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Die Herrlichkeit des Herrn Jesus in den vier Evangelien    DOC

 

W.J. Ouweneel

 

1. Matthäus

 

Könnte es ein Thema geben, das für uns als Gläubige herr­licher und reichhaltiger ist als die Person des Herrn Jesus Christus? Es gibt viele Segnungen in Gottes Wort, die un­sere Herzen froh machen können. Doch sie werden uns im­mer zu Dem führen, der die Quelle all dieser Segnungen ist, dem wir alles zu verdanken haben und der alles für das Herz Gottes ist. Könnte es etwas Herrlicheres geben, als über Den nachzudenken, von dem Gott gesagt hat: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an weichem ich Wohlge­fallen gefunden habe"? Aber auch: Könnte es ein schwie­rigeres Thema geben? Wir lesen in diesem Evangelium: "Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater", und wer sind dann wir, daß wir, obwohl wir Gläubige sind und den Geist Gottes haben, uns mit der Herrlichkeit Seiner Person beschäftigen? Daß es solch ein reichhaltiges und vielseiti­ges Thema ist, kommt das nicht darin zum Ausdruck, daß der Heilige Geist vier Männer gebraucht hat, die, durch den Geist geleitet, uns den Herrn Jesus auf vier verschiedene Weisen vorgestellt haben? War das von seiten Gottes nicht ein Entgegenkommen für unser schwaches Erkennen der Herrlichkeit des Herrn Jesus? Diese Herrlichkeit ist so um­fassend, und wir sind so wenig in der Lage, sie in uns auf­zunehmen, daß der Heilige Geist uns in vier aufeinander­folgenden Portraits, wenn ich so sagen darf, zeigt, wer Er ist: der Mann nach dem Herzen Gottes.

 

Und ich kann tatsächlich sagen: Portraits. Denn wir dürfen nicht denken, daß diese Evangelien Lebensbeschreibungen sind, eine historische Aufeinanderfolge von Ereignissen. Es sind Portraits, wobei Ereignisse und Aussprüche so ge­wählt und geordnet sind, daß sie uns in einer wunderschönen Schilderung zeigen, wer der Herr Jesus ist, und zwar so, wie jeder dieser vier Evangelisten beauftragt war, Ihn vorzustellen.

 

Wenn wir wissen wollen, was das besondere Anliegen des M a t t h ä u s ist, brauchen wir nicht lange zu suchen. Es ist meine Absicht, an diesen Abenden mit euch die Evan­gelien zu betrachten und zu versuchen, euch sozusagen das Portrait zu zeigen, so wie jeder dieser Evangelisten es uns vor Augen stellt. Und wenn wir wissen wollen, was das Gemälde ist, das Matthäus uns zeigt, dann müssen wir be­rücksichtigen, daß er an gläubige Juden geschrieben hat, die aus dem alten Volk Israel zur Bekehrung gekommen waren und nun zwei große Fragen hatten. Es sind diese Fragen, die in diesem Evangelium beantwortet werden. Die erste Frage lautet: Ist Er wirklich der Messias Gottes, Er, Jesus von Nazareth, der am Kreuz gestorben ist? Ist Er Derjenige, von dem Gott im Alten Testament gespro­chen hat, und der von den Propheten angekündigt worden ist? Und zweitens: Wenn Er der Messias ist, der König der Juden, warum hat Er dann das verheißene Friedensreich nicht aufgerichtet? Warum sitzt Er dann nicht auf dem Thron Davids? Warum ist Er zu Gott zurückgekehrt? Und warum ist Israel beiseitegestellt? Das will uns Matthäus zeigen; er will uns einerseits vorstellen, wer der Herr Je­sus ist als der Mann nach dem Herzen Gottes, der wahre David, und auf der anderen Seite, was das Besondere war, das geschah, als der Herr hier auf der Erde lebte. Er kam ja, um das Friedensreich zu errichten, denn Er Selbst hat gesagt: "Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen" (4, 17). Was muß da nur auf der Erde geschehen sein, daß alles scheinbar so radikal ein Ende gefunden hat und Er diese Erde als ein verworfener und gekreuzigter Messias verlassen hat? Gerade das will Matthäus uns in seinem Evangelium sagen; er zeigt uns, daß, als der Herr auf die Erde kam, nicht alles mißglückte, wie es den Anschein hatte, sondern daß, während einer­seits Israel Ihn verwarf, Gott andererseits einen Anlaß fand, die wunderbarsten Ratschlüsse Seines Herzens zu entfalten, nicht im Blick auf Israel, sondern im Blick auf die Versammlung, die erst dann zum Vorschein kommen konnte, nachdem Israel den Herrn verworfen hatte und das Volk selbst von seinem Messias beiseitegestellt war

 

Wer ist Er, den uns Matthäus vorstellt? Wir finden Ihn be­reits in Kapitel 1, 1, und dort haben wir zugleich den Schlüssel‑ "Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Soh­nes Davids, des Sohnes Abrahams." Wer anders konnte der König der Juden sein als Er, der der königlichen Linie des Hauses Davids entstammte? Wer anders konnte der Messias sein als Er, der der Sohn Abrahams war, das Ge­fäß der Verheißung, von dem Gott gesagt hatte: "Und in deinem Samen werden sich segnen [oder: gesegnet wer­den] alle Nationen der Erde" (l. Mo 22, 18). Doch wir se­hen hier zugleich, was das Volk war, aus dem Er geboren wurde. Es sind keine Frauen wie eine Rebekka und eine Sarah, die hier als Seine mütterlichen Vorfahren aufge­zählt werden, sondern es sind sündige, unwürdige Frauen wie eine Tamar, eine Ruth und eine Rahab. So war das Volk, aus dem Er in gnädiger Herablassung geboren wer­den wollte. Das ist Er, der uns hier als der König, der Sohn Davids, vorgestellt wird. Und gerade weil Er der Sohn Da­vids ist, kann es nicht anders sein, als daß der Engel hier nicht (wie in Lukas) zu Maria kommt. Maria war zwar in leiblicher Hinsicht Seine Mutter. Nein, der Engel kommt zu Joseph, denn es gab nur e i n e Weise, in der der Herr Jesus der Sohn Davids werden konnte, indem Er nämlich der Sohn Josephs wurde. Deshalb spricht der Engel Jo­seph in Kapitel 1, 20 als Sohn Davids an. Wenn wir wissen wollen, weshalb Er der Messias, der König der Juden ist, dann ist die Antwort von Matthäus: Weil Er der Sohn Jo­sephs ist, denn Joseph war der direkte Nachkomme Da­vids. Und nur, wenn der Herr in die gesetzmäßigen Rechte Josephs eintrat, konnte Er der Messias Israels sein. Doch zu gleicher Zeit ‑ o wie wunderbar ist die Weise, in der Gott handelt ‑ hätte der Herr, wenn Er der leibliche Sohn Josephs gewesen wäre, niemals der Messias sein kön­nen. Denn der Messias ist nicht nur der Sohn Davids, son­dern auch Derjenige, von dem Gott in Psalm 2 sagt: "DU bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt", und: "Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion". Wie kann Gott es verwirklichen, daß Jesus der Sohn Josephs ist und gleichzeitig der Sohn Gottes? Wie wunderbar führt Gott Seine Pläne aus! Jesus war nicht durch Joseph gezeugt ‑Er war gezeugt von Gott, dem Allerhöchsten, aus der Jung­frau Maria.

 

Wir finden hier zuerst in Vers 20: "Joseph, Sohn Davids"; das ist der erste Titel des Herrn Jesus: Er war der Mes­sias, der wahre David, der Mann nach dem Herzen Gottes. Doch die zweite Hälfte von Vers 20 besagt dann: Joseph war lediglich sein Vater nach dem Gesetz. Er wurde von Gott, dem Heiligen Geist, aus Maria erweckt, und dadurch ist Er, wie Psalm 2 angekündigt hatte, der Sohn Gottes. Außerdem finden wir hier eine dritte Herrlichkeit, die noch darüber hinaus geht. Er war der Sohn Davids, Er war der Sohn Gottes (noch herrlicher), doch es gab etwas, wovon nur an wenigen Stellen im Alten Testament die Rede war: Er würde Gott Selbst sein. Sein Name sollte Jesus ge­nannt werden, was bedeutet: Jehova ist Rettung. Es sollte nicht einfach ein Heiland zu dem Volke kommen, sondern Jehova Selbst würde als Retter inmitten Seines Volkes erscheinen. Ist es dann nicht wunderschön, daß wir hier bereits in Vers 21 lesen, worauf dieses Evange­lium am Ende hinausläuft? Wir haben gesehen, daß der Herr Jesus aus einem sündigen, nichtswürdigen Volk ge­boren wurde. Ist es nicht kostbar, daß der Engel deshalb sagt: "Er wird sein Volk erretten von ihren Sünden"? SEIN Volk! Es war das Volk Gottes, und Gott Selbst tritt in die Mitte Seines Volkes! Jesus ist der Emmanuel ‑ "Gott mit uns", sagt Vers 23. Das Matthäusevangelium zeigt uns be­ständig, daß Er Derjenige ist, der die Prophezeiungen er­füllt, der angekündigte Messias des Alten Testaments. Gott Selbst hatte gesagt, daß die Jungfrau schwanger wer­den würde, und der Sohn, den sie gebären würde, würde der von Gott gezeugte Messias, ja, Gott Selbst sein, "Gott mit uns". Was ist die Herrlichkeit des Herrn Jesus bei Matthäus? Ist es nicht vor allem dies: Emmanuel ist erschie­nen, der "Gott mit uns" ist in die Mitte Seines Volkes ge­kommen. Und es braucht auch kein Zweifel darüber zu bestehen, wer dieses Volk ist, denn hier wird gleich zu Beginn gesagt: "Er wird SEIN Volk ‑ Gottes Volk ‑ erretten von ihren Sünden".

 

So tritt Er hier in die Mitte dieses sündigen Volkes als der Sohn Davids, der Sohn Gottes, ja, Gott Selbst. Nein, von dem Volk brauchen wir nicht viel zu erwarten. Hier finden wir niemanden aus dem Volk, der an der Geburt des Mes­sias interessiert ist. Hier sind es nicht die Hirten, die kom­men, sondern Männer, die vom Ende der Erde gerufen werden, Helden, die mehr Interesse an dem König der Ju­den haben, der geboren ist, als die Juden selbst. Israel wird hier von Anfang an als ein sündiges Volk gekenn­zeichnet, das kein Interesse an seinem Messias hat. Es sind solche, die sich der alten Prophezeiung Bileams er­innert haben dort im Osten, und die wissen: "Es tritt her­vor ein Stern aus Jakob" (4. Mo 24, 17). Sie haben nach etwas ausgeschaut, wonach Israel nicht ausschaute. Sie haben den Stern gesehen und kommen und fragen: "Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist?" Israel kann zwar berichten wo dieser ist: in Bethlehem; aber es gibt keinen Israeliten, der mit ihnen gegangen wä­re, um Ihn ebenfalls anzubeten. Und nicht nur das: Wenn dieses Volk so abgewichen ist, kann es auch nicht mehr das Zeugnis Gottes auf der Erde sein. Wenn Emmanuel inmitten Seines Volkes erscheint, kann Gott keinen ande­ren Zeugen auf der Erde anerkennen als den Herrn Jesus Selbst, so daß sogar die Prophezeiungen, die früher für Israel galten, auf Ihn angewendet werden. War es nicht Israel, das als Sohn Gottes aus Ägypten gerufen war? "Israel ist mein erstgeborener Sohn". Doch hier hat Gott Sein Augenmerk auf einen anderen Sohn gerichtet, und so wendet Matthäus das Wort aus Hosea 11, 1 auf den Messias an. Der Herr Jesus war es, der nun als ein Zeugnis Gottes, als der wahre Weinstock (vgl. Ps 80 mit Joh 15), im Land der Verheißung gepflanzt wurde. Und wo? Inmitten der bösen Führer in Jerusalem? 0 es gibt nichts Schöneres im Blick auf Israel als dies (und das sehen wir im ganzen Evange­lium), daß der Herr Sich niemals zu den Reichen und Vor­nehmen gehalten hat, sondern zu den Allerniedrigsten und Allergeringsten, wie es auch die Allergeringsten Seiner mütterlichen Vorfahren waren, die in Seinem Geschlechts­register aufgezählt werden. Er ging nach Galiläa, das von Judäa verachtet wurde und durch Samaria scharf getrennt war von dem Rest des jüdischen Volkes. Dort findet der Herr als Kind Seinen Platz in einer der verachtetsten Städ­te, in Nazareth. Dort wollte Er sein, dort fühlte Er Sich zu Hause, in diesem dunklen Land, wovon der Prophet gesagt hatte, daß Gott dort ein großes Licht aufgehen lassen wür­de. Nicht in dem bösen Jerusalem, sondern in Zabulon und Nephthalim, im Norden des Landes.

 

Das alles wird bestätigt, wenn wir den Vorläufer kommen sehen, den Herold des Königs, der vor Ihm ausgeht. Wie kommt Johannes zu dem Volk? In Begeisterung das Volk vorbereitend auf die Segnungen des Messias? Nein, er zeigt unmißverständlich, was der Zustand des Volkes ist, und stellt ihnen den Herrn Jesus nicht vor als den Mes­sias, der kommt, um nur Segnungen zu bringen, sondern als Denjenigen, der mit dem Heiligen Geist und mit dem Feuer des Gerichtes Gottes taufen wird. Die Axt liegt an der Wurzel der Bäume! Könnte man noch daran zweifeln, was für ein Volk das ist, unter dem der Herr Jesus als der wahre Jude, als der Messias Seinen Platz einnimmt? Kann Er Sich einsmachen mit diesem gottlosen Volk? Nein, sagt Johannes, wenn jemand dem Messias entgegengehen will, dann muß er seine Sünden bekennen, seinen toten Zu­stand vor Gott anerkennen und sich von dem gottlosen Volk durch die Taufe der Buße (Umkehr) absondern und ‑ so zubereitet ‑ den Messias willkommen heißen.

 

Nachdem nun der Herr Selbst kommt, sehen wir zu Beginn Seiner Laufbahn etwas, was kein Mensch sich jemals hät­te ausdenken können. Wenn wir uns hätten vorstellen sol­len, was geschehen würde, wenn der Herr dort die kleine Schar derer sieht, die zubereitet sind, um Ihn zu empfan­gen, dann hätten wir vielleicht gedacht, daß Er, hoch über sie erhaben, sie gnädig annehmen würde. Aber Er wollte nicht hoch über sie erhaben sein. Er war gekommen, um unter den Geringsten des Volkes zu wohnen, und so woll­te Er Sich zu den elenden Schafen halten, die sich hier hatten taufen lassen, um Ihm angehören zu können. Er wollte Sich ihnen anschließen auf die vollkommenste, demütigste und rührendste Weise, für uns unbegreiflich. Er schloß Sich ihnen an, machte Sich eins mit ihnen, aner­kannte sie, indem Er Sich ebenfalls taufen ließ! Kannst du dich da hineinversetzen, was das bedeutet? "Gott mit uns" kommt, um in unserer Mitte zu wohnen, und läßt Sich tau­fen, als wäre Er ein unwürdiger Israelit, einer, der seine Sünden bekennen und seinen Zustand vor Gott anerken­nen muß. Und doch unterzieht sich der Herr bewußt dieser Erniedrigung. "Gott mit uns" kommt zu Seinem Volk und hat kein anderes Verlangen ihnen gegenüber, als inmitten dieses Volkes den niedrigsten und geringsten Platz einzu­nehmen, unter denen, von welchen Psalm 16 sagt: "Das sind die Herrlichen, an denen alle meine Lust ist" (siehe die Fußnote zu Psalm 16, 3 in der Elberfelder Überset­zung). Er machte Sich vollkommen eins mit dem Oberrest Israels, so vollkommen, daß Er Seinen Platz in ihrer Mitte in derselben Weise einnimmt wie sie, indem Er sich taufen läßt, als wäre auch Er ein sündiger Büßer. Als Johannes Ihm wehrt, sagt der Herr: "Laß es jetzt so sein; denn also gebührt es uns [dir, Johannes, und Mir], alle Gerechtig­keit zu erfüllen" ‑ um auf dem Weg Gottes zu wandeln in Gehorsam zu Ihm. Doch kann Gott im Himmel, der an­schaut, wie der Herr Jesus, der Emmanuel, Sich so ernie­drigt und Sich ihnen anschließt, dieses geschehen las­sen, so daß die Umherstehenden denken könnten, daß der Herr Jesus ebenfalls ein Jude ist, der seine Sün­den vor Gott bekennen muß, Er, der Reine, der Heilige? Deshalb geschieht etwas, was noch niemals geschehen war: Der Himmel öffnet sich. Hast du jemals von einem Menschen im Alten Testament gehört, über dem sich der Himmel öffnete? Es geschah über Ihm, auf den Gott drei­ßig Jahre lang niedergesehen hatte, an dem Gott nichts gefunden hatte von dem, was Er in Israel fand: keine Sün­de, keine Ungerechtigkeit, weder in Worten noch in Ge­danken noch in Taten. Wenn es äußerlich so scheint, als nehme der Herr den Platz des Sündenbekenntnisses ein, dann tut sich der Himmel auf und Gott ruft aus: "Nein, k ein Sünder ‑ Er ist mein geliebter Sohn, an weichem Ich Wohlgefallen gefunden habe"! Wenn es e 1 n e n Is­raeliten gab, der sich nicht taufen zu lassen brauchte, dann war Er es, an dem Gott all Sein Wohlgefallen gefunden hatte und an dem Gott niemals etwas bemerkt hatte, das Sein Mißfallen hätte finden können. Und gerade dieses Ereignis, wo der Herr Jesus als Mensch diesen niedrigen Platz einnimmt, ist die Gelegenheit, da zum ersten Mal in der Geschichte das wunderbare Geheimnis der Drei‑Ein­heit Gottes offenbar wird: der Sohn auf der Erde in Ernie­drigung, der Vater im Himmel in Herrlichkeit und Gott, der Heilige Geist, der auf die Erde herniederkommt auf den Herrn Jesus. Wir haben den Heiligen Geist nun auch emp­fangen, aber wir durch Bekehrung und Glauben. Doch Er empfing den Heiligen Geist aufgrund dessen, was Er in Sich Selbst war, und aufgrund eines vollkommenen Le­bens während der dreißig Jahre als Mensch unter dem Gesetz und als Sohn Gottes.

 

Deshalb ist es gerade dieser Mensch, der von dem Geist Gottes in die Wüste geführt wird, um da erprobt zu wer­den. Nicht daß Er das selbst suchte, Gottes Geist bringt Ihn in die Wüste, damit die Herrlichkeit des "zweiten Men­schen", des Messias, des Emmanuel, ans Licht käme. Wir können nun nicht auf alle Versuchungen näher eingehen (wir werden sie erneut in Lukas antreffen), doch möchte ich vor allem auf die letzte hinweisen, die hier den Höhepunkt bildet. Der Satan kommt zu dem Herrn, um Ihn gerade in dem zu erproben, wozu Er berufen war: als König der Juden, ja, als das Licht der Nationen. Er stellt Ihm alle Reiche der Welt vor, über die Er tatsächlich (wie er sagte) die Herrschaft hatte. Der Herr Jesus war auf die Erde ge­kommen, um König über Sein Volk zu sein, und dazu muß­te Er es erlösen von seinen Sünden; Er wußte von Anfang an, weiche Leiden Ihn dadurch erwarteten. Und hier öffnet sich plötzlich für Ihn die Möglichkeit, Seine Königschaft verwirklicht zu sehen, ohne daß Er zu sterben brauchte! Doch wie konnte Er darauf eingehen, Er, der gesagt hatte: "Denn also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfül­len"? Deshalb sagt Er zu dem Satan: "Geh hinweg, Satan! denn es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen." Dann sehen wir, daß Engel kamen und Ihm dienten.

 

Danach beginnt der eigentliche Dienst des Herrn Jesus, dem der Dienst des Johannes voraufgegangen war. Es ist wichtig zu beachten, was Johannes sagt und was auch der Herr später in Kapitel 4, 17 wiederholt: "Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen." Das ist ein kennzeichnender Ausdruck in diesem Evangelium; wir finden ihn nicht in den anderen. Es ist hier ja Emmanuel, der gekommen ist, Gott aus dem Himmel und nun "mit uns". Es war der Himmel, der regieren würde, wie Daniel bereits gesagt hatte: "Die Himmel herrschen" (Dan 4, 26). Hier war der Himmel in Gestalt des Emmanuel in die Mitte der Menschen gekommen, um Sein Königreich *) aufzu­richten, ein Königreich hier auf der Erde, in dem dieser himmlische Mensch regieren würde. Deshalb mußte er zur Bekehrung aufrufen, denn niemand konnte an diesem Kö­nigreich teilhaben, ohne sich zuvor zu dem König bekehrt zu haben. Doch Israel war als Ganzes ein sündiges und verdorbenes Volk, darüber besteht kein Zweifel vom Be­ginn dieses Evangeliums an. Lediglich ein kleiner Teil hatte sich durch die Taufe bereit gemacht, den König an­zunehmen. Wenn auch der Herr Jesus dann deutlich macht, wer diejenigen sein werden, die zu Seinem König­reich gehören werden (wie wir das in der "Bergpredigt" finden, wo der Herr die Grundsätze darlegt, denen dieje­nigen entsprechen müssen, die das Königreich ererben wollen), so spricht Er nicht zu der Volksmenge, nicht zu der Masse des jüdischen Volkes, die diese Dinge niemals ererben würde, sondern Er spricht zu den Jüngern, die dem König zu folgen wünschten und die Er Sich auser­wählt hatte. Deshalb spricht Er, wenn es um das König­reich geht, auch nicht Über eine Zeit des Segens. Der Herr sagt inmitten dieses bösen Volkes für diejenigen, die das Königreich ererben wollen, keine Zeit des Wohlergehens voraus, sondern der Drangsal und Leiden. Er spricht über das, was Ihn Selbst auf der Erde erwartete. Wenn wir die Bergpredigt verstehen wollen, ist es dann nicht das Herr­lichste, darin zu sehen, daß sie den Platz des Herrn Jesus Selbst hier auf der Erde beschreibt? Er war "glückselig"

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*) Die Elberfelder Obersetzung hat überall "Reich der Himmel“, usw. Das grie­chische Wort (basllela) bedeutet aber eigentlich "Königreich",

 

(Kap. 5) in dem Sinn, daß Er als Jude auf der Erde die vol­le Gemeinschaft mit dem Vater kannte, der in den Him­meln ist. Das ist es, was Er Seinen Jüngern vorstellt: kein Wohlergehen jetzt auf der Erde, sondern erst am Ende den vollen Segen des Friedensreiches, und nun auf der Erde die Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater. Das war der Platz, den der Herr Selbst auf dieser Erde einge­nommen hatte, und das sind die Grundsätze für alle, die Ihm nachfolgen und die Segnungen des Friedensreiches ererben wollen, nicht infolge natürlicher Abstammung oder äußerlicher Werke des Gesetzes, sondern durch Bekeh­rung und Hingabe, Nachfolge auf dem Weg, den Emma­nuel hier auf der Erde gehen würde.

 

Was bedeutet es, daß Emmanuel hier auf die Erde ge­kommen ist? Das sehen wir im Folgenden. Wie Matthäus in der Bergpredigt (Kap. 5‑7) eine Reihe von Ansprachen des Herrn Jesus, die Er zu verschiedenen Zeitpunkten ge­halten hat, zu e i n e ir Rede vereinigt (wie Gott auch ein­mal auf dem Berg zu Moses redete, so spricht der Herr hier als der "Gott mit uns" zu Seinen Jüngern), so finden wir in Kapitel 8 ebenfalls eine Reihe von Wundern und Taten des Herrn, die Er zu verschiedenen Zeitpunkten ver­richtet hat, zusammengefügt. Denn Matthäus macht keine "Geschichtsschreibung", sondern gibt uns ein Gemälde. In seinem Gemälde will er zeigen, wer Emmanuel in un­serer Mitte ist. Wer ist Er, der dem Aussätzigen begegnen kann? Achte einmal darauf, wie der Heilige Geist alle diese Ereignisse in einer vollkommenen Reihenfolge zusammen­gefügt hat. Das erste ist: Gott kommt zu Seinem Volk, einem sündigen und verdorbenen Volk, das durch Aussatz verunreinigt ist. Und willst du nun einen Beweis haben, daß Emmanuel erschienen ist? Dann betrachte Ihn, den Herrn Jesus, wie Er den Aussätzigen anrührt. Hatte der König Joram nicht gesagt, daß nur Gott den Aussatz hei­len kann (2. Kön 5, 7)? Wer kann einen Aussätzigen an­rühren, ohne selbst verunreinigt zu werden, und das auf eine Weise, daß der Aussätzige selbst gereinigt wird? Das kann nur Er, Emmanuel, "Gott mit uns", der aus der Jungfrau geborene "Messias", der Sohn Gottes Selbst.

 

Und nicht nur, daß Er 1 s r a e 1 in Seiner Güte und in Sei­nem Erbarmen anrührt; sondern wenn Gott wirklich be­ginnt, Gnade zu offenbaren, wenn "Gott mit uns" er­scheint und kommt, um bei uns zu wohnen, dann erstreckt sich die Gnade auch zu den V ö 1 k e ir n , wie das hier bei dem Hauptmann illustriert wird (V. 5‑13); und hier nicht durch Berührung, sondern durch Glauben. So hat der Herr Jesus uns, die wir aus den Völkern sind, Gnade durch Glauben geschenkt ‑ einen Glauben, wie Er ihn in Israel nicht gefunden hatte. Deshalb sagt Er in Vers 11, daß viele aus allen Völkern kommen und die Segnungen der Erzvä­ter teilen würden, ohne daß Israel selbst daran teilhätte.

 

Wenn Er Sich auch zu den Völkern wendet, vergißt Er doch die alten Verbindungen mit Seinem Volk nicht: Er segnet hier auch die Schwiegermutter des Petrus als Vorbild des zukünftigen jüdischen Oberrestes, ja, Er segnet alle, die zu Ihm kommen. Das ist der Mann, von dem Israel in der Zukunft sagen wird (nach Jesaja 53, das hier angeführt wird), wenn der Oberrest den Messias wiederkommen sieht, nachdem er sich bekehrt hat: "Er selbst nahm unse­re Schwachheiten und trug unsere Krankheiten" (8, 17). So hat der Herr Jesus die Kranken geheilt. Nicht als ein Gott, der, weit über sie erhaben, sie lediglich anzurühren brauchte und, ohne sie weiter zu beachten, heilen konnte, sondern als Einer, der in ihre Mitte kam und Mitleid mit ihnen hatte, der ihre Schwachheiten auf Sich nahm und sie trug; der an anderer Stelle sagte, daß Er Kraft von Sich ausgehen fühlte; der Sich so einsmachte mit dem schreck­lichen Zustand, in dem das Volk von Natur war, daß Er ihr Elend auf Sich nahm und zutiefst Mitleid hatte mit den Nö­ten Seines Volkes. Gott ist in unserer Mitte, Gott segnet, Gott erweist Seine Gnade, Barmherzigkeit und göttliche Macht als Messias.

 

Doch wenn Emmanuel verworfen wird, dann sagt Er, wie hier in Vers 20: "Der Sohn des Menschen hat nicht, wo er das Haupt hinlege." Denke einmal darüber nach: Die Tiere haben einen Ort, wo sie ruhen können, aber "Gott mit uns", der der Schöpfer und Erhalter der Tiere ist, hat 43 keinen Ort, wo Er Sein Haupt niederlegen kann ... Das geschieht, wenn Emmanuel inmitten eines sündigen und gottlosen Volkes erscheint. Der Herr Jesus ist gekommen, um mit Wissen und Willen diesen Platz in der Mitte Seines Volkes einzunehmen. Und Er ist Emmanuel. Das beweist Er Seinen eigenen Jüngern; denn Derjenige, der keinen Ort hat, wo Er sein Haupt hinlegen kann, ist zur gleichen Zeit (V. 27) Derjenige, dem die Winde und der See, die Mächte dieser Schöpfung, gehorchen, ja, dem (im folgen­den Abschnitt) die Dämonen gehorchten, die Er austrieb. Bei allem, was der Herr Jesus tut, wird das Herz des Men­schen offenbar, denn wir sehen hier, daß die Gergesener sich mehr über die Anwesenheit des Herrn beunruhigten als über die Anwesenheit dieser Dämonen. Die Dämonen hatten sie kalt gelassen, doch als der Herr Jesus kam, är­gerten sie sich. Das geschieht, wenn Emmanuel gottlosen, sündigen Menschen erscheint. Emmanuel ist in unserer Mitte, Er kann die Macht Satans wegnehmen. Er hatte den Starken in der Wüste gebunden, und nun kam Er, um ihm seinen Hausrat zu rauben.

