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Benedikt Peters

Poetischen Bücher

  • Hiob 1 - 2
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    Hiob 12-31
    Hiob 32-37
    Hiob 38-41
    Hiob   42
  • Zweite Runde von Reden und Gegenreden: Kap. 12–20

     

    Hiob weist alles, was seine Freunde gesagt haben, zurück  Kap 12–14

     

    1. Hiobs Sarkasmus  12,1–5

    2. Hiob beweist, dass er von Gott und von seinen Wegen mehr versteht als seine             Freunde 12,6 – 13,2

    3. Hiob ruft Gott zum Richter an  13,3–19

    4. Hiob bittet Gott, ihn in Ruhe zu lassen  13,20–28

    5. Wie schwer ist das Leiden angesichts der Kürze des Lebens!  14

     

    Nach der ersten Runde ist Hiob noch weit von seiner Wiederherstellung entfernt. Er ist im Gegenteil immer tiefer gesunken, während seine Freunde ihn und seine Not immer gründlicher verkennen. So sind ihm die Ratschläge seiner drei Freunde nur noch ein Ärgernis und reizen ihn  zu den sarkastischen Worten, mit denen diese Runde beginnt. In ihrem ganzen Verlauf dominiert dieser Sarkasmus, auch in seiner nächsten Antwort(16,2.3). Erst gegen Ende legt sich Hiobs Heftigkeit ein wenig (19,2.3).

                Wie schon in seiner zweiten und dritten Rede, antwortet Hiob zunächst auf die Aussagen der Freunde (12,1–13,19), und dann wendet er sich mit seiner Klage an Gott (13,20–14,22). Zuerst verhöhnt er die eingebildete Weisheit seiner Freunde und beschwert sich darüber, dass er, ein Gerechter, zum Gespött sein muss  (12,1–5), dann redet Er über Gottes souveränes Walten, das einerseits den Verwüstern lange Ruhe und Sicherheit gewährt, andererseits den Starken die Macht und den Weisen den Verstand nimmt (12,6–25).  Ihm will er seine Sache befehlen, da sie nichtige Ärzte und Lügenschmiede seien (13,3–19). Darauf wendet er sich an Gott mit der Bitte, von ihm zu lassen, da das Leben so kurz und das Totenreich so düster sei (13,20–28). Der Gedanke an die Vergänglichkeit des Lebens macht ihm das Leiden noch unbegreiflicher und damit noch bitterer (Kap 14), es sei denn, Gott würde ihn im Scheol nur eine Zeit verstecken und sich ihm dann wieder zuwenden (V. 13). Hier blitzt ein erstes Mal Sehnsucht nach Auferstehung auf.

     

    1. Hiobs Sarkasmus  12,1–5

     

    1 Und Hiob antwortete und sprach:

    2 Wahrhaftig, ihr seid Leute! Mit euch wird die Weisheit aussterben!

    3 Auch ich habe Verstand wie ihr; ich falle nicht hinter euch zurück; und wer wüsste nicht dergleichen?

     

    »...ich stehe nicht hinter euch zurück«: Diese Worte Hiobs sind nur zu verständlich. Seine Freunde haben so geredet, als ob Hiob nichts über Gott und Seine Wege wüsste. Ihre Gemeinplätze, die sie mit der Miene großer Gottesgelehrter zum besten gaben, waren Hiob natürlich längst nicht neu. Er hatte weiter und tiefer gedacht als sie, und das zeigt er ihnen nun.

                Wenn wir uns wie Hiobs Helfer unseren Gesprächspartnern überlegen wähnen, werden wir erstens sündigen und zweitens ihnen nicht helfen können. Hat uns Gott nicht durch den Apostel befohlen, uns selbst nicht weise zu dünken (Röm 12,16) und zudem den Bruder höher zu achten als uns selbst (Phil 2,3?. Warum sündigen wir so oft und so beständig gegen diesen Befehl? Diese besserwisserische Art muss Hiob natürlich umso mehr quälen, weil ihm obendrein die ganze Zeit Unrecht geschieht. Dennoch tut uns Hiobs Antwort leid.  Es ist immer eine kümmerliche Sache, wenn Auseinandersetzungen von Heiligen Gottes zu einer Angelegenheit des persönlichen Prestige degenerieren, wie das hier bei Hiob geschieht. Er kann sich’s nicht verkneifen, sein eigenes überlegenes Wissen vor seinen Freunden zu behaupten.  Wieviel Grund haben wir, uns zu schämen über solche Eitelkeit. Wir strafen uns damit nur selbst; denn Hiob weiß Großes und Wahres zu sagen. Das Kapitel ist eine eindrückliche Demonstration seines Wissens über Gott, über Seine Weisheit und über Seine Regierung. Nur kann all das den Hiob nicht trösten; er kann diese herrlichen Wahrheiten nicht auf seine gepeinigte Seele anwenden. Gottes Wahrheiten und unser Wissen über sie können uns nur trösten, wenn wir uns vor Gott demütigen, wenn wir uns Seiner Wahrheit unterwerfen und sie nicht dazu verwenden, in einer Auseinandersetzung als Sieger hervorzugehen. Dazu hat sie uns Gott nicht geoffenbart, und Er wird nicht dulden, dass wir sie für unsere privaten Zwecke missbrauchen. So muss Gottes Hand noch weiterhin schwer auf Hiob lasten, bis er sich ihr unterwirft. Dann erst werden ihm die hier ausgesprochenen erhabenen Wahrheiten zu Licht und Leben, zu Mark und Fett für seine Seele.

     

    4 Dem eignen Freund zum Gespött, das muss ich sein, einer, der zu Gott rief, und er antwortete ihm; der Gerechte, Vollkommene ist zum Gespött!

    5 Dem Unglück gebührt Verachtung! so denkt der Sorglose. Ein Schlag denen, die gestrauchelt sind!

     

     

    2. Hiob beweist, dass er von Gott und von seinen Wegen mehr versteht als seine Freunde 12,6 – 13,2

     

    In diesen Abschnitt beweist Hiob, dass er wirklich tiefere Einsicht in Gottes Wesen und Gottes Wege besitzt als seine Freunde. Was er über Gottes Unumschränktheit sagt, ist wahr und seine Worte sind nicht allein angemessen, sondern auch sehr schön. Sie sind ein Beispiel für das, was der HERR an ihm gegenüber seinen Freunden empfehlen wird (42,7b). Wie in Kap 9 wiederlegt er die Thesen seiner Freunde, indem er auf Gottes Souveränität verweist.

     

    6 Die Zelte der Verwüster sind in Ruhe, und Sicherheit  haben die Leute,  die Gott reizen, wer Gott in seiner Faust führt.

     

    Eben hatte Zophar angedeutet, dass Unrecht in Hiobs Zelten wohnen müsse (11,14). Schon Eliphas und Bildad hatten das angedeutet, indem sie sagten, sein Zelt werde Frieden haben, wenn er den Frevel aus ihm entferne (5,24; 8,6). Das hat Hiob gut gehört. Jetzt antwortet er, indem er ganz richtig bemerkt: »Die Zelte der Verwüster sind in Ruhe.« Den Gottlosen gibt Gott Frieden, Gelingen und Wohlfahrt, oft ein ganzes Leben lang. Warum wollen Hiobs Freunde das nicht verstehen? Haben sie sich selbst so wenig kennengelernt? Geht es denn uns allen nicht viel besser, als unsere Sünden es verdient hätten (vgl. Ps 103,10)?

                Hiob hat ganz Recht: Es sind gerade die Zelte der Gottlosen, die in Ruhe sind. Die Zelte der Heiligen stört Gott auf, weil Er sie für sich und für Seine Gegenwart erziehen muss (Heb 12,10). Wenn Gott uns einmal ein wenig gezeigt hat, wer wir sind und wie wir sind, dann begreifen wir, dass es Gnade ist, wenn Gott uns mit Schlägen heimsucht und uns nicht Gelingen gibt auf unseren Wegen. Unsere Natur ist böse, unsere Absichten sind böse. Überließe Gott uns uns selbst, wären wir verloren. Es ist ein Zeichen göttlichen Gerichts, wenn er den Sünder sich und den Wünschen seines Herzens übergibtz und ihn finden lässt, was er begehrt (Röm 1,24).

     

    7 Aber frage doch das Vieh, und es wird dich lehren, und die Vögel des Himmels, und sie werden es dir kundtun;

    8 oder rede zu der Erde, und sie wird dich lehren; und die Fische des Meeres werden dir berichten.

     

    »aber frage doch das Vieh«: Beachten wir, wie sich diese Aufforderung an die eben gemachte Aussage anschließt: Die Zelte der Verwüster sind in Frieden; wenn wir das Vieh befragen, werden wir eine weitere Stimme hören, die diesen Umstand erhellt, und zwar in zweifacher Weise: An der ganzen Schöpfung erkennen wir erstens die Unumschränktheit Gottes. Er hat alles nach Seinem Willen erschaffen. (Dazu werde ich ein wenig weiter unten etwas sagen.) Nun ist aber, zweitens, die Schöpfung gefallen. Der Mensch hat das Böse in die Schöpfung hereingelassen, wie man einen Räuber und Mörder ins Haus lässt. Müssen wir uns wundern, dass die Ordnungen auf den Kopf gestellt werden? An der Tierwelt sehen wir, wie das Harte, das Stärkere, das Räuberische sich das Schwache unterwirft und verschlingt. Warum sollte es in der Welt der Menschen anders sein? Warum sollten hier nicht die Frechen, die Schnellen und die Ruchlosen die Sanftmütigen im Tore zertreten?

     

    9 Wer erkennte nicht an alledem, dass die Hand des HERRN dies gemacht hat,

    10 in dessen Hand die Seele alles Lebendigen ist und der Geist aller Menschen?

     

    »Die Hand des HERRN«: Hier wird das einzige Mal außerhalb der Einleitung (Kap 1&2) und den letzten Kapiteln des Buches (38–42) der Bundesname Gottes, JHWH, verwendet. Hiob hatte am Anfang gesagt: »Der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen, der Name des HERRN sei gelobt.« 

                Die Erschaffung aller Lebenwesen und der Erde aus dem Nichts lehrt uns Gottes Allmacht und Unumschränktheit. Er schuf die Welt so wie Er sie wollte, als nichts war, an dem Er sich hätte ausrichten müssen. Er folgte keinem Vorbild, er brauchte keine Anleitung. Daran müssen wir doch erkennen, dass »in Seiner Hand die Seele alles Lebendigen ist und der Geist alles menschlichen Fleisches«. Gott hat die Erde erschaffen, auf der wir hin– und hereilen und umherkriechen; Gott hat uns das Leben gegeben, Gott hat den Geist gebildet, der über Ihn nachdenkt, und Er hat dem Menschen die Zunge gegeben, darüber zu reden. Wenn wir so vollständig in Seiner Hand sind, dann dürfen wir Ihm Seine Wege nicht vorschreiben wollen. Wenn wir den Gottlosen sündigen sehen, wer sind wir, dass wir Gott vorschreiben, Er müsse ihn sogleich strafen? Darf und kann Er den Gottlosen nicht gewähren lassen? Hat er nicht das Recht, ihn in Langmut zu tragen (Röm 9,22)? Es könnte ja sein, dass Er ihn schont, weil Er ihm noch die Buße zum Leben geben will.

                Hiobs Worte sind wahr; eigentlich müsste er jetzt aus dieser Wahrheit auch folgern, dass er selbst kein Recht hat, Gottes Verfügen über ihn in Frage zu stellen. Auch wenn Hiob gerecht ist und tatsächlich unschuldig leidet, warum sollte Gott das nicht über ihn verhängen dürfen? Muss Er uns um Erlaubnis bitten, ob Er uns mit Galle tränken dürfe? Er müsste das nicht einmal, wenn wir noch immer Menschen in Unschuld wären. Jetzt aber sind wir Sünder. Alles Bittere, das Gott uns trinken lässt, ist darum mehrfach verdient. Alles, was weniger ist als absolute und unwiederbringliche Hölle, ist schon Gnade, Gnade, die uns Gott in keiner Weise schuldet. Noch viel weniger schuldet Er uns, dass Er uns Tag für Tag ernährt, uns kleidet, Fröhlichkeit in unser Herz gibt (Apg 14,17). Wenn Er uns schon unverdient mit tausenderlei Segnungen überhäuft, sollten wir da murren, wenn Er einmal etwas Schweres über uns bringt?

     

    11 Soll nicht das Ohr die Worte prüfen, wie der Gaumen für sich die Speise kostet?

    12 Bei Greisen ist Weisheit, und Einsicht bei langem Leben.

    13 Bei ihm ist Weisheit und Macht, sein ist Rat und Einsicht.

    14 Siehe, er reißt nieder, und es wird nicht wieder gebaut; er schließt über jemand zu, und es wird nicht aufgetan.

    15 Siehe, er hemmt die Wasser, und sie vertrocknen; und er lässt sie los, und sie kehren das Land um.

     

    Hiob hat erfahren, wie Gott niedergerissen hat, und wie Er die Wasser des Lebens und der Erquickung, die sein Leben zu einem bewässerten Gärtlein gemacht hatten, hemmte. Nun war er ausgetrocknet, nun lag seine Seele im Staub. Bei Ihm »ist Weisheit und Macht«, die Weisheit, all das zu entwerfen, und die Macht, es  zu tun. Das weiß Hiob. Was er nicht (oder nicht mehr) sieht, ist dies: Dass Gott die Weisheit hat, dies alles zum Wohl Hiobs zu verwenden. Er kann nicht verstehen, wie denn Leiden Gottes Absichten mit ihm fördern sollen, und darum kann er sich der Leiden nicht freuen (Jak 1,2). Wie sollten wir das auch können? Wir haben die Weisheit nicht dazu; sie ist ganz einfach nicht in uns. Nun aber lehrt uns Gott erstens diese Weisheit: Er sagt uns, auf welche Weise Er in Seiner Weisheit Leiden verwendet, um uns vollkommen zu machen, damit uns am Ende nichts von alledem fehlt, was wir nach Gottes Vorsatz besitzen sollen (Jak 1,3,4). Und Er weiß auch, dass es noch nicht genügt, dass wir es hören. Wir müssen Gott darum bitten, dass Er uns die Weisheit gibt, das Gehörte anzunehmen (Jk 1,5). Hiob tut genau das nicht. Er ist noch zu voll von sich, zu voll von Argumenten. Er kann seine Armut noch nicht erkennen; er kann noch nicht vor Gott niederfallen und Ihn darum bitten, Ihn Weisheit zu lehren. Aber er wird Gott noch bitten: »Ich will dich fragen, und du belehre mich« (42,4).

     

    16 Bei ihm ist Kraft und vollkommenes Wissen; sein ist der Irrende und der Irreführende.

     

    Bei Gott ist alle Kraft und dazu das Wissen, diese Kraft nach Seinem Willen anzuwenden. Der Irrende ist in Seiner Hand ebenso wie jener, der irreführt. Es ist ein ungemein tröstlicher Gedanke, dass der Verführer nicht autonom ist. Er kann nicht mehr tun und er kann nicht weiter gehen, als Gott zulässt. Selbst die teuflischste Verführung ist von Gott gesandt, Gottes Absichten zu tun, wie uns der Apostel so offen sagt, dass man es nicht falsch verstehen kann:

     

    »(Der Antichrist) der gemäß Satans Wirksamkeit auftritt mit aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge und mit allem Betrug der Ungerechtigkeit für die, die verloren gehen, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen,um errettet zu werden. Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrwahns, dass sie der Lüge glauben, damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht glaubten, sondern Gefallen fanden an der Ungerechtigkeit« (2Thes 2,9–12).

     

    17 Er führt Räte beraubt hinweg, und Richter macht er zu Narren.

    18 Die Herrschaft der Könige löst er auf, und schlingt eine Fessel um ihre Lenden.

    19 Er führt Priester beraubt hinweg, und Feststehende stürzt er um.

    20 Zuverlässigen entzieht er die Sprache, und Alten benimmt er das Urteil.

    21 Verachtung schüttet er auf Edle, und den Gürtel der Starken macht er schlaff.

     

    Gott führte jene » Räte beraubt hinweg«, die Er zuerst zu Räten gemacht hatte, und er macht »Richter zu Narren«, denen er zuerst Verstand gegeben hatte, dass sie überhaupt Richter sein konnten. Alles verdankt der Mensch dem Allmächtigen, auch der Gottlose, der das nicht anerkennt. Er erhöht Niedrige und setzt sie als Könige ein, um »die Herrschaft der Könige« aufzulösen, wenn es Ihm gefällt. Ist er verpflichtet Sünder zu Räten und Richtern machen? Muss er Niedrige zum Königtum erhöhen? Nein, Er tut es aus reiner Güte. Darum darf Er ihnen auch nehmen, was sie sich nicht selbst verdient haben. Er ist es, der den »Feststehenden«  Festigkeit gibt, und Er ist es, der sie umstürzt: Er braucht nur Seine Hand, die sie gehalten hat, zurückzuziehen, und dann fallen sie, denn sie haben sich selbst nicht Festigkeit gegeben und vermögen sich selbst nicht zu stützen. Er »entzieht Zuverlässigen die Sprache«, die Er ihnen gegeben hatte, und »den Alten benimmt er das Urteil«, das diese von Anfang an Ihm verdanken. Es sind tiefe, es sind wahre, es sind unwiderlegbare Gedanken, die Hiob äußert. Glücklich sind wir, wenn wir, ihnen folgend, Gott fürchten. Denn alles ist in Seiner Hand. Ein Nebukadnezar, der das nicht mehr wahrhaben wollte, wurde vom Thron gestoßen, bis er die Augen zum Himmel erhob und dem die Ehre gab, der Könige einsetzt und absetzt (Dan 4). Sein Sohn Belsazar wollte nichts mehr davon wissen, dass sein Lebensodem in Gottes Hand war (Dan 5,23), bis ihm Gott mit einem Schwertstreich den Lebensodem entriss (Dan 5,30).

     

    22 Er enthüllt Tiefes aus der Finsternis, und Todesschatten zieht er an das Licht hervor.

    23 Er vergrößert Nationen, und er vernichtet sie; er breitet Nationen aus, und er führt sie hinweg.

     

    Gott »enthüllt Tiefes«, lauter Dinge, die uns verborgen sind und von denen wir nichts geahnt hätten. Er offenbart Unfähigen und Unwürdigen Seine Geheimnisse. Darüber hat der Sohn Gottes Seinen Gott und Vater gepriesen:

     

    »Zu jener Zeit hob Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart.  Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir. Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater, als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn ihn offenbaren will« (Mat 11,25-27).

     

    24 Er entzieht den Verstand den Häuptern der Völker der Erde, und lässt sie abrirren in pfadlose Einöde;

    25 sie tappen in der Finsternis, wo kein Licht ist, und er macht sie wegtaumeln gleich einem Trunkenen.

     

    Wenn wir’s nur glauben würden! Wir haben uns selbst nicht in der Hand. Wir haben nicht Macht darüber, dass unser Denken geordnet und unser Urteilen zuverlässig bleibt. Sofern es das ist, verdanken wir es Gott. Zieht Er seine gnädige Hand von uns ab, verliert sich unser Denken im Chaos, verlieren wir allen Rat und können weder einen Anfang noch einen Weg noch ein Ende erkennen. Oben verwechseln wir dann mit unten und links mit rechts, wir »tappen in der Finsternis...und irren gleich einem Trunkenen«. Wann haben wir Gott zuletzt dafür gedankt, dass wir bei Sinnen sein dürfen? Dass wir Beobachtungen machen, sie zueinander in Beziehung setzen und daraus Schlüsse ziehen können? Wann haben wir Ihn das letzte Mal darum gebeten, dass Er uns in Seiner Gnade bei Sinnen erhält? Wann haben wir Ihn zuletzt angefleht, uns vor Torheit zu bewahren und uns weise zu machen zur Errettung? Nie? Dann sollten wir es jetzt tun, solange noch Zeit ist und wir noch bei Verstand sind.

     

    Sprachliche Anmerkungen zu Kap 12:

     

    V. 10b  rûach kål–besar–’îsch,  wörtlich ”der Geist von allem Fleisch des Mannes”. Buber: ”der Geist von jedermanns Fleisch”

     

     

    Kapitel 13

     

    1 Siehe, das alles hat mein Auge gesehen, mein Ohr gehört und sich gemerkt.

    2 So viel ihr wisset, weiß auch ich; ich stehe nicht hinter euch zurück.

     

    Natürlich hat Hiob recht; er steht nicht hinter seinen Freunden zurück an Erkenntnis. Er hat sich sogar sehr bescheiden ausgedrückt, denn er ist seinen Freunden überlegen. Es tut uns aber dennoch leid, dass er das wiederum sagen muss (siehe 12,3). Ist das denn so wichtig? Nein, es ist nicht wichtig, aber dem Hiob ist es noch wichtig.

     

     

    3. Hiob ruft Gott zum Richter an  13,3–19

     

    3 Doch zu dem Allmächtigen will ich reden, und vor Gott mich zu rechtfertigen begehre ich;

    4 ihr hingegen seid Lügenschmiede, nichtige Ärzte, ihr alle!

    5 O dass ihr doch stille schwieget! Das würde euch zur Weisheit gereichen.

     

    Wir verstehen, dass Hiob nun »zu dem Allmächtigen reden« will. Seine Freunde haben ihm Unrecht getan, sie haben ihm böse Dinge unterstellt. So bleibt ihm nichts anderes, als sich »vor Gott zu rechtfertigen«.  Hiob geht aber zu weit, wenn er seine Freunde offen »Lügenschmiede« nennt. Das ist ein ungerechter Anwurf. Sie mögen »nichtige Ärzte« sein, sie mögen sich in ihrer Diagnose und in ihrer Therapie irren; aber sie sind Irrende, nicht Täuschende. Und selbst wenn sie Täuschende gewesen wären, hatte Hiob nicht eben gesagt, dass  beide in Gottes Hand sind, der Irrende und der Irreführende (12,16)? Und wenn sie es sind, warum kann Hiob sie und ihre Worte nicht Gottes Hand und Gottes Urteil überlassen? Sie sind hilflos, sie sind wohl auch ein wenig von sich eingenommen, aber sie sind keine Lügenschmiede, Leute also, die mit Bedacht, mit Sorgfalt und mit Geschick aus Hiobs Ergehen Lügen hämmern wie der Schmied aus dem Eisen sich ein Werkzeug formt.

                Hiob hat wiederum Recht, wenn er wünscht, dass seine Freunde »stille schwiegen«, denn es würde ihnen wirklich »zur Weisheit gereichen«. Und doch müssen wir an ihm seine Gereiztheit tadeln, obwohl wir ziemlich sicher gleich reagiert hätten, wären wir an Hiobs Stelle. Gott aber kann es nicht gefallen, wenn Seine Knechte undgeliebten Kinder sich von solchen menschlichem Regungen beherrschen lassen. Er muss es ihnen aberziehen; Er wird es ihnen aberziehen. Denn sie sollen eines Tages in Seinem Haus sein, und sie sollen eines Tages auf dem höchsten Thron im Universum sitzen und mit Seinem Sohn die Welt und Engel richten (Mt 19,28; 1Kor 6,2; Off 5,10; 20,4).

     

    6 Hört doch meine Rechtfertigung, und horcht auf die Beweisgründe meiner Lippen!

    7 Wollt ihr für Gott Unrecht reden, und für ihn Trug reden?

    8 Wollt ihr für ihn Partei nehmen? Oder wollt ihr für Gott rechten?

    9 Ist es gut für euch, dass er euch erforsche? Oder werdet ihr ihn täuschen, wie man einen Menschen täuscht?

    10 Strafen wird er euch, wenn ihr im Geheimen die Person anseht.

     

    11 Wird nicht seine Hoheit euch bestürzen, und sein Schrecken auf euch fallen?

    12 Eure Denksprüche sind Sprüche von Asche, eure Schutzwehren erweisen sich als Schutzwehren von Lehm.

     

    Natürlich hat Hiob Recht, Gottes »Hoheit wird euch bestürzen«, aber wird sie nicht auch ihn bestürzen? Was Hiob weiß, hat keine Kraft auf seine Seele. Ist das nicht das Hauptmerkmal der Finsternis, in der sich der Gerechte befinden kann? Der Gottlose will in seiner Finsternis nichts wissen von Gott und von Seinen Wegen. Der Gerechte weiß in seiner Finsternis nur zu gut Bescheid um Gott und Seine Wege. Er kann den andern Gottes Majestät vor Augen stellen und sie dafür rügen, dass sie Gott nicht gebührend fürchten, und gleichzeitig kann er selbst Gott nicht fürchten, wie er Ihn fürchten müsste. Das ist wirklich die Plage des Gerechten: Er weiß alles, was er wissen muss, aber er erfährt die Kraft dieses Wissens nicht an seiner eigenen Seele. Es ist ein furchtbarer Zustand, aus dem wir eigenhändig so wenig herauskommen wie der Sünder aus dem Gefängnis der Sünde. Wir sind auf Gottes Eingreifen angewiesen, wir haben den himmlischen Hohenpriester nötig, der durch Seine Fürbitte und durch Seinen Geist dafür sorgt, dass unser Glaube wieder erwacht und wir im Glauben die Verheißungen Gottes ergreifen können.

     

    13 Schweigt, lasst mich, und ich will reden, was auch über mich ergehen möge.

    14 Warum sollte ich mein Fleisch zwischen meine Zähne nehmen, und mein Leben meiner Hand anvertrauen?

    15 Da! tötet er mich, ich werde auf ihn warten, nur will ich meine Wege ihm ins Angesicht rechtfertigen.

     

    »Tötet er mich, ich werde auf ihn warten«: Hier sehen wir Hiobs äußerste Entschlossenheit, seine Sache mit Gott durchzubringen. Seine Freunde haben ihn enttäuscht, von ihnen erwartet er nichts mehr. Gott ist seine einzige Zuflucht.

     

    16 Auch das wird mir zur Rettung sein, dass ein Ruchloser nicht vor sein Angesicht kommen darf.

     

    Gott nimmt die Ruchlosen nicht an; das ist Hiob in dem Sinn »zur Rettung«, als er ja kein Ruchloser ist. Darum darf er getrost damit rechnen, dass Gott ihn hört.

