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siehe Frage 416

  Antwort auf Reto B.

Lieber Reto !

Ich kann Dein Anliegen sehr gut nachvollziehen, ob es denn nicht besser ist, dass Charismatiker und Evangelikale den Ungläubigen das Evangelium zu verkündigen als aufeinander loszugehen. Sollten wir nicht besser einen "Waffenstillstand" ausrufen und eine "große Koalition aller christlichen Gemeinden, Kirchen und Denominationen" bilden, um als Einheit der Welt glaubwürdig das Evangelium verkündigen ? Als mich vor 15 Jahren meine damalige ungläubige Arbeitskollegin fragte, weshalb es so viele verschiedene Kirchen und Gemeinden gibt, war dies der Anlass, dass das Kämpfen um die Einheit der Gläubigen für mich eine Vision wurde. Ich wurde ein Vorkämpfer dafür, endlich die Auseinandersetzung zwischen den Charismatikern und Evanglikalen über die Geistesgaben, das Zungenreden, usw. zu begraben und gemeinsam das Evangelium der rettenden Gnade zu verkünden.

Aber was ist das Evangelium, das wir verkündigen sollen ? Ist es wirklich nur Joh. 3;16, dass Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen eigenen Sohn gesandt hat, auf das alle, die an ihn glauben, ewiges Leben haben ? Kann man Lehre und Evangelium wirklich trennen ? Der Herr Jesus sagte den Aposteln in Mt. 28: "Machet zu Jüngern alle Völker ... und lehret sie alles, was ich euch geboten habe". Wir können nicht zwischen "Grund-Evangelium" und Lehre trennen, denn die Bibel tut es auch nicht. Auch dürfen wir Liebe und Lehre nicht nach dem Motto: "Lehre trennt, Liebe eint" gegeneinander ausspielen, denn die biblische Liebe freut sich u.a. auch an der Wahrheit (1. Kor 13). Es ist korrekt, dass Lehre trennt, aber die göttliche Agape-Liebe trennt ebenso. Die Liebe liebt zwar den Sünder, aber sie hasst die Sünde. Liebe ist kein "Schwamm drüber" bzw. "fünf Gerade sein lassen", sondern sie will uns auf den Kurs Gottes bringen.

Was sollen wir nun von der "Großen Koalition aller Gemeinden" halten ? In der Politik verhandeln die koalierenden Parteien ein Regierungsprogramm, das Elemente aus dem Wahlprogrammen aller beteiligten Parteien enthält. Während z.B. der SPD-Politiker am Liebsten das SPD-Programm durchsetzen will, will der Grüne das Progamm seiner Partei durchsetzen. Am Ende kommt nach zähem Ringen ein Regierungsprogramm heraus, mit dem sich am Ehesten je nach Stimmenanteil beide Parteien wiederfinden. Müssen wir nun auch eine solche Koalition bilden, die ähnlich einer politischen Koalition eine systematische Theologie entwirft, die Elemente der Evangelikalen, Charismatiker, Katholiken, usw. enthält ? Ist das dann die wahre christliche Lehre ? Leider meinen viele Gläubige, dass das der Weg zur Einheit in Christus sei. Aber wir haben es hier nicht mit politischen Programmen zu tun, sondern es geht um die Wahrheit, um "alles, was der Herr Jesus uns geboten hat". Nun wird der Charismatiker erwidern, wir sind anmaßend, wenn wir meinen, dass die Wahrheit auf unserer Seite ist und nicht auf deren Seite. Sie verurteilen die "Bühne-Gang", die nichts Besseres zu tun hat als den Leib Christi zu spalten. Ja, auch für mich war Wolfgang Bühne der Repräsentant der Spalterei - bis ich ihn erst einmal selbst kennengelernt habe.