 

Nicht nur das, der Sohn des Menschen hat die Vollmacht, auf der Erde Sünden zu vergeben (Kap. 9, 6). Gott ist in unserer Mitte als Sohn des Menschen; sollte Er nicht die Macht haben, Sünden zu vergeben? Es gibt nichts, was Ihn hindern kann, und inmitten des Widerstandes der Schrift­gelehrten offenbart Emmanuel Sein Erbarmen und Seine Güte. Wenn die Führer Ihn verwerfen, so nimmt der Herr Jesus in Seiner erwählenden Gnade nun Matthäus beisei­te, denn Er ist bereit, mit Zöllnern und Sündern Gemein­schaft zu haben (V. 9‑13). Er ist gekommen, Sünder zu rufen. Er wußte, zu welch einem Volk Er kam und was Er antreffen würde. Er war zwar als der Bräutigam in ihrer Mitte, als der Bräutigam des Hohenliedes, der kam, um Liebe bei Seiner Braut zu suchen (V. 14‑17); doch wo war die Braut, das gläubige Israel? Ihr Zustand wird uns im Töchterchen des Jairus vorgestellt: sie lag im Sterben (V. 18‑26). Sicher, der Herr Jesus würde sie aus dem Tode auferwecken, aber das war noch nicht geschehen; es wird erst am Ende geschehen, wenn Er einen Oberrest des Volkes zu neuem Leben ruft. In der Zwischenzeit gibt es für Israel als Ganzes keine Hoffnung. Doch Emmanuel kann niemals darin nachlassen, Sein Erbarmen zu erwei­sen. Und während uns hier Israel in seiner Gesamtheit als eine Sterbende vorgestellt wird, sehen wir, daß der Herr Seine Gnade dem einzelnen erweist, der sich inmitten die­ses sterbenden Volkes auf Seine Gnade stützt, wie wir das hier finden: zuerst bei der Frau mit dem Blutfluß (V. 20‑22), dann bei dem Blinden, der so nachdrücklich an Ihn appel­liert als den Sohn Davids (V. 27‑31). Niemand, auch kein einziger Prophet, hatte im Alten Testament jemals einen Blinden geheilt; das war Ihm vorbehalten, dem Sohne Da­vids. Und wo sich jemand auf das stützt, was Er ist, dort ist Er bereit, inmitten der Verwerfung Gnade zu erweisen. So heilt Er den Stummen, so sehen wir, wie Er innerlich bewegt ist über die großen Scharen, die keinen Hirten ha­ben.

 

Ich sage es noch einmal: Es ist ergreifend zu sehen, wie vollkommen der Herr Jesus den Zustand des Volkes kannte: wie vollkommen Er bis zum Ende, solange Er inmitten des Volkes lebte, bereit war, das Erbarmen zu erweisen, das Ihm als Emmanuel eigen war. So sehen wir, daß Er, der dazu aufruft, Gott zu bitten, daß Er Arbeiter aussenden möge, Selbst Seine Arbeiter aussendet. In Kapitel 10 sen­det Er ‑ wie merkwürdig ist das ‑ die Zwölfe aus zu den Städten Israels. Nun müssen wir Vers 23 aufmerksam le­sen: sie würden damit nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen wäre! Ist das nicht die Güte Emma­nuels? Gott hat hier durch die Apostel Seinem Volk ein Zeugnis gegeben. Hat Gott dieses Zeugnis enden lassen? Nein, Gott hat damit in gewissem Sinne all diese Jahrhun­derte fortgefahren und wird damit fortfahren, bis der Sohn des Menschen am Ende wiederkommt. Trotz allen Verfalls, trotz allen Hasses gegen Gott und Seinen Messias dauert dieses gnädige Zeugnis Emmanuels bis zum Ende fort. Könnte es ein großartigeres Bild von der Langmut Emma­nuels geben?

 

Dabei war Er doch so radikal verworfen. Als zudem Jo­hannes ins Gefängnis geworfen wird, nimmt der Herr das zum Anlaß, um über den Dienst des Johannes zu spre­chen. Johannes war tatsächlich auch nur ein gewöhnlicher Mensch. Allein Emmanuel konnte in vollkommener Herr­lichkeit erstrahlen, in Seiner Einzigartigkeit, von allen Menschen unterschieden. Selbst ein Johannes konnte an dem Dienst des Herrn Jesus zweifeln und im Gefängnis fragen: "Bist du der Kommende?" (11, 3). Alles muß vor der Herrlichkeit Emmanuels beiseite treten. Doch finden wir keinen Tadel von seiten des Herrn im Blick auf Johan­nes. Im Gegenteil: Er nennt ihn in Seiner wunderbaren Gnade den größten von Frauen Geborenen (11, 11). Aber sie haben ihn verworfen; ebenso wie den Sohn des Men­schen (V. 18. 19) haben sie Johannes verworfen und ha­ben den Sohn des Menschen sogar einen Fresser und Weinsäufer, einen Freund der Zöllner und Sünder genannt. Dies ist wohl das erste Mal (und es ist sehr bedeutsam, das zu sehen), daß da, wo das Volk sich so in seiner Bos­heit offenbart ‑ sogar den Herold haben sie ins Gefäng­nis geworfen ‑, eine bemerkenswerte Veränderung ein­tritt, eine Veränderung, die uns jedoch lediglich ein noch schöneres Bild von der Herrlichkeit des Messias zeigt. Wir sehen, wie der Herr Jesus hier das Gericht ausspricht über die Städte, die Ihn verworfen haben (V. 20), und wir hätten annehmen können, daß Er entmutigt und enttäuscht gewesen sein müßte über diesen Empfang in Israel. Doch Er war der Vollkommene, der die Gedanken Gottes kannte, und Er war nicht entmutigt, sondern sagt zu Gott: "ich preise dich"! (V. 25). Diese Verwerfung und Verachtung sind für Ihn der Anlaß zu sagen: Ich preise Dich, Vater, daß Du diese Dinge nicht diesem gottlosen Volk, das sich auf seine eigene Weisheit und seine eigenen Werke be­ruft, geoffenbart hast, sondern es sind die "Kinder", die Schwachen, die Geringen, die Unwürdigen unter diesem Volk, die ihren Zustand erkannt und sich als Kinder ihrem himmlischen Vater anvertraut haben, denen Du die wun­derbare Herrlichkeit des Vaters und des Sohnes offenba­ren wolltest.

 

Und wie groß ist diese Herrlichkeit? Wenn das Volk Ihn nicht verworfen hätte, hätten wir dann jemals solche herr­lichen Worte gehört, wie wir sie hier finden? "Niemand er­kennt den Sohn, als nur der Vater." Es war der Sohn, der im Fleische geoffenbart war, dieser wunderbare Sohn,  den jedoch niemand wirklich in Seiner tiefsten Herrlichkeit erkennen konnte, als nur der Vater. Von dem Sohn lesen wir hier nicht, daß Er "geoffenbart" ist, denn wer könnte Ihn, der vollkommen Gott und vollkommen Mensch ist, wirklich ergründen als nur der Vater? "Noch erkennt je­mand den Vater, als nur der Sohn"; doch der Sohn war gekommen, um den Vater zu offenbaren! Nicht nur kam der Messias zu dem Volk Israel ‑ Israel hatte Ihn verwor­fen; sondern für die Unmündigen, die Schwachen und Un­würdigen unter diesem Volk hatte der Herr Jesus einen Schatz zu entfalten, der viel herrlicher war, als daß Er der Messias, der König der Juden, war. Der Vater hatte Seinen Sohn zu ihnen gesandt, und der Sohn wollte den Vater, der in den Himmeln ist, diesen Kindern bekanntmachen. Für wen Ist das bestimmt? Für die Sorglosen? Für die, die gute Werke tun? Für die Gerechten? Nein, die Offenbarung davon, wer der Vater und der Sohn sind, ist bereitet für die, die mühselig und beladen sind! Da gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Israel und den Völkern, son­dern nur den allgemeinen Ruf: "Kommet her zu mir, a 11 e ihr Mühseligen und Beladenen." Und was gibt der Herr Jesus? Gibt Er ihnen etwas, was bereits früher Israel ver­heißen war? Nein, Er will sie mit dem Vater, der in den Himmeln ist, bekannt machen, und Er will ihnen Ruhe ge­ben für ihre Gewissen und Ruhe für ihre Seelen. Und die würden sie nur dann finden, wenn sie Ihm nachfolgen woll­ten, und zwar so, wie Er hier auf der Erde als der voll­kommene Sohn des Menschen in Gemeinschaft war mit dem Vater, der in den Himmeln ist. In dieser Nachfolge würden auch sie die vollkommene Ruhe kennenlernen, die zum Ausdruck kommt in der Tatsache, daß Er trotz aller Verwerfung sagen konnte: "ich preise dich, Vater." So ladet Er hier ein. Er ist der Sohn Davids, Er ist der Sohn Gottes als Messias, aber darüber hinaus der Sohn des Vaters, nicht dem Volk geoffenbart, sondern denen, die aus dem Volk mühselig und beladen zu Ihm kamen.

 

Solche Menschen führt Er, der Sohn des Menschen, der einmal an dem wahren Sabbath Sein Volk regieren wird, nun bereits als einen Oberrest in die Segnungen des Sabbaths ein (Kap. 12). Denn der Sohn des Menschen ist Herr des Sabbaths. Er hat nichts mit alledem zu tun, was die falschen Führer des Volkes sich ausgedacht haben. Ist es Ihm nicht (V. 12) erlaubt, Gutes zu tun am Sabbath und die Segnungen, die Gott mit dem Sabbath verbunden hat, zu entfalten? Doch wie ich gesagt habe, ist jedes Er­barmen, das Er erweist, für das Volk nur ein Anlaß, sei­ne Bosheit zu offenbaren. Hier sehen wir nun, wie die Bosheit einen Höhepunkt erreicht; deshalb bildet Kapitel 12 das Ende des ersten Teiles dieses Evangeliums. Denn das Schrecklichste hatten sie noch nicht gesagt, und das kam hier. Das Lästerlichste, das sie sich hatten ausden­ken können, äußerten sie hier. Denn von Ihm, den Gott auf diese Erde gesandt hatte, "Gott mit uns", in dem der Heilige Geist wohnte und wirkte, sagten sie, daß der Hei­lige Geist, durch dessen Kraft Er die Dämonen austrieb, Beelzebub war, der Oberste der Dämonen. Sie hätten nichts Schrecklicheres sagen können, denn sie wußten, daß Er der Sohn Gottes war. Sie hatten selbst aus den Prophe­zeiungen bezeugt, daß Er in Bethlehem geboren werden sollte, und wußten, wen die Weisen dort in Bethlehem be­suchten. So kannten sie alle die Prophezeiungen und wußten, daß Er sie erfüllte. Sie sahen Seine Wunder, die bewiesen, daß Er der Messias war. Aber bewußt, willent­lich und wissentlich sagten sie, daß Gott, der Heilige Geist, der in Ihm war, der Oberste der Dämonen sei. Hätten sie sich etwas Abscheulicheres ausdenken können? Diese Sünde konnte nicht vergeben werden, sagt der Herr. Und nun müssen wir genau beachten, was Er ferner zur Antwort gibt, denn das entschied alles im Blick auf die Geschichte Israels. Das läßt uns den Grund sehen, weshalb alles ver­ändert ist. Vordem kündete der Herr an, daß das verhei­ßene Friedensreich nahe sei, doch sie haben Ihn so voll­ständig verworfen, daß der Herr stattdessen nun das Ge­richt ankündigen muß. Er tut das anhand von "Zeichen" (V. 38‑42).

 

Erstens würde "der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde sein"; das ist das "Zeichen" Jonas'. Wenn sie wissen wollten, wer Er war, dessen Herrlichkeit sie verwarfen ‑ nun, sie würden Ihn als Denjenigen sehen, der leiden und sterben und in das Herz der Erde gelegt werden würde ‑ doch lediglich für drei Tage, wie Jona lediglich drei Tage in dem Fisch war! Israel, das sich rühmte, das Volk Gottes zu sein, würde außerhalb der Segnungen Gottes stehen, und Männer von Ninive würden kommen, um sie zu verdammen, denn die hatten sich sehr wohl bekehrt. Der wahre Salomo würde doch einmal in Seinem Friedensreich regieren ‑ die Pro­phezeiungen Gottes kann niemand ungeschehen ma­chen ‑, doch dieses böse Geschlecht würde das nicht er­leben. Es würden die Völker sein, die, wie die Königin von Scheba, kommen würden, um Seine Herrlichkeit anzu­schauen, aber dieses böse Volk richten würden. Israel war zwar jetzt ein leeres und geschmücktes Haus, denn der böse Geist des Götzendienstes war verschwunden. Aber an dessen Stelle war nicht der wahre Dienst für Gott ge­treten, und deshalb würde der siebenfache teuflische Dienst des Antichristen mühelos Raum finden, und Israels Ende würde ärger sein als alles, was sie bis dahin erlebt hatten.

 

So liegen die Dinge. Und damit ist das Verhältnis des Messias zu Israel völlig verändert. Er kann nicht einmal mehr die natürlichen Verbindungen im Blick auf dieses Volk anerkennen, selbst wenn es um Seine Mutter, Seine Brüder und Schwestern geht. Er kann nur noch Seine Ver­bindungen mit denen anerkennen, die sich aus dem Volk bekehrt haben und den Willen Seines Vaters tun wollen, der in Himmeln ist (V. 46‑50).

 

Das ist der Anlaß für die besonderen Belehrungen in Ka­pitel 13. Der Herr war gekommen, um Frucht in dem Wein­berg zu suchen. Es war aber keine Frucht vorhanden, und deshalb mußte der Weinberg beiseite gestellt werden. Weil Er dort keine Frucht findet, beginnt Er nun damit, den Sa­men in brach liegendes Land außerhalb des Weinbergs auszusäen. Nicht mehr in Israel, sondern in der ganzen Welt; denn "der Acker ist die Weit". Wenn Israel Ihn auch verworfen hat, wird Er doch Seine Gnade als Emmanuel erweisen; aber nicht mehr Israel als Ganzem, sondern allen Völkern, und dort würde es solche geben, die Frucht 49 brächten. Das sagt der Herr Jesus hier nicht zu dem Volk, sondern zu Seinen Jüngern, weil es nur ihnen gegeben war, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu kennen. Anfänglich war das Königreich nicht verborgen gewesen, sondern öffentlich in Übereinstimmung mit den Prophe­zeiungen angekündigt worden. Das Königreich würde zwar auch kommen, aber Israel hatte für den Augenblick das Königreich in seinem König verworfen, und es würde noch nicht in der vorausgesagten Form errichtet werden, son­dern während einer Zwischenzeit eine ganz neue Form bekommen. Denn Er, der König, würde ja fortgehen! Er würde zunächst drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein und nach Seiner Auferstehung von der Erde fortgehen; wie Er später sagt: Er würde "außer Landes reisen" und für lange Zeit abwesend sein, und dann wür­den die Seinen ohne ihren König zurückbleiben ‑ der ge­ringe Überrest aus Israel mit all den anderen aus den Völkern, in denen der Same des Wortes Wurzeln faßte. Das war der neue, einstweilige, verborgene Charakter des Königreiches. Nachdem der Herr Jesus Israel beiseitege­stellt hat, sehen wir, wie ein neues Zeugnis Gottes auf der Erde zustandegekommen ist: die Christenheit. Der Herr Jesus ist nicht in leiblicher Gestalt in unserer Mitte; Er ist als der König "außer Landes" gereist, und das Königreich ist nun unserer Verantwortung als Christen überlassen. Und was ist das Ergebnis? Wenn der Herr Jesus Israel beiseite stellt und ein neues Zeugnis errichtet, findet Er dann darin Sein Genüge? Ach, Er wußte alle Dinge. Er legt hier dar, daß, wenn das neue Zeugnis unter den Völ­kern, die Christenheit, ins Leben gerufen sein würde, mächtig wie ein großer Baum, auch dort sich das Unkraut mit dem guten Samen vermischen würde und daß der Sauerteig alles durchsäuern würde, bis die Christenheit vollständig durch böse Lehren verdorben wäre. Deshalb erklärt Er, daß Er schließlich auch hier Gericht bringen muß und lediglich die Gerechten das Königreich ererben, wenn der König wiederkommt.

 

Ist denn alles gescheitert? Israel beiseite gestellt und das Königreich ein System von Bösen und Guten, unentwirr­bar durcheinander gemengt! Doch dann sehen wir, daß es, ebenso wie in Israel, auch im Königreich einen treuen Überrest gibt. Er sah mit Seinen göttlichen Augen etwas Herrliches in diesem Königreich, Er sah, wie es während Seiner Abwesenheit sein würde. Er sah einen wunderba­ren Schatz, den niemand erkennen konnte. Einen Schatz, verborgen im Acker, und eine schöne, wertvolle Perle ‑die Versammlung Gottes. In der bekennenden Christen­heit, diesem System von Bösen und Guten, befindet sich die wahre Versammlung, das, was groß und herrlich für das Herz des Herrn Jesus ist. Wie wunderschön ist es, daß wir gerade im Matthäusevangelium, wo von dem König der Juden, von Emmanuel, dem zu Seinem Volk Israel Ge­sandten die Rede ist, die erste Ankündigung und die er­sten Grundsätze der Versammlung findenl
 Israel ist beisei­te gesetzt, das Königreich der Himmel wird in die Hände der Menschen übergeben, und die Folgen sind dement­sprechend. Aber darin sah der Herr Jesus diesen wunder­baren Schatz. Deshalb war Er nicht entmutigt, daß Israel Ihn verwarf; deshalb konnte Er Sich auch mit dem Gedan­ken abfinden, daß sogar das Königreich der Himmel ein verdorbenes System werden würde. Denn Er sah darin verborgen diesen Schatz, und Er war bereit, dafür alles preiszugeben. Er sah die Freude, die vor Ihm lag. Er wuß­te, daß Er leiden mußte, daß Er drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein mußte. Doch Er sah diesen Schatz und diese Perle von großem Wert. Und deshalb ging Er hin und verkaufte alles, was Er hatte. Er hatte die himm­lische Herrlichkeit preisgegeben, doch Er war bereit, noch viel weiter zu gehen ‑ bis in die schrecklichste Tiefe. Er war bereit, Sein Volk nicht nur von ihren Sünden zu er­lösen (1, 21), sondern auch allen Mühseligen und Belade­nen Ruhe zu geben, vielen Vergebung zu schenken, wie wir sogleich beim Abendmahl finden werden. Das alles wegen der Freude, die vor Ihm lag: die herrliche Perle zu besit­zen. So finden wir es hier in diesem Evangelium vorge­stellt: neue und alte Dinge; das alte, angekündigte Königreich, aber auch das neue: diesen herrlichen Schatz in dem verdorbenen Königreich. Israel hatte sich verderbt, auch in das Königreich würde das Verderben eindringen, doch Er sah durch alles hindurch das Herrliche: die Versammlung die Gott Ihm geben würde.

 

Doch so weit ist es noch nicht. Der Dienst des Herrn Jesus ist noch nicht vollendet. Der Herold wird, nachdem er zuvor gefangengenommen wurde, nun getötet. Wie muß dieser ge­waltsame Tod das Herz des Herrn Jesus ergriffen haben, weil er ein Vorbote dessen war, was Ihn Selbst erwartete. Wir können uns in etwa vorstellen, was Er empfunden haben muß, als Er Sich an einen öden Ort besonders zurückzog (Kap. 14, 13). Können wir es begreifen, daß Er weiterhin Barmherzigkeit erwies, obwohl der Zustand des Volkes so hoffnungslos war? So finden wir hier, daß Er als Messias die Segnungen aus Psalm 132 schenkt und die Armen mit Brot sättigt. Doch konnte dies, als Messias inmitten des Oberrestes zu wirken, fortan nicht mehr Seine eigentliche Aufgabe sein. Nein, Sein neuer Platz würde auf "dem Berg" sein, weg von dieser Erde. Auf "dem Berg", um ebenso wie einst Mose dort für Sein Volk zu beten. Dort ist der Herr nun wirklich: von dieser Erde erhöht im Himmel, um die Sei­nen zu vertreten, Seine Jünger, die hier zurückbleiben in­mitten der Stürme und der hohen Weilen, bis Er zu ihnen zurückkehrt, den Oberrest befreit und die große Stille des Friedensreiches beginnen läßt mit Segen für die Völker (" Genezareth").

 

Nein, in diesem Augenblick war von dem Volk nichts mehr zu erwarten. Mit diesem gesetzlichen System, das der Mensch veräußerlicht hatte, konnte der Herr Sich nicht verbinden (Kap. 15). Dieses System stand in offenkundigem Gegensatz zu den wahren sittlichen Grundsätzen, denen des Herzens, die der himmlische Vater anerkannte. Gott konnte in Verbindung mit diesem System keine Barmherzigkeit mehr erweisen. Nein, wenn Er fortan Gnade erweist, dann ist das wirkliche Gnade für jeden, der im Vertrauen auf 65 diese Gnade zu Ihm kommt. Nicht aufgrund von Recht oder Verdienst (denn dann ist es keine "Gnade" mehr), sondern für jeden Bedrückten, sogar für eine kanaani­tische Frau, die zu einem verfluchten Volk gehörte. Sie empfängt keine Gnade, solange sie sich auf Ihn beruft als den Sohn Davids, den Messias, denn das ist Er allein für Israel. Doch wenn sie sich auf die Barmherzigkeit des Emma­nuel beruft, kann man sich dann vorstellen, daß diese Gnade auf e i n Volk beschränkt bleiben könnte? Unmöglich. Die Krumen, die von dem, was die Kinder essen, unter den Tisch fallen, sind für sie. Doch siehe da, die Gnade ist auch für den Überrest Israels, wenn er nicht aufgrund von Werken des Gesetzes, sondern in seinem Elend zu Ihm kommt. Für sie ist das Königreich; das offenbart der Herr auf demselben Berg, wo Er auch die Grundlagen des Königreiches dar­gelegt hatte und wo Er nun die Segnungen des Königreiches schenkt. Und hier ist die Folge (was so kennzeichnend für dieses Evangelium ist): Sie verherrlichten den Gott 1 s rae 1 s (Vers 31). Israels Gott war in ihrer Mitte, Emmanuel. Wir kön­nen uns vorstellen, daß Er zu Beginn dieses Evangeliums segnete, doch Er segnet auch hier, obwohl das Schicksal des Volkes als Ganzes bereits besiegelt ist. Die Führer (Kap. 16) konnten nicht einmal die Zeichen der Zeit erkennen, und wir lesen dann so kennzeichnend in Vers 4: "Und er verließ sie und ging hinweg." Was hatte Er, der von Gott gesandt war, mit denen zu tun, die nicht erkennen konnten, was Gott in Seinem Wort über Ihn angekündigt hatte? Jesus warnt vor ihren bösen Lehren. Nicht nur das gewöhnliche Volk, son­dern sogar, ja gerade die Führer des Volkes wollten Ihn nicht und verwarfen Ihn.

 

Doch der Herr hatte über den Schatz im Acker gesprochen, für den zu leiden und zu sterben Er gekommen war: die Ver­sammlung. Deshalb nimmt Er Seine Jünger beiseite, um ihnen sozusagen das Innerste Seines Herzens mitzuteilen, die Hoffnung, auf die Er vorausblickte, die Ihm in bestimm­ter Hinsicht die Kraft gab, um weiterzugehen. Er sagt das nicht in Israel, sondern an einem Ort, der von ihrer Verwer­fung sprach, von der Herrschaft der Völker über sie, in den Gegenden von Cäsarea Philippi, und Er fragt: "ihr aber, wer saget ihr, daß ich sei?" Ja, das Volk hatte Ihm mit wunder­vollen Titeln geschmeichelt, aber die bewiesen nur, daß sie Ihn nicht wirklich kannten. "Wer saget ihr, daß ich sei?" Dieser Überrest in Israel, der sich zu Gott bekehrt hatte, der dem Herrn auf Seinem Weg der Erniedrigung und Schmach auf der Erde nachfolgen wollte, wußten sie, wer Er war? Sie wußten es; aber nicht aufgrund dessen, was zuvor geoffenbart war. Das Geoffenbarte konnten nicht einmal die Führer erkennen, sie erkannten die Zeichen der Zeit nicht. Doch hier sehen wir bei Petrus, daß er sogar mehr wußte als das, was Gott jemals im Alten Testament gesagt hatte. "Du bist der Christus", sagt Petrus. Ja, Er war der Messias. End­lich waren hier Israeliten, die Ihn als Messias anerkannten. "Du bist der Sohn Gottes." Endlich waren hier solche, die Ihn anerkannten als Denjenigen, der von Gott gezeugt und als König über Zion gesalbt war. Doch Petrus sagt mehr: "Du bist der Sohn des 1 e b e n d i g e n Gottes." Und das hatte ihm kein irdischer Zeuge geoffenbart, kein Prophet im Alten Testament, kein Psalmist, kein Moses. Das hatte der Vater Selbst ihm geoffenbart, der Vater, der im Himmel ist.

 

So war der Herr Jesus. Als Sohn Gottes kam Er zu Israel ‑als der Sohn des lebendigen Gottes war Er das Fundament dieses Neuen, das Gott nun entfalten wollte, nachdem Israel beiseitegesetzt war: die Versammlung Gottes. Denn als der Sohn des 1 e b e n d i g e n Gottes ist Jesus nicht nur von Gott aus einer Frau erweckt, sondern ist Er der ewige Gott, der Sohn, der das Leben ist, nicht weil Er es von Gott empfangen hat, sondern weil Er es in Sich Selbst ist, und damit Er das Leben solchen gäbe, die Seine Versammlung bilden würden. Nicht wie die Israeliten, die für eine Zeit auf der Erde Israeliten waren und danach gewöhnliche Tote, ohne Unterschied zu anderen Menschen; sondern bis in Ewigkeit würden sie Glieder dieser Versammlung sein, denn des Hades Pforten würden sie nicht überwältigen. Das alles war der Fall, weil Er nicht nur der Sohn Gottes war, sondern der Sohn des lebendigen Gottes, Gott Selbst, der das Fun­dament dieser Versammlung war.

 

Wie wunderbar ist es, daß unmittelbar darauf erneut folgt, doch nun zum erstenmal als öffentliche Ankündigung, auf  welchem Weg diese Ratschlüsse verwirklicht werden sollten.

 

Wenn es um Israel ging, war es einfach der Messias, der kam, um Sein Friedensreich zu errichten. Doch wenn es um die Versammlung geht, wenn es darum geht, die kostbare Perle zu besitzen, dann muß der Kaufmann alles preisgeben, was er besitzt. Dann muß Er, der das Leben ist, in den Tod gehen. Könnte man sich einen größeren Gegensatz aus­denken? Er, der Sohn des lebendigen Gottes, muß als der Sohn des Menschen überliefert und getötet werden. Welch eine schreckliche Gegenüberstellung! Allein auf diesem Weg konnte die Versammlung nach dem Ratschluß Gottes gebil­det werden.

 

Würde damit jede Verheißung bezüglich Israels hinfällig werden? Würde das vorhergesagte Königreich denn nie mehr entstehen? 0 wie wunderbar sehen wir hier, wie Gott die Dinge aufeinanderfolgen läßt, die Er uns vorstellen will. Wenn der Heilige Geist uns entfaltet, daß der Sohn Seine Versammlung haben wird, dann zeigt er uns unmittelbar den Weg, der dazu führt: Leiden und Sterben. Gleich darauf zeigt er uns aber auch, daß Gott niemals Seine Pläne bezüglich Israels und des Friedensreiches aufgibt. Denn der Sohn des Menschen ist bereit, in der Herrlichkeit Seines Vaters mit Seinen Engeln zu kommen, und dann wird Er einem jeden nach seinem Tun vergelten (Kap. 16, 27)! Kein Mensch soll auf den Gedanken kommen, der Herr Jesus hätte in Seiner Berufung versagt und würde also die Königsherrschaft nicht empfangen; das ist dem Herzen Gottes so wichtig, daß Er auf dem Berge ein wunderschönes Zeugnis davon gibt (Kap. 17). Ja, Seine Versammlung wird der Herr bekommen, aber Sein Friedensreich wird Er auch empfangen! Seine Versammlung wird Er besitzen; Er wird auf dem Berg gesehen mit Moses und Elias, die Vorbilder dieser Versammlung sind. Doch Er wird auch das Friedensreich empfangen; Er wird regieren, wie Er hier auf dem Berg gesehen wird, strahlend wie die Sonne, Seine Kleider weiß wie das Licht. Er wird über diese Erde regieren, die verherrlichte Versammlung, vorgestellt in Moses und Elias, an Seiner Seite, und die Treuen aus Israel, vorgestellt in den Jüngern, zu Seinen Füßen. Gott gibt diese herrliche Szene, um uns die Sicherheit zu geben, daß die Verheißungen im Blick auf Israel niemals hinfällig werden.

