ewig zu leben (vgl.
V. 40.47.50.54.58 ). Jesu Aussage über das Brot des Lebens wird noch
weiter ausgeführt: nicht nur der Vater gibt das Brot (Jesus), sondern
auch Jesus selbst gibt es den Menschen. Dieses Brot ist mein Fleisch,
das ich geben werde für das Leben der Welt . Der Opfertod des Lammes
Gottes bringt die Rettung ( Joh 1,29 ). Durch Jesu Tod gewann die Welt
das Leben. Joh 6,52 Wie so oft verstanden die Menschen auch diesmal
nicht, was Jesus sagte (vgl. Joh 2,20;3,4;4,15;6,32-34 ). Es entstand
eine heiße Debatte über den Sinn der Worte Jesu, die jedoch ganz auf der
materialistischen Ebene blieb. Sie fragten sich: "Wie kann der uns sein
Fleisch zu essen geben?" Joh 6,53-54 Die folgende Äußerung Jesu wird durch die zum
vierten Mal wiederholte Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage
euch" (vgl. V. 26.32.47 ) als besonders wichtig gekennzeichnet.
Exegeten, die an dieser Stelle bereits an die Einsetzung eines
Sakramentes denken, verstehen die Worte "wenn ihr nicht das Fleisch des
Menschensohns eßt und sein Blut trinkt" als Hinweis auf die Eucharistie.
Wie bereits gesagt, ist der grundlegende Einwand gegen diese These
historischer Natur: Jesus stiftete das Sakrament des Heiligen Abendmahls
erst ein Jahr später. Auch das "Trinken des Blutes" ist nur eine kühne
Redefigur. Die Juden kannten das Gebot, "daß ihr weder Fett noch Blut
esset" ( 3Mo 3,17; vgl. 3Mo 17,10-14 ). Und doch war das Blut das Mittel
der Versöhnung. Durch Blut konnte das Leben entsühnt werden ( 3Mo
17,11 ). Jesu Hörer müssen von diesen rätselhaften Worten schockiert und
völlig verwirrt gewesen sein. Diese Verwirrung löst sich jedoch, wenn
man versteht, daß Jesus hier von der Versöhnung sprach, die er durch
seinen Tod, durch die Hingabe seines Lebens für die, die ihm gehören,
erwirkte (vgl. Joh 6,63 ). Der Glaube an Christi Tod bringt das ewige
Leben (vgl. V. 40.47.50 - 51 ) und (später) die leibliche Auferstehung
(vgl. V. 39 - 40. 44 ). Joh 6,55 Wie gutes Essen und Trinken das physische Leben
erhalten, so erhält Jesus, die wahre (unvergängliche), geistliche Speise
und der geistliche Trank, das geistliche Leben derer, die ihm
nachfolgen. Sein Fleisch und sein Blut geben denen, die ihn annehmen,
das ewige Leben. Joh 6,56-57 Wer an Christus teilhat, erfreut sich einer
wechselseitigen, dauernden Beziehung zu ihm. Er bleibt ( menei ) in
Christus , und Christus bleibt in ihm . M enO ist einer der wichtigsten
theologischen Begriffe des Johannesevangeliums (vgl. den Kommentar
zu Joh 1,39 ). Der Vater "bleibt" im Sohn ( Joh 14,10 ), der Geist
"bleibt" auf Jesus ( Joh 1,32 ) und die Gläubigen "bleiben" in Jesus und
er in ihnen ( Joh 6,56;15,4 ). Dieses "bleiben" hat viele Implikationen.
So freut sich der Glaubende an der Vertrautheit mit Jesus und an der
Sicherheit, die er durch ihn hat. Wie Jesus das Leben vom Vater hat,
habendie Gläubigen das Leben um seinetwillen. Joh 6,58-59 Jesus hielt seine Rede über das Brot des Lebens
in der Synagoge in Kapernaum . Er predigte oft in jüdischen Synagogen,
wo die Männer Gelegenheit hatten, Schriftstellen auszulegen und
Ermahnungen anzubringen ( Mk 6,1-6; Lk 4,16-28; Apg 13,15-42 ). Die
damaligen jüdischen Gottesdienste waren nicht so formal wie die in den
heutigen traditionellen christlichen Kirchen; gewöhnlich waren es
"Laien", die predigten. In seiner Schlußfolgerung wiederholte Jesus
nochmals den Kernsatz seiner Auslegung des Manna-Wunders: Das Brot, das
Mose den Menschen verschaffte, bewirkte kein bleibendes Leben (das
Gesetz kann die Menschen nicht retten); erst in Jesus hat Gott das
echte, lebenspendende Brot vom Himmel gegeben; wer auf ihn vertraut,
besitzt das ewige Leben. Joh 6,60 Nun allmählich begannen die Menschen, Jesu Lehre
zu verstehen, doch sie konnten sie deshalb umso weniger annehmen. Nicht
nur die Jesus ohnehin feindlich gesonnenen jüdischen Machthaber, sondern
auch viele seiner Jünger aus Galiläa wandten sich enttäuscht von ihm ab.
Mit der Begeisterung des Volkes für Jesus als politischen Messias
(V. 15 ) war es vorbei. Sie mußten einsehen, daß er sie nicht von den
Römern befreien würde. Er war vielleicht ein großer Heiler, doch seine
Worte waren hart (d. h. streng). Wer kann sie hören , d. h. wer konnte
ihnen gehorchen? Wie konnte ihnen überhaupt jemand gerecht werden? Joh 6,61-62 Jesus kannte seine Hörer ( Joh 1,47;2,24-25; Joh
6,15 ). Als er merkte, daß seine Jünger murrten (vgl. V. 41 ), fragte er
sie, was sie ärgerte ( skandalizei ). Paulus schrieb später, daß der
gekreuzigte Messias den Juden ein "Ärgernis" ( skandalon ) sei ( 1Kor
1,23 ). Dasselbe gilt auch für das Auffahren des Menschensohnes. Doch
Jesu Verherrlichung ist seine Rechtfertigung vom Himmel her. Er wurde in
Niedrigkeit gekreuzigt, doch in Herrlichkeit auferweckt ( 1Kor 15,43 ). Joh 6,63 Nach seiner Himmelfahrt ließ Jesus den Menschen
den Heiligen Geist zurück ( Joh 7,38-39; Apg 1,8-9 ). Der Heilige
Geist , der in die Welt entsandt ist, macht die, die an ihn
glauben, lebendig (rettet sie). Ohne ihn sind die Menschen ( das
Fleisch ) nicht in der Lage, Jesus und sein Wirken zu verstehen ( Joh
3,6; 1Kor 2,14 ). Wenn die Menge seine Worte auch als "hart" empfand
( Joh 6,60 ), so sind sie in Wirklichkeit doch Geist und Leben . D. h.
Jesu Worte bewirken durch das Werk des Heiligen Geistes geistliches
Leben. Joh 6,64 Das Leben, das Jesus schenkt, muß im Glauben
empfangen werden. Sein Wort wirkt nicht "automatisch". Jesus wußte, wer
von denen, die ihm folgten, glaubte, und wer nicht. Auch darin
manifestierte sich sein übernatürliches Wissen (vgl. Joh
1,47;2,24-25;6,15 ). Joh 6,65 Jesus hatte gelehrt, daß die Menschen der Hilfe
Gottes bedürfen, um zum Glauben zu kommen (V. 44 ). Aus dieser Sicht ist
der Abfall so vieler Anhänger (V. 66 ) weniger überraschend. Die
Gläubigen, die bei Jesus bleiben, sind ein Beweis für das geheime Wirken
des Vaters; die ungläubige Menge dagegen ist der Beweis, daß "das
Fleisch nichts nütze ist" (V. 63 ). Joh 6,66 Jesu Ablehnung des Wunsches der Menge, ihn zum
politischen König zu machen, seine Forderung nach persönlichem Glauben,
seine Lehre der Versöhnung und seine Betonung der völligen Unfähigkeit
der Menschen, zum Heil zu gelangen, die die Rettung als alleiniges Werk
Gottes erscheinen ließ - das alles wirkte auf viele seiner Zuhörer wenig
verlockend. Sie gingen hinfort nicht mehr mit ihm (damit sind nicht die
zwölf Apostel gemeint, sondern ganz allgemein die, die ihm folgten; vgl.
V. 67 ). s Joh 6,67 Wollt ihr auch weggehen? Diese Frage sollte den
schwachen Glauben der Jünger stärken. Die Zwölf blieben nicht
unbeeindruckt von der Abwendung der vielen Menschen, und Jesus benutzte
die Gelegenheit, ihren Glauben zu vertiefen. Auch sie verstanden seine
Worte noch immer nicht ganz; das sollte ihnen erst nach der Auferstehung
möglich sein ( Joh 20,9 ). Joh 6,68-69 Petrus als Sprecher der Jünger bekannte seinen
Glauben an Jesus. Der Weg mochte schwierig sein, doch er war überzeugt,
daß Jesus die Worte des ewigen Lebens hatte. Wir haben geglaubt und
erkannt . Petrus war sicher, daß die Apostel ebenso wie er selbst Jesus
als den Heiligen Gottes anerkannten. Dieser Titel ist ungewöhnlich (nur
ein Dämon sprach Jesus noch so an; Mk 1,24 ). Er deutet auf Jesu
"Transzendentalität" ("der Heilige") und seine Eigenschaft als
Stellvertreter des Vaters (Gottes) hin, ist also ebenfalls ein
Messiastitel. Auch Petrus' Einsicht an dieser Stelle war das Werk des
Vaters (vgl. Mt 16,17 ). Joh 6,70-71 Dann fragte Jesus: "Habe ich nicht euch Zwölf
erwählt?" Das Johannesevangelium berichtet nicht über Jesu Berufung der
Jünger; es setzt voraus, daß die Leser darüber bereits aus den
synoptischen Evangelien oder aus der kirchlichen Überlieferung Bescheid
wissen (vgl. Mk 3,13-19 ). Die Erwählung machte sie jedoch noch nicht zu
Geretteten, sondern berief sie lediglich in den Dienst Jesu. Dieser
ergänzte daher: "Und einer von euch ist ein Teufel!" Im Lichte von Joh
13,2.27 war das Wirken Satans in Judas dasselbe, als ob Judas selbst ein
Teufel war. Dafür spricht auch der griechische Text in Vers 70 , der den
unbestimmten Artikel "ein" nicht enthält und daher auch mit "Einer von
euch ist Satan" (der Teufel) übersetzt werden kann. Daß Jesus bereits
alles über Judas (genannt Judas Iskariot nach seinem Vater Simon
Iskariot) wußte, war abermals ein Beispiel für seine Allwissenheit
(vgl. Joh 1,47;2,24-25;6,15.61 ). Hernach, in dem Raum, in dem sie das
Abendmahl zusammen feierten, sagte Jesus nochmals, daß einer der
Zwölf ihn verraten würde ( Joh 13,21 ). Der Evangelist Johannes
bezeichnete Judas als den, "der ihn verriet" ( Joh 18,5 ). Später
erinnerten sich die Jünger an die Vorhersage Jesu und wurden durch ihre
Erfüllung in ihrem Glauben bestärkt. Judas war letztlich eine tragische
Gestalt, er stand unter dem Einfluß Satans; dennoch war er
verantwortlich für das Böse, das er tat. 3. Das Wirken in Galiläa ( 7,1 - 9 ) Dieser Abschnitt ist die Vorbereitung für eine
weitere Konfrontation zwischen Jesus und seinen Widersachern in
Jerusalem. Sein Wirken in Galiläa, das keinerlei Aufsehen erregte,
verzögerte den bevorstehenden Konflikt nur. Joh 7,1 Danach ist ein ziemlich vager Ausdruck. Da die
Ereignisse, von denen im sechsten Kapitel die Rede war, kurz vor dem
Passafest im April stattfanden ( Joh 6,4 ) und inzwischen das
Laubhüttenfest im Oktober vor der Tür stand ( Joh 7,2 ), muß Jesus sich
etwa sechs Monate in Galiläa aufgehalten haben. Galiläa war sicherer für
ihn, weil seine Hauptfeinde, die ihm nach dem Leben trachteten, in
Judäa saßen. Joh 7,2 Das Laubhüttenfest war eines der drei großen
Feste der Juden, laut Josephus sogar das heiligste und größte ( Ant. 5.
4. 1). Auch Fest der Lese genannt, war es ein Erntedankfest. Fromme
Juden wohnten in dieser Zeit sieben Tage lang in mit Zweigen überdachten
Hütten, zur Erinnerung an Gottes Schutz während des Aufenthalts ihrer
Väter in der Wüste. Zugleich war das Fest ein Zeichen dafür, daß Gott
selbst unter seinem Volk Wohnung nahm. Joh 7,3 Jesu Brüder , Söhne von Maria und Josef, die nach
Jesus zur Welt gekommen waren, glaubten zu der Zeit noch nicht (vgl. Mk
3,21.31-35; Joh 7,5 ). Sie argumentierten ganz logisch, daß die
messianische Frage nicht in Galiläa gelöst werden konnte, da Jerusalem
die religiöse Hauptstadt war. Das populäre Laubhüttenfest wäre also der
richtige Zeitpunkt für Jesus gewesen, sich als Messias zu präsentieren.
Wenn er seine Macht in Judäa unter Beweis stellte, so dachten sie, wäre
es ihm vielleicht möglich, das verlorene Volk für sich zu gewinnen. Joh
7,4-5 : In ihren Augen war es höchst unvernünftig, daß Jesus seine
Herrlichkeit nicht offenbarte. Wenn er wirklich der war, der er zu sein
vorgab, so sagten sie, sollte er es auch öffentlich beweisen. Sie rieten
ihm, sich in all seiner Macht und Herrlichkeit zur Schau zu
stellen: Offenbare dich vor der Welt . Doch nach dem Willen Gottes
sollte die öffentliche Zurschaustellung des Messias am Kreuz, in der
Erniedrigung, erfolgen. Der Evangelist muß deshalb hinzufügen, daß auch
seine Brüder nicht an ihn glaubten (vgl. Joh 1,10-11;12,37 ). Die Nähe
zu Jesus, sei es im Rahmen der Familie oder als sein Jünger, macht noch
keinen Glauben. Joh 7,6-7 Jesus entgegnete auf ihr Ansinnen, daß seine Zeit
sich von der ihren unterschied. Ihr Kommen und Gehen hatte keinerlei
Folgen in der Welt; ihre Zeit war allewege. Er aber tat allezeit nur
das, was dem Vater gefiel, und richtete sich auch in diesem Punkt nach
dem Willen des Vaters. Die Zeit seiner öffentlichen Manifestation (das
Kreuz) war noch nicht da , eine Tatsache, auf die Johannes mehrere Male
hinweist ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ). Später begann Jesus sein Bittgebet
an den Vater unmittelbar vor der Kreuzigung mit den Worten: "Vater, die
Stunde ist da" ( Joh 17,1; vgl. Joh 12,32.27;13,1 ). Den Brüdern Jesu gegenüber verhielt die Welt sich
nicht feindlich, denn sie waren ein Teil von ihr ( die Welt kann euch
nicht hassen ). Doch Jesus haßte sie, weil er nicht aus ihr war. Er war
als das Licht gekommen und wies sie auf ihre Sünde und ihren Widerstand
gegen den Vater hin. Christus bezeugte, daß die Religionen, Programme,
Pläne und Werte der Welt böse ( ponEra ) sind. Nicht zuletzt deshalb
hielt er sich häufig verborgen, damit er lange genug am Leben blieb, um
den Willen des Vaters erfüllen zu können. Joh 7,8-9 Der Satz "ich will nicht hinaufgehen zu diesem
Fest" bezieht sich ganz eindeutig auf Vers 10 . In den meisten
griechischen Ausgaben des Neuen Testamentes wurde das Wörtchen "noch"
weggelassen, weil diese Lesart als unsicher gilt, doch von den
Handschriften her ist sie relativ gut bezeugt. Wenn Jesus wirklich nur
gesagt hätte, "ich will nicht hinaufgehen zu diesem Fest" (wie auch
Luther schreibt), könnte man auf die Idee kommen, daß er gelogen hätte,
weil er - laut Vers 10 - später doch noch ging. Doch wie auch immer,
fest steht, daß er hier einfach sagen wollte, daß er "noch nicht jetzt"
hinaufging, wie die Brüder verlangt hatten, sondern noch eine Zeitlang
in Galiläa blieb und dort tat, was ihm der Vater aufgetragen hatte. "Hinaufgehen" war hier sowohl geographisch
(Jerusalem liegt in den Bergen) als auch theologisch (zurückgehen zum
Vater) gemeint. D. Jesu Rückkehr nach Jerusalem und das erneute
Aufflammen der Feindseligkeiten ( 7,10 - 10,39 ) 1. Das Laubhüttenfest ( 7,10 - 8,59 ) a. Der Anfang des Festes ( 7,10 - 13 ) Joh 7,10 Aufgrund der Verschwörung gegen ihn (V. 1.25 )
betrat Jesus die Stadt heimlich, denn die Zeit für seine Offenbarung als
Messias (am Kreuz) war noch nicht gekommen. Joh 7,11-13 Während seine Feinde ihn suchten, um ihn zu
vernichten, debattierte das Volk über diesen kontroversen Lehrer. Der
Widerstand gegen ihn nahm zu. Ein großes Gemurmel (vgl. Joh 6,41.61 )
war zu hören. (Vgl. das Murren der Israeliten in der Wüste.) Der
Vorwurf, er verführe das Volk , hatte drohende Untertöne, denn darauf
stand nach dem Gesetz des Talmud die Todesstrafe durch Steinigung. Da
auf dem Fest nur Juden anwesend waren, war mit der Wendung "aus Furcht
vor den Juden" die Furcht der Menschen vor den religiösen Machthabern
gemeint. b. Jesus auf dem Fest ( 7,14 - 36 ) Joh 7,14-15 Die ersten drei Tage vergingen, ohne daß jemand
Jesus zu Gesicht bekam. Die Menschen fragten sich, ob er überhaupt noch
kommen und seinen Anspruch, der Messias zu sein, geltend machen werde.
Dann, mitten im Fest , begann er, im Tempel zu lehren. Als die
offiziellen religiösen Führer ihn hörten, verwunderten sie sich (vgl. Mk
1,22 ), denn das, was er sagte, war fundiert und wurde beredet
vorgetragen, obgleich Jesus niemals eine ihrer Rabbinerschulen besucht
hatte. Sie fragten sich, wie das möglich war. Joh 7,16-17 Die religiösen Führer gingen davon aus, daß
jeder, der sich in der Schrift auskannte, entweder in einer
traditionellen Schule studiert hatte oder Autodidakt war. Doch Jesu
Antwort wies ihnen noch einen dritten Weg. Seine Lehre war von dem, der
ihn gesandt hatte (vgl. Joh 12,49-50;14,11.24 ). Gott selbst hatte Jesus
gelehrt, und damit die Menschen Jesu Lehre verstehen konnten, mußte Gott
auch sie lehren ( Joh 6,45 ). Um Jesus richtig beurteilen zu können, muß
man bereit sein, Gottes Willen zu tun . Gottes Wille für die Menschen
aber ist Jesus, daher müssen sie an ihn glauben ( Joh 6,29 ). Der Glaube
ist die Voraussetzung für das Verständnis. Ohne Glauben ist es
unmöglich, Gott zu gefallen ( Hebr 11,6 ). Joh 7,18 Wenn Jesus Autodidakt ( von sich selbst
aus geredet hätte) oder ein Genie gewesen wäre, hätte sein Wirken eine
Selbsterhöhung bedeutet. So aber suchte er darin nicht seine eigene
Ehre . Die ursprüngliche Bestimmung der Menschen ist es, Gott zu
verherrlichen (seine Ehre zu suchen) und sich an ihm zu freuen. Jesus
tut und ist in jeder Hinsicht alles das, was die Menschen tun und sein
sollten. Alles, was er will, ist, den Vater angemessen zu vertreten
( Joh 1,18 ). Er ist wahrhaftig (d. h. zuverlässig; vgl. Joh 7,28;8,26 )
und ohne jede Ungerechtigkeit . Joh 7,19 Jesu Hörer prahlten mit dem
mosaischen Gesetz ( Joh 9,28 ), doch Jesus wandte sich gegen ihre
religiöse Überheblichkeit. Sie waren überzeugt, das Gesetz zu halten,
doch in Wirklichkeit waren ihre Herzen (Gedanken) böse ( Mk 7,6-7.20-22;
Mt 5,21-22 ). Jesus kannte sie ( Joh 2,24-25 ) und wußte, daß ihr Haß
sie bis zum Mord führen würde. Joh 7,20 Statt Buße zu tun, schmähten ihn die Menschen
jedoch und warfen ihm vor, er sei besessen . Dasselbe hatte das Volk
auch von Johannes dem Täufer gesagt ( Mt 11,18 ). Seinen Halbbrüdern
hatte Jesus erklärt, daß die Welt ihn hasse ( Joh 7,7 ), weil "das Licht
haßt, wer Böses tut" ( Joh 3,20 ). Ihn, den von Gott Gesandten, als
"besessen" zu bezeichnen, heißt, das Licht Finsternis zu nennen
(vgl. Joh 8,48.52;10,20 ). Die Menschen leugneten, daß sie ihn töten
wollten, obgleich sie vor noch nicht allzu langer Zeit den Versuch
gemacht hatten, eben dies zu tun ( Joh 5,18 ). (Vgl. Petrus, der
bestritt, daß er Jesus verleugnen würde; Mk 14,29 .) Joh 7,21-23 Das einzige Werk , auf das Jesus sich hier bezog,
war die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda, die er bei seinem
letzten Aufenthalt in Jerusalem vollbracht hatte ( Joh 5,1-18 ). Um
diese an einem Sabbat geschehene Tat entbrannte eine hitzige Debatte.
Die Beschneidung ist ein religiöser Ritus, der auf die Zeit
vor Mose zurückgeht. Abraham hatte sie als Zeichen des Bundes eingeführt
( 1Mo 17,9-14 ). Mose hatte die Beschneidung dann in das levitische
System, d. h. unter das Gesetz, aufgenommen. Bei ihm heißt es: "Und am
achten Tage soll man ihn beschneiden" ( 3Mo 12,3 ). Wenn nun dieser Tag
auf einen Sabbat fiel, geriet man automatisch in Widerspruch zu dem
Gebot, den Sabbat zu heiligen. Trotzdem führten die Juden auch am
Sabbat Beschneidungen durch. Sie hatten mithin keinen Grund, Jesus zu
zürnen. Joh 7,24 Ihr Problem war, daß sie die Schrift nur
oberflächlich verstanden. Sie stritten sich um Kleinigkeiten, daher
entging ihnen häufig das wesentliche (vgl. Mt 23,23; Joh 5,39-40 ). Ihr
Urteil war zu stark von dem bestimmt, was vor Augen lag. Demgegenüber
forderte Jesus sie nun auf, gerecht zu richten . Darin lag ein letzter
Aufruf zur Umkehr. Ihr mangelndes Begreifenrührte nicht zuletzt von
ihrer Feindseligkeit gegenüber dem Stellvertreter Gottes her. Sie lebten
in der Finsternis und gingen in die Irre. Joh 7,25-26 Einige der Jerusalemer Juden, die von der
Verschwörung gegen Jesus wußten, waren überrascht über diesen kühnen
öffentlichen Auftritt. Doch die Führer unternahmen nichts, obwohl sie es
angedroht hatten. Warum nicht? Waren sie anderen Sinnes geworden? Das
Volk war verwirrt über die mangelnde Konsequenz seiner religiösen
"Oberhirten". Die Menschen erwarteten, daß Jesus, wenn er ein Verführer
war, gefangengenommen wurde, oder daß er, wenn er der Messias war, in
seiner Messianität anerkannt wurde. Joh 7,27 Es herrschte allerdings die allgemeine Ansicht,
daß Jesus nur ein galiläischer Zimmermann aus Nazareth sei. Die Menschen
gingen davon aus, daß die Herkunft des Messias ( der Christus )
unbekannt bleiben würde. Wer das Evangelium liest, dem wird die Ironie,
die in dieser Fehleinschätzung liegt, sehr rasch klar. Jesus war weit
mehr als ein Galiläer; er war der Logos , in Bethlehem von einer
Jungfrau geboren. Da die Menschen jedoch Josef für seinen Vater hielten,
war seine Herkunft den meisten tatsächlich unbekannt. Joh 7,28-29 Daß Jesus die folgenden Worte rief , war das
Zeichen für eine feierliche Verkündigung (vgl. Joh 1,15;7,37;12,44 ). Er
reagierte damit auf das, was die Menschen von ihm zu wissen glaubten
( Joh 7,27 ). Seine Herkunft war vom Vater, der ihn gesandt hat und
wahrhaftig ("verläßlich"; vgl. V. 18 ; Joh 8,26 ) ist. Jesus kannte den
Vater, weil er von ihm abstammte ( Joh 1,1.14.18 ) und von ihm gesandt
war, seine Feinde aber kannten weder den Vater noch ihn ( Joh
1,18; vgl. Mt 11,27 ). Joh 7,30 Diese Unterstellung brachte die Jerusalemer
dermaßen auf, daß sie versuchten, Jesus zu ergreifen ( piazO ,
gefangennehmen; vgl. V. 32.44 ; Joh 8,20;10,39 ). Doch der Vater hatte
die Zeit und den Ort für das Offenbarwerden Jesu (seinen Tod)
festgesetzt, und bis dahin sollte alles, was geschah, nur diesem einen
Ziel dienen. Niemand legte Hand an ihn, denn der Vater schützte ihn vor
dem Zugriff seiner Feinde. Joh 7,31 Viele aus dem Volk kamen durch Jesu Worte aber
auch zum Glauben an ihn. Wer solche Zeichen tat, mußte etwas
Ungewöhnliches sein. Ganz sicher würde der Messias nicht mehr Wunder tun
können als dieser. Trotzdem war der Glaube der Menschen an Jesus als den
Messias noch sehr zögernd und tastend und enthielt noch nicht den
Gedanken an seinen Sühnetod. Joh 7,32 Da sich so viele aus dem Volk Jesus zuwandten,
sahen die Pharisäer als Wächter der jüdischen Tradition (vgl. den
Kommentar zu den Pharisäern bei Joh 1,24-25 ) ihre Lehren in Gefahr
(vgl. Mk 7,1-23 ). Ihnen war klar, daß bald etwas geschehen mußte.
Die Hohenpriester waren die obersten Priester. Ergreifen ist im
Griechischen dasselbe Wort ( piazO ) wie in Joh 7,30.44; 8,20 und Joh
10,39 . Joh 7,33 Während der Plan zur Gefangennahme Jesu
allmählich konkretere Formen annahm, fuhr Jesus fort zu lehren. Dem Volk
blieb nur noch eine kleine Zeit , um zu einer Entscheidung über ihn zu
kommen. Diese Zeitspanne war nicht von den Machthabern, sondern von Gott
gesetzt. Wenn Jesus seinen Auftrag in der Welt erfüllt hatte, würde er
zum Vater zurückkehren. Joh 7,34 Ihr werdet mich suchen war eine Prophezeiung, daß
das jüdische Volk sich nach dem Messias sehnen würde. Dieser Zustand ist
auch eingetreten, allerdings in Unkenntnis der Tatsache, daß in Jesus
der ersehnte (vgl. Sach 12,10-13; Offb 1,7 ) Messias bereits zur Welt
gekommen ist. Jetzt war die Gelegenheit da, sich für ihn zu
entscheiden, später würde es zu spät sein. Jesus fuhr auf in den Himmel,
wo die Ungläubigen nicht hinkommen können (vgl. Joh 8,21 ). Den
Menschen, die heute leben, ist die einzigartige Möglichkeit, den Messias
von Angesicht zu Angesicht zu sehen, nicht vergönnt. Joh 7,35 Doch wieder einmal waren Jesu Worte den Juden
(vgl. V. 15.31.41 - 42 )ein Rätsel. Wo konnte er hingehen, wo sie ihn
nicht fänden? Weil sie von der Erde waren, konnten sie nur irdische
Gedanken denken (vgl. Jes 55,8 ). Manche Juden hatten sich außerhalb
Palästinas, irgendwo im riesigen römischen Reich oder noch weiter
entfernt, angesiedelt; manche waren sogar bis nach Babylon gekommen. Sie
lebten in der Zerstreuung unter den Griechen . "Griechen" bedeutet hier
nicht nur Griechen oder griechisch Sprechende, sondern ganz allgemein
Nicht-Juden oder Heiden (vgl. "Griechen" und "Juden" in Kol 3,11 ). Die
Frage lautete also: "Wird Jesus die Heiden lehren ?" Ohne daß sie es
wußten, war ihre Frage eine Prophezeiung der weltweiten Ausbreitung des
Evangeliums nach Jesu Himmelfahrt. Joh 7,36 Da sie Jesus nicht verstanden hatten,
wiederholten sie ihre Frage nochmals. c. Der letzte Tag des Festes ( 7,37 - 52 ) Joh 7,37 Zu den Ritualen des Laubhüttenfestes gehörte
unter anderem eine jeden Tag stattfindende, feierliche Prozession vom
Tempel zum Gihonbrunnen. Dort füllte ein Priester einen goldenen
Henkelkrug mit Wasser, während der Chor Jes 12,3 sang. Dann kehrte der
Zug zum Altar zurück, und das Wasser wurde ausgegossen. Dieses Ritual
erinnerte an das Felsenwunder während Israels Aufenthalt in der Wüste
( 4Mo 20,8-11; Ps 78,15-16 ) und wies voraus auf die kommenden Tage des
Messias (vgl. Sach 14,8.16-19 ). Der siebte und letzte Tag des Festes
war gleichzeitig der höchste (vgl. 3Mo 23,36 ). An diesem Tag trat auch
Jesus auf . Er stand während seiner Ansprache, im Gegensatz zu der
üblichen Haltung der Rabbis, die sitzen blieben, wenn sie lehrten. Das
"Rufen" (vgl. Joh 1,15;7,28;12,44 ) war stets die Ankündigung einer
feierlichen Aussage. Sein Angebot "wen da dürstet, der komme zu mir und
trinke" war ein Heilsangebot (vgl. Joh 4,14;6,53-56 ). Joh 7,38 Ströme lebendigen Wassers werden von dem Leib
dessen fließen , der an Jesus glaubt. D. h., er wird eine ständige
Quelle der Zufriedenheit in sich haben, die ihm Leben spendet (vgl. Joh
4,14 ). Jesus fügte noch hinzu: wie die Schrift sagt , doch er
bezeichnete die Schriftstelle, an die er hier dachte, nicht genauer.
Vielleicht bezog er sich auf Ps 78,15-16 oder Sach 14,8 (vgl. Hes
47,1-12; Offb 22,1-2 ). Joh 7,39 Der Evangelist erklärt, daß das "lebendige
Wasser" (V. 38 ), von dem Jesus hier spricht, das kommende Geschenk des
Heiligen Geistes sei. Der Geist befriedigt das Bedürfnis des Glaubenden
nach Gott und erneuert, leitet und bevollmächtigt ihn. Die Wendung "denn
der Geist war noch nicht da" steht schon in den ältesten griechischen
Handschriften, darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht wörtlich
verstanden werden. Auch unter den Menschen des Alten Testaments hatte
der Geist bereits gewirkt. Jesus sprach hier von dem besonderen Werk der
Taufe, der Versiegelung und des Innewohnens des Geistes in den Menschen
des Kirchenzeitalters, das an Pfingsten begann ( Apg 1,5.8 ). Er
versprach, denen, die ihm nachfolgten, "den Geist zu senden" ( Joh
15,26;16,7 ). Daß dieser Geist "noch nicht da" war, bedeutete, daß er
noch nicht ständig in den Gläubigen Wohnung genommen hatte (vgl. Ps
51,11 ). Das geschah erst nach Jesu Verherrlichung , d. h. nach seinem
Tod, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. "Verherrlicht",
"Herrlichkeit" und "verherrlichen" sind wiederum Schlüsselwörter im
Johannesevangelium ( Joh
7,39;11,4;12,16.23.28;13,31-32;14,13;15,8;16,14;17,1.4-5.10 ). Joh 7,40-41 Das Volk stritt sich weiterhin über Jesu
Identität. Einige sahen in ihm den Propheten , den Mose angekündigt
hatte ( 5Mo 18,15.18 ). Tatsächlich war Jesus dieser verheißene Prophet
( Apg 3,22 ), doch viele erkannten ihn nicht an. Zwar hielten ihn manche
sogar für den Christus , d. h. den Messias, doch wieder andere
glaubtenes nicht, weil sie wußten, daß er aus Galiläa kam (vgl. Joh
7,52 ). Joh 7,42 Nach den Prophezeiungen bei Samuel und Jesaja
( 1Sam 7,16; Jes 11,1 ) sollte der Messias aus dem Geschlecht
Davids kommen. Micha sagte voraus, daß er in Bethlehem, wo David war,
geboren würde ( Mi 5,1 ). Jesus war aus dem Geschlecht Davids ( Mt
1,1-17; Lk 3,23-38; Röm 1,3 ), und er war auch in Bethlehem zur Welt
gekommen ( Mt 2,1-6 ), doch die Menschen übersahen diese Tatsachen. Joh 7,43-44 Da das Volk nach wie vor geteilter Meinung über
seine Person war, konnte Jesus seine Lehre fortsetzen, ohne sofort
gefangengenommen zu werden ( ergreifen , piazo, vgl. V. 30.32 ; Joh
8,20;10,39 ). Viele seiner Zuhörer waren ihm wohlgesonnen, wenn sie sich
auch nicht für die Nachfolge entschieden (vgl. Joh 7,12.31.40-41 ).
Seine Feinde mußten sich deshalb vorsehen, wenn sie keinen Aufstand
riskieren wollten. Eine Zeitlang legte daher niemand Hand an ihn . Auch
später kam es noch zweimal zu einer Spaltung der öffentlichen Meinung
über Jesus ( Joh 9,16;10,19-21 ). Joh 7,45-46 Die Knechte , die Jesus gefangennehmen sollten
(V. 32 ), kehrten unverrichteter Dinge zurück. Auf die Frage der
Hohenpriester und Phärisäer, warum sie ihn nicht mitgebracht hatten,
antworteten sie: Noch nie hat ein Mensch so geredet wie dieser .
Wörtlich lautete ihre Antwort: "Noch nie sprach ein solcher Mensch", was
darauf hindeutet, daß sogar diese Vollzugsbeamten das Ungewöhnliche, das
Jesus ausstrahlte, spürten und das Gefühl hatten, daß er mehr als ein
Mensch war. Die Evangelien zeigen Jesus häufig als höchst
beeindruckenden Lehrer und Redner (z. B. Mt 7,28-29;22,46 ). Er traf
zwar auf sehr viel Widerstand, doch viele, die ihn hörten, wurden
zutiefst von seinen Worten berührt (vgl. Joh 7,15;12,19 ). Joh 7,47-48 Die Frage der Pharisäer an die Wachen "glaubt
denn einer von den Oberen oder den Pharisäern an ihn?" war ein Beweis
für ihre intellektuelle Überheblichkeit. Sie hielten sich für zu
gebildet (V. 15 ), um einem Demagogen zu erliegen. Dabei glaubte eine
ganze Reihe der Oberen durchaus an Jesus ( Joh 12,42;19,38-39 ),
wenngleich die Führungsschicht im allgemeinen eifersüchtig auf seine
Beliebtheit beim Volk war ( alle Welt läuft ihm nach ; Joh 12,19 ). Joh 7,49 Sie führten diese Popularität auf die
Unwissenheit der Massen zurück, die nicht erkennen konnten, daß sie
getäuscht wurden. Nach Ansicht der Pharisäer kannte die Menge (das Volk)
das Gesetz nicht und konnte ihm daher auch nicht gehorchen. Da sie aber
dem Gesetz nicht gehorchten, waren diese einfachen Leute
zwangsläufig verflucht ( 5Mo 28,15 ). Die Ironie dieser Situation lag
darin, daß die Pharisäer, und nicht etwa das Volk, unter Gottes Zorn
standen, denn sie waren es, die seine Offenbarung in Jesus verworfen
hatten ( Joh 3,36 ). Joh 7,50-51 Das mosaische ( 5Mo 1,16-17 ) und das rabbinische
Gesetz legten fest, daß eine Person, die eines Verbrechens angeklagt
war, verhört wurde, bevor man über sie richtete. Hier tat sich vor allem
Nikodemus als ein um Gerechtigkeit bemühter Mann hervor, der verhindern
wollte, daß der Hohe Rat ein falsches oder übereiltes Urteil über Jesus
fällte. Er hatte persönlich mit ihm gesprochen und wußte, daß er von
Gott kam ( Joh 3,1-2; vgl. Joh 12,42;19,38-39 ). Joh 7,52 Obwohl Nikodemus ein vom Volk geachteter Lehrer
war ( Joh 3,10 ), wurde er wegen seiner ausgleichenden Haltung von den
Mitgliedern des Hohen Rats angegriffen. Ihre Vorurteile und ihr Haß
gegen Jesus waren bereits so groß, daß sie keinen Vernunftgründen mehr
zugänglich waren. Man warf Nikodemus vor, ebenso unwissend zu sein wie
die Galiläer. Aus Galiläa steht kein Prophet auf , hieß es, daher kann
auch der messianische Prophet nicht aus Galiläa kommen (vgl. Joh 7,41 ). Anmerkung zu Joh 7,53-8,11 : Joh 7,53-8,11 Fast alle Neutestamentler stimmen darin überein,
daß die folgenden Verse nicht zum ursprünglichen Manuskript des
Johannesevangeliums gehören. Auch in der Lutherausgabeist die Bemerkung
hinzugefügt: "Der Bericht Joh 7,53-8,11 ist in den ältesten Textzeugen
des Johannes-Evangeliums nicht enthalten." Stil und Vokabular dieses
Abschnitts unterscheiden sich vom übrigen Text des Evangeliums, außerdem
unterbricht er die Erzählung von Joh 7,52-8,12 .Möglicherweise handelt
es sich hier um eine mündliche Überlieferung, die dem griechischen
Manuskript später hinzugefügt wurde. Zu weiteren Ausführungen zu diesem
Problem vgl. den Anhang vor der Bibliographie zum Johannesevangelium. d. Jesus als das Licht der Welt ( 8,12 - 59 ) Ein wichtiger Bestandteil des Laubhüttenfestes
war das Anzünden riesiger Lampen im Frauenhof des Tempels (vgl. die
Skizze des Tempelbereichs). Die Dochte für die Kerzen wurden aus den
abgelegten Kleidungsstücken der Priester gefertigt. Ihr Licht erhellte
den gesamten Tempelbereich, wo die Menschen sich versammelten, um zu
beten und zu tanzen. Das Fest sollte die Juden daran erinnern, wie Gott
sie auf ihrer Wanderung durch die Wüste in einer Wolkensäule, die nachts
zur Feuersäule wurde, begleitet hatte ( 4Mo 9,15-23 ). Joh 8,12 Diese Rede ist die Fortsetzung der öffentlichen
Rede, die Jesus im Tempel in Jerusalem hielt. Sehr passend zum
Laubhüttenfest, an dem die großen Lampen brannten, sagte er: Ich bin das
Licht der Welt (vgl. Joh 1,4.9;12,35.46 ). Er sprach damit von der
Rettung der Welt. Die Welt lebte in Finsternis - ein Symbol für das
Böse, die Sünde und Unwissenheit ( Jes 9,2; Mt 4,16;27,45; Joh 3,19 ).