"Was ist Wahrheit ?" fragte schon Pilatus, die biblische Antwort gab der Herr Jesus in Joh. 14;6: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zm Vater als nur durch mich". So liegt die Wahrheit erst einmal außerhalb von uns allen. Kein Mensch kann sagen, dass sein Meinungsbild die Wahrheit vollkommen repräsentiert. Ich habe in meinem Leben schon so viele verschiedene Sichtweisen und Meinungen vertreten, von denen ich überzeugt war, dass das "Gottes Wort" ist, so dass ich heute nicht mehr so vermessen sein möchte, dass das, was ich heute vertrete, nun der absolute Wahrheit völlig entspricht. Meine Bibelkenntnis bzw. "subjektive Erkenntnis" ist Stückwerk. Gewiss werde ich auch in der Zukunft bis an mein Lebensende immer wieder Wahrheiten aus der Schrift entdecken, Aussagen, die ich bis dahin nie so klar gesehen habe und werde auch in Zukunft meine Einstellungen und Meinungen neu am Wort Gottes ausrichten müssen. Möge Gott mich und alle Leser des Artikels davor bewahren zu meinen, dass das, was sie jetzt für richtig halten, die biblische Wahrheit völlig abdeckt.

Was ist wichtig, was ist richtig ? Wir sind keine Politiker, die um ein Regierungsprogramm ringen, sondern wir erheben den Anspruch, Nachfolger des Herrn Jesus zu sein. Nennen wir uns "Christen", so sind wir erst einmal Jünger des Herrn Jesus, die ihrem Meister folgen, wo er hingeht. Demnach ist das, was unser Herr und Meister sagt, absolut verbindlich. Wir gleichen somit nicht den Politikern, die ein Regierungsprogramm aushandeln, welches ein Kompromiss der Wahlprogramme der an der Koalition beteiligten Parteien ist. Man kann uns eher mit Studenten der Mathematik bzw. einer experimentellen Naturwissenschaft vergleichen, die ihr Wissen in dem jeweiligen Fach vermehren. Haben z.B. zwei Physikstudenten eine unterschiedliche Meinung darüber, ob das spezifische Gewicht von Holz leichter als Öl ist, dann brauchen sie nicht um einen Kompromiss zu ringen, sondern sie legen im Labor ein Stück Holz in einen Behälter mit Öl. Auch in der Mathematik gibt es objektive, absolut gültige Regeln, wie man "richtig" und "falsch" unterscheiden kann. Stellt jemand eine mathematische Behauptung auf, so muss er sie beweisen.

Auch die Bibel, das Wort Gottes ist ein solcher absoluter Maßstab. Sie teilt uns mit, wie der Herr Jesus über die ein oder andere Sache denkt. Aus dem Wort Gottes können wir erfahren, was z.B. sich hinter der "Geistestaufe" verbirgt, ob Zungenreden und Prophezeiungen noch Gaben für die Gemeinde heute sind, usw. Es ist meiner Meinung nach nicht so schwer, die biblische Wahrheit herauszufinden, es ist viel schwerer, aus der biblischen Wahrheit die persönlichen Konsequenzen zu ziehen, wenn man falsch liegt. So halte ich es um des Herrn und um der Wahrheit willen für notwendig, in Demut und Liebe gemeinsam nach der Wahrheit zu ringen, auch wenn es wehtut. Es ist nicht sinnvoll, eine Koalition der Gemeinderichtungen zu bilden, wenn der Herr Jesus nicht Teil dieser Koalition ist. Auf dem Altar der Einheit darf die biblische Wahrheit nicht geopfert werden !

Toleranz ist eine gute Eigenschaft, wenn sie von uns fordert, den Andersdenkenden als Mensch anzunehmen und ihn aktiv zu lieben. Wenn die Toleranz jedoch fordert, von uns erkannte biblische Wahrheiten zu opfern, dann handeln wir gegen die Wahrheit und haben Gott nicht auf unserer Seite. Gott ist in dieser Hinsicht nicht tolerant. Im Ringen um die Wahrheit ist es einerseits wichtig, den anderen höher zu achten als sich selbst, aber auch das Wort Gottes höher zu achten als unsere Meinungen. Lassen wir Gottes Wort zu uns reden oder benutzen wir Gottes Wort, um unsere Meinungen zu bestätigen ? Oder lassen wir es lieber links liegen, weil es konfrontiert und unserer "Kuschel-Einheit" im Wege steht ?