 

Petrus gebraucht diese Szene in seinem zweiten Brief als einen Beweis für die Wahrheit des prophetischen Wortes; wir haben es dadurch "befestigt" (eigentlich: "befestigter") (2. Petr 1, 19) und brauchen niemals daran zu zweifeln, daß Gott auf jeden Fall erfüllen wird, was Er verheißen hat, und daß der Herr Jesus doch noch als Messias über ein bekehr­tes Israel regieren wird.

 

Doch hier sehen wir noch etwas anderes, etwas Wunder­schönes. So wie Gott, als Jesus getauft wurde, ein beson­deres Zeugnis gab, um Ihn von den anderen, die sich eben­falls taufen ließen, zu unterscheiden, um zu zeigen, daß Er kein gewöhnlicher Sünder, sondern Emmanuel war, so sehen wir hier dasselbe geschehen, als Petrus es wagt, den Herrn Jesus mit Moses und Elias auf eine Stufe zu stellen. So­fort spricht Gott das aufs neue vom Himmel aus, denn Er kann nicht ansehen, daß Menschen den Herrn Jesus herabsetzen oder sogar Ihn mit sich auf eine Stufe stellen. Deshalb gibt Gott erneut Sein Zeugnis: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe; ihn höret." So hatte Gott es bezeugt, als der Herr Jesus Seinen Dienst be­gann, so zeugt Gott hier bei der Entfaltung der Segnungen des Tausendjährigen Friedensreiches. "Dieser ist mein ge­liebter Sohn" ‑ das war Er in Seiner Erniedrigung auf der Erde, so wird Er es sein in Seiner Verherrlichung.

 

Hier ist es allerdings noch lediglich ein Vorausblick auf die Zukunft. Die harte Wirklichkeit ist, daß der Herr Jesus ver­worfen und auf dem Weg zum Kreuz ist. Als Er von dem Berg zurückkehrt, sehen wir den wahren Zustand: Unglauben, und zwar nicht nur bei dem Volk, sondern sogar bei den Jüngern. Nicht einmal sie wußten die Macht Emmanuels zu gebrau­chen, die ihnen zur Verfügung stand. Und gerade dieses Er­eignis ist der Anlaß, daß Er erneut sagen muß, als Er die Sündhaftigkeit und das Elend des Menschen sieht: "Der Sohn des Menschen wird überliefert werden in der Men­schen Hände, und sie werden ihn töten, und am dritten Tage' wird er auferweckt werden." Beachte auch hier, wie die ein­zelnen Punkte angeordnet sind, denn unmittelbar danach folgt wieder das Zeugnis, wer Er ist ‑ Er ist der Sohn Gottes, hoch erhaben über die Menschen, von Dem keine Steuer erhoben werden konnte, denn Er ist Selbst der Schöpfer und Herr, dem alle Menschen, ja selbst die Tiere, untertan sind. Doch Er ging hier auf der Erde einen Weg der tiefsten Er­niedrigung und des Gehorsams und unterwarf Sich deshalb auch der Obrigkeit. Welch ein wunderschönes Zeugnis des Platzes, den Emmanuel auf der Erde einnehmen wollte.

 

So nennt Er hier auch für die Kinder, die wahren Söhne des Königreiches, ähnliche Grundsätze, die gelten würden, wenn Er nicht mehr unter ihnen wäre. Denn Sein Weg der Ernied­rigung und der Leiden ist das Vorbild für einen jeden im Königreich, der Ihm nachfolgen will. So muß jemand wie ein Kind werden, den Platz der Unbedeutendheit und Erniedri­gung einnehmen, nicht den des Eigendünkels oder der eige­nen Werke, sondern er muß der Geringste, der Schwächste sein. Für solche würde Platz sein im Königreich, die nichts von sich selbst halten, sondern die hier den Platz des Die­nens einnehmen, geradeso wie der Herr Jesus, der gekom­men war, um das Verlorene zu retten. Gab es jemanden, der einen niedrigeren Platz eingenommen hat als Er? Gibt es denn für uns einen anderen Platz im Königreich der Himmel (wie es nun auf der Erde besteht) als den der Verwerfung und Erniedrigung?

 

Er, der auf die Erde kam, um zu dienen, anerkannte über Sich die Autorität des Vaters, der in den Himmeln ist. Und so hat Er auch den Söhnen des Königreiches eine Instanz der Autorität hier auf der Erde gegeben. Wenn wir untereinander Schwierigkeiten haben, wenn es etwas gibt auf dieser Erde, wozu wir eine geistliche Autoritätsinstanz nötig haben, dann weist der Herr Jesus hin auf das Neue, auf das Herrliche, das Er gegeben hatte ‑ Seine Versammlung. Es gibt für uns im Königreich der Himmel auf der Erde kein höheres geist­liches Autoritätsorgan als die Versammlung Gottes. Und weshalb? Besteht die Versammlung denn nicht aus Men­schen, die von Natur ebenso schwach und sündig sind wie die übrigen Menschen auf dieser Erde? Wie ist es möglich, daß die Versammlung Beschlüsse fassen kann, die sogar im Himmel anerkannt werden? Weil der Herr Jesus, obwohl Er im Himmel sein würde als der "König, der außer Landes gereist war", doch diese wunderschöne Verheißung gibt, daß Er Seine persönliche Anwesenheit mit den Gläubigen ver­binden würde, wenn sie als Versammlung zusammen wären. Und das, obwohl Er wußte, daß auch die Versammlung in ihrer praktischen Verantwortlichkeit versagen würde; Er wußte, wie wenig Gläubige wirklich die Grundlage der Ver­sammlung einnehmen würden. Deshalb sagt Er: Selbst wenn es nur zwei oder drei sind, die ihren Platz auf der Grundlage dieser einen wahren Versammlung einnehmen, deren Mittel­punkt und Haupt Ich bin, dann verbinde Ich, der Herr im Him­mel, Meine persönliche Anwesenheit mit diesen zweien oder dreien, und ihre Beschlüsse werden so gewichtig sein, daß sie im Himmel anerkannt werden.

 

So handelte der Herr in Seiner Gnade und in Seinem Erbar­men. Die Gleichnisse, die folgen, hat Er gegeben, um auch Israel dieses Beispiel der Gnade zu lehren. Denn Israel war ein hartnäckiges Volk, das sich der Werke des Gesetzes rühmte und kein Bewußtsein davon hatte, wie sehr es auf die Gnade angewiesen war. Im folgenden Gleichnis sehen wir, wie es, geradeso wie der schuldige Knecht, Gnade von sei­nem Herrn empfangen hatte. War der Israelit nicht ebenso­gut von der Gnade abhängig wie jeder andere? Wieso fühlte er sich berechtigt, diese Gnade seinem Mitknecht (den Hel­den) vorzuenthalten, der weitaus weniger schuldig war als er selbst, der doch das Gesetz geschändet hatte? Würden es nicht gerade die Völker sein, unter denen der Herr Jesus den Samen des Wortes ausstreuen und die Er in das Königreich der Himmel einführen würde? Wie schwierig würde es für den Juden sein, dieses völlig andere, dieses Königreich in seiner neuen Form, worin sowohl Juden als Helden einen Platz hatten, anzunehmen und zu verkraften.

 

Nun folgt Kapitel 19, das wichtig ist, indem es uns sehen läßt, daß dieses (tatsächlich) völlig neue Königreich nicht bedeutet, daß die Schöpfungsordnung deshalb verändert wird oder daß die natürlichen Beziehungen der Menschen sich dadurch ändern. Der Herr stellt hier gerade die Ehe in ihrer ursprünglichen Würde wieder her, Er zeigt hier das Verhältnis zu den Kindern in seinem richtigen Charakter und zeigt uns in dem Bericht über den reichen Jüngling, daß die Lebensordnung im Königreich nicht ein Festhalten an den Segnungen bedeutet, die Gott für diese Erde gegeben hatte, wie in Israel, sondern Nachfolge des Herrn Jesus auf dem Weg, den Er hier auf der Erde gegangen war, einem Weg der Aufopferung, der Erniedrigung und des Kreuzes. Doch das Ende für diejenigen, die nun im Königreich einen Platz der Erniedrigung einnehmen, wird sein, daß sie hier (wenigstens was die Zwölfe betrifft) auf Thronen sitzen und in Herrlich­keit mit dem Herrn Jesus regieren werden. Das ist der Weg, den Er Selbst ging: zuerst Leiden und Sterben, aber am Ende die Herrlichkeit des Friedensreiches, wenn Er ‑ wie auf dem Berg der Verklärung ‑ wie die Sonne erstrahlen würde. Das ist der Weg für uns: Nun zu leiden als Untertanen des Königs in Seinem Königreich und in Kürze Seine Ver­herrlichung zu teilen, wenn wir mit Ihm leuchten werden wie die Sonne in dem Reiche unseres Vaters, wie Kapitel 13, 43 sagt.

 

So wird es uns hier vorgestellt, und so finden wir es hier in den Gleichnissen. Die Gleichnisse haben in Matthäus den besonderen Zweck, uns den Gegensatz zwischen Israel und dem Neuen, das Gott gegeben hat, dem Königreich der Him­mel, der Christenheit, vorzustellen. So ist es auch hier in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Kap.20). Gott handelt in Gnade, nicht nach den Normen des Gesetzes, den Normen Israels, sondern Seine Güte ist ebenso groß für uns, die die Arbeiter der elften Stunde" sind, für uns, die soviel später als Israel in den Weinberg Gottes eingeführt sind, die aber nicht zurückgesetzt werden in den Gaben, die Er schenkt. Der Herr Jesus will Seine Jünger erneut einführen in diese Gnade, indem Er ihnen wiederum Sich Selbst vor­stellt als den Sohn des Menschen, der überliefert werden würde. Doch selbst Seine Jünger verstanden nichts von Sei­nem Weg und waren ungläubig und töricht in ihren Fragen und in ihrem Verstehen. Als Er auf dem Weg zum Kreuz ist, sprechen sie über den höchsten Platz im Königreich, über Ehre und Ansehen, während Er über das Trinken des Kel­ches spricht, Er, der gekommen ist, "um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele" (Vers 28). Das ist der Platz von "Gott mit uns", Gott ist in Menschengestalt zu uns gekommen, als wahrhaftiger Mensch, ja, als Diener.

 

Doch sogar die, die Ihm folgten inmitten dieses gottlosen Volkes, unterhalten sich über das Sitzen zu Seiner Rechten und über die Frage, wer unter ihnen der Größte sei. Sie ha­ben nichts von Seinem Weg verstanden, auch wenn sie Ihm auf diesem Wege zum Kreuz gefolgt sind.

 

Hier in Kapitel 20, 29 finden wir den Beginn des letzten Tei­les dieses Evangeliums, das Ereignis, das in jedem der ersten drei Evangelien den Beginn Seines Weges zum Kreuz markiert, nämlich die Heilung der Blinden bei Jericho. Wir sehen aufs neue, wie der Herr Jesus, obwohl das Volk als Ganzes Ihn verworfen hat, dem einzelnen Gläubigen die Güte des Emmanuel erweist. Und nicht nur das: Wo die Masse Ihn verworfen hat, da sagt Gott: "Und doch will Ich ein Zeugnis der Menge haben, daß Er der Messias ist, der König der Juden". So sehen wir das Erstaunliche, wie der Allmäch­tige ihre Herzen äußerlich für einen Augenblick verändert und in ihren Mund diesen Ruf legt: "Hosanna dem Sohne Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!" (Kap. 21).

 

Wie freudig und glücklich hätten ihre Herzen sein können, wenn sie das im Augenblick wirklich gemeint und sie Ihn aufrichtig so empfangen hätten. Herrliche Segnungen wären daraus hervorgegangen. Doch leider ‑ es war die Aufwal­lung eines Augenblicks, ein Zeugnis, das Gott Selbst in Seiner Allmacht ihren Herzen abnötigte im Blick auf Seinen geliebten Sohn und in Übereinstimmung mit der Prophetie, die über Ihn zu Zion gesagt hatte: "Siehe, dein König wird zu dir kommen ... demütig, und auf einem Esel reitend" (Sach 9, 9). So wird Gott in Zukunft nicht nur den Oberrest erlösen, sondern bewirken, daß alle Kniee in Israel sich vor dem ver­achteten Jesus, dem König der Juden, beugen. Dieses Zeug­nis wird Gott dann zustande bringen, wie Er es hier tat. Den wirklichen Zustand aber finden wir unmittelbar darauf. Wie­der sehen wir, wie wunderbar der Heilige Geist hier die Er­eignisse zusammenstellt. Sogleich, nachdem Gott dieses Zeugnis in den Mund Israels gelegt hat, sehen wir den tat­sächlichen Zustand erneut nachdrücklich dargestellt, indem der Herr Jesus den Feigenbaum, ein Bild von Israel, ver­flucht, weil keine Früchte daraus hervorgekommen waren.

 

Gott läßt in Seiner Vorsehung keinen einzigen Zweifel dar­über bestehen, wie der Zustand des Volkes war; denn wir sehen im folgenden, wie Er jede der Gruppen des Volkes, vor allem die der Führer, eine nach der anderen zu dem Herrn Jesus bringt, damit in erster Linie ans Licht kommt, was in ihren Herzen ist, ihre Verdorbenheit, ihre Ablehnung Ihm gegenüber, und damit andererseits offenbar würde, was in Seinem Herzen ist, Seine Vollkommenheit. Zuerst sehen wir die Priester und die Ältesten, die Ihn fragen, in welcher Autorität Er gekommen sei. Das wagten sie, Ihn zu fragen, während sie selbst blinde und falsche Führer des Volkes waren, ohne göttliche Autorität, sie, die zurückbleiben, wenn die Zöllner und Huren, ja, selbst die verachteten Helden in das Königreich Gottes eingehen, wie der Herr Jesus unver­züglich deutlich macht in dem Gleichnis von den ungerech­ten Weingärtnern. Hielten sie sich für die Weingärtner und stellten dennoch die dreiste Frage nach Seiner Autorität? Nun, Gott würde ihnen den Weinberg wegnehmen und einem anderen Volk geben, den verachteten Heiden, die dann die Frucht abliefern würden. Oder glaubten sie etwa, das Recht zu haben, die Hochzeit des Königssohnes mitzuerleben? Weshalb hatten sie dann die Einladung Gottes ausgeschla­gen während des Lebens des Herrn, ebenso wie sie es da­nach tun würden? Sie haben nicht gewollt, und Gott würde ihre Stadt in Brand stecken, wie Er das im Jahre 70 getan hat (Kap. 22). Gottes Zeugnis ist gekommen, nicht zu diesen blinden Führern, sondern zu den Sündern und Zöllnern, zu denen, die an den Kreuzwegen der Landstraßen sind und die dann das christliche Zeugnis bildeten. Leider wird hier, kennzeichnend für Matthäus, in Kapitel 22, 10 gesagt, daß auch dieses Zeugnis aus Bösen und Guten bestehen würde, und so ist es auch mit der Christenheit geworden; und doch würde es auch die Guten geben, die eingeführt werden in den Hochzeitssaal des Königs, wo die Führer außerhalb stehen.

 

Die zweite Gruppe wird in der Vorsehung Gottes zu Ihm ge­führt: die Pharisäer und die Herodianer versuchen, Ihn in eine Falle zu locken in Seinem Verhältnis bezüglich der Obrigkeiten, also der Besatzungsmacht. Und aufs neue se­hen wir ihre Torheit und die Vollkommenheit des Herrn Je­sus, der ihnen deutlich macht, daß sie selbst sich unter das Joch fremder Herrschaft gebracht hatten, indem sie das Bild­nis des römischen Kaisers auf ihre Münzen prägten. Eine dritte Gruppe kommt zu Ihm: die Sadducäer. Gott will einen deutlichen Beweis von der Bosheit jeder Schicht des Volkes geben, und zwar in ihren Führern. Die Sadducäer wagen es, mit ihrem törichten Unglauben über die Auferstehung zu Ihm zu kommen. Doch der Herr in Seiner Vollkommenheit zeigt ihnen, daß Gott ein Gott der Lebenden ist und nicht ein Gott der Toten.

 

Nachdem nun jede Gruppe ihre Torheit gezeigt hat, hat der Herr Jesus das letzte Wort. Er fragt nach seiner eigenen Herrlichkeit (Vers 41): "Was dünkt euch von dem Christus?" ‑"Nun habt ihr alle eure Weisheiten erzählt, was dünkt euch nun von dem Christus? Wer ist Er?" Und dann zitiert Er das Wort aus Psalm 110, wo Gott den Messias auffordert, Sich zu Seiner Rechten zu setzen, bis Gott die Erde zum Schemel Seiner Füße gemacht hat. Das ist eine der merkwürdigsten Prophezeiungen, weil es in der Tat die einzige Stelle im Alten Testament ist, wo wir davon lesen, daß der Herr Jesus jetzt als verherrlichter Mensch im Himmel zur Rechten Gottes sitzt. Genau das ist es, was der Herr den Obersten vorstellt. "Wer ist Er, von dem David sagt: Er ist mein Herr'?" Ja, Er ist sicherlich auch der Sohn Davids, doch der Herr macht deutlich, daß Er, den sie als solchen, als Sohn Davids, bereits verworfen hatten, in Wirklichkeit sogar noch viel mehr war als das, denn Er war Derjenige, den David "Herr" nannte, Derjenige, den Gott zu Seiner Rechten setzen würde. Hatten sie den Sohn Davids verworfen? Nun, sie würden den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten Gottes im Himmel. Nachdem sie ihren Unglauben offen ausgesprochen hatten, sagt der Herr Jesus gleichsam, daß Seine eigene Herrlich­keit (als Herr Davids, als Sohn des Menschen) noch viel größer ist als die niedrigere Herrlichkeit, die sie bereits ver­worfen hatten.

 

Das führt dazu, daß der Herr in Kapitel 23 völlig darlegt, was in dem Herzen des Volkes war, nun ohne jede Einschrän­kung, ohne daß Er als Emmanuel Gnade erwies; nun sehen wir das radikale Urteil, denn es gibt keinen einzigen Grund mehr, etwas zurückzuhalten, weil der Zustand des Volkes völlig bloßgelegt ist. Wir sehen, wie Er dem Volk ankündigt, daß Er nichts mehr mit ihnen zu tun hat, wie sogar ihr Heilig­tum in Jerusalem ihnen wüst gelassen wird, bis zu dem Augenblick, wo die Gnade wieder anbricht, denn die Bei­seitesetzung war keine endgültige Sache. Gott gibt Seine Verheißungen nicht preis, denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar. Aber der Herr Jesus bleibt Israel fern, wie es bis heute noch immer der Fall ist, bis zu dem Augenblick, wo sie aus sich selbst mit einem wahrhaftig bekehrten Herzen sagen: "Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Darauf wartete der Herr Je­sus, und deshalb kündigt Er ihnen an, daß Er warten würde bis zu dem Augenblick, wo ein gläubiger Oberrest gefunden wird.

 

Das bringt den Herrn zu der wunderbaren Rede, die wir in den Kapiteln 24 und 25 finden. Er hat soeben angekündigt, daß Er fortgehen würde, aber auch, daß Er zurückkommen wird und dann von dem Oberrest empfangen werden wird, den wahren Untertanen des Königreiches der Himmel. In den folgenden zwei Kapiteln sehen wir nun, wie der Herr Seine Untertanen zubereitet. Das ist eigentlich ein ergreifender Gedanke! Er ist auf dem Weg zum Leiden, zum Kreuz, und auf dem Weg, zu Gott zurückzukehren und Sich zu Seiner Rechten zu setzen und Seine Jünger, Seine Treuen, zurück­zulassen. Und nun beschäftigt Er Sich in dieser ausführlichen Rede mit ihnen, um ihre Herzen zu erwärmen, daß sie in der langen Zeit Seiner Abwesenheit auf Ihn warten. Doch was ist der traurige Inhalt dieser Rede? Untreue. Zuerst spricht der Herr zu dem Oberrest Israels, der verfolgt und bedrängt werden wird inmitten eines gottfeindlichen Volkes, ja (in der Endzeit) unter der abscheulichen Regierung des Antichristen. Der Herr wird bald jedoch in Gnade auf sie herniedersehen und gibt ihnen den Schlüssel dazu, daß sie sich doch freuen können, nämlich indem sie auf Ihn warten. Denn Er wird zurückkehren; das Zeichen des Sohnes des Menschen wird in dem Himmel erscheinen! Es wird das Ende der gegen­wärtigen Haushaltung sein und der Anfang der Segnungen Seines Friedensreiches, wenn Er die Auserwählten versammeln und die Gottlosen ausrotten wird wie in den Tagen Noahs.

 

Doch der Herr richtet Sich nicht nur an den Oberrest Israels. Im Folgenden spricht Er über die wahren und falschen Gläu­bigen innerhalb der Christenheit (24,45 ‑ 25, 30). Worin liegt unser Segen auf der Erde? Nun, es ist wieder dasselbe ‑. In dem Warten auf das Kommen des Sohnes des Menschen. Das, was Er dem Oberrest als Trost vorstellt, ist auch die Erwartung der Christen. Ja, es würde gerade Niedergang in der Christenheit bedeuten, wenn sie diese Hoffnung verlie­ren und sagen würden: "Mein Herr verzieht zu kommen" (Vers 48). Doch dann sehen wir in dem Gleichnis der zehn Jungfrauen, daß der Herr in der Endzeit ein Zeugnis gibt, um die Herzen der Christen wieder aufzuwecken, damit sie Ihn erwarten. Und in dem letzten Gleichnis entfaltet Er, daß sogar aller Dienst, den sie für Ihn ausüben, in Verbindung mit der Tatsache steht, daß Er kommen und sie in die Seg­nungen einführen wird. Wie schön ist es, den Herrn hier schon vor zweitausend Jahren so auf der Erde zu sehen und zu hören, wie Er jede denkbare Gruppe von Gläubigen, die es geben würde, anspricht: (1) zuerst die aus Israel: den Oberrest der Zukunft (Kap. 24, 1‑44), (2) danach die Chri­sten, die Gläubigen dieser Zeit (Kap. 24, 45‑25, 30) und (3) danach auch noch die Gläubigen aus den Völkern (ab Kap. 25, 31), die in der Endzeit bekehrt werden aufgrund der Verkündigung des Evangeliums des Reiches durch gläubige Juden (Kap. 24, 13). Sie alle werden hingewiesen auf das Kommen Christi, denn dieses Kommen wird alles entschei­den und zustande bringen, und dieses Kommen wird die Segnungen des Friedensreiches und den Lohn mit sich bringen.

 

Nachdem der Herr Jesus so Seine Jünger vorbereitet hat im Blick auf die Zukunft, beginnt Er Seinen letzten Weg zum Kreuz. Doch nun schenkt Gott Ihm, bevor Er Ihn in diese schreckliche Stunde bringt, die wunderbare Gemeinschaft mit den Seinen. Wir sehen, wie der Herr inmitten eines Vol­kes voller Haß und Unverständnis (sogar bei den Jüngern) Zuneigung findet bei dieser einen Frau, die ihren König salbt, die die Narde auf Sein Haupt ausgießt; nicht auf die Füße wie in Johannes, sondern auf das Haupt, denn sie salbt ihren König. Was für ein König ist es, den sie salbt? Der Herr sagt: "Sie hat es zu meinem Begräbnis getan"! Wie herrlich war das für Ihn, im Herzen dieser Frau Mitgefühl zu entdek­ken. Sie hat etwas empfunden von der Tatsache, daß Er zwar der König war, aber daß Er ein gestorbener und begrabener König sein würde.

 

So schenkt Gott Ihm auch die kostbaren Stunden mit Seinen Jüngern, wo der Herr mit ihnen das Abendmahl feiert, das hier in treffender Weise wieder den Hauptzug des Matthäus-Evangeliums enthält. Der Herr sagt, daß Er Sich Selbst in den Tod geben würde; Leib und Blut würden voneinander ge­trennt werden, und das Blut des neuen Bundes würde für viele zur Vergebung der Sünden vergossen werden. Wir sehen, wie das Ende wieder an den Anfang anknüpft. Er war gekommen, um Sein Volk von ihren Sünden zu erlösen. So hatte der Engel Ihn angekündigt. Doch das Volk hatte Ihn verworfen, und die Gnade hatte sich zu den Völkern ausge­breitet. Der Same würde über die ganze Welt ausgestreut werden, und wenn der Herr nun auch in Kürze Sein Werk vollbringt, dann wird Sein Blut nicht allein für Sein Volk, sondern für v i e 1 e zur Vergebung der Sünden vergossen. So wird Er zum Kreuz gehen als das wahre Schuldopfer; so zeigt Ihn gerade Matthäus, als Den, der die Sünden des Volkes getragen hat und dazu auf dem Kreuz von Gott ver­lassen wurde.

 

Wie ergreifend, hier den Herrn Jesus, bereits von der Un­treue Seiner Jünger überzeugt, auf dem Weg nach Golgatha zur Stätte des Gerichts gehen zu sehen. Zuvor findet da noch die schreckliche Begegnung mit Satan in Gethsemane statt; er stellt Ihm den Kelch der Leiden in all seiner Furcht­barkeit vor. Oh, der Satan hatte Ihm anfangs vorgeschlagen, dem allen zu entgehen und vor ihm niederzufallen; doch der Herr hatte Sich geweigert. Und nun sehen wir, wie Satan er­neut kommt und Ihm vorstellt, was die Alternative war: der furchtbare Kelch, den Er trinken mußte. Der Herr Jesus legt alles dem Vater vor; ob es wohl eine Möglichkeit gab, daß das Ziel erreicht werden könnte, ohne daß Er den Kelch trinken mußte? Aber Er sagt: "Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen kann, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe dein Wille." Es gab keinen anderen Weg, "denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden." Er ist nicht nur der Emmanuel, der den Kranken und Schwachen Gnade erweist, Er steht im Begriff, das Volk zu erretten von ihren Sünden und Sein Blut zu vergießen, ja, zur Erlösung vieler.

 

So geht Er diesen Weg. ER allein erstrahlt in makelloser Vollkommenheit, Er, der König der Juden. Nun werden sogar die Jünger Ihn im Stich lassen und von Ihm fliehen. Nun werden die Hohenpriester zeigen, wer sie sind und wer Er ist, und sie werden Ihn verurteilen; nicht, weil Er ein Aufrüh­rer oder ein Missetäter ist ‑ sie werden Ihn verurteilen auf­grund Seines eigenen Zeugnisses. Die einzige Anklage, die sie gegen Ihn haben, ist, was Er Selbst vor dem Hohenprie­ster bezeugt, der ihn fragt: "Bist du der Christus, der Sohn Gottes?" Das ist der Kernpunkt in diesem ganzen Evan­gelium: "Bist du der Messias, der von Gott aus der Jungfrau erweckte Sohn?" Schon das lehnten sie ab, erst recht aber die noch größere Herrlichkeit, auf die der Herr auch hier direkt hinweist: Das ist Meine Herrlichkeit als Messias. Doch es gibt eine Herrlichkeit, die ihr weder kennt noch versteht und die weit darüber hinausgeht: Ihr werdet den Sohn d e s M e n s c h e n sehen, den Sohn aus Psalm 8; nicht allein den König über Zion, sondern den Sohn des Menschen, der über die ganze Schöpfung gestellt werden wird; ihr werdet Ihn sitzen sehen zur Rechten Gottes in der Höhe (vgl. Ps 110) und wiederkommen sehen auf den Wolken des Himmels! Sie haben nicht nur den Messias verworfen ‑ den Sohn des Menschen haben sie verworfen, der zur Rechten Gottes ver­herrlicht werden wird, und auf Sein Bekenntnis hin haben sie Ihn verurteilt.

 

So werden ihre Herzen gründlich offenbar. Nicht nur die Herzen der Hohenpriester, auch die Verleugnung durch die Jün­ger und die falsche Reue des Judas, alles kommt ans Licht. Ja, selbst das Herz des Statthalters, der rechtmäßigen Obrig­keit (er wird nicht umsonst gerade hier so häufig "der Statthalter" genannt). Israel befand sich durchaus nicht im Frie­densreich, sondern unter einem fremden Herrscher, und auch er hilft mit, den wahren König umzubringen. Gerade in diesem Evangelium spricht er zu den Juden über "Jesus, weicher Christus genannt wird" (27, 22). Nachdrücklich stellt er fest, daß sie den Messias, den König der Juden, verwerfen werden! Wenn es um das kostbare Blut geht, das zur Ver­gebung der Sünden vieler fließen würde, dann sagen sie: "Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder." Gibt es einen stärkeren Beweis ihrer Verdorbenheit und Unwis­senheit über ihren Zustand, als daß sie das Blut des Gerech­ten auf sich herabzurufen wagen? Doch andererseits: Sind die Heiden besser? Betrachte die Soldaten, die Ihn gegeißelt haben (das war ihnen noch befohlen worden), aber die ihn auch verspottet haben als König der Juden, gerade als Den­jenigen, der Er wirklich war, und die Ihn mit ihrer Dornen­krone (ein Bild des Fluches über die Erde) gepeinigt haben.