     

    17 Hört, hört meine Rede, und meine Erklärung dringe in eure Ohren!

    18 Siehe doch, ich habe die Rechtssache gerüstet! Ich weiß, dass ich Recht behalten werde.

    19 Wer ist es, der mit mir rechten könnte? Denn dann wollte ich schweigen und verscheiden.

     

    »Ich weiß, dass ich Recht behalten werde«: Vor den Freunden wird Hiob recht behalten, aber trotzdem ist Hiobs Haltung nicht richtig. Das wird ihm zuerst Elihu und dann Gott selbst sagen.

     

     

    4. Hiob bittet Gott, ihn in Ruhe zu lassen  13,20–28

     

    20 Nur zweierlei tue mir nicht; dann werde ich mich nicht vor deinem Angesicht verbergen.

    21 Deine Hand entferne von mir, und dein Schrecken ängstige mich nicht.

    22 So rufe denn, und ich will antworten, oder ich will reden, und erwidere mir!

     

    »-So rufe denn«: Gott wird Hiob noch rufen, Er wird noch zu ihm reden, allerdings wird Hiob Ihm dann nichts zu »antworten« wissen (39,33–35).

     

    23 Wie viele Missetaten und Sünden habe ich? Lass mich meine Übertretung und meine Sünde wissen!

     

    »Wie viele Missetaten und Sünden habe ich?«: Wie eben vor den Freunden (V. 18, 19), so behauptet Hiob mit großer Kühnheit auch vor Gott seine Gerechtigkeit. Die zweite Hälfte des Verses ist nicht eine wirkliche Bitte an Gott, ihn seiner Sünden zu überführen, sondern es ist eine Herausforderung, die aus dem Selbstbewusstsein entspringt, Gott werde ihm keine Sünde zeigen können.

     

    24 Warum verbirgst du dein Angesicht, und hältst mich für deinen Feind?

     

    Hier meint Hiob, Gott halte ihn für Seinen Feind. In 16,9 sagt er sogar, Gott sei ihm zum Feind geworden. In 19,11 wird er ein zweites Mal sagen, er sei Gott zum Feind geworden. Elihu wird ihm hier widersprechen (33,10–12).

     

    25 Willst du ein verwehtes Blatt hinwegschrecken, und die dürre Stoppel verfolgen?

     

    »ein verwehtes Blatt ...und dürre Stoppel«: Wie in 7,12 hält Hiob es für unverhältnismäßig, dass der allmächtige Gott sich mit solcher Wucht gegen ein so kleines und schwaches Geschöpf wenden sollte.

     

    26 Denn Bitteres verhängst du über mich, und lässest mich erben die Missetaten meiner Jugend;

    27 und meine Füße legst du in den Stock, und beobachtest alle meine Pfade, grenzest dir ein die Sohlen meiner Füße;

     

    »meine Füße legst du in den Stock«: siehe 33,11; »grenzest dir ein die Sohlen meiner Füße«: siehe 3,23

     

    28 da ich doch zerfalle wie Moder, wie ein Kleid, das die Motte zerfressen hat.

     

    vgl. Ps 39,12

     

     

     

    Kapitel 14

     

    In diesem Kapitel klagt Hiob über zweierlei: Das menschliche Leben ist kurz und mit Unruhe gesättigt (Vv.1,2). Wie bitter ist das, wenn mit dem Tod alles aus ist und wenn es keine Hoffnung auf eine Auferstehung gibt (Vv.7–12)! Die Bitterkeit, die Gott seinem Knecht bereitet hat, weckt in ihm zuerst Sehnsucht nach Auferstehung (V. 13–15), um ihm nachher sogar die gewisse Zuversicht der Auferstehung zu geben (19,25.26).

     

    5. Wie schwer ist das Leiden angesichts der Kürze des Lebens!  14,1–6

     

    1 Der Mensch, vom Weib geboren, ist kurz an Tagen und mit Unruhe gesättigt.

    2 Wie eine Blume kommt er hervor und verwelkt; und er flieht wie der Schatten und hat keinen Bestand.

    3 Dennoch hast du über einen solchen deine Augen geöffnet, und mich führst du ins Gericht mit dir!

    4 Wie könnte ein Reiner aus einem Unreinen kommen? Nicht ein einziger!

    5 Wenn denn bestimmt sind seine Tage, die Zahl seiner Monde bei dir sind, wenn du ihm Schranken gesetzt hast, die er nicht überschreiten darf,

    6 so blicke von ihm weg, dass er Ruhe habe, bis er wie ein Tagelöhner seinen Tag vollende.

     

    »Vom Weib geboren«, von Geburt an und aufgrund seiner Geburt ist das Leben des Menschen kurz und unruhig. Woher denn? Das Weib, aus dem er geboren wurde, ist eine Sünderin, und darum ist er selbst ein Sünder. Die Sünde hat ihm das Leben verkürzt und hat es ihm dazu noch sauer gemacht (1Mo 3,16–19). Alle Schönheit, die an ihm ist – denn er ist ein Geschöpf Gottes –, vergeht, wie die Schönheit der Blume (Ps 103,15; Jak 1,11). Er hätte immer bleiben sollen, jetzt aber »flieht er wie der Schatten und hat keinen Bestand« (Ps 102,11; 109,23; Prd 6,11). Und über einem solchen hat Gott »seine Augen geöffnet«. Sollte er es denn nicht? Hiob meint, er solle ihn in Ruhe lassen, Er solle »von ihm weg blicken«  (vgl. 7,16 und die dort vermerkten Stellen), als ob das die Lösung der unerträglichen Daseinsweise des Menschen wäre! Das Leben ist, wie Hiob deutlich genug sagt, der Sünde wegen kurz und erbärmlich. Würde es besser, wenn Gott wenigstens während der kurzen Jahre der irdischen Existenz den Menschen in Ruhe ließe? Es wäre dann vollends unerträglich, es begänne dann die Hölle schon hier. Gottes Lösung ist erstens die Entfernung der Sünde. Dazu kam das Lamm Gottes in die Welt: »Zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer« (Heb 9,26; Joh 1,29). Zweitens die Gabe eines neuen Lebens (2Kor 5,17), drittens die Auferstehung zur Unverweslichkeit (1Kor 15,53) in einer neuen Schöpfung, in der keine Sünde und darum auch kein Tod je wieder sein wird (2Pet 3,13). Ewige Herrlichkeit ist das schöne Ende – »das Ende des Herrn« (Jak 5,11) –, zu dem Gott Hiob und einen jeden seiner Erwählten bestimmt und bereitet hat.

     

     

    6. Der Mensch ist ohne Hoffnung  14,7–22

     

    In diesen Versen wird deutlich, woran sich Hiobs Sehnsucht nach Auferstehung entzündet: Die Leiden der Jetztzeit machen die menschliche Existenz zu einem zynischen Witz, wenn es keine Auferstehung gibt; es wäre unerträglich, sollte der Mensch aus einem Leben wie diesem dahingehen, und nichts mehr haben. (Siehe auch 17,11–16.) In der Tat: »Wenn wir allein in diesem Leben auf Christum Hoffnung haben, so sind wir die elendesten von allen Menschen. (1Kor 15,19).  Aber es ist nicht so, wie Hiob selbst von Gott geoffenbart bekommt: 19,25.26.

     

    7 Denn für den Baum gibt es Hoffnung: wird er abgehauen, so schlägt er wieder aus, und seine Schösslinge hören nicht auf.

     

    »Für den Baum gibt es Hoffnung«, aber nicht für den Menschen. Im V. 19 wird der hier angefangene Gedanke mit der Feststellung abgeschlossen: »du machst zunicht die Hoffnung des Menschen«. Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben; ohne Hoffnung wird jedes Leiden untragbar.

     

    8 Wenn seine Wurzel in der Erde altert, und sein Stumpf im Boden erstirbt:

    9 vom Dufte des Wassers sprosst er wieder auf und treibt Zweige wie ein Pflänzling.

    10 Der Mann aber stirbt und liegt da; und der Mensch verscheidet, und wo ist er?

    11 Es verrinnen die Wasser aus dem See, und der Fluss trocknet ein und versiegt:

    12 so legt der Mensch sich hin und steht nicht wieder auf; bis die Himmel nicht mehr sind, erwachen sie nicht und werden nicht aufgeweckt aus ihrem Schlafe.

     

    Der Mensch wird diese Schöpfung nicht mehr sehen, wenn er sie verlassen hat. Er wird nicht aufstehen, bis diese »Himmel nicht mehr sind«. Er wird aber auferstehen für eine neue Schöpfung, für einen neuen Himmel und eine neue Erde (2Pet 3; Off 21,2.3).

     

    13 O dass du im Scheol mich verstecktest, mich verbärgest, bis dein Zorn sich abwendete, mir eine Frist setztest und dann meiner gedächtest!

    14 (Wenn ein Mann stirbt, wird er wieder leben?) Alle Tage meiner Dienstzeit wollte ich harren, bis meine Ablösung käme!

    15 Du würdest rufen, und ich würde dir antworten; du würdest dich sehnen nach dem Werke deiner Hände.

     

    Wenn Gott den Hiob doch nur »in dem Scheol« versteckte, und ihm nach einer gewissen Frist wieder gedächte! Aber schon im nächsten Satz stellt Hiob diesen Wunsch in Frage: »Wenn ein Mensch stirbt, wird er wieder leben?« Gibt es denn so etwas wie Auferstehung?  Wenn ja, dann wollte ich gerne »alle Tage meiner Dienszeit harren, bis meine Ablösung käme«. Dann hätte das Leiden einen Sinn.

     

    16 Denn nun zählst du meine Schritte; wachst du nicht über meine Sünde?

    17 Meine Übertretung ist versiegelt in einem Bündel, und du hast hinzugefügt zu meiner Missetat.

    18 Und doch, ein Berg stürzt ein, zerfällt, und ein Fels rückt weg von seiner Stelle;

    19 Wasser zerreiben die Steine, ihre Fluten schwemmen den Staub der Erde hinweg; aber du machst zunichte die Hoffnung des Menschen.

     

    Es kann niemand seine Sünden verbergen, es kann niemand sein sündiges Wesen abstreiten (V. 4). Alles ist in Gottes Buch verzeichnet, und es wird am Tage des Gerichts gegen uns zeugen. Wie können wir da Hoffnung haben? So wie Fluten Steine zerreiben und den Sand wegtragen, so zermalmst du den Menschen und »machst zunichte die Hoffnung des Menschen«.

     

    20 Du überwältigst ihn für immer, und er geht dahin; sein Angesicht entstellend, sendest du ihn hinweg.

     

    Der Tod überwältigt den Menschen »für immer«. Wer wollte sich auch Gottes Verdikt widersetzen? Der Mensch hat gesündigt und »hat daran den Tod gefressen« (Luther). Er hat die Finsternis gewählt. Gott sendet sie ihm jetzt, ja, er hat sie ihm bereitet (Jes 45,5) und verhängt sie über ihn, ohne dass er sich Gottes Gericht entziehen könnte.

     

    21 Seine Kinder kommen zu Ehren, und er weiß es nicht; und sie werden gering, und er achtet nicht auf sie.

     

    So lange er lebt, mag er sich darüber Freuen, dass »seine Kinder zu Ehren« kommen; nun aber »weiß er es nicht«. Er gewahrt sie nicht, er ist nicht mehr im Lande der Lebendigen und sieht das Licht der lieben Sonne nicht.

     

    22 Nur um ihn selbst hat sein Fleisch Schmerz, und nur um ihn selbst empfindet seine Seele Trauer.

     

    Es ist nur zu wahr, was Hiob vom Menschen sagt. »Nur um ihn selbst empfindet seine Seele Trauer.« In diesem Gefängnis ist der gefallene Mensch gefangen. Er kann gar nicht anders als alles auf sich selbst zu beziehen, alles nach seinem eigenen Nutzen zu beurteilen und sich nur insofern freuen, als es ihn betrifft, und nur darüber trauern, was ihn berührt. Zu weinen mit den Weinenden und sich zu freuen mit den Sich Freuenden, das vermochte der Mensch Jesus Christus, und seither vermögen es solche, die in Christus sind und in denen Christus ist. Keine Worte können die Erbärmlichkeit des Lebens des Sünders hinreichend beschreiben. Es ist kurz, von Eifern und Geifern um nichts gesättigt, und es ist hemmungslos egozentrisch. Tatsächlich, der Mensch ist geworden »wie Gott« (1Mo 3), sein eigener jämmerlicher  Gott in seiner engen Welt, die, gemessen an der Weite des Paradieses, nicht besser ist als ist der enge Sarg, in den man Joseph legte (1Mo 50,26).

     

     

    Kapitel 15

     

    Eliphas zweite Rede

     

    1. Eliphas zeiht Hiob der Ungerechtigkeit, der List, der Anmaßung und der        Undankbarkeit 15,1–12

    2. Gott ist gerecht und Hiob ist ungerecht  15,13–16

    3. Das schlimme Teil der Ungerechten  15,17–35

     

    In seiner zweiten Antwort stellt Eliphas nicht mehr rhetorische Fragen, sondern spricht offene Beschuldigungen aus (Vv.4–6). In seiner ersten Rede hatte er Hiob noch Frömmigkeit bescheinigt; hier spricht er sie ihm nicht mehr zu, sondern behauptet schon, Hiob mindere die Gottesfurcht bei allen, die in seine Nähe kommen. Offensichtlich haben Hiobs Antworten ihn gestochen, und nun gibt er auf seine Weise zurück. In seiner dritten Rede wird Eliphas endlich aufs ganze gehen, und behaupten, Hiob handle regelrecht gottlos. Er weiß aber sonst in seiner zweiten Rede nichts Wesentliches über das hinaus zu sagen, was er bereits in der ersten gesagt. Hiob könne sich doch nicht einbilden er sei vor Gott rein (V.14–16, vgl. 4,17.18), und dem Gesetzlosen sei das Unglück gewiss (Vv. 20–35; vgl. 4,7.8; 5,1–16). Als Antwort auf das, was er an Hiob nur als gefährliche Verstocktheit und Verhärtung ansehen kann, beschreibt er den Gottlosen, der vergeblich gegen den Allmächtigen trotzt und gegen ihn anrennt mit den dichten Buckeln seiner Schilde (15,25.26).

     

    1. Eliphas schilt Hiob der Ungerechtigkeit, der List, der Anmaßung und der        Undankbarkeit 15,1–12

     

    1 Und Eliphas, der Temaniter, antwortete und sprach:

    2 Wird ein Weiser windige Erkenntnis antworten, und wird er sein Inneres füllen mit Ostwind,

    3 streitend mit Reden, die nichts taugen, und mit Worten, womit er nicht nützt?

     

    Eliphas ist »ein Weiser«, unddarum wird er nicht »windige Erkenntnis antworten«.  Das überlasse er Hiob. Es ist gewiss keine gute Eröffnung einer Rede, mit der man vorgibt, dem andern helfen zu wollen, und doch: Wie oft folgen wir diesem schlechten Beispiel! Wir geben unserem Gesprächspartner zu verstehen, dass er nicht viel verstehe, dass aber wir selbst die Weisen sind.

     

    4 Ja, du vernichtest die Gottesfurcht und schmälerst die Andacht vor Gott.

    5 Denn deine Ungerechtigkeit belehrt deinen Mund, und du wählst die Sprache der Listigen.

     

    »Du wählst die Sprache der Listigen«: In seiner ersten Rede hatte Eliphas noch allgemein gesagt, Gott mache die Anschläge der Listigen zunichte (5,12). Hier sagt er offen, dass er damit Hiob selbst meint. Damit beschuldigt er ihn erstmals direkt der »Ungerechtigkeit«,  denn diese sei es, die ihn dränge, mit seinen listigen Argumenten seine Schuld zu verbergen. Etwas Schlimmeres kann man einem Menschen nicht unterstellen. Lüge ist schlimm genug, Lüge unter dem Deckmantel der Gottesfurcht ist aber noch einmal gesteigertes Übel.

     

    6 Dein Mund verdammt dich, und nicht ich; und deine Lippen zeugen wider dich.

     

    7 Bist du als Erster zum Menschen gezeugt, und vor den Hügeln du geboren?

    8 Hast du im Rate Gottes zugehört, und die Weisheit an dich gerissen?

    9 Was weißt du, das wir nicht wüssten, was verstehst du, das uns nicht bekannt wäre?

     

    Hiob hatte mit bissiger Ironie gesagt, mit Eliphas und Anhang werde die Weisheit austerben (12,2). Wie er in den Wald gerufen hatte, tönt es zurück: »Bist du als Erster...geboren?« Und dann greift Eliphas das Wort »Weisheit« auf, das Hiob in seiner vorherigen Rede verwendet hatte. Ob er denn wirklich meine, er habe die Weisheit an sich gerissen? Und auf Hiobs Ausruf von 12,3 gibt ihm Eliphas fast wörtlich zurück: »Was weißt du, das wir nicht wüssten?«

     

    10 Unter uns sind auch Alte, auch Greise, reicher an Tagen als dein Vater.

     

    Eliphas hatte sich in seiner ersten Rede auf seine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen berufen (4,8,12–16), und das tut er auch in dieser Rede noch einmal (V. 17) Aber jetzt greift er auch auf die Autorität der Väter und der von ihnen gelehrten Weisheit zurück (wie Bildad in seiner ersten Rede. 8,8–10), ebenso in V. 18.

     

    11 Sind dir zu wenig die Tröstungen Gottes, und ein sanftes Wort an dich zu gering?

     

    Eliphas antwortet dem Hiob nach dessen eigenen Worten (siehe 12,3; 13,2). Er wisse so viel wie Hiob, dieser habe keinerlei Ursache sich für wissender zu halten als seine Freunde. Es hatte uns leid getan, dass Hiob zweimal darauf gepocht hatte, dass er über Gott und seine Wege so viel wisse wie seine Freunde, obwohl er Recht hatte. Eliphas bildet sich aber nur ein, er wisse mehr als Hiob. In Tat und Wahrheit offenbart er große Unkenntnis, die sich mit ebenso großer Anmaßung paart. Dabei schilt er Hiob einen arroganten Kerl, denn genau das will seine rhetorische Frage, ob Hiob »als Erster zum Menschen gezeugt und vor den Hügeln geboren«  sei. Das hatte Hiob weder gesagt noch sagen wollen; denn er ist nicht anmaßend; er ist nur ungeduldig. Aber es ist fast immer so: Wer den andern einen Anmaßenden schilt, tut es, weil er selber anmaßend ist: »Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe« (Röm 2,1). Denn gerade Eliphas ist es, der so tut, als habe er   »im Rate Gottes zugehört«,  als habe er Gottes Urteil über Hiob und seine Unterredung mit Satan gehört (1,6–12).

                Und dann beklagt sich Eliphas, darüber, dass Hiob seine freundlichen Worte von sich gewiesen hat. Dem feinen Herrn sei wohl »ein sanftes Wort zu gering«? Wir, die wir den Vieren bei ihrer Redeschlacht als Unbeteiligte  zuhören, müssen sagen, dass wir Hiob verstehen und ihm hier Recht geben müssen. Eliphas Worte waren zwar der Form nach sanft gewesen, dabei aber von ausgesuchter Taktlosigkeit. Seine süßen Worte stießen nur um so saurer auf, weil sie erstens nicht ehrlich gemeint waren und zweitens auf bösen Unterstellungen fußten. Wir hätten sie auch von uns geschoben wie eine ungenießbare Speise.

     

    12 Was reißt dein Herz dich hin, und was zwinken deine Augen,

    13 dass du gegen Gott dein Schnauben kehrst, und Reden hervorgehen lässest aus deinem Munde?

     

     

    2. Gott ist gerecht und Hiob ist ungerecht  15,12–16

     

    14 Was ist der Mensch, dass er rein sein sollte, und der vom Weibe Geborene, dass er gerecht wäre?

    15 Siehe, auf seine Heiligen vertraut er nicht, und die Himmel sind nicht rein in seinen Augen:

    16 wieviel weniger der Abscheuliche und Verderbte, der Mann, der Unrecht trinkt wie Wasser!

     

    Eliphas wiederholt sich (4,17–19). Was er sagt ist wahr. Es steht so geschrieben, und man kann das im Lehrbuch nachlesen. Hiob hat auch nie behauptet, es stimme nicht, im Gegenteil: Er hat selbst gesagt, dass aus dem Unreiner kein Reiner kommen könne (14,4). Eliphas will natürlich mehr sagen, als nur gerade, dass Gott Rein und der Mensch unrein ist. Er will Hiob zum Geständnis nötigen, er sei »der Abscheuliche und Verderbte, der Mann, der Unrecht trinkt wie Wasser«.  Hiob hat aber nicht Unrecht getrunken. Darum kann er und darf er Eliphas nicht Recht geben; denn dann wäre er genau das, was seine Freunde behaupten: ein Heuchler.

     

     

    3. Das schlimme Teil der Ungerechten  15,17–35

     

    So wie Eliphas sich wiederholt, muss auch ich mich wiederholen: Abgesehen davon, dass Eliphas neben vielem Richtigen auch manches Schiefe behauptet, ist seine Beschreibung vom Leben und vom Ende des Gottlosen ein Schuss in die Luft. Hiob ist kein Gottloser; darum treffen ihn Eliphas starken Worte nicht.

     

    17 Ich will dir's berichten, höre mir zu; und was ich gesehen, will ich erzählen,

    18 was die Weisen verkündigt und nicht verhehlt haben von ihren Vätern her-

    19 ihnen allein war das Land übergeben, und kein Fremder zog durch ihre Mitte-;

    20 Alle seine Tage wird der Gesetzlose gequält, und eine kleine Zahl von Jahren ist dem Gewalttätigen aufgespart.

    21 Die Stimme von Schrecknissen ist in seinen Ohren, im Frieden kommt der Verwüster über ihn;

    22 er glaubt nicht an eine Rückkehr aus der Finsternis, und er ist ausersehen für das Schwert.

    23 Er schweift umher nach Brot – wo es finden? Er weiß, dass neben ihm ein Tag der Finsternis bereitet ist.

    24 Angst und Bedrängnis schrecken ihn, sie überwältigen ihn wie ein König, gerüstet zum Sturm.

     

    Eliphas behauptet hier Dinge, die durch die Tatsachen vielfach widerlegt werden. Es ist nicht wahr, dass den Gewalttätigen »eine kleine Zahl von Jahren aufgespart« sein muss. Wir lesen vom exemplarischen Greuelkönig Manasse, dass er 52 Jahre regierte, während der vorbildliche König Josia, der in der Radikalität der Buße zu Gott und zu seinem Wort einmalig ist, als junger Mann in der Schlacht fiel. Eliphas hat auch diese falsche Behauptung schon einmal aufgestellt (4,7), und dort erinnerten wir an den gottlosen Kain, der lange Jahre lebte, erfolgreich wirtschaftete und eine ansehnliche Nachkommenschaft hinterließ, während der gerechte Abel in seiner Jugend hinweggerafft wurde. Kain und seine Söhne bauten eine Stadt, waren tüchtige Handwerker und Viehzüchter, Sänger und Dichter. Sie schweiften sicher nicht »umher nach Brot«,  und es wird niemand behaupten, sie seien  »nicht reich« geworden und ihr Vermögen haben »keinen Bestand« gehabt. Er hielt während mehrerer Generationen vor.

     

    25 Weil er seine Hand wider Gott ausgestreckt hat und wider den Allmächtigen trotzte,

    26 wider ihn anrannte mit gerecktem Halse, mit den dichten Buckeln seiner Schilde;

     

    Mit dem Gesetzlosen, der »wider den Allmächtigen trotzte« und »wider ihn anrannte«, meint Eliphas natürlich Hiob. Gott habe zu Hiob geredet durch die eindringlichen Worte seiner Freunde, aber er verhärte sich nur dagegen.

     

    27 weil er sein Angesicht bedeckt hat mit seinem Fette und Schmer angesetzt an den Lenden;

     

    Hier gibt Eliphas zu verstehen, die Wohlfahrt, die Gott dem Hiob geschenkt hatte, habe ihn verleitet, gegen Gott so frech zu werden. Das ist wiederum ein wohl plazierter Tiefschlag. Denn Hiob war jemand, der bei aller Wohlfahrt Gott fürchtete (1,1,8; 2,3) und es Gottes Güte zuschrieb, dass es ihm so gut ging (29,2–6).

     

    28 und zerstörte Städte bewohnte, Häuser, die nicht bewohnt werden sollten, die zu Steinhaufen bestimmt waren:

    29 so wird er nicht reich werden, und sein Vermögen wird keinen Bestand haben; und nicht neigt sich zur Erde, was solche besitzen.

    30 Er entweicht nicht der Finsternis; seine Schößlinge versengt die Flamme; und er muss weichen durch den Hauch seines Mundes.

    31 Er verlasse sich nicht auf Nichtiges, er wird getäuscht; denn Nichtiges wird seine Vergeltung sein.

    32 Noch ist sein Tag nicht da, so erfüllt es sich; und sein Palmzweig wird nicht grün.

    33 Wie der Weinstock übt er Unbill an seinen unreifen Beeren, und wie der Olivenbaum wirft er seine Blüte ab.

    34 Denn der Hausstand des Ruchlosen ist unfruchtbar, und Feuer frisst die Zelte der Bestechung.

    35 Sie sind schwanger mit Mühsal und gebären Unheil, und ihr Inneres bereitet Trug.

     

    Mit diesen Worten übertrifft Eliphas an Bitterkeit alles, was er bisher gesagt hat:

    Die V. 29 und 30 beschreiben ziemlich unverhüllt den Zustand Hiobs, und damit sagt Eliphas ganz deutlich, dass er an Hiobs Schicksal ablesen könne, dass er ein Gottloser ist. Hiob soll also alles hier Gesagte auf sich anwenden: Hiob habe seine Hand gegen Gott ausgestreckt, sei gegen Gott angerannt, weil dieser Ihm Fettigkeit gewährt hatte (V. 25–27), er habe sich auf »Nichtiges« verlassen (V.31), daher sei sein blühender Hausstand vor der Zeit untergegangen (Vv. 32–34): Während er von außen gerecht erscheine, trage er in seinem Busen Frevel: er sei er »schwanger mit Mühsal«, und während er mit seinen Worten gerecht erscheine, bereite sein »Inneres Trug«.