Ich wäre froh, wir Evangelikale und Charismatiker könnten uns gegenseitig stehen lassen und gemeinsam Reich Gottes bauen. Denn ich kenne viele aufrichtige, eifrige und liebevolle Menschen aus der charismatischen Bewegung. Die Bibel erlaubt uns jedoch nicht, "Evangelium" und "Lehre" zu trennen, denn beides gehört zusammen. Sicherlich kann man auch errettet sein, wenn man noch nicht alles aus der Bibel versteht, das tue ich auch nicht. Aber als Jünger soll es unser Verlangen sein, mehr zu verstehen und im Wort zu wachsen. Was ist wichtig, was ist richtig ? Alles aus dem Wort Gottes ist wichtig und richtig. Wo Falsches gelehrt und praktiziert wird, da müssen wir auch unsere Stimme erheben, nicht aus Rechthaberei, sondern in Demut und Liebe und mit der Bereitschaft, selbst korrigiert zu werden.

Ist etwas dagegen einzuwenden, wenn sich z.B. bei einer Bonnke-Veranstaltung in Afrika 50.000 Menschen bekehren ? Gewiss nicht, doch ich hoffe, dass auch im Himmel 50.000 gezählt wurden. Die Berichte über Erweckungen, Zeichen und Wundern sind um so beeindruckender, je weiter sie von uns weg geschehen und sich somit der objektiven Nachprüfbarkeit entziehen. Nun mag man mir gegenüber einwenden, "überkritisch" zu sein, aber leider habe ich hierzu auch genug Anlass, weil viele Berichte maßlos übertrieben sind und sehr schnell ungeprüft Dinge behauptet werden, die sich als nicht wahr herausstellen. Leider wird meiner Erfahrung nach bei den Charismatikern viel übertrieben, ja auch bewusst oder unbewusst gelogen. Darauf mit Beispielen hinzuweisen ist meiner Ansicht nach nicht kleinkariert, sondern wir sollen uns zur Wahrhaftigkeit ermutigen, weil Gott wahrhaftig ist.

Es ist auch nicht egal, ob wir uns nach der Gabe des Zungenredens ausstrecken sollen oder nicht. Für den Pfingstler ist es wesentlich, da jemand, der nicht in Zungen redet, seiner Lehre gemäß nicht mit dem Geist getauft ist. Wenn aber das charismatische Zungenreden keine Geistesgabe ist, was ist es dann ? Was sagen wir hierzu den Neubekehrten ? Welche Stellung beziehen wir, wenn jemand behauptet, dass Gott zu ihm in einer Vision geredet hat ? Während der Charismatiker aus der Vineyard-Bewegung durchaus ein Reden Gottes dahinter vermutet, lehne ich Visionen als Reden Gottes generell ab. Es können nicht zwei miteinander gehen, es sei denn, sie sind einig miteinander.

Was ist wichtig, was ist richtig ? Die charismatische Lehre zu den Geistesgaben und die Lehre der Evangelikalen hierzu kann nicht gleichzeitig wahr sein, denn ansonsten widerspricht sich die Bibel oder die echte Wahrheit kann man nicht herausfinden. Das würde den Glauben an den Herrn Jesus und seinem Wort grundsätzlich in Frage stellen. Es ist nicht gleichgültig, ob der in den charismatischen Bewegungen wirkende Geist der heilige Geist ist oder nicht. Sowohl die positive als auch die negative Antwort erfordert von uns Konsequenzen. Es ist auch nicht einerlei, ob ich meine Worte so verkündige als hätte ich sie vom Thron Gottes empfangen und später stellen sie sich als Irrtum heraus. Auf diese Weise wird Gott unglaubwürdig gemacht.

Wir können über die Wahrheit nicht verhandeln, weil sie nicht uns gehört. Wir haben nicht das Recht zu bestimmen, was richtig und was verkehrt ist, denn das hat Gott in der Bibel festgelegt. Auch haben wir nicht das Recht, wichtige von unwichtigen Lehren zu trennen. Dem, was in der Schrift steht haben wir zu folgen, nicht umsonst werden wir am Ende der Bibel ermahnt, der Schrift weder etwas hinzuzufügen noch wegzutun. Aus diesem Grund halte ich es nicht für sinnvoll, die Auseinandersetzung zu beenden, sondern vielmehr sollen wir für den ein für alle Mal überlieferten Glauben kämpfen (Jud. 3), nicht gegeneinander, sondern in Achtung, Liebe und Respekt voreinander gemeinsam um die biblische Wahrheit ringen.

Herzliche Grüße

Fritz Wolf