 

So wird Er nach Golgatha gebracht, zum Kreuz mit der son­derbaren Aufschrift, die Gott in Seiner Vorsehung bewirkt hatte, daß die ganze Erde nicht daran zweifeln sollte, wer dort am Kreuz hing: Emmanuel, der König der Juden. So war Er gekommen, und so wurde Er verworfen ‑ verworfen von Seinem Volk, verlassen von Seinen Jüngern; und schließlich: verlassen von Gott in den drei angstvollen Stunden der schrecklichen Finsternis. Hier bewundern wir Ihn als Schuld­opfer, als Den, der Sein Volk von ihren Sünden erlösen sollte, indem Gott die Sünden der Israeliten, die sich bekeh­ren würden, ja, aller derer, die an Ihn glauben würden, auf den Herrn Jesus gelegt hat. Und als dort Er, der Reine, der Heilige, von Dem Gott zweimal bezeugt hatte, daß Er an Ihm Sein Wohlgefallen gefunden hatte, beladen wurde mit unseren Sünden, da mußte ein heiliger und gerechter Gott Sein Angesicht von Ihm abwenden, und der Herr mußte aus­rufen: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlas­sen?" Das war die schrecklichste Folge Seines Verlangens, Sein Leben als Lösegeld zu geben für viele.

 

Doch dann sehen wir die Antwort Gottes! Als der Herr mit lauter Stimme schrie und den Geist aufgab (womit Er bewies, daß Er nicht durch Erschöpfung gestorben ist), trat Gott mit Seinem Zeugnis auf den Plan. Mit einer Geste rechnet Er ­mit dem jüdischen System ab, indem der Vorhang im Tempel zerreißt; Er zeigt unmittelbar die Frucht des Werkes des Herrn: die Gräber vieler entschlafener Heiliger werden geöff­net, und sie werden auferweckt nach der Auferstehung des Herrn Jesus. Ja, Gott wirkt Sich Selbst ein Zeugnis, nicht aus dem Mund Israels, sondern aus dem eines heidnischen Hauptmanns, der sagt: "Dieser war Gottes Sohn."

 

Gott erfüllt weiterhin die Prophezeiung, daß der Herr in Sei­nem Tode bei einem Reichen ist. Joseph wird lediglich hier 11 reich" genannt. Alles wird erfüllt, was Gott in Seinem Wort Über den Herrn Jesus angekündigt hatte, über Ihn, der einer­seits der König der Juden, der Messias, der Emmanuel ist, und andererseits das Schuldopfer, der leidende Knecht des Herrn, der gerade durch Seinen Sühnungstod und Seine Auferstehung eine wunderbare Grundlage gelegt hat, auf­grund derer Gott doch die Verbindungen mit Seinem Volk wieder anknüpfen kann in einer Weise, die niemals möglich gewesen wäre, wenn der Herr nicht verworfen worden und zum Kreuz gegangen wäre. Denn nun werden sie nicht nur die Segnungen des Friedensreiches empfangen, sondern ihre Sünden werden weggenommen werden.

 

Das 28. Kapitel ist vielleicht eines der merkwürdigsten Ka­pitel dieses Evangeliums. Wir finden hier nicht die Himmel­fahrt des Herrn; obwohl Matthäus selbst dabei gewesen ist, hat der Heilige Geist ihn inspiriert, nicht darüber zu berich­ten. Denn es geht hier nicht darum, daß der Herr nun im Himmel ist, sondern daß Er durch Sein Werk auf dem Kreuz eine Grundlage gelegt hat für völlig neue Beziehungen Got­tes zu den Treuen, dem Oberrest Seines Volkes Israel. Und so sehen wir, wie der Herr Jesus hier in die Arme dieses Überrestes zurückkehrt. Er sagt hier nicht wie in Johannes: "Rühre mich nicht an", denn dort war der Herr als der Sohn auf dem Weg zum Vater. Hier kommt der Herr zurück und übergibt Sich den Treuen Seines Volkes, und sie umfassen Seine Füße, weil Er zu ihnen zurückgekehrt ist, und huldigen Ihm; und Er läßt das zu, denn das ist der Platz, den Er fortan einnehmen will: inmitten der Treuen Seines Volkes. Deshalb geht Er hier nach Galiläa, nicht nach Judäa, sondern an den Platz, wo die Armen und Geringen des Volkes waren, die Ihm gefolgt waren und die an Ihn geglaubt hatten. Und dort er­scheint Er auf dem Berg, wo Er einmal die Grundsätze des Königreiches bekanntgemacht hatte, wo Er zweitens die messianischen Segnungen geschenkt hatte, wo Er drittens von den drei Jüngern in der Herrlichkeit des Friedensreiches gesehen worden war; nun ist Er hier zum vierten Mal bei ihnen, um sie auszusenden, damit sie ihr Zeugnis ablegten bis an die Enden der Erde, ein Zeugnis von Ihm, dem Gott alle Macht gegeben hat im Himmel und auf Erden. Nachdem Er als der Sohn Gottes (Ps 2) verworfen war, beruft Gott Ihn (Ps 8) als Sohn des Menschen über die ganze Schöpfung und unterwirft alle Dinge Seinen Füßen.

 

So dürfen die Jünger bis an die Enden der Erde ausgehen, um Menschen mit dem Messias in Verbindung zu bringen, dessen Gnade sich nun zu allen Völkern erstreckt, damit sie alle Ihm hingebungsvoll dienen, als getaufte Jünger Ihm nachfolgen und bewahren, was Er ihnen geboten hat. So ist es in unseren Tagen, und so wird es fortgehen, bis Er wie­derkommt und tatsächlich Seine Herrschaft über diese Erde antritt. Solange das noch nicht der Fall ist, gibt Er uns Sein letztes Trostwort mit. So wie Er uns in den Kapiteln 24 und 25 auf Sein Kommen als das Ende dieser Haushaltung hin­gewiesen hatte, als das, worauf unsere Herzen warten soll­ten, so sagt Er hier als Trost, daß Er, obwohl Er abwesend ist, bei uns sein wird bis zur Vollendung des Zeitalters, d. h. bis zum Abschluß dieser Haushaltung, in der sich die Treuen nun auf der Erde ohne den Herrn befinden. Er, der Emma­nuel, "Gott mit uns", der in Gnaden inmitten Seines Volkes erschienen war und der als der tief erniedrigte Mensch auf dem Kreuz die Sünden vieler getragen hat, wofür Er sogar von Gott verlassen werden mußte, damit Er Seine Versamm­lung besitzen könnte, dieser Herr wird bei uns und bei dem zukünftigen Oberrest Israels sein bis zum Ende der Tage. Weich ein Vorrecht, jetzt schon zu der Versammlung gehören zu dürfen; welch ein Vorrecht, Ihn, der sie erkauft hat, so kennen zu dürfen.

 

 

2. Markus

 

Zu Recht haben wir voriges Mal mit Matthäus begonnen, nicht nur, weil es das erste Evangelium des Neuen Testa­mentes ist, sondern auch, weil es deutlich der Obergang zwi­schen dem Alten und dem Neuen Testament ist. Es stellt uns den Messias vor, der im Alten Testament angekündigt war und der nun gekommen ist und die Schriften erfüllt hat. Wenn wir nun von Matthäus (dem längsten der vier Evan­gelien) zu Markus kommen, dann könnten wir auf den ersten Blick etwas enttäuscht sein. Markus ist dem Umfang nach das Stiefkind unter den Evangelisten. Sein Evangelium er­reicht noch nicht einmal zwei Drittel des Matthäus-Evangeliums. Sehr viele beliebte Stellen aus Matthäus werden wir in Markus nicht antreffen. Wir könnten sogar auf den Gedan­ken kommen, daß das, was wir in Markus finden, nichts Neues ist, weil wir das ja bereits in Matthäus gelesen haben. Doch wenn wir das dächten, würden wir nicht nur Markus, sondern auch dem Heiligen Geist Unrecht tun, der uns kein Evangelium gegeben hat, das eigentlich überflüssig ist, weil es nur aus Wiederholungen besteht. Und das ist übrigens auch nicht wahr, denn es steht vieles in Markus, das wir nicht bei den anderen finden; und vor allem schreibt Markus das, was er berichtet, in einer völlig eigenen Weise. Er gibt eine gänzlich eigene Darstellung der Person des Herrn Jesus, wie keiner der anderen Evangelisten das tut.

 

Wie beim vorigen Mal will ich auch hier nicht das ganze Evangelium behandeln, sondern es nur überfliegen und da­bei das beleuchten, was im besonderen zeigt, welche Seite der Herrlichkeit Christ! der Heilige Geist uns vorstellen will. Es Ist allgemein bekannt, daß wir den Herrn Jesus In Mar­kus als den Diener beschrieben finden, als Denjenigen, der im Auftrag Gottes kommt, um einen Dienst auf der Erde aus­zuüben, im besonderen an dem Volk Israel. Doch es ist durchaus nicht allgemein bekannt, woran denn nun ersicht­lich ist, daß der Herr Jesus hier besonders der Diener ist. Das Wort bedeutet, daß Er als solcher nicht aus Sich Selbst irgendeine Bedeutung hat, sondern Seine Würde Dem ent­lehnt, der Ihn gesandt hat. Gott wollte Sich in diesem Men­schen auf der Erde offenbaren; Er kommt mit einem Dienst im Auftrag Gottes, denn Gott war Sein Meister. Der Dienst des Herrn Jesus, den wir hier finden, besteht daher auch nicht in erster Linie darin, Wunder zu vollbringen, die Seine Person verherrlichen (wie gerade in Matthäus), sondern ,darin, das zu sagen, was Ihm aufgetragen war. Die Person des Dieners tritt immer zurück vor dem Dienst, den Er aus­übt. Der Herr richtet die Aufmerksamkeit nicht auf Sich Selbst, sondern auf das Wort, das Er predigt, ja, auf den Gott, den Er in diesem Wort vorstellt.

 

Deshalb lernen wir nicht nur aus dem, was Markus uns be­richtet, sondern auch aus dem, was er uns nicht berichtet. Markus beginnt nicht damit, uns die Abstammung des Herrn mitzuteilen, denn es ist nicht wesentlich, von wem ein Diener abstammt. Für Matthäus, der uns den Messias vorstellt, ist das gerade von großer Bedeutung; er mußte beweisen, daß der Herr aufgrund Seiner Abstammung der Sohn Davids war, für Lukas ist es notwendig zu zeigen, daß der Herr durch Seine Abstammung von Adam vollkommener Mensch war, und Johannes muß uns zeigen, daß der Herr Jesus die­selbe Person ist wie das Wort Gottes, das von Ewigkeit bei dem Vater war. Doch für einen Knecht ist das nicht bedeut­sam. Wir finden hier keine Abstammung, keine Geburt, kei­ne Jugend. Wir finden hier das Werk eines Dieners; und al­les, was nicht damit in Verbindung steht, wird beiseite gelas­sen. Wir lesen auch nicht, daß der Evangelist (im Unter­schied zu dem Herrn Selbst) Prophezeiungen anführt, um uns zu zeigen, wer der Herr Jesus ist, mit Ausnahme ‑ und das ist merkwürdig! ‑ in den ersten drei Versen. Hier zeigt der Heilige Geist uns zwei Seiten: Auf der einen Seite geht es um die frohe Botschaft, das Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes. Und auf der anderen Seite: Auch wenn Er der niedrige Diener ist, will der Heilige Geist, daß wir von Anfang an e 1 n s gut verstehen (und danach spricht Er sehr wenig mehr darüber, um erst ganz am Ende wieder darauf zurückzukommen), nämlich daß dieser niedrige Diener, der nichts aus Sich Selbst hat und nichts sein will, gleichzeitig Gott Selbst ist.

 

Das kommt hier auf sehr bemerkenswerte Weise zum Aus­druck. Zuallererst wird Maleachi angeführt: "Siehe, ich sen­de meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg bereiten wird." Doch in Maleachi steht tatsächlich: "Siehe, ich sende meinen Boten, daß er den Weg bereite vor mir her." Dort sagt Jehova, daß der Vorläufer, also Johannes der Täufer, der Bote Gottes Selbst sein würde. Hier sehen wir nun, wie der Heilige Geist dieses anführt, aber es an­wendet auf den Herrn Jesus und sagt: "Siehe, ich sende mei­nen Boten vor deinem Angesicht her." Das ist kein Gegen­satz, sondern es beweist einfach, daß der niedrige Diener auf der Erde Gott Selbst war. Und das beweist auch die zweite Prophezeiung: "Stimme eines Rufenden in der Wü­ste: Bereitet den Weg (des) Herrn, machet gerade seine Steige!" Johannes der Täufer war ein großer Prophet; der Herr nennt ihn den größten derer, die von Frauen geboren sind. Doch verglichen mit Ihm, den er ankündigen mußte, war Johannes nichts, war er lediglich eine Stimme in der Wüste. Und wen mußte die Stimme ankündigen? Niemanden weniger als "(den) Herrn", ohne Geschlechtswort, was auf den Namen Jehovas hinweist (vgl. Fußnote in der E. 0. zu Mt 1, 22). Der Weg des Herrn mußte bereitet werden, denn Gott der Herr kam zu Seinem Volk.

 

So muß der Vorläufer Ihn ankündigen. Doch als Er kommt, sehen wir nichts anderes als einen demütigen Diener. In Vers 3 steht: " . . . machet gerade seine Steige!" Das Wort "gerade" ist im Griechischen dasselbe wie das Wort "als­bald", das wir etwa vierzigmal so kennzeichnend in diesem Evangelium finden und das uns die Promptheit, die Bereitwil­ligkeit zeigt, mit der der Herr Jesus diesen Dienst ausübt. Es wird hier um einen "geraden" Weg für Gott gebeten, doch Derjenige, der kommt, um darauf zu wandeln, ist ein abhängiger und gehorsamer Diener, der Seinerseits "als­bald" handelt, entsprechend allem, was Gott Ihm aufträgt. Gott wird ein Diener Gottes ‑ wie erstaunlich! Und wir wer­131 den sehen, wie der Herr in wunderbarer, demütiger Weise in allem vollkommen abhängig von Dem ist, der Ihn ge­sandt hat.

 

Zuerst werden dem Vorläufer kurz einige Worte gewidmet, nicht mehr, denn das Thema ist der Dienst des Herrn Selbst. Wir ersehen das auch aus dem, was Johannes sagt; er sagt hier nicht: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen." Darum ging es in Matthäus: anzukündigen, daß der König kam und mit Ihm ein himmlisches Königreich. Hier jedoch geht es darum, daß ein Volk zur Bekehrung und zur Buße kommen und seine Sünden vor Gott bekennen muß, darauf liegt hier der Nachdruck. Denn wenn wir sagen, daß der Herr Jesus der Diener ist, dann können wir das auch anders ausdrücken: Er ist der vollkommene Prophet. Er ist natürlich mehr als das, doch Er ist auch der größte der Propheten. Er war der letzte, der größte Prophet, bereits von Moses in 5. Mose 18 angekündigt: der Prophet, auf den Sei­ne Brüder hören sollten. Und was ist die Aufgabe eines Pro­pheten? Das Volk Gottes zu Gott zurückzubringen: ihm seine Sünden bewußt zu machen, damit es sie bekennt und sich zu Gott bekehrt. Das ist es, was Johannes hier als der Vor­läufer des großen Propheten verkündigt, und dazu tauft er sie, um sie für das Kommen des Messias vorzubereiten, der der größte Prophet war, hoch erhaben über Johannes. Nur hier finden wir deshalb in Vers 7 das Wort: "Dessen ich nicht würdig bin, ihm gebückt den Riemen seiner Sandalen zu lösen." Er würde ein Prophet sein, gerade wie Johannes, doch einer, Dem dieser die größte Ehrerbietung schuldete. Und nur hier in Vers 10 (nicht in anderen Evangelien) steht das Wort: " . . . sah er die Himmel sich teilen . . . ", als ob Gott mit Gewalt die Himmel öffnete, um so zu verkündigen, daß dieser Prophet gleichzeitig Sein geliebter Sohn war.

 

Doch dann finden wir bei dem Herrn Jesus, nachdem Gott dieses gewaltige Zeugnis von Ihm bekundet hatte, doch nichts anderes als tiefe Demut und Bereitwilligkeit, den Dienst auszuüben. Unmittelbar nach der sehr kurzen Einleitung wird dieser Dienst beschrieben. Johannes ist überlie­fert (Vers 14), und der Herr predigt das Evangelium, nicht des Königreiches der Himmel, sondern des Königreiches Gottes, eine mehr allgemeine Andeutung des Bereichs, wo Gott Seine Regierung in den Herzen Seines Volkes ausübt. Der Herr sagt als der vollkommene Diener bei dieser Gele­genheit Worte, die wir anderswo nicht finden: "Die Zeit ist erfüllt" (Vers 15). Es ging nicht darum, daß Er als der Diener die Zeit für reif erachtete; nicht Er beschloß, sondern Der, der Ihn gesandt hatte ‑, Gott hatte Ihn gesandt und bewies damit, daß die Zeit erfüllt war und der Dienst beginnen mußte.

 

Doch nun finden wir in den folgenden Versen etwas, was sehr charakteristisch für dieses Evangelium und sehr be­deutungsvoll für uns ist. Dieses Evangelium hat solch einen besonders praktischen Wert für uns, weil wir hier nicht nur den Dienst des Herrn beschrieben finden, sondern auch, wie Er, der vollkommene Diener, Seinerseits Diener beruft und zubereitet, damit sie in Seine Fußspuren treten. Wir se­hen durch das ganze Evangelium hin: der Herr weiß, daß Sein Dienst kurz sein wird, daß Er diese Erde wieder verlas­sen wird und wie dann Jahrhunderte folgen, in denen ande­re Seinen kurzen Dienst fortsetzen müssen. So ist es auch hier mit der Berufung der Jünger: zuerst Simon und Andreas (Vers 16) und dann Jakobus und Johannes (Vers 19). In Jo­hannes 1 sehen wir deutlich, daß die erste Bekanntschaft ganz anders verlaufen war: Zuerst hatten zwei Jünger von Johannes dem Täufer den Herrn getroffen, nämlich Andreas und (ich vermute) Johannes, der Schreiber selbst. Danach hatte Andreas seinen Bruder Simon mit dem Herrn bekannt gemacht; doch in Johannes geht es auch nicht um den Dienst, sondern um das Bekanntwerden mit Ihm, der das Wort des Lebens ist, das uns geoffenbart worden ist. Hier in Markus handelt es sich um einen späteren Zeitpunkt, näm­lich, daß diese vier Männer nicht nur Bekanntschaft mit dem Herrn machten, sondern zum Dienst berufen wurden. So sagt der Herr hier in Vers 17: "Kommet mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen." Darauf liegt hier der Nachdruck. Und deshalb wird nur hier (Vers 20) so aus­führlich beschrieben, was sie verließen: "Und sie ließen ih­ren Vater Zebedäus in dem Schiffe mit den Tagelöhnern und gingen weg, ihm nach." Das ist das Los des Dieners: alles hinter sich lassen, alle Vorrechte preisgeben, die er bis zu diesem Zeitpunkt genießen konnte, um nur in den Dienst des Meisters zu treten und Ihm nachzufolgen in der Ausübung des Dienstes.

 

Daraufhin sehen wir, wie der Herr Jesus den Dienst beginnt. Der erste Teil Seines Dienstes (Kap. 1, 21‑3, 6) umfaßt den allgemeinen Dienst an Israel, er richtet sich an das ganze Volk als solches. Der Evangelist beschreibt diesen Dienst anhand von sieben Wundern, die Seinen Dienst bestätigen mußten und zugleich den Zustand des Volkes zeigten. Dabei ist es gut, zu beachten, daß Markus im Unterschied zu den anderen Evangelisten uns am genauesten die Reihenfolge der Ereignisse gibt, wie sie wirklich stattgefunden haben. Matthäus tut das nicht: er fügt Ereignisse in einem Kapitel zusammen, die zu sehr verschiedenen Augenblicken statt­gefunden haben, um so in einem Zusammenhang eine be­stimmte Seite der Herrlichkeit des Messias zu schildern. Lukas tut das ebenfalls in bezug auf Ihn als Sohn des Men­schen. Doch Markus zeigt uns den Fortgang des Dienstes, den der Herr als Diener auf der Erde verrichtete, und hat deshalb keinen Grund, die Ereignisse in ihrer Reihenfolge zu verändern. Daran erkennen wir die Freiheit des Heiligen Geistes, zu gebrauchen, wen er will. Matthäus, der Jünger, der alles miterlebt hatte und also die richtige Reihenfolge kannte, wird nicht gebraucht, um sie wiederzugeben, son­dern Markus, der nicht dabei war, tut das unter der Leitung des Heiligen Geistes sehr wohl. Das will nicht heißen, daß Markus vollständig ist ‑ wir finden gerade hier häufig eine Auswahl.

 

Als erstes also die sieben Wunder als eine Beschreibung des allgemeinen Dienstes in Israel. Das erste ist die Heilung von dem unreinen Geist in der Synagoge, der uns die Macht Sa­tans inmitten des Volkes sehen läßt und zugleich auch die Weise, in der der Diener damit handelt. Wir lesen in Vers 22, daß Er lehrte wie jemand, der Gewalt hat. Nicht die Wunder hatten das Hauptgewicht, sondern die Predigt des Wortes; Er kam mit göttlicher Autorität und mit Macht, wie die Prophe­ten des Alten Testamentes, doch andererseits auch als Je­mand, dessen Wort bestätigt wurde durch Wunder, wie ehe­mals bei Moses, Elias und Elisa. So sehen wir, daß Er nicht nur in Worten Gewalt hat, sondern auch Macht, dem Teufel zu widerstehen, den unreinen Geist auszutreiben. Im zwei­ten Wunder sehen wir auch die Krankheit, die den Menschen kraftlos machen kann ‑ ein Bild von der Macht der Sünde im Menschen; der Herr vertreibt hier das Fieber bei der Schwiegermutter des Petrus. Ja, Er erstreckt Seinen Dienst auf alle diejenigen, die zu Ihm kommen (das dritte Wunder; Verse 32‑34). Als Diener war Er völlig bereit, überall, wo Gott Ihn rief, Seinen Dienst auszuüben. Und wie? Wir lesen in Vers 34 wieder etwas Einmaliges, gerade hier: " . . . und erlaubte den Dämonen nicht zu reden, weil sie ihn kannten." Das zeigt einerseits, wie groß Er war, denn selbst die bösen Geister wußten, wer Er war, doch andererseits, wie demütig Er Sich Selbst verhielt, denn Er wollte kein Zeugnis von Dä­monen annehmen. Der wahre Diener will durchaus kein Zeugnis im Blick auf Sich Selbst, Er hat kein Bedürfnis, daß Ihm Beifall gezollt wird, schon gar nicht von Dämonen, aber auch nicht von Menschen. Er hat nur das Verlangen nach dem Wohlgefallen Gottes Selbst, des Meisters, der Ihn ge­sandt hat. Die abhängige Gesinnung finden wir in dem wun­derschönen Vers 35: "Und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging hin an einen öden Ort und betete daselbst." Er suchte die Einsam­keit, während andere schliefen, gebrauchte die freien Au­genblicke während des Dienstes, um mit Gott allein zu sein. Warum? Er war doch Gott Selbst? Ja, aber Er ist hier der demütige Diener, der in Abhängigkeit von Gott Seinen Dienst ausübt und nicht die Ehre von Menschen sucht. Als sie Ihn dann doch finden und sagen: "Alle suchen dich", Ist das für den Herrn ein ausreichender Grund, gerade nicht mit ihnen zu gehen, denn Er suchte nicht Seine Ehre, son­dern die Ausübung Seines Dienstes. Deshalb könnten wir Vers 38 eigentlich über dieses Evangelium setzen: "Laßt uns anderswohin in die nächsten Flecken gehen, auf daß ich auch daselbst predige; denn dazu bin ich ausgegan­gen." Das ist der Charakter, in dem wir den Herrn hier fin­den; nicht die Offenbarung des Messias (Matthäus) oder der Gnade Gottes gegenüber der ganzen Menschheit (Lukas) oder die Offenbarung des Vaters (Johannes), sondern die anspruchsloseste Stellung: Einer, der hier nichts hat, als 135 nur konsequent Seinen Dienst auszuüben: als Prophet das Volk zu Gott zurückzubringen und als Diener ihnen Gottes Segnungen zu bringen.

 

Im fünften und sechsten Wunder sehen wir eine noch deut­lichere Schilderung des Charakters des Volkes Israel, und zwar in diesen beiden Krankheiten: dem Aussatz und (Kap. 2) der Lähmung. Der Aussatz ist ein Bild der Verun­reinigung durch die Sünde und zeigt uns, daß der Dienst des Herrn nötig war, um den Sünder zu Gott zurückzubringen. Aussatz macht nicht nur krank, sondern auch unrein, wo­durch wir vor Gott nicht bestehen können. Allein das Eingrei­fen der Macht Gottes, die Berührung durch den Herrn, der innerlich bewegt war, kann den Menschen von seinem Aus­satz reinigen. Der Herr sagt hier als der gehorsame Israelit, daß der Gereinigte zum Priester gehen muß, doch nicht, damit der Priester ihn heilt, sondern daß dieser lediglich feststellt, daß Gott Selbst hier ein Wunder verrichtet hatte; denn niemand kann Aussatz heilen, als Gott allein. Die Sün­de macht nicht nur unrein, die Sünde macht den Menschen auch schuldig vor Gott und deshalb kraftlos. Der Lahme muß von seinen Freunden getragen werden. Wir sehen, wie der Herr Jesus diese beiden Seiten seines Zustandes durch und durch erkennt und in göttlicher Kraft vollkommen weg­nimmt (obwohl gleichzeitig als der demütige Diener), indem Er ihm zuerst seine Sünden vergibt und ihn danach von sei­ner Lähmung heilt. Das war der wahre Dienst des Herrn: nicht nur anzukündigen, was Gott tun konnte, sondern zu­gleich die göttliche Macht selbst zu offenbaren, denn der demütige Diener war Gott Selbst, der die vollkommene Kraft hatte, dem Volk nicht nur Bekehrung zu predigen, sondern auch Reinigung, Heilung und Vergebung zu schenken.

 

Solch eine Macht, geoffenbart in Knechtsgestalt, ist für den Menschen unbegreiflich. Wir sehen hier zu Beginn des Dien­stes Christi auch zugleich den Widerstand der Obersten des Volkes, sowohl hier in Kapitel 2, 16 als auch zuvor bei der Heilung des Gelähmten. Der Herr ißt mit den Zöllnern und Sündern als der demütige Diener; Er wählt keinen höheren Platz für Sich. Doch solch ein Platz ist unbegreiflich für die hochmütigen religiösen Führer in dieser Welt. Und während Er in Seinem Dienst fortfährt, nimmt der Widerstand der Obersten zu; in Vers 18 werfen sie Ihm vor, daß Er nicht fastet ‑ als ob Er fasten könnte, während Er im Namen Gottes gekommen war, um einen herrlichen Dienst zu er­füllen und dem Volk Gottes Gnade zu erweisen. Der Bräuti­gam war in ihrer Mitte, und wie konnte nun gefastet werden, als ob Trauer eingekehrt sei? Sie wollten den Herrn und Seinen Dienst in ihr eigenes, religiöses System zwängen, aber das war unmöglich. Wenn Gott etwas Neues geben will, ja, wenn Gott Selbst in Knechtsgestalt erscheint, dann kann das Neue niemals in die alten Gefäße des Menschen gegossen werden. Der neue Flicken konnte nicht auf das alte Kleid des Judentums gesetzt werden.