               

     

    Hiob weist Eliphas zweite Rede Zurück  16 & 17

     

    Hiob antwortet auf die Beschuldigungen Eliphas mit zweierlei: Erstens, dass er nicht schuldig ist, und zweitens, dass Gott mit seinen Geschöpfen verfahren darf, wie Er will, dass Er auch dem Gerechten zum Feind werden kann.  Dabei ist seine Antwort im Ton nicht anders, als Eliphas zweite Rede erwarten lässt. Hiob ist gebissen worden, und jetzt  beißt er seine Freunde teilweise mit den gleichen Worten zurück (15,2 Æ 16,3; 15,9 Æ 16,2; 15,30 Æ 17,5). Er beklagt sich zunächst über seine Freunde, dann klagt er vor Gott, der sich wie ein Feind gegen ihn gewandt habe. Dennoch ruft er Gott zum Zeugen und Richter an. Wie in seiner ersten Klage sieht er im Tod die einzige Befreiung aus seiner gegenwärtigen Not. Wir können die Rede in folgende Abschnitte unterteilen:

     

    1. Hiob schimpft seine Freunde leidige Tröster  16,1–5

    2. Hiob klagt, dass Gott sein Feind geworden sei  16,6–17

    3. Hiob ruft Gott zum Richter an   16,18–17,10

    4. Hiob sieht keine andere Hoffnung mehr als das Grab  17,11–16

     

     

    Kapitel 16

     

    1. Hiob schimpft seine Freunde leidige Tröster  16,1–5

     

    1 Und Hiob antwortete und sprach:

    2 Ich habe vieles dergleichen gehört; leidige Tröster seid ihr alle!

    3 Hat es ein Ende mit den windigen Worten? Oder was reizt dich, dass du antwortest?

     

    »Ich habe vieles dergleichen gehört«: Wen kann es wundern, dass Hiob auf die zuletzt vernommenen Worte so ungehalten antwortet? Sie waren beleidigend, trafen daneben und halfen niemanden. »Leidige Tröster« waren sie alle. Es gereicht freilich auch ihm nicht zur Ehre, dass er Böses mit Bösem, Scheltwort mit Scheltwort vergilt (vgl. 1Pet 3,9).

     

    4 Auch ich könnte reden wie ihr. Wenn eure Seele an der Stelle meiner Seele wäre, könnte ich Worte gegen euch zusammenreihen, und den Kopf über euch schütteln;

    5 ich wollte euch stärken mit meinem Munde, und das Beileid meiner Lippen würde euch Linderung bringen.

     

    »Auch ich könnte...ich wollte«: Wie voll ist hier der Knecht Gottes von sich selbst. Es ist ein würdeloser Anblick, den der Diener des Herrn hier bietet, wenn er sich mit seinen Freunden vergleicht, die ihn beleidigen, um ihnen entgegenzuhalten, es sei wahrlich keine Kunst, aus ihrer Position so groß zu reden wie sie es tun; er könnte das auch, er würde es aber unterlassen und es besser machen als sie: Er würde sie trösten, statt sie so schmählich zu behandeln wie sie ihn.

     

    2. Hiob klagt, dass Gott sein Feind geworden sei  16,6–17

     

    Kaum hat Hiob seinen Freunden gezeigt, wie sehr er ihre Ratschläge verachtet, klagt er wiederum in ergreifenden Worten über sein Elend. Die V. 10–17 gehören zu den erschütterndsten Klagen in der ganzen Bibel. Hier beschreibt Hiob ein Leiden, das dem Leiden des Herrn in vielem nahekommt. Manche Ausdrücke könnten geradezu Weissagungen auf die Leiden Christi sein.

     

    6 Wenn ich rede, so wird mein Schmerz nicht gehemmt; und unterlasse ich es, nicht weicht er von mir.

     

    Hiob sagt, er könne tun, was er wolle: Stumm sich in sein Leid schicken oder über sein Leid klagen, es sei einerlei: »Mein Schmerz wird nicht gehemmt.«

     

    7 Ja, bereits hat er mich erschöpft; – du hast meinen ganzen Hausstand verwüstet.

    8 Und du hast mich zusammenschrumpfen lassen, zum Zeugen ward es; und meine Abmagerung tritt wider mich auf, sie zeugt mir ins Angesicht.

     

    In V. 7 hatte er über Gott gesprochen (»er«), nun wendet er sich direkt an ihn: »Du hast mich zusammenschrumpfen lassen.« Im nachfolgenden Vers spricht er wieder über Gott in der 3. Person. Seine »Abmagerung« ist wie ein falscher Zeuge, der sich gegen ihn wendet. Aber eigentlich sind es die Freunde, die die falschen Zeugen sind. Sie nützen Hiobs jämmerlichen Zustand aus, um ihn als ein Indiz gegen ihn zu wenden. Das muss Hiob furchtbar wehtun.

     

    9 Sein Zorn hat mich zerfleischt und verfolgt, er hat mit seinen Zähnen wider mich geknirscht; als mein Feind schärft er seine Augen wider mich.

     

    In 13,24 hatte Hiob gesagt, Gott halte ihn für Seinen Feind. Nun ist er einen Schritt weiter gegangen und behauptet, Gott sei Ihm zum Feind geworden. Hier irrt Hiob: Gott ist nicht sein Feind, er ist vielmehr sein einziger wahrer Freund, der von Anfang an nur seinen Segen im Auge hat.

                Aber darin hat Hiob Recht, dass ihm sein Leiden von Gott verhängt ist. Nicht seine Sünde, nicht unglückliche Umstände, nicht ein Feind, sondern Gott selbst ist es, der ihn niedergerissen hat. So paradox es scheinen mag, darin sieht Hiob Licht. Denn: Wenn alles Glück ehemals von Gott kam, und wenn alles Unglück von Gott kommt, dann kann Gott auch alles wenden.

     

    10 Ihr Maul haben sie wider mich aufgesperrt, mit Hohn meine Backen geschlagen; allzumal verstärken sie sich wider mich.

     

    Hiobs Tröster hatten ihr Maul gegen ihn aufgesperrt; ihr Hohn hatte ihn wie Schläge auf seine Wangen getroffen. Man vergleiche damit das Leiden des Herrn (Ps 22,8; Mt 26,).

     

    11 Gott gab mich preis dem Ungerechten, und in die Hände der Gesetzlosen stürzte er mich.

     

    In 9,24 hatte Hiob erklärt: »Die Erde ist in die Hand des Gesetzlosen gegeben.« Hier führt er den Gedanken fort und sagt, Gott haben ihn dem Ungerechten preisgegeben. Wir verstehen, dass Hiob darüber laut klagt; was wir nicht begreifen können, ist dass unser Herr Seinen Feinden ausgeliefert wurde und dabei nicht protestierte.

     

    12 Ich war in Ruhe, und er hat mich zerrüttelt, und er packte mich beim Nacken und zerschmetterte mich; und er stellte mich hin sich zur Zielscheibe.

    13 Seine Schützen umringten mich, er spaltete meine Nieren ohne Schonung; er schüttete meine Galle zur Erde.

    14 Er durchbrach mich, Bruch auf Bruch; er rannte wider mich, wie ein Held.

     

    Eliphas hatte behauptet, Hiob renne gegen Gott an (15,13.26). Dem hält Hiob entgegen, dass nicht er gegen Gott, sondern das Gott gegen ihn angerannt sei. Das ist zwar eine gute Antwort auf das böse Wort Eliphas´, wie es denn stimmt, dass es Gott ist, der Hiob niedergeworfen hat. Nur hat er das nicht getan, weil Er Hiobs Feind, sondern weil Er Hiobs Freund ist.

     

    15 Ich habe Sacktuch über meine Haut genäht, und mit Staub mein Horn besudelt.

    16 Mein Angesicht glüht vom Weinen, und auf meinen Wimpern ist der Schatten des Todes-

    17 obwohl keine Gewalttat in meinen Händen, und mein Gebet lauter ist.

     

    »obwohl mein Gebet lauter ist«:  Hiob hat nicht Sünde verborgen, während er seine Hände zu Gott ausbreitet (cf Jes 1,15). Darum ist sein Gebet nicht geheuchelt, wie seine Freunde ihm unterstellen. Und doch ist sein Gebet auch nicht lauter; denn Hiob irrt in seinem Urteil über Gott (siehe V. 9). Wie könnte sein Gebet lauter sein, da er doch Gott anklagt und sich selbst mehr rechtfertigen will als Gott (siehe 32,2)? Ein lauteres Gebet will Gott ehren und sucht nichts Eigenes.

     

    3. Hiob ruft Gott zum Richter an   16,18–17,10

     

    18 Erde, bedecke nicht mein Blut, und für mein Geschrei sei kein Platz!

    19 Sogar jetzt, siehe, im Himmel ist mein Zeuge, und der mir Zeugnis gibt, in den Höhen.

     

    Die Zeugen auf der Erde haben sich als falsche Zeugen erwiesen (siehe V. ). Das zwingt Hiob, auf den Zeugen »im Himmel« seine Hoffnung zu setzen; denn »der Zeuge in den Wolken ist treu« (Ps 89,38).

     

    20 Meine Freunde sind meine Spötter: zu Gott tränt mein Auge,

     

    Dass »meine Freunde meine Spötter« sind, tut viel mehr weh, als wenn irgend jemand spottet (siehe Ps 41,10; 55,13–15).

     

    21 dass er schiedsrichterlich entscheide Gott gegenüber für einen Mann, und für einen Menschensohn hinsichtlich seines Freundes.

    22 Denn die zählbaren Jahre gehen vorüber, und ich werde einen Weg dahingehen, auf dem ich nicht wiederkehren werde.

     

    Wir staunen, dass Hiob bei aller Erschütterung darüber, dass Gott sein Feind geworden sei, Ihn dennoch als Zeugen und Schiedsrichter aufruft. Das zeigt, dass beim Heiligen sein Glaube an Gott nicht aufhören kann. Wir hatten das schon in Kap 9 gesehen. Hiobs Verstand sagt ihm, dass er von Gott keinen Freispruch und darum auch keine Hilfe erwarten könne; aber Hiobs Herz sagt ihm, dass Gott ihn nicht endgültig fallen lassen könne. Hiob weiß –  wenn er auch nicht weiß wie – , dass Gott der Einzige ist, der für ihn sein kann. Er wird es noch erfahren, dass Gott wirklich die ganze Zeit für ihn war, und Gott wird tatsächlich richterlich entscheiden, indem er Hiob vor seinen Freunden rechtfertigt und diese zurechtweist (42,7,8).

     

     

     

    Kapitel 17

     

    1 Mein Geist ist verstört, meine Tage erlöschen, die Gräber sind für mich.

    2 Sind nicht Spöttereien um mich her, und muss nicht mein Auge weilen auf ihren Beleidigungen?

     

     

    3 Setze doch ein, leiste Bürgschaft für mich bei dir selbst! Wer ist es sonst, der in meine Hand einschlagen wird?

     

     »Leiste Bürgschaft für mich bei dir selbst«: Die Bitte lässt uns an Hiskias Bitte denken, zu der ihn seine Todesnot trieb: »Wie eine Schwalbe, wie ein Kranich, so klagte ich; ich girrte wie die Taube. Schmachtend blickten meine Augen zur Höhe: O Herr, mir ist bange! Tritt als Bürge für mich ein!« (Jes 38,14). Gott Selbst soll unser Bürge werden? Ja, Er wird es; er muss es werden, sollen wir bleibende Errettung erfahren. Das sagt uns der Hebräerbrief: »...insofern ist Jesus eines besseren Bundes Bürge geworden« (Heb 7,22).

    Wenn aber erst die Not Hiob lehren konnte, dass er einen Bürgen braucht, und wenn erst die besondere Not hilfloser Helfer und leidiger Tröster ihn zeigen konnte, dass er einen besseren als bloß menschlichen Mittler braucht, dann war alle Not gut. Oder wiegt diese Erkenntnis nicht alles Leid um ein mehrfaches auf?

     

    4 Denn ihre Herzen hast du der Einsicht verschlossen; darum wirst du ihnen nicht die Oberhand geben.

    5 Wenn einer die Freunde zur Beute ausbietet, so werden die Augen seiner Kinder verschmachten.

     

    Eliphas hatte wie vor ihm schon Bildad (8,4) dem Hiob indirekt gesagt, dass seine Kinder als Strafe für seine Gottlosigkeit umbekommen seien (15,30.33.34). Darauf entgegnet Hiob, Gott werde vielmehr dem die Kinder wegnehmen, der einen Freund verrät.

     

     

     

    4. Hiob sieht keine  andere Hoffnung mehr als das Grab  17,11–16

     

    Eliphas hatte gesagt, der Tod komme ungewünscht und unverhofft über den Gottlosen und reiße ihn aus seinem kurzlebigen Glück heraus (15,21). Dem entgegnet Hiob, dass der Tod ihm weder ungewünscht noch unverhofft, sondern vielmehr wie ein Befreier kommt, der ihm Ruhe gibt (V. 16). Damit kehrt Hiob zu seiner früheren Einschätzung des Todes zurück (Kap 3).

     

    11 Meine Tage sind vorüber, zerrissen sind meine Pläne, das Eigentum meines Herzens.

     

    Wie weh tut es dem Mann, wenn er sehen muss  dass seine Pläne zerrissen worden sind. Sie sind das Eigentum seines Herzens, sie sind ein Stück von ihm. Aber zerreißt Gott nicht Hiobs Pläne, weil Er mit Hiob andere Pläne hat? Und ist das, was Gott sich für Hiob vorgesetzt hat, nicht unendlich höher als alles, was Hiob sich hat wünschen können? Glückselig der Mann, dem Gott seine Pläne zerreißt! Glückseliger Tag, an dem das Eigentum seines Herzens ihm genommen wurde. Glückselig der Mann, der die Anfechtung erduldet, der Gottes Erziehung nicht verachtet und Seine Züchtigung nicht verwirft, die nichts anderes will, als was sie mit Hiob tat.

     

    12 Die Nacht machen sie zum Tage, das Licht gleich der Finsternis.

    13 Wenn ich hoffe, so ist das Totenreich mein Haus, in der Finsternis bette ich mein Lager.

    14 Zur Verwesung rufe ich: Du bist mein Vater! zum Gewürm: Meine Mutter und meine Schwester!

    15 Wo denn also ist meine Hoffnung? Ja, meine Hoffnung, wer wird sie schauen?

    16 Sie fährt hinab zu den Riegeln des Totenreichs, wenn wir miteinander im Staube Ruhe haben.

     

     

     

    Kapitel 18

     

    Bildads zweite Rede

     

    1. Bildad greift Hiob an  18,1–4

    2. Der Gottlosen kann der Strafe nicht entkommen  18,5–20

    3. Anwendung auf Hiob  18,21

     

    Es ist wiederum Bildad, der Hiob am offensten angreift. Er zählt in diesem Kapitel alle Flüche Gottes auf, die über den Gottlosen (V. 5) verhängt sind. Damit sagt er unmissverständlich, dass er Hiob als einen Verworfenen ansieht. Er nennt ihn jemanden, »der Gott nicht kennt« (V. 21). Auch er weiß gegenüber seiner ersten Rede nichts Wesentlich Neues zu sagen. Wie dort spricht er hier vom Ende der Gottlosen und verwendet dabei ähnliche Vergleiche (vgl. Vv. 16–17 mit 8,16–18); wie unbeweglich er an seinen Vorurteilen festhält, zeigt sich in der gleich bleibenden Wortwahl. Die erste wie die zweite Rede beginnt er mit der gleichen Frage: »Wie lange...?» (8,2; 18,2). Sehen wir uns einige dieser Flüche an, dann merken wir bald, wie er mit seinen Worten mit  großer Wucht danebenhaut. »Das Licht der Gesetzlosen wird erlöschen« (V. 5). Hiob hat noch immer Licht, und er wird bald wieder ins helle Licht Gottes treten. Es wird ihn noch nicht »zum König der Schrecken« treiben (V. 14), sondern er wird noch lange, sehr lange leben. Und sein Gedächtnis wird erst recht nicht von der Erde verschwinden (V. 17). Der Name Hiob ist einer der bekanntesten Namen der ganzen Menschheitsgeschichte geworden und geblieben. Sein Name ist der einzige, der uns aus dem Buch, das wir studieren, geläufig ist. Die Namen der drei Freunde kennt nur der aufmerksame Bibelleser. Es ist auch der einzige Name, der in späteren biblischen Büchern erwähnt wird (Hes 14,14; Jak 5,11). Hiob wird nicht ohne Sohn und Nachkommen bleiben (V. 19), und über seinen Tag erfasst uns wahrlich nicht Schauder (V. 20), sondern im Gegenteil: Er ist uns ein großes Vorbild des Ausharrens im Leiden und eine Ermunterung, auf das vom Herrn bestimmte Ende zu hoffen. So verwünschen wir ihn und sein Geschickt nicht, sondern wir preisen ihn glückselig (Jak 5,11).

     

     

    1. Bildad greift Hiob an  18,1–4

     

    1 Und Baldig, der Schuchiter, antwortete und sprach:

    2 Wie lange wollt ihr auf Worte Jagd machen? Werdet verständig, und hernach wollen wir reden!

     

    Bildad zeigt seine Verärgerung über die Worte, die Hiob an Eliphas gerichtet hatte, indem er ihm Gleiches mit Gleichem beantwortet, wie ein Vergleich mit 16,3 zeigt.

     

    3 Warum werden wir dem Vieh gleich geachtet, sind dumm in euren Augen?

     

    Bildad findet, Hiob stelle seine Freunde wie dummes Vieh dar. Offensichtlich hat er vergessen, dass Zophar Hiob mit einem Eselsfüllen verglichen hatte (11,12).

     

    4 Du, der sich selbst zerfleischt in seinem Zorn, soll um deinetwillen die Erde verlassen werden, und ein Fels wegrücken von seiner Stelle?

     

    Hiob mag protestieren wie er will, die unverrückbaren Gesetze der göttlichen Regierung würde er nicht ändern können, oder meint er, um seinetwegen werde »ein Fels wegrücken von seiner Stelle?«

     

     

    2. Der Gottlosen kann der Strafe nicht entkommen  18,5–20

     

    5 Doch das Licht der Gesetzlosen wird erlöschen, und nicht leuchten wird die Flamme seines Feuers.

    6 Das Licht wird finster in seinem Zelte, und seine Lampe erlischt über ihm.

    7 Seine kräftigen Schritte werden eingeengt werden, und sein Ratschlag wird ihn stürzen.

    8 Denn durch seine eigenen Füße wird er ins Netz getrieben, und auf Fallgittern wird er einherwandeln.

     

    Der Gottlose hat kein Licht, das ihn und seinen Weg erleuchtet. Da mögen seine Schritte noch so kräftig sein, aber er wird nicht vorankommen, sondern »eingeengt werden«, und am Ende wird er erfahren, dass »sein Ratschlag ihn stürzen« wird, da er keinen guten Rat hatte gelten lassen (vgl. Ps 107,10.11). »Durch seine eigenen Füße«, also selbstverschuldet rennt er ins Unglück.

     

    9 Der Fallstrick wird seine Ferse erfassen, die Schlinge ihn ergreifen.

    10 Sein Garn ist verborgen in der Erde, und seine Falle auf dem Pfade.

     

    Da der Gottlose allen guten Rat und damit das Licht verworfen hat, wird »der Fallstrick ... die Schlinge ... sein Garn« nach ihm schnappen. Er kann ihnen nicht entgehen, da er ja nichts sieht.

     

    11 Schrecken ängstigen ihn ringsum und scheuchen ihn auf Schritt und Tritt.

    12 Seine Kraft wird aufgezehrt werden durch Hunger, und das Verderben steht bereit an seiner Seite.

    13 Der Erstgeborene des Todes wird fressen die Glieder seines Leibes, seine Glieder wird er fressen.

    14 Seine Zuversicht wird hinweggerissen werden aus seinem Zelte, und es wird ihn forttreiben zum König der Schrecken.

     

    Weil er in der Finsternis wandelt, werden »Schrecken ihn ängstigen ringsum«, seine falsche »Zuversicht wird hinweggerissen«, und am Ende wird er fortgehen müssen »zum König der Schrecken«.

     

    15 Was nicht sein ist, wird in seinem Zelte wohnen, auf seine Wohnstätte wird Schwefel gestreut werden.

    16 Unten werden seine Wurzeln verdorren, und oben wird sein Gezweig verwelken.

    17 Sein Gedächtnis verschwindet von der Erde, und auf der Fläche des Landes hat er keinen Namen.

    18 Man wird ihn aus dem Licht in die Finsternis stoßen, und aus der Welt ihn verjagen.

    19 Er wird keinen Sohn und keinen Nachkommen haben unter seinem Volke, noch wird ein Entronnener in seinen Wohnsitzen sein.

     

    Schließlich würde vom Gottlosen nichts mehr auf der Erde zurückbleiben, kein Besitz, keine Frucht, keine Nachkommen. »Sein Gedächtnis verschwindet von der Erde« (vgl. Spr 10,7).

                Kein einziger der Flüche, die Bildad aufgezählt hatte, würde Hiob treffen, denn: »Wie der Sperling hin und her flattert, wie die Schwalbe wegfliegt, so ein unverdienter Fluch: er trifft nicht ein« (Spr 26,2).

    Ja, Hiob hatte »keinen Sohn und keinen Nachkommen« mehr, aber Gott würde ihm wieder Söhne und Nachkommen geben (42,13).

     

     

    3. Anwendung auf Hiob  18,21

     

    21 Ja, so sind die Wohnungen des Ungerechten, und so ist die Stätte dessen, der Gott nicht kennt.

     

    Die Beschreibung vom Schicksal des Gottlosen ist dem äußeren Ergehen Hiobs so ähnlich, dass er nicht übersehen konnte, wen Bildad die ganze Zeit im Auge hatte.

     

     

    Kapitel 19

     

    Hiob weist Bildads zweite Rede zurück

     

    1. Hiob klagt über das Unrecht, das seine Freunde ihm antun 19,1-4

    2. Hiob beteuert, dass Gott ihn grundlos wie einen Feind behandle  19,5–20

    3. Hiob fleht seine Freunde um Verständnis an  19,21.22

    4. Hiob appelliert an das Urteil nachkommender Geschlechter  19,23.24

    5. Hiob findet seinen einzigen Trost in der Hoffnung der Auferstehung  19,25–27

    5. Hiob warnt seine Freunde  19,28.29

     

    In der dritten Antwort dieser zweiten Runde zeigt Hiob ein wenig Zurückhaltung.

    Er greift seine Freunde diesmal nicht mit beißenden Bemerkungen an, fragt sie aber noch immer vorwurfsvoll, warum sie ihn denn fortwährend plagen statt ihm zu helfen (Vv. 1–4). Allerdings ist das eine sehr verständliche Reaktion auf den massiven Angriff, den Bildad eben gegen ihn geritten hatte. Darauf wiederholt er seine Beteuerung, dass Gott ihn aus unerfindlichen Gründen heimsuche; dass Gottes Hand sich gegen ihn gewandt habe, ohne dass er dafür eine Ursache weiß (Vv. 5–20). Er fleht seine Freunde angesichts seiner Not noch einmal um Barmherzigkeit an (Vv. 21,22) und bringt gleichzeitig seine Erwartung zum Ausdruck, dass nachkommende Geschlechter ihn besser verstehen und ihm Recht geben würden (Vv. 23,24). Schließlich weicht die Decke der Finsternis für einen Augenblick vom geplagten Gottesknecht, und ihm wird eine äußerst trostreiche Sicht gewährt von der kommenden Regierung seines Gottes und Retters und seiner eigenen Auferstehung zum Leben (Vv. 25–27). Zum Schluss warnt Hiob seine Freunde vor der göttlichen Strafe, die sie gewärtigen müssen, wenn sie Hiob weiterhin solches Unrecht antun.

     

    1. Hiob klagt über das Unrecht, das seine Freunde ihm antun 19,1-4

     

    1 Und Hiob antwortete und sprach:

    2 Wie lange wollt ihr meine Seele plagen und mich mit Worten zermalmen?

     

    Wir verstehen Hiob nur zu gut. Sein Leiden ist so groß, sein Leiden ist unverschuldet, und sein Leiden ist ganz unerwartet über ihn gekommen – und seine Freunde können ihn mit ihren Worten nur »Plagen und...zermalmen«. Seine schon unmenschliche Pein wird dadurch nur größer. Und dennoch empfinden wir es als beklemmend, einem Knecht Gottes zuhören zu müssen, wenn er sich darüber beklagt, dass man ihn schlecht behandle und dass ihm unrecht geschehe. Wir haben das Beispiel unseres Herrn gesehen, der Tieferes litt als ein Mensch je gelitten hat, dem größeres Unrecht geschah, als je einem Menschen geschehen ist, der von größerem Unverstand umgeben wurde, als es selbst ein Hiob war. Und doch klagte Er nicht, doch schalt Er nicht, doch drohte Er nicht. Wie wenig gleichen wir unserem Meister (1Pet 2,21–24)!

     

    3 Schon zehnmal ist es, dass ihr mich geschmäht habt; ihr schämet euch nicht, mich zu verletzen.

    4 Und habe ich auch wirklich geirrt, so bleibt doch mein Irrtum bei mir.

     

    Hiob hat Recht: Seine Freunde haben ihn laufend geschmäht. Wir verstehen, dass er lieber hätte, sie würden ihre Kommentare ganz einstellen. Schließlich ist es ja sein Irrtum, wenn er »wirklich geirrt« haben sollte. Damit verbittet er sich alle weiteren Unterstellungen durch seine Freunde. Diese lassen indes nicht so schnell locker. Es werden alle drei der Reihe nach noch etwas zu melden haben, bevor sie endlich aufgeben.