Das "Licht" ist in der Bibel ein Symbol Gottes und seiner Heiligkeit
( Apg 9,3; 1Joh 1,5 ). Jesus nun ist " das Licht" schlechthin, nicht nur
ein Licht bzw. ein Licht unter vielen. Er ist das einzige Licht, "das
wahre Licht" ( Joh 1,9 ) der ganzen Welt. Mit wer mir nachfolgt meinte
er die Gläubigen, alle, die ihm gehorchten (vgl. Joh
10,4-5.27;12,26;21,19-20.22 ). Zu Christus zu kommen, um gerettet zu werden,
heißt, von nun an ein anderes Leben zu führen. Ein Glaubender wird nicht
wandeln in der Finsternis , d. h., er wird nicht in der Finsternis leben
(vgl. Joh 12,46; 1Joh 1,6-7 ). Er steht nicht mehr unter der Herrschaft
des Bösen und der Unwissenheit ( Joh 12,46 ), denn Christus ist sein
Licht und sein Heil (vgl. Ps 36,10 ). Joh 8,13 Wieder erhoben die Pharisäer Einspruch. Da Jesus
hier als sein eigener Zeuge auftrat, behaupteten sie, sein Zeugnis sei
nicht wahr. Es stimmt, daß ein solches Selbstzeugnis in manchen Fällen
nicht akzeptiert werden kann. So verlangte das jüdische Gesetz bei
schweren Verbrechen zwei unabhängige Zeugen ( 5Mo 17,6; 5Mo 19,15; Joh
8,17 ). Auch in der rabbinischen Tradition hatte eine Aussage zu den
eigenen Gunsten keinen Wert. Joh 8,14 Manchmal ist ein solches Zeugnis jedoch der
einzige Weg zur Wahrheit, weil nur der Betreffende die Wahrheit über
sich selbst kennt. Für Gott kann nur Gott selbst Zeugnis ablegen. Auch
Jesus war qualifiziert, wahres Zeugnis über sich abzulegen, weil er
selbst Gott war und wußte, woher er kam und wohin er gehen würde ( Joh
7,29 ). Die Pharisäer glaubten zwar, Jesus zu kennen, doch in
Wirklichkeit wußten sie nichts über seine Herkunft vom Himmel und seine
Bestimmung (vgl. Joh 7,33-34 ) und waren daher keineswegs geeignet, über
ihn zu richten. Joh 8,15 Ihr Urteil richtete sich, wie Jesus sagte, nach
dem Fleisch , d. h., sie beschränkten sich auf das oberflächliche
Erscheinungsbild. Auch bei Jesus sahen sie nur das "Fleisch", die
irdische Erscheinung, nicht seine Gottheit, und gingen deshalb
verhängnisvoll in die Irre. Doch Jesus war nicht gekommen, um die
Menschen zu richten , sondern um sie zu retten ( Joh 3,17 ). Wenn er
richten wird - in der Zukunft - wird er auf der Grundlage der Wahrheit
und des Gesetzes den Willen des Vaters ausführen (vgl. Joh 5,27.45 ). Er
selbst wird niemand richten . Joh 8,16 Jesu Richteramt unterschied sich also vollkommen
von dem der Pharisäer. Sie steckten voller Vorurteile und
Wahrnehmungsfehler. Er aber richtet nicht von sich aus, sondern aufgrund
seiner einzigartigen Einheit mit dem Vater . So zeugte er auch nicht
allein für sich, sondern mit göttlicher Autorität. Joh 8,17-18 Die Wendung "in eurem Gesetz" bezieht sich
wahrscheinlich auf 5Mo 17,6 und 5Mo 19,15 (oder auch auf rabbinische
Vorschriften), nach denen eine Aussage jeweils von zwei Zeugen bestätigt
werden mußte. Jesus konnte jedoch nur von Gott bestätigt werden. Gott,
der Sohn, und Gott, der Vater, sind die beiden Zeugen, die notwendig
sind, um die Tatsache der Messianität Jesu zu bestätigen. Der Vater
sandte Jesus und legitimierte ihn durch die Zeichen (Wunder), die er
vollbrachte. Johannes Joh 8,19 Jesu Aussage, daß Gott sein Vater sei, war sehr
ungewöhnlich (vgl. Joh 5,18 ), und die Juden waren denn auch völlig
verwirrt von dieser vertrauten Anrede für einen Gott, dessen Namen sie
kaum auszusprechen wagten. Sie fragten: "Wo ist dein Vater?" Sprach
Jesus, wie es den Anschein hatte, von Gott, oder von seinem menschlichen
Vater? Ihre Unwissenheit in bezug auf Jesus offenbarte auch ihre
Unwissenheit in bezug auf Gott, denn Jesus war die Offenbarung des
Vaters (vgl. Joh 1,14.18;14,7.9 ). Joh 8,20 Diese Worte redete Jesus an dem Gotteskasten, als
er lehrte im Tempel . Jesus war einfach in den Tempel,
höchstwahrscheinlich in den Frauenhof (vgl. die Skizze bei Joh
8,12; vgl. Mk 12,41-42 ), gegangen und hatte begonnen, die Menschen zu
lehren. Und niemand ergriff ( piazO ) ihn (vgl. Joh 7,30.32.44;10,39 ),
denn, wie Johannes immer wieder hervorhebt, er richtete sich ganz nach
dem Willen und Zeitplan seines Vaters (vgl. Joh
2,4;7,6.30;12,23.27;13,1;17,1 ). Joh 8,21 Da die Zeit seines Aufenthalts auf der Erde kurz
war, war auch die Gelegenheit für die Menschen, zum Glauben an ihn zu
finden, begrenzt. Schon bald würde er zu seinem Vater zurückgehen, wohin
sie ihm nicht folgen konnten (vgl. Joh 7,33-34 ). Ihr werdet in eurer
Sünde sterben . Der Singular "Sünde" bezieht sich auf die Sünde, den,
der ihnen die Rettung bringen wollte, verworfen zu haben (vgl. Joh
16,9 ). Sie würden "sterben", weil sie weiterhin unter der Herrschaft
der Sünde lebten. Doch der physische Tod sollte nur das Vorspiel für die
ewige Trennung von Gott sein. Joh 8,22 Ihre Frage "will er sich denn selbst
töten?" beruhte auf einem Mißverständnis und war zugleich eine ironische
Prophezeiung. Sie fragten sich, ob Jesus vorhatte, Selbstmord zu begehen
und sich auf diese Weise ihrem Zugriff zu entziehen. (Zuvor hatten sie
gedacht, er spreche davon, zu den Heiden in andere Länder zu gehen und
sie zu lehren; Joh 7,35 .) Jesus tötete sich zwar nicht selbst, doch er
ließ sein Leben ( Joh 10,11.18 ). Joh 8,23 Wieder wies Jesus sie auf seine Herkunft vom
Himmel und auf sein wirkliches Zuhause hin ( von oben ... nicht von
dieser Welt ). Die Menschen gehörten in diese Welt ( von unten ), er
jedoch nicht. Joh 8,24 Zweimal sagte er ihnen, daß sie sterben werden in
ihren Sünden (vgl. diesen Plural mit dem Singular "Sünde" in V. 21 ).
Wenn sie den, der dieSünde auf sich nehmen wollte ( Joh 1,29 ),
ablehnten, würden sie unter der Herrschaft der Sünde bleiben und sich
ihrer einzigen Hoffnung auf Rettung berauben. Wenn ihr nicht glaubt, daß
ich es bin bezieht sich auf das rätselhafte "Ich bin", eine
Selbstaussage Gottes in ganz bestimmten Situationen (vgl. Jes
43,10-11 ,LXX). Joh 8,25 Diese "Ich bin"-Offenbarung Jesu verwirrte die
Juden jedoch nur noch mehr, und seine Worte über die Sünde ärgerten sie
vermutlich. Sie fragten ihn: Wer bist du denn? Und er antwortete: Zuerst
das, was ich euch auch sage. (In anderen Übersetzungen wurde aus diesem
problematischen griechischen Satz manchmal eine Frage oder auch ein
Ausruf gemacht.) Joh 8,26-27 Jesus hätte noch viel mehr sagen und seine
Zuhörer auch verurteilen können, doch er war gekommen, ihnen und der
Welt Nachricht von dem, der ihn gesandt hatte, zu bringen. Seine
Botschaft war wahr, weil der, von dem er sie gehört hat, wahrhaftig
ist (vgl. Joh 7,18.28 ). Der Evangelist fügt noch hinzu, daß die
Menschen nicht verstanden, daß er zu ihnen vom Vater sprach . Weil sie
nichts von Gott wußten, verstanden sie auch Jesus nicht (vgl. Joh
1,18 ). Joh 8,28 Im Moment war Jesus den Menschen noch unbekannt.
Erst die Kreuzigung ( wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet ;
vgl. Joh 3,14;12,32 ) sollte ihnen die Augen dafür öffnen, wer er
wirklich war. Das Kreuz bedeutete nicht, daß alle gerettet würden, doch
es würde den Menschen offenbaren, daß Jesus das Wort Gottes (der Logos )
war und daß er sie lehrte, was ihn der Vater gelehrt hat . Joh 8,29 Jesu Einheit mit dem Vater beruht auf Liebe und
fortgesetztem Gehorsam (vgl. Joh 4,34;5,30 ). Die Menschen verwarfen
Jesus, doch der Vater wird ihn nie verlassen. Jesus ist niemals allein
und wurde selbst am Kreuz vom Vater verherrlicht (vgl. Joh 16,32;17,5 ). Joh 8,30 Trotz des weitverbreiteten Unglaubens und der
offiziellen Ablehnung brachte Jesus durch sein Wirken viele Menschen zum
Glauben (vgl. Joh 7,31 ). Doch dieser Glaube mußte noch geprüft und
geläutert werden. Die Worte "viele glaubten an ihn" stehen im Gegensatz
zum folgenden Vers. Viele nahmen Jesus zwar an, doch viele fielen auch
von ihm ab. Joh 8,31-32 Die Wendung "Juden, die an ihn glaubten" deutet
darauf hin, daß manche Menschen Jesus zwar zuhörten, sich ihm jedoch
nicht persönlich verpflichteten (vgl. Joh 6,53 ). Es war möglich, an die
Botschaft der Buße und des kommenden Gottesreiches zu "glauben", ohne
wiedergeboren zu werden. Das Merkmal der wahren Nachfolger und Jünger
ist es jedoch, in der Wahrheit zu bleiben. Wenn sie seine Botschaft
wirklich verstanden hatten, würden sie die rettende Wahrheit finden und
ihr Wissen würde sie von der Knechtschaft der Sünde befreien. Joh 8,33 Doch die Antwort der Menschen auf diese
befreiende Botschaft war ein Beweis dafür, wie wenig sie Christus
verstanden hatten. Obwohl die Juden unter römischer Verwaltung lebten,
bestanden sie darauf, daß sie als Abrahams Kinder frei seien. Wie konnte
Jesus sie aber befreien, wenn sie niemandes Knechte waren? Sie hatten
kein Gefühl für die Sünde, in der sie gefangen waren. Joh 8,34 Dreimal in diesem Kapitel (V. 34.51.58 )
gebrauchte Jesus die Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl.
den Kommentar zu Joh 1,51 ). Wer sündigt, beweist damit, daß er unter
der Knechtschaft der Sünde steht. Die Sünde ist ein grausamer Herr. Auch
Paulus verwendete dieses Bild später ( Röm 6,15-23 ). Joh 8,35 Wie Ismael, Abrahams Sohn von der Sklavin Hagar,
aus dem Haus getrieben wurde ( 1Mo 21,8-21 ), so sind die, die in der
Knechtschaft der Sünde leben, in Gefahr. Isaak aber war der Sohn, der
zum Haus gehörte und daher auch im Haus blieb. Waren die Juden nun wie
Ismael oder wie Isaak? Hier ging es nicht um die Abstammung, sondern um
die geistige Verwandtschaft. Joh 8,36 Jesus ist der wahre Sohn und Nachkomme Abrahams
( Gal 3,16 ). Erbleibt im Haus und herrscht über seinen Besitz ( Hebr
3,6 ). Wenn die Menschen durch den Glauben an Christus, den Sohn, Söhne
Gottes werden, können sie wirklich frei werden ( Gal 3,25-26 ). Joh 8,37 Von der Abstammung her gesehen sind die Juden
selbstverständlich Abrahams Kinder . Doch ihr Versuch, Jesus, den wahren
Sohn Abrahams, zu töten, zeigte, daß sie nicht Abrahams geistliche
Nachkommen waren (vgl. Röm 2,28-29; 9,6-8; Gal 3,29 ). Sie verwarfen
Jesu Botschaft ( mein Wort ). Joh 8,38 Jesus redete, was er vom Vater gesehen
hatte (vgl. V. 28 ), daher waren seine Worte Gottes Wahrheit. Die
Menschen aber waren dem abgeneigt, was er sagte, weil sie
auf ihren Vater (Satan; V. 44 ) hörten und ihm folgten. Noch hatte Jesus
ihren Vater zwar nicht beim Namen genannt, doch es war klar, von wem er
sprach. Joh 8,39 Auf dieses Argument hin hielten die Juden ihm
entgegen, daß Abraham ihr Vater sei, doch Jesus antwortete ihnen, daß
die geistlichen Nachkommen Abrahams auch die Werke Abrahams täten, d.
h., daß sie Gott glaubten und ihm gehorchten. Sie sollten in Glauben auf
die Botschaft vom Himmel reagieren und tun, was er sagte. Johannes der
Täufer hatte sie bereits vor der Gefahr, sich allzusehr auf ihre
abrahamitische Abstammung zu verlassen, gewarnt ( Lk 3,8 ). Joh 8,40 Statt diesen eindringlichen Mahnungen zu
gehorchen, verwarfen die Menschen den Boten vom Himmel und versuchten,
den zu töten, der ihnen Gottes Wort brachte. Das hat Abraham nicht
getan ; er hatte den Geboten Gottes gehorcht (vgl. 1Mo
12,1-9;15,6;22,1-19 ). Joh 8,41 Da also die Werke der Juden anders waren, mußte
auch ihr Vater (vgl. V. 38 ) ein anderer sein. Sie konnten Jesu
zwingender Logik nur ausweichen, indem sie bestritten, illegitime
Nachkommen eines irdischen Vaters zu sein, und statt dessen einen
himmlischen Vater für sich beanspruchten. Mit ihrer Leugnung "wir sind
nicht unehelich geboren" spielten sie möglicherweise auf Jesu Geburt an. Joh 8,42 In einer wirklichen Familie lieben die Menschen
einander jedoch ( 1Joh 5,1 ). Wenn Gott also tatsächlich der Vater der
Juden wäre und sie ihn wirklich liebten (die griechische Formulierung
geht davon aus, daß sie das nicht tun), hätten sie auch Jesus geliebt,
denn er ist von Gott ausgegangen . Wieder bekräftigte Jesus sein Amt als
Stellvertreter Gottes: Der Vater hat ihn gesandt . Joh 8,43 Jesus, der Logos , sprach zu den Menschen, doch
ihr prinzipielles Widerstreben ließ sie ihn ständig mißverstehen. Weil
ihr mein Wort nicht hören könnt , bezieht sich auf ihre grundsätzliche
geistliche Unfähigkeit, richtig auf Jesus zu reagieren. Paulus schrieb
später: "Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es
ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen" ( 1Kor 2,14 ). Joh 8,44 Der Teufel ist der Feind des Lebens und der
Wahrheit. Durch eine Lüge brachte er den Menschen den geistlichen und
den physischen Tod (vgl. 1Mo 3,4.13; 1Joh 3,8.10-15 ). Noch heute
verdreht er die Wahrheit ( denn die Wahrheit ist nicht in ihm ... er ist
ein Lügner und der Vater der Lüge ) und versucht, die Menschen von Gott,
der Quelle der Wahrheit und des Lebens, abzubringen ( 2Kor 4,4 ). Daß
die hier anwesenden Juden Jesu Tod wollten, die Wahrheit verwarfen und
sich der Lüge zuwandten, war der Beweis, daß sie im Grunde Nachkommen
Satans waren und seinen Wünschen gehorchten. Wie anders hätten sie sich
verhalten, wäre Abraham ihr Vater gewesen! Joh 8,45 Im Gegensatz zu ihnen lebte Jesus in der
Wahrheit, die er auch verkündete. Da die Ungläubigen die Finsternis,
nicht das Licht (vgl. Joh 3,19-20 ) - die Lüge, nicht die Wahrheit -
liebten, verwarfen sie ihn. Joh 8,46 Gegen Jesus wurden viele Anschuldigungen erhoben
(vgl. Joh 7,12 b. 20 ). Doch er tat so ausschließlich den Willen Gottes
("denn ich tue allezeit, was ihm gefällt"; Joh 8,29 ), daß es unmöglich
war, ihm irgendeine Verbindung mit der Sünde nachzuweisen: "Wer voneuch
kann mich einer Sünde zeihen?" Auch daran hätte man seine Herkunft vom
Himmel erkennen können. Seine zweite Frage: warum glaubt ihr mir
nicht?, wird im nächsten Vers beantwortet. Joh 8,47 Die Zugehörigkeit zu Gott ist die Grundlage
dafür, ihn hören zu können. Es dreht sich hier nicht darum, Geräusche
wahrzunehmen, sondern um den Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes. Daß
die Menschen in Jesus auch das göttliche Wort so voll und ganz
verwarfen, zeigte deutlich, daß sie nicht von Gott waren. Joh 8,48 Die Samariter waren ein Mischvolk, deren Religion
in den Augen der Juden in die Abtrünnigkeit geführt hatte (vgl. den
Kommentar zu Joh 4,4 ). Jesus einen Samariter zu nennen war daher eine
Beschimpfung, die ihn zum Häretiker oder Irrlehrer abstempelte. Der
gleichzeitige Vorwurf, daß er einen bösen Geist habe (vgl. Joh
7,20;8,52;10,20 ), deutet darauf hin, daß seine Gegner ihn für verrückt,
unrein und böse hielten. Auch hier springt die Ironie ins Auge: Nachdem
Jesus den Menschen gesagt hatte, daß ihr Vater der Teufel sei ( Joh
8,44 ), warfen sie ihm vor, er sei von Dämonen besessen! Joh 8,49-50 Doch Jesu Aussagen waren nicht die eines
Besessenen. Ihm ging es nicht um Selbsterhöhung, sondern darum,
seinen Vater zu ehren . Der Versuch der Menschen, dem Sohn die Ehre zu
nehmen , war gleichzeitig ein Angriff auf den Vater. (Vgl. Hanuns
Schändung der Boten Davids, die gleichzeitig eine Schändung des Königs
war; 1Sam 10,1-6 .) Als er angeklagt wurde, unternahm Jesus nichts,
um sich zu rechtfertigen (vgl. Joh 8,54 ). Er übergab seinen Fall dem
himmlischen Richter, in dem Wissen, daß sein Vater, wenn die Menschen
ihn zu Unrecht verurteilten, das Urteil aufheben und ihn rechtfertigen
würde. Joh 8,51 Wieder sprach Jesus: Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch (vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 ). Wer mein Wort hält , ist eine
Umschreibung für die positive Antwort der Menschen auf seine Botschaft.
(Ähnliche Formulierungen sind: sein Wort "hören", Joh 5,24 und an seinem
Wort "bleiben", Joh 8,31; sie sind gleichbedeutend mit dem "Befolgen"
oder "Erfüllen" des Wortes.) Wer Jesus gehorcht, der wird den Tod nicht
sehen in Ewigkeit , d. h., er wird nicht für immer von Gott getrennt
werden (vgl. Joh 3,16;5,24 ). Joh 8,52-53 Jesu Widersacher glaubten jedoch, daß er vom
physischen Tod spräche. "Den Tod nicht sehen" bedeutet, den Tod nicht zu
schmecken (vgl. Hebr 2,9 ). Weil Abraham und die Propheten jedoch
gestorben waren, kamen sie zu dem Schluß, daß Jesus geisteskrank sei
oder einen bösen Geist habe (vgl. Joh 7,20;8,48;10,20 ). Im Griechischen
erfordert ihre erste Frage in Joh 8,53 eine negative Antwort: "Du bist
doch wohl nicht mehr als unser Vater Abraham , oder?" Die Ironie liegt
darin, daß Jesus selbstverständlich mehr war. Doch er war nicht
gekommen, um seine Größe zur Schau zu stellen. Joh 8,54 Wenn er sich selbst ehrte (vgl. V. 50 ), so wäre
seine Ehre nichts . Doch er wird von seinem Vater gerechtfertigt werden.
Wenn die, die nicht an ihn glaubten und ihm feindlich gesonnen waren,
von Gott sagten " er ist unser Gott " irrten sie. Gott war der Vater
von Jesus; ihr Vater war Satan. Joh 8,55 Jesus, der mit Gott verbunden, ja eins mit ihm
ist, kennt ( oida , "von innen heraus oder intuitiv kennen") ihn auch,
doch seine Feinde, die keine Beziehung zu Gott haben, kennen (ginosko,
"aufgrund von Erfahrung oder Beobachtung kennen") ihn nicht. Wenn Jesus
Gott verleugnete, würde er zum Lügner, wie auch die Menschen logen. Aber
Jesus kannte den Vater und gehorchte ihm ( halte sein Wort ; vgl.
V. 52 ). Joh 8,56 Die ungläubigen Juden waren keineswegs Abrahams
geistliche Nachkommen (V. 39 ); wenn Jesus von ihrem Vater
Abraham sprach, so bezog er sich damit lediglich auf ihre physische
Abstammung. Abraham wurde froh, daß er seinen Tag , d. h. die von Gott
verheißene Rettung durch den Messias ("in dir sollen gesegnet werden
alle Geschlechter auf Erden, 1Mo 12,3 ), sehen sollte . Weil er glaubte,
wurde ihm ein Sohn geschenkt, Isaak, durch den der Same (Christus)
kommen sollte. Was und wieviel Gott seinem Freund Abraham über die
messianische Zeit offenbarte, wissen wir nicht; doch es ist sicher, daß
er von der Rettung wußte, sich darüber freute und auf ihr Kommen
wartete. Joh 8,57 Die ungläubigen Juden wandten ein, daß jemand,
der so jung war wie Jesus ( du bist noch nicht fünfzig Jahre alt ), auf
keinen Fall Abraham gesehen haben konnte. (Aus dieser Bemerkung sollten
jedoch keine Schlußfolgerungen auf Jesu Alter gezogen werden.) Sie
konnten nicht verstehen, wie es möglich war, daß Abraham und Jesus
einander begegnet waren. Joh 8,58 Dann bekräftigte Jesus nochmals seine
Überlegenheit über die Propheten und Abraham. Abraham kam ins Leben;
doch als er wurde, existierte Jesus bereits. "Ich bin" ist ein Titel
Gottes (vgl. 2Mo 3,14; Jes 41,4;43,11-13; Joh 8,28 ), und die heftige
Reaktion der Juden (V. 59 ) bewies, daß sie genau verstanden, was diese
Äußerung bedeutete. Da Jesus gleichen Wesens mit Gott war ( Joh
5,18;20,28; Phil 2,6; Kol 2,9 ), existierte er von Ewigkeit her ( Joh
1,1 ). Joh 8,59 Diese eindeutige Aussage Jesu führte zu einer
Krise. Die Menschen mußten nun entscheiden, ob er war, was er zu sein
behauptete, oder ob seine Worte Gotteslästerung waren (vgl. Joh 5,18 ).
Auf die Sünde der Gotteslästerung aber stand die Todesstrafe. Die Worte
" aber Jesus verbarg sich " weisen möglicherweise auf eine
übernatürliche Flucht Jesu hin, denn seine Stunde war noch immer nicht
gekommen (vgl. Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ). 2. Die Heilung eines Blindgeborenen ( Joh 9 ) Jesaja hatte vorhergesagt, daß in der Zeit, in
der der Messias auf Erden weilen würde, viele Zeichen geschehen würden.
Er würde unter anderem auch "die Augen der Blinden öffnen" ( Jes
42,7; vgl. Jes 29,18; 35,5 ). Tatsächlich heilte Jesus viele Blinde (vgl. Mt
9,27-31;12,22;15,30;20,29-34;21,14 ). Das Wunder in Joh 9 ist deshalb
sehr wichtig, weil Jesus sich zuvor als "Licht der Welt" ( Joh 8,12 )
bezeichnet hatte. Als öffentliche Demonstration dieses Anspruchs
schenkte er sodann einem Blindgeborenen das Augenlicht. Joh 9,1 In Jerusalem sah Jesus einen Menschen, der blind
geboren war . Daß er gerade diesen Mann auswählte, ist von großer
Bedeutung (vgl. Joh 5,5-6 ), denn Jesus war in allem, was er tat,
vollkommen selbstbestimmt. Die angeborene Blindheit des Mannes zeigt die
offensichtliche Aussichtslosigkeit seines Falles und ist somit ein Bild
für die geistliche Blindheit der Menschen von Geburt an ( Joh 9,39-41;
2Kor 4,4; Eph 2,1-3 ). Joh 9,2-3 Der Blinde stellte die Jünger vor ein
theologisches Problem. Da sie davon ausgingen, daß alle Krankheiten und
Leiden ganz direkt auf bestimmte Sünden zurückgingen, fragten sie sich
natürlich, wie ein Mensch mit einer Behinderung geboren werden konnte.
Entweder mußte dieser Mann also bereits im Mutterleib gesündigt haben
( Hes 18,4 ), oder seine Eltern hatten gesündigt ( 2Mo 20,5 ). Doch
Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern .
Diese Aussage widerspricht jedoch nicht der Tatsache, daß die Menschen
"allesamt Sünder sind" ( Röm 3,9-20.23 ). Jesus sagte vielmehr, daß die
Blindheit des Mannes nicht die Folge einer bestimmten Sünde sei. Er war
blind, damit an seiner scheinbaren Tragödie die Werke Gottes offenbar
werden konnten (vgl. 2Mo 4,11; 2Kor 12,9 ). Joh 9,4-5 "Tag" bedeutet hier die Zeit, die Gott Jesus
gegeben hatte, um seinen Willen zu tun ( die Werke dessen ..., der mich
gesandt hat ). In das wir sind die Jünger und alle Gläubigen
miteingeschlossen. Die Nacht ist die Grenze, die diesem Wirken gesetzt
ist; in Jesu Fall sein bevorstehender Tod. Als das Licht der
Welt brachte Jesus den Menschen die Rettung (vgl. Joh 8,12 ). Nach
seinem Tod sollten seine Jünger sein Licht weitertragen (vgl. Mt 5,14;
Eph 5,8-14 ) und Christus verkündigen. Joh 9,6-7 Jesus legte dem Mann Lehm auf die Augen ( er
spuckte auf die Erde und machte daraus einen Brei ) - die Substanz, aus
der der Mensch gemacht ist: Staub der Erde ( 1Mo 2,7 ). Der Lehm diente
wahrscheinlich dazu, den Glauben des Mannes durch ein spürbares Zeichen
zu stärken, nicht als Medizin. Mit der Herstellung des Lehms brach er
das rabbinische Gesetz, am Sabbat keinen Lehm zu kneten (vgl. Joh
9,14 ). Dann sprach er zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt
übersetzt: gesandt . Siloah lag im Südosten Jerusalems (vgl. die Karte).
Der Teich wurde aus dem Gihonbrunnen gespeist, von dem aus über ein
Tunnelsystem, das Hiskia hatte graben lassen, Wasser in die Stadt
geleitet wurde. Dorthin wurde der Mann "gesandt", so wie Jesus vom Vater
"gesandt" war. Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder . Joh 9,8-9 Als die Leute ihn erblickten, fragten sie sich,
ob dieser Mann tatsächlich derselbe sei wie der, der dasaß und
bettelte . Wenn ja, so war es unglaublich, daß er wieder sehen konnte.
Vielleicht verwechselten sie ihn? Doch er selbst sprach: Ich bin's . Joh 9,10-12 Wie war das möglich? Der Blinde gab ihnen nur
einen dürren Tatsachenbericht darüber, wie das Wunder geschehen war. Er
sprach vom Herrn als von dem Menschen, der Jesus heißt . Da er blind
war, als das Wunder geschah, hatte er keine Ahnung, wohin Jesus nach der
Heilung gegangen war. Joh 9,13-14 Dieses Wunder war so ungewöhnlich, daß die Juden
den Geheilten zu den Pharisäern führten, die in religiösen Dingen
hochangesehen waren. Deren erster Gedanke war jedoch, daß die Heilung
eines Menschen (wenn er nicht in Lebensgefahr war) und das Kneten von
Lehm am Sabbat eine Verletzung des Sabbatgebots darstellten. Joh 9,15-16 Auch den Pharisäern erzählte der Blinde auf ihr
Befragen nur kurz, was geschehen war (vgl. V. 11 ). Sie interessierte
jedoch nur, daß Jesus den Sabbat "verletzt" hatte. Deshalb war er für
sie ein falscher Prophet, der die Menschen zum Abfall von Gott verführte
( 5Mo 13,3-5 ). Sie kamen zu der Schlußfolgerung: Dieser Mensch ist
nicht von Gott . Später bezeichneten sie Jesus sogar als "Sünder" ( Joh
9,24 ). Andere dagegen hielten die Wunder, die Jesus tat, für so
beeindruckend, daß sie nicht von einem sündigen Menschen vollbracht
werden konnten. (Ein falscher Prophet konnte ebenfalls Wunder
vollbringen, wenn auch trügerische; vgl. 2Thes 2,9 .) Aufgrund dieser
unterschiedlichen Einschätzung der Lage entstand Zwietracht unter
ihnen (vgl. Joh 7,43;10,19 ). Joh 9,17 Der geheilte Blinde selbst war der Ansicht, daß
Jesus ein Prophet war. Die alttestamentlichen Propheten hatten manchmal
Wunder vollbracht, die sie als Männer Gottes auswiesen. s Joh 9,18-20 Doch noch immer glaubten die Juden nicht , daß
der Mann blind gewesen war. Sie waren überzeugt, daß hier ein
Mißverständnis vorlag, und sandten nach seinen Eltern . Die bestätigten
ihnen jedoch, daß der Geheilte ihr Sohn und daß er blind geboren war. Joh 9,21-23 Sie scheuten sich aber, weitere Aussagen über die
Heilung ihres Sohnes und den, der ihn geheilt hatte, zu machen, denn die
Pharisäer und andere jüdische Autoritäten ( die Juden ) hatten sich
schon geeinigt , daß Jesus nicht der Messias war. Wer daher weiterhin
eine solche gotteslästerliche Ansicht vertrat, dem drohte der
Ausschluß aus der Synagoge . (Manche Forscher vertreten die These, daß
dieser Vers erst von einem späteren Herausgeber eingefügt wurde; das ist
möglich, allerdings waren derartige Maßnahmen auch zur Zeit Jesu
keineswegs unvorstellbar.) Aus Angst vor den Juden schoben die Eltern
des Geheilten die Verantwortung deshalb ganz allein ihrem Sohn zu, indem
sie sagten, daß er alt genug sei, um für sich selbst zu
reden (V. 21.23 ). Joh 9,24 Daraufhin versuchten die jüdischen
Machthaber, den Menschen, der blind gewesen war , dazu zu bringen, sein
Zeugnis über Jesus zu widerrufen: Gib Gott die Ehre (vgl. Jos 7,19; 1Sam
6,5; Jer 13,16 ) war die Aufforderung, zuzugeben, daß er, indem er für
Jesus, den sie einen Sünder nannten, Partei ergriffen hatte, schuldig
geworden war. Mit den Worten " wir wissen " setzten sie ihn unter Druck.
Es kommt häufig vor, daß der Unglaube auf seine Wissenschaftlichkeit
pocht, doch hier handelte es sich letztlich um nichts anderes als
Starrsinn und Willkür. Joh 9,25-26 Trotz dieser Einschüchterungsversuche blieb der
Geheilte bei seiner Aussage: ... daß ich blind war und bin nun
sehend. Da forderten sie ihn - in der Hoffnung, einen Widerspruch in
seinem Bericht zu entdecken - auf, das Geschehene nochmals zu erzählen. Nun wurde der ehemals Blinde allmählich
ungeduldig. Er hatte ihnen bereits gesagt , wie er geheilt worden war
(V. 15 ), doch sie hatten es nicht gehört , d. h., sie glaubten es
nicht. Mit beißender Ironie fragte er sie daher, ob ihre Bitte an ihn,
seine Geschichte nochmals zu wiederholen, etwa ein Zeichen für eine
Sinnesänderung ihrerseits sei. Waren sie so interessiert an der Heilung,
weil sie Jesu Jünger werden wollten? Joh 9,28-29 Was ihnen dieser Analphabet spöttisch
unterstellte, war mehr, als die Pharisäer ertragen konnten. Sie
schmähten ihn und erklärten dann, daß sie Jünger Moses seien. Für sie
war Jesus ein Unbekannter: Woher aber dieser ist, wissen wir nicht .
Mose dagegen, der doch, wie Jesus sagte, über ihn geschrieben hatte
( Joh 5,46 ), behaupteten sie zu kennen. Joh 9,30-33 Da sie zugaben, nichts über Jesu Herkunft zu
wissen, belehrte der Bettler sie weiter. Für den Leser, der ja weiß,
woher Jesus kam ( Joh 1,14.18 ), tritt die Ironie in den folgenden
Versen deutlich zutage. Der Mann sagte, das Wunder, das Jesus vollbracht
habe, sei bemerkenswert und einzigartig gewesen: Von Anbeginn der Welt
an hat man nicht gehört, daß jemand einem Blindgeborenen die Augen
aufgetan habe. Er argumentierte, daß Gott nicht die Sünder erhört,
sondern den, der gottesfürchtig ist (vgl. Elia; Jak 5,16-18 ). Dieser
(Jesus), so sagte er, müsse von Gott sein, denn sonst hätte er nichts
tun können. Joh 9,34 Von einem Bettler hochnäsig zurechtgewiesen,
blieb den Pharisäern nur noch übrig, ihn erneut zu schmähen und aus der
Synagoge auszustoßen (vgl. V. 22 ). Sie erklärten, seine Blindheit müsse
auf eine ganz besondere "Sünde" zurückzuführen sein (wobei sie
offensichtlich das Buch Hiob aus ihren Gedanken verdrängten). Doch was
sie sagten, war unlogisch. Wie konnte jemand in Sünden geboren sein?
Zwar kommt jeder als Sünder auf die Welt ( Ps 51,7; Röm 5,12 ), doch ein
Säugling kann wohl kaum unmittelbar nach seiner Geburt unzählige Sünden
begehen! Joh 9,35 Auch bei diesem Geheilten ergriff Jesus wieder
die Initiative (vgl.V. 6 ) und suchte ihn auf. Glaubst du (im
Griechischen hervorgehoben) an den Menschensohn ? Das war ein Aufruf zur
Nachfolge. (Der "Menschensohn" ist einer der wichtigsten Messiastitel;
vgl. Dan 7,13 und den Kommentar zu Mk 2,10 .) Joh 9,36-37 Der Bettler antwortete, daß er bereit sei zu
glauben, jedoch noch zu wenig wisse. Daraufhin gab Jesus sich ihm zu
erkennen und sagte ihm, was er wissen mußte, um glauben zu können. Denn
der Glaube ist begleitet von einem auf Information beruhenden
Willensakt. Johannes Joh 9,38 Nachdem Jesus ihm offenbart hatte, daß er der
Menschensohn war, glaubte der Mann ( Herr, ich glaube ) und betete ihn
an . An die Stelle seiner früheren Anbetung in der Synagoge trat nun für
ihn die Anbetung Jesu. Die Juden hatten ihn aus der Synagoge geworfen,
doch Jesus stößt die, die zu ihm kommen, nicht hinaus ( Joh
6,37 ). Ein Ziel der Rettung ist es, daß der Gerettete von nun an den
anbetet, der ihn gerettet hat ( Joh 4,23 ). Joh 9,39 Stellt dieser Vers einen Widerspruch zu der
Aussage von Joh 3,17 dar? Demnach (und auch gemäß der Aussage von Joh
12,47 ) war Jesus gerade nicht gesandt, "die Welt zu richten". Hier nun
sagte er: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen . Er war gekommen,
um als Richter das Urteil über die Gottlosen zu verkündigen (vgl. Joh
5,22.27 ). Die Blinden, die sehend werden, sind die, die ihre
Hilflosigkeit und Ohnmacht zugeben und ihr Heil in Jesus suchen. Die
Sehenden aber, die blind werden, sind die, deren Selbstvertrauen und
Stolz sie blind für die Wunder Jesu macht. Er richtet sie nicht, indem
er sie blind macht ; sie sind selbst für ihre Blindheit verantwortlich,
denn sie verwerfen ihn. Bei ihrer Erblindung hat allerdings auch Satan
seine Hand im Spiel ( 2Kor 4,4 ). Joh 9,40-41 Einige der Pharisäer fragten: " Wir sind doch
aber nicht blind, oder? " Sie erwarteten eine negative Antwort, denn sie
setzten voraus, daß sie, was das Religiöse anbelangte, hellsichtiger als
alle ihre Glaubensbrüder waren. Die Sünde verführt die Menschen jedoch
ständig zur Selbsttäuschung. Jesus entgegnete ihnen, daß sie, wenn sie
tatsächlich für religiöse Dinge absolut blind wären, wenigstens ihre
Unwissenheit als Entschuldigung anführen könnten. Doch ihr Anspruch, in
religiösen Fragen die absolute Erkenntnis zu besitzen ( ihr aber sagt:
Wir sind sehend ), und ihr Anspruch auf Führerschaft machte sie
schuldig. Sie waren für ihre Sünden verantwortlich, weil sie quasi mit
Absicht sündigten. Lehrer der Wahrheit zu sein, birgt Gefahren (vgl. Joh
3,10; Röm 2,19-24; Jak 3,1 ). 3. Der gute Hirte ( 10,1 - 21 ) Die Rede über den guten Hirten schließt sich an
das in Kapitel 9 Gesagte an. Der Vergleich vom Hirten und seiner Herde
war im Nahen Osten eine gebräuchliche Metapher. Könige und Priester
bezeichneten sich als "Hirten" und ihre Untertanen als "Schafe", ein
Bild, das die Bibel häufig verwendet. Viele der großen Männer im Alten
Testament waren tatsächlich Hirten (z. B. Abraham, Isaak, Jakob und
zeitweise auch David). Mose und David wurden in einem übetragenen Sinn
als "Hirten" Israels bezeichnet. Einigen der berühmtesten Passagen in
der Bibel liegt das Motiv des Hirten zugrunde (vgl. Ps 23; Jes 53,6; Lk
15,1-7 ). Jesus entwickelte diese Analogie in verschiedenen
Bildern. Seine Gegenübersetzung der Pharisäer und des Blindgeborenen
stellte zunächst den Zusammenhang zum vorhergehenden Kapitel her. Die
Pharisäer - in religiöser Hinsicht blind, obgleich sie behaupten,
Einsicht zu haben ( Joh 9,41 ) - waren falsche Hirten. Jesus aber kam
als wahrer Hirte, um zu suchen und zu heilen. Seine Schafe hören seine
Stimme und antworten ihm. Joh 10,1-2 Vers 1 - 5 beschreiben das morgendliche Ritual
eines Hirten, der seine Schafe auf die Weide bringt. Er geht zur Tür in
ein umzäuntes Gehege, einen Schafstall, hinein , in dem sich mehrere
Herden befinden. Der Stall,der Steinmauern hat, wird nachts von einem
Türhüter bewacht, um Diebe und wilde Tiere abzuhalten. Wer also über die
Mauern kletterte, hatte auf keinen Fall etwas Gutes im Sinn. Joh 10,3-4 Der Hirte dagegen hat das Recht, den Schafstall
zu betreten. Dem macht der Türhüter auf , und der Hirte kommt
herein, und die Schafe (seine Schafe) hören seine Stimme . Ein Hirte
kennt die Schafe seiner Herde und hat jedem einzelnen einen Namen
gegeben. Wenn die Schafe die vertraute Stimme ihres Herrn hören, laufen
sie zu ihm hin. Er führt sie hinaus aus dem Stall und sammelt die Herde.