 

Die folgenden beiden Begebenheiten am Sabbath bewei­sen das. Im jüdischen System war der Sabbath ein Joch ge­worden, der Jude war Sabbath‑Gesetzen unterworfen, die der Mensch ausgedacht hatte. Doch das beweist lediglich, daß der Mensch keinen Begriff hat von der Güte Gottes. Denn Gott wollte durch den Sabbath nicht ein Joch, sondern einen Segen für den Menschen bereiten (vgl. 2. Mo 16, was vor der Gesetzgebung liegt). Der Herr legt das hier Selbst dar, indem Er auf David hinweist (hier ausführlicher als wo­anders), der sogar von den Schaubroten aus der Stiftshütte essen durfte, die nach dem Gesetz Gottes normalerweise nur für die Priester bestimmt waren. Doch hat Gott dieses Gesetz gegeben, um dem Menschen das Leben schwerzu­machen? Und sollte ein Gott der Gnade nicht über Seine eigenen Gesetze hinausgehen können, um Gnade zu erwei­sen, wie Er das bei David tat? Sollte dann auch kein Brot am Sabbath gegessen werden dürfen? Und wenn nun ein Mann mit einer verdorrten Hand in der Synagoge ist, sollte dann der Sabbath nicht zu einem unvergeßlichen Segen werden dürfen? Oder steht er unter dem Joch des Sabbaths? Ist Gott, der ein Gott der Güte ist und der das in dem Dienst des Herrn Jesus offenbart, nicht berechtigt, über die Gebote des Sabbaths hinauszugehen und diese Krankheit wegzu­nehmen? So fragt der Herr (3, 4): "Ist es erlaubt, an den Sabbathen Gutes zu tun oder Böses zu tun, das Leben zu retten oder zu töten? Sie aber schwiegen. Und er blickte auf sie umher mit Zorn, betrübt über die Verstockung ihres Her­zens.'«

 

Vers 6 schließt den ersten Teil dieses Evangeliums ab. Die Führer spürten sehr genau, daß dieser Mensch, der gekom­men war, um in Seinem Dienst die Güte Gottes einem sündi­gen und kraftlosen Volk zu offenbaren, nicht in ihr System paßte. Doch sie zogen daraus die schreckliche Schlußfolge­rung, daß dieser Mensch deshalb nicht verdiente zu leben und weggetan werden müßte. In dieser Lage ist es ausge­schlossen, daß der Herr Seinen allgemeinen Dienst im Blick auf Israel fortsetzen kann. Nicht, daß Er aufhört, Gnade zu erweisen ‑ überall, wo jemand sich persönlich auf diese Gnade beruft, dort finden wir, wie sie entfaltet wird ‑ aber es ist nicht mehr ein allgemeiner Dienst gegenüber dem gan­zen Volk, wie wir das bildlich In Vers 7 angedeutet finden: "Und Jesus entwich mit seinen Jüngern an den See." Der See ist in den Evangelien immer ein Bild der Völkerwelt. Das wird hier sogleich bestätigt durch den nächsten Vers: "Und es folgte ihm eine große Menge von Galiläa und von Judäa und von Jerusalem und von Idumäa [Edom] und von jenseits des Jordan; und die um Tyrus und Sidon, eine große Menge." Wenn das Volk als Ganzes die Gnade abweist und der Herr doch Seinen Dienst weiter ausübt, dann kann die Gnade nicht mehr auf das Volk Israel allein beschränkt blei­ben ‑, Er erweist sie nun allen, die dafür offen sind. "Denn er hellte viele, so daß alle, welche Plagen hatte, ihn überfielen, auf daß sie ihn anrühren möchten" (Vers 10), ob sie nun aus Tyrus, Sidon und Idumäa oder aus Galiläa und Judäa ka­men. Sogar die unreinen Geister mußten vor Ihm weichen, obwohl wir hier ebenfalls finden (Vers 12), daß sie Ihn nicht offenbar machen durften. Sie durften nicht Seine Person verherrlichen, denn Er hatte als vollkommener Diener keine andere Aufgabe, als Gott vorzustellen und Ihm alle Herrlich­keiten zu geben.

 

Nachdem nun der Herr Jesus keinen allgemeinen Dienst mehr unter dem Volk allein hat, sehen wir, daß Er nun auch andere zubereitet, die Ihm später in diesem Dienst folgen sollen. Das ist bedeutsam, denn der Dienst, den die Jünger später ausüben würden, sollte auch nicht ausschließlich in Israel stattfinden, sondern in der ganzen Welt, unter allen Völkern ausgeübt werden. Deshalb finden wir gerade hier, daß der Herr auf dem Berg die Zwölf zu Sich ruft, die fortan das Leben mit Ihm teilen. Er bereitet sie zu, später ebenfalls auszugehen und zu dienen und Seinen Dienst fortzusetzen, wenn Er sie verlassen haben würde. Währenddessen ver­stehen Ihn sogar Seine Verwandten nach dem Fleisch nicht. Treffender als woanders lesen wir hier in Vers 21: "Und als seine Angehörigen es hörten, gingen sie hinaus, um ihn zu greifen; denn sie sprachen: Er ist außer sich." Nicht nur die Führer sagten das, sondern gerade Seine Familienangehörigen, die meinten, daß Er einer von ihnen sei, weil sie nie­mals Seinen wirklichen Ursprung und Charakter erkannt hat­ten. Und selbst die Führer, die Schriftgelehrten, konnten zu keiner anderen Schlußfolgerung kommen, als daß der Hei­lige Geist, durch den Er als Diener den Dienst ausübte, Beelzebub war, der Oberste der Dämonen. Der Herr beweist zwar die Torheit ihrer Beweisführung und kündigt das Ge­richt über die an, die den Heiligen Geist lästern, doch das ändert nichts an der Verhärtung der Herzen des Volkes. Das hat zur Folge, daß der Herr von nun an die natürlichen Ban­de mit Seinem Volk nicht mehr anerkennen kann, wie wir das am Ende von Kapitel 3 finden, sondern daß Er in Bezie­hung tritt zu allen, (wie hier steht:) die den Willen Gottes tun (das Kennzeichen von Dienern).

 

So sehen wir, daß mit Kapitel 3 ab Vers 7 ein Übergangsab­schnitt in diesem Evangelium beginnt. In Kapitel 1‑3, 6 fin­den wir den allgemeinen Dienst an Israel, und darauf folgt der Obergang: der Herr wendet Sich den Völkern zu, beruft neue Diener und anerkennt nicht mehr Seine Verbindungen mit dem Fleisch, sondern nur einen Oberrest, der, geradeso wie Er, der wahre Diener, den Willen Gottes tat. Damit be­ginnt Kapitel 4, ein sehr bedeutender Abschnitt dieses Evan­geliums, weil er uns in besonderer Weise den Dienst des Herrn zeigt und die Art und Weise, wie Er Seine Jünger in diesen Dienst einbezieht. Dieses Kapitel stellt uns den Dienst vor als ein durchlaufendes Ganzes, mit dem der Herr Jesus begonnen hat und das bis zu dem Augenblick fortge­setzt wird, wo Er wiederkehrt; während der Zwischenzeit, von Seinem Fortgehen von dieser Erde bis zu Seinem Wie­derkommen, wird dieser Dienst von den Dienern ausgeübt, die Er hier zubereitet. Zuerst stellt der Herr Sich Selbst in dem Gleichnis von dem Säemann vor. In Matthäus 13 haben wir ebenfalls dieses Gleichnis gefunden, doch da mit einer völlig anderen Absicht, nämlich die sieben Königreichs­-Gleichnisse einzuleiten, in denen der Herr zeigt, wie anstelle von Israel ein anderes Zeugnis Gottes auf der Erde sein würde, die Christenheit, und wie sogar auch dort das Ver­derben eindringen würde. Das stimmt mit dem Charakter des Matthäus-Evangeliums überein. Doch hier bei Markus ist dieses Gleichnis die Einleitung zu einer Veranschaulichung Seines Dienstes; Markus beschreibt uns den Säemann als den Diener, der das Wort Gottes verkündigt und ausstreut. Nicht in dem Weinberg Israel, sondern auf dem Acker, das ist die Welt. Die ganze Weit ist nun der Bereich, wo der Die­ner, der Herr Jesus, Seinen Dienst ausübt. Das ist sehr bedeutsam, denn so kann dieses Gleichnis auch dazu die­nen, den Jüngern zu zeigen, was ihr Dienst sein würde. Ihr Dienst sollte sich auch auf die ganze Weit erstrecken. Der Herr war ihnen als der Säemann vorangegangen, um das Wort zu predigen (siehe die Auslegung in den Versen 10‑20): Er hatte das Wort ausgestreut, als Diener einfach Seine Pflicht getan und es Gott überlassen, was davon auf­gehen würde. Sein Dienst bestand einfach darin, das Wort auszustreuen. Nun jedoch stellt der Herr Seinen Jüngern ihre Verantwortlichkeit vor; Er Selbst würde fortfahren mit Seinem Dienst bis zum Ende, doch nun sagt Er zu Seinen Jüngern (Vers 21): "Kommt etwa die Lampe, auf daß sie un­ter den Scheffel oder unter das Bett gestellt werde? nicht daß sie auf das Lampengestell gestellt werde?" Das war auch auf Ihn anwendbar: Er hatte Seine Lampe nicht unter den Scheffel oder unter das Bett gestellt; doch Er stellt das nun auch Seinen Jüngern vor und legt es auf ihre Gewissen (Vers 23): "Wenn jemand Ohren hat zu hören, der höre!" Und dann folgt: "Und er sprach zu ihnen: Sehet zu, was ihr höret." Er verknüpft mit dem Auftrag des Dienstes auch die Verantwortlichkeit, daß sie ihr Licht scheinen lassen sollten entsprechend richtigen, göttlichen Maßstäben, wie der Herr Jesus Selbst es getan hatte.

 

Darauf folgt etwas sehr Bemerkenswertes, denn hier finden wir (in den Versen 26‑29) ein Gleichnis, das wir in keinem anderen Evangelium antreffen. Das muß uns aufmerksam machen, denn es bedeutet, daß dieses Gleichnis sehr charakteristisch für dieses Evangelium ist. Hier wird das König­reich Gottes mit einem Menschen verglichen, der "den Sa­men auf das Land wirft [das zeigt den Zusammenhang mit dem Gleichnis von dem Säemann] und schläft und aufsteht, Nacht und Tag, und der Same sprießt hervor und wächst, er weiß selbst nicht wie. Die Erde bringt von selbst Frucht her­vor, zuerst Gras, dann eine Ähre, dann vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht sich darbietet, so schickt er als­bald die Sichel, denn die Ernte ist da." Wie wunderschön ist das. Hier sehen wir einen Mann, der zwar Samen auf den Acker sät, doch der tatsächlich lediglich in zweierlei Hinsicht mit dieser Arbeit in Verbindung steht: ganz zu Beginn, wenn er den Samen auf den Acker streut, und ganz am Ende, wenn er zurückkommt, um die Ernte einzusammeln. In der langen Zwischenperiode, wenn der Same aufgeht, wächst und reift, scheint es so, als ob dieser Mann sich nicht darum bekümmert. Er schläft und steht auf, Nacht und Tag, tagein, tagaus, ohne daß er eine Beziehung zu dem hat, was auf dem Acker geschieht. Wenn wir das Licht der folgenden Verse darauf fallen lassen, sehen wir, wie treffend der Herr Jesus hier den ganzen Dienst beschreibt, denn damit würde es ebenso gehen. Sein eigener Dienst dauerte lediglich drei Jahre; drei Jahre war Er hier auf der Erde, um Samen auf die Erde zu werfen, und danach ist Er von dieser Erde fort­gegangen. Und es könnte sehr leicht den Anschein haben, als ob Er nun schläft und aufsteht, Nacht und Tag, und Sich nicht darum kümmert, was auf der Erde geschieht. Er hat Sich zurückgezogen in den Himmel und den Dienst schein­bar sich selbst überlassen. Er hat uns hier zurückgelassen, und wir dürfen Seinen Dienst fortsetzen; wir dürfen sehen, wie der Halm wächst und die Ähre und das Korn reifen, doch der Herr ist weggegangen, und es scheint so, als würde Er schlafen und keine Beziehung zu dem Dienst haben. Aber das scheint nur so; der Dienst findet Seine volle Aufmerk­samkeit, und am Ende wird Er zurückkommen und Selbst die Ernte einbringen: Er wird die Sichel schicken, die Spreu aus­scheiden und den Weizen einsammeln. So ist es mit dem Dienst. Lediglich drei Jahre war der Herr Selbst anwesend, und am Ende wird Er die Früchte des Dienstes einsammeln.

In der Zwischenzeit sind wir die Diener, und Er fragt uns:

 

Laßt ihr eure Lampen scheinen, oder stellt ihr sie unter den Scheffel?

 

Was hatten die Jünger in den Tagen, als der Herr Jesus noch Seinen Dienst ausübte, erlebt? Es war ein bescheidenes Werk, bescheiden im Umfang (auf das Gebiet Israels be­schränkt), bescheiden, was die Anzahl derer betrifft, die sich bekehrten. Im folgenden Gleichnis nun bereitet der Herr sie auf das vor, was in der Zwischenzeit eintreten würde, wenn Er den Dienst aufgeben und im Himmel sein würde. Dann würde das, was unter Seiner Führung so schlicht begonnen hatte, wie ein Senfkorn aufgehen und zu einem großen Baum werden, größer als alle Bäume auf der Erde. Die Jünger sollten damit rechnen, daß, wenn sie den Dienst ausübten, ihr Werk ungekannt große Ausmaße annehmen würde, und so ist es auch geschehen. Man sagt, daß durch den Dienst des Apostels Paulus allein schon fünf Millionen Menschen zur Bekehrung gekommen sind; das ist es, wovon der Herr an anderer Stelle sagt: "Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue, und wird größere als diese tun" (Joh 14, 12). Das bedeutet aber nicht, daß diese kolossale Weltmacht, die durch den Dienst entstanden ist, treu und gut sein würde. Der wahre Diener muß auf der Hut sein.

 

Wenn die Resultate des Dienstes, wie heutzutage, den Cha­rakter einer Eindruck erweckenden großen christlichen Macht auf der Erde angenommen hätten (ein Fünftel der Mensch­heit ist "christlich", der größte Teil davon römisch‑katho­lisch), so würde diese Macht ein Unterschlupf sein für die Vögel des Himmels, die unreinen Geister (Offb 18, 2). Das stellt der Herr hier dem Diener vor, damit dieser sich nicht von dem einnehmen läßt, was unter seinen Händen auf­wächst.

 

Doch der Herr Jesus gibt nicht nur mündliche Unterweisung, sondern auch Anschauungsunterricht über dieses Thema, denn was ab Vers 35 bis zum Ende folgt, steht in unmittel­barem Zusammenhang mit der voraufgegangenen Unterweisung. Der Herr gibt ihnen eine sehr praktische Beleh­rung: Er begibt Sich in das Schiff, und sie setzen über, um an das jenseitige Ufer zu gelangen. Währenddessen entsteht da dieser schreckliche Sturm. Nun sehen wir, wie Er war und wie sie waren! Er hatte einen Augenblick Ruhe zwi­schen zwei Phasen Seines Dienstes und nutzte ihn, um zu schlafen inmitten der Stürme ‑ die Ihm nichts anhaben konnten, denn Er vertraute vollkommen auf Gott, ja Er war Selbst Gott inmitten dieser rauhen Umstände. Die Belehrung für die Jünger war, daß es ihnen ebenfalls so ergehen würde, nachdem der Herr von ihnen weggegangen ist. Wie Er in dem Gleichnis gesagt hatte (Vers 27), würde Er wie jemand sein, der schlief. Er würde hingehen und Sich "schlafend" halten, und sie würden hier in dem Dienst auf der Erde zu­rückgelassen werden. Dieser Dienst würde sehr häufig Stürme mit sich bringen, schreckliche Notlagen, und Er, der Herr, würde schlafen ‑ so würde es jedenfalls scheinen. Er glich dem Menschen, der schlief und aufstand und sich nicht um den Acker kümmerte. Doch sie vergaßen eins: Er schlief zwar, aber Er war in dem Schiff! Und wie sollte das Schiff untergehen können, wenn Er, der Sohn Gottes, an Bord war? Wenn Er an Bord war, dem sogar der Wind und der See gehorchten? Das ist der Charakter unseres Dien­stes, Brüder! Wenn wir als Diener (und welcher Gläubige ist das in der Tat nicht) für den Herrn ausgeben dürfen, kann es Stürme geben und so scheinen, als ob der Herr schliefe oder sogar abwesend wäre. Er ist nun nicht persönlich in dem Dienst auf der Erde wirksam. Doch Er ist trotzdem gleich­zeitig "in dem Schiff" anwesend, und deshalb kann das Schiff niemals untergehen. Unser Kleinglaube ist ein Man­gel an Liebe, denn er bedeutet, daß wir Seine Herrlichkeit als Sohn Gottes zu wenig beachten. Wenn Gottes Sohn an Bord ist, wie kann dann das Schiff jemals untergehen? Ha­ben wir nie dem Gedanken Raum gegeben, daß unser Dienst nutzlos war, weil es so schien, als ob die Stürme ihm ein Ende setzten? Doch der Herr Ist darin anwesend, und Er ist nicht unruhig oder in Verwirrung; Er bewahrt eine vollkom­mene Ruhe. Wenn wir von Seiner Ruhe inmitten des Dien­stes lernen, dann geraten wir nicht unter den lähmenden Eindruck der Mächte und Stürme, die den Dienern be­gegnen.

 

Nun sehen wir im ersten Teil von Kapitel 5 eine andere Seite, die ebenso bedeutsam ist. Dort finden wir die Beschreibung des unreinen Geistes, der in den Grabstätten hauste. In Matthäus wurde damit im besonderen der Zustand Israels angedeutet, hier sehen wir darin vor allem wieder den Cha­rakter des Dieners, und nicht nur den des Dienstes des Herrn Selbst. Das ist auch nicht ohne Bedeutung, denn wir finden nirgends den Zustand dieses unreinen Geistes so ausführ­lich beschrieben (siehe Vers 5); darin sehen wir den Reich­tum Seines Dienstes, der sich auch auf einen Mann in einem solch schrecklichen Zustand erstreckte. Was aber vor allem unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht: Nachdem der Herr Seinen Dienst verrichtet hat und auch die Menschen, die Ihn umgeben, ins Licht gekommen sind (indem sie Ihn bitten, wegzugehen, weil sie die Ergebnisse Seines Dienstes nicht ertragen können), sehen wir etwas, das in Matthäus über­haupt nicht vorkommt, nämlich daß der Geheilte den Herrn fragt, ob er bei Ihm bleiben dürfe (Vers 18). Ich denke, daß jeder Gläubige diesen Augenblick einmal erlebt, hat, daß er so gern immer bei dem Herrn bleiben und nicht ohne Ihn hier auf der Erde zurückbleiben wollte. Doch der Herr hat gerade Diener hier auf der Erde nötig. Er ist in diesem Augenblick nicht auf der Erde, um Selbst den Dienst auszuüben, und deshalb will Er die Seinen gebrauchen. Er sagt in Vers 19: "Gehe hin nach deinem Hause zu den Deinigen und verkün­de ihnen, wieviel der Herr an dir getan, und wie er sich dei­ner erbarmt hat."

 

Um nun auf die andere Seite zurückzukommen, die wir in Kapitel 4 fanden ‑ dort sahen wir, daß der Herr, obwohl Er Sich abseits hielt, in Wirklichkeit doch bei den Seinen im Schiff war. Das ist die eine Seite: obwohl der Herr zeitweise zu schlafen scheint, so, als ob Er Sich nicht um uns beküm­mere, ist Er doch anwesend. Es gibt aber noch einen ande­ren Gesichtspunkt, unter dem wir den Dienst sehen können, und das ist, daß wir nun noch nicht im Himmel (also in wört­lichem Sinn bei dem Herrn) sein können, sondern daß wir noch eine Zeitlang von Ihm ausgesandt werden, um in unse­rer eigenen Umgebung von dem zu zeugen, was der Herr an uns getan hat. Der Herr sagt nicht: " . . . wieviel ich an dir getan habe." Würde es in den Mund eines Dieners passen, wenn er seine eigenen Taten in den Vordergrund stellte?

 

Der wahre Diener weist lediglich gehorsam auf seinen Mei­ster hin. Deshalb sagt Christus: "Wieviel der Herr an dir getan'«, also Jehova Selbst. Doch achte darauf, daß der Ge­heilte selbst sehr gut wußte, wer es war, der ihn geheilt hatte, denn was er verkündigt, ist, wieviel Jesus an ihm ge­tan hatte. Und das geschah zu Recht, denn der demütige Diener, der ihn auf Jehova hinwies, war Jehova Selbst ‑Gott geoffenbart im Fleisch!

 

Anschließend sehen wir, wie der Dienst des Herrn Jesus so­gar bis in die tiefe Wirklichkeit der Macht des Todes reicht. In dem Bericht von der Tochter des Jairus übt der Herr Jesus in Seinem Dienst sogar Gottes Macht über den Tod aus, um dieses Mädchen aufzuerwecken. In Matthäus sahen wir hierin ebenfalls den Zustand Israels, doch hier liegt der Nachdruck auf dem Dienst des Herrn: auf der Art und Weise, wie Er der ängstlichen Frau in der Menge begegnet, sie er­mutigt und ihr Frieden für ihr Herz schenkt; und wie Er, nach­dem Er das Mädchen auferweckt hat, Sich mit solchen "Klei­nigkeiten" wie in Vers 43 beschäftigt, daß man ihr zu essen gebe. So vollkommen bis in die Einzelheiten war Sein Dienst; das zeigt auch, daß Er Seinen Dienst nicht von oben herab verrichtete, wie jemand, der achtlos seine unbegrenz­te Macht um sich ausstreut, sondern der sich in Niedrigkeit neben den Menschen stellt und ihm mit Erbarmen und Mit­leid die Segnungen Gottes schenkt.

 

Israel begreift den Herrn nicht, wie wir gesehen haben; so­gar Seine eigenen Bekannten sagen (Kap. 6, 3): "Ist dieser nicht der Zimmermann . . . V' In den anderen Evangelien wird Er noch der Sohn des Zimmermanns genannt, hier heißt es einfach: der Zimmermann. Was die Folge ist, lesen wir in Vers 5: "Und er konnte daselbst kein Wunderwerk tun, außer daß er einigen Schwachen die Hände auflegte und sie heil­te." Ist das nicht kennzeichnend? Ist das nicht wieder eine Stelle, die so besonders zeigt, wie der Herr hier als Diener vorgestellt wird? Er konnte hier kein Wunder tun ‑ und es ist dieselbe Person, von der wir in Kapitel 1 sahen, daß Er Gott Selbst ist. Alle Macht und Majestät Gottes standen Ihm zur Verfügung, doch ‑ Er war hier auf der Erde als ein Mensch, Gott im Himmel unterworfen; als ein Diener, der nur dort handelte, wo Gott offene Türen gab. Wenn wir hier lesen: "Er konnte daselbst kein Wunderwerk tun", dann nicht deshalb, weil die Kraft bei Ihm persönlich nicht vorhan­den gewesen wäre, sondern weil Er als abhängiger Diener keine offenen Türen fand, keinen zubereiteten Acker, wo Er Seinen Dienst ausüben konnte, ausgenommen bei dem ein­zelnen, der niemals vergeblich auf Seine Macht hoffte.

 

Doch laßt uns einmal weiterlesen. Wie wunderbar ordnet der Heilige Geist die einzelnen Begebenheiten an, damit nicht bei uns der Gedanke aufkommt, daß es dem Herrn Selbst an Kraft fehlte. Denn Er, der als abhängiger Diener nichts tun konnte, wozu Ihm Der, der Ihn sandte, keine Tü­ren öffnete, ist Derselbe, der unmittelbar danach (Vers 7) die Zwölfe aussendet und, wie dabeisteht, "ihnen Gewalt [oder: Autorität] über die unreinen Geister" gab. Wie er­greifend schön! Der demütige Diener konnte nichts tun, wo Gott keine offenen Türen gab, und doch war Er zur gleichen Zeit Gott Selbst, der Autorität hatte, um die Zwölfe auszu­senden und um ihnen sogar Macht über die Teufel zu geben! Die Kraft, die Er Sich sozusagen Selbst nicht geben "konnte" (sittlich gesehen), konnte Er Seinen Jüngern wohl geben. Er sendet sie im Besonderen aus, um zu predigen, "daß sie Buße tun sollten" (V. 12). Das finden wir gerade hier, denn es ist ja das Kennzeichen des Propheten und auch derer, die von Ihm ausgesandt werden: das Volk zum Herzen Gottes zurückzubringen.

 

Nun zeigt uns der Heilige Geist in den Kapiteln 6 und 7 zwei Mächte, die immer den Dienst zu durchkreuzen suchen. Das gilt für den Dienst des Herrn, aber auch für den Dienst, in dem wir Ihm als Diener nachfolgen dürfen. Mitten in der Be­schreibung der Aussendung der Zwölfe, die hier in den Ver­sen 7‑13 steht und die später in Vers 30 fortgesetzt wird, finden wir die Beschreibung der Enthauptung des Johannes eingefügt. Geradeso, wie wir in Kapitel 7 die falsche religi­öse Macht finden werden, wird uns hier die weltliche Macht vorgestellt, die inmitten des Volkes Gottes verkehrt. Genau das sind die beiden großen Mächte, mit denen wahre Diener zu jeder Zeit zu tun haben. Wir finden das hier im Vorbild von Johannes dem Täufer. Wenn Diener ausgesandt wer­den, wie hier die Jünger, dann zeigt uns der Heilige Geist sogleich, womit sie zu tun bekommen: mit einer Weit, in der der Teufel herrscht, wo er solch große Gewalt hat, daß es sogar in seiner Macht steht, Johannes den Täufer, den größ­ten aller Diener, bevor der Herr kam, zu enthaupten. Es ist gut, wenn wir als Diener den Charakter und die Macht der Welt gründlich erkennen. Wenn wir sie kennen, werden wir auch wissen, wie sehr wir vom Herrn abhängig sind und auf Ihn vertrauen müssen. Das ist die Belehrung, die wir hier am Beispiel der Jünger lernen, wenn sie in Kapitel 6, 30 zurück­kommen. Ja, sie werden "Apostel" genannt, vom Herrn "Gesandte", doch wenn sie zurückkehren, berichten sie alles, was sie getan und gelehrt hatten. Kommen wir in die­ser Weise zum Herrn, um Ihm zu erzählen (in Aufrichtigkeit, daran zweifle ich nicht), was wir getan haben? Dann haben wir noch nicht den richtigen Charakter des Dienstes ver­standen. Der Herr Jesus als Diener wies niemals auf Sich Selbst hin, Er erlaubte sogar den bösen Geistern nicht, über Ihn zu sprechen, Er wies allein auf Den hin, der Ihn gesandt hatte. Auf welch schöne Weise antwortet der Herr Jesus Sei­nen Jüngern. Er tadelt sie nicht, Er gibt ihnen nur die rüh­rende Antwort, die Er uns als Dienern auch so häufig gibt: "Kommet ihr selbst her an einen öden Ort [mit Mir] beson­ders und ruhet ein wenig aus." Das ist unser Herr ...

 

Er braucht sie lediglich einen Augenblick beiseite zu neh­men, damit sie bei Ihm sind, damit sie sich selbst und ihre eigenen Leistungen vergessen und nur Ihn sehen und einen Augenblick geistliche Ruhe finden. Wie häufig haben Diener das nötig, die manchmal so eifrig sind, daß sie von einem Dienst zum anderen eilen und dann schließlich vielleicht nur noch an ihr eigenes Werk denken. Dann sagt der Herr: Komm nun einmal allein mit Mir an einen öden Ort. Solch ein öder Ort hat für sich selbst nichts Anziehendes, damit das Herz nicht abgelenkt wird, sondern allein auf den Herrn sieht. Dort dürfen wir einen Augenblick geistliche Erquickung genießen und unsere Herzen mit dem Herrn füllen.

 

Für den Herrn Selbst gab es allerdings kaum ein Verweilen, „denn derer, die da kamen und gingen, waren viele" (V. 31).

 

Er mußte mit dem Dienst fortfahren, und Er war bereit dazu; denn Er war innerlich bewegt über die große Volksmenge (V. 34). Und siehe, wie weise und liebevoll der Herr Jesus den Unterricht über den Dienst fortsetzt. Er zeigt den Jün­gern durch eine sehr praktische Belehrung, daß sie viel zu hoch von sich selbst dachten. Waren sie so stolz auf das, was sie getan hatten? Nun, hier bot der Herr ihnen eine Ge­legenheit, zu zeigen, was sie als Diener vorzuweisen hatten. Die Volksmenge war hungrig, und die Jünger kommen sogar mit dem Vorschlag, sie Brot kaufen zu lassen. Doch der Herr sagt: "Gebet ihr ihnen zu essen!" Ich habe euch Macht ge­geben, große Werke zu tun, und ihr habt erzählt, was ihr getan habt; hier ist eine Volksmenge, die nichts zu essen hat. Gebet ihr ihnen zu essen. Das sagt der Herr nicht, um mit uns Spott zu treiben, sondern uns entdecken zu lassen, daß wir aus uns selbst nichts vermögen und daß, wenn einer der Seinen etwas Gutes verrichten darf, das gänzlich durch Seine Gnade vollbracht wird. Der Herr Selbst ist es, der das Essen bereitet, der die fünf Brote und die zwei Fische ver­mehrt. Und dann behandelt Er die Jünger nicht verächtlich, weil sie nichts tun konnten, sondern wir lesen in Vers 41 so schön: " . . . und gab sie seinen Jüngern, auf daß sie ihnen vorlegten." So dürfen wir den Dienst ausüben als Sklaven, die vollständig abhängig sind vom Herrn; die nichts aus sich selbst anzubieten haben, sondern allein das ande­ren weitergeben können, was Er ihnen gibt. Ja, die Jünger gaben der Volksmenge zu essen, wie der Herr ihnen befoh­len hatte ‑ aber sie gaben nicht mehr weiter, als der Herr zuvor bereitet und ihnen gegeben hatte. So belehrt uns der Herr, nichts von uns selbst zu halten.