     

     

    2. Hiob beteuert, dass Gott ihn grundlos wie einen Feind behandle 19,5–20

     

    In den V. 7–12 beschreibt Hiob, wie Gott sich gegen ihn gewandt hat, und, als ob das nicht genug wäre, muss er auch erfahren, wie alle Verwandten, Bekannten und Hausangestellte sich von ihm entfernen. Davon spricht er in den V. 13–20. So steht der Knecht des Herrn da, von Gott und Menschen verlassen, allein mit seinem Leiden und mit seinem Kummer.

     

    Bildad hatte in seiner letzten Rede die Strafe der Gottlosen mit den lebendigsten Vergleichen geschildert, und Hiob hatte wohl gemerkt, dass sich sein Zustand äußerlich genau mit dem der Gottlosen traf. Darum beteuert er mit solchem Nachdruck, dass es Gott ist, der ihn mit seinen Schlägen heimgesucht hat: Gott hat ihn gebeugt (V. 6), Er hat seinen Weg verzäunt, Er hat Finsternis über seinen Weg verhängt (V. 7; vgl. 18,18); Er hat seine Hoffnung ausgerissen (V. 10; vgl. 18,14). Darum haben alle Angehörigen ihn vergessen (V. 14; vgl. 18,17).

     

    5 Wenn ihr wirklich wider mich großtun wollt, und wider mich dartun meine Schmach,

    6 so wisset denn, dass Gott mich gebeugt und mich umstellt hat mit seinem Netze.

     

    »...dass Gott mich gebeugt hat«: Hier antwortet Hiob auf eine Frage, die Bildad in seiner ersten Rede gestellt hatte: »Sollte der Allmächtige den Gerechten beugen?« Ja, Gott tut das wirklich. Er legt manchmal Seine Hand schwer auf uns, auch wenn wir keinen Anlass dafür sehen können.

     

    7 Siehe, ich schreie über Gewalttat, und werde nicht erhört; ich rufe um Hilfe, und da ist kein Recht.

     

    8 Er hat meinen Weg verzäunt, dass ich nicht hinüber kann, und auf meine Pfade legte er Finsternis.

     

    »Er hat meinen Weg verzäunt«: Ja, in der Tat: Gott hat Hiobs Weg verzäunt, wie er schon in 3,23 und 12,14 geklagt hatte. Gott tat das, um Hiob zu segnen; später tat er das gleiche mit Israel, um sein Volk daran zu hindern, beständig der Sünde zu dienen und den falschen Göttern nachzulaufen (Hos

     

    9 Meine Ehre hat er mir ausgezogen, und weggenommen die Krone meines Hauptes.

     

    »Meine Ehre hat er mir ausgezogen«: Gott zieht uns unsere menschliche Ehre aus, so sehr wir das beklagen mögen, während wir uns im Unglück finden, und so wehr wir uns, während wir im Kot liegen nach den Tagen sehnen mögen, da wir bei den Leuten im Ansehen standen (siehe 29,2 bis 30,1). Danach aber beklagen wir diesen Umstand nicht; denn Seine Absicht ist keine geringere als diese: Er will uns zu Seiner eigenen Herrlichkeit führen (1Thes 2,13); Er gibt uns die Herrlichkeit Seines Sohnes (Joh 17,).

     

    »und weggenommen die Krone meines Hauptes«: Er hat es getan, weil er uns eine Krone unvergänglicher Ehre aufsetzen will. Wie verkehrt sind wir! Wir protestieren jetzt dagegen, dass Gott uns eine Krone wegnimmt, die nicht viel wert ist und die wir ohnehin verlieren müssen. Einst werden wir eine Krone, die unendlich höheren Wert hat, willig vom Haupt werfen und nichts anderes wollen, als dass dem, der auf dem Thron sitzt, alle Ehre wird.

                Gott hat wie Hiob so dem Menschen insgesamt die Königwürde weggenommen, dies aber mit der Absicht, ihm am Ende eine höhere Königswürde zu geben; siehe Off 5,10; 20,6; 22,5. (cf auch 29,25).

     

    10 Er hat mich niedergerissen ringsum, so dass ich vergehe, und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum.

     

    »Er hat mich niedergerissen ringum«: Ja, er reißt uns nieder, um uns aufzubauen. Er nimmt uns das vergängliche Leben, um und ewiges Leben zu geben

     

    »und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum«: An stelle des Baumes eitler Hoffnung hat er uns die Hoffnung der Herrlichkeit gegeben.

     

    11 Und seinen Zorn ließ er wider mich entbrennen, und achtete mich seinen Feinden gleich.

     

    Nachdem Hiob in 16,9 gesagt hat, Gott sei ihm ein Feind, behauptet er nun erneut, wie in 13,24 schon, er sei ein Feind Gottes. Nein, er ist ein Freund und Geliebter Gottes. Wie kommt Hiob dazu, so verkehrt über Gott und über Gottes Handeln zu urteilen? Er urteilt nicht nach dem Glauben, sondern nach dem, was er sieht.

     

    12 Allzumal kamen seine Scharen und bahnten ihren Weg wider mich, und lagerten sich rings um mein Zelt.

     

    13 Meine Brüder hat er von mir entfernt, und meine Bekannten sind mir ganz entfremdet.

    14 Meine Verwandten bleiben aus, und meine Vertrauten haben mich vergessen.

    15 Meine Hausgenossen und meine Mägde achten mich für einen Fremden; ein Ausländer bin ich in ihren Augen geworden.

    16 Meinem Knechte rufe ich, und er antwortet nicht; mit meinem Munde muss ich zu ihm flehen.

    17 Mein Atem ist meinem Weibe zuwider, und mein Flehen den Kindern meiner Mutter.

    18 Selbst Buben verachten mich; will ich aufstehen, so reden sie über mich.

     

    19 Alle meine Vertrauten verabscheuen mich, und die ich liebte, haben sich gegen mich gekehrt.

     

    »und die ich liebte, haben sich gegen mich gekehrt«: Wir verstehen, wie das Hiob wehtat, denn wir können wirklich glauben, dass Hiob nicht nur seine Kinder, sondern auch seine Knechte und Mägde liebte, ganz zu schweigen von seiner Frau. Und sie hatten sich gegen ihn gekehrt. Während Hiob diese Worte ausspricht, denkt er nicht daran, dass er Gott genüber genau das tut, was er an seinen Hausgenossen beklagt. Es liebt niemand den Hiob so sehr wie Gott, und Hiob hat sich gegen den gekehrt, der ihn so liebt.

     

    20 Mein Gebein klebt an meiner Haut und an meinem Fleisch, und nur mit der Haut meiner Zähne bin ich entronnen.

     

     

     

    3. Hiob fleht seine Freunde um Verständnis an  19,21.22

     

    21 Erbarmt euch meiner, erbarmt euch meiner, ihr meine Freunde! Denn die Hand Gottes hat mich angetastet.

     

    Wenn die Freunde nur bedenken könnten, was Hiob erlitten hat: Gott hat ihn erniedrigt (V. 6), und Hiob weiß nicht warum; seine Angehörigen und seine Diener haben ihm den Rücken zugedreht. Hätten nicht sie wenigstens Hiob schonen können? Warum haben sie kein Erbarmen mit ihm?

     

    22 Warum verfolgte ihr mich wie Gott, und werdet meines Fleisches nicht satt?

     

    Hiob versteht nicht, warum seine Freunde ihn »verfolgen wie Gott«, d. h. so wie Gott ihn verfolgt. Natürlich stößt er mit seiner Klage auf taube Ohren, denn die Freunde denken ja, Gott strafe Hiob zu Recht, und daher meinen sie, dass sie Hiob mit ihren Anklagen einen Dienst erweisen. Sie können gar nicht verstehen, dass Hiob sich so bockig stellt, und schon gar nicht, dass er ihre wohlmeinende Hilfe als Feindschaft auslegt.

     

     

    4. Hiob appelliert an das Urteil nachkommender Geschlechter  19,23.24

     

    23 O dass doch meine Worte aufgeschrieben würden! O dass sie in ein Buch gezeichnet würden,

    24 mit eisernem Griffel und Blei in den Felsen eingehauen auf ewig!

     

    Dieser Wunsch Hiobs ist in Erfüllung gegangen. Seine Worte sind aufgeschrieben worden und alle nachfolgenden Geschlechter haben sie lesen können. Hiob weiß, dass er unschuldig leidet, und er ahnt wohl inzwischen, dass seine Freunde es ihm nie glauben werden. Aber nachfolgende Geschlechter haben Hiobs Worte gelesen, und sie erkennen Hiobs Unschuld.

     

     

    5. Hiob findet seinen einzigen Trost in der Hoffnung der Auferstehung  19,25–27

    Hier bricht wieder ein heller Strahl von göttlichem Licht in Hiobs Dunkel. Gott lässt ihn etwas ahnen und erkennen von der Auferstehung zum ewigen Leben. Diese Ahnung genügt ihm, um gewiss daran glauben zu können.

     

    25 Und ich, ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er auf der Erde stehen;

    26 und ist nach meiner Haut dieses da zerstört, so werde ich aus meinem Fleische Gott anschauen,

    27 welchen ich selbst mir anschauen, und den meine Augen sehen werden, und kein anderer: meine Nieren verschmachten in meinem Innern.

     

    »Ich weiß«: Hiob ist in manchen Dingen ratlos, er sitzt im Dunkel und weiß den Ausweg nicht. Aber dieses eine weiß er: Sein Gott lebt, ja, »mein Erlöser lebt«. In allem Tod, der ihn umgibt, tröstet ihn dieses geheime Wissen, dass er sterben und dahingehen mag, sein Gott aber bleibt, und das sein Gott sein Erlöser ist. Wir sollten den Begriff »Erlöser« in seinem althebräischen Zusammehang betrachten. Der gô’êl war jemand, der nach dem Tod eines nahen Verwandten dessen Rechte auf Boden und Besitz wahrnahm und schützte. Hiob sagt also, dass nach seinem Tod jemand da sein wird, der das für ihn macht. Das aufregende an seiner Aussage ist nun, dass Gott selbst dieser Löser sein wird. Das ist ein ungeheuer kühner Gedanke, aber er ist nicht vermessen.

                Gott wird ihn erlösen aus der Macht des Todes. Hiobs »Haut« wird »zerstört« werden, aber er wird »Gott anschauen«. Er wird »aus (seinem) Fleische« auferstehen, und er wird den sehen, der ihn liebevoll gebildet und freundlich über ihm gewacht hat (10,9–12). Er wird den sehen, der das Lösegeld bereitgestellt und ihn aus der Grube erlöst hat (33,23.24).

                »Den meine Augen sehen werden und kein anderer«, das ist der persönliche Glaube an den persönlichen Herrn und Retter. Hier findet der angefochtene und unverstandene Gerechte seinen tiefsten Trost. Gott ist sein Gott. Paulus konnte sagen: »Christus, der mich geliebt hat und sich für mich dahingegeben hat« (Gal 2,20). Und sein Gott wird sein Recht und sein Erbe über das Grab hinaus wahrnehmen.

     

    5. Hiob warnt seine Freunde  19,28.29

     

    28 Wenn ihr saget: Wie wollen wir ihn verfolgen? und dass die Wurzel der Sache in mir sich befinde,

    29 so fürchtet euch vor dem Schwerte! Denn das Schwert ist der Grimm über die Missetaten; auf dass ihr wisset, dass ein Gericht ist.

     

    Hiob hat Recht, seine Freunde haben sich an ihn versündigt und müssten darum »das Schwert...den Grimm über die Missetaten« fürchten. Gott wird sie ihrer Sünde an Hiob überführen. Aber dann wird Er sie in Seiner Gnade auf das Opfer verweisen (42,7.8), das an ihrer Stelle unter »das Schwert« kam und damit  »den Grimm über die Missetaten«  auf sich nahm.

     

    Sprachliche Anmerkungen zu Kap 19,

    V. 6 Hier und beidemale in 8,3 steht für »beugen« das gleiche Verb ciwwêt, »krümmen«. Es kommt außer an den drei Stellen in Hiob nur mal vor: Ps 146,9; Prd 1,15; 7,13; 12,3; Kll 3,36; Am 8,5.

     

     

     

    Kapitel 20

     

    Zophars zweite Rede

     

    1. Zophar begründet seine zweite Antwort  20,1–3

    2. Zophar kündigt Hiob sein unentrinnbares Ende an  20,4–29

     

    Zophar setzt zu seiner letzten Rede an. Er lässt sich weder durch Hiobs Bitte um Barmherzigkeit (19,21.22) noch durch seine Warnung vor den Folgen ungerechten Urteilens (19,28.29) bewegen, sondern wiederholt seine vorher gemachte Behauptung, dass das Glück der Gottlosen trügerisch und kurz, ihr schlimmes Ende aber gewiss sei. Dabei ist seine Sprache noch härter, seine Logik noch unerbittlicher. Er beginnt seine Rede mit der Feststellung, dass es von Anbeginn festehe, dass das Glück der Gesetzlosen  nie lange wärt (Vv. 4,5). Sie können noch so hoch aufsteigen, sie werden dennoch fallen (Vv. 6–10); sie können das Böse noch so süß finden, es wird ihnen bitter werden (Vv. 12–17); sie können sich noch so großen Besitz aufgehäuft haben, sie müssen ihn hergeben (Vv. 18–22); sie können ihre Missetaten noch so gut verborgen haben, der Himmel wird sie enthüllen (V. 27).  Unterinnbares Gericht »ist das Teil des gesetzlosen Menschen von Gott« (Vv. 23–29). Damit sagt Zophar wiederum, Hiob sei ein solcher Gottloser, der nun seinem verdienten Ende entgegengehe. Er lässt ihm im Gegensatz zur Ersten Rede nicht einmal mehr die Möglichkeit offen, den Frevel, der in seiner Hand ist, zu entfernen (11,13.14), sondern kündigt ihm nur noch den sicheren Untergang an.

     

    1. Zophar begründet seine zweite Antwort  20,1–3

     

    1 Und Zophar, der Naamathiter, antwortete und sprach:

    2 Darum geben meine Gedanken mir Antwort, und deswegen bin ich innerlich erregt:

    3 Eine Zurechtweisung, mir zur Schande, höre ich; aber mein Geist antwortet mir aus meiner Einsicht.

     

    »Darum« antwortet Zophar so, wie er antwortet. Die letzte Rede Hiobs hat ihn dazu angestachelt.  »Eine Zurechtweisung mir zu Schande«  hat er eben gehört, womit er wohl die zu allerletzt vernommenen Worte Hiobs meint (18,28.29). Er entgegnet auf die Bitte Hiobs um Erbarmen mit noch heftigeren Unterstellungen, er schmettert Hiobs zum Schluss gegebene Warnung nieder, indem er nur um so unerbittlicher das sichere Gericht über den gottlosen Hiob ankündigt.

     

    »aber mein Geist antwortet mir aus meiner Einsicht«: Zophar hat sich gut gemerkt, was Hiob gesagt hat. Er hat sich und seine Einsicht gegenüber seinen Freunden und ihren Worten empfohlen (16,4.5). Er antwortet ihm Gleiches mit Gleichem. Hiob hatte unbesonnen geredet und damit nichts anderes erreicht, als dass er einen Toren zu einer ebenso törichten Antwort herausgefordert hat. Hiob hatte den Toren nach deren Torheit antwortet und war diesen damit gleich geworden (Spr 26,4). Hätte er den Toren stattdessen so geantwortet, wie es Torheit verdient, dann hätten ihnen diese nicht immer wieder in dieser selbstgefälligen Weise geantwortet (Spr 26,5). Wie schwer ist es, so zu antworten. Der Herr Jesus hat das gegenüber Seinen Feinden immer wieder getan. Könnten wir das nur von Ihm lernen! Wie aber kann man solche Weisheit lernen, so lange man, wie Hiob hier  noch, zu sehr von sich selbst beschlagnahmt ist? Wir beginnen erst dort weise zu werden, wo wir uns selbst verleugnen.

     

     

    2. Zophar kündigt Hiob sein unentrinnbares Ende an  20,4–29

     

    4 weißt du dieses, dass von jeher, seitdem der Mensch auf die Erde gesetzt wurde,

    5 der Jubel der Gesetzlosen kurz und die Freude des Ruchlosen für einen Augenblick war?

     

    Der Grundsatz ist einigermaßen richtig, aber er stimmt doch nicht. Hätte Zophar ein wenig innegehalten, hätte er nicht behaupten können, es sei »von jeher, seitdem der Mensch auf der Erde« ist, der »Jubel der Gesetzlosen kurz«. Kain und seine Nachkommen lebten lange; die Zeitgenossen Noahs fuhren nachdem dieser angefangen hatte, Gottes Gerechtigkeit zu predigen,  120 Jahre mit ihrer Gottlosigkeit fort, und hatten zuvor schon Jahrhundertelang gottlos gelebt. Am Ende der Zeit, wenn die Zeit nicht mehr sein wird, dann wird sich freilich bewahrheiten, dass der Wahn kurz und die Reue lang ist. Im Vergleich zur Ewigkeit ist auch ein langes Leben der Sünde von kurzer Dauer. Aber gerade das meint Zophar nicht. Darum ist seine Behauptung falsch.

     

    6 Stiege auch seine Höhe bis zum Himmel hinauf, und rührte sein Haupt an die Wolken:

    7 gleich seinem Kot vergeht er auf ewig; die ihn gesehen haben, sagen: Wo ist er?

    8 Wie ein Traum verfliegt er, und man findet ihn nicht, und er wird hinweggescheucht wie ein Nachtgesicht.

    9 Das Auge hat ihn erblickt und sieht ihn nimmer wieder, und seine Stätte gewahrt ihn nicht mehr.

    10 Seine Kinder müssen die Armen begütigen, und seine Hände sein Vermögen zurückgeben.

    11 Seine Knochen waren voll seiner Jugendkraft, und sie liegt mit ihm in dem Staube. -

    12 Wenn das Böse in seinem Munde süß war, und er es verbarg unter seiner Zunge,

    13 und es aufsparte und nicht fahren ließ und es zurückhielt unter seinem Gaumen:

     

    »und er es verbarg unter seiner Zunge«: Zophar wiederholt, was er bereits in der ersten Rede gesagt und was ihm auch Eliphas eben vorgeworfen hatte: Hiob sei ein Heuchler, der nur von außen gerecht erscheine, aber im Verborgenen voller Bosheit sei (siehe 15,25). Der Himmel habe aber nun seine Ungerechtigkeit enthüllt (V.27), seine verborgenen Sünden seien nun endlich an den Tag gekommen und fänden ihren gerechten Lohn. Böse, bitter böse ist es, was Hiob sich anhören muss. Ja, Hiob hat sich wiederholt zu unbesonnen und unentschuldbaren Worten hinreißen lassen. Elihu wird es ihm vorhalten müssen. Aber wir können uns darüber nicht wundern, wenn wir bedenken, was er sich gefallen lassen musste von Leuten, die mit dem Anspruch auftraten, seine Helfer und Freunde zu sein. Wir verwundern uns eher darüber, dass Hiob nicht heftiger reagierte, und dass er  auf die Tiraden von Eliphas und Anhang nur vereinzelt Gleiches mit Gleichem vergalt, und dass er unter diesem Sperrfeuer überhaupt noch Phasen der Besonnenheit hatte, in denen er Wahres und überaus Schönes über Gott und Seine Wege zu sagen wusste. Das eben gelesene Kapitel 19 ist ein Beispiel dafür, ebenso die Kapitel 26 und 28.

     

    14 so ist doch nun seine Speise in seinen Eingeweiden verwandelt; Natterngalle ist in seinem Innern.

    15 Reichtum hat er verschlungen, und er speit ihn aus: aus seinem Bauch treibt Gott ihn heraus.

    16 Natterngift sog er ein: es tötet ihn die Zunge der Otter.

    17 Nicht darf er sich laben an Bächen, flutenden Strömen von Honig und Milch.

    18 Das Errungene gibt er zurück, und er darf es nicht verschlingen; gemäß dem Vermögen, das er erworben, darf er sich nicht freuen.

    19 Denn er hat misshandelt, verlassen die Armen; Häuser hat er an sich gerissen und wird sie nicht ausbauen.

    20 Denn er kannte keine Ruhe in seinem Innern: mit seinem Teuersten wird er nicht entrinnen.

    21 Nichts entging seiner Fressgier; darum wird sein Wohlstand nicht dauernd sein.

    22 In der Fülle seines Überflusses wird er in Bedrängnis sein; die Hand jedes Notleidenden wird über ihn kommen.

    23 Es wird geschehen: um seinen Bauch zu füllen, wird Gott die Glut seines Zornes in ihn entsenden, und sie auf ihn regnen lassen in sein Fleisch hinein.

    24 Flieht er vor den eisernen Waffen, so wird der eherne Bogen ihn durchbohren.

    25 Er zieht am Pfeile, und er kommt aus dem Leibe hervor, und das glänzende Eisen aus seiner Galle: Schrecken kommen über ihn.

    26 Eitel Finsternis ist aufgespart für seine Schätze; ein Feuer, das nicht angeblasen ist, wird ihn fressen, wird verzehren, was in seinem Zelte übriggeblieben.

    27 Der Himmel wird seine Ungerechtigkeit enthüllen, und die Erde sich wider ihn erheben.

     

    Der Himmel wird Tatsächlich alle »Ungerechtigkeit enthüllen«. Zophar denkt keinen Augenblick daran, dass der Himmel eventuell auch seine Ungerechtigkeit enthüllen könnte. Hiob hatte ihn daran erinnern wollen (19,29); es hat nicht geholfen. Gott wird sie ihm am Schluss enthüllen. Wie dankbar wird Zophar dann sein, dass Gott mit ihm nicht so unbarmherzig verfährt, wie er mit Hiob verfahren ist! Dass Er ihm nicht seine Sünde enthüllt und darauf das Gericht verhängt, sondern dass Er ihm den Weg der Vergebung durch das Opfer weist.

     

     

     

    Dritte Runde von Reden und Gegenreden: Kap. 21–31

     

    Kapitel 21

     

    1. Hiob fordert seine Freunde zum Hören auf   21,1–6

    2. Gott schont oder richtet die Gottlosen nach Seinem Rat  21,7–26

    3.  Die Bösen  bekommen erst am Tag der Ewigkeit ihren Lohn 21,27–34

     

    Hiob leitet die dritte Runde mit Worten ein, die maßvoller sind als die zwei bisherigen Anfänge (siehe Kap 3 und 12). Das lässt Besseres als das bisher Gehörte erwarten, und in der Tat: in dieser letzten Runde kommt Hiob seiner notwendigen Buße näher. Aber noch immer ist er zu wortreich; ja, mit seinen Worten schlägt er seine Freunde aus dem Feld (32,1); Bildad antwortet nur noch ganz kurz (Kap 25), und Zophar findet überhaupt zu keiner Antwort mehr.  So braucht es denn den Dienst Elihus, bis Hiob endlich verstummt und Gott reden lässt. Sicher war es nötig, dass den Freunden der Mund gestopft wurde, aber auch Hiob hat es nötig, vor Gott zu verstummen (siehe V. 5). Erstmals klagt Hiob nicht vor Gott oder vor seinen Freunden über die Größe seines Unglücks, sondern er antwortet sachlich auf die Behauptungen seiner Freunde und widerlegt sie.

                Dabei antwortet er nicht nur auf Zophars letzte Rede, sondern auf alles, was seine drei Freunde wiederholt gesagt haben. Sie hatten behauptet, Gott strafe die Gesetzlosen mit Unglück in diesem Leben. Hiob widerspricht ihnen, indem er ihnen darlegt, dass es viele Gottlose gibt, die gut und lange leben (Vv. 7–16); dass es aber auch vorkommt, dass die Gottlosen bald von Gottes Zorn heimgesucht werden (Vv. 17–21). Es liegt nicht am Menschen, Gott Erkenntnis zu lehren, das heißt, Ihm vorschreiben zu wollen, wie er richten müsse (V. 22). Es ist einfach eine Tatsache, die wir alle beobachten, dass einige wohlgemut und von Gutem gesättigt sterben, während andere weggerufen werden, die das Gute nie genossen hatten (Vv. 23–26). Eines aber ist sicher: Wenn die Gottlosen lange geschont werden, dann werden sie von Gott behalten auf den Tag des Gerichts (V. 30); dann werden sie ihren verdienten Lohn bekommen. Die Mächtigen sündigen, und niemand wagt es, sie deswegen zurechtzuweisen (V.31), und so sterben sie in Ehren, von einem großen Leichenzug zu Grabe getragen (Vv. 32, 33). Das Wissen, dass Gott am Tag der Ewigkeit gerecht richten und einem jeden sein Lohn werden wird, ist in einer Welt wie der unsrigen, in der die Gesetzlosigkeit überhand nimmt (Mt 24,14), der einzige Trost. Mit ihren Thesen haben die Freunde mit Dunst zu trösten versucht (V. 34).

     

     

    1. Hiob fordert seine Freunde zum Hören auf   21,1–6

     

    1 Und Hiob antwortete und sprach:

    2 Höret, höret meine Rede! Und dies ersetze eure Tröstungen.

     

    »Hört, hört meine Rede«: So redet der Mann, der von sich und seinen Ansichten überzeugt ist; so redet der Sünder allezeit; und so redet auch der Heilige, wenn er sich gehen lässt (man vergleiche 1Mo 4,23). Er erheischt Aufmerksamkeit. Andere sollen ihn hören, Gott soll ihn hören. Es ist zwar wirklich so, dass Hiobs Freunde gut daran getan hätten, weniger zu reden, und dass sie das, was Hiob im folgenden sagt, tatsächlich beherzigen müssten. Aber auch Hiob muss hören, nicht nur seine Freunde. Die Wende zum Guten kommt erst, wo Hiob nicht mehr Gehör fordert, sondern nur noch eines begehrt: selber zu hören, was Gott ihm sagen will (39,34.35; 42,2–4).

     

    »Dies ersetze eure Tröstungen«: Hiobs sagt damit, seine Rede sei weit besser als die nichtigen Tröstungen seiner Freunde. Er wisse sich selbst zu helfen und verzichte gerne auf ihre Weisheiten. Der letzte Satz dieser Rede setzt den entsprechenden Schlusspunkt: »Wie tröstet ihr mich nun mit Dunst?« (V. 34).