Dann geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach . Joh 10,5-6 Wenn jedoch ein Fremder den Stall
betritt, fliehen die Schafe vor ihm, denn sie kennen die Stimme der
Fremden nicht . In diesem Gleichnis geht es darum, wie ein Hirte seine
Herde sammelt. Die Menschen kommen zu Gott, weil er sie ruft (vgl.
V. 16.27 ; Röm 8,28.30 ). Die richtige Antwort auf diesen Ruf ist, ihm
zu folgen (vgl. Joh 1,43;8,12;12,26;21,19.22 ). Doch die Jesus
zuhörten, verstanden nicht, was er ihnen damit sagen wollte , obwohl
ihnen das Beispiel des Hirten und seiner Schafe zweifellos einleuchtete.
In ihrer Blindheit konnten sie ihn nicht als den Herrn, der auch Hirte
war, erkennen (vgl. Ps 23 ). Joh 10,7-9 Daraufhin erzählte ihnen Jesus ein weiteres
Gleichnis vom guten Hirten, der die Schafe auf die Weide führt, in ein
umzäuntes Gebiet, vor dem er sich, gleichsam als Tür, niederläßt. Die
Schafe dürfen hinausgehen, wenn sie wollen, und können sich, wenn sie
Angst haben, wieder in das geschützte Gebiet zurückziehen. Jesus ist die
einzige Tür, durch die die Menschen in den Schutz gelangen können, den
Gott für sie bereithält. Die Worte " alle, die vor mir gekommen sind, die
sind Diebe und Räuber " bezogen sich auf die Führer des Volkes, die sich
nicht um das geistliche Wohl der ihnen anvertrauten Menschen kümmerten,
sondern nur um ihr eigenes Wohlergehen. Der Hirte Jesus aber bietet
seiner Herde Schutz vor ihren Feinden ( wenn jemand durch mich
hineingeht, wird er selig werden bzw. "sicher sein") und sorgt für
alles, was sie brauchen (die Schafe werden ein- und ausgehen und Weide
finden ). Joh 10,10 Der Dieb hingegen, d. h. ein falscher Hirte,
sorgt nur für sein eigenes Wohl, nicht für das der Herde. Er stiehlt
Schafe, um sie umzubringen, und vernichtet damit einen Teil der Herde.
Doch Christus ist gekommen, um ihnen wohlzutun. Der Dieb nimmt das
Leben; Christus gibt das Leben - und zwar kein beengtes, sondern volle
Genüge . Joh 10,11 Noch ein drittes Gleichnis vom guten Hirten
erzählte Jesus. Wenn es in Palästina Nacht wurde, lauerte Gefahr. Auf
dem Land gab es damals noch Löwen, Wölfe, Schakale, Panther, Leoparden,
Bären und Hyänen. Ein Hirte lebte gefährlich, wie der Kampf Davids mit
einem Löwen und einem Bären zeigte ( 1Sam 17,34-35.37 ). Auch Jakob
erlebte, wie mühevoll und anstrengend es war, ein treuer Hirte zu sein
( 1Mo 31,38-40 ). Jesus sagte: "Ich bin der gute Hirte" (vgl. Joh
10,14 ). Im Alten Testament wird Gott als der Hirte seines Volkes
bezeichnet ( Ps 23,1; Ps 80,2; Pred 12,11; Jes 40,11; Jer 31,10 ). Als
solcher kam Jesus, um sein Leben für die Schafe zu lassen (vgl. Joh
10,14.17-18; Gal 1,4; Eph 5,2.25; Hebr 9,14 ). Er wird auch der "große
Hirte" ( Hebr 13,20-21 ) und der "Erzhirte" ( 1Pet 5,4 ) genannt. Joh 10,12-13 Im Gegensatz zum guten Hirten, dem die Schafe
gehören, der für sie sorgt, sie füttert, schützt und für sie stirbt,
bringt der, der sie für Lohn hütet - der Mietling - nicht denselben
Einsatz. Er ist nur an seinem eigenen Wohlergehen und Fortkommen
interessiert. Wenn ein Wolf kommt ( harpazei , wörtlich: "etwas
entreißt"; vgl. dasselbe Verb in V. 28 ), verläßt er die Schafe und
flieht , so daß sie durch seinen Eigennutz zerstreut werden.
Offensichtlich kümmert er sich nicht um die Schafe . In Israel traten
viele falsche Propheten, selbstsüchtige Königeund falsche Messiasse auf,
unter denen Gottes Herde immer wieder zu leiden hatte ( Jer
10,21-22;12,10; Sach 11,4-17 ). Joh 10,14-15 Im Gegensatz zum "Mietling" hat der gute Hirte
eine persönliche Beziehung zu den Schafen und nimmt Anteil an ihnen
(vgl. V. 3.27 ). Die Wendung " ich ... kenne die Meinen " hebt hervor,
daß er sie als sein Eigentum betrachtet und sorgsam über sie wacht. Und
die Meinen kennen mich betont umgekehrt, daß auch die Schafe ihren
Hirten kennen und eine enge Beziehung zu ihm haben. Diese Nähe und
Vertrautheit hat ihr Vorbild in der auf Liebe und gegenseitigem
Vertrauen basierenden Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn. Der
höchste Beweis für Jesu Fürsorge für die Schafe liegt in der
Ankündigung, daß er für die Herde sterben wird. Es kam vor, daß Hirten
umkamen, während sie ihre Schafe vor Gefahr bewahrten. So gab auch Jesus
sein Leben für seine Schafe (V. 11.15.17 - 18 ) - ihretwegen, an ihrer
Stelle ( Röm 5,8.10; 2Kor 5,21; 1Pet 2,24;3,18 ) - und erwarb ihnen mit
seinem Tod das Leben. Joh 10,16 Die anderen Schafe, die nicht aus diesem Stall
sind , sind die gläubigen Heiden. Durch seinen Tod bringt Jesus auch sie
zum Vater. Und sie werden meine Stimme hören . Jesu Rettungswerk gilt
weiterhin all jenen, die seine Stimme aus der Schrift hören. Apg
18,9-11 beschreibt, wie sich das in der Geschichte der Kirche auswirkte.
"Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt" (Korinth), sagte der Herr zu
Paulus. Eine Herde und ein Hirte bezieht sich auf die Gemeinschaft von
gläubigen Juden und Heiden, die zusammen einen Leib bilden, dessen Haupt
Christus ist (vgl. Eph 2,11-22;3,6 ). Joh 10,17-18 Und wieder - insgesamt viermal - sagte Jesus, daß
er sterben müsse und freiwillig sein Leben lassen würde (V. 11.15.17 -
18 ). Deshalb liebt der Vater Jesus, der sich im Gehorsam als Opfer
hingab. Er gab sein Leben freiwillig: Niemand nimmt es von mir . Zweimal
erwähnte Jesus hier seine Auferstehung ( ich habe Macht, es
wiederzunehmen ) und wies darauf hin, daß er auch hierin selbst über
sein Schicksal bestimmte. Jesus war keine hilflose Figur auf dem
Schachbrett der Geschichte. Joh 10,19-21 Zum dritten Mal entstand nach dieser Rede
Zwietracht unter den Zuhörern (vgl. Joh 7,43;9,16 ). Viele Menschen in
der feindseligen Menge sprachen: Er hat einen bösen Geist und ist von
Sinnen (vgl. Joh 7,20;8,48.52 ). Doch andere widersprachen ihnen, denn,
so fragten sie, wie kann ein böser Geist die Augen der Blinden
auftun? (vgl. Joh 9,16 ). 4. Der letzte öffentliche Auftritt als Lehrer ( 10,22 - 42 ) Als nächstes berichtet Johannes über den letzten
Zusammenstoß zwischen Jesus und der feindlichen Menge in Jerusalem
(V. 22 - 39 ) und beschreibt dann, wie er über den Jordan ging (V. 40 -
42 ), weil sie versuchten, ihn zu töten. Joh 10,22-23 Das Fest der Tempelweihe heißt heute Hanukka oder
Lichterfest. Es erinnert an die Neueinweihung des Tempels durch Judas
Makkabäus im Jahr 165 v. Chr., nachdem er 168 v. Chr. durch Antiochus
IV. (Epiphanes) entheiligt worden war, und rief den Juden die letzte
große Befreiung von ihren Feinden in Erinnerung. Das achttägige Fest
wurde im Dezember gefeiert; es war also Winter. Als Salomos Halle wurde
der lange, überdachte Wandelgang an der Ostseite des Tempels bezeichnet.
Seit Jesu letztem Streitgespräch mit den Juden ( Joh 7,1-10,21 ) beim
Laubhüttenfest ( Joh 7,2 ), das im Oktober stattfand, waren zwei Monate
vergangen. Jesus war in den Tempel zurückgekehrt. Joh 10,24 Da umringten ihn die Juden (wörtlich: sie
"schlossen sich eng um ihn herum zusammen" - ekyklOsan ). Die Jesus
feindlich gesonnenen jüdischen Machthaber in Jerusalem waren
entschlossen, ihn diesmal festzunageln. Seine rätselhaften Worte ließen
ihnenkeine Ruhe; sie wollten endlich eine klare Antwort von ihm
hören. Wie lange hältst du uns im Ungewissen? (wörtlich: "hältst du
unsere Seele noch"), wollten sie wissen. Bist du der Christus, so sage
es frei heraus. Joh 10,25-26 Jesus entgegnete, daß die Werke (vgl. V. 32.38 ),
die er getan hatte, ihnen hätten zeigen müssen, daß er vom Vater war
(vgl. Jes 35,3-6; Joh 3,2;9,32-33 ). Er war vom Vater gesandt, auch wenn
er ihre Erwartungen nicht erfüllte, denn er trat weder als zweiter Judas
Makkabäus noch wie Mose auf. Ihre Unfähigkeit, sich auf ihn einzulassen,
lag im Grunde an ihrer mangelnden geistlichen Einsicht und ihrem
fehlenden Glauben. " Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von
meinen Schafen " ist eine nüchterne Feststellung, die zugleich an das
letzte große Geheimnis der Erwählung durch Gott erinnert (vgl. Joh
6,37 ). Joh 10,27 Jesu Herde aber ist empfänglich für seine
Lehre. Meine Schafe hören meine Stimme (V. 3 - 5.16 ). Sie haben eine
Beziehung zu ihm ( ich kenne sie ; vgl. V. 3.14 ), sie verstehen seine
Heilsbotschaft, und sie folgen ihm (V. 4 - 5 ). Jesus zu folgen
bedeutet, den Willen des Vaters zu tun, wie Jesus es tat. Joh 10,28 Hier wird eine der klarsten Aussagen der Bibel
gemacht. Auch die Gläubigen sündigen und straucheln, doch Jesus, der
vollkommene Hirte, verliert kein Schaf aus seiner Herde (vgl. Lk
22,31-32 ). Das ewige Leben ist ein Geschenk ( Joh 3,16.36;5,24;10,10;
Röm 6,23 ). Wer es besitzt, hat es für immer. "Sie werden nimmermehr
umkommen" ist im Griechischen noch sehr viel entschiedener
formuliert: ou mE apolOntai eis ton aiOna ("sie werden auf keinen Fall
jemals umkommen"; vgl. Joh 3,16 , mE apolEtai , "nicht verloren gehen").
Die Sicherheit der Schafe gründet sich auf die Fähigkeit des Hirten, sie
zu verteidigen und zu bewahren, sie ist nicht von der eigenen, wenig
verläßlichen Kraft der Schafe abhängig. Niemand wird sie aus meiner Hand
reißen . "Herausreißen" heißt im Griechischen harpasei und ist verwandt
mit harpax ("raubgierige Wölfe, Räuber"). Das fügt sich ausgezeichnet in
den Zusammenhang, denn dasselbe Wort ( harpazei ) steht in Vers 12 :
"der Wolf stürzt sich auf die Schafe" (wörtlich: "reißt sie"). Joh 10,29 Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer
als alles . D. h., niemand kann auch nur ein einziges Schaf der Herde
Jesu aus des Vaters Hand (oder aus Jesu Hand;V. 28 ) reißen . Der
allmächtige Vater schützt die Herde. Sein Heilsplan ist
unerschütterlich. Joh 10,30 Mit den Worten "ich und der Vater sind
eins" meinte Jesus nicht, daß er und Gott ein und dieselbe Person sind.
Der Sohn und der Vater sind zwei Personen in der Dreieinigkeit. Der
Beweis dafür ist das Geschlecht des Wortes "eins", das Neutrum ist.
Jesus sagte also, daß er und sein Vater in ihrem Willen eins sind. Jesu
Wille ist identisch mit dem des Vaters; beiden geht es um die Rettung
der Schafe. Diese absolute Willenseinheit aber setzt die Wesenseinheit
voraus. Jesus und der Vater sind in ihrem Willen (und daher auch in
ihrem Wesen) eins, beide sind Gott (vgl. Joh 20,28; Phil 2,6; Kol 2,9 ). Joh 10,31-32 Auf diese Aussage hin versuchten die Jesus
feindlich Gesonnenen unter seinen Zuhörern, denen durchaus klar war,
welchen Anspruch Jesus hier geltend machte, ihn zu steinigen (vgl. Joh
8,59 ). Seine ruhige Frage, viele gute Werke (vgl. Joh 10,25.38 ) habe
ich euch erzeigt vom Vater; um welches dieser Werke willen wollt ihr
mich steinigen?, bewies, wie unerschrocken er der Gefahr ins Auge sah. Joh 10,33 Sie antworteten ihm, daß sie an seinen Worten
nichts auszusetzen hätten (wenngleich seine Heilungen am Sabbat sie
aufgebracht hatten, vgl. Joh 5,18;9,16 ), sondern daß sie ihn steinigen
wollten, weil er, ein Mensch, behauptete, Gott zu sein. Das
war Gotteslästerung . Damit trafen sie im Grunde den Kern des Problems:
In Jesus wurde Gott tatsächlich Mensch ( Joh 1,1.14.18 ). Jesus zog zwar
nicht durch Palästina und verkündete "Ich bin Gott", doch seine Deutung
des Sabbats und die Worte über die Einheit mit demVater offenbarte
seinen Anspruch, eines Wesens mit dem Vater zu sein. Joh 10,34 Um Jesu Antwort auf den Vorwurf der
Gotteslästerung zu verstehen, muß man bis zu einem gewissen Grad mit den
bei einer Diskussion zwischen Rabbinern üblichen Argumentationsmethoden
vertraut sein. Zunächst verwies Jesus auf das Alte Testament: in eurem
Gesetz . Das sind normalerweise nur die fünf Bücher Mose, doch Jesus
bezog hier das ganze Alte Testament mit ein, denn er zitierte aus den
Psalmen. "Ihr" Gesetz war es insofern, als sie sich seines Besitzes
rühmten und sich ihm eigentlich hätten unterwerfen sollen. Ps
82 bezeichnet Gott als Richter ( Ps 82,1.8 ) und hält fest, daß die
Menschen, die eigentlich dazu eingesetzt waren, anstelle von Gott Recht
zu sprechen, versagt haben ( Ps 82,2-7 ). Der Ausdruck "Götter" ( Ps
82,1 und 6) bezieht sich also auf die zum Richten berufenen Menschen. In
diesem Sinn sagte Gott zu den Juden: ihr seid Götter . Keinesfalls war
damit gemeint, daß der Mensch göttlicher Natur sei. Joh 10,35 Jesus argumentierte also, daß die Menschen in
bestimmten Situationen (wie z. B. in Ps 82,1.6 ) Götter genannt wurden.
Das hebräische Wort für "Gott" und "Götter", ?MlOhIm , wird an anderer
Stelle (z. B. 2Mo 21,6;22,8 ) auch für die Menschen in ihrer Funktion
als Richter verwendet. Er fügte hinzu: Und die Schrift kann doch nicht
gebrochen werden , d. h., niemand darf behaupten, daß die Schrift irre.
Hierin liegt, nebenbei bemerkt, ein Hinweis auf die Unfehlbarkeit der
Bibel. Joh 10,36 In diesem Vers führte Jesus seinen
Argumentationsgang zu Ende. Wenn die unfehlbare Bibel ihre Richter
"Götter" nennt, können die Juden ihn nicht der Gotteslästerung zeihen,
wenn er sich Gottes Sohn nennt, da er geheiligt wurde und Gottes Auftrag
ausführt ( in die Welt gesandt ist ). Joh 10,37-38 Obwohl die Juden sich sträubten, Jesu Worten zu
glauben, gab Gott ihnen Werke (wörtl. "Wunder"; vgl. V. 25.32 ), die er
durch Jesus wirkte. Sie erhielten diese Zeichen, damit sie über sie
nachdachten und durch sie lernten und an ihnen Jesu Einheit mit dem
Vater ( der Vater ist in mir und ich in ihm ) erkannten. Nikodemus war
das klar geworden, denn er sagte: Niemand kann die Zeichen tun, die du
tust, es sei denn Gott mit ihm ( Joh 3,2 ). Joh 10,39 Da suchten sie abermals, ihn zu
ergreifen (von piazO ; vgl. Joh 7,30.32.44;8,20 ), vielleicht, um ihn
vor Gericht zu stellen. Doch wieder entging er ihren Händen , da die von
Gott festgelegte Zeit noch nicht gekommen war (vgl. Joh
5,13;8,59;12,36 ). Wie er die Flucht bewerkstelligte, sagt Johannes
nicht. Joh 10,40-42 Wegen der Feindseligkeit des Volkes ging Jesus
wieder auf die andere Seite des Jordan nach Peräa, wo auch Johannes der
Täufer gepredigt hatte ( Joh 1,28 ). Hier wurde er freundlicher
aufgenommen, möglicherweise, weil der Täufer die Menschen auf sein
Kommen vorbereitet hatte. Obwohl Johannes tot war, besaß
sein Zeugnis doch noch immer großen Einfluß. Er selbst hatte zwar nie
ein Zeichen ( sEmeion ) vollbracht, doch sie glaubten dem, was er ihnen
über Jesus gesagt hatte. Die Juden in Jerusalem dagegen hatten Jesu
Zeichen gesehen und dennoch nicht gehorcht. In Peräa aber glaubten viele
an ihn als den Retter. E. Die Auferweckung des Lazarus ( 11,1 - 44 ) Der Höhepunkt der Wunder Jesu, die Auferweckung
des Lazarus, war der öffentliche Beweis für die Wahrheit seines
Anspruchs: "Ich bin die Auferstehung und das Leben." Der Tod ist der
große Schrecken, den die Sünde in die Welt gebracht hat ( Röm 5,12; Jak
1,15 ). Der physische Tod ist gleichsam das "Lehrbeispiel" Gottes für
das, was die Sünde im geistlichen Leben des Menschen bewirkt. Wie der
physische Tod das Leben beendet und die Menschen voneinander trennt, so
bedeutet der geistliche Tod die Trennung der Menschen von Gott und den
Verlustdes Lebens, das in Gott ist ( Joh 1,4 ). Jesus ist gekommen,
damit die Menschen das volle Leben haben können ( Joh 10,10 ). Wer ihn
verwirft, wird das Leben nicht "sehen" ( Joh 3,36 ) und am Ende in den
"zweiten Tod", den Feuersee, geworfen werden ( Offb 20,14-15 ). Joh 11,1-2 Von Lazarus ist im Neuen Testament nur an dieser
Stelle und in Kap. 12 die Rede. Betanien (vgl. Joh 11,18 ) lag östlich
des Ölbergs (ein zweites Betanien gab es in Peräa; vgl. Joh 1,28 ). Das
Lukasevangelium berichtet etwas ausführlicher über die beiden Schwestern
des Lazarus, Maria und Marta ( Lk 10,38-42 ). Maria war dieselbe, die
den Herrn später (vgl. Joh 12,1-10 ) mit Salböl salbte und seine Füße
mit ihrem Haar trocknete . Wahrscheinlich setzt der Evangelist Johannes
hier voraus, daß die Leser seines Evangeliums Maria kannten (vgl. Mk
14,3-9 ). Joh 11,3 Anscheinend hatten die Schwestern gedacht, daß
Jesus, der ja die Macht hatte, Menschen zu heilen, und Lazarus zudem
sehr liebte, sofort auf ihre Nachricht, daß er erkrankt war, reagieren
und kommen würde. Joh 11,4 Doch Jesus machte sich keineswegs sofort nach
Betanien auf (vgl. V. 6 ). Diese Verzögerung hatte nichts damit zu tun,
daß er Lazarus nicht genügend liebte (vgl. V. 5 ) oder Angst vor den
Juden hatte; er wartete vielmehr, bis der richtige Moment im Plan des
Vaters gekommen war. Lazarus' Krankheit sollte nicht zum Tode , d. h.
nicht zum dauernden Tod führen, sondern in ihr sollte
Jesus verherrlicht werden (vgl. Joh 9,3 ). Darin liegt auch eine gewisse
Paradoxie: Jesu Macht und Gehorsam gegenüber dem Vater waren bereits
ausreichend erwiesen, die Auferweckung des Lazarus aber führte
schließlich zu seinem Tod (vgl. Joh 11,50-53 ), der zugleich seine wahre
Herrlichkeit an den Tag brachte ( Joh 17,1 ). Joh 11,5-6 Trotz seiner Liebe zu allen dreien ( Marta und
ihre Schwester und Lazarus ) wartete Jesus also noch zwei Tage, bevor er
sich auf den Weg machte. Möglicherweise (V. 11.39 ) war Lazarus auch
bereits tot, als Jesus von seiner Krankheit hörte. Jedenfalls tat er
alles, was er tat, unter der Führung Gottes (vgl. Joh 7,8 ). Joh 11,7-10 Seine Jünger wußten, daß es gefährlich für ihn
war, nach Judäa zu gehen ( Joh 10,31 ), und versuchten daher, ihn von
der Reise abzubringen. Um ihnen klar zu machen, daß er nicht in Gefahr
war, sprach Jesus hier "verhüllt", wie in einem Gleichnis, zu ihnen. Er
verglich das Tun des Willens Gottes mit dem Gehen (Leben) bei
Tageslicht. Das Leben im Bereich des Bösen, in der Dunkelheit, ist
dagegen gefährlich. So lange die Menschen dem Plan Gottes folgen, kann
ihnen vor der Zeit, die ihnen bestimmt ist, nichts geschehen. Auf die
Menschen damals angewandt hieß das, sie hätten Jesus annehmen sollen,
solange er als das Licht in der Welt war (vgl. Joh 1,4-7;3,19;
8,12;9,5 ). Mit ihm verließ sie auch diese einzigartige Möglichkeit. Joh 11,11-12 Dann sagte Jesus: Lazarus, unser Freund,
schläft . (Das Wort "Freund" hat in der Schrift eine ganz besondere
Bedeutung, vgl. Joh 15,13-14; Jak 2,23 .) Bei diesem "Schlaf" handelte
es sich um den Schlaf des Todes. Seit dem Kommen Christi wird der Tod
eines Gläubigen als "Schlaf" bezeichnet (vgl. Apg 7,60; 1Kor 15,20;
1Thes 4,13-18 ). Die toten Christen liegen jedoch nicht in einem
unbewußten "Schlaf der Seele", nur ihr Körper scheint zu schlafen. Die
Jünger aber gingen irrigerweise davon aus, daß Jesus meinte, Lazarus sei
nicht gestorben, sondern eingeschlafen (vgl. Joh 11,13 ) und befände
sich auf dem Wege der Besserung: Herr, wenn er schläft, wird's besser
mit ihm. Joh 11,13-15 Wie so oft in den Evangelien sprach Jesus auch
hier von einer Sache, doch die Jünger dachten an eine andere. Die
Worte "Lazarus ist gestorben; und ich bin froh um euretwillen, daß ich
nicht dagewesen bin" scheinen im ersten Moment schockierend. Doch wenn
Lazarus nicht gestorben wäre, hätten die Jünger (und alle späteren Leser
des Evangeliums) nicht die einzigartige Möglichkeit gehabt, durch dieses
Ereignis neue Glaubenskraft zu gewinnen. Lazarus starb, damit ihr
glaubt . Joh 11,16 Thomas wird wegen des Zwischenfalls, von dem
in Joh 20,24-25 die Rede ist häufig auch der "ungläubige Thomas"
genannt. Hier übernahm er jedoch die Führung und bewies seine Treue zu
Jesus, die bis in den Tod ging. In der Äußerung "daß wir mit ihm
sterben" liegt nichtsdestoweniger eine gewisse Ironie. Auf der einen
Seite enthüllt sie Thomas' Unwissenheit in bezug auf die Einzigartigkeit
des Sühnetods Christi. Auf der anderen Seite ist sie eine Prophezeiung
des Schicksals vieler Jünger ( Joh 12,25 ). Joh 11,17 Lazarus war anscheinend schon bald nach der
Abreise der Boten gestorben, als Jesus noch eine Tagesreise entfernt
war. Da es in Palästina sehr warm ist und die Verwesung rasch eintritt,
wurde ein Mensch gewöhnlich noch an demselben Tag, an dem er gestorben
war, begraben (vgl. V. 39 ). Joh 11,18-19 Die Tatsache, daß Betanien nahe bei Jerusalem
war, etwa eine halbe Stunde entfernt , weist auf zweierlei hin. Erstens
erklärt sie, warum so viele Juden aus Jerusalem Zeuge der Auferweckung
des Lazarus wurden (V. 45 - 46 ), und zweitens bereitet sie den Leser
auf den kommenden Höhepunkt des Wirkens Jesu, der in dieser Stadt
geschehen sollte, vor. Wenn ein Mensch starb, trauerten die Juden
längere Zeit. Es galt dabei als fromme Pflicht, die trauernden
Hinterbliebenen zu trösten . Joh 11,20-22 Marta, die Tatkräftige, ging Jesus entgegen,
während Maria , die kontemplative Schwester, wartete. (Vgl. Lk
10,39-42 ,wo die beiden Schwestern ähnlich charakterisiert werden.)
Martas Gruß war so etwas wie ein Glaubensbekenntnis. Sie war überzeugt,
daß Jesus ihren Bruder hätte heilen können, wenn er da gewesen wäre.
Darin scheint keine Kritik an Jesus zu stecken, denn sie wußte ja, daß
ihr Bruder bereits tot war, als die Boten bei Jesus anlangten. Ihre
Worte "aber auch jetzt weiß ich: was du bittest von Gott, das wird dir
Gott geben" könnten zwar als Hinweis auf die Aufweckung ihres Bruders
verstanden werden, doch ihr Protest vor dem Grab ( Joh 11,39 ) und ihre
Worte in Vers 24 widersprechen dieser Interpretation. Was sie hier
sagte, war also wohl nur ganz allgemein ein Ausdruck ihrer Überzeugung,
daß Jesus den Segen des Vaters besaß. Joh 11,23-24 Dein Bruder wird auferstehen . Mit diesen Worten
eröffnete Jesus sein Gespräch mit Marta. Diese dachte dabei jedoch nicht
an eine sofortige Auferstehung, sondern an die Auferstehung am Jüngsten
Tage . Joh 11,25-26 Ich bin die Auferstehung und das Leben . Das ist
die fünfte von Jesu großen "Ich bin"-Aussagen. Die Auferstehung und das
neue Zeitalter sind bereits jetzt Wirklichkeit, weil Jesus Herr über das
Leben ist ( Joh 1,4 ). Seine Worte über Leben und Tod scheinen paradox:
Der Tod eines Gläubigen führt in das neue Leben. Ein Gläubiger lebt so,
daß er in geistlicher Hinsicht nimmermehr sterben wird . Er hat das
ewige Leben ( Joh 3,16;5,24;10,28 ); das Ende des physischen Lebens ist
nur ein Schlaf des Körpers, bis er auferweckt wird zum Leben. Im Tod
geht der geistige Teil seines Körpers, die Seele, zum Herrn (vgl. 2Kor
5,6.8; Phil 1,23 ). Joh 11,27 Marta bekannte ihren Glauben an Christus. Sie
stimmte Jesu Aussage über das ewige Leben für die, die glauben, zu. Dann
bekannte sie drei Dinge: Jesus ist (a) der Christus ("Messias"), (b) der
Sohn Gottes - das ist wahrscheinlich ein Messiastitel (vgl. Joh 1,49; Ps
2,7 ) - und (c) der, der in die Welt gekommen ist (wörtlich: "der
Kommende"; vgl. Joh 12,13 ). Marta glaubte, daß Jesus der Messias war,
der gekommen war, um Gottes Willen zu tun, doch sie hatte bis jetzt noch
keinen Hinweis auf das Wunder, das er an ihrem Bruder vollbringen würde. Joh 11,28-30 Dann richtete Marta ihrer Schwester Maria aus,
daß Jesus, der Meister, da sei und nach ihr rufe. Offensichtlich
wünschte Jesus eine private Unterredung mit Maria, vielleicht, um sie zu
trösten und zu unterweisen. Der Titel "Meister", den Marta hier
verwendete, ist bemerkenswert, denn gewöhnlich lehrte ein jüdischer
Rabbi keine Frauen (vgl. Joh 4,1-42 ). Joh 11,31-32 Marias plötzlicher Aufbruch, um Jesus zu sehen,
veranlaßte die Juden, die bei ihr im Hause waren und sie trösteten, ihr
zu folgen , daher wurde ein privates Gespräch mit Jesus unmöglich. Als
Maria zu Jesus kam, fiel sie ihm zu Füßen . Sie hatte schon einmal zu
Jesu Füßen gesessen und seiner Lehre zugehört ( Lk 10,39 ) und begrüßte
ihn nun auf dieselbe Weise wie zuvor ihre Schwester ( Joh 11,21 ). Auch
sie gab der Ansicht Ausdruck, daß die Tragödie nicht eingetreten wäre,
wenn Jesus da gewesen wäre. Ihr Glaube war aufrichtig, doch begrenzt. Joh 11,33-34 In schroffem Kontrast zu der Gleichgültigkeit
oder dem fehlenden Mitgefühl, die etwa die griechischen Götter
kennzeichnen, bestätigten Jesu Gefühle in dieser Situation, daß er
wirklich mit den Menschen verbunden war. Er ergrimmte im
Geist ( enebrimEsato , von enebrimaomai ; dieses griechische Verb steht
nur fünfmal im Neuen Testament und bezieht sich jedesmal auf Gefühle
oder Worte des Herrn oder der Jünger; Mt 9,30; Mk 1,43;14,5; Joh
11,33.38 ). Warum war Jesus zornig? Manche Forscher sind der
Ansicht, daß er sich über den Unglauben und die geheuchelte Trauer der
Menschen ärgerte. Das scheint vom Text her jedoch nicht sehr plausibel.
Eher trifft es zu, daß Jesus zornig war über die Tyrannei Satans, der
durch die Sünde Leid und Tod über die Menschen gebracht hatte (vgl. Joh
8,44; Hebr 2,14-15 ). Er war sehr betrübt ( etaraxen , wörtlich:
"bewegt", wie das Wasser im Teich in Joh 5,7; vgl. Joh
12,27;13,21;14,1.27 ); seine Trauer war wohl auf den Konflikt mit der
Sünde, dem Tod und Satan zurückzuführen. Joh 11,35-37 Jesus weinte anders als die Menschen weinten.
Sein stilles Tränenvergießen ( edakrysen ) unterschied sich von ihrem
lauten Wehklagen ( klaiontas ; V. 33 ). Er weinte über die tragischen
Folgen der Sünde. Die Menge aber deutete seine Tränen als Ausdruck der
Liebe oder der Trauer, weil er nicht dagewesen war, um Lazarus zu
retten. Joh 11,38-39 Noch ganz aufgewühlt (vgl. den Kommentar zu
"ergrimmte im Geist"; V. 33 ) kam er zum Grab . Die jüdischen Gräber
waren meist in Kalkstein gehauene Nischen oder Höhlen in einer
Steinmauer. Vor der Nische lag ein Stein. Jesus befahl: "Hebt den Stein
weg!" Wer diesem Befehl nachkam, lief zwar Gefahr, sich zu
verunreinigen, doch es war unbedingter Gehorsam nötig, wenn Jesu
Vorhaben in die Tat umgesetzt werden sollte. Die ganze Szene war
hochdramatisch. Die Menge stand schweigend da, wartete und hörte zu.
Maria weinte laut, und Marta protestierte, weil nach den vier Tagen ,
die ihr Bruder bereits im Grab lag, mit Sicherheit bereits die Verwesung
eingesetzt hatte. Joh 11,40 Jesus aber erinnerte Marta an seine zuvor
gegebene Verheißung (V. 25 - 26 ; vgl. V. 4 ). Wenn sie seinem Wort, daß
er die Auferstehung und das Leben sei, glaubte und sich darauf verließ,
sollte sie die Herrlichkeit Gottes sehen . Doch wenn die Schwestern
Jesus nicht sowieso vertraut hätten, hätten sie ihm wohl kaum die
Erlaubnis gegeben, das Grab zu öffnen. Joh 11,41-42 Als der Stein entfernt worden war, stieg die
allgemeine Spannung. Was würde Jesus nun tun? Er dankte einfach nur
seinem Vater, daß er ihn erhört hatte . Jesus wußte, daß er in dieser
Manifestation seiner Liebe und seiner Macht den Willen Gottes tat. Sein
Dankgebet war für die Öffentlichkeit gedacht, nicht, damit er als
Wundertäter verehrt, sondern damit der Gehorsam des Sohnes gegenüber dem
Vater deutlich würde. Daß der Vater seine Bitte erfüllte, sollte für das
Volk der Beweis sein, daß er von ihm gesandt war, und den Glauben der
Menschen wecken (vgl. Elias Gebet, 1Kö 18,37 ). Joh 11,43-44 An anderer Stelle hatte Jesus gesagt, daß die
Menschen seine Stimme vernehmen und aus ihren Gräbern herauskommen
werden ( Joh 5,28-29 ) und daß seine Schafe seine Stimme hören ( Joh
10,16.27 ). Nach kurzem Gebet rief ( ekraugasen ) er Lazarus mit lauter
Stimme beim Namen. Das hier verwendete Verb für "rufen" kommt nur
neunmal im Neuen Testament vor, davon achtmal in den Evangelien ( Mt
12,19; Lk 4,41; Joh 11,43;12,13;18,40;19,6.12.15; Apg 22,23 ). Jesus rief nur drei Worte: "Lazarus, komm
heraus!" (Augustinus hat einmal gesagt, daß, wenn Jesus nicht Lazarus'
Namen gesagt hätte, alle Toten aus den Gräbern gekommen wären.)
Sofort kam der Verstorbene heraus . Da er mit Grabtüchern an Füßen und
Händen gebunden war, mußte allein Gottes Macht ihn herausgebracht haben.
Jesu Anweisung "löst die Binden" ermöglichte es ihm, wieder aus eigener
Kraft zu gehen und war gleichzeitig der Beweis, daß er lebendig und kein
Geist war. Dieses Ereignis veranschaulicht in
eindrücklichster Weise, wie der Sohn Gottes den Menschen das Leben
schenkt. Den Heiligen des Kirchenzeitalters wird er es bei der
Entrückung bringen ( 1Thes 4,16 ), den Heiligen des Alten Testaments
( Dan 12,2 ) und den Heiligen der Zeit der großen Trübsal ( Offb
20,4.6 ) bei seiner Rückkehr. Doch schon jetzt beruft er die geistlich
Toten zum geistlichen Leben. Viele, die durch Sünden und Vergehen
bereits tot sind, glauben und kommen durch die Macht Gottes zum Leben
( Eph 2,1-10 ). F. Der Plan, Jesus zu töten ( 11,45 - 57 ) Joh 11,45-47 a Jesu Selbstoffenbarungen provozierten jeweils
zweierlei Reaktionen. Für viele von den Juden war dieses Wunder ein
eindeutiger Beweis für die Wahrheit seines Anspruchs, und sie glaubten
an ihn . Andere dagegen wurden nur noch verstockter oder wußten
überhaupt nicht mehr, was sie denken sollten. Sie gingen hin zu seinen
Feinden, den Pharisäern, und sagten ihnen, was Jesus getan hatte .
Dieses letzte wunderbare Zeichen war so bedeutsam, daß die Hohenpriester
und die Pharisäer beschlossen, eine Krisensitzung des Hohen
Rats einzuberufen (zum Hohen Rat vgl. den Kommentar zu Joh 3,1 ).
Zweifellos dachten sie, Jesus sei eine Art Zauberer, der mittels
irgendwelcher geheimnisvoller Künste die Menschen verführte. Joh 11,47-48 (Joh 11,47b-48) Der Hohe Rat erkannte, daß er Jesus mit den
bisherigen Mitteln nicht ausschalten konnte. Durch offizielle
Mißbilligung, "Exkommunikation" und Streitgespräche war seinem Einfluß
kein Einhalt mehr zu gebieten. Sie befürchteten einen Aufstand, der
die Römer auf den Plan riefe, die ihnen Land (den Tempel) und Leute
nehmen würden. Joh 11,49-50 Kaiphas war in dem Jahr Hoherpriester (vgl. Joh
18,13-14.24.28 ). Ursprünglich wurde der Hohepriester lebenslang in sein
Amt berufen, doch die Römer wollten verhindern, daß ein einzelner Mann
zu großen Einfluß gewann, und behielten sich daher seine Ernennung vor.
Kaiphas amtierte von 18 bis 36 n. Chr. Wie sehr er Jesus verachtete,
zeigte sich an seinen Worten: "Ihr wißt nichts!" Er war der Ansicht, daß
dieser Mensch geopfert werden müsse, wenn die römische Besatzungsmacht
dem Volk weiterhin wohlgesonnen bleiben sollte. Die Alternative war
seiner Ansicht nach die Zerstörung des jüdischen Volkes durch einen
Krieg ( Joh 11,48 ). Sein Entschluß sollte jedoch den Krieg nicht
verhindern können. Das jüdische Volk folgte falschen Hirten in einen
Krieg gegen Rom (66 - 70 n. Chr.), nach dem es dann als Nation
tatsächlich zerstreut wurde. Joh 11,51-53 Dem Evangelisten Johannes war die tiefe Ironie,
die in Kaiphas' Worten lag, klar. Als Hoherpriester wies er in einer
prophetischen Äußerung, von der er nicht einmal wußte, daß er sie
aussprach, auf das letzte Opferlamm hin. Kaiphas war der Ansicht, daß
Jesus getötet werden müsse, und Gott machte seine Worte zu einem Hinweis
auf den stellvertretenden Sühnetod Jesu. Jesu Tod sollte in Gottes Augen
als vollkommene Erfüllung des Gesetzes das alte System aufheben. Er
starb nicht nur für die Juden, sondern für die ganze Welt und schuf auf
diese Weise etwas Neues (vgl. Eph 2,14-18;3,6 ). Der Hohe Rat faßte also
den Beschluß, Jesus zu töten. Joh 11,54 Jesus aber zog sich von Betanien etwa 20
Kilometer nördlich in eine Stadt mit Namen Ephraim zurück. Die kleine
Ortschaft bot ihm Zuflucht und lag nahe genug bei der Wüste, so daß er,
falls es nötig würde, fliehen konnte. Joh 11,55-57 Zum Passafest gingen viele jüdische Pilger nach
Jerusalem und fragten dort nach Jesus . Bis jetzt ( Joh 2,13-25 ) hatte
er stets an den nationalen Festen teilgenommen und bei dieser
Gelegenheit öffentlich im Tempel gepredigt. Würde er das weiterhin tun?
Große Volksmengen versammelten sich in der Stadt und warteten auf ihn.