 

Danach sehen wir hier (und werden es auch in Kapitel 7 sehen), wie die Verdorbenheit des Volkes immer offenbarer wird, so daß der Herr Sich stets mehr von Israel zurück­ziehen muß. Er nötigt Seine Jünger, in das Schiff zu steigen, und in Vers 45 steht ausdrücklich dabei: . . . während er die Volksmenge entläßt." Die Volksmenge als Ganzes war nun nicht mehr der Gegenstand Seines Dienstes, sondern der kleine Oberrest, die wenigen Treuen, die Er als Diener aussenden würde. Wir finden sie hier in dem Sturm auf dem See, wo sie lernen mußten, daß sie in allen Umständen von Ihm abhängig waren. Er kam zu ihnen und tat so, als wollte Er vorbeigehen (das steht nur in Markus), als ob Er Sich nicht um sie kümmern wollte, um sie zu lehren, zu Ihm zu rufen und allein auf Ihn zu vertrauen. So finden wir hier, wie Er zuerst dem Oberrest Seine Gnade erweist und danach (V. 53‑56) auch den Bewohnern im Lande Genezareth, die ohne Zweifel durch das Zeugnis des unreinen Mannes, der geheilt worden war, angesprochen waren (vgl. 5,20).

 

In Kapitel 7 finden wir im wesentlichen dieselben Belehrun­gen wiederholt, doch nun von einem anderen Gesichtspunkt aus gesehen; nun nicht die weltliche Macht (Herodes), son­dern die religiöse Macht, unter die das Volk geknechtet war. Diese Macht ist für einen Diener mindestens ebenso gefähr­lich wie die weltliche Macht. Letztere kann uns allerdings sogar töten (wie Johannes), doch die falschen religiösen Einflüsse, gegen die ein Diener anzukämpfen hat, sind mindestens so gefährlich, denn sie können ihn geistlich zu­grunde richten. Der Herr stellt diesen ganzen menschlichen Formendienst unverhüllt an den Pranger und zeigt, daß es nicht das Äußerliche ist, was den Menschen verunreinigt, sondern das, was von innen aus dem Herzen kommt (V. 21). Wo auch immer das Volk in der Macht dieser falschen Rell­161 giongesehenwird,findenwirhier,geradesowieinKapite16, daß der Herr Sich von dem Volk als Ganzem abwendet und Sich den Völkern zuwendet und was Israel betrifft, Sich allein um den Oberrest dieses Volkes bemüht So finden wir zuerst in den Versen 24‑30 Tyrus und Sidon und die heidnische Frau, die sich nicht auf Rechte und Verheißungen beruft, son­dern auf Gnade, wie ein verächtlicher Hund. Als sie darauf vertraut, sehen wir, daß der Herr ihr die Gnade auch erweist, denn da Israel nun beiseite gesetzt ist, umfaßt Sein Dienst auch die Nationen.

 

Doch den Elenden und Treuen in Israel erweist der Herr weiterhin Gnade (V. 31‑37). In Vers 24 hatte Er das Gebiet Israels verlassen, und etwas Ähnliches sehen wir in Vers 33. Als man einen Tauben zu Ihm bringt (auch ein Bericht, den wir nur in Markus finden), lesen wir ausdrücklich: "Und er nahm ihn von der Volksmenge weg besonders." Das ist die Handlungsweise eines Dieners, wenn der Bereich, wo Er wirkt, Ihn verworfen hat und Er doch Gottes Gnade dem ein­zelnen erweisen will ‑ Er sondert den einzelnen von der Volksmenge ab. Wir sehen auch erneut, wie der Herr nicht von oben herab handelt, ohne weitere Beachtung, als würde es Ihn überhaupt keine Mühe kosten, sondern wie Er inner­lich berührt ist angesichts des Loses des anderen: "Er. . . legte seine Finger in seine Ohren; und er spützte und rührte seine Zunge an; und, gen Himmel blickend, seufzte er ... «' Das ist ein Seufzen, von dem wir auch etwas in Johannes 11 (V. 33. 35. 38) finden, wo der Herr tief in Sich Selbst seufzt oder, wie die Fußnote sagt, heftig bewegt ist über die schrecklichen Folgen der Sünde auf der Erde. So seufzt der Herr, als Er auch in diesem tauben Mann die Auswirkun­gen der Macht der Sünde sieht. Es ist jedoch nicht ein Seuf­zen, weil Er machtlos wäre und Selbst keine Hilfe bieten könnte, sondern weil sich dieser Mann in solch einem trau­rigen Zustand befand. Als der Herr sagt: Werde aufgetan!", werden seine Ohren geöffnet. Wiederum sagt der Herr dann, daß sie es niemandem sagen sollten, damit nicht Er die Ehre empfing für das, was Er als der Gesandte Gottes getan hatte.

 

In Kapitel 8 finden wir eine zweite wunderbare Speisung, nun nicht für fünftausend, sondern für viertausend. Äußerlich scheint es ein geringeres Wunder zu sein: Es waren wen! Menschen anwesend, es standen mehr Brote zur Verfügung und es blieb weniger übrig. Aber in Wirklichkeit haben wir hier einen noch eindrucksvolleren Beweis der Güte Gottes. Beim ersten Mal war es ein Zeugnis, daß der Diener, unter ihnen verkehrte, der Messias war, der Prophet, Moses angekündigt hatte; hier jedoch ist es für ein V das Ihn inzwischen verworfen hat, ein rührender Beweis trotzdem niemals nachlassenden Erbarmungen Gottes. das um so mehr, wenn wir sehen, wie die Führer dar reagieren: die Pharisäer beginnen einen Wortstreit mit 1 Das sind die Obersten des Volkes, die nichts als Unverständnis und Haß gegen Ihn hegen. Doch sogar von Seinen eigenen Jüngern muß der Herr sagen, daß sie kein wirkliches Verständnis für Ihn haben, sondern daß ihr Herz noch härtet ist (V. 17. 21). Und auch das macht der Herr Jesu einem praktischen Beispiel deutlich ‑ nicht so sehr in M ten ‑ nämlich durch diese Begebenheit mit dem Blinden (V. 22‑28, auch eine Begebenheit, die wir nur hier antreffen. Als der Herr diesen Blinden heilt, sehen wir in Vers 23 zu denselben Grundsatz wie in Kapitel 7, 33: "Und er faßte Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Dorfe hinab also außerhalb der Masse des Volkes. Dort, außerhalb Dorfes, sehen wir, wie der Herr zwei verschiedene Dinge ihm tut: durch das erste Händeauflegen sieht der Blinde Menschen wie Bäume umherwandeln, und erst nach zweiten Handlung sieht er alles deutlich. Das war eine Veranschaulichung dessen, was auch bei den Jüngern vorhanden war. Sie hatten neues Leben aus Gott empfangen, Herr hatte ihnen allerlei Dinge geoffenbart, sie hatten ein gewisses Verständnis empfangen, und damit ragten sie über ihre Volksgenossen hinaus. Und doch sahen sie, geradeso wie dieser Blinde, die Menschen wie Bäume wandeln." Sie hatten noch kein scharfes Verständnis für was der Herr ihnen entfaltet hatte; sie standen noch lediglich am Beginn des Weges und erst später, wenn sie auf den Dienst des Herrn zurückschauen würden, konnten sie durch die Kraft des Heiligen Geistes alles klar erkennen, was Herr Jesus auf der Erde getan und gesprochen hatte (Vgl. Joh 13, 7; 14, 26; 16,12.13).

 

Das will jedoch nicht heißen, daß der Herr nicht schon jetzt alles wertschätzt, was durch den Geist aus ihrem Mund hervorkommt, auch wenn sie die Menschen noch "wie Bäume umherwandeln" sahen. Ist es nicht eine gewaltige Sache, als ein Petrus sagt: "Du bist der Christus", der Mes­sias? Es geht hier nicht so weit wie in Matthäus, wo es wei­ter heißt: " . . . der Sohn des lebendigen Gottes"; diese Worte geben dort Anlaß, das Geheimnis der Versammlung zu entfalten. Das finden wir hier nicht. Hier sehen wir nur, daß der Herr der Messias ist, aber hier werden die Leiden des Herrn viel direkter mit dem Bekenntnis des Petrus ver­bunden. Wir haben gesehen, daß der Herr und Sein Dienst in Israel verworfen sind. Deshalb wird dem Diener in Ka­pitel 8 ein völlig neuer Grundsatz vorgestellt, und zwar, daß sein Weg, geradeso wie der Weg des Herrn, in einer Welt, die den Dienst abweist, ein Weg der Leiden ist. In dem Maße, wie die Verwertung und der Haß stärker werden, spricht der Herr Jesus offener über die Leiden, die Ihn erwarteten. Und hier sind es im besonderen die Leiden, die die Folge Seines Dienstes sind. Laßt uns das gut beachten! Darum sehen wir, wie gerade in Markus die Jünger sehr direkt mit diesen Lei­den in Verbindung gebracht werden als etwas, das auch auf sie wartet, weil sie als Diener dem Herrn folgen würden. Petrus tadelt Ihn, daß Er über Leiden spricht; er hat noch kein Verständnis über den Weg, den der Diener auf der Erde zu gehen hat. Was er lernen mußte, war ‑ Wenn er, geradeso wie der Herr Jesus, ein Diener sein wollte, dann mußte er (wieVers34sagt) sein Kreuz aufnehmen und Ihm nachfolgen. Das bedeutet sich selbst verleugnen, nichts sein wollen, sondern sich völlig außer acht lassen und das Kreuz auf­nehmen, das Gott zu tragen gibt auf einem Weg der Leiden, der Erprobung und des Widerstandes. Das ist der Weg, den der Herr Jesus uns vorangegangen ist.

 

Und doch sehen wir, wie die Unterweisung darüber hier noch nicht tief geht, und dafür gibt es einen guten Grund, einen Grund, der uns wieder die Gnade Gottes sehen läßt. Bevor der Herr die Jünger darüber eingehend belehrt (in den Kapiteln 9 und 10), zeigt Er zuerst das herrliche Ziel Seines Dienstes, damit der Diener nicht zu sehr entmutigt wird. In  Kapitel 9, 1‑8 sehen wir, wie Gott drei auserwählten Jün­gern das Endresultat des Dienstes, den der Herr Jesus hier auf der Erde getan hat, zeigt, und das ist Herrlichkeit. Das ist ein mächtiger Trost für die Jünger, denn am Ende ihres eigenen Dienstes würden auch sie diese Herrlichkeit miter­leben. Die Herrlichkeit des Herrn wird hier sogar noch grö­ßer dargestellt als in Matthäus, denn Er wird hier so be­schrieben: " ... und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß wie Schnee, wie kein Walker auf der Erde weiß machen kann." So dürfen die Jünger Ihn sehen, bevor sie in Seine Leiden eingeführt werden. Es war lediglich ein Vorausblick in die Zukunft, auf das Ende des Dienstes; doch dieser Blick war ausreichend, um ihre Herzen zu ermutigen, denn nun konnte der Herr ihnen noch eindringlicher deutlich machen, wie sie Ihm als Diener nachzufolgen hatten. Das erste haben wir in Kapitel 8 gefunden: das Kreuz aufnehmen. Das zweite finden wir, nachdem der Herr von dem Berg herab zu Seinen Jüngern kommt, denen es an Glauben mangelt, einen un­reinen Geist auszutreiben. Sie waren ein ungläubiges Ge­schlecht (V. 19). Das ist eine zweite Belehrung, die ein Die­ner lernen muß, wie die Verse 23 und 24 zeigen (auch wieder nur in Markus): "Jesus aber sprach zu ihm: Das, wenn du kannst' ist, wenn du glauben kannst; dem Glaubenden ist al­les möglich. Und alsbald rief der Vater des Kindleins und sagte mit Tränen: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!" Er­stens also: das Kreuz aufnehmen bedeutet Selbstverleug­nung (und dadurch, ohne irgendwelche Erwartungen im Blick auf die Welt beständig den Weg vorangehen); das ist die negative Seite. Doch die zweite, die positive, ist: wie der Zustand auch sein mag, wie sehr die Macht des Bösen auch wirkt, Er hat uns den Glauben geschenkt, der solche uner­meßlichen Möglichkeiten in sich birgt, daß er jeder denkba­ren Macht hier auf der Erde trotzen kann.

 

Nachdem der Herr das dargelegt hat, folgen diese besonde­ren Belehrungen über die Leiden, die die Jünger als Seine Knechte zu erwarten hatten. Der Herr wiederholt zuerst die Ankündigung Seiner eigenen Leiden. Wir sehen aus der Re­aktion der Jünger, wie wenig sie noch von dem verstanden, was ihn und sie selbst erwartete. Wenn Er über Seine Leiden spricht, sprechen sie darüber, wer unter ihnen der Größte sei (V. 33‑37). Der Herr stellt ihnen ein Kind gegenüber, das nichts von sich selbst hält und das die Einfalt hat, die auch sie zieren sollte. Die folgende Belehrung kommt, als sie sa­gen: "Lehrer, wir sahen jemand, der uns nicht nachfolgt, ... und wir wehrten ihm, weil er uns nicht nachfolgt" (V. 38). Wieder das "uns", als ob sie etwas wären. Doch es ging nicht um sie, sie durften nicht denken, daß sie auf einem besonders geistlichen Niveau stünden, weil sie in der Nähe des Herrn verkehrten. Wenn dieser Mann ihnen auch nicht folgte, so steht doch ausdrücklich dabei, daß er böse Geister austrieb, und das hatten sie selbst nicht gekonnt (siehe V. 18). Sie waren nicht in der Lage gewesen, den mond­süchtigen Jungen zu befreien, obwohl sie bei dem Herrn waren. Das Wandeln auf dem Weg des Herrn ist für sich selbst noch keine Garantie für geistliche Kraft. Der Herr zeigt ihnen das, indem Er sagt: "Wer nicht wider uns ist, ist für uns" (V. 40). Wenn auch jemand nicht das richtige Ver­ständnis hat, dem Herrn nachzufolgen, wie Er das gelehrt hat ‑ wenn er im Namen des Herrn den Dienst ausübt, dann dürfen wir Gott dafür danken. Denn darum geht es hier: wo aufrichtiger Dienst ausgeübt wird, da werden die bösen Geister ausgetrieben; dort wird die Macht des Glaubens sichtbar, die dem Feind trotzt. Deshalb sagt der Herr: Freuet euch darüber, wenn das geschieht.

 

So sehen wir, wie der Herr Seine Jünger lehrt, sich nicht zu überheben wegen der Stellung, die sie einnahmen, son­dern in aller Demut und in der Kraft des Glaubens Ihm zu dienen und auch anzuerkennen, wo überall sonst noch wah­rer Dienst für Ihn ausgeübt wird. Nunmehr bricht, geradeso wie in Matthäus, ein völlig neuer Zustand der Dinge an (von dem Herrn angekündigt), der die Folge der Tatsache ist, daß Er leiden und sterben würde. Doch Kapitel 10 zeigt, daß das nicht bedeutet, daß die Schöpfungsordnung Gottes dadurch beiseite gesetzt oder verändert würde. Wir haben darüber bereits in Matthäus nachgedacht, deshalb will ich hier nicht ausführlich darauf eingehen. Wir haben in den Versen 1‑12 die Ehe und in den Versen'13‑16 die Kinder, während wir in den Versen 17‑27 in dem Bericht über den reichen Jüngling andere Dinge sehen, die Gott in der Natur gegeben hat und die in sich selbst gut sind. Das wird hier sogar noch stärker ausgedrückt als in den anderen Evangelien, denn nur hier steht (V. 21): "Jesus aber blickte ihn an, liebte ihn und sprach. .. " Während Er diesen Mann ansah, fand Er etwas in ihm, das Seine Liebe weckte, nämlich die Ehrlichkeit eines Menschen, der aufrichtig meinte, daß er das Gesetz vollbracht habe und der das suchte, was ihm noch fehlte.

 

Doch ebenso kennzeichnend ist das, was der Herr diesem Mann hier in Vers 21 vorstellt: das Aufnehmen des Kreuzes. Wir finden das nur hier. Gibt es jemanden, der (so wie der reiche Jüngling) dem Herrn nachfolgen will, der von Ihm ler­nen will, was das Geheimnis wahren Glückes in Gott und wahren Dienstes für Gott ist? Dann ist dies der Weg! Wie der Herr zu den Jüngern sagte, so sagt Er nun zu diesem Jüng­ling: das Kreuz aufnehmen und so Christus nachfolgen; das ist es, was der Herr denen zu bieten hat hier auf der Erde, die Ihm nachfolgen wollen ‑ ein Kreuz und nichts anderes; denn Er ging Selbst als Diener auf der Erde keinen anderen Weg als den des Kreuzes. Und so sagt Er, als Petrus be­merkt, daß sie (die Jünger) dem Herrn nachgefolgt sind (V. 29): Jeder, der um meinet ‑ und um des Evangeliums wil­len alles verlassen hat ‑ da sehen wir wieder die Demut des Dieners, der auch auf den Dienst, auf das Evangelium, hin­weist ‑ wird hundertfältig in dieser Zeit zurückempfangen: Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker, doch vor allem: Verfolgungen! In der Zukunft das ewige Leben, in der Tat; doch in dieser Zeit Verfolgungen ‑das ist es, was sie erwartete. So würde es für Ihn sein und auch für die Jünger. Deshalb sagt Er in Vers 33: "Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem", nicht "ich" allein. Es ist nicht allein Mein Ziel der Reise; wenn ihr als Jünger in Meine Fußspuren treten wollt, dann erwartet auch euch ein Weg der Verfolgungen und Prüfungen. Doch wie wenig Ver­ständnis hatten sie dafür. Jakobus und Johannes sprachen lieber über die Frage, wer zur Rechten und wer zur Linken des Herrn sitzen würde in Seiner Herrlichkeit (V. 37). Sie hatten noch nichts davon verstanden, daß Er einen Kelch trinken und mit einer Taufe getauft werden mußte. Doch das war der Weg des Dieners; aber es schien so, als ob sie davon nichts verstehen könnten, bis sie miterlebten, wie der Herr Selbst diese Leiden auf Sich nahm, ja, Sein Leben gab als Lösegeld für viele (V. 45). "Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden", Er ist nicht aus auf Selbstverherrlichung, sondern Er ist gekom­men, um anderen zu dienen und Gottes Werk zu vollbringen.

 

Mit diesen Ereignissen ist der eigentliche Dienst des Herrn Jesus übrigens beendet. Ich möchte nun noch kurz etwas Über die letzten Kapitel sagen, in denen wir Seinen Weg zum Kreuz finden, was in Markus nicht zuletzt als Folge der treuen Ausübung des Dienstes inmitten einer feindlichen Welt dargestellt wird. Der Herr geht hinauf, um diese Kon­sequenz gänzlich auf Sich zu nehmen, während Er doch überall Gnade erweist, wo sich jemand darauf beruft, wie Bartimäus. Doch gibt Gott Seinerseits gerade hier ein herr­liches Zeugnis über Christus, ein Zeugnis, das Er gegen ihren Willen in dem Herzen der Juden bewirkt, so daß sie Ihm entgegengehen und Ihn als den Messias willkommen heißen. Denn dort, wo Er als Prophet und Diener verworfen ist, kann es nicht anders sein, als daß Gott doch ein Zeugnis erzwingt, daß der verworfene Diener der König ist. Die Juden rufen Ihm gerade hierzu (11, 10): »Gepriesen sei das kommende Reich unseres Vaters David." Doch der Herr kennt ihre Herzen; Er verflucht den Feigenbaum, ein Bild von Israel (V. 12‑14 und 20‑26) und fällt Sein Urteil über die Wechsler im Tempel zu Jerusalem (V. 15‑19). Im folgenden Abschnitt tritt der Herr all den verschiedenen Gruppen unter dem Volk entgegen, wie wir auch in Matthäus sahen, wobei alle großen Gegenstände Seines Dienstes erneut zur Sprache kommen.

 

Zuerst die Frage, in welchem Recht Er Seinen Dienst tue (V. 27‑33); darauf folgt die Veränderung, die durch die Ab­lehnung dieses Dienstes in den Regierungswegen Gottes mit dieser Erde stattfinden würde: Gott würde den "Weinberg" einem anderen Volk geben (12,1‑12) ‑ ohne daß hier tiefer darauf eingegangen wird, wer das wahre Volk ist; das ist hier nicht so wesentlich. Wir sehen danach die Pharisäer und Herodianer, die in einer anderen Hinsicht über die Regie­rungswege Gottes sprechen, nämlich über die Frage, wie es möglich ist, daß das Bundesvolk Gottes sich unter einer fremden Besatzungsmacht befindet. Wir sehen weiterhin die Sadducäer, die die Auferstehung leugnen oder angreifen wollen. Doch der Herr Jesus gibt auf alles die richtige Ant­wort und vollführt also sogar gegenüber diesen Gottlosen Seinen Dienst in Treue, in Gehorsam und vor allem in Niedrigkeit, ohne Seine Stimme zu erheben oder Sich über sie zu ärgern; Er stellt ihnen einfach vor, was die Gedanken Gottes sind. Doch zum Schluß kommt Er Selbst mit einer Frage, nämlich wer der Messias wohl ist, wenn David (des­sen Sohn Er ist) Ihn selbst seinen Herrn nennt, der zur Rech­ten Gottes erhoben ist.

 

Dazwischen finden wir einen merkwürdigen Abschnitt (12, 28‑34), auch wieder so kennzeichnend für Markus. Wie wir bei dem reichen Jüngling sahen, wo der Herr in Demut so ganz auf den betreffenden Menschen einging und an ihm sogar das liebte, was an Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit vor­handen war, so sehen wir auch hier die Wertschätzung des Herrn für diesen Schriftgelehrten, der kommt, um Ihn be­züglich der Hauptgebote des Gesetzes zu fragen. Als dieser Mann so feurig über den wahren Inhalt dieser Gebote spricht, sagt der Herr, als Er sieht, daß er verständig geant­wortet hatte: "Du bist nicht fern vom Reiche Gottes" (V. 34). Es Ist besonders ergreifend, hier zu sehen, wie der Herr als Mensch in Niedrigkeit das anerkennt, was selbst unter dem Gesetz etwas war und deshalb nahe heranführte an die Tür zum Reiche Gottes. Weich eine herablassende Güte in Ihm, dem gehorsamen Diener!

 

Was wir in Kapitel 13 finden, ist Matthäus 24 sehr ähnlich, doch die Unterschiede sind noch kennzeichnender. In Mat­thäus wollte der Herr mit der "Rede über die letzten Dinge" den Wechsel der Haushaltungen vorstellen: was sich ändern würde, erst nach Seinem Abschied, und später nach Seiner Wiederkunft, wenn der Herr alle Dinge richtigstellen wird. Dort stellen die Jünger auch ausdrücklich die Frage: "Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?" (24, 3). Hier stellen sie in Vers 4 nur die Frage: "Was ist das Zeichen, wann dieses alles vollendet werden soll?" Es geht hier nicht um den Wechsel der Haushaltun­gen, sondern (wie immer) um den Dienst der Jünger. Des­halb finden wir hier keinen deutlichen Unterschied zwischen dem Dienst, den sie sehr bald ausüben würden und dem Dienst, der am Ende dieser Haushaltung, kurz vor dem Kommendes Herrn, stattfinden würde. Wenn z. B. in Vers 10 steht, daß das Evangelium gepredigt werden würde, finden wir hier nicht, was in Matthäus 24, 14 steht, daß dann das Ende kommen würde; der Nachdruck liegt hierauf dem Pre­digen. Die Jünger würden nach dem Abschied des Herrn unter großem Widerstand den Dienst ausüben müssen. Ge­rade hier in Markus finden wir etwas, was wir woanders nicht finden, nämlich wie sie diesen Dienst ausüben können; nicht in erster Linie, welche Ereignisse sie zu erwarten haben (das sehen wir in Matthäus), sondern in welcher Kraft sie diesen Dienst ausüben können. Vers 11 sagt: "Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist." Das ist hier das Entscheidende. Es gibt zwar einen Hinweis auf die letzten Ereignisse, doch nicht in einem deutlich jüdischen Charakter wie in Matthäus. Hier in den Versen 14‑18 finden wir keinen Hinweis auf den Tempel oder den Sabbath, son­dern lediglich auf die letzte, die schrecklichste Zeit, in der der Dienst ausgeübt werden muß, welche Zeit mit dem Kom­men das Sohnes des Menschen abgeschlossen wird, wenn Er (wie in dem Gleichnis in Kapitel 4) zurückkehrt, um schließlich Selbst die Ernte einzubringen.

 

Aber obwohl der Herr hier über Seine Herrlichkeit bei Sei­nem Wiederkommen spricht, sehen wir Ihn hier noch immer als den demütigen Diener. Nur in Markus finden wir die Worte von Vers 32, wo Er sagt, daß sogar Er, der Sohn, weder von dem Tag noch von der Stunde weiß. Oh, als Gott, der Sohn, Gott Selbst, wußte Er natürlich diesen Tag und diese Stunde, doch Er war hier auf der Erde als ein unter­würfiger Diener, der nichts aus Sich Selbst zu wissen oder zu können oder zu entscheiden hatte. In Abhängigkeit und Gehorsam hatte Er alles in die Hände des Vaters übergeben und wußte nicht, wann die Zeit des Vaters kommen würde. 

 

Auch das Gleichnis, das der Herr hierauf folgen läßt, kennen Wir aus Matthäus und Lukas, doch jedesmal hat es einen eigenen Charakter. In den beiden anderen Evangelien be­kommen die Knechte den Auftrag, nach bestem Wissen und Können mit den Talenten oder Pfunden zu handeln. Hier geht es jedoch nicht darum, nach eigenem Verständnis mit den Gaben, die der Herr gegeben hat, zu wuchern, sondern es geht einfach um das aufgetragene Werk (V. 34): "Gleich­wie ein Mensch, der außer Landes reiste, sein Haus verließ und seinen Knechten die Gewalt gab und einem jeden sein Werk, und dem Türhüter einschärfte, daß er wache." Hier finden wir keine persönlichen Initiativen, sondern einfache Knechte, die nicht nach freier Wahl mit ihren Gaben handeln, sondern die jeder sein eigenes Werk bekommen und wie unnütze Knechte nichts anderes tun als das ausführen, was Ihr Herr ihnen aufgetragen hat.

 

Kapitel 14 ist schließlich die ergreifende Erfüllung Seines Dienstes, und das bedeutet in einen verdorbenen, feindlichen Weit nichts anderes als Leiden. Wir sehen wieder, wie der Herr zuvor glückliche Augenblicke in dem Hause in Bethanien erlebt, doch wie das nicht verhindern kann, daß Er den letzten schweren Leidensweg gehen muß. Auch während des Passahfestes und der Einsetzung des Abend­mahls in dem Obersaal ist alles von diesem Gedanken über­schattet, daß Er den Leiden entgegengeht. "Der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht" (V. 21). Wir sehen hier, wie er Judas als Verräter entlarvt, doch auch wie Er Sich mit Petrus beschäftigt. Diese Ge­schichte mit Petrus nimmt gerade hier einen besonderen Platz ein, da vornehmlich Petrus einer der künftigen Diener sein würde. Wo er hier so traurig versagte, mußte er auch in besonderer Weise von dem Herrn wiederhergestellt wer­den (wir werden das sogleich sehen), denn bei einem wirk­lichen Diener muß eindeutig gesehen werden können, daß er von dem Herrn angenommen und ausgesandt ist.