     

    3 Ertraget mich, und ich will reden, und nachdem ich geredet habe, magst du spotten.

    4 Richtet sich meine Klage an einen Menschen? Oder warum sollte ich nicht ungeduldig sein?

    5 Wendet euch zu mir und entsetzet euch, und leget die Hand auf den Mund!

     

    »Leget die Hand auf den Mund«: Das ist Hiobs Empfehlung an seine Freunde; um das zu sagen, muss aber er selbst den Mund zu weit aufreißen. Es ist nicht seine Sache, solche Empfehlungen zu verteilen. So wird denn Gott zu ihm reden, und zwar so reden, dass zu allererst Hiob der Mund gestopft ist und er seine Hand beschämt vor seine Lippen schlägt (39,34).

     

     

    2. Gott schont oder richtet die Gottlosen nach Seinem Rat  21,6–26

     

    Hiob vertritt seine Sache gut. Er greift Behauptungen seiner Freunde auf und widerlegt sie. Er wendet die Worte Eliphas gegen ihn, indem er dessen Beschreibung der Wohlfahrt der Gerechten (5,17–27) übernimmt und auf die Gottlosen anwendet (Vv. 7–15).  Zophar hatte eben gesagt, die Gesetzlosen stürben ohne Ausnahme jung. Das ist nicht wahr, wie Hiob ihm entgegnet, und wie er selbst sehr wohl wissen muss (V. 7).

     

    6 Ja, wenn ich daran denke, so bin ich bestürzt, und Schauder erfasst mein Fleisch.

    7 Warum leben die Gesetzlosen, werden alt, nehmen gar an Macht zu?

     

    »Warum?«: Dies ist das achte von neun »Warum«, die Hiob an Gott richtet (siehe 3,11).

    Fast buchstäblich gleich hatte auch Jeremia den Herrn gefragt: »Warum ist der Weg der Gesetzlosen glücklich, sind sicher alle, die Treulosigkeit üben?« (Jer 12,1). Die Verse 7–15 gleichen den Worten Asaphs in Ps 73. Damit bestätigen andere Knechte Gottes, dass Hiob richtig beobachtet hat und damit seinen Freunden gegenüber im Recht ist.

     

    8 Ihr Same steht fest vor ihnen, mit ihnen, und ihre Sprösslinge vor ihren Augen.

    9 Ihre Häuser haben Frieden, ohne Furcht, und Gottes Rute ist nicht über ihnen.

    10 Sein Stier belegt und befruchtet sicher, seine Kuh kalbt und wirft nicht fehl.

    11 Ihre Buben schicken sie aus gleich einer Herde, und ihre Knaben hüpfen umher.

    12 Sie erheben die Stimme bei Tamburin und Laute und sind fröhlich beim Klang der Schalmei.

    13 In Wohlfahrt verbringen sie ihre Tage, und in einem Augenblick sinken sie in den Scheol hinab.

    14 Und doch sprechen sie zu Gott: Weiche von uns! Und nach der Erkenntnis deiner Wege verlangen wir nicht.

    15 Was ist der Allmächtige, dass wir ihm dienen sollten, und was nützt es uns, dass wir ihn angehen? -

     

    Nachdem Hiob vom Glück der Gottlosen gesprochen hat, wendet er sich in den nächsten Versen dem Verderben der Gottlosen zu:

     

    16 Siehe, ihre Wohlfahrt steht nicht in ihrer Hand. Der Rat der Gesetzlosen sei fern von mir!

    17 Wie oft geschieht es, dass die Leuchte der Gesetzlosen erlischt und ihr Verderben über sie kommt, dass er ihnen Schlingen zuteilt in seinem Zorn,

    18 dass sie wie Stroh werden vor dem Winde, und wie Spreu, die der Sturmwind entführt?

     

    In den Versen 16–18 spricht Hiob vom gerechten Gericht, das über die Gottlosen kommen muss. Zuerst erinnert er daran, dass »ihre Wohlfahrt nicht in ihrer Hand« steht. Sie verdanken sie Gott, dem sie aber nie dafür gedankt und den sie nie gefürchtet haben. Darum wird Gott sie richten, und so kann man immer wieder beobachten, dass »die Leuchte der Gesetzlosen erlischt und ihr Verderben über sie kommt«.  Gott wird das aber dann tun, wenn nach Seinem Urteil die Zeit dafür gekommen ist.

     

    19 Gott spart, sagt ihr, sein Unheil auf für seine Kinder. -Er vergelte ihm, dass er es fühle!

    20 Seine Augen sollen sein Verderben sehen, und von dem Grimm des Allmächtigen trinke er!

    21 Denn was liegt ihm an seinem Hause nach ihm, wenn die Zahl seiner Monde durchschnitten ist? -

    22 Kann man Gott Erkenntnis lehren, da er es ja ist, der die Hohen richtet?

    23 Dieser stirbt in seiner Vollkraft, ganz wohlgemut und sorglos.

    24 Seine Gefäße sind voll Milch, und das Mark seiner Gebeine ist getränkt.

    25 Und jener stirbt mit bitterer Seele und hat des Guten nicht genossen.

    26 Zusammen liegen sie im Staube, und Gewürm bedeckt sie.

     

     

    3.  Die Bösen  bekommen erst am Tag der Ewigkeit ihren Lohn 21,27–34

     

    27 Siehe, ich kenne eure Gedanken, und die Anschläge, womit ihr mir Gewalt antut.

    28 Denn ihr sagt: Wo ist das Haus des Edlen, und wo das Wohngezelt der Gesetzlosen?

    29 Habt ihr nicht befragt, die des Weges vorüberziehen? Und erkennt ihr ihre Merkmale nicht:

    30 dass der Böse aufbewahrt wird für den Tag des Verderbens, dass am Tag der Zornesfluten sie weggeleitet werden?

    31 Wer wird ihm ins Angesicht seinen Weg kundtun? Und hat er gehandelt, wer wird es ihm vergelten?

    32 Und er wird zu den Gräbern hingebracht, und auf dem Grabhügel wacht er.

    33 Süss sind ihm die Schollen des Tales. Und hinter ihm her ziehen alle Menschen, und vor ihm her gingen sie ohne Zahl.

     

    »dass der Böse aufbewahrt wird für den Tag des Verderbens« (siehe 2Pet 2,4; 3,7). Die Bösen werden erst am Tag des Verderbens, am Tag der Ewigkeit ihren Lohn empfangen. Bis dann wagt niemand, ihnen ihre Sünden »ins Angesicht kundzutun« ; und die es wagen, vermögen ihn nicht von ihren Sünden abhalten, und schon gar nicht zu »vergelten«.  Dafür bietet uns das Wort Gottes eine ganze Reihe von Beispielen. Johannes der Täufer wurde darum eingesperrt und enthauptet, weil er Herodes wegen seines ehebrecherischen Verhältnisses mit Herodias gerügt hatte. Sekarja wurde auf Befehl des Königs im Vorhof des Tempels getötet, weil er dessen und des Volkes Sünden öffentlich gescholten hatte (2Chr 24,20.21). Wie hätten Hiobs Freunde den Tod dieser treuen Zeugen Gottes beurteilt? Man bedenke: Johannes wurde mit etwas mehr als dreißig Jahren des Lebens beraubt! Während die Gerechten hingerafft werden (Ps 12,1; Jes 57,1), leben die Gottlosen in Wohlfahrt und sterben in Ehren. »Süss sind ihnen die Schollen«, und »hinter ihm ziehen alle Menschen« in einem imposanten Leichenzug.

     

    34 Wie tröstet ihr mich nun mit Dunst? Und von euren Antworten bleibt nur Treulosigkeit übrig.

     

    Hiob hatte seine Rede mit »euren Tröstungen« eingeleitet, und nun schließt er sie damit ab, dass er sagt, sie seien nur »Dunst«. Sicher sind die Tröstungen der Freude Hiobs Dunst, aber Hiob geht doch zu weit, wenn er ihnen »nur Treulosigkeit« zuschreiben kann. Sie waren sicher nicht aus Treulosigkeit zu ihm gekommen.  Vielmehr hatte sie im Gegensatz zu seiner Frau und zu seinen Brüdern, die sich von ihm abwandten (18,13), Treue bewiesen, als sie ihn aufsuchten.

     

     

     

    Kapitel 22

     

    Eliphas dritte und letzte Rede

     

    1. Eliphas unterstellt Hiob, er halte Gott für parteiisch   22,1–3

    2. Eliphas behauptet, Gott strafe Hiob seiner vielen Sünden wegen  22,4–11

    3. Eliphas unterstellt Hiob, er halte Gott für unwissend   22,12–14

    4. Eliphas vergleicht Hiob mit den Sündern vor der Sintflut   22,15–20

    5. Eliphas ruft Hiob zum letzten Mal zur Buße auf   22,21–30

     

    Dies ist der letzte Pfeil aus dem Köcher des Eliphas; er ist in Gift getaucht und dazu brennend. Eliphas lässt hier vollständig jede Reserve fahren und behauptet kühn das Gegenteil von dem, was er in seiner ersten Antwort an Hiob gesagt hatte (Kap 4). Nicht mehr will er anerkennen, dass Hiob dem Armen geholfen und den Schwachen gestützt habe. Es genügt ihm auch nicht die Behauptung, Hiob mindere die Gottesfurcht der andern (15,4). Nein, Hiob habe zielstrebige Bosheit getrieben, habe er doch den Bruder gepfändet und dem Nackten die Kleider ausgezogen, den Hungrigen hungern lassen und die Waisen und Witwen zermalmt. Solche grobe Ungerechtigkeit kann niemandes Gewissen erreichen. So redet er denn in die Luft; Hiob hört nicht mehr auf ihn, wie seine sich anschließende Rede beweist, in der er gar nicht mehr auf Eliphas Tiraden antwortet, sondern sich seinerseits in einem Monolog ergeht, dem Bildad noch ein ganz kurzes Wort entgegenhält, das aber auch nicht mehr auf Hiobs Worte Bezug nimmt. So weit geraten am Ende Freunde auseinander. Sie können nicht mehr aufeinander hören und können daher einander auch nichts mehr sagen.

               

    Eliphas beginnt in den Vv. 2,3 mit einer wahren Aussage: Gott gewinnt nichts durch die Gerechtigkeit der Gerechten; Er verliert nichts durch die Gottlosigkeit der Gottlosen, weshalb Sein Gericht unparteiisch sein muss. Er will damit aber etwas Falsches sagen; denn mit ihr unterstellt er, Hiobs Beteuerung, dass Gott die Gottlosen nicht in diesem Leben bestraft, fuße auf seiner falschen Sicht über Gott, dass Er nämlich die Gottlosen schone, weil das Ihm nütze. Das hatte Hiob aber nicht gesagt. Eliphas antwortet auf einen Irrtum, den er Hiob unterstellt – ein häufiges Übel, zu dem Menschen, die um jeden Preis Recht behalten müssen, immer wieder Zuflucht nehmen. Das ist erstens ein großer Unfug, und zweitens richtet es großen Schaden an. In den Vv. 4–11 geht Eliphas in seinem offenkundigen Zorn auf Hiobs vorherigen Worte weiter als bisher. Er redet nicht mehr in der Form von allgemeingültigen Thesen über Sünde und Strafe, indem er es Hiob selbst überlässt, das Gesagte auf sich anzuwenden, sondern jetzt nennt er  Hiob direkt einen bösen Mann, den Gott offenkundig gestraft habe. Diese unleugbare Tatsache widerlege offenkundig alles, was Hiob eben behauptet hatte. In den Vv. 12–14 hält Eliphas dem Hiob wiederum etwas vor, was dieser nicht gesagt hat. Eliphas unterstellt Hiob, dass dessen Beteuerung, Gott richte die Gottlosen nicht, nur heißen könne, Er erkenne ihr Tun nicht und wisse über ihre Wege nicht Bescheid. Abermals greift er damit zu dieser üblen Methode, die bei rechthaberischen Menschen so beliebt ist: Er entgegnet nicht den Worten Hiobs, sondern er antwortet auf Schlussfolgerungen, die er aus Hiobs Worten zieht, die Hiob aber gar nicht gezogen haben muss. In den Vv. 15– 20 vergleicht er Hiob mit den Gottlosen, die von der großen Flut hinweggerafft wurden und befindet, dass der Gerechte sich über den Schaden eines so offenkundig gottlosen Mannes freuen dürfe (Vv. 19–20). Eliphas rundet seine Reden mit einer in schöne Worte gefasste Aufforderung an Hiob, endlich zum Allmächtigen umzukehren, dann werde er trotz allem noch zu Frieden und Wohlfahrt gelangen.

     

    1. Eliphas unterstellt Hiob, er halte Gott für parteiisch   22,1–3

     

    2 Kann ein Mann Gott Nutzen bringen? Vielmehr sich selbst nützt der Einsichtige.

    3 Liegt dem Allmächtigen daran, wenn du gerecht bist, oder ist es ihm ein Gewinn, wenn du deine Wege vollkommen machst?

     

    Eliphas spricht hier eine Wahrheit aus, aber er wendet sie auf die falsche Person an. Wir haben in den beiden einleitenden Kapiteln des Buches gesehen, dass Hiob Gott nicht dient, weil er meint, er könne Gott damit nutzen bringen, noch dient er Ihm, weil er sich daraus Gewinn ausgerechnet hat. Er fürchtet Gott und dient Ihm, weil Er Gott ist. Wahrscheinlich wollte Eliphas aber noch etwas anderes sagen: Hiob hatte in seiner letzten Rede seinen Freunden entgegengehalten, Gott strafe die Gottlosen nicht immer alsbald. Daraus konstruiert Eliphas die Unterstellung, Hiob halte Gott für parteiisch. Er schone gewisse Leute, weil das Ihm einen Nutzen bringe. Hatte Hiob so etwas gesagt? Woher wollte Eliphas dann wissen, wie Hiob in dieser Sache urteilte? Er konnte es nicht wissen. Darum sind seine Urteile nicht richtig, und sie sind zudem böse.

     

    2. Eliphas behauptet, Gott strafe Hiob seiner vielen Sünden wegen  22,4–11

     

    4 Ist es wegen deiner Gottesfurcht, dass er dich straft, mit dir ins Gericht geht?

    5 Ist nicht deine Bosheit groß, und deiner Missetaten kein Ende?

     

    Eliphas rhetorische Frage will nichts anderes sagen, als dass Hiob Gott nicht fürchte, weshalb Gott ihn gerichtet habe. Das ist eine sehr böse Unterstellung, für die Eliphas später Buße tun und ein Opfer darbringen wird (Kap 42).

     

    6 Denn du pfändetest deinen Bruder ohne Ursache, und die Kleider der Nackten zogst du aus;

    7 den Lechzenden tränktest du nicht mit Wasser, und dem Hungrigen verweigertest du das Brot.

    8 Und dem Manne der Gewalt, ihm gehörte das Land, und der Angesehene wohnte darin.

    9 Die Witwe schicktest du leer fort, und die Arme der Waisen wurden zermalmt.

     

    Die Sünden, die Eliphas hier aufzählt, sind die niederträchtigsten, die gerade ein Reicher, wie Hiob es gewesen war, begehen kann. Den Nächsten ohne Ursache zu pfänden, dem Nackten die letzten Kleiderfetzen vom Leib reißen, dem Hungernden das Brot vorenthalten, und dabei selber im Geld zu schwimmen – schlimmer kann sich ein Reicher nicht benehmen. Hat Eliphas Recht, wäre Hiob der größte Schurke, den man sich denken kann; hat er hingegen nicht Recht, tut er Hiob das größte Unrecht, das man ihm antun kann.

     

    10 Darum sind Schlingen rings um dich her, und ein plötzlicher Schrecken macht dich bestürzt.

     

    Dieses »Darum« ist eine weitere der ärgerlichen Behauptungen des Eliphas. Ja, Hiob wird von Schrecknissen geschreckt, wie er offen genug bekannt hat (). Aber was weiß Eliphas von den Ursachen dieser Schrecknisse? Er behauptet ganz einfach, ohne etwas zu wissen.

     

    11 Oder siehst du nicht die Finsternis und die Wasserflut, die dich bedeckt?

     

    Kann Hiob die Finsternis, die ihn bedeckt, übersehen? Kann er dann übersehen, was die offenkundige Ursache dieser Finsternis ist?

     

     

    3. Eliphas unterstellt Hiob, er halte Gott für unwissend   22,12–14

     

    12 Ist Gott nicht so hoch wie die Himmel? Sieh doch den Gipfel der Sterne, wie erhaben sie sind!

    13 Und so sprichst du: Was sollte Gott wissen? Kann er richten durch Wolkendunkel hindurch?

    14 Die Wolken sind ihm eine Hülle, dass er nicht sieht, und er durchwandelt den Kreis des Himmels.

     

    Hiob sagt allerdings, dass Gott sich verhüllt (23,9). Nur will er damit nicht das sagen, was ihm Eliphas hier unterstellt, dass er nämlich darum Hiob und überhaupt die Menschen nicht gerecht richte. Hiob will lediglich bekennen, dass er Gott nicht sehe und dass er daher seinen Weg nicht verstehen könne. Das ist ein weises Bekenntnis zur Beschränktheit unseres Wissens und unserer Fähigkeit, das Verborgene zu ergründen. Hiob hatte durchaus nicht gesprochen: »Was sollte Gott wissen?« Er hatte vielmehr gesagt, dass Gott nicht immer direkt in die Geschäfte der Menschen eingreift und darum die Gottlosen lange Zeit machen lässt. Er weiß aber sehr wohl, und hatte das auch deutlich genug gesagt, dass Gott allmächtig ist, daher auch alles sieht, und daher erkennt Er auch »den Weg, der bei mir ist« (23,10).

     

    4. Eliphas vergleicht Hiob mit den Sündern vor der Sintflut   22,15–20

     

    15 Willst du den Pfad der Vorzeit einhalten, welchen die Frevler betraten,

    16 die weggerafft wurden vor der Zeit? Wie ein Strom zerfloss ihr fester Grund;

    17 die zu Gott sprachen: Weiche von uns! Und was könnte der Allmächtige für uns tun?

     

    Die Menschen wurden von der Sintflut »weggerafft vor der Zeit«, denn Gott richtete sie ihrer übergroßen Sünden wegen mit einer direkten Heimsuchung vom Himmel. Dem Eliphas ist jenes Gericht ein Modell für seinen Lehrsatz, dass Gott nur die Gottlosen straft, weshalb Hiob also irren müsse, wenn er beteuert, Gott lasse es oft den Gottlosen besser gehen als den Gerechten (Kap 21). Der Vergleich ist schlecht. Erstens wurden damals alle Menschen hinweggerafft, ohne Unterschied, obwohl es sicher Unterschiede im Ausmaß ihrer jeweiligen Sündhaftigkeit gab. Zudem wurde nur einer mitsamt seiner Familie gerettet, das aber nur, weil er Gnade gefunden hatte in den Augen des HERRN (1Mo 6,8). Noah hätte das Gericht ebenso verdient wie alle seine Zeitgenossen (was er nach der Flut auch deutlich genug bekennt, indem er Brandopfer darbringt).

     

    18 Und doch hatte er ihre Häuser mit Wohlstand erfüllt.  – Aber der Rat der Gottloser sei fern von mir!

     

    Hier zitiert Eliphas geradezu höhnisch einen Satz aus Hiobs letzter Rede (21,16). »Der Rat der Gottlosen sei fern vor mir!« Das wag ausgerechnet ein Gottloser wie Hiob zu sagen.

     

    19 Die Gerechten sehen es und freuen sich, und der Schuldlose spottet ihrer:

    20 Sind nicht unsere Gegner vertilgt, und hat nicht Feuer ihren Überfluss gefressen?

     

    Auch hier sagt Eliphas etwas an sich Richtiges: »Die Gerechten sehen es und freuen sich«, wie auch David sagt (Ps 58,11). Aber einem unschuldig leidenden Gerechten so etwas zu sagen, ist eine Ungeheuerlichkeit.

     

     

    5. Eliphas ruft Hiob zum letzten Mal zur Buße auf   22,21–30

    Diese letzten Worte des Eliphas erinnern an Worte, die er in seiner ersten Rede an Hiob gerichtet hatte. Er nennt hier wunderbare Prinzipien, die er ziemlich sicher als wahr erprobt hatte. Wie schön wären sie gewesen, hätten sie auf Hiob zugetroffen! Wer mit Gott Umgang pflegt, wird Wohlfahrt finden; wer Seine Worte zu Herzen nimmt, ist wirklich klug, und wer die Erkenntnis Gottes höher einstuft als alle irdischen Schätze, wird in Gott den höchsten Schatz finden. Das Ergebnis wird nicht nur persönlicher Friede sein, sondern man wird zudem zu einer Quelle des Segens für andere.

     

    Eliphas tut die ganze Zeit wissend, während Hiob seine Ratlosigkeit bekennt und zudem seine Unfähigkeit, Gottes Wege zu ergründen. Das ist eine der Ursachen dafür, warum Gott Eliphas und seine Gefährten rügt, sie hätten »nicht geziemend von mir geredet wie mein Knecht Hiob« (42,8).

     

    21 Verkehre doch freundlich mit ihm und halte Frieden; dadurch wird Wohlfahrt über dich kommen.

    22 Empfange doch Belehrung aus seinem Munde, und nimm dir seine Worte zu Herzen.

    23 Wenn du zu dem Allmächtigen umkehrst, so wirst du wieder aufgebaut werden; wenn du Unrecht entfernst aus deinen Zelten.

     

    Eliphas kehrt in seiner letzten Rede zu dem zurück, was er von Anfang an behauptet hatte. Hiob soll »Unrecht entfernen« aus seinem Zelt.

     

    24 Und lege das Golderz in den Staub und das Gold von Ophir unter den Kies der Bäche;

    25 so wird der Allmächtige dein Golderz und dein glänzendes Silber sein.

    26 Denn dann wirst du an dem Allmächtigen dich ergötzen und zu Gott dein Angesicht erheben.

    27 Du wirst zu ihm beten, und er wird dich erhören; und deine Gelübde wirst du bezahlen.

    28 Beschließest du eine Sache, so wird sie zustande kommen, und Licht wird strahlen über deinen Wegen.

    29 Wenn sie abwärts gehen, so wirst du sagen: Empor! -Und den, der mit gesenkten Augen einhergeht, wird er retten.

    30 Selbst den Nicht-Schuldlosen wird er befreien: er wird befreit werden durch die Reinheit deiner Hände.

     

    »Selbst den Nicht–Schuldlosen wird er befreien«: Hier zeigt Eliphas, dass er etwas von Gnade weiß. Aber mit dem Nachsatz zeigt er, dass sein Verständnis von der Gnade Gottes sehr begrenzt ist; denn er sagt, dass der Schuldige »durch die Reinheit deiner Hände« befreit werde. Das ist sehr bezeichnend für seine Art zu Urteilen; sein Glaube enthält auch Elemente der typischenPhilisterreligion, der auch viele Christen anhängen. Er überschätzt den Menschen und unterschätzt Gott. Er macht den Menschen größer als er ist, und er macht Gott kleiner als Er ist. Gottes Gnade bedürfe des Beitrages des Menschen, um eine wirksame Gnade zu sein. Am Ende werden alle Beteiligten wissen, dass Gottes Gnade allein Ursache für alles Gute ist, das einem Menschen werden kann, und dass der Mensch eigenhändig nichts als sein Verderben bereitet, dass er aber zum Heil nichts, gar nichts, beiträgt.

                Was Eliphas ganz zum Schluss sagt, enthält eine ihm verborgene Ironie. Ja, in der Tat, Hiob wird noch »den Nicht–Schuldlosen befreien«. Nur ahnt Eliphas nicht, dass er selbst einer dieser »Nicht–Schuldlosen« ist, die durch Hiobs Fürbitte befreit werden müssen!

     

     

     

    Hiobs Antwort auf Eliphas letzte Rede  Kap  23 & 24

     

    1. Hiob stöhnt über die Größe seiner Leiden  23,1–2

    2. Hiob klagt die Rechte eines Gerechten vor Gott ein  23,3–7

    3. Gottes Unumschränktheit nimmt keine Rücksicht auf die Gerechtigkeit des        Menschen   23,8–17

    4. Der Erfolg der Gottlosen  in dieser Welt  24,1–17

    5. Das Gericht über die Gottlosen in der jenseitigen  Welt  24,18–25

     

    Hiob stöhnt zunächst über die Größe seiner Pein (V. 1), sodann klagt er die Rechte eines Gerechten vor Gott ein (Vv. 2–7). Damit erwidert er auf die eben gemachte Aufforderung Eliphas’,  er solle doch sein Unrecht bekennen und bei Gott Versöhnung suchen (22,21). Nein, Hiob ist nicht Unwillig, Gottes Angesicht zu suchen, im Gegenteil. Er appelliert mit großer Kühnheit als einer, der sich seiner Unschuld bewusst ist, an die Gerechtigkeit des höchsten Gerichts. Er mag Gott nicht Ungerechtigkeit vorwerfen, aber Er erklärt seine Not mit der Unumschränktheit Gottes, die Ihn nicht verpflichten könne, Hiobs Gerechtigkeit mit Gutem zu vergelten (Vv. 8–17). Das ist eine verhaltene Art zu sagen, Gott sei schuld an seiner Not; Er handle mit Ihm nicht nach Hiobs Recht, sondern nach dem Recht des Unumschränkten, der allezeit das tun könne und tun dürfe, was Ihm beliebt. Sodann weist Hiob ein letztes Mal die zu menschliche Theologie seiner Freunde zurück, nach der die Gottlosen für ihre Gottlosigkeit stets in dieser Welt schon bestraft werden, indem er ausführlich und anhand vieler Einzelheiten vom Gedeihen der Gottlosen spricht (24,1–17), um erneut zu sagen, dass sie ihren Lohn im Jenseits bekommen werden (24,18–25). Er schließt mit der siegesgewissen Frage, wer seine Rede widerlegen und seine Argumente zunichte machen wolle. Seine Argumente sind tatsächlich so zwingend, dass seine Freunde ihm  nichts mehr zu antworten wissen. Vielleicht ahnen sie doch, dass Hiob in dieser Sache recht hat und dass sie in unerlaubter Weise verallgemeinert hatten, um Hiobs Unglück zu erklären. Wie auch immer, Bildad antwortet nur noch ganz kurz, indem er in allgemeinen Worten etwas über Gottes Erhabenheit sagt, das aber in keinerlei Weise auf Hiobs vorangegangene Rede Bezug nimmt. Zophar, der nach Hiobs kurzer Entgegnung auf Bildads letzte Rede (Kap 26), an der Reihe gewesen wäre, verzichtet ganz auf seine Antwort.