Die religiösen Machthaber aber hatten Befehl gegeben: Wenn jemand weiß,
wo er ist, soll er's anzeigen, damit sie ihn ergreifen könnten . G. Das Ende des öffentlichen Wirkens Jesu ( 12,1 - 36 ) 1. Die Salbung in Betanien ( 12,1 - 8 ) Johannes schließt seinen Bericht über Jesu
öffentliches Wirken im zwölften Kapitel (a) mit dem Bericht über Jesu
Salbung durch Maria (die Einleitung für seinen Opfertod), (b) mit Jesu
triumphalen Einzug in Jerusalem und (c) mit der Vorhersage seines Todes. Joh 12,1-2 Die Zeitangaben werden nun genauer und
bedeutsamer: es war sechs Tage vor dem Passafest . Jesus kehrte aus
Ephraim ( Joh 11,54 ) nach Betanien zurück, wo auch Lazarus war, und
nahm an einem Mahl teil, das ihm zu Ehren veranstaltet wurde. Markus
berichtet noch, daß es im Hause Simons des Aussätzigen stattfand ( Mk
14,3-9 ). Es muß ein Freudenmahl gewesen sein, bei dem auch Maria, Marta
und Lazarus anwesend waren. Die Beziehung dieser Familie zu Simon ist
uns nicht bekannt, doch muß es eine sehr enge gewesen sein, da Marta bei
Tisch bediente. Joh 12,3 Die unverfälschte Narde war ein aus den Wurzeln
und unteren Stengelteilen eines aus Nordindien kommenden aromatischen
Baldriangewächses gewonnenes Duftöl. Es war sehr kostbar und wurde in
versiegelten Alabasterfläschchen importiert und nur zu ganz besonderen
Zwecken verwendet. Marias verschwenderisches Geschenk ( ein Pfund ) war
Ausdruck ihrer Liebe zu Jesus und ihres Dankes, daß er Lazarus zum Leben
erweckt hatte. Das Haus aber wurde erfüllt vom Duft des Öls. Das ist
eine von Johannes' zahlreichen Nebenbemerkungen, die darauf hinweisen,
daß er ein Augenzeuge des Wirkens Jesu war. Joh 12,4-5 Judas Iskariot erhob Einspruch gegen diese - in
seinen Augen - unnötige "Verschwendung". Sein Einwand, daß man den Erlös
aus dem Verkauf des Öls den Armen hätte geben können, war jedoch wohl
nicht ehrlich gemeint (vgl. V. 6 ). Nach Markus ( Mk 14,4-5 ) machten
sich auch die anderen Jünger seine Kritik zu eigen und tadelten Maria
ebenfalls. Das Böse greift rasch um sich, und sogar führende Männer
können zum Werkzeug Satans werden. Der Wert des Parfums betrug immerhin
einen Jahreslohn (wörtlich: "dreihundert Silbergroschen"), eine Summe,
die zu ersparen wohl ein ganzes Leben nötig war. Joh 12,6 Der Evangelist war aus seiner Perspektive heraus
in der Lage, die Gründe für das Verhalten von Judas anzugeben.
Anscheinend war Judas der Schatzmeister der Zwölf (vgl. Joh 13,29 ) und
stahl häufig kleinere Summen aus dem Geldbeutel . Maria hatte offen und
freigebig geschenkt, Judas dagegen hortete heimlich und aus
eigennützigen Motiven Geld für sich. Schließlich verriet er Jesus sogar
für Geld - für dreißig Silberlinge (das war der Preis für einen Sklaven;
vgl. 2Mo 21,32; Sach 11,12-13 ). Joh 12,7-8 Normalerweise war das Salben eine festliche
Handlung, in diesem Fall jedoch war es eine Vorwegnahme von
Jesu Begräbnis . Jesus, der von Gottes Wort lebte, wußte, daß er als der
leidende Gottesknecht Schmerzen leiden, sterben und begraben werden
mußte (vgl. Jes 53,9 ). Daher nahm er sofort Marias Liebestat und
Frömmigkeit in Schutz. Der Satz "denn Arme habt ihr allezeit bei
euch" war nicht als göttliche Gutheißung der Armut oder als Ermutigung,
nichts für die Armen zu tun, gemeint.Jesus sagte hier vielmehr, daß es
viele Gründe für Armut gibt und die Menschen immer Gelegenheit haben,
Armen zu helfen ( Mk 14,7 ), daß die Gelegenheit, ihm, Jesus, auf Erden
Liebe zu erweisen, jedoch bald nicht mehr gegeben sei: Mich aber habt
ihr nicht allezeit (vgl. Joh 12,35;13,33;14,3-4 ). 2. Der triumphale Einzug in Jerusalem ( 12,9 - 19 ) Joh 12,9-11 Jesus war inzwischen so populär geworden, daß es
unmöglich für ihn war, sich unbemerkt in der Nähe von Jerusalem
aufzuhalten. Von überall her kamen die Menschen zum Passafest. Viele von
ihnen suchten Jesus (vgl. Joh 11,56 ) und auch Lazarus auf: Weil
letzterer auferweckt worden war, gingen viele Juden hin und glaubten an
Jesus . Daher beschlossen die Hohenpriester, beide - Jesus und Lazarus -
zu töten! Joh 12,12-13 Die Menschen waren außer sich vor Begeisterung.
Tausende galiläischer Pilger waren aufs Fest gekommen und Augenzeugen
der großen Taten Jesu geworden. Bis jetzt hatte er zwar die Rolle eines
politischen Messias stets abgelehnt ( Joh 6,15 ), doch nun, so glaubten
sie, sei der richtige Augenblick gekommen, ihn auch zum politischen
Führer zu proklamieren. Jesus zog in Jerusalem, die Stadt des großen
Königs, ein. Das Volk schwenkte Palmzweige , das Symbol des Sieges, und
rief ( ekraugazon ; vgl. den Kommentar zu Joh 11,43 ): "Hosianna!" Das
ist hebräisch und heißt "hilf uns" oder "hilf uns jetzt" (vgl. Ps
118,25 ) und war im Lauf der Zeit ein Lobgesang geworden. Außerdem
verlieh ihm die Menge mehrere messianische Titel: Der da kommt ( Ps
118,26 ,wörtlich: "der Kommende"; vgl. Joh 11,27 ) und König von
Israel . Joh 12,14-15 Jesu Einzug in die Stadt auf einem jungen
Esel war ein Symbol des Friedens (vgl. den Kommentar zu Mt
21,2 ,demzufolge Jesus auf einer Eselin und auf einem Füllen ritt). Er
ritt nicht etwa ein Pferd, trug auch kein Schwert oder eine Krone und
kam nicht, wie so viele Könige, in einem Kriegswagen. Sein Einzug
erfüllte die Prophezeiung Sacharjas, der das Kommen Jesu ( Sach 9,9 )
dem Kommen Alexanders des Großen gegenüberstellte ( Sach
9,1-8 ). Tochter Zion war die poetische Bezeichnung für die Einwohner
Jerusalems, der Stadt, die auf dem Zion erbaut ist. Hier, in dem Zitat
aus Sach 9,9 , wird Jesus Israels König genannt. Joh 12,16 Obwohl die Jünger Jesus so nahe standen und auch
bei seinem Einzug in Jerusalem dabeiwaren, verstanden sie die Ereignisse
nicht. Sie besaßen noch nicht die Perspektive des Kreuzes und der
Auferstehung ( als Jesus verherrlicht war ); sie wußten nicht, daß bei
Sacharja dies von ihm geschrieben stand . Ihr Glaube war noch schwach;
sie hatten noch nicht den Beistand des Heiligen Geistes (vgl. Joh
16,12-14 ). Joh 12,17-18 Die Menge, die Jesus folgte, wurde ständig
größer. Die Neuigkeit des großen Zeichens - daß er Lazarus aus dem Grabe
rief - verbreitete sich in der ganzen Stadt, und immer mehr Menschen
gingen ihm entgegen. Es war ein Tag großer öffentlicher Anerkennung
Jesu, doch leider besaßen die Menschen, die ihm zujubelten, nur wenig
geistliche Einsicht. Joh 12,19 Der begeisterte Empfang, der Jesus von den Massen
bereitet wurde, vereitelte zunächst den Plan der Pharisäer, ihn zu
verhaften, und sie überlegten, wie sie ihn statt dessen heimlich
gefangennehmen und töten könnten. "Ja nicht bei dem Fest", sprachen sie,
"damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe" ( Mk 14,1-2 ). Ganz
pessimistisch gestanden sie sich ein: Alle Welt läuft ihm nach. Hierin
liegt abermals eine gewisse Ironie, denn die meisten dieser Pilger
glaubten nicht wirklich an Jesus. 3. Die Griechen auf dem Fest ( 12,20 - 36 ) Joh 12,20 Die Erwähnung der Griechen ist ebenfalls
bedeutsam. Sie waren die Wanderer der Alten Welt, die großen Sucher der
Wahrheit. Bei den Griechen, von denen hier die Rede ist, handelte es
sich wahrscheinlich um sogenannte "Gottesfürchtige", die Anschluß an die
Synagogen suchten und an den jüdischen Festen teilnahmen. Ihr Kommen war
zugleich ein Symbol für das Kommen der Heiden, die Gott durch Christus
anbeten sollten (vgl. Joh 10,16 ). Joh 12,21-22 Warum baten sie gerade Philippus, Jesus sehen zu
dürfen? Vielleicht, weil er einen griechischen Namen trug oder weil er
Kontakt zu Griechen aus dem Gebiet der Dekapolis hatte. Philippus kommt
und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus .
Wahrscheinlich wollten sehr viele Leute Jesus sprechen und die Jünger
versuchten wohl, ihn bis zu einem gewissen Grad abzuschirmen (vgl. Lk
18,15-16 ). Joh 12,23-24 Jesu Entscheidungsstunde stand nun nahe bevor
(vgl. Joh 2,4;4,21.23;7,6.8.30;8,20 ). Auch die Anwesenheit der Griechen
bestätigte, daß die Zeit gekommen war, daß der Menschensohn verherrlicht
werde (vgl. Joh 12,23;13,1;17,1 ). Für die meisten Menschen bedeutet der
Tod eine Demütigung, doch für Jesus war er das Tor zur Verherrlichung.
Seine Bereitwilligkeit, in Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters für
die Sünden anderer zu sterben ( Jes 53,10.12 ), brachte ihm Ruhm
(Herrlichkeit; vgl. Joh 12,16;17,1.5 ). "Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch" war die Einleitung für eine feierliche Bestätigung. Die Analogie
mit dem Weizenkorn, das in die Erde fällt und erstirbt und viel Frucht
bringt , lehrt, daß der Tod nötig ist, wenn es eine Ernte geben soll. Joh 12,25-26 Das Beispiel vom Weizenkorn (V. 24 )
veranschaulicht ein allgemeingültiges, paradoxes Prinzip: Der Tod ist
der Weg ins Leben. In Jesu Fall führte sein Tod zu Herrlichkeit und
Leben nicht nur für ihn selbst, sondern auch für andere. Ähnlich verhält es sich bei einem Jünger Jesu. Er
muß sein Leben auf dieser Welt hassen , d. h., er muß Christus so
ergeben sein, daß er völlig uneigennützig handelt. Wer aber sein Leben
lieb hat, der wird's verlieren . Alles im Leben, auch Ziele, Interessen
und Liebe, kann zum Götzen werden (vgl. Lk 12,16-21; Lk 18,18-30 ). Ein
Gläubiger aber sollte seinen egoistischen Bestrebungen absterben ( Röm
6,1-14; 2Kor 5,14-15; Gal 6,14 ). Ein Jünger Jesu zu sein, bedeutet, ihm
nachzufolgen. Viele von Jesu ersten Jüngern folgten ihm tatsächlich bis
in den Tod. Nach der Überlieferung starb ein Großteil von ihnen als
Märtyrer. Jesu Worte waren also eine Prophezeiung und gleichzeitig eine
Verheißung. Seine wahren Jünger (die ihm dienen) folgen ihm in die
Erniedrigung und später in die Ehre und Herrlichkeit ( Röm 8,17.36-39;
2Tim 2,11-13 ). Joh 12,27-28 a Jesus lehrte die Jünger den Preis für die Treue
gegenüber dem Willen des Vaters, indem er ihnen seine Gefühle enthüllte.
Er war in großer innerer Unruhe ( tetaraktai , "bewegt"; vgl. Joh
11,33;14,1 ), weil er im Tod zur Sünde gemacht werden sollte ( 2Kor
5,21 ). Doch sollte er deshalb vor dem Kommenden zurückschrecken und
darum bitten, daß ihm aus dieser Stunde geholfen werde? Mit Sicherheit
nicht, denn er war ja Fleisch geworden, damit er in diese Stunde komme
(vgl. Joh 12,23;13,1;17,1 ). Mit der Bitte "Vater, verherrliche Deinen
Namen" gab Jesus seiner Bereitschaft, sich dem Willen des Vaters ganz zu
unterwerfen, Ausdruck. So wie er sollten sich auch die Gläubigen in
Schwierigkeiten verhalten und sich trotz ihres inneren Widerstrebens dem
Willen des Vaters fügen - in dem Wunsch, daß sein Name verherrlicht
werde. Joh 12,28-29 (Joh 12,28b-29) Da ertönte eine Stimme vom Himmel , und der Vater
bestätigte sein Wirken in Jesus sowohl in der Vergangenheit als auch in
der Zukunft. Die Stimme war zwar hörbar, doch nicht alle verstanden sie
(vgl. V. 30 ; Apg 9,7;22,9 ). Für die geistlich aufgeschlossenen Menschen war
die Stimme eine Bestätigung für ihren Glauben, für die Verstockten
dagegen war sie nur ein lautes Donnern (vgl. 1Kor 2,14 ). Joh 12,30-31 Jesu Tod am Kreuz war das Gericht über diese
Welt . Das Böse wurde damit gesühnt und die Torheit der Ziele, Maßstäbe
und Religionen der Welt wurde erwiesen. Aber das Kreuz war auch die
Niederlage Satans ( Offb 12,10 ). Der Fürst dieser Welt (d. i. Satan;
vgl. Joh 14,30;16,11 ) wird, nach Jesu Worten, ausgestoßen werden. Seine
Macht über die Menschen, die sich in Sünde und Tod manifestierte, ist
gebrochen; sie können nun aus seinem Reich der geistlichen Finsternis
und aus der Sklaverei der Sünde erlöst werden ( Kol 1,13-14; Hebr
2,14-15 ). Joh 12,32-33 Jesu Worte "wenn ich erhöht werde von der
Erde" bezogen sich nicht auf seine Himmelfahrt, sondern auf seine
Kreuzigung (vgl. Joh 3,14;8,28 ). Er wußte, daß er - erhöht am Kreuz -
sterben würde. Die häufigste Todesstrafe bei den Juden war allerdings
die Steinigung (vgl. den Tod des Stephanus; Apg 7,58-59 ). Am Kreuz wollte Jesus alle zu sich ziehen . Damit
meinte er nicht, daß alle gerettet würden - er wies vielmehr
ausdrücklich darauf hin, daß viele auch verloren gehen würden ( Joh
5,28-29 ). Wenn dieses "Zu-Sich-Ziehen" des Sohnes dasselbe ist wie das
"Ziehen" des Vaters ( Joh 6,44 ), bedeutet das, daß er die Menschen zu
sich holen wird, ohne Unterschiede zu machen. Nicht nur Juden werden
gerettet werden, sondern Menschen aus jedem Stamm, jeder
Sprachgemeinschaft, jedem Volk und jeder Nation ( Offb 5,9; vgl. Joh
10,16;11,52 ). Joh 12,34 Das Volk war verwirrt. Wenn der Messias
der Menschensohn war, sollte er doch wohl in Ewigkeit bei ihnen
bleiben . Dan 7,13-14 z. B. hatte vom immerwährenden Reich des
Menschensohnes gesprochen. Vielleicht fragten sich die Menschen auch, ob
Jesus hier zwischen dem Messias ( Christus ) und dem Menschensohn
unterschied. Verwendete er den Begriff "Menschensohn" nicht im Sinne
von Dan 7,13 ? Sie schienen zu verstehen, daß Jesus von seinem
bevorstehenden Tod sprach, doch sie verstanden nicht, wie er sterben
konnte, wenn er der Messias war. Joh 12,35-36 Die Leute taten sich schwer, das, was ihrem
Verstand hier zugemutet wurde, zu verarbeiten. Doch Jesus wies sie
darauf hin, daß das Ganze vor allem eine Sache der ethischen
Entscheidung war. Die Zeit, in der sie sich zu ihm bekennen konnten,
ging zu Ende. Er war das Licht der Welt ( Joh 1,4.9;8,12;12,46 ), doch
er mußte sie bald verlassen (V. 23 ). Die Finsternis der Nacht brach
herein, und mit ihr sollte das Böse von den Menschen Besitz
ergreifen. "Wer in der Finsternis wandelt" bezieht sich auf die
Ungläubigen, die durchs Leben stolpern, ohne überhaupt zu wissen, was
das Leben ist und wo es hinführt (vgl. Joh 3,19;8,12; 1Joh1,6 ). Das
Privileg der Gläubigen hingegen ist es, an das Licht (d. h. an Jesus) zu
glauben und Kinder des Lichts (d. h. seine Jünger; vgl. Röm 13,12; Eph
5,8.14; Kol 1,13-14; 1Thes 5,5; 1Joh 1,7;2,10 ) zu werden. Abermals
entzog sich Jesus ihnen auf übernatürliche Weise (vgl. Joh
5,13;8,59;10,39 ). H. Der Unglaube des jüdischen Volkes ( 12,37 - 50 1. Johannes' Erklärung ( 12,37 - 43 ) Joh 12,37 Von Anbeginn seines Evangeliums an ( Joh 1,1 )
war es dem Evangelisten Johannes um die Darstellung des Unglaubens des
jüdischen Volks gegangen. Jetzt führt er aus, daß die Menschen, trotz
aller Zeichen ( sEmeia ), die Jesus vor ihren Augen tat, nicht an ihn
glaubten . Ihr Unglaube war stark irrational eingefärbt. Joh 12,38 Bereits der Prophet Jesaja hatte auf diesen
irrationalen Unglauben des jüdischen Volks hingewiesen. Die klarste
Textstelle des Alten Testaments über den leidenden Gottesknecht ( Jes
53,1-12 ) beginnt mit der Aussage, daß Israel Gottes Offenbarung in und
durch seinen Knecht nicht verstehen würde. Die Sätze "Herr, wer glaubt
unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?" implizieren,
daß immer, zu allen Zeiten, nur einige wenige Menschen geglaubt haben
(vgl. Jes 53,1 ). Joh 12,39-40 Noch ein weiteres Jesaja-Zitat ( Joh 6,10 ) führt
der Evangelist an, um zu erklären, daß das Volk als Ganzes unfähig war
zu glauben. Weil die Menschen Gottes Offenbarung wieder und wieder
zurückgewiesen hatten, hatte er ihre Augen verblendet und ihr Herz
verstockt . Bereits zur Zeit Jesajas hatten sie sich also geweigert zu
glauben. Sie "wollten nicht glauben" ( Joh 12,37 ), daher konnten sie
nicht glauben (V. 39 ). Es gibt noch viele weitere Beispiele dafür, daß
Gott die Sünden der Menschen bestrafte, indem er ihre Herzen verhärtete
( 2Mo 9,12; Röm 1,24.26.28; 2Thes 2,9-12 ). Joh 12,41 In einer Vision sah Jesaja "den Herrn Zebaoth"
( Jes 6,3; wörtlich: "den Herrn der Heerscharen"). Johannes schreibt,
daß die Herrlichkeit, die Jesaja in seiner Vision schaute, Jesu
Herrlichkeit war. Die Implikation dieser Aussage ist bestürzend: Jesus
ist Jahwe! (vgl. Joh 1,18;10,30;20,28; Kol 2,9 ). Jesus ist seinem Wesen
nach Gott (doch Gott, der Sohn, unterscheidet sich der Person nach von
Gott, dem Vater, und Gott, dem Geist). Bereits Jesaja redetete von ihm .
Viele Prophezeiungen Jesajas betreffen den kommenden Messias, Jesus von
Nazareth (z. B. Jes
4,2;7,14;9,5-6;11,1-5.10;32,1;42,1-4;49,1-7;52,13-53,12;61,1-3 ). Auch
Jesus hatte schon früher darauf hingewiesen, daß bereits Mose über ihn
geschrieben hatte ( Joh 5,46 ). Joh 12,42-43 Doch obwohl der größte Teil des Volkes nicht an
Jesus glaubte, war die Situation nicht hoffnungslos. Gott hat stets eine
kleine Schar Getreuer. Viele hochgestellte Personen glaubten an
Jesus, bekannten sich aber nicht dazu, aus Angst, aus der Synagoge
ausgestoßen zu werden . Sie fürchteten die Meinung der Leute, denn
sie hatten lieber Ehre bei den Menschen als Ehre bei Gott . 2. Jesu Ermahnung ( 12,44 - 50 ) Wann und wo Jesus die folgenden Worte sprach,
wird nicht gesagt. Es scheint sich um eine Zusammenfassung der
Selbstoffenbarungen Jesu vor dem Volk zu handeln. Joh 12,44-46 Daß Jesus das folgende rief ( ekraxen , "rief
aus"; vgl. Joh 1,15;7,28.37 ), ist wiederum ein Hinweis auf die
Bedeutung, die diesen Worten zukommt. Jesus ist die vollkommene
Manifestation Gottes, der ihn gesandt hat ( Joh 1,18; Kol 1,15; Hebr
1,3 ); an Jesus zu glauben heißt also, an Gott zu glauben. Die Menschen
glauben dabei nicht an zwei Personen: an Gott und/oder Jesus. Wer
Jesus sieht, der sieht den, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 12,41;14,9 ).
Jesus ist gekommen, um die Menschen aus dem Reich des Satans, der
Finsternis, in das Reich Gottes, das Reich der Liebe und des Lichts, zu
führen (vgl. Joh 1,4.9;8,12;12,35; Kol 1,13-14 ). Joh 12,47-50 Da Jesus das Wort Gottes ( Logos ) an die
Menschen ist, sprach Gott in ihm auch das abschließende Urteil über sie
( Hebr 1,1-3 ). Es geht um das Gebot des Vaters. Dem Vater zu gehorchen
heißt, das ewige Leben zu erhalten. Das Wort des Vaters - Jesu Wort
( Joh 12,48; vgl. V. 50 b; Joh 7,16;14,10-24 ) - zu verwerfen heißt, im
Tod zu bleiben. Mose sagte das Kommen des großen Propheten voraus (der
für Gott sprechen sollte). Er schrieb: "Dem sollt ihr gehorchen." ( 5Mo
18,15 ). Das Gericht am Jüngsten Tage ist die Strafe für die Verwerfung
dessen, den der Vater sandte ( 5Mo 18,18-19; Joh 3,18.36;5,24 ). Mit seiner Offenbarung in Jesus verfolgte Gott
etwas Positives: Er kam, die Welt zu retten, nicht, sie zu richten ( Joh
12,47; vgl. Joh 3,17 und den Kommentar zu Joh 9,39 ). Doch die Ablehnung
der Offenbarung Gottes führt unausweichlich zur Verhärtung in Sünde und
schließlich zum Gericht. Seiner Schilderung des Unglaubens des jüdischen
Volkes setzt der Evangelist Jesu eindringlichen Aufruf zur Buße
gegenüber. Mit den Worten Moses wies er die Menschen darauf hin: "denn
es ist nicht ein leeres Wort an euch, sondern es ist euer Leben" ( 5Mo
32,47 ). III. Jesu Weisungen an seine Jünger ( Joh 13-17 ) A. Das letzte Abendmahl ( 13,1 - 30 ) 1. Die Fußwaschung ( 13,1 - 17 ) Stärker als die Synoptiker geht das
Johannesevangelium auf die Lehren, die Jesus seinen Jüngern vor seinem
Tod gab, ein. Die Kap. 13 - 17 konzentrieren sich ganz auf die Weisungen
in jener verhängnisvollen Nacht, in der er gefangengenommen wurde. Zuvor
wusch Jesus seinen Jüngern die Füße und sagte nochmals voraus, daß er
von einem von ihnen verraten würde. Joh 13,1 Jesus erkannte, daß seine Stunde gekommen
war (vgl. Joh 2,4;7,6.8.30;12,23.27;17,1 ), daß er aus dieser Welt ginge
zum Vater . Sein Tod und seine Auferstehung standen unmittelbar bevor.
Er war gekommen, um im Gehorsam gegenüber dem Willen seines Vaters zu
sterben. Sein Kommen war eine Liebestat für die ganze Menschheit ( Joh
3,16 ). Doch vor allem liebte er die Seinen ; ihnen offenbarte er das
ganze Ausmaß seiner Liebe. Hier ist an seinen unermüdlichen Dienst für
die Menschen ( Joh 13,1-17 ), seine Lehre ( Joh 13,18-17,26 ) und an
seinen Tod ( Joh 18-19 ) gedacht. Joh 13,2-4 Beim Abendessen vor dem Passafest hatte der
Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, bereits ins Herz gegeben,
Jesus zu verraten ( Joh 6,70-71 ). Später ergriff er dann noch ganz
direkt von Judas Besitz ( Joh 13,27 ). Doch trotz der Einmischung Satans
geschah alles, was zum Tode Jesu führte, nach Gottes Plan. Jesus kannte
(vgl. V. 1. 18 ) seine Macht und seine Herkunft und wußte um sein
Schicksal; und doch tat er freiwillig die Arbeit eines Sklaven und wusch
seinen Jüngern die Füße. Diese Tat steht in schroffem Kontrast zu ihrer
Selbstsucht (vgl. Mt 20,20-24; Mk 9,33-34; Lk 22,24-30 ) und ist ein
Symbol für sein ganzes Wirken auf Erden (vgl. Phil 2,5-8 ). Joh 13,5 Das Waschen der Füße war in Palästina unbedingt
erforderlich. Die Straßen waren staubig, und die Menschen trugen nur
Sandalen, keine Socken oder Strümpfe. Es war ein Zeichen der
Hochschätzung des Gastgebers gegenüber dem Gast, wenn er ihm einen
Sklaven zur Verfügung stellte, der ihm die Füße wusch, und das
Unterlassen dieser Geste war eine Verletzung der Gastfreundschaft
(vgl. 1Sam 25,41; Lk 7,40-50; 1Tim 5,10 ). Häufig wuschen auch die
Ehefrauen ihren Männern oder die Kinder den Eltern die Füße. Joh 13,6-8 Petrus, der spürte, daß Jesus ihnen mit der
Fußwaschung einen Dienst erwies, den eigentlich die Jünger ihm hätten
leisten sollen, fragte ihn, warum er, der Herr, die Füße seines Knechtes
Petrus wusch. (Das Wort du ist im Griechischen hervorgehoben.) Doch
Jesus antwortete ihm, daß er die Bedeutung dieser Handlung hernach (d.
h. nach seinem Tod und seiner Auferstehung) erfahren werde. Petrus wehrte sich: "Nimmermehr sollst du mir die
Füße waschen!" Offensichtlich war ihm - ein weiteres Beispiel für seine
Gedankenlosigkeit - nicht klar, daß Jesus diesen Dienst an ihm
verrichten mußte (vgl. Mk 8,32;9,5 ). Jesus antwortete: Wenn ich dich
nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. Das heißt nicht "Wenn du
nicht getauft bist, kannst du nicht gerettet werden", sondern "Wenn ich
nicht durch meinen Sühnetod deine Sünden abwasche (vgl. Offb 1,5 ), so
hast du keine wirkliche Beziehung zu mir" (vgl. 1Joh 1,7 ). Joh 13,9-10 Petrus verstand ihn zwar noch immer nicht, doch
er wollte auf alle Fälle zu Jesus gehören. Daher bat er ihn nun, auch
seine Hände und sein Haupt zu waschen, doch Jesus sprach: Wer gewaschen
ist, bedarf nichts, als daß ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist
ganz rein. (In manchen griechischen Handschriften fehlt das Wort
"Füße".) Die römisch-katholische Kirche hat Vers 10 manchmal dahingehend
interpretiert, daß nach der Kindertaufe nur noch Buße nötig ist.
Plausibler ist jedoch die Erklärung, daß nach der durch Jesus bewirkten
Rettung nur noch das Bekenntnis der Sünden, die ständige Berufung auf
Jesu Tod, notwendig ist, um sich jeden Tag aufs neue von seinen Sünden
zu reinigen (vgl. 1Joh 1,7;2,1-2 ). Der Zusatz "und ihr seid rein, aber
nicht alle" bezog sich auf Judas (vgl. Joh 13,11.18 ) - ein Hinweis, daß
Judas nicht bekehrt war. Joh 13,11 Judas hatte die lebenspendenden, reinigenden
Worte Jesu zurückgewiesen (vgl. Joh 6,63;15,3 ), daher lebte er noch in
der Sünde. Jesus wusch zwar auch ihm die Füße, doch für ihn hatte diese
Tat keine Bedeutung. Auch hier weist Johannes auf Jesu übernatürliches
Wissen (vgl. Joh 2,25;4,29 ), daß Judas ihn verraten würde, hin. Joh 13,12-14 Nach seinem Demutsbeweis fragte der Herr seine
Jünger, um ihnen die Bedeutung dieser Lehre klarzumachen: "Wißt ihr, was
ich euch getan habe?" Daß er die Berechtigung ihrer Anrede ( Ihr nennt
mich Meister [ didaskalos ] und Herr [ kyrios ]) bestätigt, zeigt, daß
Jesus über seinen Jüngern steht. Und doch hatte er ihnen diesen Dienst
erwiesen. In Selbstaufopferung die Bedürfnisse anderer zu erfüllen war
genau das, was auch von ihnen in Zukunft verlangt wurde. Joh 13,15-16 Die Fußwaschung war ein Beispiel ( hypodeigma ,
"Muster"). Viele Gruppen und Sekten haben sie als kirchlichen Brauch
wirklich praktiziert. Heute ist es jedoch in vielen Ländern nicht mehr
nötig, die Füße der Gäste zu waschen. Die Urkirche kannte nur das Ritual
des Abendmahls, nicht der Fußwaschung. In dieser Bibelstelle geht es
denn auch um die innere Haltung der Demut, nicht um ein äußerliches
Ritual. Der Brauch, daß eine Witwe den Heiligen die Füße wusch ( 1Tim
5,10 ), bezieht sich nicht auf einen Gottesdienstritus, sondern auf den
demutsvollen Dienst der Christen untereinander. Dem Beispiel Jesu nicht
zu folgen heißt, sich im Stolz über ihn zu erheben. Doch der Knecht ist
nicht größer als sein Herr (vgl. Joh 12,26 ). Joh 13,17 Gott segnet seine Knechte nicht für das, was sie
wissen, sondern für ihre Reaktion auf ihr Wissen. Christlicher Segen
( selig seid ihr ) ist die Folge gehorsamen Dienstes ( wenn ihr's tut ,
d. h., wenn ihr das tut, was Jesus gebot). 2. Jesu Ankündigung, daß er verraten wird ( 13,18 - 30 ) Joh 13,18-19 Jesus hatte den Jüngern soeben gesagt, daß
Gehorsam zur Seligkeit führt (V. 17 ). Nun fügte er hinzu, daß einer der
Jünger davon ausgenommen sei. Daß es gerade Judas war, war kein Zufall
und auch kein Fehler in Gottes Plan. Jesus wählte den Verräter unter
seine zwölf Jünger (vgl. Joh 6,70-71 ), damit die Schrift , d. h. Ps
41,10 , erfüllt werde . Wie König David von seinem Freund und Vertrauten
Ahitofel verraten wurde, der sich daraufhin erhängte ( 1Sam
16,20-17,3.23 ), so verriet Judas, einer der engsten Vertrauten Jesu,
seinen Herrn und erhängte sich dann ebenfalls. Obwohl Gott diese Tat des
Judas im voraus bekannt war, trug der Jünger die Schuld doch völlig
allein. Die Tatsache, daß Jesus alles, was geschehen würde, bereits
wußte ( ehe es geschieht ) und daß es in Erfüllung der Schrift geschah,
bestärkte die Jünger später in ihrem Glauben daran, daß Jesus von Gott
gesandt war (vgl. Joh 14,29 ). Joh 13,20 So wie Jesus eine heilige Würde besaß, weil ihn
der Vater gesandt hatte, waren auch die Jünger als Stellvertreter Jesu
zu ehren. Wer sie aufnahm, nahm Jesus - den, den sie vertraten - und
damit den Vater auf. Joh 13,21 Jesus war betrübt im Geist . (Das griechische
Wort für "betrübt" ist etarachthE ; "bewegt"; dasselbe Wort benutzte
Johannes in Joh 11,33 und Joh 12,27 ; vgl. auch Joh 14,1.27 ). Als
Mensch war Jesus betrübt, daß Judas schon so bald seine Liebe und
Freundschaft verraten würde. Als Gott wußte er, daß es geschehen mußte.
Er spürte die Hartherzigkeit und Kälte, die die Sünde in Judas bewirkt
hatte. Das Wort "bezeugte" und die Formel "wahrlich, wahrlich, ich sage
euch" betonen den Ernst dieser Ankündigung Jesu. Joh 13,22 : Daß ein
Mitglied ihres engen, vertrauten Kreises Jesus verraten sollte,
überstieg das Fassungsvermögen der Jünger. Judas hatte sich bis jetzt so
sehr zurückgehalten, daß niemand auf die Idee kam, ihn zu verdächtigen. Joh 13,23-24 Simon Petrus, der Leiter und vielleicht auch der
gefühlsbetonteste seiner Jünger, wollte den Verrat verhindern. Lukas
( Lk 22,38.49-50 ) erwähnt, daß die Jünger sogar zwei Schwerter besaßen.
Bei dem Jünger, den Jesus lieb hatte , handelte es sich offensichtlich
um Johannes, den Verfasser des Evangeliums (vgl. die Einführung).
Johannes und Judas saßen bei Tisch neben Jesus; da Petrus selbst zu weit
von ihm entfernt war, winkte er Johannes und bat ihn, Jesus zu fragen,
von wem er gesprochen hatte. Joh 13,25-27 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte
ihn: Herr, wer ist's? Doch dabei entging ihm, daß Jesus Judas den Bissen
gab - die letzte Gnadenbezeugung des Herrn gegenüber seinem Verräter.
Diese Geste eines Gastgebers seinem Gast gegenüber war ein Zeichen der
Freundschaft. Ausgerechnet der Freundschaftsbeweis Jesu besiegelte also
den Verrrat der Freundschaft durch Judas! Der Satz "Satan fuhr in ihn" (vgl. V. 2 ) ist
eine der schrecklichsten Aussagen der Bibel. Judas wurde damit zum
Werkzeug des Teufels, der ihn benutzte, um seinen Willen
durchzusetzen. Tue bald heißt wörtlich: "tue rascher" - vielleicht trieb
Jesus Judas an, damit der Zeitplan Gottes eingehalten wurde. Joh 13,28-30 Da niemand die Bedeutung von Jesu Worten
verstand, blieb wohl auch dem Jünger, den Jesus lieb hatte, zunächst
verborgen, was sein Hinweis mit dem "Brocken" bedeutete. Als Judas
hinausging , dachte noch keiner an etwas Böses. Sie nahmen an, daß er
als ihr Schatzmeister (vgl. Joh 12,6 ) kaufen wollte, was zum Fest nötig
war, oder daß er den Armen etwas geben wollte. Judas hatte also die
Jünger, nicht jedoch Jesus getäuscht. Die Bemerkung "und es war
Nacht" wäre in jedem anderen Evangelium wohl lediglich eine Zeitangabe,
doch im Johannesevangelium besitzt sie darüber hinaus symbolische
Bedeutung. Judas verließ das Licht ( Joh 8,12;12,35.46 ) und ging hinaus
in die Finsternis der Sünde ( Joh 3,19 ). B. Jesu bevorstehender Abschied ( 13,31 - 38 ) Joh 13,31-32 Nachdem Judas gegangen war, überstürzten sich die
Ereignisse, die schließlich zu Jesu Tod führten. Jesus war nun frei von
der nervösen Spannung, die Satan in Judas hervorgerufen hatte. Auch die
lange Anspannung, die sich mit dem Näherrücken seines Todes aufgebaut
hatte ( Lk 12,50 ), sollte nun bald vorüber sein. Das
Wort "verherrlicht" steht fünfmal in diesen beiden Versen. In Jesu Tod
offenbarten sich seine einzigartige Herrlichkeit und auch die
Herrlichkeit des Vaters, weil sich in ihm die Liebe Gottes, seine
liebende Hinwendung zu den Menschen und seine Gerechtigkeit zeigten
(vgl. Joh 1,14; Röm 3,21-26 ). Die Worte "Gott wird ihn bald
verherrlichen" sind ein Vorverweis auf die Auferstehung und die
Himmelfahrt. Joh 13,33 "Liebe Kinder" ist die Übersetzung
von teknia ("kleine Kinder; der Diminutiv von tekna , "Kinder"). Diese
liebevolle Bezeichnung war der Ausdruck von Jesu Sorge um die Jünger.
Jesus benutzte ihn nur an dieser Stelle und nur in diesem Evangelium;
Johannes verwendet ihn dann noch siebenmal in seinem ersten Brief ( 1Joh
2,1.12.28;3,7.18;4,4;5,21 ), und auch bei Paulus findet er sich einmal
( Gal 4,19 ). Abermals verkündigte Jesus den Jüngern, daß er sie nun
bald verlassen würde und sie ihn nicht würden finden können (vgl. Mt
23,39; Joh 7,34;8,21;12,8.35 ). Das bezog sich sowohl auf seine
Auferstehung als auch auf seine Himmelfahrt. Joh 13,34-35 Die elf Jünger würden in seiner Abwesenheit
überleben, indem sie seinem Beispiel der Liebe folgten. Dieses Gebot war
insofern neu, als es sich hier um die besondere, an JesuOpfer am Kreuz
anschließende Liebe zu anderen Gläubigen handelt: ... daß ihr euch
untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe . Die Liebe und
Hilfsbereitschaft der Christen untereinander sollte es ihnen
ermöglichen, in einer feindlichen Welt zu überleben. Wie Jesus die
Verkörperung der Liebe Gottes war, so sollte jetzt jeder Jünger die
Liebe Christi verkörpern. Diese Liebe ist ein Zeichen für die Welt und
für jeden Gläubigen ( 1Joh 3,14 ). Joh 13,36-38 Petrus, der stets aussprach, was ihm durch den
Kopf ging, griff auf, was Jesus über sein Fortgehen gesagt hatte
(V. 33 ), und wollte nun wissen, wohin er ging (vgl. die ähnliche Frage
von Thomas; Joh 14,5 ). Er liebte Jesus und wollte bei ihm sein, doch
Jesus antwortete ihm, daß er ihm diesmal noch nicht folgen könne . Eine
solche Situation konnte Petrus sich jedoch nicht vorstellen. Er war sich
sicher, daß seine Liebe und sein Mut jeder Herausforderung, auch dem
Tod, gewachsen wären. Ich will mein Leben für dich lassen , versicherte
er. Aber er überschätzte sich, und er kannte nicht die teuflische Macht,
die gegen ihn arbeitete (vgl. Lk 22,31-32 ). Jesu Vorhersage, daß Petrus
ihn verleugnen werde (du wirst mich dreimal verleugnen ), muß die
anderen Jünger zutiefst erschreckt haben. Wahrscheinlich fragten sie
sich daraufhin, ob Petrus der Verräter sei (vgl. Joh 13,21-25 ). C. Jesus, der Weg zum Vater ( 14,1 - 14 ) Die Jünger waren nun vollkommen verwirrt und
entmutigt. Jesus hatte ihnen gesagt, daß er fortgehen ( Joh
7,34;8,21.35;13,33 ) und sterben ( Joh 12,32-33 ) werde. Einer von ihnen
sollte ein Verräter sein ( Joh 13,21 ), ausgerechnet der standhafte
Petrus sollte Jesus dreimal verleugnen ( Joh 13,38 ), und der Satan war
gegen sie alle am Werk ( Lk 22,31-32 ) und sollte sie dazu bringen, von
ihrem Herrn abzufallen ( Mt 26,31 ). Alle diese Enthüllungen müssen sie
völlig deprimiert haben. Joh 14,2 Um sie zu trösten, gab Jesus ihnen mehrere
Ermahnungen, die mit Verheißungen verbunden waren. "Euer Herz erschrecke
nicht!" "Erschrecken" ist die Übersetzung des
griechischen tarasseshO ("bewegt"; vgl. Joh 11,33;13,21;14,27 ). Das
Herz ist der innerste Kern der Persönlichkeit eines Menschen, für das
jeder Gläubige selbst verantwortlich ist (vgl. Spr 3,1.3.5;4,23;20,9 ).