 

Der Herr geht nach Gethsemane, und wie treffend zusehen, wie Er gerade hier in Markus, wo Er der abhängige Diener ist, in einer besonderen Beziehung der Liebe zum Vater steht. Nur hier finden wir die Worte: "Abba, Vater" (V. 36). Doch Er wird überliefert, und Judas und die Diener führen Ihn vor den Hohenpriester und danach vor Pilatus. In ande­ren Evangelien, besonders in Johannes, sehen wir, wie der Herr lange Gespräche führt, vor allem mit Pilatus, vor dem Er "das gute Bekenntnis bezeugt" und der Wahrheit Zeug­nis gibt. In Markus dagegen sehen wir den Diener, und zwar einen, dessen Dienst vollendet ist. Deshalb hören wir Ihn hier kaum sprechen; einmal zu dem Hohenpriester, um zu bestätigen, daß Er der Christus ist, der Sohn des Gesegne­ten (14, 61. 62), und einmal zu Pilatus, um zu bestätigen, daß Er der König der Juden ist (15, 2). Danach antwortet er Pilatus nichts mehr, so daß dieser sich verwundert (V. 5). Er ist der Diener, Er zeugt nicht von Sich Selbst, Er bestätigt lediglich, wer Er ist. Danach schweigt Er, denn es gibt nichts mehr zu sagen; Sein Dienst ist ja beendet, und Er nimmt freiwillig die Leiden auf Sich, die die Folge Seines treuen Dienstes inmitten einer bösen Welt sind. So demütig wird Er hier vorgestellt, daß Pilatus sogar den abgeschwächten Aus­druck gebraucht: weichen ihr König der Juden nennet" (V. 12).

 

Der Herr Jesus wird von den Soldaten geschlagen und ver­spottet und schließlich ans Kreuz gebracht, wo Er wiederum von den Umherstehenden geschmäht wird und sogar von den zwei Übeltätern, die rechts und links von Ihm hängen. Alles wird sehr einfach ‑und schlicht berichtet, wie es dem Charakter des Dieners entspricht. Wir finden hier nicht die Herrlichkeit, die in dem Zerreißen der Felsen, dem Erdbeben und der Auferstehung vieler Heiliger zum Ausdruck kommt, wie in Matthäus, als ein Zeugnis, daß Dieser der Messias war. Wir finden hier in aller Einfachheit das Sündopfer. Der treue Diener ist Derselbe wie Der, der auf dem Kreuz zur Sünde gemacht und von Gottverlassen wird, wie Er Selbst in Vers 34 ausruft. Die einzige Folge Seines Todes, die hier genannt wird, ist das Zerreißen des Vorhangs, die Beiseite Stellung des jüdischen Systems. Wie passend auch, daß hier bei dem toten Diener gerade die Frauen gefunden wer­den, die ihrerseits dem Herrn gedient hatten (V. 40. 41). So lesen wir von Joseph von Arimathia auch nicht, daß er ein reicher Mann war, was in Matthäus nötig war, um zu zeigen, wie die Prophezeiungen erfüllt wurden, sondern wir sehen ihn hier in seinem Dienst: er war ein ehrbarer Rats­herr.

 

Sogar die Beschreibung der Auferstehung ist hier einfach gehalten. Lediglich die Haupttatsachen werden erwähnt, wenn auch mit einigen kennzeichnenden Besonderheiten, wie in Vers 7: "Saget seinen Jüngern und Petrus." Das steht in Verbindung mit dem, was ich soeben sagte, daß Petrus als Diener für den Dienst wiederhergestellt werden mußte und es deshalb nötig war, daß er eine besondere Botschaft von der Gnade des Herrn bekam durch die Verkündigung, daß Er auferweckt ist. So sehen wir hier auch, wie der Herr der Maria Magdalene erscheint, von der ausdrücklich er­wähnt wird, daß Er sieben Dämonen von ihr ausgetrieben hatte. Sie, die selbst die Frucht des Dienstes des Herrn war, war im besonderen geeignet, auch die Frucht Seiner Leiden und Seines Sterbens in der Auferstehung den Jüngern vor­zustellen. Und so sehen wir schließlich, wie der Herr Selbst den Jüngern erscheint.

 

Ich habe absichtlich diese letzten Kapitel etwas schneller behandelt, weil ich gerne noch etwas zu den Versen 15‑20 in Kapitel 16 sagen möchte. Man hat oft behauptet, daß diese Verse eigentlich nicht in das Markusevangelium gehören, und in einigen späteren Handschriften fehlen sie auch. Das ist merkwürdig, denn es gibt beinahe keine Verse in Markus, die uns deutlicher zeigen, wie der Herr Jesus hier als Diener vorgestellt wird und auch wie Er Selbst Seine Diener aus­sendet. Das Evangelium endet nicht mit den negativen Wor­ten in Vers 14 ‑ dem Unglauben und der Herzenshärtigkeit der Jünger, sondern endet mit diesem mächtigen Schluß­wort, in dem der Herr sie in die ganze Welt aussendet, um das Evangelium der ganzen Schöpfung zu predigen. Hier finden wir nicht (wie in Matthäus) einen Messias ‑ verwor­fen und deshalb in Galiläa ‑ der sagt: "allen Nationen", also im Gegensatz zu Israel. Hier finden wir einen Dienst, dessen Bereich die "ganze Weit", die "ganze Schöpfung" ist; jeder, der glaubt und getauft wird, wird errettet werden. Und nicht nur das: nachdem der Herr von ihnen weggegan­gen ist, wird Er in besonderer Weise bei ihnen sein, ihren Dienst bekräftigen, indem Er diese Zeichen auf ihren Dienst folgen läßt, d. h. sie sollen denen folgen, die durch ihren Dienst zum Glauben kommen, als eine besondere Anerken­nung von seiten des Herrn im Himmel. Beachte: der Herr sagt nicht, wie lange diese Zeichen folgen würden; Vers 20 erwähnt lediglich, daß die Worte des Herrn in dem Dienst der Zwölfe erfüllt würden.

 

Übrigens, welche herrlichen Worte in den Versen 19 und 20, wieder so charakteristisch für Markus. Nirgends in den Evan­gelien lesen wir wie hier, daß der Herr Jesus Sich nach Sei­ner Himmelfahrt zur Rechten Gottes gesetzt hat. Matthäus und Johannes erwähnen die Himmelfahrt nicht einmal, nur Lukas tut das noch. Doch nur Markus berichtet, daß der Herr Sich zur Rechten Gottes gesetzt hat; gerade das Evangelium, das den Herrn in der allerniedrigsten Stellung beschreibt, beginnt damit, auf Seine Gottheit hinzuweisen (1, 1‑3), und endet mit der höchsten Herrlichkeit des Sohnes Gottes! Mar­kus berichtet uns das nicht, um uns die Herrlichkeit an sich vorzustellen, sondern um zu zeigen, daß der Herr Jesus dort für Seine Diener ist ‑ während Er abwesend ist und schein­bar schläft (vgl. Kap. 4), scheinbar gar keine Beziehung zu ihrem Dienst hat, ist Er gerade dort, um Seinen Dienern Kraft für den Dienst zu geben. So steht hier: "Jene aber gingen aus und predigten allenthalben, indem der Herr mitwirkte und das Wort bestätigte durch die darauf folgenden Zei­chen." Wie könnten wir jemals annehmen, daß dieser Ab­schnitt nicht in die Schrift gehörte? Der Herr Selbst ist im Himmel, Er, der hier auf der Erde der vollkommene Diener war, um nun im Himmel beständig Seinen Dienern auf der Erde zu helfen und durch Zeichen ihr Wort zu bestätigen. Wir dürfen die volle Sicherheit haben, daß auch wir, die wir als Diener ausgesandt sind, nicht allein gelassen sind, sondern daß der Herr mit uns ist. Er ist "in dem Schiff", und auch, wenn es so scheint, als würde Er schlafen ‑ wenn der Sohn Gottes an Bord ist, brauchen wir uns nicht zu fürchten, son­dern dürfen inmitten der Stürme in aller Ruhe den Dienst ausüben, bis Er Selbst wiederkommen und die Ernte ein­sammeln wird.

 

3. Lukas

 

Wir kommen heute Abend zu dem dritten Evangelium, dem nach Lukas. Wir haben in unserem Lied und in unse­rem Gebet bereits ausgesprochen, daß der Herr Jesus uns hier als der Sohn des Menschen vorgestellt wird. So drücken wir es meistens aus, doch wir könnten es vielleicht noch deutlicher sagen: als Mensch. Er ist Mensch in der wirklichen Bedeutung des Wortes. Na­türlich sehen wir in allen Evangelien, daß Er Mensch gewor­den ist und Mensch war. Doch nirgends wird Er so als echter, wahrhaftiger Mensch vorgestellt wie in diesem Evangelium. Deshalb ist dieses Evangelium auch so echt menschlich, in dem Sinn, daß wir den Pfad des Menschen Gottes (was wir als Christen ja auch sein dürfen) nirgends so deutlich wie gerade hier gezeichnet sehen: ein Mensch in vollkommener Hingabe an Gott, in Abhängigkeit von Seinem Gott und Va­ter. Dabei beschreibt jedes Evangelium nicht nur eine be­stimmte Herrlichkeit des Herrn Jesus, sondern auch einen bestimmten Wesenszug Seines Dienstes. So haben wir ge­sehen, daß Matthäus uns nicht nur den Herrn Jesus als Messias, den König der Juden, zeigt, sondern andererseits auch, wie Israel Ihn als solchen verworfen hat und wie der Herr als Antwort darauf Israel dann beiseite setzt und an seiner Stelle ein neues Zeugnis errichtet: das Königreich der Himmel; übrigens der Verantwortlichkeit des Menschen Übertragen, so daß auch dort das Böse eindringt. In Markus sehen wir den Herrn nicht nur als vollkommenen Diener, sondern auch, daß Er andere beruft, nach Ihm Diener zu sein; und wie der Herr Jesus als Diener verworfen ist, so stellt Er auch Seinen Nachfolgern auf der Erde einen Weg der Leiden vor, wo es gilt, sein Kreuz aufzunehmen und sich selbst zu verleugnen.

 

So ist es nun auch bei Lukas. Er stellt uns den Herrn vor als Sohn des Menschen, als wahrhaftigen Menschen. Er zeigt uns aber auch einen besonderen Charakterzug Seines Dien­stes: Der Herr ist von Gott gesandt, um die Gnade Gottes der gesamten Menschheit zu offenbaren, ohne Unterschied zwischen Israel und den Völkern. Gerade deshalb wird Er hier auch als wahrhaftiger Mensch vorgestellt. Matthäus zeigt uns, wie Er Jude war, der Messias, und Markus stellt Ihn als Propheten vor, und deshalb sehen wir Ihn dort vor allem in Seinen Beziehungen zu Israel. Doch Lukas zeigt Ihn nicht als den wahren Juden, sondern als den wahren Men­schen, und als solcher steht Er mit der gesamten Menschheit in Verbindung. Das kann auch nicht anders sein, denn das ist ja der Charakter der Gnade: "Die Gnade Gottes ist erschie­nen, heilbringend für alle Menschen" (Tit 2, 11). Das Gesetz war auf ein Volk beschränkt, doch wo die Gnade Gottes wirk­sam wird, kann es nicht anders sein, als daß sie sich zu allen Menschen ausstreckt. Das Gesetz setzt ein abgesondertes Volk voraus, ein Volk mit bestimmten Vorrechten und An­sprüchen. Die Gnade dagegen setzt keinerlei Anrechte des Menschen voraus, sondern geht davon aus, daß der Mensch sich im Elend befindet, alles verdorben hat und als solcher von Gottes Barmherzigkeit abhängig ist. Und die Gnade, die hier in diesem Evangelium zutiefst erwiesen wird, ist die Gnade eines Gottes, der Sich nicht nur zu dem Menschen herabneigt, sondern zu dem Sünder. Daher könnten wir die­213 sein Evangelium nicht nur die genannte Stelle aus Titus 2, sondern auch die Stelle aus 1. Timotheus 2 voransetzen: "Denn Gott ist e i n e r, und e i n e r Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus." Auch hier steht ausdrücklich „der Mensch", denn es war ein Mensch, der Sich zu Menschen herabneigte, um sie mit Gott zu ver­söhnen.

 

Das ist das Wunderschöne in diesem Evangelium. Was das betrifft, gibt es kein Buch der Bibel, das das Herz, und ge­rade das Herz eines Sünders oder eines Jungbekehrten so anspricht wie Lukas, wo wir den Herrn Jesus sehen in einem wahren "Evangeliums"‑Charakter, könnte ich beinahe sa­gen. Genauso tut Paulus es im Römerbrief, wo er zuerst deutlich macht, daß Israel aufgrund seiner Auserwählung keine Rechte geltend machen kann, sondern durch seinen sündigen Zustand ebenso sehr wie die Heiden von der Gnade abhängig ist; und deshalb führt er den Menschen Jesus Christus als Denjenigen ein, der gekommen ist, um diese Gnade zu entfalten. Das ist es, was auch Lukas tut. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß er (soweit bekannt) der ein­zige Heide ist, der ein Buch der Bibel geschrieben hat; als Heide hatte er am eigenen Leib die Gnade Gottes erfahren als jemand, der dem Bürgerrecht Israels und den Verheißun­gen Gottes entfremdet war. Er gibt diese Gnade an andere Menschen weiter, hier an diesen vortrefflichsten Theophilus, wie der Anfang von Kapitel 1 sagt. Es ist Lukas, der Arzt, der uns Gottes Heil beschreibt, das zu bringen der Herr Jesus gekommen ist.

 

Doch wie bereits angedeutet: so wie Paulus im Römerbrief zwar zeigt, daß die Gnade für alle Menschen ist, daß aber doch gilt: zuerst dem Juden und dann dem Griechen, so ist es auch hier bei Lukas. Es ist ja nicht von vornherein klar, daß Israel alles verdorben hat und ebenso von der Gnade abhängig ist; deshalb sehen wir, daß Lukas 1‑3 sich gerade nicht mit den Heiden beschäftigt, sondern mit Israel, genauer gesagt, mit dem Oberrest Israels, den wir am Ende des Alten Testamentes finden (Mal 3 und 4), wo bereits damals festge­stellt wurde, daß Israel als Ganzes aufs neue abgewichen ist, auch nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft. Inmitten dieses Volkes finden wir in Maleachi 3 einige wenige, die sich miteinander unterreden: Jehova merkt auf und hört; und ein Gedenkbuch wird vor Ihm geschrieben. Das ist Lukas 1 und 2; dort finden wir die wenigen Treuen inmitten eines ver­dorbenen Israel wieder, und zwar erstens einen Zacharias und eine Elisabeth. Zacharias bedeutet: Jehova gedenkt, und Elisabeth: Mein Gott ist Eidschwur, d. h. mein Gott ist Seinem Bund treu. Gerade ihr Kummer zeigt den traurigen Zustand des ganzen Volkes Israel. Gott hatte Seinem Volk Kindersegen verheißen, und hier sehen wir Menschen, die in Israel treu sind und doch den Kindersegen nicht empfan­gen. Eine ähnliche Situation sehen wir bei Maria und Jo­seph, dem zweiten Paar von Treuen, das wir hier finden. Sie waren von dem Geschlecht Davids, und Joseph hatte als solcher ein Anrecht auf den königlichen Thron. Doch anstelle von Herrlichkeit sehen wir Armut und Bedeutungslosigkeit; sie wohnen in dem verachteten Nazareth. Das ist der Zu­stand, in dem wir den Oberrest hier sehen: armselig wenige unter einem abgewichenen Volk, die doch treu den Messias erwarten.

 

Wie kommt Gott nun zu ihnen? Will Gott Seinem Volk jetzt die Verheißungen erfüllen? Nein, Er erweist den Treuen Gnade. Gott schenkt Zacharias und Elisabeth ihren Sohn Johannes, was bedeutet: Jehova ist gnädig. Und als der Engel zu Maria kommt, sagt er: "Sei gegrüßt, Begnadigte." Dies ist das Evangelium der Gnade! Wenn Gott unter Seinem Volk zu wirken beginnt, geschieht das nicht aufgrund von Ansprüchen und Vorrechten, im Gegenteil: Sogar bei den Treuen bleibt der Segen Gottes aus, den Er einem treuen Volk verheißen hatte. Weder Kindersegen für Zacharias noch königliche Herrlichkeit für Joseph, nein: Gegenstände der Gnade werden sie. So lesen wir in Vers 30: "Denn du hast Gnade bei Gott gefunden." Gerade diesen einzelnen schenkt Gott Seinen Messias, der hier in solch einer menschlichen Weise vorgestellt wird. Er ist Derjenige, der von dieser ein­fachen Jungfrau, von Maria, geboren wird. Doch zugleich ist Er göttlicher Herkunft (Kap. 1, 35). Er war nicht einfach ein Mensch: Er war der Sohn des Menschen, doch als Mensch zugleich der Sohn Gottes. Geboren von einem Men­schen, gewiß, doch gezeugt von Gott, dem Höchsten, durch die Kraft des Heiligen Geistes. Deshalb sollte Er Sohn Got­tes genannt werden, hier nicht (wie in Johannes) gesehen als der ewige Sohn im Schoß des Vaters, sondern Sohn Gottes (nach Psalm 2), weil Er als Mensch von Gott aus der Jungfrau Maria gezeugt wurde.

 

Wir sehen in den Lobgesängen von Maria und Zacharias vor allem die Erwartungen Israels; doch nicht von Menschen ausgesprochen, die sich aufgrund guter Werke auf be­stimmte Rechte berufen, sondern in dankbarer Anerkennung der erwiesenen Barmherzigkeit ausgedrückt, also völlig in Übereinstimmung mit dem Charakter dieses Evangeliums. So spricht Maria in den Versen 50 und 54, und vor allem Za­charias in Vers 72: " ... um Barmherzigkeit zu vollbringen an unseren Vätern und seines heiligen Bundes zu gedenken, des Eides, den er Abraham, unserem Vater, geschworen hat." Er nennt dort eigentlich die Namen seines Sohnes, sei­ner selbst und seiner Frau (siehe das kursiv Gedruckte)! In Vers 77 fährt Zacharias fort: " . . . um seinem Volke Erkennt­nis des Heils zu geben in Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, in welcher uns besucht hat der Aufgang aus der Höhe." Hier sehen wir nicht einen Gott, der Seinen "Verpflichtungen" nachkommt, son­dern der Barmherzigkeit erweist, der in Übereinstimmung mit den wahren Bedürfnissen eines schuldigen Volkes Gnade bringt. Kapitel 2 beschreibt uns den traurigen Zu­stand: das Land ist von einem fremden Herrscher besetzt. Gerade diese Züchtigung Gottes zeigt so deutlich, daß das Volk keinen einzigen Anspruch geltend machen kann. Der Thronfolger Davids ist dem Willen des Augustus unterwor­fen. Und noch stärker: Wie wird der Herr Jesus empfangen? Für Ihn ist kein Platz in der Herberge, sondern lediglich dort, wo die Tiere gefüttert werden. Hier lesen wir auch nicht, daß die Weisen aus dem Osten kommen, um Ihm königliche Ehre darzubringen, wie in Matthäus, denn dort sehen wir den König der Juden, der geboren worden ist. Hier sehen wir statt dessen wieder die Treuen im Lande, nicht die Reichen oder Angesehenen, sondern die Armen aus Bethlehem, die auf dem Feld ihre Herde hüten.

 

Wie schön stimmt auch das, was die Engel jubelnd ausspre­chen, mit dem Charakter dieses Evangeliums überein. Es geht nicht um einen Gott, der lediglich die Verheißungen an Is­rael erfüllt, sondern Der der ganzen Welt Gnade erweist und als solcher Ehre empfängt: "Herrlichkeit Gott in der Höhe", weil Er in dem Messias Frieden auf Erden bringt, und nicht nur in Israel. Gott hat die Erde vor Augen, die ganze Mensch­heit. Deshalb gibt Er den Menschen Jesus Christus, denn Gott hat an den Menschen ein Wohlgefallen, nicht nur an Seinem Volk. Gott hat Erbarmen mit der ganzen Menschheit und erweist das, indem Er den Menschen Jesus Christus als Mittler zwischen Gott und Menschen sendet. In dem Lob­gesang Simeons finden wir ebenfalls einen Hinweis darauf. Auch Simeon und Anna waren solche Treuen in Israel, die die Erlösung in Jerusalem erwarteten (2, 38). Simeon sagt in Vers 30: "Denn meine Augen haben dein Heil gesehen, wel­ches du bereitet hast vor dem Angesicht alter Völker: ein Licht zur Offenbarung der Nationen und zur Herrlichkeit dei­nes Volkes Israel." Das letzte kommt hinzu, doch zuerst nennt er die Nationen. Gott geht es um die Menschheit, um die gesamte Schöpfung. Das Gesetz beschränkte sich auf ein Volk, aber die Gnade ist für alle Menschen.

 

Um das Menschliche des Herrn weiter zu betonen, wird uns (nur in diesem Evangelium!) ein Blick in Seine Jugend ver­gönnt. Wir sehen (V. 40), daß sogar von Ihm gesagt wird, daß Er der Gegenstand der Gnade Gottes ist* "Und Gottes Gnade war auf ihm." Nur hier sehen wir Ihn als zwölfjährigen Jungen im Tempel. Warum zeigt der Evangelist uns das? Um zu zeigen, daß sich die Berufung des Herrn Jesus nicht auf die Tatsache gründete, daß Er mit dreißig Jahren gesalbt wurde, sondern daß Er bereits als Junge der vollkommen gehorsame Mensch Gottes war, der auch zu der Zeit bereits Gott Seinen Vater nennen konnte (vgl. 1, 35). Ist das nicht wunderschön? Ein Junge von zwölf Jahren, der diese Worte ausspricht: "Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?" (V. 49). Von Kindesbeinen an war er für diesen Weg zubereitet, als der vollkommene Mensch Seinem Vater zu gehorchen und zu dienen. Wir dürfen Gott unseren Vater nennen, wenn wir mit dem Heiligen Geist versiegelt

 

sind, denn dieser ist es, der uns Freimütigkeit dazu gibt. Hier jedoch sehen wir einen Menschen, noch nicht mit dem Heiligen Geist gesalbt ‑ das sollte erst 18 Jahre später statt­finden ‑ der aber doch zu Recht sagen konnte: "Mein Va­ter", weil Er von Gott, dem Vater, aus der Jungfrau Maria gezeugt war. Das ist der Mensch Jesus Christus. Das Speis­opfer war hier noch nicht mit Öl gesalbt, aber es war von Anfang an mit Öl gemengt.

 

Danach folgt der einleitende Dienst des Johannes, um den Überrest, wozu auch Simeon und Anna, die Hirten, Joseph und Maria, Zacharias und Elisabeth gehörten, durch die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden von der ungläu­bigen Masse des jüdischen Volkes abzusondern. In Lukas bedeutet die Tatsache, daß der Herr Jesus Sich durch die Taufe mit diesem Überrest vereint, vor allem, daß Er damit Seine Beziehungen mit Israel im Allgemeinen beendet. Dar­aus erkennen wir den einleitenden Charakter dieser Kapitel. Wir sehen dort ein Israel ohne rechtmäßige Ansprüche, denn es gibt nur wenige Treue, und selbst die sind nicht im Besitz des Segens; sie sind abhängig von der Gnade. Doch wir sehen, wie der Herr allein sie anerkennt inmitten des Volkes und Sich ihnen dadurch anschließt, daß Er Sich ebenfalls taufen läßt. Er tut das hier vor allem als der abhängige Mensch; nur hier lesen wir (3, 21), daß Er betet, während Er getauft wird.

 

Auf dieses Ereignis folgt in Kapitel 3 unmittelbar Seine Ab­stammung. Das ist bedeutsam. Seine Abstammung steht hier nicht voran wie in Matthäus; dort war es wichtig, mit dem Geschlechtsregister zu beginnen, denn Matthäus mußte von Anfang an klarmachen, daß der Herr Jesus der wahre Jude, ja, der Sohn Davids war und welche Ansprüche Er folglich darauf hatte, der Messias zu sein. In Lukas dagegen sehen wir Ihn als Denjenigen, der zuerst in die Mitte Seines Volkes kommt, um den Thron Seines Vaters David zu empfangen (1, 32); da aber nun das Volk beiseite gesetzt ist und der Herr nur den Überrest anerkennt, zeigt der Evan­gelist zuerst, daß der Herr Jesus vollkommener Mensch ist und als solcher eine Beziehung zur gesamten Menschheit hat. Wir könnten die Frage stellen: Ist es nicht selbstver­ständlich, daß Er Mensch ist? Muß dazu ein Geschlechtsre­gister angegeben werden? Das Geheimnis scheint mir in dem letzten Vers zu liegen. Man könnte ja fragen: Wie kann der Herr Jesus wirklich Mensch sein, wenn Er von Gott aus der Jungfrau Maria gezeugt ist? Ein wirklicher Mensch ist doch jemand, der von einem menschlichen Vater gezeugt ist? Deshalb zeigt Lukas uns die Abstammung Christi von Adam, von dem hier ausdrücklich steht: "Adam, [Sohn] des Gottes." Nun, war Adam ein Mensch? Ohne Zweifel. Doch war Adam von einem menschlichen Vater gezeugt worden? Nein, Adam war von Gott erweckt, und deshalb ist der letzte Adam ebensosehr Mensch wie der erste Adam, der ebenfalls von Gott erweckt wurde. Ja, der Herr Jesus war sogar in strengerem Sinne Mensch als Adam, denn er war von einer Frau geboren, und das war Adam nicht.

 

Wie treffend ist diese Verbindung mit Adam ‑ und sie wird noch treffender, wenn wir sehen, daß hierauf unmittelbar die Versuchung in der Wüste folgt. Auch der erste Adam wurde auf die Probe gestellt, jedoch nicht in der Wüste, sondern an dem auserlesensten Platz dieser Erde, dem Gar­ten Eden ‑ und dieser Adam war doch gefallen. Doch sieh, hier wird auch der letzte Adam, der Mensch Jesus Christus, von dem Satan versucht; nicht so sehr als eine göttliche Per­son, sondern als ein Mensch, geleitet durch den Geist Got­tes; und das nicht unter den idealsten Umständen, sondern in der Wüste, nach vierzig Tagen ohne Nahrung. Beachten wir wohl, daß hier die geistliche Erprobung am Ende erfolgt. In Matthäus werden dem Herrn als Höhepunkt die König­reiche vorgestellt, denn dort ist Er vor allem der König. Doch hier sehen wir den Menschen, der von Anfang an, sogar be­reits mit zwölf Jahren, in vollkommener Abhängigkeit von Seinem Vater in den Himmeln wandeln wollte. Deshalb folgt hier als letzte und schwerste Erprobung: "Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich von hier hinab." Wenn der Herr das getan hätte (was Er als göttliche Person hätte tun können!), hätte Er Seine Abhängigkeit als Mensch preisgegeben. Des­halb sehen wir, daß der Satan, nachdem der Herr darin nicht gefehlt hat, Ihn für eine Zeit verläßt, um dann später im Gar­219 ten Gethsemane zu Ihm zurückzukehren.

 

Danach beginnt der Dienst des Herrn Jesus, und er wird hier so völlig entsprechend dem Charakter dieses Evangeliums beschrieben. Nicht wie in Matthäus, wo zuerst die Wunder kommen, die beweisen mußten, daß Er der Messias war; hier besteht der Ruhm des Herrn nicht in den Wundern, die Er tut, sondern in den Worten, die Er spricht. Den Schlüssel finden wir in 4, 22, wo wir Ihn in Nazareth sehen und wir über "Worte der Gnade, die aus seinem Munde hervorgingen" hören. Ist das nicht wunderbar? Wenn der Herr in der Syna­goge von Nazareth spricht, könnten wir uns vorstellen, daß Er Sich den Ansprüchen und Rechten Israels anpaßt. Doch so stellt Er Sich nicht vor! Er zeigt Sich als Derjenige, auf dem der Geist des Herrn ruht, um Armen, allerlei elenden Menschen, die überhaupt keine Ansprüche haben, das Evan­gelium zu verkündigen. Und darüber verwundern sich die Menschen ‑ über die Worte der Gnade, die Er Israel be­zeugt. Die Ansprüche Israels werden offensichtlich nicht mehr anerkannt, ja, jeder, auch aus Israel, kann allein noch auf dem Boden der Gnade zu Gott kommen. Und wenn es Gnade ist, dann lesen wir auch unmittelbar, daß diese tat­sächlich nicht auf Israel beschränkt sein kann. Dann wird auf die Witwe in Zarpath und Naaman, den Syrer, hingewiesen, die früher ebenso Gegenstände der Gnade Gottes gewesen waren. Doch sehen wir zur gleichen Zeit (wie überall, wo das Evangelium gepredigt wird), daß das Herz des Menschen offenbar wird, als die Nazarener Ihn von dem Rand des Ber­ges hinabstürzen wollen. Danach erst, nachdem der Herr Jesus durch das Wort die Gnade vorgestellt hat, sehen wir, wie die Gnade in Taten wirksam wird durch die Wunder, die folgen, so daß in Kapernaum die Schwiegermutter des Si­mon geheilt wird. Darauf will ich nicht weiter eingehen.