     

    Kapitel 23

     

    1. Hiob stöhnt über die Größe seiner Leiden  23,1–2

     

    1 Und Hiob antwortete und sprach:

    2 Auch heute ist meine Klage bitter; meine Hand lastet schwer auf meinem Seufzen.

     

    Wenn Hiob sagt »auch heute« sei seine Klage trotzig, dann hat er mehrere Tage schon vor seinen Freunden geklagt. Wir wissen hieraus also, dass die Unterredungen mindestens einige Tage dauerten. Das hebräische Wort für »bitter«  lautetmeri. Naomi sagt, der Herr habe es ihr  »bitter« gemacht (Ru 1,20). In 27,2 sagt Hiob, der Allmächtige habe seine Seele  »bitter gemacht«. Hiob weigerte sich nicht, wie Eliphas behauptet hatte, Gottes Angesicht zu suchen; aber er bekennt, dass das Leiden, das er nicht verstehen kann, seine Worte und seinen Geist bitter gemacht hat.

     

    »Meine Hand lastet schwer auf meinem Seufzen«: Hier hat sich der Text von Elbf unverständlicherweise der Lesart der LXX angeschlossen (»Seine Hand«), obwohl man dieser fast nie den Vorzug vor dem masoretischen Text geben darf. Der hebräische überlieferte Text lautet jâdî,  »meine Hand«. Es gibt keinen Grund, diese Lesart zu verwerfen; denn sie ergibt ohne Änderung einen schönen Sinn. Hiob sagt: Meine Hand sucht mit aller Kraft mein Stöhnen zu unterdrücken, es gelingt ihr aber nicht. Das ist eine kunstvolle Art zu umschreiben, wie mächtig sein Seufzen ist. Und warum ist es so mächtig? Weil seine Pein so groß ist. Damit hat er ähnlich wie in seiner zweiten Rede die Größe seiner Klage durch die Größe seiner Plage verständlich gemacht (6,2.3).

     

    2. Hiob klagt die Rechte eines Gerechten vor Gott ein  23,3–7

     

    3 O dass ich ihn zu finden wüsste, dass ich kommen könnte bis zu seiner Wohnstätte!

     

    »Verkehre doch freundlich mit ihm!«, hatte ihm Eliphas geraten, worauf Hiob antwortet: »O dass ich ihn zu finden wüsste«. Er wollte ja gerne Umgang mit Gott pflegen, aber er findet ihn nicht.

     

    4 Ich würde meine Rechtssache vor ihm darlegen, und meinen Mund mit Beweisgründen füllen.

     

    Wenn Gott uns den Weg zu sich geöffnet, gezeigt und uns auf ihm »bis zu seiner Wohnstätte« geführt hat, dann ist das so große, so unbegreifliche Gnade, dass wir vor Gott ganz einfach nicht mehr auf »Rechte« pochen können, die wir zu haben meinen.  Handelte Gott an uns nach unseren Rechten, wären wir alle verloren.

     

    5 Ich würde die Worte wissen, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde.

    6 Würde er in der Größe seiner Kraft mit mir streiten? Nein; er würde nur acht auf mich haben.

    7 Alsdann würde ein Rechtschaffener mit ihm rechten, und auf ewig würde ich meinem Richter entkommen.

     

    »Ich würde die Worte wissen, die er mir antworten«, das sind große Worte, die von großem Unverstand zeugen. Wenig später antwortet Gott tatsächlich auf Hiobs Worte. Wie klein wird er dann! Erstens hatte Hiob die Worte nie geahnt, die Gott an ihn richtete, und zudem wusste er auf keine einzige Frage, die Gott stellte, zu antworten. 

                Das stärktste Stück ist die letzte Behauptung: »Alsdann würde ein Rechtschaffener mit ihm rechten, und auf ewig würdei ch meinem Richter entkommen.« Die Erinnerung an diese Worte muss Hiob später unendlich gedemütigt haben. Er wird sich gefragt haben: »Wie konnte ich nur?« Wenn wir wieder in Gottes Licht sind, ist uns unser Reden uns Sinnen in der Finsternis unbegreiflich. Unbegreiflicher ist uns nur Gottes Geduld und Gnade, die das trug, ertrug und vergab.

     

     

    3. Gottes Unumschränktheit nimmt keine Rücksicht auf die Gerechtigkeit       des  Menschen   23,8–17

     

    8 Siehe, gehe ich vorwärts, so ist er nicht da; und rückwärts, so bemerke ich ihn nicht;

    9 zur Linken, während er wirkt, so schaue ich ihn nicht; er verhüllt sich zur Rechten, und ich sehe ihn nicht.

     

    Hiob will mit diesen Worten sagen, dass er noch so gerecht sein könne; Gott belohne ihn deswegen nicht. Hiob sei »vorwärts« gegangen, im Gehorsam an Gottes Gebote. Aber »er ist nicht da«. Er belohne seinen Gehorsam nicht. »Er verhüllt sich... und ich sehe ihn nicht.« Weil Er der Allmächtige ist, könne er sich uns entziehen, und Er könne uns die Wohlfahrt vorenthalten, obwohl Wohlfahrt normalerweise der Lohn für Gerechtigkeit sei.

     

    10 Denn er kennt den Weg, der bei mir ist; prüfte er mich, wie Gold würde ich hervorgehen.

    11 An seinem Schritte hat mein Fuß festgehalten, und seinen Weg habe ich beobachtet und bin nicht abgebogen;

    12 von dem Gebote seiner Lippen bin ich nicht abgewichen, ich habe die Worte seines Mundes verwahrt, mehr als meinen eigenen Vorsatz.

     

    Die Verse 10 bis 12 sind die bisher stärkste Beteuerung der Gerechtigkeit Hiobs. Wir können den Eindruck nicht abschütteln, dass Hiob sich zu Gutes zuschreibt. Er ist nicht in der Weise schuldig, wie seine Freunde ihm unterstellen. Aber ist er in der Weise gerecht, wie er jetzt vor Gott geltend macht?

                »Ich habe die Worte deines Mundes verwahrt« ist Hiobs Antwort auf die Aufforderung von Eliphas, er solle Gottes Worte zu Herzen nehmen (22,22).

     

    13 Doch er bleibt sich gleich, und wer kann seinen Sinn ändern? Was seine Seele begehrt, das tut er.

    14 Denn er wird vollenden, was über mich bestimmt ist; und dergleichen ist vieles bei ihm.

    15 Darum bin ich bestürzt vor seinem Angesicht; erwäge ich's, so erschrecke ich vor ihm.

    16 Ja, Gott hat mein Herz verzagt gemacht, und der Allmächtige mich in Bestürzung versetzt.

    17 Denn nicht wegen der Finsternis bin ich vernichtet, noch weil Dunkelheit mein Angesicht bedeckt hat.

     

    »Doch er bleibt sich gleich, und wer kann seinen Sinn ändern?«  Hiob verwendet hier wie schon in Kap 9 die Wahrheit von Gottes Unumschränktheit als eine Entschuldigung für seine Bitterkeit. Er sei ja gerecht, aber Gott habe im Sinn gehabt, ihn zu zermalmen. Wer aber kann Gottes Arm aufhalten?  Ach, dass es Hiob bedrücken muss  dass Gott sich gleich bleibt und nichts und niemand Seinen Sinn ändern kann! Hier haben wir den tiefsten Grund für seine ganze Not, für seine dunkle Verzweiflung. Er sträubt sich noch gegen Gottes Hand, er will sich nicht unter Sein Fügen beugen, so lange er nicht versteht, warum das alles mit ihm geschieht. Täte er es, fände er, dass es keine für den Heiligen tröstlichere Wahrheit gibt, als dass Gott im Regiment ist, dass Er nach Seinem Wohlgefallen handelt, dass Er der Unumschränkte ist, dessen Sinn  niemand ändern kann. Sollte denn Gottes Wohlgefallen böse sein? Kann der Vollkommene Böses wollen? Wie viel Böses muss noch in Hiob, wieviel Böses muss noch in unserem Herz sein, dass der Gedanke der absoluten Souveränität Gottes uns abschreckt, als könnte sich diese jemals gegen unsere besten  Interessen wenden!

                »Er wird vollenden, was über mich bestimmt ist«: Welche Wahrheit könnte herrlicher sein? Ja, Er wird vollenden, was Es sich über mich vorgesetzt hat, von Ewigkeit her für mich bestimmt hat (Rö 8,29, 30). Ihm sei ewig Dank dafür! Noch kann, noch will Hiob das nicht verstehen. Aber er wird es noch verstehen, und dann wird er zuerst verstummen und sich schämen, aber danach wird er jubeln, wie er noch nie gejubelt hat.

     

     

    Kapitel 24

     

    4. Der Erfolg der Gottlosen in dieser Welt  24,1–17

    Im vorhergehenden Kapitel hatte Hiob von Gottes Souveräntität und seinem persönlichen Ergehen gesprochen. Hier spricht er von Gottes souveräner Regierung der ganzen Welt der Sünder. So wie Gott ihm, Hiob, sein Recht nicht gewährt, greift Er auch weltweit nicht gleich ein, um die Unschuldigen von ihren Bedrückern zu befreien.             Eliphas hatte behauptet, Hiob habe an den Armen und Hilflosen Gewalttat geübt, und darum suche Gott ihn mit Seiner Strafe heim. Was ist dann mit all denen, die überall in der Welt noch Schlimmeres treiben als Hiob, und die immer noch nicht gestraft sind? Gewälttätige, die Grenzen verrücken (V. 2), den Waisen und Witwen ihre Tiere rauben (V. 3) und die von ihnen Bedrückten sterben lassen und sich darum nicht scheren (V. 12)? Und was ist mit den Mördern (v. 14) und Ehebrechern (V. 15)? Mit großem Geschick weist Hiob auf diese Weise nach, das Eliphas These ganz unzulänglich ist.

     

    1 Warum sind nicht Zeiten aufgespart von dem Allmächtigen, und warum sehen die, welche ihn kennen, seine Tage nicht?

     

    Hiob fragt zum siebten Mal »Warum?« (siehe 3,11). Warum lässt Gott die Gerechten leiden und die Gottlosen in Wohlfahrt leben, warum setzt Er nicht »Zeiten«, d. h. Gerichtstermine, fest.  Warum sehen »die, welche ihn kennen, seine Tage«, d. h. Seine Gerichtstage, nicht? Wahrscheinlich ist diese Frage aber nicht wie in 3,11 als ein Vorwurf an Gott zu verstehen. Hiob entgegnet vielmehr auf die letzte Rede des Eliphas, indem er einmal mehr erklärt, dass Gott mit dem Gericht zuwartet, und dass die Gerechten den Tag Seines Eingreifens nicht wissen. 

     

    2 Sie verrücken die Grenzen, sie rauben die Herde und weiden sie.

    3 Sie treiben den Esel der Waisen weg, nehmen das Rind der Witwe zum Pfand;

    4 sie stoßen aus dem Wege die Dürftigen. Die Elenden des Landes verkriechen sich allesamt:

     

    Was die Gesetzlosen tun, ist noch schlimmer als alles, was Eliphas dem Hiob eben angelastet hatte.

     

    5 Siehe, wie Wildesel in der Wüste gehen sie aus an ihr Werk, eifrig nach Beute suchend; die Steppe liefert ihnen Brot für die Kinder.

    6 Auf dem Felde schneiden sie sein Futterkorn ab und lesen den Weinberg des Gesetzlosen nach.

    7 Nackt übernachten sie, ohne Gewand, und haben keine Bedeckung in der Kälte.

    8 Vom Regenguss des Gebirges werden sie durchnässt, und obdachlos umklammern sie den Felsen.

     

    Die V. 5–8 beschreiben die Not der Menschen, die von den Gottlosen geschunden und beraubt werden. »Wie Wildesel« müssen sie ihr Essen suchen, dabei sollten sie von ihrem Meister, für den sie arbeiten, verhalten werden.

     

    9 Sie reißen die Waise von der Brust, und was der Elende anhat, nehmen sie zum Pfand.

     

    Dieser Vers beschreibt wieder das böse Treiben der Gottlosen.

     

    10 Nackt gehen sie einher, ohne Gewand, und hungernd tragen sie die Garbe;

    11 zwischen ihren Mauern pressen sie Öl, treten die Kelter und dursten.

    12 Von der Stadt her ächzen Sterbende, und die Seele der Erschlagenen schreit. Und Gott rechnet es nicht als Anstößiges an.

     

    Diese Verse beschreiben wiederum die Not der Bedrückten. Die zweite Hälfte von V. 12 kann auch anders übersetzt werden: »Gott achtet nicht auf (ihr) Gebet.«

     

    13 Jene gehören zu den Feinden des Lichtes, sie kennen seine Wege nicht und weilen nicht auf seinen Pfaden.

    14 Vor dem Lichte steht der Mörder auf, tötet den Elenden und den Dürftigen; und des Nachts ist er dem Diebe gleich.

    15 Und das Auge des Ehebrechers lauert auf die Dämmerung, indem er spricht: Kein Auge wird mich erblicken; und er legt einen Schleier an.

    16 In der Finsternis erbricht man die Häuser. Bei Tage schließen sie sich ein, das Licht kennen sie nicht.

    17 Denn als Morgen gilt ihnen allesamt der Todesschatten, denn ein jeder von ihnen ist bekannt mit den Schrecken des Todesschattens.

     

     

    5. Das Gericht über die Gottlosen in der jenseitigen  Welt  24,18–25

    18 Er ist schnell auf der Wasserfläche, verflucht wird ihr Grundbesitz auf Erden; nicht mehr schlägt er den Weg zu den Weinbergen ein.

    19 Dürre und Hitze raffen Schneewasser hinweg: so der Scheol, die gesündigt haben.

    20 Der Mutterleib vergisst seiner, das Gewürm labt sich an ihm, nicht mehr wird seiner gedacht: und das Unrecht wird zerbrochen wie ein Baum-

    21 er, der die Unfruchtbare beraubt, die nicht gebiert, und der Witwe kein Gutes tut.

    22 Und Mächtige rafft er dahin durch seine Kraft; steht er auf, so getraut man sich nicht des Lebens.

    23 Er gibt ihm Sicherheit, und er wird gestützt. Aber seine Augen sind über ihren Wegen.

    24 Sie sind hochgestiegen: um ein Kleines, und sie sind nicht mehr; und sie sinken hin, werden zusammengerafft wie alle anderen; und wie der Kopf der Ähre werden sie abgeschnitten.

     

    »Er gibt ihm Sicherheit, und er wird gestützt«: Hiob spricht wahr. Die Gottlosen haben in dieser Welt oft Gelingen; und es ist niemand anders als Gott Selbst, der sie stützt. Wahr ist auch, was Hiob sodann sagt: »Sie sind hochgestiegen: um ein Kleines, und sie sind nicht mehr.« Gott wird sie ihrer Sünden wegen richten. Sie hätten mehr Ursache als manche andere gehabt, Gott für alle Seine Wohltaten zu danken. Gott gab ihnen Reichtum und Gesundheit und Familien und Ehre. Aber sie dankten dem Geber aller guten Gaben nie dafür. Daher ist ihr Ende gewiss: Gott wird sie stürzen.

     

    25 Und wenn es nun nicht so ist, wer wird mich Lügen strafen und meine Rede zunichte machen?

     

     

     

    Sprachliche Anmerkungen zu Kap 24,

     

    V. 12 »Anstößiges«, tiflâh. So haben es die Masoreten vokalisiert. Ohne die Konsonanten zu ändern, kann man das Wort auch tefillâh vokalisieren, und das bedeutet »Gebet«.

    V. 14 Elbf übersetzt: »Mit dem Licht...«  Diese Umstandsbeschreibung ergibt im vorliegenden Zusammenhang keinen Sinn; sie widerspricht den vorher und nachher gemachten Aussagen über die Feinde des Lichts. So muss man mit M. Buber übersetzen: »Vorm Frühlicht steht der Mörder auf.« Das hebräische lâ’ôr  bedeutet, aufs allgemeinste reduziert: Hinsichtlich des Lichts. Wenn wir nun fragen, wie der Mörder hinsichtlich des Lichts sich aufmacht, dann kann die Antwort nur die sein: Weil er weiß, dass mit dem Tag das Licht kommt, macht er sich vorher auf zu seinem bösen Werk. Die Revidierte Elberf. hat den Sinn richtig erfasst: »Vor dem Tageslicht steht der Mörder auf.«

     

     

    Kapitel 25

     

    Bildads letzte Rede

     

    Dies ist die letzte Rede der Freunde Hiobs. Es ist bezeichnenderweise nur eine kurze Antwort auf Hiobs vorangegangene Rede. Was sollen sie noch sagen, nachdem sie alles gesagt haben und Hiob sich noch immer nicht geschlagen gibt? Auch der Inhalt der Antwort ist bezeichnend. Bildad weiß nichts Spezifisches zu antworten, sondern spricht lediglich allgemeine Wahrheiten über Gott und Seine Regierung aus. Dabei wiederholt er in seiner dritten Rede an Hiob diesem gegenüber zum dritten Mal seine Position: Gott ist gerecht, es ist immer der Mensch der Schuldige (V. 4). Wenn Gott straft, muss Hiob Schuld auf sich geladen haben, sonst strafte Gott ihn nicht. Zudem ist Gott mächtig (V.2), weshalb der Mensch, der vor Gott nur ein Wurm ist,  sich immer vergeblich gegen Gottes gerechtes Gericht auflehnt (V. 6). Wie in seiner zweiten Rede, so spricht er auch hier von Licht (18,5; 25,3). Welche Absicht Bildad mit diesen für sich genommen wahren Aussagen verfolgt, hat er zusammen mit seinen Freunden schon deutlich genug ausgesprochen, darum muss er jetzt gar nicht mehr sagen, was er von Hiob denkt.

     

    1 Und Bildad, der Schuchiter, antwortete und sprach:

    2 Herrschaft und Schrecken sind bei ihm; er schafft Frieden in seinen Höhen.

    3 Sind seine Scharen zu zählen? Und über wem erhebt sich nicht sein Licht?

    4 Und wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott, und wie könnte rein sein ein vom Weibe Geborener?

    5 Siehe, sogar der Mond scheint nicht hell, und die Sterne sind nicht rein in seinen Augen:

    6 wieviel weniger der Mensch, der Wurm, und das Menschenkind, die Made!

     

     

    Kapitel 26

     

    Hiobs Antwort auf Bildads letzte Rede

     

    1. Hiobs unwirsche Reaktion auf Bildads letzte Rede  26,1–4

    2. Hiobs Einsicht in Gottes Regierung  26,5–14

     

    Diese Rede Hiobs beginnt mit einer zunächst ungehaltenen Entgegnung auf Bildads letztes Geschoß. Wie dieser in den Wald gerufen hatte, tönt es zurück (Vv. 1–4). Darauf folgt eine bewunderungswürdige Zurückweisung von Bildads Worten, in der Hiob mehr Einsicht in Gottes Wege beweist, als seine Freunde besitzen.

     

    1. Hiobs unwirsche Reaktion auf Bildads letzte Rede  26,1–4

     

    1 Und Hiob antwortete und sprach:

    2 Wie hast du dem Ohnmächtigen geholfen, den kraftlosen Arm gerettet!

    3 Wie hast du den beraten, der keine Weisheit hat, und gründliches Wissen in Fülle kundgetan!

    4 An wen hast du Worte gerichtet, und wessen Odem ist von dir ausgegangen?

     

     

    2. Hiobs Einsicht in Gottes Regierung 26,5–14

     

    Was Hiob mit den nachstehenden Worten sagt, ist so wahr, dass wir nicht anders können, als dem geprüften Knecht des Herrn Recht zu geben. Es ist überdies beachtenswert, dass Hiob und Elihu beide auf Gottes Wirken in der Schöpfung und vor allem im Wetter verweisen, weil sie darin eine Analogie zu Gottes Wirken in der Vorsehung erkennen. Damit nehmen sie Gottes Reden über Sein Wirken in der Schöpfung und in der Vorsehung vorweg. So beweist Hiob eine erstaunliche Übereinstimmung im Urteil mit Gott selbst. Es sind allesamt große und tiefe, von Gottes Geist bestätigte Wahrheiten, Wahrheiten über den Unumschränkten, über den Allmächtigen und über die Dürftigkeit aller menschlichen Erkenntnis über ihn. Und doch sind es im Munde Hiobs vorläufig bloße Lehrsätze. Er kann aus all dem Herrlichen, das er weiß, keinen Trost schöpfen; ihm ist mit seinem Wissen noch nicht geholfen. Noch muss er vor Gott vollständig zerbrechen, bis er die von ihm gewussten Wahrheiten in lebendiger Kraft ergreifen kann und diese ihn ergreifen können.

     

    5 Die Schatten beben unter den Wassern und ihren Bewohnern.

    6 Der Scheol ist nackt vor ihm, und keine Hülle hat der Abgrund.

     

    »Der Scheol ist nackt vor ihm«: Gott allein ist nichts verborgen; uns hingegen muss vieles verborgen bleiben. Darum verstehen wir Seine Regierungswege nicht.

     

    7 Er spannt den Norden aus über der Leere, hängt die Erde auf über dem Nichts.

     

    »Er hängt die Erde auf über dem Nichts«: Gott muss sich auf nichts und niemand stützen; Er hängt die Erde auf über dem nichts. Er handelt aus eigenem Antrieb und hat keinen Helfer nötig, um das, was Er will, zu tun und zu erhalten.

     

    8 Er bindet die Wasser in seine Wolken, und das Gewölk zerreißt nicht unter ihnen.

     

    »Er bindet die Wasser in seine Wolken«: Er hält alles an seinem Platz, um es zu Seiner Zeit auf Seine Weise Sein Werk tun zu lassen.

     

    9 Er verhüllt den Anblick seines Thrones, indem er sein Gewölk darüber ausbreitet.

     

    »Er verhüllt den Anblick seines Thrones, indem er sein Gewölk darüber ausbreitet«:

    Wie wahr das ist! Verhüllt aber Gott dem Menschen den Anblick seines Thrones, sind die selbstsicheren Urteile der Freunde Hiobs größte Torheit. Was wissen denn die über Gottes Regierungswege mit Hiob? Psalm 97,2 sagt uns dazu:

     

    »Gewölk und Dunkel sind um ihn her; Gerechtigkeit und Gericht sind seines Thrones Grundfeste.«

     

    Sind Gewölk und Dunkel um Gott her, so müssen dem Menschen Gottes Handeln und Gottes Wege dunkel bleiben, auch dem glaubenden Menschen. Was dieser bei alledem aber stets weiß: Gerechtigkeit stützt Gottes Thron. Dem vertraut Er durch alles Dunkel hindurch, und dieses Vertrauen wird zum Licht, das seinen Pfad erhellt.

     

    10 Er rundete eine Schranke ab über der Fläche der Wasser bis zum äußersten Ende, wo Licht und Finsternis zusammentreffen.

     

    »Er rundet eine Schranke ab«: Er gibt einer jeden Sache Maß, Gewicht und Zeit.

     

    »wo Licht und Finsternis zusammentreffen«: Er allein versteht das Verhältnis von Licht und Finsternis zueinander und alle mit diesen beiden zusammenhängenden Rätsel.

     

    11 Die Säulen des Himmels wanken und entsetzen sich vor seinem Schelten.

    12 Durch seine Kraft erregt er das Meer, und durch seine Einsicht zerschellt er Rahab.

     

    »Die Säulen des Himmels wanken«: Was er aufgerichtet hat, vermag er allein wieder einzureißen.

     

    »Durch seine Kraft erregt er das Meer«: Ihm sind alle Mächte und Kräfte der Schöpfung untertan. Die Materie muss ihrem Schöpfer zu Willen sein. Er lenkt auch die Geschicke der Völker, überblickt ihr Gewimmel, lässt aus ihm Reiche erstehen und wieder untergehen (Dan 7; Off 13), und am Ende wird

     

    13 Durch seinen Hauch wird der Himmel heiter, seine Hand durchbohrt den flüchtigen Drachen.

     

    »Durch seinen Hauch wird der Himmel heiter«: Wolken umgeben Gottes Thron (V.9), und über diese haben wir keine Macht. Allein Gottes Hauch kann sie vertreiben. Dann wird der Himmel heiter und wir sehen klar (siehe 37,21). Gottes Geist muss den Menschen lehren; Er allein kann die Knoten unseres Daseins lösen und seine Rätsel entwirren.

     

    »seine Hand durchbohrt den flüchtigen Drachen«: Hiob erkennt, dass in Gottes Schöpfung nicht nur Licht, sondern auch Finsternis ist (V.10), und er begreift, dass er mit dem Rätsel des Bösen inmitten der Schöpfung eines guten und gerechten Gottes nicht fertig wird. Er weiß aber, dass Gott den Drachen bezwingen wird. Ohne dieses Vertrauen wird uns nie licht werden, können wir nie aus dem Gefängnis der Torheit und Unwissenheit befreit werden.

     

    14 Schaut, das sind die Säume seiner Wege; ein bloßes Wispern haben wir von ihm gehört! Und den Donner seiner Macht, wer versteht ihn?

     

    »Schaut, das sind die Säume seiner Wege«: Hiob hat recht: Wir können nur den Saum Seines Gewandes berühren, sehen nur die Säume Seiner Wege. Wir stehen hilflos vor den unauslotbaren Geheimnissen der Schöpfung, der Sünde, der Erlösung, der Regierung und der Vollendung.

     

    »und wie wenig haben wir von ihm gehört«: Wir mögen viel von und über Gott gehört haben, und doch ist es wenig, denn unser Wissen reicht nicht aus, Gott und Seine Wege zu verstehen oder gar zu erklären.