Durch festes Vertrauen auf Gott, den Vater, und Jesus, den Sohn, kann
die Seelenangst gemildert und können die kommenden Prüfungen bestanden
werden. Mit der Aufforderung "glaubt an Gott und glaubt an mich" gab
Jesus den Jüngern wahrscheinlich ein Gebot, nicht nur einen Rat. Der Tod
sollte sie nicht schrecken, denn Jesus verließ sie, um ihnen eine
Wohnung im Himmel, seines Vaters Haus, zu bereiten . Joh 14,3-4 "Ich will wiederkommen" bezieht sich hier nicht
auf die Auferstehung oder auf den Tod eines Gläubigen, sondern auf die
Entrückung der Gemeinde, wenn Christus zurückkehrt, um seine Schafe zu
sammeln (vgl. 1Thes 4,13-18 ) und sie zu sich zu holen (vgl. Joh
17,24 ). Jesus sagte nichts über den Ort, an den er gehen würde; es
genügt, daß die Gläubigen bei seinem Vater und bei ihm sein werden
(vgl. 2Kor 5,8; Phil 1,23; 1Thes 4,17 ). Die Jünger wußten, wie sie in
den Himmel kommen konnten: Und wo ich hingehe, den Weg wißt ihr. Während
seines ganzen Amtes hatte Jesus ihnen diesen Weg gezeigt, doch sie
hatten ihn, wie Thomas' Frage beweist ( Joh 14,5 ), nicht verstanden. Joh 14,5-6 Die Aussage des Thomas ( Herr, wir wissen nicht,
wo du hingehst ) und seine Frage ( wie können wir den Weg wissen )
spiegelt das Erstaunen der Elf wider (vgl. Petrus' ähnlich lautende
Frage in Joh 13,36 ). Diese Verwirrung sollte sich bis zu Jesu Tod und
seiner Auferstehung und bis zum Kommen des Geistes nicht auflösen. Die
Jünger besaßen alle Informationen, doch sie konnten nichts damit
anfangen. Jesu Worte "ich bin der Weg und die Wahrheit und
das Leben" sind die sechste von seinen sieben "Ich-bin"-Aussagen im
Johannesevangelium ( Joh 6,48;8,12;10,9.11;11,25;14,6;15,1 ). Er ist
"der Weg", weil er "die Wahrheit" und "das Leben" ist. Wie der Vater die
Wahrheit und das Leben ist, so ist Jesus die Verkörperung Gottes, und
über ihn können die Menschen zum Vater kommen (vgl. Joh
1,4.14.18;11,25 ). Mit den Worten "niemand kommt zum Vater denn durch
mich" betonte Jesus, daß die Rettung, im Gegensatz zu dem, was die
Menschen dachten, nicht auf vielen Wegen erlangt werden kann. Es gibt
nur einen einzigen Weg (vgl. Apg 4,12; 1Tim 2,5 ). Jesus ist der einzige
Zugang zum Vater, weil er der einzige ist, der vom Vater herkam
(vgl. Joh 1,1-2.51;3,13 ). Joh 14,7 Der erste Satz in diesem Vers ist entweder eine
Verheißung ( wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater
erkennen ) oder auch ein Tadel (wenn ihr mich erkennen würdet, so werdet
ihr auch meinen Vater erkennen). Der folgende Dialog ( Joh 14,8-9 )
scheint anzudeuten, daß die Jünger Jesu Person und Auftrag nicht
verstanden (vgl. Joh 8,19 ). "Von nun an kennt ihr ihn" ist also eine
Verheißung, die über das Kreuz und die Auferstehung hinausblickt
(vgl. Joh 20,28; "Mein Herr und mein Gott"). Joh 14,8-9 Philippus formulierte an dieser Stelle eine
universale Sehnsucht der Menschheit: den Wunsch, Gott zu sehen (vgl. 2Mo
33,18 ). In seiner pervertierten Form führt dieser Wunsch zum
Götzendienst. Philippus sehnte sich wahrscheinlich nach einer Theophanie
(vgl. 2Mo 24,9-10; Jes 6,1 ) oder nach einer anderen sichtbaren
Manifestation der Herrlichkeit Gottes. Jesu Ausruf "wer mich sieht, der
sieht den Vater" (vgl. Joh 12,45 ) ist einer der verblüffendsten
Ansprüche, den er je erhob. Der Vater ist in Jesus, und Jesus ist seine
vollkommene Offenbarung ( Joh 1,18 ). Daher war keine weitere Theophanie
notwendig, denn in Jesus sahen die Menschen den Vater ! Joh 14,10-11 Es gibt drei Beweise für die Einheit zwischen
Jesus und dem Vater. Die Jünger müssen Jesus glauben (a) aufgrund seines
Wesens ( ich bin im Vater [vgl. V. 20 ]), und der Vater ist in mir ),
(b) weil seine Worte die Worte des Vaters sind ( die Worte, die ich zu
euch rede, die rede ich nicht von mir selbst aus ; vgl. Joh
7,16;12,49-50;14,24 ) und (c) weil seine Wunder das Wirken Gottes in ihm
offenbaren (und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke ...
glaubt mir doch um der Werke willen; vgl. Joh 5,36 ). Eines der
Schlüsselelemente des Johannesevangeliums ist die Betonung der Zeichen
als Wegweiser der Gnade zum Glauben (vgl. Joh
5,36;10,25.38;11,47;12,37;20,30-31 ). Joh 14,12-14 Die Apostel sollten keine größeren Wunder als
Jesus selbst tun (z. B. die Auferweckung des Lazarus), doch sie sollten
mehr Menschen mit ihrer Botschaft erreichen (z. B. konnte Petrus nach
einer Predigt dreitausend Bekehrte verzeichnen). Das war möglich, weil
Jesus zum Vater gegangen war und den Heiligen Geist gesandt hatte.
Wunder sind wichtig, doch manche Evangelisten haben noch größere Dinge
als diese getan, indem sie die gute Nachricht vielen Tausenden
predigten. In meinem Namen (V. 13 - 14 ) ist keine
Zauberformel oder Beschwörung. Doch die Gebete der Gläubigen in ihrer
Funktion als Stellvertreter Christi, die sein Amt fortführen, werden
erhört werden. Diese Lehre führte Johannes in seinem ersten Brief näher
aus. Er schrieb: "Wenn wir um etwas bitten nach seinem Willen ...
erhalten (wir), was wir von ihm erbeten haben" ( 1Joh 5,14-15 ). In Jesu
Namen um etwas zu bitten bedeutet, mit der Bitte im Einklang mit Jesu
Willen zu stehen (vgl. "in meinem Namen" in Joh 15,16;16,23-24.26 ).
Manche Handschriften enthalten hier noch den Zusatz "mich" (um was
ihr mich bitten werdet), was wahrscheinlich korrekt ist. Die Gebete im
Neuen Testament sind normalerweise an Gott Vater gerichtet, doch es
finden sich auch Gebete an Gott Sohn (z. B. das Gebet des Stephanus an
den "Herrn Jesus"; Apg 7,59 ). Das Ziel der erhörten Gebete ist es, den
Vater zuverherrlichen . Auch das "Frucht-Bringen" ist letztlich eine
Verherrlichung des Vaters ( Joh 15,8 ). D. Die Verheißung des Heiligen Geistes ( 14,15 - 31 ) Joh 14,15 Die Liebe der Jünger zu Christus zeigt sich in
ihrem Gehorsam gegenüber seinen Geboten (vgl. V. 21.23 ; 1Joh
2,3;3,22.24;5,3 ). Christus selbst hat ihnen ein Beispiel der Liebe und
des Gehorsams gegeben ( Joh 14,31 ); nun sollen ihm die Jünger folgen
( 13, 15 - 16 ). Joh 14,16-17 Dies ist die erste mehrerer Äußerungen über den
Heiligen Geist, die im Zusammenhang mit den Lehren in jenem "oberen
Raum", in dem das letzte Abendmahl stattfand, fielen. Bisher wurde im
Johannesevangelium wenig über den Geist ausgesagt. Die Worte an
Nikodemus ( Joh 3,5-8 ) waren nur für diesen bestimmt, und Joh 7,39 ist
ein Vorverweis auf Pfingsten. Der Heilige Geist soll
ein Tröster ( paraklEtos ; vgl. Joh 14,26; 15,26; 16,7; s. a. den
Kommentar zu Joh 16,7 ) sein. In gewissem Sinn ersetzt er uns heute die
physische Anwesenheit Jesu; er bringt den Gläubigen Gott nahe. Der
Heilige Geist, der Geist der Wahrheit (vgl. Joh 15,26; 16,13 ) und
Führer der Apostel, wird in Ewigkeit bei den Menschen sein (vgl. Röm
8,9 ). Er ist unsichtbar ( den die Welt nicht empfangen kann, denn sie
sieht ihn nicht und kennt ihn nicht ), und doch ist er real und bewirkt
vieles. Wie Radiowellen ohne Radio unbemerkt bleiben, wird auch der
Heilige Geist von den Verlorenen, die keine "Antenne" für ihn haben,
nicht wahrgenommen. Die Jünger hatten bereits einige Erfahrung mit dem
Geist (wenn sie predigten und Wunder vollbrachten) gemacht, doch jetzt
sollte ihnen sein Wirken sehr viel vertrauter werden. Warum sagte Jesus, daß der Heilige Geist bei
ihnen sein wird (Futur)? Im Alten Testament kam der Geist nur für
bestimmte Aufgaben auf ganz bestimmte Gläubige herab, doch nach
Pfingsten wird er für immer in jedem Gläubigen wohnen ( Röm 8,9; 1Kor
12,13 ). Joh 14,18-19 Was meinte Jesus mit den Worten: Ich komme zu
euch ? Sprach er (a) von seiner Auferstehung, (b) von der Entrückung,
(c) vom Tod eines Gläubigen, (d) von einer mystischen Erfahrung oder (e)
vom Kommen des Heiligen Geistes an Pfingsten? Die erste und die fünfte
Deutung scheinen am plausibelsten. Vers 19 spricht insofern für die
erste These, als die Jünger Jesus nach seiner Auferstehung tatsächlich
erblickten. Darüber hinaus war seine Auferstehung die Gewähr für ihre
eigene Auferstehung ( denn ich lebe, und ihr sollt auch leben ;
vgl. 1Kor 15,20-21 ) und die Grundlage ihres neuen Lebens. s Joh 14,20-21 "An jenem Tag" bezieht sich möglicherweise auf
Pfingsten, als die Ausgießung des Geistes den lebendigen Beweis dafür
lieferte, daß Jesus beim Vater war. (Manche beziehen den "Tag" auch auf
die Auferstehung, die Grundlage für die Gewißheit der Gläubigen.) An
Pfingsten sollte der Geist zu den Gläubigen kommen (V. 17 ) und sie ihre
Einheit mit Jesus lehren ( ihr (seid) in mir und ich in euch ), während
er Christus in ihnen manifestierte. Die christliche Liebe zeigt sich am Gehorsam der
Gläubigen gegenüber den Geboten des Herrn (vgl. V. 15.23 ). Die
Belohnung für diese Liebe wird groß sein: (a) der Vater wird den
Gläubigen seine Liebe zeigen (vgl. V. 23 ), und (b) der Sohn wird
sie lieben und sich ihnen offenbaren . Diese Textstelle will nicht der
Werkgerechtigkeit das Wort reden. Sie besagt vielmehr, daß ein Mensch,
der Christi Worte liebt und ihnen gehorcht, vom Herrn geliebt wird. Der
rettende Glaube führt zum Gehorsam (vgl. "den Gehorsam des
Glaubens", Röm 1,5 ). Joh 14,22 Judas, nicht der Iskariot , war vielleicht
identisch mit Thaddäus ( Mt 10,3; Mk 3,18 ). Er war verwirrt, daß Jesus
sich ihnen, den Jüngern, und nicht der Welt offenbaren wollte (vgl. Joh
14,19 a). Joh 14,23-24 Jesus antwortete ihm, daß er und der Vater sich
denen, die seine Worte nicht halten , nicht offenbaren werden. Der
Gehorsam erwächst aus der Liebe zu Jesus und seinem Wort (vgl.
V. 15.21 ; 1Joh 2,3;3,22.24;5,3 ). Aufgrund des Gehorsams werden der
Vater und der Sohn in dem, der ihre Worte hält, Wohnung nehmen .
"Wohnung" heißt im Griechischen monEn , der Singular von monai , in Joh
14,2 mit "Wohnungen" übersetzt. Das Wort kommt im Neuen Testament nur in
diesen beiden Versen vor. Sich gegen das Wort Jesu aufzulehnen heißt,
sich gegen Gott, den Vater, der Jesus gesandt hat , aufzulehnen, denn
Jesu Worte waren, wie er bereits früher gesagt hatte, nicht seine Worte
( Joh 12,49;14,10 ), sondern die Worte des Vaters . Joh 14,25-26 Die Menschen und auch die Jünger verstanden das,
was Jesus in der Zeit seiner Anwesenheit auf Erden sagte, nur zum Teil.
Drei Dinge mußten geschehen, damit die Apostel ihn und seinen Auftrag
ganz begreifen konnten: (1) Er mußte sterben. (2) Er mußte auferstehen,
um seinen Anspruch zu bestätigen und seinen Sieg sichtbar zu machen. (3)
Der Geist mußte kommen (er würde vom Vater in Jesu Namen, d. h. an Jesu
Stelle, für ihn, gesandt werden ) und ihnen die Worte und Werke Jesu
erklären. Der Geist, sagte Jesus, wird euch alles lehren und euch an
alles erinnern, was ich euch gesagt habe . Dieser Vers ist an die
Apostel gerichtet. Vom Textzusammenhang her ist "alles" auf die
Interpretation und Bedeutung der Person Jesu und seiner Werke
beschränkt. Der Geist wirkte in den Jüngern, erinnerte sie an die Lehren
Jesu und bewirkte, daß sie sie verstanden (vgl. Joh 2,22;7,39;20,9 ). Joh 14,27 Der übliche Abschiedsgruß in neutestamentlicher
Zeit lautete "Friede" (hebräisch: SAlNm ). Bei seinem Tod gab Jesus
seinen Jüngern ein Vermächtnis: Meinen Frieden gebe ich euch. Sie
sollten "Frieden mit Gott" ( Röm 5,1 ) haben, weil ihnen ihre Sünden
vergeben waren und sie im "Frieden Gottes" ( Phil 4,7 ) leben würden.
Die Welt kann diesen Frieden nicht geben. Die Furcht vor dem Tod ( Hebr
2,14-15 ) und die Angst vor der Zukunft haben nur dann ein Ende, wenn
man sich auf Jesus verläßt. Wer das tut, braucht sich nicht mehr zu
fürchten (vgl. Joh 11,4;13,21;14,1 ). Joh 14,28 Wenn die Liebe der Jünger zu Jesus bereits
verständiger gewesen wäre, hätten sie sich über sein Weggehen gefreut.
Doch sie waren noch zu selbstsüchtig. Jesus lebte auf Erden in
Erniedrigung, doch als er zum Vater ging, wurde er verherrlicht
(vgl. Joh 13,31-32 ). Außerdem hatte er ihnen verheißen, daß
er wiederkommen werde (vgl. Joh 14,3 ). Die Arianer und die Zeugen Jehovas leiten von der
Aussage "denn der Vater ist größer als ich" ab, daß Jesus nicht so sehr
Gott ist wie sein Vater. Das würde jedoch bedeuten, daß Jesus ein
Geschöpf wäre, oder zum Polytheismus führen - zwei Standpunkte, die
eindeutig unbiblisch sind. Der Vater und der Sohn sind eines Willens und
eines Wesens (vgl. Joh 1,1-2;10,30; Joh 14,9;20,28 ). Der Vater ist nur
größer in seinem Wirken bzw. seiner Herrlichkeit, als es der Sohn in
seinem Erdenleben war. Joh 14,29-31 Eine erfüllte Prophezeiung ist den Gläubigen im
allgemeinen ein großer Trost und eine große Hilfe (vgl. Jes 46,8-10 ).
Jesus hatte seinen Tod und seine Auferstehung mehrere Male vorhergesagt
(z. B. Mk 8,31-32;9,31 ). Als diese Prophezeiung dann tatsächlich
eintraf, trug sie, nach dem ersten Schock, sehr zur Stärkung des
Glaubens der Jünger bei. Die Zeit, die Jesus auf Erden bei ihnen sein
und sie lehren konnte, war begrenzt, weil Satan, der Fürst dieser
Welt (vgl. Joh 12,31;16,11 ), sich in Gestalt des Judas gegen ihn wandte
(vgl. Joh 13,2.27 ). Und doch hatte Satan keine Macht über Jesus . Die
Sünde führt zum Tod ( Röm 5,12.21 a; Röm 6,16 ), und Sünde und Tod geben
Satan Macht über die Menschen (vgl. Hebr 2,14-15; Offb 12,10 ). Doch da
Jesus ohne Sünde war, konnte Satan ihn nicht in sein Reich der
Finsternis holen. Jesu Tod sah zunächst wie ein Sieg des Satans aus,
doch in Wirklichkeit war es ein Sieg Jesu über Satan ( Joh 16,11; Kol
2,15 ). Weil Jesus den Vater liebte, tat er, wie ihm der
Vater geboten hatte (vgl. Joh 10,17;12,49-50 ); er war "gehorsam bis in
den Tod" ( Phil 2,8 ). Nachdem er all dies geredet hatte, sagte
er: Steht auf und laßt uns von hier weggehen. Jesus hatte mit seinen
Jüngern das letzte Abendmahl gefeiert. Jetzt bereitete er sich darauf
vor, in den Garten Gethsemane auf den Ölberg zu gehen. Ob er die Worte
aus Kap. 15 - 17 noch in diesem Raum oder auf dem Weg nach Gethsemane
sprach, wissen wir nicht; wahrscheinlicher ist jedoch, daß er sie noch
im Haus sagte. E. Der Weinstock und die Reben ( 15,1 - 10 ) Jesus belehrte die Jünger im Hinblick auf drei
für ihr Glaubensleben entscheidende Beziehungen: Sie sollten ein
richtiges Verhältnis zu Jesus (V. 1 - 10 ), zueinander (V. 11 - 17 ) und
zur Welt (V. 18 - Joh 16,4 ) finden. Er gab ihnen drei Aufgaben: (in
Jesus) zu bleiben, einander zu lieben und Zeugnis zu geben. Joh 15,1 Ich bin der wahre Weinstock (vgl. V. 5 ). Das ist
die letzte der sieben großen "Ich-bin"-Aussagen im Johannesevangelium
(vgl. den Kommentar zu Joh 6,35 ). Israel war Gottes auserwählter
Weinstock, auf den er viel Fürsorge und Aufmerksamkeit verwandt hatte
( Ps 80,9; Jes 5,1-7; Jer 2,3;6,9; Hes 15;17,5-10;19,10-14; Hos
10,1;14,8 ). Er wünschte sich Früchte, doch der Weinstock (Israel)
verdarb und brachte nur verdorbene Frucht hervor. Daher erfüllte nun
Jesus, der "wahre Weinstock", Gottes Plan mit Isreal. Der Vater ist der
Weingärtner , der den Weinstock pflegt und schützt. Joh 15,2 Er (d. h. der Gärtner, der Vater) will Frucht an
seinem Weinstock sehen - eine Aussage, die achtmal in diesem Kapitel
vorkommt (V. 2 [dreimal], V. 4 , Vers 5 , Vers 8 und Vers 16 ). Dabei
ist eine Steigerung festzustellen: Frucht (V. 2 ), mehr Frucht (V. 2 )
und "viel Frucht" (V. 5 und 8 ). Die Frucht, die Gott sich von Israel
wünschte, war liebender Gehorsam und Gerechtigkeit ( Jes 6,1-7 ). Jede
Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen . Die Wendung
"an mir" bedeutet nicht dasselbe wie die paulinische Formel "in
Christus". Hier ist sie Teil der Metapher des Weinstocks und heißt
wahrscheinlich "nicht jeder, der bekennt, mein Jünger zu sein (eine
"Rebe"), ist zwangsläufig auch ein wahrer Jünger." Eine Rebe, die keine
Frucht bringt , ist tot, daher wird sie, wie Judas, abgeschnitten. (Vgl.
den Kommentar zu Joh 15,6 .) Jedes Jahr beschneiden die Gärtner in
Palästina ihre Weinstöcke. Sie schneiden die toten Äste ab, damit die
lebenden um so größere Erträge bringen. Joh 15,3 Die Jünger waren durch Jesus und seine Botschaft
gereinigt worden - mit einer Ausnahme: Judas (vgl. 10 - 11 ). Joh 15,4 "Früchte" tragen diejenigen Jünger, die in ihrem
Leben dem Leben Christi auf Erden nacheifern. Ihre Aufgabe ist es zu
bleiben . Das Wort bleiben , ein Schlüsselwort in der Theologie des
Johannesevangeliums, im Griechischen menO , steht elfmal in diesem
Kapitel, vierzigmal im ganzen Johannesevangelium und siebenundzwanzigmal
in den Johannesbriefen. Möglich sind folgende Bedeutungen. Erstens:
Jesus als Retter zu akzeptieren (vgl Joh 6,54.56 ). Zweitens: im Glauben
zu bleiben ( Joh 8,31; 1Joh 2,19.24;4,15 ). Drittens: in Glauben und
Liebe zu gehorchen ( Joh 15,9-10 ). Ohne Glauben wird keiner das Leben
Gottes erhalten. Ohne das Leben Gottes kann es keine Frucht geben: Auch
ihr könnt keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Joh 15,5-6 Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel
Frucht (vgl. V. 8 ). Doch wer nicht glaubt, wird verloren sein. Eine
Rebe ohne Leben ist tot und wird entfernt (V. 2 ). Sie ist nutzlos und
wird ins Feuer geworfen und verbrannt. Was meinte Jesus mit seinen
symbolischen Worten über die Reben, die verbrannt werden? Sie sind auf
mindestens drei Arten gedeutet worden: (1) Die "verbrannten" Reben sind
Christen, die ihre Rettung verloren haben. (Das widerspricht jedoch
vielen anderen Textstellen, z. B. Joh 3,16.36;5,24;10,28-29; Röm 8,1 .)
(2) Die "verbrannten" Reben sind Christen, die im Jüngsten Gericht zwar
die Belohnungen, nicht jedoch die Rettung verlieren werden ( 1Kor
3,15 ). (Doch Jesus sprach hier von toten Reben, die weggeworfen werden
und verdorren .) (3) Die "verbrannten" Reben beziehen sich auf Christen,
die sich zwar zu Jesus bekennen, doch, wie Judas, nicht gerettet sind
und daher gerichtet werden. Wie eine tote Rebe ist ein Mensch ohne
Christus geistlich tot und wird mit dem ewigen Feuer bestraft werden
(vgl. Mt 25,46 ). Judas lebte bei Jesus; er schien eine "Rebe" zu sein.
Doch er hatte nicht das Leben Gottes in sich; daher verließ Gott ihn,
und er erlitt dasselbe Schicksal wie ein toter, abgestorbener Zweig. Joh 15,7-8 Im Gegensatz zu Vers 6 enthalten diese Verse eine
positive Aussage: in Jesus bleiben und viel Frucht bringen. Ein Gebet,
das erhört wird, kommt aus dem Glauben an Christus und dem Vertrauen auf
seine Worte, die in den Gläubigen bleiben. Sie stärken und bewahren die
Gläubigen und lassen sie zu einer vollkommenen Übereinstimmung mit dem
Willen des Vaters kommen. Wo dies aber der Fall ist, ist der Erfolg des
Gebets gewiß - es wird euch widerfahren ( 1Joh 5,14-15 ). Erfüllte
Gebete verherrlichen den Vater, weil die Jünger, wie Jesus selbst, damit
den Willen des himmlischen Vaters tun (vgl. "dein Reich komme, dein
Wille geschehe"; Mt 6,10 ). Joh 15,9-10 Ein Gläubiger lebt durch das Wunder der Liebe
Jesu, die der Liebe des Vaters gleicht. Der Ausspruch "bleibt in meiner
Liebe" scheint vielleicht etwas mystisch, doch Jesus meinte ihn ganz
wörtlich. Wie Jesus den Geboten des Vaters gehorcht, so sollen die
Jünger seinen Geboten gehorchen (vgl. Joh 14,15.21.23; 1Joh
2,3;3,22.24;5,3 ). Aktive Abhängigkeit und liebender Gehorsam sind der
richtige Weg für alle Kinder Gottes. F. Jesu Freunde ( 15,11 - 17 ) Joh 15,11 Jesus hatte große Freude daran, dem Vater durch
ein fruchtbringendes Leben zu gefallen (vgl. Hebr 12,2 ). Der Zweck
seiner Lehre war es, den Menschen ein volles, erfülltes Leben, nicht
etwa eine freudlose Existenz, zu geben ( Joh 10,10 ). Auch die
Anweisungen an die Jünger waren lediglich dazu gedacht, ihre Freude
vollkommen werden zu lassen (vgl. Joh 17,13 ). Joh 15,12 Ein vorrangiges Gebot hatte Jesus seinen Jüngern
gegeben: sie sollten sich untereinander lieben (wiederholt in V. 17 ).
Die Christen wachsen durch ihre gegenseitige Fürsorge. Das Vorbild für
diese Liebe ist Christi demütiges, aufopferungsvolles Dienen: wie ich
euch liebe . Joh 15,13-14 Das größte, was ein Mensch für seinen Freund tun
kann, ist, für ihn zu sterben; ein solcher Tod ist der eindeutige Beweis
seiner Liebe. Jesus demonstrierte seine Liebe (V. 12 )b, indem er für
seine Freunde - die, die ihm gehorchen - starb. Im Alten Testament wurde
Abraham Gottes "Freund" genannt ( 2Chr 20,7; Jes 41,8 ), weil er ihm
gehorchte. Abraham unterhielt sich mit Gott wie mit einem engen Freund
(vgl. 1Mo 18,17 ). Joh 15,15-17 Ein Knecht (wörtlich: "Sklave") hat keine enge
Beziehung zu seinem Herrn, wie es etwa unter Freunden üblich ist. Er
tut, was ihm gesagt wird, ohne seinen Herrn unbedingt zu verstehen. Da
Jesus sich jedoch seinen Jüngern offenbart hatte, wurde der Titel
"Sklave" ihrer Beziehung nicht gerecht. (Wenn Paulus von sich selbst als
"Knecht [wörtlich: "Sklave"] Gottes" sprach [ Röm 1,1 ], hatte er
ebenfalls etwas anderes im Sinn. Er wollte damit sagen, daß er Gott
bereitwillig und demütig diente und gehorchte.) Jesus nannte seine
Jünger Freunde, weil er ihnen die Offenbarung seines Vaters enthüllt
hatte. Dann erinnerte er sie daran, daß er sie selbst
auserwählt hatte ( Joh 15,19 ) - im Gegensatz zu dem üblichen Verfahren,
nach dem die Jünger sich einen Lehrer suchten. Er hatte sie
gewählt,damit sie bleibende Frucht brächten. Er hatte sie für einen
Auftrag ausersehen, und sein Vater würde ihre Bitten erhören, damit
dieser Auftrag erfüllt werden konnte ( wenn ihr den Vater bittet in
meinem Namen, wird er's euch geben ; vgl. V. 7 ; vgl. "in meinem
Namen", Joh 14,13-14;16,23-24.26 ). Zur Freundschaft mit Jesus gehört
immer auch die Liebe zu anderen Menschen: daß ihr euch untereinander
liebt (vgl. Joh 15,12 ). G. Der Haß der Welt ( 15,18 - 16,4 ) Joh 15,18 Wer Freundschaft mit Gott hat, muß den Haß der
Welt erdulden. Umgekehrt bedeutet Freundschaft mit der Welt Feindschaft
mit Gott ( Jak 4,4 ). Jesus machte seine Jünger darauf aufmerksam, daß
die Welt sie hassen würde. Die Welt ist im Johannesevangelium das
gesamte System der organisierten, Gott feindlich gesonnenen
Gesellschaft, die unter dem Einfluß Satans steht ( Joh 14,30 ). Diese
Feindschaft mag für die Gläubigen manchmal unerwartet sein ( 1Pet
4,12-13 ), doch sie sollten sich daran erinnern, daß auch Jesus vom
Zeitpunkt seiner Geburt an (als Herodes der Große versuchte, ihn zu
töten) bis zu seinem Tod am Kreuz gehaßt wurde. Joh 15,19 Der Grund dafür, daß die Welt die Christen haßt,
liegt in ihrem Anderssein (vgl. 1Pet 4,4; Röm 12,2 ). Ein Gläubiger, der
das Reich der Finsternis verlassen hat und im Reich der Kinder Gottes
lebt ( Kol 1,13 ), hat eine andere Freude, ein anderes Ziel, eine andere
Hoffnung und eine andere Liebe. Er besitzt Gewißheit, Wahrheit und einen
Maßstab im Leben. Die Christen sind durch Christus aus der Welt
erwählt (vgl. Joh 15,16 ) und gehören zu ihm. Da sie nicht mehr von der
Welt sind, haßt sie die Welt . Joh 15,20-21 Jesus erinnerte seine Jünger an eine kurz zuvor
gemachte Aussage: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr (vgl. Joh
13,16 ). Damals bezog sich Jesus auf die Notwendigkeit, daß die Jünger
sich sein demütiges Dienen zum Vorbild nahmen. Doch der Satz hat auch
noch andere Konsequenzen. Die Christen sind so eng mit Jesus verbunden,
daß sie auch seine Leiden teilen ( sie werden auch euch verfolgen ). Es
gab zwar immer Menschen, die Jesus nachfolgten und sein Wort hielten und
deshalb für die Botschaft der Apostel empfänglich waren. Im allgemeinen
aber haßt die Welt die Jünger. Die Wurzel ihres Hasses ist die
Identifikation der Jünger mit Jesus. Jesus aber hassen die Menschen,
weil sie Gott, der ihn gesandt hat, nicht kennen . Joh 15,22-23 Jesus kam als die Offenbarung Gottes. Wenn er
nicht gekommen wäre, wäre die Sünde der Menschen nicht so groß gewesen.
Die Aussage "so hätten sie keine Sünde" (vgl. V. 24 ) darf, wie Joh
16,9 zeigt, nicht absolut genommen werden (vgl. Joh 3,19;9,41 ). Vor
Jesu Kommen konnten sich die Menschen vielleicht mit ihrer Unwissenheit
herausreden (vgl. Apg 17,30 ). Doch nun, nachdem das Licht gekommen ist,
können die, die dieses Licht bewußt ablehnen, nichts vorbringen, um ihre
Sünde zu entschuldigen . Die Offenbarung des Sohnes ist so stark mit dem
Vater verknüpft, daß Jesus hassen bedeutet, Gott zu hassen (vgl. Joh
15,24 b). Joh 15,24-25 Im folgenden werden die Gedanken von Vers 22 -
23 noch weiter ausgeführt. Die Bedeutung von Jesu Werken war eigentlich
unmißverständlich. Auf sie hin hätte das ganze jüdische Volk bekennen
müssen: "Niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit
ihm" ( Joh 3,2 ). Doch das Volk verwarf sowohl Jesus als auch den Vater,
weil es in seiner Sünde die Finsternis mehr liebte als das Licht ( Joh
3,19 ). Die Menschen glaubten sogar, Gott zu dienen, indem sie Jesus
verwarfen ( Joh 16,2-3 ), doch in Wirklichkeit dienten sie dem Satan
( Joh 8,44 ). Die Sünde ist ihrem Wesen nach irrational. Der Haß der
Menschen Jesus gegenüber hatte keinerlei vernünftigen Grund, ebensowenig
wie der Haß des Ungerechten gegen den Gerechten - wie man an denen
sieht, die David haßten ( Ps 35,19;69,5;109,3 ). Joh 15,26-27 Angesichts des Widerstands und des Hasses der
Welt ist der Gläubige unter Umständen versucht, der Welt zu entfliehen
oder zu schweigen. Mönchtum, auch in extremen Formen, und mangelndes
Zeugnis sind in der Kirchengeschichte nur allzu häufig anzutreffen. Doch Jesus ermutigte seine Jünger durch die
Verheißung des Geistes, in der Welt zu wirken. Wie es die Aufgabe Jesu
war, für den Vater und nicht für sich selbst zu zeugen, so gibt der
Geist Zeugnis von Jesus als dem Messias ( er wird Zeugnis geben von
mir ). Was er sagt, ist wahr, weil er der Geist der Wahrheit ist
(vgl. Joh 16,13 ). Als der Tröster (vgl. Joh 14,26;16,7 ) bringt er die
Wahrheit in die Welt. Er geht vom Vater aus (vgl. Joh 14,26 ), wie auch
der Sohn vom Vater gesandt war. Doch das geheimnisvolle Wirken des
Geistes findet nicht außerhalb der Kirche statt. Die Apostel sollten von
dem Kunde geben, der zu ihnen gesagt hatte: Auch ihr seid meine Zeugen .
Durch ihr Zeugnis und die Überzeugungskraft des Geistes würden die
Menschen gerettet. Diese Verbindung von menschlichem Gehorsam gegenüber
den Geboten Gottes ( Apg 1,8 ) und dem Wirken des Heiligen Geistes ist
immer wieder aufs neue notwendig. Joh 16,1-2 Vielleicht fragten sich die Jünger, warum Jesus
ihnen von diesen düsteren Prognosen erzählte. In einer Vorwegnahme ihrer
Fragen wies er sie darauf hin, daß es ihnen helfen würde, auf Gottes Weg
zu bleiben, wenn sie sich von vornherein auf schlimme Erfahrungen gefaßt
machten. (In Vers 4 nannte er noch einen zweiten Grund.) Auf sie
warteten der Ausschluß aus ihrer Religionsgemeinschaft und sogar der
Tod. Dabei würde sie die Erinnerung, daß auch Jesus ausgestoßen und
gemartert wurde und daß er ihnen dasselbe Schicksal vorhergesagt hatte,
stärken. Die ersten Christen waren Juden ( Apg 2,11.14.22 ), doch sie
wurden schon bald aus der Synagoge ausgestoßen (etwa 90 n. Chr.).
Verfolgung und Tod sind bezeugt für Stephanus ( Apg 7,58-59 ), Jakobus
( Apg 12,2 ) und andere ( Apg 9,1-4 ). Manchmal war es sogar der Eifer
für Gott, der die Menschen veranlaßte, Gläubige zu verfolgen. Sie
meinten, Gott damit einen Dienst zu tun (vgl. Röm 10,2 ). Joh 16,3-4 Die Jünger Jesu werden verfolgt, weil die
Menschen weder seinen Vater noch ihn erkennen . Sie sehen nicht, daß in
den Worten und Werken Jesu Gott selbst am Werk war. Auch die Kenntnis,
die das jüdische Volk durch das Gesetz von Gott besaß, half ihm nicht,
denn Gott sagte von den Israeliten: "Es sind Leute, deren Herz immer den
Irrweg will und die meine Wege nicht lernen wollen" ( Ps 95,8-10 ). Jesus warnte seine Jünger vor den kommenden
Verfolgungen, um ihren Glauben fest zu machen. Wenn sie sahen, daß er
gewußt hatte, was ihnen bevorstand, würde ihr Vertrauen in ihn wachsen.
Er hatte sie nicht früher gewarnt, weil sich der Haß der Welt zuerst
gegen ihn richtete. Am Anfang konnte er sie noch durch seine persönliche
Anwesenheit schützen, doch jetzt sollten sie sein Leib auf Erden sein
( Eph 1,22-23 ). H. Das Wirken des Heiligen Geistes ( 16,5 - 15 ) Joh 16,5-6 Als die Jünger erfuhren, daß Jesus fortgehen
würde, waren sie sehr traurig. Der Verlust seiner Nähe traf sie tief und
nahm ihre Gedanken voll und ganz in Anspruch. Wenn sie sich jedoch
klargemacht hätten, warum und zu wem er ging, hätten sie sich gefreut
(V. 22 ). Jesus sagte ihnen, daß die Zeit des Kummers sich ganz
plötzlich in eine Zeit der Freude verwandeln werde. Eigentlich hätte
seine Aussage "jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat" sie
zu Fragen veranlassen müssen, doch sie schwiegen (nicht einmal Thomas
(vgl. Joh 14,5 ) fragte: Wo gehst du hin?). Sie waren so sehr mit den
plötzlich auf sie einstürmenden neuen Problemen beschäftigt, daß sie den
Kern der Aussage Jesu, daß nun die Zeit gekommen war ("jetzt aber"), und
die immense Bedeutung der bevorstehenden Ereignisse (seines Todes,
Begräbnisses, der Auferstehung und Himmelfahrt) nicht begriffen. Joh 16,7 So schmerzhaft es aber auch für die Jünger war,
daß Jesus sie verließ, so nötig war dieser Schritt auch. Er sollte sich
vorteilhaft und segensreich für sie auswirken (das ist jedenfalls die
Bedeutung des griechischen Wortes sympherei , hier: es ist gut ). Ohne
sein Weggehen (und damit seinen Tod, sein Begräbnis, die Auferstehung
und die Himmelfahrt) hätte es kein Evangelium gegeben. Um sein Volk aus
der Sünde zu retten, war es notwendig, daß ein Sühnopfer gebracht wurde
( Mt 1,21 ). Außerdem hätte Jesus seinen Jüngern, wenn er nicht
fortgegangen wäre, nicht als verherrlichter Herr den Tröster (den
Heiligen Geist) senden können, der ihnen die Versöhnung, die Christus
erwirkt hatte, zugänglich machte. "Tröster" ist die Übersetzung des
griechischen Wortes paraklEtos . Ursprünglich war es die Bezeichnung für
eine Art "Anwalt", der vor Gericht für eine Sache eintrat oder einen
Fall vortrug. Dieser Tröster ist der verheißene Geist, der an Pfingsten
auf ganz neue Weise in die Welt kam. Joh 16,8 Eine der Aufgaben des Geistes war es, der Welt
die Augen aufzutun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über
das Gericht . Überzeugung ist zwar nicht dasselbe wie Bekehrung, doch
sie ist die Voraussetzung dafür. Die Worte "die Augen auftun über die
Sünde" sind die Übersetzung von elenxei : "Tatsachen darlegen oder
darstellen, von der Wahrheit überzeugen". Der Geist wirkt in den
Verlorenen und zeigt ihnen die Wahrheit Gottes. Normalerweise gehört
dazu jedoch menschliche Hilfe (vgl. Joh 15,26-27 ). Joh 16,9 Sünde bedeutet Auflehnung gegen Gott. Ihren
Höhepunkt erreichte diese Auflehnung in der Kreuzigung Jesu. Heute
besteht die größte Sünde darin, nicht an Jesus zu glauben (vgl. Joh
3,18;15,22.24 ). Die meisten Menschen geben jedoch nicht so leicht zu,
daß sie der Sünde schuldig sind. Sie gestehen vielleicht Vergehen oder
Laster oder auch Verbrechen ein; doch die Sünde richtet sich stets gegen
Gott, dessen Wahrheit die Menschen immer wieder unterdrückt haben
(vgl. Röm 1,18.21.25.28 ). Um sie von ihrer verzweifelten Situation zu
überzeugen, ist das mächtige Wirken des Heiligen Geistes nötig. Joh 16,10 Mit der Kreuzigung Jesu brachten die Juden zum
Ausdruck, daß er in ihren Augen kein Gerechter war, denn nur ein böser
Mensch, der unter dem Fluch Gottes stand, wurde "am Holz aufgehängt"
( 5Mo 21,23; Gal 3,13 ). Doch die Auferstehung und die Himmelfahrt
bestätigten Jesus als den gerechten Gottesknecht ( Apg 3,14-15; Jes
53,11 ). Der Geist kommt hier der Verkündigung des Evangeliums - der
Nachricht von Jesu Auferstehung - zu Hilfe, indem er die Menschen
überzeugt, daß ihre Einstellung Jesus gegenüber falsch ist ( 1Kor
15,3-4 ). Joh 16,11 Der dritte Bereich des Überzeugungswerks des
Heiligen Geistes betrifft das Gericht . Der Tod und die Auferstehung
Jesu bedeuteten das Verdammungsurteil für Satan ( Joh 12,31; Kol
2,15 ), den Fürsten dieser Welt (vgl. Joh 14,30 ). Durch seinen Tod
besiegte Jesus den Teufel, der "Gewalt über den Tod hatte" ( Hebr
2,14 ). (Obwohl er am Kreuz besiegt wurde, wirkt Satan noch immer
[vgl. 1Pet 5,8 ] doch wie bei einem verurteilten Verbrecher steht seine
endgültige "Hinrichtung" bevor, vgl. Offb 20,2.7-10 .) Die Menschen, die sich gegen Jesus auflehnen,
sollten sich klarmachen, daß der Teufel besiegt ist, und den Herrn
fürchten, der die Macht hat zu richten. Da nun die Tatsache des
kommenden Gerichts (über Satan und über die Menschen) verkündet ist,
überzeugt der Geist die Menschen und bereitet sie auf die Rettung vor
(vgl. Apg 17,30-31 ). Joh 16,12-13 Doch zum jetzigen Zeitpunkt waren die Jünger
nicht in der Lage, noch weitere Wahrheiten aufzunehmen. Ihre Herzen
waren verhärtet, und ihre Hauptsorge galt dem Rang, den sie selbst in
einem irdischen Königreich bekleiden würden. Vor diesem Hintergrund
konnten sie die Notwendigkeit von Jesu Tod nicht einsehen. Kummer über
sein Fortgehen und Entsetzenüber die Prophezeiung, daß sich ein Verräter
unter ihnen befand, machte sie, zusammen mit der Vorhersage ihres
eigenen Abfalls, unempfänglich für das, was der Herr ihnen noch zu sagen
hatte. Doch nach Jesu Tod sollte der Geist der Wahrheit (vgl. Joh
15,26 ) kommen und die Apostel in alle Wahrheit über Jesus und sein Werk
einweihen. Der Geist, sagte Jesus, wird nicht aus sich
selber (d. h. aus eigener Initiative) reden , sondern nur lehren, was er
vom Vater hören wird . Das ist ein Hinweis auf die wechselseitige
Abhängigkeit der Personen in der göttlichen Dreieinigkeit. Der Vater
wird dem Geist sagen, was er die Apostel über den Sohn lehren soll. Der Geist sollte sie lehren, was zukünftig ist.
Das ist die Erklärung der Verheißung: Er wird euch in alle Wahrheit
leiten (wörtlich: in all die Wahrheit). Darin lag ein Versprechen für
die Apostel, daß ihr jetzt noch unvollkommenes Verständnis der Person
und des Wirkens Jesu, des Messias, vollkommen werden sollte, wenn der
Geist ihnen die Bedeutung des bevorstehenden Kreuzestodes, die
Auferstehung und Rückkehr Jesu erklären würde (vgl. 1Kor 2,10 ). Die
neutestamentlichen Bücher sind die Erfüllung dieses Lehramtes des
Heiligen Geistes. Joh 16,14-15 Weil Jesus der Logos ist, die Offenbarung des
Vaters (oder, wie Paulus es formuliert, "das Ebenbild des unsichtbaren
Gottes"; Kol 1,15 ), gehört alles, was der Vater hat, auch Jesus. Der
Geist der Wahrheit verherrlichte Jesus, indem er den Aposteln Dinge
offenbarte, die sich auf die Person und das Werk des Logos bezogen: Er
wird's dem Meinen nehmen und euch verkündigen . Er wirkte in den
Aposteln, so daß sie den Retter erkennen, verstehen und den Menschen von
ihm erzählen konnten. I. Die bevorstehenden Veränderungen ( 16,16 - 33 ) Nach diesen Ausführungen über das künftige Wirken
des Heiligen Geistes ging Jesus zur unmittelbar bevorstehenden Zukunft
über. Er würde zurückkehren, doch zuvor waren Angst, Schmerz und
religiöses Versagen das Los der Jünger. Später jedoch sollten Freude,
Gebet und Frieden ihr Teil sein. Joh 16,16 Die Worte "noch eine kleine Weile" verwirrten die
Jünger (und möglicherweise auch die ersten Leser des
Johannesevangeliums). Auch die Vorhersage "dann werdet ihr mich
sehen" war ihnen nicht sofort klar. Meinte er damit (a) das Kommen des
Heiligen Geistes, (b) sein zweites Kommen oder (c) seinen kurzen,
vierzigtägigen Aufenthalt bei ihnen zwischen seiner Auferstehung und der
Himmelfahrt? Die letztere Annahme scheint am plausibelsten. Joh 16,17-18 Die Jünger waren verwirrt über die
Zeitintervalle, von denen Jesus redete. Die Wiederholung, da sprachen
sie (Imperfekt), deutet darauf hin, daß sie sich untereinander die Köpfe
über das zerbrachen, was er gesagt hatte, ohne jedoch zu einer Lösung zu
kommen. Sie verstanden nicht, was Jesus mit den Angaben, (a) in kurzer
Zeit würden sie ihn nicht mehr sehen, (b) sie würden ihn sehen und
(c) er ginge zum Vater , gemeint hatte. Erst sein Tod, seine
Auferstehung, die Zeit nach der Auferstehung und schließlich die
Himmelfahrt öffneten ihnen die Augen. Joh 16,19-20 Als ihr Herr und Meister verstand Jesus die
Verwirrung seiner Schüler. Doch er klärte sie nicht auf; er wußte, daß
sie mit der Zeit und mit der Hilfe des Heiligen Geistes alles verstehen
würden (vgl. V. 12 - 13 ). "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. den
Kommentar zu Joh 1,51 ) ist die Einführung zu der feierlichen
Verkündigung, daß auf all das Schlimme, das ihnen bevorstand, Freude
folgen würde. Sein Tod würde sie zunächst in tiefste Verzweiflung
stürzen, während die Welt sich darüber freuen würde. Doch genau dasselbe
Ereignis, der Tod des Messias, der sie zuerst weinen und klagen lassen
würde, sollte ihnen später Grund zur Freude geben: Doch eure Traurigkeit
soll in Freude verwandelt werden. Jesu Auferstehung und das klärende
Wirken des Geistes würden sie in die Lage versetzen zu verstehen, daß
Jesus sterben mußte, damit ihnen ihre Sünden vergeben wurden. In
späterer Zeit stimmte dann auch die Kirche in die Freude über Jesu Tod
mit ein (vgl. 1Kor 1,23;2,2 ). Joh 16,21-22 Jesus erläuterte ihnen die Tatsache, daß ihr
Schmerz sich in Freude verwandeln würde, an den Schmerzen einer Geburt,
auf die die Freude, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist , folgt. Den
Jüngern standen jetzt Schmerzen bevor ( und auch ihr habt nun
Traurigkeit ), doch das Licht der Freude wartete bereits auf sie. Als
sie Jesus nach seiner Auferstehung sahen, begann die Zeit der Freude -
einer Freude, die niemals enden wird, da Jesus einmal der Sünde starb,
doch nun für immer lebt (vgl. Lk 24,33-52; Röm 6,9-10; Hebr 7,24-25 ). Joh 16,23-24 Die bevorstehenden Ereignisse sollten auch ihre
Beziehung zu ihm verändern. Da Jesus nicht mehr körperlich bei ihnen
sein würde ( "an jenem Tag" bedeutet nach seiner Himmelfahrt), konnten
sie ihm keine Fragen mehr stellen. Doch der Heilige Geist würde ihnen
auch darin zu Hilfe kommen (V. 13 - 15 ). "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch" ist auch hier
wieder die Einleitung zu einer wichtigen Aussage. Die Apostel sollten
Jesu Botschafter sein und hatten daher das Recht, den Vater um alles zu
bitten , was sie brauchten, um seinen Willen zu erfüllen. Die Worte "in
meinem Namen" sind keine magische Formel, auf die hin Gott die Bitte des
Betenden erhören muß , sondern mit ihnen wurde das Gebet mit dem Werk
des Sohnes, der den Willen des Vaters tat, in Verbindung gebracht (vgl.
"in meinem Namen" in Joh 14,13-14;15,16;16,24.26 ). Bis jetzt hatten die
Jünger nicht im Namen Jesu gebetet. Von nun an, nachdem sein Tod und das
Kommen des Geistes sie in das neue, von Gott gewollte Zeitalter der
Kirche gebracht hatten, sollten sie es tun. Erhörte Gebete machen
die Freude vollkommen (vgl. Joh 15,11;16,22 ), weil Gott in ihnen wirkt. Joh 16,25 Obwohl Jesus die Jünger drei Jahre lang in Wort
und Tat gelehrt hatte, war ihre Gotteserkenntnis noch immer begrenzt
( Joh 14,9; vgl. Joh 2,22;6,60;13,7.15-17 ). Die verhüllten,
gleichnishaften Aussagen ( in Bildern ), in denen Jesus bis jetzt zu
ihnen gesprochen hatte, würden nun der freien Verkündigung Platz machen.
Nach seiner Auferstehung (vgl. Apg 1,3 ) sprach der Sohn frei heraus von
dem Vater (vgl. Joh 14,25-26 ). Joh 16,26-27 Der kommende neue Tag sollte die Jünger in eine
neue, vertraute Beziehung zum Vater treten lassen und ihnen die Augen
öffnen. Von nun an sollten sie im Namen Jesu, d. h. durch ihn
persönlich, Zugang zum Vater haben (vgl. "in meinem Namen" in 14, 13 -
14; Joh 15,16;16,24 ). Jesus mußte nicht länger als Mittler für sie
bitten , sie konnten für sich selbst sprechen. Das widerspricht nicht
der Verheißung, daß Christus den Gläubigen dabei hilft, ihre Sünde zu
besiegen (vgl. Röm 8,34; 1Joh 2,1-2 ). Doch auch die Jünger stehen nun
in einer persönlichen, von Liebe und Glauben getragenen Beziehung zum
Vater, ein Privileg, das nur Kinder besitzen ( Röm 5,2 ). Joh 16,28 Dann faßte Jesus seinen Auftrag in der Welt in
einem einzigen Satz zusammen: Inkarnation ( ich bin vom Vater
ausgegangen ), Erniedrigung ( und in die Welt gekommen ) und
Auferstehung, Himmelfahrt und Erhöhung ( ich verlasse die Welt wieder
und gehe zum Vater ). Das war es, was die Jünger glauben mußten. Joh 16,29-30 Da verstanden und glaubten die Jünger. Jesu
Aussage hatte so schlicht geklungen, daß die Jünger darauf nur mit der
Anerkennung seiner Allwissenheit ( daß du alle Dinge weißt ) und
göttlichen Herkunft ( daß du von Gott ausgegangen bist ) reagieren
konnten. Joh 16,31-32 Obwohl die Jünger ehrlich und aufrichtig waren,
als sie Jesus ihres Glaubens versicherten (V. 30 ), kannte er ihre
Grenzen doch weit besser als sie selbst (vgl. Joh 2,24-25 ). Jesu
Frage "Jetzt glaubt ihr?" deutet an, daß ihr Glaube jetzt, vor dem Tod
und der Auferstehung Jesu und dem Kommen des Geistes, noch nicht
vollkommen und stark war. "Ihr werdet zerstreut werden" ist die
Erfüllung der Worte Sacharjas über den Hirten (den Messias), der
aufgrund des Ratschlusses des Herrn Zebaoth geschlagen werden sollte und
dessen Schafe sich zerstreuen würden ( Sach 13,7 ). Trotz ihrer Treue,
ihres Glaubens und ihrer Liebe zu Jesus würden die Jünger schon bald
kläglich versagen. Jesu Vorhersage, daß auch sie ihn verlassen würden,
erfüllte sich; sie ließen ihn alle im Stich ( Mt 26,56 ), als er
gefangengenommen wurde, und auch Petrus verleugnete ihn ( Joh
18,17.25-26 ). Nur der Vater verließ ihn nicht: Aber ich bin nicht
allein, denn der Vater ist bei mir (vgl. Joh 8,29; Ps 23,4;73,25-26 ).
Am Kreuz wurde Jesus dann allerdings auch vom Vater verlassen ( Mt
27,46 ). Joh 16,33 All diese Anweisungen ( Joh 14-16 ) sollten die
Jünger bewahren und ihnen Frieden in Jesus geben. Die Gläubigen führen
gewissermaßen eine gespaltene Existenz: Sie sind gleichzeitig in
Christus und in der Welt . In der Einheit mit Jesus haben sie Frieden,
doch in der Welt sind sie feindlichem Druck ausgesetzt. Die Welt, der
Feind Gottes und seines Volkes, widersetzte sich der Botschaft Jesu und
seiner Aufgabe (vgl. Joh 1,5.10-11; Joh 7,7 ). Doch Jesus hat die Welt
überwunden . Als der "Starke", der das Reich Satans vernichtet hat ( Mt
12,25-29 ), ist Jesus letztlich der Sieger. Er wollte, daß die Jünger
daran dachten und sich über seinen Sieg freuten. "Seid getrost" bedeutet
"faßt Mut". (Im Neuen Testament wird das Wort tharseO , "sich ein Herz
fassen, mutig sein, sich ermuntern", nur von Jesus gesprochen: Mt
9,2.22;14,27; Mk 6,50;10,49; Joh 16,33; Apg 23,11 .) Weil er gesiegt
hat, können auch sie, wenn sie eins mit ihm sind, siegen ( Röm 8,37 ). J. Jesu Fürbitte ( Joh 17 ) 1. Jesu Bitten für sich selbst ( 17,1 - 5 ) Nach der symbolischen Fußwaschung der Jünger
( Joh 13,1-30 ) und den Weisungen an die Apostel ( 14 - 16 ) betete
Jesus. Dieses Gebet in Joh 17 wird als "das hohepriesterliche Gebet des
Herrn" oder "das Gebet des Herrn" bezeichnet. Jesus hatte seine Weisungen mit dem
Siegesruf "ich habe die Welt überwunden" ( Joh 16,33 ) beendet. Das war
gewissermaßen die Vorwegnahme seines Werkes am Kreuz. Während seines
ganzen Wirkens hatte Jesus sich gehorsam dem Willen des Vaters
unterworfen (vgl. Lk 4,42;6,12;11,1; Mt 26,36 ). Als er sich nun
wiederum an seinen Vater wandte, betete er zunächst für sich selbst
( Joh 17,1-5 ), dann für seine Apostel (V. 6 - 19 ) und dann für alle
zukünftigen Gläubigen (V. 20 - 26 ). Joh 17,1 Jesus, der Sohn Gottes, begann sein Gebet mit dem
Wort Vater (vgl. Mt 6,9 ), das er noch dreimal benutzte ( Joh
17,5.21.24; darüber hinaus nannte er ihn "heiliger Vater", V. 11 , und
"gerechter Vater", V. 25 ). Die Stunde , so sagte er, ist da . Der
göttliche Plan der Erlösung ging, wie vorgesehen, seiner Vollendung
entgegen. Mehrere Male zuvor hatte Jesus darauf hingewiesen, daß die
Zeit noch nicht gekommen war ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ), doch jetzt war
sie da (vgl. Joh 12,23;13,1 ). Dann betete er: Verherrliche deinen
Sohn (vgl. Joh 17,5 ). Diese Bitte um Verherrlichung schloß die
Bewahrung Jesu im Leiden, das Annehmen seines Opfers, seine Auferstehung
und die Wiederherstellung zu seiner früheren Herrlichkeit mit ein. Um
all das bat er, damit durch den Sohn auch der Vater verherrlicht werde
und Gottes Weisheit, Macht und Liebe durch ihn offenbar würden. Auch die
Gläubigen sollen Gott verherrlichen und ehren (V. 10 ); das ist der
eigentliche Daseinszweck des Menschen ( Röm 11,36; 16,27; 1Kor 10,31;
Eph 1,6.12.14 ). Joh 17,2 Die Worte "denn du hast ihm Macht gegeben über
alle Menschen" zeigen, daß Jesu Bittgebet in Einklang mit dem Plan des
Vaters war. Der Vater hat befohlen, daß der Sohn über die Erde herrsche
(vgl. Ps 2 ), daher hat der Sohn auch die Macht zu richten ( Joh 5,27 ),
sein Leben zu lassen und wiederzunehmen ( Joh 10,18 ) und all denen, die
ihm der Vater anvertraute, das ewige Leben zu geben . Sechsmal in diesem
Gebet bezeichnet Jesus die Seinen als "die, die ihm (der Vater) gegeben
hat" ( Joh 17,2.6 [zweimal] Joh 17,9.24 [zweimal]). Joh 17,3 Das ewige Leben, wie es hier von Jesus definiert
ist, ist das Erkennen des allein wahren Gottes durch seinen Sohn
(vgl. Mt 11,27 ). Es ist eine immerwährende, dynamische, persönliche und
vertraute Beziehung. Das Wort erkennen ( ginOskOsin ) steht hier im
Präsens; in der Septuaginta und - weniger häufig - in den griechischen
Handschriften bezeichnet es die Vertrautheit und Nähe einer sexuellen
Beziehung (z. B. 1Mo 4,1 ,"erkannte", und Mt 1,25 ,"berührte"). Ein
Mensch, der Gott erkennt, hat also eine enge persönliche Beziehung zu
ihm, eine Beziehung, die ewig ist, nicht zeitlich. Das ewige Leben ist
nicht einfach ein zeitloses Existieren. Jeder Mensch wird auf irgendeine
Weise für immer existieren (vgl. Mt 25,46 ); die Frage ist nur: In
welchem Zustand oder in welcher Beziehung wird er die Ewigkeit erleben? Joh 17,4-5 Jesu Gebet für sich selbst stützte sich auf die
Vollendung seines Werkes (vgl. Joh 4,34 ) - ich habe dich
verherrlicht (vgl. Joh 17,1 ) - wozu auch sein Gehorsam bis in den Tod
gehörte ( Phil 2,8 ). Wenn das Kreuz auch noch vor ihm lag, so kam es
doch mit Sicherheit auf ihn zu. Jesus wiederholte seine Bitte um die
Wiederherstellung seiner früheren Herrlichkeit mit dem Vater (vgl. Joh
17,1 ), die auf der Gewißheit des vollendeten Werks am Kreuz beruhte. Außer diesem "Werk", das der Vater ihm gegeben
hatte, erhielt Jesus von Gott die Gläubigen (V. 2.6.9. 24 ), seine
Herrlichkeit (V. 5.24 ), seine Worte (V. 8 ) und seinen Namen (V. 11 -
12 ). Der Sohn gab Gottes Worte (V. 8.14 ) und Gottes Herrlichkeit
(V. 22.24 ) an die Gläubigen weiter. 2. Jesu Bittgebet für die Apostel ( 17,6 - 19 ) Jesus betete für seine Jünger, bevor er sie
erwählte ( Lk 6,12 ), während seines Wirkens ( Joh 6,15 ), am Ende
seines Wirkens ( Lk 22,32 ), auf Erden ( Joh 17,6-19 ) und später im
Himmel ( Röm 8,34; Hebr 7,25 ). Diese ständige Fürbitte zeigte seine
Sorge und Liebe den Aposteln gegenüber. Joh 17,6-8 Die kleine Herde der Jünger war dem Sohn vom
Vater gegeben worden (vgl. V. 2.9.24 ). Sie waren aus der
Welt ausgesondert ("Welt" steht in diesem Kapitel achtzehnmal: V. 5 - 6.
9.11 [zweimal] 13.14 [dreimal] 15.16.18 [zweimal] 21.23 - 25 ). Der
Vater hatte sie auserwählt und die Apostel damit zu einem Geschenk für
Jesus gemacht (vgl. Joh 6,37 ). Mit den Worten "sie haben dein Wort
bewahrt" lobte Jesus die Jünger dafür, daß sie die Botschaft Gottes, der
sie in ihm begegneten, angenommen hatten. Sie waren zwar nicht
vollkommen, doch sie waren treu. Ihr Glaube an Jesus war Ausdruck ihres
Vertrauens in seine Einheit mit dem Vater ( Joh 17,8 ). Dieser Glaube
manifestierte sich in ihrem Gehorsam gegenüber seinen Worten, denn sie
glaubten an seinen göttlichen Auftrag (vgl. Joh 16,27 ). Joh 17,9-10 Christi Gebet (in V. 6 - 19 ) war in erster Linie
für die Elf bestimmt, wenngleich es sich auf alle Gläubigen anwenden
läßt (vgl. V. 20 ). Er bat hier nicht für die Welt , die nicht an ihn
glaubte und ihm feindlich gegenüberstand, sondern er bat um zwei Dinge:
(a) die Bewahrung (erhalte sie"; V. 11 ) und (b) die Heiligung ("heilige
sie"; V. 17 ) seiner Jünger. Die Welt muß nicht in ihrem Widerstand bewahrt
und in ihrem Unglauben geheiligt werden. Jesus erbat sich das, weil die
Jünger durch die Schöpfung und die Erwählung Gottes Eigentum waren
( denn sie sind dein ). Seine Worte "und alles, was mein ist, das ist
dein, und was dein ist, das ist mein" sind ein Beweis für seinen
Anspruch auf Einheit, Vertrautheit und Wesensgleichheit mit dem Vater. In der alten Weltordnung wohnte Gott unter den
Menschen und zeigte seine Herrlichkeit. In Jesus offenbarte sich diese
Herrlichkeit in völlig neuer Weise (vgl. Joh 1,14 ). Nach seinem Tod
wurde Christus durch seine Jünger verherrlicht: Und ich bin in ihnen
verherrlicht . Jetzt, im Kirchenzeitalter, verherrlicht der Heilige
Geist den Sohn ( Joh 16,14 ), und auch die Gläubigen sollen ihn
verherrlichen ( Eph 1,12 ). Joh 17,11 Bald würde Jesus zum Vater gehen und seine
Jünger in der Welt zurücklassen. Sie mußten hierbleiben, um Gottes Plan
- die Verbreitung der guten Nachricht von der Erlösung und die Gründung
der Kirche - auszuführen. Mit der Bildung der Kirche wurde die
Weltgeschichte gewissermaßen zu einer "Geschichte zweier Städte": der
Stadt Gottes und der Stadt der Menschen. Da die Jünger in der Welt bleiben würden, bat
Jesus Gott, sie zu bewahren. Die Feindseligkeit gegenüber Gott, die
Jesus zu spüren bekommen hatte, würde nun die kleine Schar der Apostel
und danach noch viele von Jesu Jüngern treffen. Mit der Anrufung
seines heiligen Vaters wies Jesus auf den Unterschied zwischen Gott und
der sündigen Kreatur hin. Diese Heiligkeit ist die Grundlage für die
Absonderung der Gläubigen von der Welt. Gott würde sie durch die Macht
seines Namens (vgl. Spr 18,10; in der damaligen Zeit stand der Name
eines Menschen für die Person) vor der Sünde und der Feindschaft der
Welt bewahren. Jesus betete um die Bewahrung der Gläubigen, um
ihre Einheit nach dem Vorbild der Einheit des Vaters und des Sohnes zu
fördern: Daß sie eins seien wie wir (vgl. V. 21 - 22 ). Es scheint sich
dabei um eine Willenseinheit zu handeln. Geschützt vor den Angriffen der
Welt würden die Gläubigen in ihrem gemeinsamen Wunsch, dem Sohn zu
dienen und ihn zu verherrlichen, geeint. s Joh 17,12 Als "guter Hirte" sorgte Jesus sich um die Herde,
die ihm vom Vater anvertraut war. Nur Judas, der hier der Sohn des
Verderbens genannt wird, bildete eine Ausnahme. Er gehörte niemals zu
den Schafen, auch wenn sein wahrer Charakter erst jetzt ans Licht kam
(vgl. Joh 13,11; 1Joh 2,19 ). Er war eine "tote Rebe", die abgeschnitten
werden mußte (vgl. den Kommentar zu Joh 15,2.6 ). Judas handelte zwar
bewußt (er verkaufte Jesus), doch unwissentlich wurde er dabei zu einem
Werkzeug Satans ( Joh 13,2.27 ). Auch die Willensakte der Menschen fügen
sich in Gottes Plan ein (vgl. Apg 2,23;4,28 ). So erfüllte (in größerem,
biblischem Zusammenhang) Judas' Verrat die Worte von Ps 41,10 über
Davids Verrat durch seinen Freund. Joh 17,13 Die Trostworte, die Jesus hier zu seinen Jüngern
sprach ( ich rede dies ), waren sehr wichtig für sie. In der Folgezeit
nach seiner Passion würden sie sich daran erinnern, und ihre Freude
sollte vollkommen sein . Sie freuten sich, weil sie aus seinen Worten
wußten, daß er den Bösen besiegt und ihnen das ewige Leben gebracht
hatte. Joh 17,14 Jesus setzte seine Fürbitte für die Jünger mit
einem Hinweis auf ihren Wert und die ihnen bevorstehende Gefahr fort.
Wertvoll waren sie, weil sie das Wort Gottes empfangen hatten: Ich habe
ihnen dein Wort gegeben (vgl. "denn die Worte, die du mir gegeben hast,
habe ich ihnen gegeben"; V. 8 ). Sie waren in Gefahr, weil das
teuflische System der Welt sie haßte . Die Welt haßte sie, weil
sie nicht von der Welt waren. Da die Gläubigen Anteil an Jesus Christus
haben, hat "alles, was in der Welt ist - des Fleisches Lust und der
Augen Lust und hoffärtiges Leben" - seine Attraktion für sie verloren
( 1Joh 2,16 ). Dem Gläubigen ist bewußt, daß die Welt nur "Dreck und
Schaden" ist (vgl. Phil 3,8 ), und dafür haßt ihn die Welt, denn er
entlarvt ihre trügerischen Werte (vgl. Joh 3,20 ). Joh 17,15 Es war nicht Gottes Absicht, die Jünger einfach
vor jeglicher Gefahr und allem Widerstand zu bewahren ( daß du sie aus
der Welt nimmst ), sondern sie inmitten aller Schwierigkeiten zu
erhalten. Wie von Daniel in Babylon ( Dan 1,5;3,12;6,6-12 ) und von den
Heiligen im Hause des Kaisers ( Phil 4,22 ) verlangt Gott von den
Jüngern, daß sie in einem Umfeld voller teuflischer Lügen Zeugen der
Wahrheit sind. Satan, der Böse (vgl. Mt 5,37; 1Joh 5,19 ), als Fürst der
Welt, läßt nichts unversucht, um die Gläubigen zu vernichten (vgl. Offb
2,10;12,10 ), doch Gottes Plan wird sich am Ende durchsetzen. Die
Christen sollen sich nicht aus der Welt zurückziehen, sondern im
Vertrauen auf Gottes Schutz Zeugnis für Jesus ablegen. Joh 17,16-17 Wie Jesus gehören auch die Gläubigen nicht dem
teuflischen System dieser Welt ( ich bin nicht von der Welt ; vgl.
V. 14 ), sondern dem himmlischen Königreich ( Kol 1,13 ) an, denn sie
sind wiedergeboren (vgl. Joh 3,3 ). Jesus hatte Gott um die Erhaltung
seiner Jünger gebeten ( Joh 17,11 ); seine zweite Bitte war nun, daß sie
geheiligt würden. Heiligen bedeutet "absondern für einen besonderen
Zweck". Ein Gläubiger hat nichts mit der Sünde, den Werten und Zielen
der Welt zu tun. Das Mittel dieser Heiligung ist Gottes Wahrheit .
Sie wird vermittelt in der persönlichen und der ethischen Dimension des
Wortes. In dem Maß, in dem die Jünger Jesu Botschaft vernahmen, glaubten
und begriffen, verwandelten sich ihre Herzen und ihr Verstand. Diese
grundlegende Veränderung in ihrem Denken hatte Veränderungen in ihrem
Leben zur Folge. Das gilt ebenso für die Gläubigen von heute. Wenn sie
das Wort Gottes auf ihr Leben anwenden, sind sie geheiligt - abgesondert
für Gott, verändert in ihrem Leben, in dem sie nun Gott die Ehre geben
(vgl. Joh 15,3 ). Die Botschaft Gottes sonderte die Apostel von der Welt
ab, so daß sie von nun an seinen, nicht mehr den Willen Satans, taten. Joh 17,18 Jesus ist das Vorbild für jeden Gläubigen. Er war
in der Welt, aber er war nicht von der Welt (V. 14 b. 16 b). Er war vom
Vater in die Welt gesandt, und die Gläubigen wurden von ihm in die Welt
gesandt, um den Vater zu verkünden (vgl. Joh 20,21 ). Hierin ähnelt
diese Passage dem Missionsauftrag in Mt 28,18-20 . Jeder Christ sollte
sich als Bote betrachten, dessen Aufgabe es ist, den andern von der
Wahrheit Gottes zu erzählen. Joh 17,19 Jesus heiligte sich selbst für seine Jünger. Doch
inwiefern hatte er das überhaupt nötig? War er nicht bereits für Gott
von der Welt abgesondert? Die besondere Heiligung, von der hier die Rede
war, bezog sich auf seine Absonderung und Auslieferung an den Tod . Der
Zweck seines Todes aber war es, daß auch sie geheiligt seien in der
Wahrheit . Die Wendung "geheiligt in der Wahrheit" bedeutet, daß die
Wahrheit Gottes Mittel der Heiligung ist (vgl. den Kommentar zu V. 17 ).
Mit seinem Tod wollte Christus die Gläubigen für Gott und seinen Plan
absondern bzw. sie ihm übergeben. 3. Jesu Fürbitte für die zukünftigen Gläubigen ( 17,20 - 26 ) Joh 17,20 Der letzte Teil von Jesu Bitte (V. 20 - 26 ) galt
den Gläubigen der Zukunft, die durch das Wort der Apostel zu ihm kommen
würden. Im Kirchenzeitalter haben alle Christen direkt oder indirekt
durch das Zeugnis der Apostel zu Christus gefunden. Jesus wußte, daß
sein Auftrag von Erfolg gekrönt sein würde. Er würde sterben und
auferweckt werden, er würde den Heiligen Geist senden, die Apostel
würden predigen, die Menschen würden sich bekehren, und die Kirche würde
entstehen. Wie jeder Hohepriester Israels die Namen der Stämme vor die
Gegenwart Gottes in der Stiftshütte und im Tempel trug (vgl. 2Mo
28,9-12.21-29 ), so stellte Jesus, der große Hohepriester, die
zukünftigen Gläubigen vor die heilige Gegenwart seines himmlischen
Vaters (vgl. Hebr 4,14-5,12;7,24-8,2 ). Joh 17,21 Jesus bat um die Einheit derer, die in der
Zukunft zum Glauben kommen würden (vgl. V. 11.21 - 22 ). Dieser Vers ist
ein Lieblingsvers der heutigen ökumenischen Bewegung. Es stimmt zwar,
daß das Kirchenschisma ein Skandal ist, doch die Heilung liegt nicht in
einer Union der Institutionen. Jesus betete nicht für den Zusammenschluß
der Christen zu einer einzigen, weltweiten ökumenischen Kirche, in der
neben der Orthodoxie auch Irrlehren verbreitet werden. Er betete umdie
Einheit der Liebe, eine Einheit des Gehorsams gegenüber Gott und seinem
Wort. Zwischen Einheitlichkeit, willkürlichem Zusammenleben und echter
Einheit besteht ein Unterschied. Alle Gläubigen gehören zu dem einen Leib Christi
( 1Kor 12,13 ); ihre geistliche Einheit manifestiert sich in ihrem
Leben. Die Einheit, die Christus sich für seine Kirche wünscht, ist
dieselbe wie die zwischen Vater und Sohn: Wie du, Vater, in mir bist und
ich in dir (vgl. Joh 10,38;17,11.23 ). Der Vater vollbrachte seine Werke
durch den Sohn, und der Sohn tat nur, was dem Vater gefiel ( Joh
5,30;8,29 ). Diese geistliche Einheit soll sich auch in der Kirche
zeigen. Ohne Einheit mit Jesus und dem Vater ( sie in uns ) können die
Christen nichts bewirken ( Joh 15,5 ). Es ist ihr Lebensziel, den Willen
des Vaters zu tun. Die Einheit der Jünger mit Jesus wird dazu
führen, daß die Welt an den Vater glaubt: Daß du mich gesandt
hast (vgl. Joh 17,23 ). Joh 17,22-23 Die Herrlichkeit, die Christus der Kirche gegeben
hat, bezieht sich wahrscheinlich auf die Herrlichkeit des Kreuzes (vgl.
V. 1 - 5 ). Durch die Erinnerung an Jesu Sühneopfer sollte die Kirche
mit den Zielen Gottes und seinem Heilsplan eins werden. Abermals wird
die Einheit der Christen ( damit sie eins seien ) mit der Einheit
zwischen Sohn und Vater verglichen (wie wir eins sind; vgl. V. 11.21 ).
Diese Einheit wird dadurch erzielt, daß Christus in den Gläubigen wohnt
( ich in ihnen ). Das Ziel der Einheit der Gläubigen untereinander
und mit Gott ist ein doppeltes: (a) die Welt soll an den göttlichen
Auftrag des Sohnes glauben ( erkenne, daß du mich gesandt hast ), und
(b) die Welt soll die Liebe Gottes zu den Gläubigen erkennen, die ebenso
tief und unvergänglich ist wie die Liebe zu seinem Sohn (vgl. V. 26 ). Joh 17,24 Die Gemeinschaft, die die Jünger bereits in
diesem Leben mit Jesus haben, wird in der Ewigkeit noch enger werden.