     

    »Und den Donner seiner Macht, wer versteht ihn«: Wer versteht, wie groß Gottes Macht, wie groß Sein Zorn, wie verdient unser Gericht und wie groß unsere Schuld ist?

     

    »Wer erkennt die Stärke deines Zornes, und, deiner Furcht gemäss, deinen Grimm?« (Ps 90,11).

     

    Wer versteht die Bedeutung und die Tragweite von Gottes Donnern? Wer nimmt die Ankündigung der Gerichte, wer nimmt die Donner, die von Seinem Thron ausgehen (Off 4,5), wahr? Und von denen, die sie wahrnehmen, wer erschrickt vor ihnen, wie es sich gehörte?

     

     

    Sprachliche Anmerkungen zu Kap 26:

     

    V. 13 »ein bloßes Wispern«, wörtlich »was für ein Wispern ist die Rede«. schêmæts, »Wispern«, kommt auch in 4,12 vor.

     

     

    Hiobs abschließender Monolog  Kap 27 bis 31

     

     Zophar wäre nach der letzten Rede Hiobs an der Reihe gewesen, er hat aber nicht mehr geantwortet, so dass Hiob hier fortfahren kann und zu seinem abschließenden Monolog ansetzt. Darin redet Hiob nur am Anfang zu seinen Freunden und dann nur noch vor Gott. Und doch ist alles, was er sagt, gleichzeitig eine Zurückweisung all dessen, was diese in all ihren Reden gesagt haben. Der Ton dieser Kapitel ist ruhiger als in allen vorangegangenen, Hiobs Sprache ist nicht mehr gereizt, sondern maßvoll. Seine Worte sind bewegend, teils sogar mitreißend und manchmal von bewunderungswürdiger Erhabenheit. In Kapitel 27 wendet sich Hiob noch an Eliphas, Bildad und Zophar, indem er einmal mehr ihrer hausbackenen Theologie widerspricht, die sie zur nie preisgegebenen Annahme geführt hatte, Hiob müsse gesündigt haben. In Kapitel 28 redet er über die Weisheit und bekennt damit, dass keinem der Anwesenden die Weisheit zu Gebote stehe, die er bräuchte, um das Rätsel von Hiobs Leiden und Hiobs Gerechtigkeit zu lösen. Die drei letzten Kapitel bilden ein Triptychon von ausgesuchter Schönheit. Die erste Tafel (Kapitel 29) schildert Hiobs verflossenes Glück, die zweite (Kapitel 30) sein gegenwärtiges Unglück, und die dritte (Kap 31) seine Unschuld. Die Zusammenschau dieser drei Tafeln zeigen die ganze ungelöste und Hiob unlösbar scheinende Spannung seines Leidens. Dass Gott ihn einst so gesegnet hatte, zeugt von Gottes Liebe; dass er aber jetzt leidet, und das ohne Schuld, das versteht Hiob weder mit der einst erfahrenen Liebe Gottes noch mit Seiner Gerechtigkeit in Einklang zu bringen.

     

     

     

    Kapitel 27

     

    Hiobs unschuld und Gottes Gerechtigkeit

     

    1. Hiob beteuert seine Unschuld  27,1–6

    2. Hiob nennt seine Ankläger Gesetzlose  27,7–10

    3. Gott wird den Gottlosen richten  27,11–23

     

     Er bekennt zunächst, dass er wirklich ohne Schuld leidet (27,1–6) und sagt damit, dass seine Beschuldiger sich schuldig machen (27,7–10). Sodann bekennt er Gottes Gerechtigkeit, indem er das kommende Gericht über die Gottlosen ankündigt (27,11–23).

     

    1. Hiob beteuert seine Unschuld  27,1–6

     

    1 Und Hiob fuhr fort, seinen Spruch anzuheben, und sprach:

    2 So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzogen, und der Allmächtige, der meine Seele bitter gemacht hat –

     

    Wiederum besteht Hiob darauf, dass ihm nicht geschieht, wie er es verdient hat. Gott habe ihm sein Recht entzogen. Hiob, der eben von Gottes Unumschränktheit und unserer Unfähigkeit, Ihn und Seine Wege zu verstehen, gesprochen hat, verfällt wiederum in dieses menschliche Raisonnieren. Wie schnell sinkt ein Petrus von der Höhe seines Bekenntnisses zur Gottessohnschaft Christi herab auf die ebene menschlich gut gemeinter Ratschläge (Mt 16,16–23). Was ist der Mensch ohne Gott? Ein irrendes, wankelmütiges, allen Einfällen seines törichten Herzen hilflos ausgeliefertes Geschöpf.

     

    4 wenn meine Lippen Unrecht reden werden, und wenn meine Zunge Trug aussprechen wird!

    5 Fern sei es von mir, dass ich euch recht geben sollte; bis ich verscheide, werde ich meine Unsträflichkeit nicht von mir weichen lassen.

    6 An meiner Gerechtigkeit halte ich fest und werde sie nicht fahren lassen: mein Herz schmäht nicht einen von meinen Tagen.

     

    Im Gegensatz zu seinen Freunden ist Hiob völlig aufrichtig; er weiß um keine Sünde seinerseits, die sein Unglück hätte rechtfertigen sollen. Darum kann er seinen Freunden nicht Recht geben; er wäre unaufrichtig, täte er es, nur um ihnen zu gefallen.

     

    »An meiner Gerechtigkeit halte ich fest«: Erst im Lichte Gottes wird Hiob erkennen, dass er vor Gott trotz allem ein Ungerechter ist; nicht in der Sache, die mit seinem Unglück zusammenhing, aber als Sohn Adams, in seiner vererbten Natur, und in seinem fehlenden Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit und Liebe sowie in seinem Eifern gegenüber seinen Freunden.

     

    »mein Herz schmäht nicht einen von meinen Tagen«:  Ob es Hiob bewusst ist, dass er hier das Gegenteil von dem Behauptet, was er in 3,3.4 noch sagte? In Hiobs Seele ist es etwas heller geworden; denn er verflucht nun nicht mehr den Tag seiner Geburt und verwünscht damit nicht mehr einen jeden Tag seines Lebens.

     

    2. Hiob nennt seine Ankläger Gesetzlose  27,7–10

     

    7 Mein Feind sei wie der Gesetzlose, und der wider mich auftritt wie der Ungerechte.

    8 Denn was ist des Ruchlosen Hoffnung, wenn Gott abschneidet, wenn er seine Seele herauszieht?

    9 Wird Gott sein Geschrei hören, wenn Bedrängnis über ihn kommt?

    10 Oder wird er sich an dem Allmächtigen ergötzen, Gott anrufen zu aller Zeit?

     

    Hiobs Worte sind zwar richtig, sie sind auch verständlich, aber er wendet nun seinerseits eine Wahrheit – teilweise wenigstens – auf die falschen Leute an. Es ist wahr, »der wider (ihn) auftritt, ist wie der Ungerechte«. Sie reden böse und damit handeln sie wie die Bösen. Und es ist wahr, dass »des Ruchlosen Hoffnung, wenn Gott abschneidet« dahin ist. Dies aber wird auf Hiobs Freunde nicht zutreffen. Sie werden von Gott wiederhergestellt werden. Hiob fragt: »Wird er ... Gott anrufen?« Es ist eine rhetorische Frage, und die Antwort ist Hiob selbstverständlich. Aber er irrt. Seine Freunde werden Gott nämlich noch anrufen, und Gott wird sie hören und wird ihnen vergeben.

     

     

    3. Gott wird den Gottlose n gerecht richten  27,11–23

    Entgegen den Unterstellungen seiner Freunde behauptet Hiob jetzt, dass er sehr wohl weiß, dass Gott die Gottlosen richten wird. Daran hat Hiob nie gezweifelt. Was er aber klarer sieht als seine Verkläger, ist der Umstand, dass Gott mit dem Gericht oft lange zuwartet.

     

    11 Ich will euch lehren über die Hand Gottes; was bei dem Allmächtigen ist, will ich nicht verhehlen.

    12 Ihr selbst habt es ja alle geschaut. Warum schwatzet ihr dann so nichtig?

     

    13 Dies ist das Teil des gesetzlosen Menschen bei Gott, und das Erbe der Gewalttätigen, das sie von dem Allmächtigen empfangen:

     

    Nocheinmal erklärt Hiob, dass Gott den »gesetzlosen Menschen« richten wird. Im Unterschied zu seinen Freunden sagt er aber, dass Gott diesem «das Teil ... und das Erbe« bereitet hat. Es ist bei Gott verwahrt und wird ihm am von Gott bestimmten Tag zuteil werden. Das muss aber nicht sogleich, das muss nicht einmal in diesem Leben sein.

     

    14 Wenn seine Kinder sich mehren, so ist es für das Schwert, und seine Sprösslinge – sie haben nicht satt Brot.

    15 Seine Übriggebliebenen werden begraben durch den Tod, und seine Witwen weinen nicht.

     

    16 Wenn er Silber aufhäuft wie Staub, und Kleider bereitet wie Lehm:

    17 er bereitet sie, aber der Gerechte bekleidet sich damit; und Schuldlose teilen sich in das Silber.

     

    Hamans Ergehen ist ein beredtes Beispiel für die Richtigkeit dieser Worte Hiobs: »Wenn seine Kinder sich mehren, so ist er für das Schwert«  (Est 5,11; 9,6–10; siehe Ps 92,7). Das »Silber« und die »Kleider« des bösen Haman fielen Esther und dem gerechten Mordochai zu (Est 8,1.2).

     

    18 Er hat sein Haus gebaut wie die Motte, und der Hütte gleich, die ein Wächter sich macht.

    19 Reich legt er sich ihn, und er tut es nicht wieder; er schlägt die Augen auf, und ist nicht mehr.

    20 Schrecken ereilen ihn wie Wasser, des Nachts entführt ihn ein Sturmwind.

    21 Der Ostwind hebt ihn empor, dass er dahinfährt, und stürmt ihn fort von seiner Stätte.

     

    »Sein Haus«, das er auf Gottlosigkeit gebaut hat, »entführt ein Sturmwind« zusammen mit ihm. Das hat auch der Herr im Gleichnis der zwei Häuser gelehrt (Mt 7,24–27).

     

    22 Und Gott schleudert auf ihn ohne Schonung; seiner Hand möchte er flüchtend entfliehen.

    23 Man klatscht über ihn in die Hände, und zischt ihm nach von seiner Stätte aus.

     

     

    Sprachliche Anmerkungen zu Kap 28,

     

    V. 12b »warum schwatzt ihr so nichtig«, das hebräische hæbæl tæhbâlû (man nennt das Paronomasie) lässt sich Deutsch nicht wörtlich wiedergeben; es müsste dann etwa heißen: »Nichtiges nichtig reden«, Buber: »mit Dunst umdunsten«.

     

    Kapitel 28

     

    »Aber die Weisheit, wo wird sie erlangt?«

     

    1. Der bewunderungswürdige technische Verstand des Menschen  28,1–11

    2. »Aber die Weisheit, wo wird sie erlangt?«  28,12–28

     

    Hiob hat seine Ratlosigkeit angesichts des Leidens der Gerechten zum Ausdruck gebracht. In dieser Rede will er nun sagen, dass kein Mensch die Weisheit besitzt, um alle Rätsel der göttlichen Regierung zu begreifen. Da leben Gottlose lange und sterben umgeben von Ehre und Wohlfahrt, da sind Gerechte gepeinigt und werden jung dahingerafft (Prd 7,15). Wo findet sich die Weisheit, um solches zu verstehen? Wo ist die Weisheit, die solches lenkt? (V. 12. 20). Zuerst beschreibt Hiob anhand der Bergbaukunst die bewunderungswürdige technische Fertigkeit der Menschen (Vv. 1–11). Diese Fertigkeit bildet aber die lediglich die Folie, auf der die Hilflosigkeit des gleichen Menschen, sich und sein Ergehen in dieser Welt zu erklären, umso greller an den Tag tritt. Da er das Wissen weder hat noch auch weiß, wo er es finden könnte, kann seine Weisheit allein darin bestehen, dass er den fürchtet, der alles weiß. Das ist der Anfang aller Weisheit (V. 28).

     

    1. Der bewunderungswürdige technische Verstand des Menschen  28,1–11

     

    1 Denn für das Silber gibt es einen Fundort, und eine Stätte für das Gold, das man läutert.

    2 Eisen wird hervorgeholt aus der Erde, und Gestein schmelzt man zu Kupfer.

    3 Er hat der Finsternis ein Ende gesetzt, und durchforscht bis zur äußersten Grenze das Gestein der Finsternis und des Todesschattens.

    4 Er bricht einen Schacht fern von dem Wohnenden; die von dem Fuße Vergessenen hangen hinab, fern von den Menschen schweben sie.

    5 Die Erde-aus ihr kommt Brot hervor, und ihr Unteres wird zerwühlt wie vom Feuer.

    6 Ihr Gestein ist der Sitz des Saphirs, und Goldstufen sind darin.

    7 Ein Pfad, den der Raubvogel nicht kennt, und den das Auge des Habichts nicht erblickt hat;

    8 den die wilden Tiere nicht betreten, über den der Löwe nicht hingeschritten ist.

    9 Er legt seine Hand an das harte Gestein, wühlt die Berge um von der Wurzel aus.

    10 Kanäle haut er durch die Felsen, und allerlei Köstliches sieht sein Auge.

    11 Er dämmt Flüsse ein, dass sie nicht durchsickern, und Verborgenes zieht er hervor an das Licht.

     

    Der Mensch gelangt an Orte, die das Auge keines Adlers gesehen (V. 7) und die der Fuß keines Löwen betreten hat (V. 8). Aber an den Ort, wo die Weisheit wohnt, dahin findet auch der Mensch nicht, ungeachtet seiner intellektuellen, technischen, künstlerischen und politischen Fertigkeiten.

     

     

    2. »Aber die Weisheit, wo wird sie erlangt?«  28,12–28

     

    In den Vv. 12–14 sagt uns Hiob, dass wir nicht wissen, wo die Weisheit ist. In den Vv. 15–19 sagt er uns, dass wir nicht einmal ahnen, wie groß ihr Wert ist. Zum Schluss sagt er uns endlich, dass Gott allein ihre Stätte weiß, dass Er über sie verfügt und dass die Weisheit des Menschen nur darin bestehen kann, dass er das alles anerkennt. Und was ist das anderes, als Gott zu fürchten (Vv. 23–28).

     

    12 Aber die Weisheit, wo wird sie erlangt? Und welches ist die Stätte des Verstandes?

     

    Wo wird die Weisheit gefunden? Glückselig der Mensch, dem sich diese Frage aufs Gemüt legt und die ihn so lange nicht ruhen lässt, bis er die Antwort gefunden hat. Hiob muss  seine ganze Not durchmachen, weil ihm Gott genau diese Frage in die Seele senken wollte. Hiob sollte anfangen zu fragen, bis er die Antwort gefunden hat. Zunächst wird der Wert der Weisheit anhand zahlreicher Vergleiche beschrieben:

     

    13 Kein Mensch kennt ihren Wert, und im Lande der Lebendigen wird sie nicht gefunden.

    14 Die Tiefe spricht: Sie ist nicht in mir, und das Meer spricht: Sie ist nicht bei mir.

     

     

    15 Geläutertes Gold kann nicht für sie gegeben, und Silber nicht dargewogen werden als ihr Kaufpreis.

    16 Sie wird nicht aufgewogen mit Gold von Ophir, mit kostbarem Onyx und Saphir.

    17 Gold und Glas kann man ihr nicht gleichstellen, noch sie eintauschen gegen ein Gerät von gediegenem Golde.

    18 Korallen und Kristall kommen neben ihr nicht in Erwähnung; und der Besitz der Weisheit ist mehr wert als Perlen.

    19 Nicht kann man ihr gleichstellen den Topas von Äthiopien; mit feinem Golde wird sie nicht aufgewogen.

     

    So wie hier ein Vergleich an den andern gereiht wird, wächst in den Augen dessen, dem das Fragen nach der Weisheit in die Seele gebrannt wurde, der Wert des begehrten Gutes beständig, bis er nichts anderes mehr begehrt, als nur dieses eine zu wissen: Wo finde ich die Weisheit?

     

    20 Die Weisheit nun, woher kommt sie, und welches ist die Stätte des Verstandes?

     

    22 Der Abgrund und der Tod sagen: Mit unseren Ohren haben wir ein Gerücht von ihr gehört.

     

    Der Abgrund und der Tod lassen den Menschen ahnen, dass irgendwo eine höhere und für sie unerreichte Weisheit sein muss. Am Rand der Ewigkeit vernehmen wir das aus der Ferne kommende Gerücht, dass es einen Ewigen geben muss, und dass bei Ihm Weisheit sein müsse.  Aber wir können sie nicht greifen; wir können den Weg zu ihr nicht ausstecken. Wir ahnen nur etwas, wissen aber nichts.

                Nach zwei Negativantworten erfolgt endlich die positive Antwort:

     

    23 Gott versteht ihren Weg, und er kennt ihre Stätte.

     

    Der Schöpfer der Welt kennt die Weisheit, erschuf alles in dieser Weisheit, überblickt daher alles von Ihr erschaffene:

     

    24 Denn er schaut bis zu den Enden der Erde; unter dem ganzen Himmel sieht er.

    25 Als er dem Winde ein Gewicht bestimmte, und die Wasser mit dem Masse abwog,

    26 als er dem Regen ein Gesetz bestimmte und eine Bahn dem Donnerstrahl:

    27 da sah er sie und tat sie kund, er setzte sie ein und durchforschte sie auch.

     

    Wie nun kann der Mensch, wenn er einmal begriffen hat, wo die Weisheit ist, diese Weisheit für sich erlangen?

     

    28 Und zu dem Menschen sprach er: Siehe, die Furcht des Herrn ist Weisheit, und vom Bösen weichen ist Verstand.

     

    Hier leuchtet dem Hiob für einen kurzen Augenblick göttliches Licht in sein Dunkel: Fürchtete er Gott, unterwärfe Er sich Ihm, ohne weitere Fragen zu stellen; und ließe er Gott ihn lehren, fände er Frieden von seinen marternden Gedanken. Aber er ist noch nicht so weit. Nach diesem kurzen Lichtblick fällt wieder Dunkel über seine Seele: Statt sich dem allein weisen Gott zu unterwerfen, beginnt er seine früheren Tage herbeizusehnen. So sind die Kapitel 29 bis 31 Hiobs Eingeständnis, dass er die Weisheit nicht besitzt, um sein Ergehen zu erklären. Er anerkennt, dass Gottes Regierung unbegreiflich (Kap 26) ist, dass Er aber den Gesetzlosen gewiss richten werde (Kap 27). Er selbst aber ist kein Frevler (Kap 29 – 31). Darum ist ihm sein Leiden so unbegreiflich wie je. Es fehlt ihm der Verstand, dies alles, das ihm so widersprüchlich scheint, miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Er weiß zwar den Ort der Weisheit, er kennt sogar die Pforte zum Haus der Weisheit, die Gottesfurcht. Er hat den Schlüssel in der Hand, aber er steht ohnmächtig vor der Tür und kann den Schlüssel nicht verwenden. Er hat die Kraft nicht, den Schlüssel zu drehen und durch die Tür zu treten.

     

     

    Kapitel 29

     

    Hiobs verflossenes Glück

     

    1. Gott war mit Hiob  29,1–6

    2. Hiob genoss das Ansehen der Mitbürger  29,7–11

    3. Hiob war ein Helfer der Armen  29,12–17

    4. Hiob hoffte auf ein langes Leben und ungestörtes Glück  29,18–20

    5. Hiob war Ratgeber und Fürst unter seinen Zeitgenossen  29,21–25

     

    Dies ist die erste Tafel des schönen Triptychons der Kapitel 29, 30 und 31. Hier spricht Hiob in Worten, denen die stille Überzeugungskraft der Wahrheit innewohnt, von seinem ehemaligen Glück, von seiner Integrität, von seinem darauf begründeten Ansehen unter seinen Zeitgenossen. Zunächst erinnert er sich daran, wie Gott damals zu ihm war: Er segnete ihn (Vv. 1–6); dann spricht er davon, wie seine Mitbürger zu ihm waren: Sie ehrten ihn (Vv. 7–11); er begründet das, indem er sagt, wie er sich zu seinen Mitbürgern verhielt: Er half ihnen (Vv. 12–17) und er riet ihnen (Vv. 21–25). Hatte er da nicht Ursache zu hoffen, dass Gott ihm sein Glück belassen und sein Leben verlängern werde (Vv. 18–20).

     

    Vielleicht verrät Hiobs sehnsüchtiger Blick zurück auch ein wenig verborgene Eitelkeit. Wie sollte es Hiob nicht gefallen haben, ein Mann von solchem Ansehen gewesen zu sein? Gott aber will ihn lehren, alle Ehre allein bei Gott zu suchen; darum muss er ihn in die Tiefen führen. Und selbst wenn Hiob nicht frei war von solchen sehr menschlichen Empfindungen, so ist sein wehmütig rückwärtsgewandter Blick nur zu verständlich. Wir können nicht anders, als mitfühlen mit dem schwer geprüften Gottesknecht. Die Beschreibung seines verflossenen Glücks ist von großer Schönheit und ungekünstelter Würde. Aus seinen Worten spricht die Dankbarkeit, mit der Hiob sein von Gott beschertes Glück zu würdigen wusste: »als das Vertrauen Gottes über meinem Zeltete waltete, als der Allmächtige noch mit mir war, meine Knaben rings um mich her« (Vv. 4,5). Hiob war nicht ein herzloser Reicher, ein gottloser Erfolgsmensch oder ein öder Glückspilz. Nein, er wusste, dass er alles, was er war und hatte, Gottes Güte verdankte; denn es war Sein Licht, das ihm den Pfad erhellte: »...als seine Leuchte über meinem Haupte schien, und ich bei seinem Lichte durch die Finsternis wandelte« (V. 3). Und Hiob erwiderte die ihm von Gott erwiesene Liebe mit Gegenliebe. Als er den Bedrängten half und die Nackten kleidete (Vv. 9,12), bewies er zudem, dass er sich seiner eigenen Hilflosigkeit und Bedürftigkeit vor Gott bewusst war.  Dieser Umstand machte Hiobs Leiden um so  unbegreiflicher und gerade um so viel größer. Er hätte leicht eine Erklärung gefunden, hätte er sich vorwerfen müssen, er sei Gott gegenüber undankbar und seinen Nächsten gegenüber hartherzig gewesen. Jetzt aber war das Gegenteil der Fall. Er konnte Gottes Gerechtigkeit und Gottes Liebe mit seinem Ergehen nicht mehr in Einklang bringen, er konnte sich seine Not nicht erklären: »Denn ich erwartete Gutes, und es kam Böses, und ich harrte auf Licht, und es kam Finsternis« (30,26).  Leiden wird gemildert, wenn wir für das Leiden eine Erklärung haben. Not, die uns unerklärbar ist und dazu ungerechtfertigt erscheint, wird bodenlos.

     

    1. Gott war mit Hiob  29,1–6

     

    1 Und Hiob fuhr fort, seinen Spruch anzuheben, und sprach:

    2 O dass ich wäre wie in den Monden der Vorzeit, wie in den Tagen, da Gott mich bewahrte,

     

     »O dass ich wäre wie in den Monden der Vorzeit«: Der mit Weisheit begabte Prediger, der einen tiefen Fall hinter sich hatte, sagt:

     

    »Sprich nicht: Wie ist es, dass die früheren Tage besser waren als diese? – Denn nicht aus Weisheit fragst du danach« (Pred 7,10).

     

    Warum ist solches Fragen »nicht aus Weisheit«? Weil es ein Beweis fehlender Gottesfurcht ist. Wer Gott fürchtet, beugt sich unter Seine auch schwere Hand und erkennt, dass es einem geheimen Murren wider Gott gleichkommt, wenn man sich nach den früheren Tagen sehnt. Denn warum sehnt man sich nach ihnen, wenn nicht aus dem einen Grund, dass man mit den jetzigen Tage nicht zufrieden ist. Jetzt  ist der Tag des Heils, verkünden die Propheten des Alten wie des Neuen Bundes. Heute, wenn wir seine Stimme hört, sollen wir unsere Herzen nicht verhärten. Vertrauen wir hier und jetzt dem gegenwärtigen Gott, dann werden wir finden, dass Bitteres uns zum Heil ist, wie Israel an den Wassern von Mara (2Mo 15,22–26).

                »wie am Tag, da Gott mich bewahrte«: Dieses Bekenntnis ist schön. Hiob versäumt nicht, dem die Ehre für  seine verflossene Wohlfahrt zu geben, dem die Ehre gebührt. Und es spricht auch für Hiob, dass er bei der ausführlichen Beschreibung seines ehemaligen Glücks sein Verhältnis zu Gott als Erstes nennt. 

     

    3 als seine Leuchte über meinem Haupte schien, und ich bei seinem Lichte durch die Finsternis wandelte;

    4 wie ich war in den Tagen meiner Reife, als das Vertrauen Gottes über meinem Zelte waltete,

    5 als der Allmächtige noch mit mir war, meine Knaben rings um mich her;

    6 als meine Schritte sich in Milch badeten, und der Fels neben mir Ölbäche ergoss;

     

     

     

    2. Hiob genoss das Ansehen der Mitbürger  29,7–11

     

    Nachdem Hiob von seiner Beziehung zu Gott gesprochen hat (V.1–6), spricht er als zweites von seinem Verhältnis zu den Mitmenschen. Es war durch zwei Dinge gekennzeichnet: die Achtung der Leute vor ihm, und seine Fürsorge für die Leute.

     

    7 als ich durchs Tor in die Stadt hineinging, meinen Sitz auf dem Platze aufstellte:

     

    Man kann diesen Satz auch so verstehen, dass Hiob zum Tod in der Stadt ging und dort auf dem Torplatz seinen Sitz aufstellte. Hiob gehörte demnach zum Tod der Stadt, d. h. zum Ältestenrat (siehe Spr 31,23). Dort hatte sein Rat offensichtlich so großes Gewicht, dass alle Diskussion aufhörte, sobald er Einsitzt nahm (siehe unten Vv. 21–23; vgl. Apg 15,12a). Ein  so großes moralisches Gewicht kann Hiob natürlich nur deshalb gehabt haben, weil sein Leben von Gottesfurcht und Integrität geprägt war, und das passt schlecht zu den Unterstellungen der Freunde Hiobs. So mögen diese Worte auch als ein kleiner Seitenhieb an deren Adresse gedacht gewesen sein.