Das Ziel der Erlösung ist es, die Gläubigen zu verherrlichen und mit
Jesus zu vereinen (vgl. Joh 14,3; Kol 3,4; 1Thes 4,17 ). Jesu letzter,
testamentarischer Wunsch ( ich will , thelO ) bestimmte, daß seine
Jünger in seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit, die er vom Vater hatte
und wieder haben würde ( Joh 17,5 ), eintreten sollten ( sehen ;
vgl. Hebr 2,10 ). Dieses Testament wurde besiegelt durch seinen Tod und
seine Auferstehung. Da er in Willenseinheit mit dem Vater handelt ( Joh
4,34;5,30;6,38 ), steht dieser für die Verwirklichung von Jesu
Vermächtnis ein. Joh 17,25-26 Die Fürbitte für die Gläubigen schließt mit der
Anrufung des gerechten Vaters . Das Wort, das hier mit "gerecht"
übersetzt ist, kommt im Johannesevangelium selten vor (vgl. 5, 30; Joh
7,24 ). Hier ist es offensichtlich Ausdruck für den Lobpreis des
göttlichen Erlösungswerkes (vgl. Mt 11,25-26 ). Der Vater ist gerecht,
während die Welt im Unrecht lebt ( kennt dich nicht ). Jesus hat den
Vater gekannt, offenbart ( Joh 17,6 ) und verherrlicht (V. 4 ), eine
Aufgabe, die nun den Christen obliegt. Das Wesen Gottes ist die Liebe
( 1Joh 4,8 ). Jesus tat durch seinen Tod den Vater und seine Liebe der
Welt kund. Die Liebe des Vaters zum Sohn wurde offenbar, als er ihn zur
Herrlichkeit auferweckte. Jesus offenbarte den Vater, damit die Christen
in dieser Liebe zunahmen ( damit die Liebe, mit der du mich liebst, in
ihnen sei ) und sich in ihrem Leben seiner persönlichen Gegenwart
erfreuen konnten ( und ich in ihnen ). Jesus bat um vier Dinge für die Gläubigen:
Erhaltung ( Joh 17,11 ), Heiligung (V. 17 ), Einheit (V. 11.21 - 22 )
und Teilhabe an seiner Herrlichkeit (V. 24 ). Sein Gebet wird mit
Sicherheit Erhörung finden (vgl. Joh 11,42; 1Joh 5,14 ). IV. Jesu Passion und Auferstehung ( Joh 18-20 ) A. Die Gefangennahme Jesu ( 18,1 - 11 ) Joh 18,1 Jesus verließ den Raum, in dem er mit seinen
Jüngern das letzte Abendmahl eingenommen hatte, und ging hinaus über den
Bach Kidron , nach Osten. Das Kidrontal, das heutige Wadi-en-Nar, ist
ein Tal bzw. Flußbett, das vom Norden Jerusalems zwischen dem Tempelberg
und dem Ölberg hindurch zum Toten Meer verläuft. Wie David von einem
Freund (Ahitofel) verraten wurde, während er auf dem Weg zum Ölberg den
Kidron überquerte ( 1Sam 15,23.30-31 ), so wurde auch Jesus von seinem
"vertrauten Freund" Judas verraten, als er diesen Weg nahm. In
dem Garten auf dem Ölberg übernachteten Jesus und seine Jünger stets,
wenn sie sich in Jerusalem aufhielten ( Lk 21,37 ), denn in Festzeiten
(z. B. während des Passafestes) war die heilige Stadt von den Tausenden
von jüdischen Pilgern so überfüllt, daß die meisten von ihnen in Zelten
oder anderen provisorischen Unterkünften schlafen mußten. Joh 18,2-3 "Geldgier ist eine Wurzel alles Übels" ( 1Tim
6,10 ). Auf dem Hintergrund dieses Satzes ist es nicht überraschend, daß
Judas Jesus für Geld verriet ( Joh 12,4-6; Mt 26,14-16 ). Judas war kein
Ungeheuer, sondern ein ganz normaler Mensch, der in einer ganz
gewöhnlichen Sünde (der Gier) gefangen war, die Satan benutzte, um sein
Ziel zu erreichen. Seine Tat stand allerdings in stärkstem Gegensatz zu
Jesu selbstloser Liebe. Da Judas Jesu Gewohnheiten kannte, konnte er ihn
den Häschern leicht ausliefern. Der Haß auf Jesus hatte die Soldaten und
Knechte von den Hohenpriestern und Pharisäern zusammengeführt. Die
römische Besatzungsmacht hatte eine Kohorte ( speiran , der zehnte Teil
einer Legion), also sechshundert Mann, abgestellt, wahrscheinlich mit
dem Befehl, einen Aufständischen, der behauptete, ein König zu sein,
festzunehmen. Joh 18,4 Jesus wußte alles, was ihm begegnen sollte . Er
wurde nicht von seinen Feinden überrascht, sondern gab sich freiwillig
als Opfer in ihre Hände ( Joh 10,15.17-18 ). Die Szene in Joh 18,4 ist
voller gespenstischer Dramatik. Judas kam mit den vielen Soldaten und
den religiösen Führern, um Jesus gewaltsam abzuführen. Doch Jesus trat
ihnen ganz allein entgegen (die Jünger waren eingeschlafen; Lk
22,45-46 ). Obwohl er unbewaffnet war, beherrschte er die Situation. Es
wäre ihm ein leichtes gewesen, in der Dunkelheit der Nacht zu fliehen,
wie es die Jünger bald darauf taten (vgl. Mk 14,50 ). Doch er ergab sich
seinen Häschern. Johannes Joh 18,5-6 Seine Worte "Ich bin's" , erschreckten sie, und
sie wichen zurück und fielen zu Boden , beeindruckt von der Autorität
seiner Worte (vgl. Joh 7,45-46 ). Die Wendung "Ich bin" ist
doppeldeutig; sie könnte sich auf Jesu Gottheit beziehen ( 2Mo 3,14; Joh
8,58 ) oder auch einfach ein Erkennungszeichen gewesen sein (wie in Joh
9,9 ). Joh 18,7-9 Als der gute Hirte ließ Jesus sein Leben für die
Schafe ( Joh 10,11 ). Daß er noch in diesem Augenblick die Apostel
schützte, war ein vollkommenes Beispiel für seinen stellvertretenden
Sühnetod. Er starb nicht nur für sie, sondern wirklich anstelle von
ihnen. Damit erfüllte er den Willen seines Vaters für die Apostel ( Joh
6,38 ) und auch seine eigenen prophetischen Worte ( Joh 6,39 ). Joh 18,10 Petrus hatte gesagt, daß er für Jesus sterben
würde ( Mt 26,33-35 ), und wollte ihn nun retten oder zumindest im Kampf
für ihn fallen. Doch er war zweifellos mit dem Fischernetz geschickter
als mit dem Schwert, denn als er dem Knecht des Hohenpriesters, Malchus,
sein rechtes Ohr abhieb , hatte er es mit Sicherheit auf dessen Kopf
abgesehen. Sowohl Lukas ( Lk 22,50 ) als auch Johannes berichten, daß es
das rechte Ohr war, was ein Beleg für die historische Verläßlichkeit
ihrer Evangelien ist. (Lukas fügt noch hinzu, daß Jesus den Mann wieder
heilte; Lk 22,51- ein Beweis für seine Feindesliebe.) Petrus' Treue war
zwar rührend, doch sie entsprach nicht dem Plan Gottes. Ein solcher
blinder Eifer ohne rechte geistliche Einsicht führt die Menschen häufig
vom Weg ab (vgl. Röm 10,2 ). Joh 18,11 Schon zuvor hatte Jesus Petrus getadelt ( Joh
13,6-11 ). Nun tadelte er ihn abermals, diesmal, weil er Gottes Willen
nicht verstand. Trotzdem Jesus ständig von seinem bevorstehenden Tod
gesprochen hatte ( Joh 3,14;8,28;12,32-33; vgl. Lk 9,22 ), sahen die
Jünger seine Notwendigkeit nicht ein (vgl. Lk 24,25 ). Der Kelch, den
der Vater Jesus zugeteilt hatte, bezog sich auf das Leiden und den Tod,
den er erlitt, weil er Gottes Zorn über die Sünde auf sich nahm ( Ps
75,9; Jes 51,17.22; Jer 25,15; Hes 23,31-33 ). Die Worte "den Kelch, den
mir mein Vater gegeben hat" deuten darauf hin, daß Jesus alles, was ihm
bevorstand, als Teil des göttlichen Heilsplans sah. Seine rhetorische
Frage an Petrus sollte diesen zum Nachdenken bringen. Jesus war
gekommen, um den Willen des Vaters zu tun, und mußte daher auch das
folgende auf sich nehmen. B. Die Verhandlungen vor dem Hohenpriester und
die Leugnung des Petrus ( 18,12 - 27 ) Joh 18,12-14 Bei der Verhaftung Jesu war es dunkel und spät in
der Nacht. Er hatte bereits einen langen Tag hinter sich. Die Jünger
waren so erschöpft von all dem, was auf sie eingestürmt war, daß sie in
tiefen Schlaf gefallen waren. Doch Jesus durchlebte in der Zeit, in der
sie schliefen, eine tiefe Krise und suchte in Todesangst Zuflucht im
Gebet ( Mk 14,32-41; Lk 22,44 ). Jetzt war er gebunden und in den Händen
seiner Feinde und zudem von allen verlassen, da seine Jünger in Panik
auseinandergelaufen waren ( Mt 26,56; Joh 16,32 ). Dann begannen die Verhandlungen vor der
religiösen Obrigkeit (vgl. die Liste über die sechs Verhandlungen bei Mt
26,57 ). Der Hinweis, sie führten ihn zuerst zu Hannas , ist eine
Information, die in den anderen Evangelien nicht enthalten ist. Hannas
war von Quirinius, dem Statthalter Syriens, im Jahr 6 n. Chr. zum
Hohenpriester ernannt worden und blieb im Amt, bis er von Valerius
Gratus, dem Procurator Judäas, im Jahr 15 n. Chr. abgesetzt wurde. Nach
jüdischem Gesetz hatte ein Hoherpriester sein Amt zwar auf Lebenszeit
inne, doch die Römer sahen eine solche Konzentration von Macht in einer
Person nicht gern, daher ernannten sie häufig neue Hohepriester. Auf
Hannas folgten fünf seiner Söhne und sein Schwiegersohn Kaiphas (vgl.
die Tabelle bei Apg 4,6 und Lk 3,2 ). Offensichtlich blieb er jedoch
stets die treibende Kraft; denn vor Jesu formalem Prozeß führte er eine
Vorbefragung durch. Kaiphas war in jenem Jahr , d. h. dem
bedeutungsvollen Jahr von Jesu Tod, Hoherpriester . An dieser Stelle
erinnert Johannes seine Leser nochmals an die unbewußte Prophezeiung des
Kaiphas ( Joh 11,49-52 ). Joh 18,15-16 Als die Soldaten Jesus im Olivengarten
gefangengenommen hatten, waren die Jünger im ersten Schreck geflohen,
doch zwei von ihnen kehrten zurück und folgten dem Herrn und seinen
Feinden zurück über den Kidron in die Stadt. Es waren Simon Petrus und
ein anderer Jünger . Wer der andere war, wissen wir nicht, doch es wäre
denkbar, daß es sich um Johannes, den Sohn des Zebedäus, handelte
(vgl. Joh 20,2;21,20.24 ). Dieser Jünger kannte den Hohenpriester und
hatte Zugang zu seinem Palast - eine einzigartige Möglichkeit, in
Erfahrung zu bringen, was nun weiter geschah. Er nahm auch Petrus mit in
den Hof hinein. Joh 18,17-18 Petrus' Leugnung vor der Magd stand in
schroffstem Gegensatz zu seinen früheren Beteuerungen, daß er sein Leben
für Jesus lassen würde ( Joh 13,37 ), und zu seinem Widerstand gegenüber
Malchus, dem er das Ohr abhieb ( Joh 18,10 ). Offensichtlich befand sich
auch der andere Jünger in (vielleicht sogar noch größerer) Gefahr, doch
er verleugnete Jesus nicht. Petrus stand beim Kohlenfeuer und wärmte
sich in der Frühlingsnacht, die sehr kalt war, denn Jerusalem liegt etwa
760 Meter über dem Meeresspiegel. Das Detail über die kalte Nacht ist
ein weiterer Hinweis, daß der Verfasser dieses Buches ein Augenzeuge
war. Joh 18,19 Die Ereignisse in Vers 12 - 27 werden wie ein
Drama auf zwei Bühnen geschildert. Bühne 1 wurde vorbereitet (V. 12 -
14 ), während das Schauspiel auf Bühne 2 stattfand (V. 15 - 18 ). Dann
wandte sich die Handlung wieder Bühne 1 zu (V. 19 - 24 ) und kehrte
danach nochmals zu Bühne 2 zurück (V. 25 - 27 ). Die Vorbefragung Jesu ähnelte möglicherweise dem
Verfahren, dem heute ein Festgenommener unterzogen wird, wenn er auf
eine Polizeistation gebracht wird. Hannas befragte Jesus über seine
Jünger und über seine Lehre . Das waren die üblichen Fragen, die an
Aufrührer gerichtet wurden (vgl. Joh 11,48 ). Joh 18,20-21 Jesus antwortete, daß er keine Geheimlehre und
auch keine Organisation vertrete. Ihm folgte zwar ein enger Kreis von
Jüngern, doch seine Lehre war keine Geheimreligion. Er redete offen und
vor aller Welt (in der Synagoge und im Tempel) . Die Menschen wußten,
was er gesagt hatte, so daß Fragen darüber leicht zu beantworten waren.
Bis seine Schuld erwiesen war, war er als unschuldig anzusehen. Er
verlangte deshalb, daß sie Zeugen beibrächten, wenn sie ihm etwas
vorwarfen. Da jedoch nichts gegen ihn vorlag, versuchten seine Ankläger,
ihn irgendwie zu überlisten. Joh 18,22-24 Einer von den Knechten des Hannas, dem seine
Antwort nicht gefiel, schlug Jesus ins Gesicht . Wie diese Mißhandlung
waren auch andere Dinge in Jesu Vorverhör illegal. Es war unrechtmäßig
zu versuchen, einem Angeklagten eine Selbstbeschuldigung zu entlocken;
außerdem war es nicht erlaubt, eine Person, die noch nicht überführt
war, zu schlagen. Jesu Antwort bezog sich nicht auf die Form ( sollst
du ), sondern auf den Inhalt seiner Lehre ( habe ich übel geredet ). Es
war leichter, sich vor der Wahrheit zu drücken oder den, der sie
aussprach, zum Schweigen zu bringen, als zu versuchen, auf die Wahrheit
zu antworten. Denn die Wahrheit ist aus sich selbst heraus überzeugend,
und für die, die sich ihr entgegenstellen, ist es schwierig, sie zu
leugnen. Darauf wies Jesus seine Widersacher hin und brachte auf diese
Weise ihre Heuchelei an den Tag. Sie kannten die Wahrheit, doch sie
liebten den Irrtum. Sie sahen das Licht, doch sie liebten die Finsternis
(vgl. Joh 3,19; Röm 1,18 ). Nach dem Vorverhör sandte Hannas Jesus zu
seinem Schwiegersohn Kaiphas (vgl. Joh 18,13 ). Joh 18,25-27 In dieser Passage verleugnete Petrus Jesus zum
zweiten und dritten Mal Über seinen Verrat wird in allen vier Evangelien
berichtet, was zeigt, welche Bedeutung die Evangelisten dieser Schwäche
des Führers der Jünger beimaßen. Da alle Menschen versagen und auch
viele berühmte Christen irgendwann einmal gestrauchelt sind, ist der
Bericht über die Verleugnung des Petrus (und seine folgende
Wiederherstellung; vgl. Joh 21 ) ein großer Trost für die Gläubigen. Die
letzte Leugnung erfolgte auf die Frage eines Verwandten jenes Malchus,
den Petrus in Gethsemane töten wollte. Unmittelbar nachdem Petrus Jesus
zum dritten Mal verleugnet hatte, sah der Herr ihn an ( Lk 22,61 ), und
er ging hinaus und weinte bitterlich ( Lk 22,62 ). Dann krähte der
Hahn (vgl. Mt 26,72-74 ). Jesu Prophezeiung ( Joh 13,38 ) hatte sich
erfüllt. (Markus schreibt, daß der Hahn zweimal krähte; vgl. den
Kommentar zu Mk 14,72 .) Der krähende Hahn (wie auch die sprechende
Eselin Bileams; vgl. 4Mo 22,30 ) sind ein Beweis für Gottes
Souveränität, mit der er alle Dinge seinem Willen und Zeitplan
unterwirft. C. Der Zivilprozeß vor Pilatus ( 18,28 - 19,16 ) Joh 18,28-29 Jeder der vier Evangelisten stellte einen ganz
besonderen Aspekt von Jesu Gerichtsverhandlungen, Tod und Auferstehung
in den Vordergrund. Johannes schien das Material der drei ersten
Evangelien ergänzen zu wollen. Nur er berichtet so detailliert und mit
so viel psychologischem Fingerspitzengefühl über das Verhör vor Hannas
und Pilatus. Dagegen sagt er nichts über das Verhör vor dem Hohen Rat
( Mk 14,55-64 ) und über den Vorwurf der Gotteslästerung. (Vgl. die
Liste mit den sechs Gerichtsverhandlungen Jesu bei Mt 26,57 .) Da der jüdische Hohe Rat nicht befugt war, Jesus
zum Tode zu verurteilen, mußte sein Fall vor den römischen Statthalter,
Pontius Pilatus (26 - 36 n. Chr.), gebracht werden. Dieser residierte
normalerweise in Cäsarea, doch während der großen Feste schien es ihm
ratsam, sich in Jerusalem aufzuhalten, um einem Aufruhr vorzubeugen. Das
Passafest war besonders gefährlich, weil dann - in Erinnerung an die
Befreiung der Juden aus der Knechtschaft in Ägypten - die Wogen der
Erregung hochschlugen. Die genaue Lage des Palastes des römischen
Statthalters ist umstritten. Er kann sich nahe der Festung Antonia an
der Nordseite des Tempels befunden haben, oder es handelte sich um einen
der beiden Paläste des Herodes im Westen der Stadt. Die Juden hätten
niemals ein heidnisches Haus (in diesem Fall den Palast des
Statthalters) betreten, doch sie konnten bis in den Hof oder unter die
Kolonnaden gehen. Welche Ironie liegt darin, daß die jüdischen
Machthaber sich hier Gedanken über die rituelle Unreinheit machten,
während sie doch gleichzeitig einen Mord planten! Da kam Pilatus zu
ihnen heraus (wahrscheinlich in den Hof) und begann mit dem informellen
Verhör. Joh 18,30-31 Die Antwort der Juden auf die Frage des Pilatus
zeigt, wie spinnefeind sie einander waren. (Sie haßten Pilatus für seine
Härte und für die Tatsache, daß er als Heide über sie herrschte. Pilatus
seinerseits verachtete die Juden. Im Jahr 36 n. Chr. erreichten sie
endlich, daß er nach Rom zurückberufen wurde.) Pilatus weigerte sich,
für sie das Amt des Scharfrichters zu übernehmen. Er ahnte, was hinter
den Kulissen vorging. Er hatte den triumphalen Einzug Jesu vor ein paar
Tagen gesehen, und ihm war klar, daß es purer Neid war, der die Juden
dazu veranlaßt hatte, Jesus vor ihn zu bringen ( Mt 27,18 ). Daher
entschied er sich, ein Spielchen mit den Juden zu spielen - um den
Einsatz von Jesu Leben. Er erklärte sich nicht bereit, ohne
ausreichenden Grund irgend etwas gegen Jesus zu unternehmen. Die Anklage
der Juden wegen Gotteslästerung würde schwer zu beweisen sein und
reichte auf keinen Fall aus, ihn nach römischem Gesetz zum Tode zu
verurteilen. Gerade darauf aber hatten es die Juden abgesehen. Jesus war
beliebt beim Volk, daher hätte es der Hohe Rat gern gesehen, wenn das
Todesurteil von einem römischen Gericht ausgesprochen worden wäre. Der
Rat selbst konnte zwar Todesurteile verhängen, doch nur die Römer hatten
das Recht, sie zu vollstrecken (vgl. jedoch die Steinigung des Stephanus
in Apg 6,8-7,60 ). Joh 18,32 Johannes erläutert dann noch genauer, warum Jesus
den Römern ausgeliefert werden mußte. Bei jüdischen Hinrichtungen wurden
die Opfer meistens gesteinigt, wobei den Menschen die Knochen gebrochen
wurden. Die Römer dagegen kreuzigten ihre Verbrecher. Aus drei Gründen
war es nötig, daß Jesus von den Römern auf Bitten der Juden gekreuzigt
wurde: (a) um die Prophezeiungen zu erfüllen (z. B. damit ihm "kein Bein
zerbrochen" würde; Joh 19,36-37 ); (b) damit sowohl Juden als auch
Heiden an seinem Tod schuldig würden (vgl. Apg 2,23;4,27 ); (c) damit
Jesus "erhöht" wurde wie "die Schlange in der Wüste" (vgl. den Kommentar
zu Joh 3,14 ). Ein Mensch, der unter dem Fluch Gottes stand, mußte - als
Zeichen, daß über seine Sünde zu Gericht gesessen worden war - an einem
Baum ausgestellt (gehängt) werden ( 5Mo 21,23; Gal 3,13 ). Joh 18,33-34 Nach der Überstellung des Gefangenen
hatte Pilatus eine private Unterredung mit Jesus (V. 33 - 38 )a. Er
wußte, daß die Juden normalerweise nicht einen der Ihren den verhaßten
Römern ausliefern würden, daß es mit Jesus also eine besondere
Bewandtnis haben mußte. Nach Lukas ( Lk 23,2 ) wurden Jesus drei Dinge
vorgeworfen: Er habe das Volk aufgewiegelt, sich der Steuer für den
Kaiser widersetzt und behauptet, er sei "Christus, ein König". Pilatus
fragte ihn zunächst, ob er der König der Juden sei. Daraufhin fragte
Jesus ihn, ob er diese Frage von sich aus stelle oder ob andere (Juden)
sie ihm in den Mund gelegt hätten. Damit meinte er, ob Pilatus selbst in
Sorge sei, daß er, Jesus, eine Bedrohung für Rom, also ein Revolutionär,
sei, oder ob andere es so dargestellt hätten. Joh 18,35-36 Pilatus antwortete sarkastisch: Bin ich ein
Jude? Natürlich war er nicht an irgendwelchen jüdischen Querelen
interessiert, sondern nur an Vergehen, die sich auf die Zivilverwaltung
bezogen. Es muß Jesus tief verletzt haben, daß Pilatus ihn so kalt
darauf hinwies, daß es die Juden waren, sein eigenes Volk, das ihn
angeklagt hatte. Johannes hatte bereits im Prolog seines Evangeliums
dieses traurige Thema angesprochen: "Er kam in sein Eigentum, und die
Seinen nahmen ihn nicht auf" ( Joh 1,11 ). Jesus sagte, daß die Römer
keinen politischen Aufstand von ihm zu befürchten hatten; er war kein
Zelot oder aufständischer Guerillaführer. Sein Reich war nicht von
dieser Welt , es war vom Himmel, daher würde es auch nicht durch
Rebellion, sondern durch Unterwerfung unter den Willen Gottes kommen. Es
konnte nicht durch gewaltsame Handlungen der Menschen herbeigeführt
werden, sondern nur durch die Wiedergeburt vom Himmel, durch die die
Menschen aus dem Reich Satans in das Reich Gottes kommen konnten
(vgl. Joh 3,3; Kol 1,13 ). Joh 18,37 Da Jesus von einem Königreich sprach, stürzte
Pilatus sich sofort auf das Wort "König": So bist du dennoch ein
König? Diese Frage bejahte Jesus, doch er erklärte nochmals, daß sein
Reich nicht mit Rom zu vergleichen sei. Es ist ein Reich der Wahrheit,
das alle anderen Königreiche in den Schatten stellt. Er sagte: Wer aus
der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Mit wenigen Worten bestätigte
Jesus also seine göttliche Herkunft ( ich bin dazu geboren und in die
Welt gekommen ) und seinen Auftrag ( daß ich die Wahrheit bezeugen
soll ). Später würde er über Pilatus zu Gericht sitzen. Joh 18,38 Pilatus' Frage "Was ist Wahrheit?" zieht sich
durch die Jahrhunderte bis in unsere heutige Zeit. Es ist schwer zu
entscheiden, was er damit meinte. War sie Ausdruck des sehnsüchtigen
Wunsches zu wissen, was keiner ihm sagen konnte? Zielte sie auf das
Problem der Erkenntnistheorie und zeugte lediglich von philosophischem
Zynismus? War sie ein Beispiel für seine Gleichgültigkeit gegenüber so
unnützen und abstrakten Gedanken? Oder war sie Ausdruck der Verärgerung
und Ungeduld über Jesu Antwort? Alle diese Interpretationen sind
möglich. Wichtig ist jedoch allein, daß er sich plötzlich von dem, der
"die Wahrheit" ( Joh 14,6 ) war, abwandte, ohne auf eine Antwort zu
warten. Daß Pilatus Jesus für unschuldig hielt, ist von großer
Bedeutung, denn Jesus mußte sterben wie ein Passalamm ( 2Mo 12,5 ), ein
"Mann in der Blüte seiner Jahre und ohne Tadel". Joh 18,39-40 Außer diesem mangelnden Interesse an der Wahrheit
zeigte Pilatus jedoch auch mangelndes Interesse an der Gerechtigkeit.
Ihm fehlte der Mut, zu seiner Überzeugung zu stehen. Wenn Jesus
tatsächlich in allen Punkten unschuldig war, hätte er ihn freilassen
müssen. Statt dessen schloß er eine Reihe von Kompromissen, um sich der
Notwendigkeit, in einer schwierigen Situation der unbequemen Wahrheit
entsprechend zu handeln, zu entziehen. Als er feststellte, daß Jesus
Galiläer war, sandte er ihn zunächst zu Herodes ( Lk 23,6-7 ). Dann
versuchte er, in der Hoffnung, die Pläne der Hohenpriester und Ältesten
zu vereiteln, an die Menge zu appellieren ( Joh 18,38 ). Er wußte, daß
Jesus beliebt war und dachte, daß die Menschen ihn Barabbas vorziehen
würden (vgl. Mt 27,20 ). Sein Angebot, Barabbas, einen Mörder und
Aufständischen, loszugeben , war ein politisches Armutszeugnis für einen
Beamten, dessen Aufgabe es war, die Interessen Roms wahrzunehmen. Joh 19,1-3 Als drittes ließ Pilatus Jesus geißeln . Das war,
nach Lukas ( Lk 23,16 ), ein weiterer Versuch, einen Kompromiß
herbeizuführen. Er hoffte, die Menge mit dem Anblick von etwas Blut
zufriedenzustellen. Die römische Geißelung wurde mit einer
Lederpeitsche, an deren Enden sich kleine Metallstücke befanden,
durchgeführt, eine Methode, die häufig zum Tod des Delinquenten führte.
Die Geißelung, die Krone aus Dornen, das Purpurgewand , der Spott, der
darin lag, ihm als König der Juden zu huldigen, und die Schläge ins
Gesicht - sie alle waren Teil von Jesu tiefer Erniedrigung, die er
erlitt, weil er als der Gottesknecht mit der Sünde der Menschen
identifiziert wurde (vgl. Jes 50,6;52,14-53,6 ). (Matthäus und Markus
fügen noch hinzu, daß die Soldaten Jesus anspuckten [ Mt 27,30; Mk
15,19 ]). Die Dornenkrone erinnert an den Fluch der Dornen und Disteln,
den die Sünde der Menschen nach sich zog ( 1Mo 3,18 ). Joh 19,4-5 Doch auch dieser Versuch des Pilatus, Jesus
freizubekommen, schlug fehl. Der Blutdurst der Menge war noch nicht
gestillt. Pilatus' Worte "Seht, welch ein Mensch!" (lat.: Ecce homo )
sind, wie seltsamerweise auch mehrere andere seiner Aussprüche,
unsterblich geworden. Jesus muß damals einen ergreifenden Anblick
geboten haben: blutüberströmt, mit der Dornenkrone auf dem Haupt und in
das Purpurgewand gekleidet. Joh 19,6-7 Wieder flammte der Haß der jüdischen Machthaber
auf, und sie schrieen: Kreuzige, kreuzige! Die Kreuzigung war eine
schmachvolle Todesart, die gewöhnlich nur über Schwerverbrecher, Sklaven
und vor allem Aufständische verhängt wurde. Als Pilatus sich noch immer
weigerte, sich anstelle der Juden zum Henker machen zu lassen, nannten
sie ihm ihren wahren Grund: Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.
Nach dem Gesetz stand auf Gotteslästerung, wenn sie bewiesen werden
konnte, die Todesstrafe ( 3Mo 24,16 ). Etwa um diese Zeit sandte
Pilatus' Frau ihm die seltsame Nachricht: "Habe du nichts zu schaffen
mit diesem Gerechten; denn ich habe heute viel erlitten im Traum um
seinetwillen" ( Mt 27,19 ). Joh 19,8-11 Die Reaktion des Statthalters zeigte, daß er sich
fürchtete. Als Heide hatte er Geschichten von Göttern in Menschengestalt
gehört, die die Menschen heimsuchten und richteten. Vielleicht
beeindruckte ihn auch die Würde dieses Mannes, der den Anspruch erhob,
die Wahrheit zu sein. Jesu Weigerung, die Frage nach seiner Herkunft
( woher bist du? ) zu beantworten, war die Erfüllung der Prophezeiung
in Jes 53,7 . Pilatus hatte seine Chance, die Wahrheit zu
finden, doch er nützte sie nicht. Irritiert durch Jesu Schweigen fragte
er: Weißt du nicht, daß ich Macht habe ...? Das stimmt, Pilatus hatte
Macht, doch auch er war nur eine Schachfigur im Plan Gottes. Dennoch
trug er gleichzeitig die volle Verantwortung für seine Entschlüsse
(vgl. Apg 4,27-28; 1Kor 2,8 ). In Wirklichkeit ist Gott der einzige, der
Macht hat. Auch Pilatus stand nach den Worten Jesu unter Gottes Willen
und war ihm verantwortlich: Der mich dir überantwortet hat, der hat
größere Sünde. Meinte Jesus damit Judas, Satan, Kaiphas, die Priester
oder das jüdische Volk? Kaiphas ist vielleicht am plausibelsten, da er
es war, der Jesus Pilatus übergab. Pilatus war schuldig (vgl. die Worte
im Glaubensbekenntnis: "gelitten unter Pontius Pilatus"), doch Jesus
schrieb die größere Verantwortung Kaiphas zu (vgl. Joh
11,49-50;18,13-14 ). Joh 19,12-13 Pilatus, wahrscheinlich überzeugt von Jesu
Unschuld, wollte ihn freilassen, doch die Juden unternahmen einen neuen
Vorstoß. Wenn er Jesus freiließe, so argumentierten sie, bewiese er
damit seine Illoyalität gegenüber dem Kaiser. Der Titel "des Kaisers
Freund" (lat.: amicus Caesaris ) war für Pilatus sehr wichtig. Die
Drohung, die der Hinweis der Juden enthielt, ließ ihn seinen Entschluß
nochmals überdenken. Tiberius, der römische Kaiser, war krank,
mißtrauisch und konnte sehr grausam sein. Pilatus, der viel vor ihm zu
verbergen hatte, wollte nicht, daß etwa ein ungünstiger Bericht an
seinen Vorgesetzten abging. Wenn erzwischen der Loyalitätsbezeugung
gegenüber Rom und der Parteinahme für einen verachteten, seltsamen Juden
zu wählen hatte, gab es für ihn keine Frage. Das Dilemma mußte endlich
zum Abschluß gebracht werden, daher fällte Pilatus nun eine offizielle
Entscheidung. Joh 19,14-16 Die sechste Stunde könnte nach römischer
Zeitrechnung sechs Uhr morgens gewesen sein (manche Forscher sind
allerdings der Ansicht, daß es zwölf Uhr mittags war; vgl. den Kommentar
zu Joh 1,39;4,6 ). Es war am Rüsttag für das Passafest (d. i. Freitag),
also der Tag des eigentlichen Passafestes, der Tag, an dem Christus
starb. An diesem Tag wurden die Vorbereitungen für das siebentägige Fest
der Ungesäuerten Brote, das unmittelbar auf das Passafest folgte und
manchmal die Passawoche genannt wurde (vgl. Lk 2,41;22,1.7;12,3-4; vgl.
den Kommentar zu Lk 22,7-38 ), getroffen. Pilatus sagte: Seht, das ist euer König! Auch
darin liegt Ironie. (Johannes ist der einzige Evangelist, der über
diesen Zwischenfall berichtet.) Pilatus glaubte nicht, daß Jesus der
König der Juden war, doch er nannte ihn so, um sie zu ärgern. Für
Johannes war das sehr wichtig, denn Jesus würde als König seines Volkes,
als Messias, für sein Volk sterben. Pilatus konnte es nicht lassen, die
Juden zu reizen: Soll ich euren König kreuzigen? Als ob Rom einen
jüdischen König verschonen würde! Die Erwiderung der Juden "wir haben
keinen König als den Kaiser" war ebenfalls voller Ironie. Die
aufständischen Juden gaben vor, Rom treu ergeben zu sein, während sie
ihren Messias nicht anerkannten (vgl. Ps 2,1-3 ). D. Die Kreuzigung ( 19,17 - 30 ) Joh 19,17-18 Und er trug sein Kreuz und ging hinaus. Das war
die Erfüllung zweier alttestamentlicher Symbole bzw. Vorbilder. Auch
Isaak trug das Holz ( 1Mo 22,6 ), mit dem er als Sühneopfer vor der
Stadt bzw. vor dem Lager verbrannt werden sollte, selbst hinaus
(vgl. Hebr 13,11-13 ). So wurde Jesus zur Sünde gemacht ( 2Kor 5,21 ).
Der Ort der Kreuzigung war Golgatha , die Schädelstätte ; er hieß so,
weil der kahle, steinige Hügel entfernt an einen Schädel erinnerte. Die
zwei anderen Männer, die mit Jesus gekreuzigt wurden, erwähnt Johannes,
um den folgenden Bericht - daß ihnen, nicht aber Jesus, die Beine
gebrochen wurden - verständlich zu machen (vgl. Joh 19,32-33 ). Lukas
fügt noch hinzu, daß es sich bei den beiden um "Übeltäter" handelte ( Lk
23,32 ), und Matthäus bezeichnet sie als "Räuber" ( Mt 27,44 ). Joh 19,19-20 Als nächstes wandte sich die Spannung zwischen
Pilatus und den Priestern der Aufschrift (griechisch: titlon ,
lateinisch: titulus ) zu, die normalerweise am Kreuz eines Verbrechers
angebracht wurde. Bei Jesus lautete sie: Jesus von Nazareth, der König
der Juden. Da sie in drei Sprachen - hebräisch, lateinisch und
griechisch - geschrieben war und die Kreuzigung an einer öffentlichen
Stätte stattfand, enthielt sie für alle, die lesen konnten, eine ganz
klare Aussage. Joh 19,21-22 Die Hohenpriester hatten natürlich nicht
beabsichtigt, daß dieser Sachverhalt solcherart - als Tatsache -
verkündet wurde. Daher protestierten sie vor Pilatus und verlangten, daß
die Inschrift geändert werde. Doch er lehnte ihre Forderung ab.
Zweifellos war er der Ansicht, daß er lange genug die Dreckarbeit für
die jüdischen Machthaber getan hatte und freute sich über seinen
boshaften kleinen Scherz. Seine hochmütige Antwort "Was ich geschrieben
habe, das habe ich geschrieben" war die letzte seiner bemerkenswerten
Äußerungen (vgl. Joh 18,38;19,5.14-15; Mt 27,24 ). Johannes erkannte,
daß zwar Pilatus diese Worte schreiben ließ, daß es letztlich jedoch
Gottes Plan war, daß sein Sohn mit dieser Aufschrift an seinem Kreuz
starb. Im Grunde hatte sich Pilatus mit diesen Worten selbst gerichtet.
Er hatte seine Aufgabe erfüllt und seine Gelegenheit zur Erkenntnis
gehabt. Doch er, ein Heide, wird - seiner Tat entsprechend - vom König
der Juden gerichtet werden! Joh 19,23-24 Daß die Soldaten Jesus entkleideten und seine
Kleider dann untereinander aufteilten, entsprach der Grausamkeit der
damaligen Zeit. Kleidungsstücke waren handgefertigt und daher - im
Vergleich zu den Kleidern heutzutage - sehr teuer. Die Schergen
empfingen ihren Anteil aus dem Besitz des Delinquenten als etwas ihnen
Zustehendes. Das ungenähte Gewand war insofern von großer Bedeutung, als
auch der Hohepriester ein solches Kleidungsstück trug, doch Johannes
geht auf diesen Punkt nicht näher ein. Für ihn lag die Bedeutung des
Gewandes in der Erfüllung von Ps 22,18 ,wo - gewissermaßen als lyrische
Parallele zu diesem Vers - über die Teilung der Kleider Jesu gesagt
wird: (a) Sie haben meine Kleider unter sich geteilt, und (b) sie haben
über mein Gewand das Los geworfen . Daß Jesus nackt starb, gehörte zu
der Schande, die er erlitt für unsere Sünden. Gleichzeitig war er der
letzte Adam, der den Sündern die Kleidung der Gerechtigkeit zur
Verfügung stellte. Joh 19,25-27 In schroffem Kontrast zu der Grausamkeit und
Gleichgültigkeit der Soldaten beobachtete eine Gruppe von vier Frauen,
die Jesus gefolgt waren und ihn liebten, tiefbekümmert die Vorgänge am
Kreuz. Der Schmerz der Mutter Jesu war die Erfüllung der Prophezeiung
von Simeon: "Und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen" ( Lk
2,35 ). Jesus, der ihren Kummer sah, ehrte seine Mutter , indem er sie
der Fürsorge von Johannes, dem geliebten Jünger, anvertraute. Seine
Brüder und Schwestern lebten in Galiläa und waren nicht in der Lage, für
sie zu sorgen oder sie zu trösten. Jesu Worte zu Maria und zu dem
Jünger, den er lieb hatte, waren seine dritte Äußerung am Kreuz (die
erste, von der Johannes berichtet). In den anderen Evangelien hatte er
bereits den römischen Soldaten, die ihn kreuzigten, und auch dem einen
der beiden Diebe, die mit ihm gekreuzigt wurden, vergeben (vgl. Lk
23,34.42-43 ). Joh 19,28-29 Auch von Jesu viertem seiner sieben Aussprüche am
Kreuz, "mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen", berichtet
Johannes nicht (vgl. Mt 27,46; Mk 15,34 ). Er erwähnt erst wieder den
fünften: Mich dürstet. Das ist ein Hinweis, daß Jesus bei vollem
Bewußtsein und bereit war, alle Einzelheiten der Prophezeiungen zu
erfüllen ( Ps 42,1-2;63,2 ). Das Paradoxon, daß der, der das Wasser des
Lebens ist ( Joh 4,14;7,38 ), im Sterben Durst litt, ist beeindruckend.
Auf seine Klage hin wurde ihm, in Erfüllung von Ps 69,21 ,Essig - ein
sehr saurer Wein - gereicht. Die Prozedur, einen mit Essig gefüllten
Schwamm auf ein Ysoprohr zu stecken, mutet seltsam an. Dieses Detail
weist vielleicht darauf hin, daß Jesus als wahres Passalamm starb, denn
Ysop wurde auch bei den Passafeierlichkeiten benutzt (vgl. 2Mo 12,22 ). Joh 19,30 Der sechste Ausspruch Jesu am Kreuz bestand in
dem einzigen griechischen Wort tetelestai , das bedeutet: Es ist
vollbracht! Man fand es auf Papyrusquittungen für Steuern, als
Empfangsbestätigung für die Zahlung. Daß Jesus gerade mit diesem Wort
auf den Lippen starb, war ebenfalls von großer Bedeutung. Der Satz "es
ist vollbracht" bezog sich auf die Vollendung seines Erlösungswerkes. Er
war für die Menschen zur Sünde gemacht worden ( 2Kor 5,21 ) und hatte
die Strafe für diese Sünde erlitten. Noch im Augenblick seines Todes
blieb Jesus derjenige, der sein Leben bewußt aufgab (vgl. Joh
10,11.15.17-18 ). Er neigte das Haupt (und sagte das siebte Wort:
"Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände"; Lk 23,46 ) und
verschied . Das unterscheidet sich von der langsam eintretenden
Bewußtlosigkeit, die die Gekreuzigten normalerweise erlebten. E. Das Begräbnis ( 19,31 - 42 ) Joh 19,31-32 In dem einzigen archäologischen Fund, der
Aufschluß über den Vorgang der Kreuzigung gibt, aus dem Jahr 1968,
zeigen die Skelettreste, daß die Unterschenkel des Gekreuzigten mit
einem einzigen Schlag gebrochenworden waren. Das erklärt die folgende
Passage. Nach dem Gesetz ( 5Mo 21,22-23 ) war es verboten, einen
Leichnam über Nacht oder gar bis zum Sabbat an einem Baum (oder
Holzkreuz) hängen zu lassen. Denn ein Mensch, der gekreuzigt worden war,
stand unter dem Fluch Gottes, und wenn man seinen Leichnam nicht
entfernte, würde er das ganze Land verunreinigen (vgl. 5Mo 21,23; Gal
3,13 ). Der lateinische Fachausdruck für das Zerschlagen
der Unterschenkel war crurifragium . Es führte durch den Schock, den
Blutverlust und die Atemnot (wenn die Beine gebrochen waren, mußte der
Brustkorb das gesamte Körpergewicht tragen) sehr rasch zum Tod. Ohne
diese Prozedur lebte der Verurteilte noch stunden-, manchmal sogar
tagelang. Das crurifragium wurde an den beiden Dieben, die mit Jesus
gekreuzigt worden waren, vollzogen. Joh 19,33-34 Doch Jesus war bereits gestorben, daher wurden
ihm die Beine nicht gebrochen. Statt dessen stieß einer der
Soldaten Jesus zur Sicherheit mit dem Speer in seine Seite, und sogleich
kam Blut und Wasser heraus . Das wurde ebenfalls auf mehrere Arten
erklärt. Manche Forscher sehen in dieser Flüssigkeitsabsonderung einen
Beleg dafür, daß Jesus an Herzversagen starb, bei dem der Herzbeutel mit
Blut und Lymphflüssigkeit angefüllt ist. Für andere hat sie symbolische
oder sakramentale Bedeutung. Plausibler ist jedoch, diese Erscheinung
als Beleg dafür zu nehmen, daß Jesus ein wirklicher Mensch war, der
eines wirklichen Todes starb. Möglicherweise durchstach der Speer den
Magen und das Herz. "Der das gesehen hat" (V. 35 ), sah darin jedenfalls
ein Zeichen der Rettung. Zur Zeit der Entstehung des Johannesevangeliums
hatte die Urkirche große Probleme mit der Gnosis und dem Doketismus.
Beide leugneten die Realität der Inkarnation und des Todes Jesu. Doch
das Blut und das Wasser, die aus der Seite Jesu kamen, widerlegen diese
Häresien. Joh 19,35-37 Der folgende Abschnitt berichtet von dem Zeugnis
eines Augenzeugen des Geschehens, der höchstwahrscheinlich mit dem
Verfasser des Evangeliums, dem Jünger Johannes, identisch ist (vgl. Joh
13,23;21,20-24 ). Der Wert seines Zeugnisses liegt in dem Anspruch
auf Wahrheit , den es erhebt und der die anderen dazu bringen soll, die
Vorgänge am Kreuz und ihre Bedeutung zu verstehen (vgl. Joh 20,31 ).
Johannes erklärte, daß die Tatsache, daß die Soldaten Jesus nicht die
Beine brachen, sondern ihm die Seite durchstießen, zwei Prophezeiungen
erfüllte. Jesus als dem wahren Passalamm wurde kein Bein
zerbrochen ( 2Mo 12,46; 4Mo 9,12; Ps 34,21 ), und in der Zukunft werden
die Menschen auf den sehen, den sie durchbohrt haben ( Sach
12,10; vgl. Offb 1,7 ). Joh 19,38-39 Josef von Arimathäa war ein reicher Mann ( Mt
27,57 ), der auf das Gottesreich wartete ( Mk 15,43 ). (Arimathäa lag
etwa 30 Kilometer nordwestlich von Jerusalem.) Obwohl er Mitglied des
Hohen Rates war, war er "ein guter und frommer Mann und hatte ihren Rat
und ihr Handeln nicht gebilligt" ( Lk 23,50-51 ). Nach der Kreuzigung
überließen die Römer den Leichnam gewöhnlich den wilden Tieren - die
letzte Demütigung, die zur Kreuzigung gehörte. Die Juden nahmen den
Toten jedoch ab und begruben ihn (vgl. den Kommentar zu Joh 19,31-32 ). Josef bat um die Erlaubnis, den Leichnam Jesu
abnehmen zu dürfen . Zusammen mit einem anderen einflußreichen Mann
( Nikodemus ; vgl. Joh 3,1; Joh 7,50-51 ) traf er die notwendigen
Vorbereitungen. Etwa hundert Pfund Myrrhe gemischt mit Aloe waren eine
unglaubliche Menge von Kräutern, mit denen die Leiche für das Begräbnis
vorbereitet wurde. Vielleicht verstand Nikodemus nun die Lehre Jesu, daß
er erhöht würde und daß ein Mensch im Glauben zu ihm aufsehen und leben
könne (vgl. Joh 3,14 ). Beide Männer waren bisher im geheimen Jünger
Jesu gewesen, doch nun trat ihre Überzeugung an den Tag. Joh 19,40-42 Weil es schon beinahe Sabbat war (er begann bei
Sonnenuntergang), mußte das Begräbnis rasch bewerkstelligt werden. Zu
den jüdischen Begräbnisriten gehörte weder die Mumifizierung noch die
Einbalsamierung, bei der das Blut und die Organe aus der Leiche entfernt
wurden. Der Leichnam wurde nur gewaschen und mit Tüchern und
wohlriechenden Ölen bedeckt. Die Übersetzung von othoniois mit
"Leinenbinden" hat einiges für sich. Manche katholischen Exegeten
bevorzugen jedoch die Übersetzung "Leinentücher" (wie auch Luther
schreibt), da auch Matthäus von einem Leinentuch spricht, in das Jesu
Leichnam gewickelt wurde ( Mt 27,59; sindOn ). Die neuere Diskussion über das Grabtuch von Turin
ließen die Kontroversen wieder aufleben, denn die Übersetzung mit
"Leinenbinden" spräche gegen die Echtheit des Turiner Tuches. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt sollte man sich jedoch aller dogmatischen
Urteile enthalten, da wir viel zu wenig über die jüdischen
Begräbnispraktiken, die Bedeutung des Wortes othoniois und den Fund des
Grabtuches von Turin wissen. Jesu Leiche wurde in ein neues Grab in
einem Garten , nicht in einem Friedhof, gelegt. Matthäus schreibt, daß
es sich dabei um Josefs eigenes Grab handelte, "das er in einen Felsen
hatte hauen lassen" ( Mt 27,60 ). Jesaja hatte prophezeit, daß der
Messias, der leidende Gottesknecht, wenngleich von den Menschen
verachtet und verworfen, sein Grab bei Reichen finden würde ( Jes
53,9 ). Daß Jesus begraben wurde, gehört zur frohen
Botschaft des Evangeliums ("daß er begraben worden ist"; 1Kor 15,4 ).
Die Bedeutung des Begräbnisses liegt in der Tatsache, daß damit Jesu
Leiden und Erniedrigung endgültig abgeschlossen waren. Darüber hinaus
weist der Bericht über diesen Vorgang auf die Wirklichkeit seines Todes
hin und wirft zugleich ein erstes Licht auf die Auferstehung. In seinem
Begräbnis identifizierte Jesus sich mit den Gläubigen, die sterben und
begraben werden. Das Liebeswerk des Josef und des Nikodemus war
für sie gefährlich und kostspielig und brachte ihnen keinerlei
persönlichen Vorteil. Ebenso mutig und opferbereit sollte auch der
Dienst der Christen für ihren lebendigen Herrn sein, denn ihre Mühe ist
nicht umsonst ( 1Kor 15,58 ). F. Das leere Grab ( 20,1 - 9 ) Das Johannesevangelium schließt mit der
Verkündigung von Jesu Sieg über den Tod ( Joh 20 ). Danach folgt ein
Epilog ( Joh 21 ). Auch hier betonte jeder Evangelist einen anderen
Aspekt der Geschehnisse. Johannes berichtet zunächst, wie ihm persönlich
die Bedeutung des offenen, leeren Grabes klar wurde und er zum Glauben
an die Auferstehung fand. Joh 20,1-2 Am ersten Tag der Woche , Sonntag, kamen Maria
von Magdala (an anderer Stelle, Mt 28,1; Mk 16,1.9; Lk 24,10 ,"Maria
Magdalena" genannt) und einige andere Frauen (vgl. das wir in V. 2 ) zum
Grab. Marias Treue zu Jesus im Leben und im Tode gründete sich auf ihre
Dankbarkeit, weil er sie aus der Knechtschaft des Satans erlöst hatte.
Sie hatte das Geschehen am Kreuz beobachtet und war jetzt die erste, die
zu seinem Grab kam. Das Grab war mit einem großen Stein verschlossen
( Mk 16,3-4 ) und von der römischen Obrigkeit, das heißt mit dem Siegel
des römischen Statthalters Pontius Pilatus, versiegelt worden ( Mt
27,65-66 ). Umso erstaunter waren die Frauen, als sie es offen und
anscheinend leer vorfanden. Sie liefen zurück und erzählten Petrus und
dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte (vgl. Joh 19,26 ), daß etwas
Schreckliches geschehen sei, denn sie nahmen an, daß Grabräuber das Grab
geschändet hatten. Joh 20,3-9 Daraufhin eilten Petrus und Johannes
ebenfalls zum Grab . Johannes kam als erster an und sah hinein. Es war
nicht ganz leer, die Leinentücher lagen noch darin. Sein erster Gedanke
war vermutlich, daß die Frauen sich geirrt hatten. Er
schaut ( blepei ) hinein ..., ging aber nicht hinein , vielleicht aus
Furcht, sich zu verunreinigen. Petrus jedoch, der kurz nach ihm
ankam, ging sofort in das Grab hinein und sah ( theOrei , "aufmerksam
anschauen") die Leinentücher und daneben das Schweißtuch . Er muß vor
Erstaunen über das, was er sah, wie angewurzelt stehengeblieben sein.
Denn nach einer Weile ging Johannes ihm nach und sah ebenfalls ( eiden ,
"wahrnehmen" - das dritte griechische Wort für "sehen" in diesem
Vers) und glaubte . Petrus suchte vielleicht noch nach einer Erklärung,
warum ein Grabschänder die Kleider liegen lassen und den Leichnam
mitnehmen sollte, doch Johannes war sofort klar, daß die fehlende Leiche
und die Anordnung der Grabtücher - sie müssen so dagelegen sein, als ob
der Leichnam sich noch darin befände - nicht auf Räuber zurückzuführen
waren. Er begriff, daß Jesus von den Toten auferstanden war und die
Tücher, in die er eingewickelt gewesen war, zurückgelassen hatte. Das
Grab stand nicht etwa offen, weil er es durch den Eingang verlassen
hatte, sondern damit die Jünger und die übrige Welt hineingehen und sich
überzeugen konnten, daß er tatsächlich auferstanden war. Der Bericht des Johannesevangeliums ( Joh
20,1-9 ) über die Entdeckung des leeren Grabes ist ganz eindeutig die
Darstellung eines Augenzeugen, die sich dem Leser, der nur ein klein
wenig Gespür dafür hat, unausweichlich als psychologisch und historisch
wahr einprägt. Johannes fügt auch hier nochmals an (V. 9 ), daß die
Jünger die Schrift, daß er von den Toten auferstehen müßte, noch immer
nicht verstanden , obwohl nun genau das Ereignis eingetreten war, von
dem Jesus wieder und wieder zu ihnen gesprochen hatte (vgl. Ps
16,10-11;110,1.4; Jes 53,11-12 ). G. Jesu Erscheinen vor Maria ( 20,10 - 18 ) Joh 20,10-14 Als erstes erschien Jesus nach seiner
Auferstehung Maria von Magdala, die er von sieben Dämonen befreit hatte
( Lk 8,2 ). (Zu einer Liste der Erscheinungen des Auferstandenen vgl. Mt
28 .). Die Jünger kehrten wieder heim, doch Maria blieb draußen vor dem
Grab stehen und weinte . Johannes hatte ihr anscheinend noch nicht
erzählt, daß er glaubte, daß Jesus auferstanden war. Wahrscheinlich war
er zu überwältigt und bewegt, um überhaupt irgend etwas zu sagen oder
mit jemandem zu reden. Als Maria nun selbst in das Grab schaute, sah sie
zwei Engel in weißen Gewändern . In der Bibel erschienen die Engel den
Menschen stets in Menschengestalt; sie hatten keine Heiligenscheine und
auch keine Flügel (in bestimmten Visionen tauchten zwar auch geflügelte
Wesen auf, z. B. Jes 6 ,doch das war eine Ausnahme). Doch Maria war so verzweifelt, daß sie nichts
Ungewöhnliches an der Erscheinung fand. Die Frage der Engel und ihre
Antwort bildeten das Vorspiel für die berühmteste "Erkennungsszene" der
Geschichte (die zweitgrößte ist vielleicht die, in der Josef sich seinen
Brüdern in Ägypten zu erkennen gab; 1Mo 45,1-3 ). Die Erscheinung Jesu
kam für sie so unerwartet, daß sie nicht wußte, daß es Jesus war . Die
Tatsache, daß er Maria und nicht Pilatus oder Kaiphas oder einem seiner
Jünger erschien, ist sehr wichtig. Daß ausgerechnet eine Frau ihn als
erste sah, ist ebensosehr ein Beweis dafür, daß Jesus vorurteilsfrei
liebte, wie für die Historizität dieses Berichts. Kein jüdischer Autor
der Alten Welt hätte eine Geschichte erfunden, in der eine Frau die
erste Zeugin eines so wichtigen Ereignisses gewesen wäre. Darüber hinaus
offenbarte Jesus sich wohl als erstes Maria, weil sie so verzweifelt
nach ihm gesucht hatte. Sie war am Kreuz gewesen, als er starb ( Joh
19,25 ), und sie war früh am Sonntagmorgen als erste zu seinem Grab
gekommen. Joh 20,15-16 Maria sprach sogar mit Jesus, doch sie erkannte
ihn noch immer nicht. Manche Forscher sind der Ansicht, daß Jesus ihr in
veränderter Gestalt erschien; andere sagen, sie sei, wie die Jünger auf
der Straße nach Emmaus, deren "Augen gehalten wurden, daß sie ihn nicht
erkannten" ( Lk 24,16 ), von einer zeitweiligen "Blindheit" befallen
gewesen. Wieder andere vertreten die These, daß sie so sehr weinte, daß
sie ihn nicht richtig sehen konnte. Doch als Jesus, der gute Hirte, Maria beim Namen
nannte (vgl. Joh 10,3 und Joh 10,4 : "die Schafe kennen seine Stimme"),
erkannte sie ihn sofort und antwortete mit dem Ruf: Rabbuni!, das heißt:
Meister! Joh 20,17-18 Sie hätte ihn vielleicht auch umarmt, doch der
Herr fuhr fort: Rühre mich nicht an! denn ich bin noch nicht aufgefahren
zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen .... Diese
Worte verweisen auf eine ganz neue Beziehung, auf eine neue
Verwandtschaft und eine neue Verantwortung. Die Übersetzung "rühre mich
nicht an" hat viele Exegeten verwundert fragen lassen, warum Jesus nicht
berührt werden durfte; er war ja nicht "unberührbar" (vgl. Mt 28,9; Joh
20,27 ). Die Übersetzung "halte mich nicht fest" wäre hier also
glücklicher, denn das war es, was sich viele Menschen wünschten. Maria
hatte Jesus kurz zuvor (bei der Kreuzigung) verloren, und es war ganz
natürlich, daß sie sich nun vor einem erneuten Verlust fürchtete. Jesus wollte sagen, daß die Gemeinschaft zwischen
ihm und seiner Kirche nicht physischer Natur sei. Mit seiner Himmelfahrt
und dem Geschenk des Heiligen Geistes an die Kirche sollte eine neue
Beziehung zwischen den Gläubigen und ihm beginnen. Er erklärte
diese neue Verwandtschaft auch: Er nannte seine Jünger Brüder. Früher
hatte er sie als seine Freunde bezeichnet: "Ich sage hinfort nicht, daß
ihr Knechte seid ... euch aber habe ich gesagt, daß ihr Freunde seid"
( Joh 15,15 ). Wer an Jesus glaubt, wird ein Teil seiner Familie und hat
Gott zum Vater (vgl. Röm 8,15-17.29; Gal 3,26; Hebr 2,11-12 ).
Marias neue Verantwortung aber war, daß sie Zeugnis geben mußte von
seiner Auferstehung. Ihr wurde dreifache Gnade zuteil: sie sah die
Engel; sie war die erste, die den auferstandenen Jesus lebendig sah; und
sie sollte die gute Nachricht verkündigen. Auch den heutigen Christen
wurde eine besondere Gnade zuteil: Auch sie haben diese neue
Verantwortung, vor der Welt Zeugnis abzulegen (vgl. Mt 28,18-20 ). Jesu Worte "ich fahre auf zu meinem Vater" sind
abermals ein Zeugnis für seine Sohnschaft. Maria und die anderen
Frauen verkündigten den Jüngern die Nachricht über die Auferstehung,
doch nach Lukas glaubten sie ihr und den anderen nicht, "und es
erschienen ihnen diese Worte, als wär's Geschwätz" ( Lk 24,11; vgl. Lk
24,23 ). H. Jesu Erscheinen vor seinen Jüngern ( 20,19 - 23 ) Joh 20,19-20 Die Jünger waren in Gefahr gewesen, mit Jesus
zusammen verhaftet zu werden. Weil sie sich vor den Juden (d. h. den
jüdischen Machthabern) fürchteten , trafen sie sich im geheimen, bei
Nacht, voller Furcht und hinter verschlossenen Türen. (Welch ein
Kontrast zu ihrer Kühnheit sieben Wochen später an Pfingsten!)
Doch Jesus kam durch die verschlossenen Türen und trat mitten unter
sie (vgl. V. 26 ) - ein Beweis für die besonderen Eigenschaften seines
neuen, auferstandenen Körpers. Er zeigte sich ihnen jedoch in der
Gestalt, die er vor der Kreuzigung hatte (vgl. V. 27 ). Seine ersten
Worte "Friede sei mit euch!" waren ein konventioneller Gruß, ähnlich dem
hebräischen SAlNm , doch sie besaßen nun eine tiefere Bedeutung
(vgl. Joh 14,27;16,33; Röm 5,1; Phil 4,7 ). Als die Jünger die Wunden an seinen
durchstoßenen Händen und seine Seite sahen, waren sie außer sich vor
Freude (wenn sie auch zuerst erschraken, wie Lukas berichtet; Lk
24,37-38 ). Welch eine Wandlung aus der Furcht und Verzagtheit! Joh 20,21-23 Dann gab Jesus seinen Jüngern ihren Auftrag als
Apostel: Er sandte sie aus als seine Stellvertreter, wie der Vater
ihn gesandt hatte (vgl. Joh 17,18 ). Sie erhielten seine Vollmacht, um
zu predigen, zu lehren und Wunder zu tun ( Mt 28,16-20; Lk 24,47-49 ).
Für ihren neuen Auftrag brauchten sie die Kraft des Geistes. Daher blies
er sie an und sprach: Nehmt hin den Heiligen Geist! Das Bild des
"Anblasens" erinnert an Gottes schöpferisches Tun bei der Erschaffung
Adams ( 1Mo 2,7 ). Auch Jesu "Anblasen" nach der Auferstehung war ein -
neues - schöpferisches Werk, denn bald sollten sie neue Geschöpfe werden
( 2Kor 5,17; Eph 2,8-10 ). Dieses Empfangen des Geistes war eine
Vorwegnahme von Pfingsten und sollte als zeitlich begrenzte Gabe von
Weisheit, Erkenntnis und Vollmacht bis Pfingsten, 50 Tage später,
verstanden werden. Die Vergebung der Sünden ist eine der größten
Segnungen des Todes Jesu. Sie ist das Wesen des Neuen Bundes (vgl. Jer
31,31-34; Mt 26,28 ). Die Verkündigung der Vergebung der Sünden ist denn
auch das hervorstechendste Merkmal der Predigt der Apostel in der
Apostelgeschichte. Jesus gab den Aposteln (und damit auch der Kirche)
das Vorrecht, den Menschen zu sagen, wie sie Vergebung für ihre Sünden
erlangen können. Ein Christ hat das Recht, einem Menschen, wenn er an
Jesus glaubt, die Sünden zu erlassen . Wenn er Jesu Opfer jedoch
verwirft, kann er ihm sagen, daß seine Sünden behalten sind. I. Jesu Erscheinen vor Thomas ( 20,24 - 29 ) Joh 20,24-29 Johannes hat in seinem Evangelium den Weg des
Unglaubens nachgezeichnet, der seine äußerste Steigerung in der
Kreuzigung Jesu durch seine Feinde fand. Gleichsam als Kontrapunkt dazu
beschrieb er aber auch den Weg der Bekehrung der Jünger zum Glauben,
dessen End- und Höhepunkt nun in Thomas sichtbar wurde. Die Jünger
hatten Thomas versichert, daß Jesus auferstanden sei ( sagten in
V. 25 heißt im Griechischen elegon , ein Imperfekt, das anzeigt, daß sie
fortgesetzt auf ihn einredeten), doch es gelang ihnen nicht, ihn zu
überzeugen. Er wollte mit eigenen Augen Jesu auferstandenen Körper
sehen. Das Erscheinen Jesu nach acht Tagen gab ihm dann Gelegenheit
dazu. Abermals kam Jesus auf wunderbare Weise in einen Raum, dessen
Türen verschlossen waren (vgl. V. 19 ). Er forderte Thomas auf, ihn zu
berühren (vgl. "zeigte" in V. 20 ) und nicht mehr ungläubig, sondern
gläubig zu sein. Das war ein ganz direkter Aufruf zu persönlicher Treue. Thomas' Antwort "mein Herr und mein Gott" ist der
Höhepunkt des Johannesevangeliums. Hier war ein skeptischer Mann, der
mit dem Beweis von Jesu Auferstehung konfrontiert wurde. Er bestätigte
mit seinem Ausruf, daß Jesus, der Mann aus Galiläa, Gott sei, der sich
im Fleisch offenbart hatte. So spiegelte sich die Wahrheit, die im
ersten Kapitel ausgesprochen wird, im Begreifen dieses Apostels wider
( Joh 1,1.14.18 ). Die Auferstehung bewies (a), daß das, was Jesus über
seine Auferweckung gesagt hatte, wahr war ( Mk 8,31;9,9.31;10,34; Joh
2,19 ) und (b), daß Jesus der Sohn Gottes ( Röm 1,4 ) und von Gott
gesandt war ("gerechtfertigt im Geist"; 1Tim 3,16 ), sie bezeugte (c)
den Erfolg seines Heilsauftrags ( Röm 4,25 ), (d) verherrlichte Jesus
( 1Pet 1,11 ) und (e) verkündete ihn ein für allemal als "den Herrn"
( Apg 2,36 ). Dann sprach Jesus einen Segen über alle, die ohne
die Hilfe einer sichtbaren, körperlichen Manifestation zum Glauben
finden ( Joh 20,29; vgl. 1Pet 1,8 ), d. h., aufgrund der Verkündigung
des Evangeliums und der Beweise für seine Wahrheit glauben. Die
Gläubigen von heute sind nicht etwa benachteiligt, weil sie Jesus nicht
sehen; sie sind vielmehr Empfänger seines besonderen Segens: Selig sind
die, die nicht sehen und doch glauben! J. Der Zweck des Buches ( 20,30 - 31 ) Joh 20,30-31 Im folgenden ging Johannes dann noch auf den
Grund ein, der ihn zur Abfassung seines Evangeliums veranlaßt hatte: Er
wollte, daß die Menschen die theologische Bedeutung der Wunder
( sEmeia , "Zeichen") Jesusahen und richtig verstanden. Viele Menschen
heutzutage ignorieren oder leugnen Jesu Wunder oder versuchen, sie
rational zu erklären. Zur Zeit Jesu schrieben manche sie Gott, manche
aber auch Satan zu ( Joh 3,2;9,33; Mt 12,24 ). Sie damals zu ignorieren,
zu leugnen oder rational zu erklären, war unmöglich, weil sie so
zahlreich und so beeindruckend waren. Johannes' Hinweis "noch viele
andere Zeichen tat Jesus" zeigt, daß er die synoptischen Evangelien, in
denen noch 35 andere Wunder erzählt werden (vgl. die Liste bei Joh
2,1-11 ), sehr wohl kannte. Er selbst hatte sieben ausgewählt, die
seines Erachtens besonders geeignet waren, die Menschen dazu zu bringen,
daß sie glaubten, daß Jesus der Christus ist , der verheißene Messias
und der Sohn Gottes . V. Epilog ( Joh 21 ) In diesem Schlußkapitel möchte Johannes zum einen
einen schwerwiegenden Irrtum hinsichtlich der Rückkehr des Herrn
korrigieren und zum andern zeigen, wie Jesus Petrus nach seinem Fall
wieder aufnahm. Darüber hinaus finden sich in diesem Kapitel weitere
Hinweise auf die Identität des Verfassers. Manche Kritiker haben
argumentiert, daß es - nach dem großartigen Schluß in Kap. 20 - den
Höhepunkt zerstört und daher von einem anderen (anonymen) Verfasser
stammen muß. Diese These läßt sich jedoch durch die linguistische
Forschung nicht untermauern. Außerdem haben auch andere Bücher im Neuen
Testament manchmal einen solchen Zusatz, der an den Schluß angehängt
wurde (vgl. z. B. Röm 16 nach Röm 15,33 ). Wie diese ist auch Joh
21 weder sinnlos noch fällt es aus der Tradition der übrigen biblischen
Bücher heraus. A. Jesu Erscheinen am See ( 21,1-14 ) Joh 21,1-3 Ein Engel hatte verheißen, daß Jesus seine Jünger
in Galiläa treffen würde ( Mt 28,7 ). Die Auferstehung Jesu
manifestierte sich in zahlreichen Erscheinungen an verschiedenen Orten
und zu verschiedenen Zeitpunkten (vgl. Apg 1,3 ). ( See Tiberias ist
eine andere Bezeichnung für den See Genezareth bzw. das Galiläische
Meer; vgl. den Kommentar zu Joh 6,1 .) Die Jünger waren nach Jerusalem
gegangen und hatten dort Aufregendes erlebt: den triumphalen Einzug, die
Erwartung eines neuen Königreiches, den Verrat durch einen vertrauten
Freund, sie waren beinahe gefangengenommen worden, mußten erfahren, wie
Petrus ihren Herrn verleugnete, und mitansehen, wie Jesus gekreuzigt
wurde, und sie waren Zeugen der Auferstehung und des Erscheinens des
Auferstandenen geworden. Verständlicherweise waren sie nun völlig
verwirrt und im Unklaren über ihre Zukunft. In dieser unsicheren Situation ging Petrus
fischen; vielleicht hatte er den Auftrag des Herrn ( Joh 20,22 )
mißverstanden. Vielleicht wandte er sich auch seinem vorigen Beruf zu,
weil er das Gefühl hatte, durch seine Verleugnung Jesu versagt zu haben,
und nun meinte, seine vordringliche Aufgabe liege wieder in der
Versorgung seiner Familie. Wie sehr er noch immer der Anführer der
Jünger war, zeigt sich daran, daß ihn sechs andere bei seinem Fischzug
begleiteten. Erst als sie ohne Jesu Hilfe nichts fingen (vgl. Joh
15,5 ), und dann, als er bei ihnen war, das Netz fast nicht mehr
heraufziehen konnten, wurde ihnen die neue Ausrichtung ihres Lebens
bewußt. Joh 21,4-6 Am Morgen erkannten die Jünger Jesus, der am Ufer
stand , zunächst nicht. Vielleicht waren sie zu weit entfernt, oder die
Sicht war zu schlecht. Er rief ihnen zu: Kinder, habt ihr nichts zu
essen? Auf seine Aufforderung hin (V. 6 ) warfen sie ihr Netz erneut aus
und fingen eine riesige Menge Fische (vgl. V. 11 ). Die Ähnlichkeit mit
einem früheren Wunder Jesu ( Lk 5,1-11 ) ließ sie erkennen, daß es der
Herr war, der hier vor ihnen stand, und zeigte ihnen, daß er auch nach
seiner Auferstehung große Wunder tun konnte. Joh 21,7-9 Diese Offenbarung Jesu und seiner Macht vor
seinen Jüngern wurde als erstem dem Jünger, den Jesus lieb hatte , klar,
und er rief: Es ist der Herr! (vgl. Joh 20,28 ). Johannes war auch der
erste gewesen, der die Bedeutung der Leinentücher im Grab erkannt hatte
( Joh 20,8 ). Als Petrus Johannes' Worte hörte, warf er sich sofort ins
Wasser und schwamm offensichtlich zu Jesus hin. Das entsprach seinem
impulsiven Wesen (er ging auch als erster ins Grab; Joh 20,6 ). Die
einfühlsame psychologische Zeichnung des Charakters des Petrus ist ein
weiterer Beleg für die historische Glaubwürdigkeit des Augenzeugen
Johannes. Was Petrus hier tat, steht in Kontrast zu seinem Versinken,
als er versuchte, Jesus auf dem Wasser entgegenzugehen ( Mt 14,30 ).
Jesus hatte ein Frühstück aus auf Kohlenfeuer geröstetem Fisch und
Brot für die hungrigen Jünger vorbereitet. Joh 21,10-11 Die Erwähnung der riesigen
Fischmenge, hundertdreiundfünfzig insgesamt, hat unzähligen
allegorischen und symbolischen Interpretationen Raum gegeben, doch
wahrscheinlich war es einfach die historische Zahl, die Johannes hier
angibt. Wenn eine Gruppe Männer zusammen fischen ging, war es sicherlich
üblich, die Fische, die sie gefangen hatten, zu zählen und dann
aufzuteilen. Die theologische Lehre daran ist, daß den Bemühungen eines
Menschen, wenn er den Willen des Herrn befolgt, großer Segen beschieden
ist. Joh 21,12-14 Als Jesus die Jünger einlud, mit ihm zu essen,
fragte ihn niemand, wer er war, denn sie wußten, daß es der Herr war .
Die Tatsache, daß sowohl Maria ( Joh 20,14 ) als auch die Jünger auf der
Straße nach Emmaus ( Lk 24,13-35 ) ihn nicht sofort erkannt hatten,
scheint darauf hinzudeuten, daß sein Aussehen sich nach seiner
Auferstehung verändert hatte. Dennoch waren sich die Jünger sicher, daß
es Jesus war. Die gemeinsame Mahlzeit mit ihrem auferstandenen Herrn
hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck bei ihnen. Noch Jahre später
sprach Petrus in seiner Predigt von sich selbst als verläßlichem Zeugen,
der mit Jesus nach seiner Auferstehung aß und trank ( Apg 10,41 ).
Das dritte Mal . bezog sich auf das dritte Erscheinen vor den Aposteln,
von dem Johannes berichtet (vgl. Joh 20,19.26 ). B. Die Wiederherstellung von Petrus ( 21,15 - 23 ) Joh 21,15-17 In der Nacht der Gefangennahme Jesu hatte Petrus
ihn neben einem Feuer stehend verleugnet ( Joh 18,17.25.27 ). An einem
anderen Feuer wurde er nun öffentlich rehabilitiert. Jesus nannte ihn, wie bei ihrer ersten Begegnung
( Joh 1,42 ), Simon, Sohn des Johannes , und fragte ihn: Hast du mich
lieber, als mich diese haben? Wen meinte er wohl mit "diese"? Angesichts
Petrus' stolzer Aussage, daß er niemals von ihm abfallen werde, ganz
gleich, was die anderen taten ( Mt 26,33.35; Lk 22,33; Joh 13,37 ),
sprach er wohl von den Jüngern. Jesu dreiteilige Frage und der
dreiteilige apostolische Auftrag bilden das Gegenstück zu Petrus'
dreifacher Verleugnung. Dreimal hatte Petrus behauptet, daß er den Herrn
nicht kenne ( Joh 18,17.25.27 ); jetzt bestätigte er dreimal, daß er ihn
liebe ( Joh 21,15-17 ). Ganz gleich, wie groß der Glaube eines Menschen
ist, er kann wankend werden (vgl. 1Kor 10,12 ). Doch Gottes Gnade und
Vergebung werden den Reuigen wiederherstellen. Diese Verheißung der
Gnade war sehr wichtig, denn schon bald würde die Kirche unter
Verfolgungen leiden, die sogar die Leiter der Gemeinden in ihrer Treue
erschütterte. Dreimal gab Jesus Petrus den Auftrag, für seine
Herde zu sorgen: Weide meine Lämmer (V. 15 ), weide meine
Schafe (V. 16.17 ). Die römisch-katholische Kirche leitet daraus einen
Führungsanspruch des Petrus ab, doch im Text selbst deutet nichts darauf
hin (vgl. 1Pet 5,2 ). In seiner dreimaligen Frage, ob Petrus
ihn liebe ( agapas, agapas und phileis ), und seinem anschließenden
dreifachen Gebot ( boske , "hüten"; poimaine , "weiden"; boske )
benutzte Jesus mehrere synonyme Wörter. Da nicht mehr erkennbar ist, ob
Johannes damit jeweils etwas Unterschiedliches meinte, sehen die meisten
Forscher darin lediglich stilistische Variationen. Joh 21,18-19 "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. den
Kommentar zu 1,51 ) ist die feierliche Einführung der Prophezeiung, daß
Petrus gekreuzigt werden würde. Tatsächlich wurde Petrus in hohem Alter
mit ausgebreiteten Armen an ein Kreuz gebunden (vgl. 1. Klemensbrief
5,4; 1. Klem 6,1; Eusebius, Kirchengeschichte 2. 25). Der Gehorsam
gegenüber Jesu Gebot "folge mir nach" ist der Mittelpunkt im Leben jedes
Christen. Wie Jesus den Willen des Vaters tat, so sollen auch seine
Jünger ihrem Herrn folgen, ob der Weg nun ans Kreuz oder in eine andere
schwere Erfahrung führt. Joh 21,20-23 Petrus, der nun wußte, was Gott in seinem Leben
mit ihm vorhatte, fragte sich natürlich, was die Zukunft seinem Freund
Johannes, dem Jünger, den Jesus lieb hatte , bringen würde. Doch Jesus
tadelte ihn scharf für seine Neugier: Was geht es dich an? Folge du mir
nach! Es ist möglich, daß die Jünger Jesu durch unnötige Fragen nach
Gottes geheimem Plan beunruhigt werden und darüber Gottes Willen für
sich selbst vernachlässigen. Die Pläne Gottes für die Christen sind
vielfältig, und seine Gründe sind uns nicht immer bekannt. Petrus sollte
sich ganz einfach Gottes eindeutigem Gebot unterwerfen. Dann korrigierte Johannes noch die irrige
Schlußfolgerung mancher Gläubigen, daß der Jünger Johannes nicht
sterben würde. Interessanterweise beziehen sich die letzten Worte seines
Evangeliums auf die Rückkehr des Herrn. Natürlich gab Jesus keinen
Hinweis, wann er kommen würde. Das Gerücht, das darüber entstand,
zeigte, daß Gottes Verheißungen mißverstanden werden können. Die
Christen müssen also versuchen, ganz genau auf Gottes Worte zu hören. C. Das Kolophon ( 21,24 - 25 ) Joh 21,24-25 Das vierte Evangelium schließt mit einer
Information über seinen Aufbau. Der geliebte Jünger wird als der
Verfasser genannt (vgl. den Kommentar zu "Verfasserfrage" in
der Einführung ). Möglicherweise stammt der erste Satz in Vers 24 von
jemand anderem, doch auch er klingt johanneisch (vgl. Joh
19,35 ). Dies bezieht sich höchstwahrscheinlich auf das gesamte
Evangelium. Die Worte "und wir wissen, daß sein Zeugnis wahr
ist" schrieb jedoch wahrscheinlich nicht Johannes selbst. Sie sind ein
Zusatz, vielleicht der Gemeinde in Ephesus, oder ein Zeugnis der
Urkirche. Die Menschen damals kannten die Fakten mit Sicherheit besser
als jede andere Generation nach ihnen. Der letzte Vers, die Aussage über die Welt, die
nicht groß genug ist, um all die Bücher , die über Jesu Werke
geschrieben werden könnten, zu fassen, scheint auf den ersten Blick eine
maßlose Übertreibung zu sein. (Das ich scheint auf Johannes als Autor
dieses Verses hinzudeuten, wenngleich dies keineswegs sicher ist.) Die
Evangelien berichten nur einen kleinen Ausschnitt von Jesu Worten und
Werken. Es ist geschätzt worden, daß man die Jesusworte, die in den
Synoptikern wiedergegeben sind, in nur drei Stunden vorlesen könnte.
Doch wenn man über alles, was der Sohn Gottes während seiner Inkarnation
sagte und tat, nachdenken und reden wollte, so würde die Aufzeichnung
dieser Auseinandersetzungen mit Jesus kein Ende finden. ANHANG Die Geschichte der Ehebrecherin ( Joh 7,53-8,11 ) Bevor wir diese Erzählung kommentieren, müssen
wir uns fünf Fragen stellen: (1) Gehört sie zur Heiligen Schrift? (2)
Stammt sie von Johannes? (3) Ist sie alt und wahr, d. h., ist sie
historisch? (4) Gehört sie zum Kanon? (5) Wenn sie ursprünglich nicht
zum Johannesevangelium gehörte, warum steht sie dann in den meisten
Versionen gerade vor Joh 8,12 ? Die Fragen (1)und (4) sind eng
miteinander verwandt, jedoch nicht identisch. Was Frage (1) angeht, so
stimmen die Neutestamentler darin überein, daß der Abschnitt nicht zum
ursprünglichen Johannestext gehörte. Für die Protestanten, die sich
dieser These anschließen, ist damit auch die Frage nach ihrer
Kanonizität, Frage (4) beigelegt: Der Abschnitt gehört nicht in den
biblischen Kanon. Für die römisch-katholische Kirche ist Kanonizität
anders definiert. Für sie hat dieser Abschnitt durchaus Autorität, weil
er in der Vulgata steht. Frage (2), ob der Abschnitt von Johannes
stammt, steht ebenfalls mit Frage (1) in Zusammenhang. Er fehlt nicht
nur in vielen griechischen Handschriften, sondern ist auch in denen, die
ihn enthalten, häufig mit Sternchen oder Kreuzchen gekennzeichnet.
Darüber hinaus steht er in den verschiedenen Handschriften an fünf
unterschiedlichen Stellen (nach Joh 7,36; nach Joh 7,44 ,nach Joh
7,52 ,nach Joh 21,25 und nach Lk 21,38 ). Sowohl die Text- als auch die
stilistischen Belege deuten also darauf hin, daß es sich hier nicht um
johanneisches Material handelt. Die meisten Exegeten beantworten Frage (3) (ist
er historisch?) positiv. Wenn das zutrifft, wäre die Passage eine der
seltenen außerbiblischen Überlieferungen über Jesus. Johannes spielte am
Schluß seiner Ausführungen auf andere Dinge an, die Jesus tat ( Joh
21,25 ); diese Geschichte könnte dazugehören. Die Antwort auf die fünfte
Frage scheint zu sein, daß die Passage in den meisten Bibelversionen
vor Joh 8,12 plaziert wurde, weil sie inhaltlich gut zu den beiden
Aussagen Jesu in Kap. 8 passt ("ich richte niemand", Joh 8,15; und "wer
von euch kann mich einer Sünde zeihen?", Joh 8,46 ). Joh 7,53 Dieser Vers ist ein Hinweis darauf, daß die hier
berichtete Geschichte möglicherweise in einem größeren Zusammenhang
stand. Die ursprüngliche Überleitung ging verloren. Joh 8,1-2 Da Jesus regelmäßig im Tempel lehrte, kamen die
Menschen jeden Tag, um ihn zu hören. Wie Lukas schreibt: "Er lehrte des
Tags im Tempel; des Nachts aber ging er hinaus und blieb an dem Berg,
den man den Ölberg nennt. Und alles Volk machte sich früh auf zu ihm,
ihn im Tempel zu hören" ( Lk 21,37-38 ). Joh 8,3-6 a Jesus wurde von einigen Schriftgelehrten und
Pharisäern unterbrochen, die sich in ihrem Leben streng an das Gesetz
hielten. Sie hatten die Frau, die wahrscheinlich verheiratet war, auf
frischer Tat beim Ehebruch ertappt und konnten, wie das Gesetz es
verlangte, zwei Zeugen vorweisen, die ihre Schuld bestätigten ( 5Mo
19,15 ). Daß sie tatsächlich beim Geschlechtsverkehr ergriffen worden
war, scheint allerdings unwahrscheinlich, also war sie wohl in eine
Falle gelaufen, die ihr gestellt worden war. Eigentlich hätten ihre
Ankläger auch den Mann vor Jesus bringen müssen, doch vielleicht war er
entkommen. Sie brachten sie zu Jesus, um ihn als Meister unglaubwürdig
zu machen. Wenn er sie verurteilte, würde er das Wohlwollen des
einfachen Volkes verlieren. Wenn er es nicht tat, würde er sich damit
gegen Mose und das mosaische Gesetz stellen. Joh 8,6-8 (Joh 8,6b-8) Viele Forscher haben Überlegungen darüber
angestellt, was Jesus wohl mit dem Finger auf die Erde schrieb . Manche
sind der Ansicht, daß er die Sünden derer, die die Frau anklagten,
aufschrieb. Andere vertreten die These, daß er die Worte aus 2Mo
23,1 "du sollst kein falscher Zeuge sein" aufschrieb. Noch andere sagen,
daß er einfach mit dem Finger im Staub malte, während er sich eine
Antwort ausdachte, doch das scheint unwahrscheinlich. Da wir unmöglich
wissen können, was er tatsächlich schrieb, sind Spekulationen müßig.
Seine Antwort - daß nur der richten kann, der ohne Sünde ist - wies sie
auf ihre eigenen Sünden und gleichzeitig auf ihn als einzigen
kompetenten - weil sündlosen - Richter hin (vgl. Joh 8,16 ). Dann bückte
er sich wieder und schrieb auf die Erde. Joh 8,9-10 Seine in vollster Autorität gesprochenen Worte
(vgl. Mt 7,28-29 ) verfehlten ihre Wirkung nicht. DieUmstehenden wurden
sich ihrer eigenen Sündhaftigkeit bewußt. Die Ältesten gingen zuerst ,
vielleicht weil sie so klug waren, die Sünde in ihren Herzen und ihrem
Leben einzusehen. Da sowohl Zeugen als auch Ankläger gegangen waren,
hatte sich die Klage gegen die Frau in Luft aufgelöst. Joh 8,11 Auch hier offenbarte sich Jesus als die höchste
Autorität. Er tadelte ihre Sünde, doch er machte der Frau zugleich auch
Hoffnung auf ein neues Leben. Theologisch gesehen konnte Jesus ihr ihre
Sünde vergeben, weil er die Vollmacht dazu besaß (vgl. Mk 2,8-12 ) und
weil er das Lamm Gottes war, das "der Welt Sünde" trug ( Joh 1,29 ).
Gott hatte ihm die Vollmacht gegeben, Sünden zu erlassen, und Jesus
handelte gnädig an der Frau. Er wurde ihr als der offenbart, der "voller
Gnade" ist ( Joh 1,14 ). BIBLIOGRAPHIE Barret C K (1978) The Gospel according to John .
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