     

    8 Die Jünglinge sahen mich und verbargen sich, und die Greise erhoben sich, blieben stehen;

    9 die Fürsten hielten die Worte zurück und legten die Hand auf ihren Mund;

    10 die Stimme der Vornehmen verstummte, und ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen.

    11 Denn wenn das Ohr von mir hörte, so pries es mich glücklich, und wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab.

     

     

     

    3. Hiob war ein Helfer der Armen  29,12–17

     

    Eliphas hatte Hiob vorgeworfen, die Waise und Witwe schamlos bedrückt und den Hungernden gefühllos seiner Not überlassen zu haben (Kap 22). Das war offensichtlich gelogen.

     

    12 Denn ich befreite den Elenden, der um Hilfe rief, und die Waise, die keinen Helfer hatte.

     

    Das Wort »denn« begründet die vorher gemachten Aussagen: Man achtete Hiobs Rat auch deshalb so hoch, weil er ein Helfer der Elenden und ein Beistand der Waisen war. Darin glich er seinem Gott, der ein »Vater der Waisen und Richter der Witwen« heißt (Ps 68,5). Die Gerechtigkeit des Messias wird sich ebenfalls daran erweisen, dass er die Hilflosen nicht schindet und den Wehrlosen das Recht nicht beugt (Ps 72,2,4; Spr 31,8; Jes 11,4).

     

    13 Der Segen des Umkommenden kam über mich, und das Herz der Witwe machte ich jubeln.

    14 Ich kleidete mich in Gerechtigkeit-und sie bekleidete mich-wie in Oberkleid und Kopfbund in mein Recht.

    15 Auge war ich dem Blinden, und Fuß dem Lahmen;

     

    Hiob behielt das Licht, das Gott ihm gegeben hatte, nicht für sich, sondern war bereit, den Irrenden und Unwissenden guten Rat zu geben; und er war auch willens, manchen Gang zu gehen für andere, die durch Krankheit gebunden waren. Der Vers erinnert an Rö 2,19, wo er eine Umschreibung der Selbstgerechtigkeit der Juden ist. Hiob aber war, wie Gott selbst bezeugt, ein wahrhaft Gerechter.

     

    16 Vater war ich den Dürftigen, und die Rechtssache dessen, den ich nicht kannte, untersuchte ich;

    17 und ich zerbrach das Gebiss des Ungerechten, und seinen Zähnen entriss ich die Beute.

     

    In seinem Mitgefühl für die Gepeinigten wagte er auch, dem Ungerechten entgegenzutreten und seinen Zähnen die Beute zu entreißen. Er musste also nicht allein Mut zeigen, sondern auch Kraft und Beharrlichkeit beweisen.

     

     

    4. Hiob konnte auf ein langes Leben und ungestörtes Glück hoffen 29,18–20

     

    18 Und ich sprach: In meinem Neste werde ich verscheiden, und meine Tage vermehren wie der Sand

     

    Es kann sein, dass wir hier eine Ursache finden, warum Gott dem Hiob all seinen Besitz, seinen Frieden und das Ansehen nahm: Er sollte lernen, seine Hoffnung auf Besseres und auf Festeres zu gründen.

     

     »Die Verderbtheit unseres Herzens zeigt sich auch darin, dass wir große Erwartungen auf uns und auf das Geschaffene aufbauen und eine Fülle von Wonne und Zufriedenheit planen auf Grund von verheißungsvollen weltlichen Möglichkeiten. Das war auch beim heiligen Hiob der Fall in den Tagen seiner Wohlfahrt: Ich sprach: In meinem Neste werde ich verscheiden, und meine Tage vermehren wie der Sand.  Wie schnell wurden aber diese Hoffnungen durch eine düstere Vorsehung zerschlagen! Aber all das war nur zu seinem Nutzen; es befreite sein Herz vollständiger von allen Erwartungen von Dingen dieser Schöpfung.« (John Flavel: The Mystery of  Providence).

     

    vgl. 30,26

     

    19 meine Wurzel wird ausgebreitet sein am Wasser, und der Tau wird übernachten auf meinem Gezweig;

    20 meine Ehre wird frisch bei mir bleiben, und mein Bogen sich in meiner Hand verjüngen.

     

     

     

    5. Hiob war Ratgeber und Fürst unter seinen Zeitgenossen  29,21–25

     

    (Zu Vv. 21–23 siehe Anmerkungen oben zu Vv. 7–11)

     

     

    21 Sie hörten mir zu und harrten, und horchten schweigend auf meinen Rat.

    22 Nach meinem Worte sprachen sie nicht wieder, und auf sie träufelte meine Rede.

    23 Und sie harrten auf mich wie auf den Regen, und sperrten ihren Mund auf wie nach dem Spätregen.

    24 Ich lächelte ihnen zu, wenn sie kein Vertrauen hatten, und das Licht meines Angesichts konnten sie nicht trüben.

    25 Ich wählte für sie den Weg aus, und sass als Haupt, und thronte wie ein König unter der Kriegsschar, gleichwie einer, der Trauernde tröstet.

     

    »Ich...thronte wie ein König«: In diesem ganzen Kapitel hat Hiob die Werke eines Königs beschrieben. Gott hatte ihn erhöht und ihm Gewalt über viele gegeben, und diese hatte er zum Wohl der vielen verwendet. Jetzt war ihm alles genommen und er war erniedrigt worden, aber Gott hatte im Sinn, ihn wieder zu erhöhen, höher emporsteigen zu lassen als je zuvor. Darum sorgte er dafür, dass Hiob sich Gottes Hand und Regierung unterwarf. Daraufhin erhöhte ihn Gott. So geschieht mit einem jeden, den Gott zum Leben erwählt. Adam war als ein Herr und Herrscher über die Schöpfung erschaffen worden, der seine von Gott gegebene Gewalt zum Wohl der Schöpfung verwalten sollte. Wir sind ein gefallenes Geschlecht, werden aber, sofern wir uns Christus unterworfen haben, erhöht und mit größerer Gewalt und Ehre ausgestattet werden, als Adam sie je besaß: »Du...hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen.« (Off 5,10).

     

     

     

    Kapitel 30

     

    Hiobs gegenwärtiges Unglück

     

    1. Der einst von allen  Geachtete wird jetzt von den Verachtetsten geschmäht  30,1–8

    2. Der einst glücklich Gepriesene ist jetzt zum Spottlied geworden  30,9–15

    3. Der einst Gottes Wohlgefallen genoss, wird jetzt von Gott befeindet  30,16–23

    4. Sollte ein unverhofft und ohne Ursache Leidender nicht klagen dürfen?  30,24–31

     

    Dieses Kapitel ist das Negativ des schönen Gemäldes vom vorherigen Kapitel. Dort hatte Hiob sein ehemaliges Glück geschildert; hier beschreibt er in nicht weniger ergreifenden Worten sein gegenwärtiges Unglück. Die Einteilung des Kapitels wird durch das dreimal verwendete Stichwort »Und jetzt« markiert (V. 1; V. 9; V. 16). Zuerst macht Hiob auf die Größe seines Unglücks aufmerksam, indem er zeigt, wer ihn jetzt schmäht: die Verworfensten unter den Menschen (Vv. 1–8); sodann macht er die Größe seines Unglücks bewusst, indem er zeigt, in welcher Weise sie ihn schmähen (Vv. 9–15). Drittens beschreibt er die Größe seines Unglücks, indem er zeigt, wie hoffnungslos seine Lage ist, da Gott selbst nicht hilft und sein Schreien nicht beantwortet (Vv. 16–23); und viertens lässt er uns die Größe seines Unglücks erkennen, indem er zeigt, dass es unerwartet und unverdient über ihn kam (Vv. 24–31). Das ganze Bild wird in der Wirkung erhöht dadurch, dass es neben das Bild seines ehemaligen Glücks gestellt ist. Der Kontrast ist überwältigend, und wir müssen einfach verstehen, dass Hiobs Seele überwältigt ist. Er wurde einst von den Besten geehrt, jetzt wird er von den Schlimmsten gehöhnt; einst pries man ihn glücklich, jetzt ist er zum Spottlied geworden; einst waltete das Vertrauen Gottes über seinem Zelt, jetzt ist er Gott zum Feind geworden; einst hoffte er auf ein langes und von Frieden gesättigtes Leben, und jetzt ist er in Finsternis gestürzt; einst hatte er den Armen befreit, jetzt wird er in den Staub getreten und kein Helfer ist da.

     

    1. Der einst von allen  Geachtete wird jetzt von den Verachtetsten geschmäht  30,1–8

     

    1 Aber jetzt lachen über mich Jüngere als ich an Jahren, deren Väter ich verschmähte, den Hunden meiner Herde beizugesellen.

     

    Früher hatten die Jüngeren sich verkrochen, sobald Hiob im Tor erschien, und jetzt lachen sie über ihn. Früher hatten die besten im Volk ihn glücklich gepriesen, und jetzt spotten die miesesten Charaktere über ihn. In typisch orientalischer Weise zeigt Hiob, was er von diesen Leuten hält: Sie sind so jämmerlich, dass er es früher verschmähte, ihre Väter unter seine Hirtenhunde zu zählen.

     

    2. Der einst glücklich Gepriesene ist jetzt zum Spottlied geworden  30,9–15

     

    9 Aber jetzt  bin ich ihr Spottlied geworden, und ward ihnen zum Gerede.

    10 Sie verabscheuen mich, treten fern von mir weg, und sie verschonen mein Angesicht nicht mit Speichel.

    11 Denn er hat meinen Strick gelöst und mich gebeugt: so lassen sie vor mir den Zügel schießen.

     

    Die Worte Hiobs erinnern an manche Psalmen (22; 69; 109), und das erinnert uns daran, dann noch nie jemand so ungerecht behandelt worden ist wie unser Herr. Wir verstehen, dass Hiob über seine Not klagte; was uns ganz unbegreiflich ist, ist unser Herr, der alles still litt, leidend nicht drohte, sondern sich dem übergab, der recht richtet (1Pet 2,23).

                Gott »hat meinen Strick gelöst«. Der Satz erinnert an 12,21. Als Hiob dort sagte, dass Gott den Gürtel der Starken schlaff macht, war das nicht eine bloße theologische und moralische Maxime, sondern er sprach aus eigener Erfahrung. Gott hatte ihm die Kraft genommen und damit die Fähigkeit, die er vorher gehabt hatte: sich und seine Sache in der Hand zu haben und sicher zu lenken. Es ist Gott, der das getan hat, ohne Hiobs Schuld, wie Hiob weiß (und auch wir wissen). Aber die Leute wissen es nicht, und darum höhnt ihn jetzt der Abschaum der Stadt. Das ist erschütternd.

     

     

    3. Der einst Gottes Wohlgefallen genoss, wird jetzt von Gott befeindet  30,16–23

     

    16 Aber jetzt ergießt sich in mir meine Seele; Tage des Elends haben mich ergriffen.

    19 Er hat mich in den Kot geworfen, und ich bin dem Staube und der Asche gleich geworden.

    20 Ich schreie zu dir, und du antwortest mir nicht; ich stehe da, und du starrst mich an.

    21 In einen Grausamen verwandelst du dich mir, mit der Stärke deiner Hand befeindest du mich.

     

    Alles, was Hiob hier sagt, hat er bereits gesagt. Gott tauche ihn in den Kot; deshalb könne er noch so gerecht sein, er werde doch besudelt dastehen (Kap 9, besonders V. 31); er schreie, ohne dass Gott ihm antworte (19,7), und Er starre ihn an, als habe Er sich ihn zur Zielscheibe gesetzt (7,20), und Gott befeinde ihn (13,24; 16,9).

                Schließlich behauptet er: »Ich weiß, du willst mich in den Tod zurückführen...« (V. 23)  Hier irrt Hiob, denn Gott sinnt die ganze Zeit darauf, ihm Leben und Herrlichkeit zu geben. An Hiob sehen wir immer wieder: Wenn wir nach dem Schein urteilen, irren wir. Nur wenn wir nach dem Glauben urteilen, urteilen wir recht.

     

    22 Du hebst mich empor auf den Wind, du lässest mich dahinfahren und zerrinnen im Sturmgetöse.

     

    Hiob stellt richtig fest: Gott ist es, der ihn im  Wind dahinfahren lässt (siehe auch 9,17). Aber er zieht daraus noch immer nicht die richtige Schlussfolgerung. Er meint, dass könne nur bedeuten, dass Gott sein Feind sei, dass Gott etwas gegen ihn habe. Nachdem Elihu geredet hat, wird er plötzlich Gottes Stimme hören, und zwar »aus dem Sturm« (38,1). Der Sturm war Gottes Stimme; Gott hatte die ganze Zeit zu Hiob gesprochen; aber Hiob hatte es nicht gehört.

     

     

    4. Sollte ein unverhofft und ohne Ursache Leidender nicht klagen dürfen?  30,24–31

     

    24 Doch streckt man beim Sturz nicht die Hand aus, oder erhebt man bei seinem Untergang nicht darob ein Hilfsgeschrei?

     

    Wenn man wie Hiob aus großer Höhe gestürzt ist, ist der Schmerz groß (siehe Einleitung), und dann ist es ganz natürlich, dass man »darob ein Hilfsgeschrei« erhebt.

     

    25 Weinte ich denn nicht über den, der harte Tage hatte? War meine Seele nicht um den Dürftigen bekümmert?

     

    Hiob lebte nach der apostolischen Forderung: »Weint mit den Weinenden« (Rö 12,15). Er gehörte nicht zu den Leuten, die nicht an die Not der Ärmeren denken, wenn es ihnen gut geht. Wir begreifen daher nur zu gut, dass Hiob maßlos enttäuscht ist, dass sich in seiner Not keiner findet, der mit ihm weint.

     

    26 Denn ich erwartete Gutes, und es kam Böses; und ich harrte auf Licht, und es kam Finsternis.

     

    vgl. 29,12. So sollte es den gottlosen aber selbstgerechten Juden später ergehen (Jes 59,9). Aber Hiob war keines von beiden. Darum verstehen wir:

     

    27 Meine Eingeweide wallen und ruhen nicht; Tage des Elends sind mir entgegengetreten.

    28 Trauernd gehe ich einher, ohne Sonne; ich stehe auf in der Versammlung und schreie.

     

    Hiobs »Eingeweide wallen«, und er sieht kein Licht mehr: »ohne Sonne stehe ich auf«. Er versteht sein Ergehen nicht, und das erst macht sein Leiden bodenlos.

                Und erneut müssen wir an den Herrn denken: Er war vollkommen; Er war selbst das Licht. Und doch wurde Er in Finsternis gestürzt, und es war keiner da, der Ihn getröstet hätte (Ps 69,20), als Er Schlimmeres erlitt, als je ein Mensch erlitten hat. Was der Herr durchmachte, war so schlimm, dass niemand es sehen konnte. Es hätte es niemand begreifen, ja, ertragen können, als nur Gott. Er allein sah es; Er erkannte es. Aber er wandte sich vom Herrn ab:

     

    »Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?«

     

     

     

     

    Kapitel 31  

     

    Hiobs Unschuld

     

    1. Hiobs persönliche Integrität  31,1–12

    2. Hiobs gerechter Umgang mit dem Nächsten  31,13–23

    3. Hiobs gottselige Beziehung zu Gott   31,24–34

    4. Hiob ruft ein letztes Mal Gott zum Zeugen an 31,35–40

     

    Mit dieser Rede sind Hiobs Worte zu Ende (V. 40). In ihr beteuert er noch einmal seine Unschuld, und damit ist das Triptychon vollständig: Auf der linken Tafel ist sein verflossenes Glück gemalt, auf der mittleren seine gegenwärtige Not, auf der rechten seine Unschuld. Jede der Tafeln stellt die Wirklichkeit getreu dar. Wie soll da einer klug werden aus Gottes Wegen? Weil Gott Liebe ist, hatte Er Hiob gesegnet. Wie kann Er dann aber seinen Knecht leiden sehen? Und wenn Gott gerecht ist, warum straft Er einen Unschuldigen?

     

    »Er legt jetzt mit Bedacht, in großer Ausführlichkeit und mit offenkundiger Sorgfalt den Eid auf seine Unschuld ab. Dies bildete seine endgültige und abschließende Antwort auf die Grundgedanken, welche die Urteile seiner Freunde begründet hatten. In jeder Rede hatten sie darauf bestanden, dass seine Plage die folge von Sünde sein müsse. Er hatte darauf geantwortet, indem er darauf verwies, dass diese Philosophie sich anhand zahlreicher Beispiele des Lebens als falsch erweist, und dass sie deshalb auch in seinem Fall falsch sein müsse. Jetzt beteuert er in wohl abgewogenen Aussagen seine Unschuld in seinem persönlichen Leben, in seinem Umgang mit dem Nächsten und in seiner Beziehung zu Gott.« (G. C. Morgan)

     

    Zunächst bekennt sich Hiob zu seiner allgemeinen Gottesfurcht. Er weiß, dass er nicht ungestraft nach einer Jungfrau blicken kann, dass Gott Verderben bereitet für den, der Frevel tut. Er weiß, dass Gott alle seine Wege sieht und sein Tun erwägt (Vv. 1–4). Darauf nennt er eine lange Reihe von Missetaten, die eine Strafe verdient hätten, von denen er aber keine begangen hat (Vv. 5–40): »Wenn ich mit Falschheit umgegangen bin...« (V. 5); »Wenn mein Herz zu einem Weibe verlockt worden ist...« (V.9); »Wenn ich das Recht meines Knechtes und meiner Magd missachtete...« (V.13); »Wenn ich den Armen ihr Begehr versagte...« (V.16); »Wenn ich das Gold zu meiner Zuversicht gemacht habe...« (V.24); »wenn ich die Sonne sah, wie sie glänzte...« (V. 26);  »Wenn ich mich freute über das Unglück meines Hassers...« (V. 29); »Wenn mein Acker über mir schreit...« (V.38), dann würde jeder Hiobs Unglück verstehen. Nun aber ist er unschuldig und fordert kühn die Gerechtigkeit Gottes heraus: »Hier ist meine Unterschrift; der Allmächtige antworte mir!« (V. 35). Hiemit sind »die Worte Hiobs zu Ende« (V. 40). Er weiß nichts mehr zu sagen; er kann sein Ergehen nicht begründen; er erwartet von Gott Rechenschaft über Sein Tun. Wir wissen zwar, dass das verkehrt, ja, sogar Sünde ist. Können wir es Hiob aber ankreiden, dass er sich nicht stille fügt? Unser Mund, mit dem wir den leidenden Knecht des Herrn behende verurteilen, verurteilt uns selbst; denn: Sind wir frei von Hiobs Regungen?

                Mit dieser Rede sind nicht nur Hiobs Worte (V. 40), sondern auch die Worte seiner Freunde zu Ende. Hiob hat mit seiner letzten Rede ein jedes ihrer Argumente widerlegt. Sie wissen ihm nichts mehr zu antworten (32,1)

     

    1. Hiobs persönliche Integrität  31,1–8

     

    1 Ich habe mit meinen Augen einen Bund gemacht, und wie hätte ich auf eine Jungfrau geblickt!

    2 Denn was wäre das Teil Gottes von oben gewesen, und das Erbe des Allmächtigen aus den Höhen?

    3 Ist nicht Verderben für den Ungerechten, und Missgeschick für die, welche Frevel tun?

     

    Hiob hat nicht das 7. Gebot gebrochen, und zwar nicht allein dem Buchstaben, sondern dem Geist nach (siehe Mt 5,27,28). Die V. 2 und 3 zeigen uns, dass es die Gottesfurcht war, die ihn lehrte, die Sünde zu hassen: »Die Furcht des HERRN ist: das Böse hassen« (Spr 8,13).

     

    4 Sieht er nicht meine Wege und zählt alle meine Schritte?

     

    Der Herr sieht auch im Verborgenen. Er weiß jeden Schritt, den ich gehe. Wer das glaubt, wird auch nicht im  Verborgenen seinen geheimen Lüsten fröhnen.

                Der Herr kennt alle meine Wege, ja, Er zählt gar meine Schritte, alle meine Schritte. Während eines Leben läuft der Mensch ungefähr viermal um die Erde, das sind 160 000 Kilometer, oder 160 Millionen Meter, oder mindestens 300 Millionen Schritte. Kein einziger wird von Gott übersehen; keiner ist ihm verborgen. Das ist dem Glaubenden ein großer Trost. Als David von Feinden bedrängt und von Hassern gejagt wurde, wusste er: »Mein Umherirren zählst du« (Ps 56,8).

     

     

    2. Hiobs gerechter Umgang mit dem Nächsten  31,9–23

     

    9 Wenn mein Herz zu einem Weibe verlockt worden ist und ich an der Tür meines Nächsten gelauert habe:

    10 so möge mein Weib für einen anderen mahlen, und andere mögen sich über sie beugen!

    11 Denn das ist eine Schandtat, und das eine Missetat für die Richter.

    12 Denn ein Feuer ist es, das bis zum Abgrund frisst, und das meinen ganzen Ertrag entwurzeln würde.

     

    In diesen Worten bestätigt Hiob einmal mehr seinen Glauben an das lex talionis, das Gesetz der gerechten Wiedervergeltung. Was der Mensch sät, das wird er ernten; was er Böses getan hat, muss und wird die diesem Bösen angemessene Vergeltung finden. Hat er das Weib seines Nächsten entehrt, dann soll ein Fremder sein Weib entehren.

     

    13 Wenn ich das Recht meines Knechtes und meiner Magd missachtete, als sie mit mir stritten:

    14 was wollte ich dann tun, wenn Gott sich erhöbe; und wenn er untersuchte, was ihm erwidern?

    15 Hat nicht er, der mich im Mutterleibe bereitete, auch ihn bereitet, und hat nicht einer im Schoß uns gebildet?

     

    Hiob hat »das Recht meines Knechtes und meiner Magd« deshalb nicht missachtet, weil er Gott fürchtete. Er glaubte an ein kommendes Gericht aller: »Was sollte ich dann tun, wenn Gott sich erhöbe?«

                Er hatte auch einen zweiten Grund, warum er seine Knechte und Mägde nicht  bedrückte: »Hat nicht einer im Schoß uns gebildet?« Wir sind alle Gottes Geschöpfe; das lehrt uns, wenn wir es glauben, den andern zu lieben (siehe Mal 2,10).

     

    23 Denn das Verderben Gottes war mir ein Schrecken, und vor seiner Erhabenheit vermochte ich nichts.

     

    Nach Vv. 2–4, 11, 15 sagt Hiob ein viertes Mal sagt Hiob, dass es seine Furcht vor Gott war, die ihn hinderte, dem Nächsten Unrecht zu tun oder ihm seine Hilfe zu verweigern. Wir haben hier ein untrügliches Merkmal echter Frömmigkeit: Sie setzt alles Tun und Lassen direkt zu Gott in Beziehung, während falsche Frömmigkeit  genau das nie tut, sondern alles nur tut, weil die Leute es sehen (V. 34; siehe Mt 6). Siehe unten auch V. 28.

     

     

    3. Hiobs gottselige Beziehung zu Gott   31,24–34

    Hiob hat nicht auf Gold vertraut (V. 24; siehe 1Tim 6,17); Hiob hat nicht der Schöpfung mehr Verehrung und Dienst dargebracht als dem Schöpfer (V. 26; siehe Röm 1,25); Hiob hat sich nicht das angemaßt, was Gottes Sache ist, nämlich gerechtes Gericht zu üben, unddarum hat er das Unglück seines Hassers nie als eine persönliche Genugtuung angesehen (V. 30), und er hat seine Missetat nicht vor Gott zu verbergen gesucht (V. 33).

     

    4. Hiob ruft ein letztes Mal Gott zum Zeugen an 31,35–40

     

    35 O dass ich einen hätte, der auf mich hörte, – hier ist meine Unterschrift; der Allmächtige antworte mir! – und die Klageschrift, welche mein Gegner geschrieben!

     

    Wer soll auf Hiob hören? Es bleibt nur einer, dem Hiob vertraut: »der Allmächtige«. Wie er in seinem zurückliegenden Leben alles vor Gott und mit Blick auf den Tag des kommenden Gerichts getan hatte, so tut er auch jetzt. Der Allmächtige soll zwischen ihm und seinen Klägern entscheiden. Gott wird es tun; er wird Hiob noch vor den Freunden rehabilitieren; aber zuerst wird er mit Hiob noch ein Wort reden müssen.

     

    36 Würde ich sie nicht auf meiner Schulter tragen, sie mir umbinden als Krone?

    37 Ich würde ihm kundtun die Zahl meiner Schritte, würde ihm nahen wie ein Fürst.

    38 Wenn mein Acker über mich schreit, und seine Furchen allesamt weinen;

    39 wenn ich seinen Ertrag ohne Zahlung verzehrt habe, und die Seele seiner Besitzer aushauchen ließ:

    40 so mögen Dornen statt Weizen, und Unkraut statt Gerste hervorkommen! Die Worte Hiobs sind zu Ende.

     

    Ja, »die Worte Hiobs sind zu Ende«. Er hat sich und seine Sache gut verteidigt. Hat er aber wirklich nichts mehr zu sagen? Sollten seine letzten Worte wirklich diese ausführlichen Beschreibungen seiner selbst sein? Das wäre bei aller Richtigkeit dieser Worte ein kümmerlicher Schluss. Armer Hiob, wäre es dabei geblieben, armer Hiob, wäre er von Gott nicht zu einem viel schöneren Ende gebracht worden, zu einem Ende, bei dem Hiob nicht mehr von seiner Integrität, überhaupt nicht mehr von sich selbst erfüllt war, sondern nur noch von Gott und von Gottes Güte. Das nämlich muss und das wird das Ende aller Heiligen Gottes sein. Sie werden das nie endende Lied der Anbetung des Lammes singen.