 

in Kapitel 5 haben wir einen erneuten Hinweis auf den wah­ren Charakter dieses Evangeliums. Alles wird auf die Grund­lage der Gnade gestellt, von dem höchsten und besten bis zu dem niedrigsten und schlechtesten Israeliten. So ist es zuerst der Fall bei der Berufung der Jünger in Kapitel 5. Allein schon dieses eine Thema, die Berufung der Jünger, steht in jedem Evangelium so ausgezeichnet in Übereinstimmung mit seinem jeweiligen Charakter. Hier finden wir nur ein Beispiel, nämlich Simon Petrus; das soll uns zeigen, daß sogar die, die in solch besonderer Weise auserwählt wa­ren, um die Jünger des Herrn zu sein, allein auf der Grund­lage der Gnade Jünger sein konnten, und nicht aufgrund irgendeines guten Werkes oder irgendeines Rechtes. Wer ist dieser Mann, der hier berufen wird? Ein Mann, der sagen muß: "Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr" (V. 8). Sündige Menschen sind es, die der Herr beruft; das ist Seine Gnade, die sogar in der Berufung Seiner Jünger zum Ausdruck kommt. Beachten wir: Es sind nicht nur Menschen, die ab und zu sündige Taten tun, son­dern die sündig sind. Und wodurch wurden Herz und Gewis­sen des Petrus getroffen? Einfach durch einen überreichen Fischfang. Dieser Gnadenbeweis des Herrn legte den Her­zenszustand des Petrus bloß. Gnade erweicht das Herz und erhebt den Fischer zu einem Diener.

 

Dieser Charakter der Gnade Sündern gegenüber wird wei­ter in Beispielen verdeutlicht: in der Unreinheit des Aussät­zigen, in der Kraftlosigkeit des Lahmen (die in Vers 24 mit der Vergebung der Sünden verbunden wird), und sogar in einem Levi, von dem die Pharisäer geringschätzig sagen, daß der Herr mit Zöllnern und Sündern ißt. Sie alle werden durch die Gnade gerettet, denn der Herr spricht in Vers 32 das Schlüsselwort: "Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße." Sehen wir, daß es in die­ser ganzen wunderbaren Offenbarung, die der Herr bringt, keinen Platz mehr für das alte, für das eigentlich Jüdische geben kann? In keiner Weise knüpft der Herr an die Vor­rechte und Ansprüche Israels an; Er sagt ausdrücklich (V. 36): "Niemand setzt einen Flicken von einem neuen Kleide auf ein altes Kleid", usw. Was Er brachte, war nicht mit dem Alten zu verbinden, wie sehr der Mensch von Natur das Alte auch liebte, wie wir in Vers 39 lesen (was wir nur in Lukas finden): "Und niemand will, wenn er alten getrunken hat, alsbald neuen, denn er spricht: der alte ist besser." Das ist der Mensch von Natur. Wenn der Herr Jesus kommt, um Gnade zu offenbaren, weist der Mensch diese Gnade ab, weil er lieber das alte System hat, mit dem er vertraut ist und das den Bedürfnissen seines eigenen Fleisches entspricht. 221 Doch für den Herrn Jesus ist in diesem System kein Platz.

 

Der Herr kann mit dem alten Judentum keine Verbindung haben, und das sehen wir auch im weiteren Verlauf (Kap. 6). Er überschreitet die Grenzen des durch pharisäische Gebote eingeschnürten Sabbaths und breitet dort Seine Segnungen aus (V. 1‑11). In Vers 12, nachdem das Judentum eindeutig beiseite gesetzt ist und keinen Platz mehr in dem Dienst des Herrn Jesus hat, beginnt ein wichtiges Thema: Wenn der Herr Jesus deutlich gemacht hat, daß es für das Judentum als solches keine Hoffnung mehr gibt, bedeutet das, daß es nur noch Hoffnung für diejenigen gibt, die das Judentum verlassen haben. Das ist also ein gläubiger "Überrest", der vor allem aus Jüngern besteht, die dem Herrn auf Seinem Weg folgen werden. Es ist sehr wichtig, den wahren Charak­ter dieses Überrestes hier zu erkennen. In Matthäus geht es hauptsächlich um einen jüdischen Überrest, der ein Vorbild des Oberrestes ist, der in der Zukunft während der großen Drangsal da sein wird und den der Herr als die wahren Kin­der des Königreiches der Himmel betrachtet. In Lukas ist das nicht der Fall. Hier wird der Überrest gesehen als die Frucht reiner Gnade, also mehr in einem hauptsächlich christlichen Charakter, und nicht so sehr jüdisch.

 

Zuerst beruft der Herr Seine Jünger, und auch darin erweist Er Sich als der abhängige Mensch; Er verharrt die Nacht im Gebet, bevor Er sie beruft. Nach dieser Berufung finden wir in den Versen 20‑23 die sogenannten "Seligpreisungen". Sie erinnern uns tatsächlich an Matthäus 5, es besteht aber doch ein großer Unterschied. In Matthäus sind die Seligprei­sungen die allgemeinen Charakterzüge der Kinder des Kö­nigreiches, wie sie vor allem in der Zukunft gefunden wer­den. Hier hingegen ist das nicht so. Hier spricht der Herr un­mittelbar zu dem Überrest. Er sagt hier nämlich nicht: "Glückselig die Armen im Geiste", sondern "Glückselig ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes." Hier geht es nicht um das Vorbild, sondern um die Jünger selbst als den Anfangspunkt, den Kern, um den das christ­liche Zeugnis gebildet werden wird. Deshalb spricht die Be­lehrung des Lukas sicherlich ein einfältiges Herz viel direk­ter an, weil wir dabei so unmittelbar einbezogen sind, weil wir nun selbst durch Gnade ein Teil dieses Zeugnisses sein dürfen. Deshalb wird das hier auch verknüpft mit dem "Wehe" (V. 24‑26), denn das ist nun der Charakter des Evangeliums. Wenn der Herr auch heute zu denen, die die­ses Wort annehmen, sagt: Glückselig ihr ‑ dann steht das auch in Verbindung mit ‑. Wehe euch, die ihr das Evangelium abweist und in euren alten Werken und Systemen bleibt.

 

Und was ist nun der Weg für das christliche Zeugnis? Das ist die Nachfolge hinter dem Herrn Jesus her. Nicht wie in Mar­kus die Nachfolge als Diener ‑ in Markus geht es um den großen Diener, der uns als Dienern den Weg vorangeht. Hier aber geht es um den Menschen, der Menschen lehrt, wie sie in Abhängigkeit von Gott wandeln müssen, so wie Er als der vollkommene Mensch Seinem Gott und Vater gehorsam war. Deshalb geben uns die Verse 27‑38 eigentlich eine Be­schreibung des Weges des Herrn Jesus Selbst. Er liebte Seine Feinde, Er tat (V. 31), wie die Menschen wollten, daß man ihnen tun sollte, Er hatte nur das Gute vor Augen, Er erwies Barmherzigkeit, wie auch der Vater barmherzig ist, Er hat nicht gerichtet (V. 35‑38). Alles, was wir hier finden, war Sein eigener Weg auf der Erde, und deshalb konnte Er schließlich (V. 40) als Zusammenfassung den Kerntext die­ses Kapitels aussprechen: "Ein Jünger ist nicht über den Lehrer; jeder aber, der vollendet ist, wird sein wie sein Leh­rer." Sind wir denn vollendet? Ja, wir können in diesem Sinn vollendet sein, wenn wir, gerade wie der Herr Seinem Lehrer gegenüber, in vollkommener Abhängigkeit von un­serem Lehrer unseren Weg gehen. Er ist das Vorbild. Nir­gendwo lesen wir z. B. so häufig, daß Er betet, wie in diesem Evangelium. Bete zu Gott, wie der Mensch Jesus Christus es tat! Das ist der Lehrer, das ist das Vorbild, nicht die blinden jüdischen Führer von Vers 39. Wir können vollendet sein, wenn wir sind wie der Lehrer: in derselben Weise hingege­ben, indem wir uns selbst beurteilen, Ihm allein gehorchen und nachfolgen. Das ist der Weg für die Christen: dem Herrn nachfolgen, wie Er Selbst auf der Erde Gott gehorsam ge­wesen ist.

 

Diese Grundsätze werden bis zum Ende dieses Kapitels weiter ausgeführt. Doch wenn dies der Weg ist für die Chri­sten‑ die Nachfolge hinter dem Herrn Jesus her, dann wird aufs neue deutlich (und das sehen wir jedesmal in Lukas), daß das nicht auf Israel allein beschränkt sein kann. Deshalb finden wir in Kapitel 7, daß auch der Hauptmann in Kaper­naum, auch wenn er nicht von Israel ist, an derselben Gnade teilhat. Die Gnade überschreitet immer die Grenzen des Ge­setzes, und hier sehen wir, daß sie auch für die Helden gilt. Die Verse 11 ‑17 zeigen uns, daß die Gnade auch in diesem Sinn weit über das Gesetz hinausgeht, daß Tote auferweckt werden; wo hatte das Alte Testament jemals einen derarti­gen Segen verheißen? Wo sagt das Gesetz, daß, wenn das Volk gehorsam wäre, Gott ihre Toten auferwecken würde? Doch das ist nun reine Gnade Gottes, die sogar einen toten Jungen aus Nain seiner Mutter zurückgibt. Das ist Gnade, die nicht innerhalb der Grenzen des Judentums bleibt, son­dern darüber hinausgeht; nicht in Übereinstimmung mit den unmittelbaren Bedürfnissen des Volkes, sondern in Über­einstimmung mit dem Charakter eines barmherzigen und gnädigen Gottes. Das folgende ist noch merkwürdiger. Wie schön ist das in diesem Evangelium zu sehen! Die Gnade Gottes erreicht nicht nur einen toten Jüngling, sondern sogar Johannes den Täufer, und das ist vielleicht der deutlichste Beweis in diesem Evangelium, daß buchstäblich jeder Mensch auf die Grundlage der Gnade gestellt werden muß. Sogar der allergrößte Prophet ‑ der Herr sagt Selbst aus­drücklich in Vers 28, daß Johannes der größte unter den von Frauen Geborenen war ‑ zweifelt an der Sendung des Herrn Jesus und fragt Ihn: "Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?" Und dann muß selbst er auf die Grundlage des Glaubens gestellt werden, denn was sagt der Herr? Gibt Er ihm eine direkte, bestätigende Antwort? Nein, der Herr weist ihn hin auf die Wirksamkeit der Gnade, die Wunder tut, Kranke heilt und die Barmherzigkeit Gottes aus­streut.' denn an den Charakterzügen der Gnade ist der wahre Mensch Christus Jesus, der Mittler zwischen Gott und Men­schen, zu erkennen. Sogar Johannes muß durch diesen Dienst der Gnade unterwiesen werden. So weit reicht die Gnade Gottes. Wenn sogar der Allergrößte im Königreich Gottes von der Gnade abhängig ist, sollten wir es dann nicht sein? Ist dann nicht auch der größte Sünder ‑ denn den finden wir ebenfalls in diesem Kapitel ‑ von der Gnade abhängig?

 

Der Herr Jesus nimmt Seinen Diener in Schutz, verteidigt ihn und läßt sehen, wer Johannes war  der Größte von allen, der größte Prophet, der Ihm vorangegangen war. Mensch­liche Maßstäbe können dabei gar keine Rolle spielen. Die wahre Weisheit Gottes wird nicht nach menschlichen Nor­men gemessen, sondern, wie Vers 35 sagt: "Und die Weis heit ist gerechtfertigt worden von allen ihren Kindern." Die anschließende Begebenheit beweist das unmittelbar! Ist das nicht ein wunderschöner Gegensatz: zuerst sehen wir den größten Propheten auf den Boden der Gnade gestellt, und unmittelbar danach eine tief verlorene Sünderin auf demsel­ben Boden der Gnade? Sie war ein Kind der Weisheit, nicht Simon, der Pharisäer; dieser kannte den Herrn nicht und hatte keine Wertschätzung für Ihn; das machte sein Empfang deutlich; er zweifelte sogar daran, daß der Herr ein Prophet war. Nein, die Weisheit wird gerechtfertigt von ihren Kin­dern, das sehen wir bei dieser Sünderin. Warum war sie solch ein "Kind"? Weil sie besser war als Simon? Davon kann nicht die Rede sein! Sondern weil die Sünderin, die so­viel Verkehrtes getan hatte, durch die Gnade in dem Herrn Jesus getroffen worden war. Bei ihr war die wahre Weisheit, denn sie kannte das Herz des Herrn. Was glaubst du, wes­halb sie zu Ihm gekommen war? Weil die Gnade Gottes, die in Ihm ausgegossen war, einen tiefen Eindruck auf ihr Herz gemacht hatte; dadurch war sie berührt worden, und des­halb ging sie zu Ihm. Ihre Sünden waren ihr bereits lange vergeben, doch sie wußte es nicht, und sie kam nicht einmal so sehr, um das zu hören; sie kam einfach, weil sie, die sich so schuldig wußte, angezogen wurde durch die unwidersteh­liche Kraft der Gnade, und so beugt sie sich weinend zu Seinen Füßen nieder. Und dann die Stimme der Gnade zu hören, die sagt: Deine Sünden sind dir vergeben! Ja, dar­über mögen Menschen lachen und spotten, doch das ist es, was das Herz, das nach Gnade verlangt, nötig hat. "Dein Glaube hat dich errettet" ‑ weich eine wunderbare Güte Gottes!

 

Doch nun, nachdem deutlich geworden ist, daß der größte Prophet und der größte Sünder auf den Boden der Gnade gestellt werden müssen, sehen wir in Kapitel 8 aufs neue, daß die Gnade Gottes nicht auf Israel beschränkt sein kann. Oft kehrt diese Belehrung im Lukasevangelium wieder. Und so finden wir auch in Kapitel 8 das Predigen des Säemanns, der hier nicht genannt wird, um zu zeigen, daß das König­reich der Himmel nun in der ganzen Welt ausgebreitet wird. Es ist hier nicht (wie Vers 11 zeigt) das Wort vom Königreich (vgl. Mt 13, 19), sondern: "Der Same ist das Wort Gottes." Es ist das Wort Gottes, das ausgestreut wird und das auch bemerkenswerte Frucht trägt (V. 15), wie wir es nicht an an­derer Stelle lesen: " ... diese, welche in einem redlichen und guten Herzen das Wort, nachdem sie es gehört haben, bewahren und Frucht bringen mit Ausharren." Das sind die gnädigen Resultate des Wortes Gottes in einem christlichen Leben; solche Menschen sind es, die der Herr als die Seinen anerkennt, wie Vers 21 sagt: nicht Seine natürlichen Ver­wandten, sondern: "Meine Mutter und meine Brüder sind diese, welche das Wort Gottes hören und tun." Das sind die Treuen, die Er im weiteren Verlauf auch in dem Sturm be­schützt (8, 22‑25). Das sind solche Treuen, wie auch hier der Besessene, der gerettet wird und dann ausgesandt wird in den Dienst für den Herrn (8, 26‑39). Und so breitet sich die Wirksamkeit des Samens der Gnade Gottes aus, auch über das tote Töchterchen des Jairus und über die blutflüssige Frau in der Volksmenge.

 

Diese ersten acht Kapitel bilden ein Ganzes, und zwar die Einleitung, die deutlich macht (wie ich schon erwähnte), daß Gott hier nicht entsprechend den Rechten Israels handelt, sondern daß die Treuen in Israel, die sich bekehren und ihre Sünden bekennen, auf den Boden der Gnade gestellt wer­den. Und (weil es Gnade ist!) wird auch jeder aus den Na­tionen, der in derselben Weise den Samen des Wortes Got­tes in seinem Herzen aufgehen läßt, in derselben Weise auf den Boden der Gnade gestellt. Danach beginnt dann in Ka­pitel 9 ein neues Thema, und zwar wird nun entfaltet, wel­ches Fundament Gott hat, auf dem Er Gnade erweisen kann. Das Fundament ist der Mensch Jesus Christus, der der Mitt­ler ist zwischen Gott und Menschen, weil Er Sein Leben als Lösegeld für viele hingibt. Es ist wunderschön, daß uns das schon im ersten Drittel dieses Evangeliums vorgestellt wird.

 

Lukas 9 zeigt uns den Herrn als Den, der von Israel verwor­fen werden wird. Wir finden zuerst ein allgemeines Zeugnis der Welt gegenüber; nicht Israel gegenüber ‑ die Zwölfe werden hier nicht nur zu Israel ausgesandt, wie in Matthäus, sondern ganz allgemein, ohne Unterschied. Danach sehen wir, wie der Segen Gottes bildlich in der Speisung der Fünf­tausend ausgegossen wird, doch darüber will ich nicht weiter sprechen. Ich möchte etwas näher auf das Bekenntnis des Petrus eingehen (9, 20). Hier ist es nicht der "Christus, der Sohn des lebendigen Gottes", hier geht es nicht darum, zu zeigen, daß Israel beiseite gesetzt ist und der Versammlung Platz macht, denn das ist das Thema von Matthäus. Hier geht es darum, zu zeigen, daß die wenigen Treuen, die den Herrn als den Gesalbten Gottes anerkennen, im Gegensatz zu de­nen, die Ihn nicht angenommen haben, nun auch wissen sol­len, auf welcher Grundlage sie mit diesem Herrn Verbindung haben können. Nicht nur aufgrund der Tatsache, daß Er der Messias ist, sondern aufgrund der Leiden des Sohnes des Menschen (V. 22). Und das bleibt der Gegenstand bis zum Ende, bis selbst den Emmausjüngern deutlich gemacht wer­den muß: "Mußte nicht der Christus dies leiden?" Denn Gott kann Seine Gnade Menschen gegenüber nicht erweisen ohne die Leiden des Herrn Jesus.

 

Das macht zugleich auch deutlich, worin hier der Charakter Seiner Leiden besteht. Er ist hier nicht das Schuld‑ oder Sündopfer wie in Matthäus und Markus, sondern das Frie­densopfer*), also das Opfer, das der Herr vollbracht hat, um es möglich zu machen, daß Gott im Himmel mit dem Men­schen auf der Erde gnädig in Verbindung, ja, in wunderbare Gemeinschaft treten kann. Dafür waren die Leiden und das Sterben des Herrn notwendig, um andere mit Sich zu vereini­gen, in Gemeinschaft mit Gott. Er, der den Jüngling von Nain und das Töchterchen des Jairus auferweckt hat, wird Selbst (sagt Vers 22) aus den Toten auferstehen. Darauf folgen un­mittelbar diejenigen, die die Früchte davon sein werden. Solche, die Ihm folgen wollen, müssen sich selbst verleugnen und täglich ihr Kreuz aufnehmen und Ihm folgen (V. 23), Ihm,

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*) Daneben wird In Lukas vor allem das wahre Speisopfer gesehen: die Prü­fung und Hingabe des vollkommenen Lebens des Herrn als Mensch auf der Erde.

 

dem abhängigen Menschen auf der Erde, dessen Leiden, aber auch dessen Herrlichkeit sie teilen werden. Die Herr­lichkeit wird uns hier sehr treffend in der Verherrlichung auf dem Berg entfaltet. Wie prächtig sind auch hier die Unter­schiede zu den anderen Evangelien. In Matthäus zeigt uns die Verherrlichung, daß der verworfene Messias schließlich doch über Israel, über die Völker, über die Schöpfung regie­ren wird. In Markus ist die Verherrlichung das Endziel des Dienstes. In Lukas hingegen geschieht sie, um den Treuen zu zeigen, welch ein Werk der Herr Jesus vollbringen würde und welche Resultate daraus hervorkommen würden. Der Kernpunkt ist hier das, worüber der Herr mit Mose und Elias spricht (und das finden wir nur in Lukas!), nämlich "seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte" (V. 31). In den Versen 28 und 29 sehen wir Ihn zuvor wieder als abhängigen Menschen, der auf den Berg stieg, um zu beten, und als sol­chem gibt Gott Ihm diese Herrlichkeit. Und woran denkt Er? An das Leiden und Sterben, das Er in Jerusalem auf Sich nehmen sollte. Hier wird das Leiden sogar an dem Ort der Herrlichkeit gesehen (nicht so in Matthäus). "Mußte nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?" (Lk 24, 26) Beachten wir: Was ist die Herrlichkeit hier? Nicht die Herrlichkeit des Friedensreiches; es geht hier nicht um das Königreich der Himmel, sondern es ist hier die Herrlich­keit der Wolke! Sicher, die Wolke wird auch in Matthäus und Markus genannt, doch nur hier wird gesagt (V. 34), daß der Herr Jesus und Moses und Elias in die Wolke eintraten. Moses und Elias sind Vorbilder der Versammlung; und welchen Platz hat Gott der Versammlung verheißen? Nicht einen Platz im Königreich auf der Erde, zusammen mit den drei Jüngern (ein Vorbild des jüdischen Oberrestes), son­dern einen Platz in der Wolke, der Schechina, dem Wohnort der Herrlichkeit Gottes! Dort hat Gott uns einen Platz berei­tet, ja, der Herr Jesus hat uns einen Platz im Vaterhaus bereitet ‑ das ist das christliche Teil. Nicht der Platz in der Herrlichkeit des Friedensreiches (obwohl wir diesen auch empfangen werden) wird unser höchstes Teil sein. Der herrlichste Segen ist der, den wir hier finden: mit dem Herrn Jesus eintreten in die Wohnungen des Lebens, in den Wohn­ort Gottes Selbst, Seiner Herrlichkeit.

 

Wie vollkommen ist das Wort Gottes! Bis in die kleinsten Einzelheiten ist es in Übereinstimmung mit dem, was der Heilige Geist in jedem Evangelium vorstellen will. So sehen wir es auch anschließend, als der Herr Jesus von dem Berg herabkommt; hier betont Er lediglich, daß Er in die Hände der Menschen überliefert werden wird. Solange das nicht geschehen ist, ist es auch notwendig, daß der Heilige Geist uns zeigt, wie die Jünger in dieser Hinsicht noch völlig un­kundig und unverständig sind, denn unmittelbar darauf fin­den wir ihre eigene Selbstsucht: die selbstsüchtige Frage, wer von ihnen der Größte wäre (V. 46), die Selbstsucht, von anderen zu verlangen, daß sie nur mit ihnen Gemeinschaft hätten (V. 49), die Selbstsucht von Johannes und Jakobus, die für ihre eigenen Belange Feuer vom Himmel herabfallen lassen wollen (V. 54), und das in der Gegenwart des Herrn, des abhängigen Menschen, der niemals etwas zu eigenen Gunsten getan hat, um Selbst dadurch Vorteile zu haben. Niemals suchte Er Seine eigenen Rechte, im Gegenteil, wie Vers 51 sagt: "Als sich die Tage seiner Aufnahme erfüllten", ging Er in Gehorsam Seinen Weg nach Jerusalem. Ist das nicht schön, Ihn hier bereits in Lukas 9 auf dem Weg zum Kreuz zu sehen? Er ist sozusagen wie jemand, der sein Kreuz bereits auf seinem Rücken trägt; so jemand sucht nicht seine eigenen Rechte und läßt kein Feuer vom Himmel herabfallen, sondern ist auf dem Weg zu dem Platz, wo das "Feuer" ihn treffen wird! So sehen wir hier den Herrn Jesus in scharfem Kontrast zu den Jüngern, bei denen sich nur Selbstsucht zeigt; auch bei anderen zeigt sich Selbstsucht (V. 57‑62), nämlich in Verbindung mit den Konsequenzen der Berufung des Herrn. Wenn wir Ihm nachfolgen wollen, dürfen wir nicht an die Umstände denken, die wir hinter uns lassen, denn wenn wir zurückblicken, sind wir nicht geschickt zum Reich Gottes.

 

In Kapitel 10 sehen wir, wie der Herr Jesus dem Volk eine letzte Botschaft zukommen läßt, indem Er "die siebzig" aus­sendet; nun allerdings nicht mehr in Verbindung mit Israel, sondern nun entsprechend dem Charakter der Herrlichkeit, die auf dem Berg gezeigt wurde. Unmittelbar in Verbindung damit folgt dann auch die Verurteilung Israels, der Städte, die Ihn nicht angenommen hatten. Und das ist hier sehr kennzeichnend, denn wo hier so ausdrücklich, deutlicher als zuvor, das Gericht über Israel ausgesprochen wird, findet der Heilige Geist Gelegenheit, einen Gegenstand zu entfal­ten, dem wir in Markus und Matthäus nirgends begegnet sind. Das war auch nicht möglich, denn nur in Lukas, wo wir deutlich das christliche Zeugnis und nicht so sehr den Ober­rest Israels finden, nur dort kann über ein himmlisches Teil für ein himmlisches Volk gesprochen werden. Es ist gerade­so, als befänden wir uns hier in den Briefen des Apostels Paulus! Als die Jünger zu Ihm kommen und sagen (V. 17): "Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Na­men", antwortet der Herr (V. 20): "Doch freuet euch nicht, daß euch die Geister untertan sind; freuet euch aber, daß eure Namen In den Himmeln angeschrieben sind." Ist das jemals als ein besonderer Segen einem gläubigen Israeliten verheißen worden? Nein, dieses himmlische Teil ist denen verheißen, die dem Herrn Jesus auf der Erde nachfolgen, und das wird unmittelbar verbunden mit der Entfaltung die­ses himmlischen Segens, nämlich mit der Offenbarung des Vaters und des Sohnes! Diese Offenbarung ist eins mit der Kenntnis des himmlischen Teils. Ja, damit wird ein Vers verbunden, den wir nur hier finden (V. 23): "Glückselig die Augen, weiche sehen, was ihr sehet! Denn ich sage euch, daß viele Propheten und Könige begehrt haben zu sehen, was ihr sehet, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr höret, und haben es nicht gehört." Ist es nicht so, als befänden wir uns in 1. Korinther 2 ? Wunderbare Dinge, nach denen Propheten höchstens geforscht, die sie aber niemals gekannt haben. Das sind die Dinge, die uns als Christen, die wir ein himmlisches Teil haben, die wir den Vater und den Sohn kennen, geschenkt sind!

 

Das ist Gnade, unergründliche, unbegreifliche Gnade. Das scheint mir der Grund zu sein, daß darauf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter folgt. Denn wenn wir einmal das himmlische Teil erkannt haben, sind wir in der Lage, einen wirklichen Eindruck davon zu bekommen, wie weit die Gnade Gottes geht. Ist es keine Gnade, daß Gott denen einen wunderbaren Weg weist, die innerhalb des Systems des Gesetzes weder Leben noch Frieden gefunden haben? Der Gesetzgelehrte (nicht irgend jemand!) fragt, wer sein Nächster sei (10, 29). Wußte nicht einmal solch ein Gesetzes­kenner, wer sein Nächster war? Beachten wir, daß die Hälfte des Gesetzes sich auf dieses Problem bezog: Wer ist mein Nächster? So macht ein Schriftgelehrter sehr eindringlich die Hilflosigkeit des Menschen unter dem Gesetz deutlich.

 

Doch dann kommt das Bemerkenswerte: der Herr erläutert ihm nicht den wahren Sinn des Gesetzes, sondern zeigt eine Gnade, die über jedes Verständnis, das es von dem Gesetz geben konnte, hinausgeht. Die Anwendung des Gesetzes würde gewesen sein, daß der Jude seinen Nächsten lieben mußte, selbst wenn es ein armer Samariter gewesen wäre. Doch der Herr kehrt das um! Er weist nicht auf den Juden in seiner Gesetzesverantwortung hin, sondern auf den Juden als Gegenstand der Gnade! Der Jude ist abhängig von der Gnade des "barmherzigen Samariters", der der Herr Jesus Selbst ist (vgl. Joh 8, 48): nicht geachtet, nicht geehrt, ver­worfen, gehaßt ‑ von so jemandem ist der mittellose Jude abhängig. Es ist der verachtete "Samariter", der sich nieder­beugt über den Juden, der zur Stadt des Fluches hinabge­stiegen und in solche elenden Umstände geraten war. Wo das System des Gesetzes (der Priester und der Levit) ver­sagte, da hängt alles von der Barmherzigkeit des verworfe­nen und geschmähten Herrn ab, der Sich zu dem Sünder niederbeugt. Das ist Gnade, eine Gnade, die innerhalb der Schranken des Gesetzes nicht denkbar ist, die aber sehr wohl denkbar ist für diejenigen, die etwas von dem himm­lischen Teil gesehen haben. Sie sind im weiteren Verlauf in der Lage, in ähnlicher Weise Gnade zu üben. (V. 37).

 

Nachdem wir nun gesehen haben, was unser Platz als Him­melsbürger ist, treten auch die Segnungen, die wir auf der Erde besitzen, in ein besonderes Licht. Sie sind von dreier­lei Art: Zuerst das Wort Gottes (10, 38‑42), nicht ein An­sammeln von Kenntnis durch das Studium der Bibel ‑ das können Gesetzesgelehrte auch! ‑ sondern das Wort, das zu den Füßen des Herrn Jesus gelernt wird, wie wir bei Maria sehen, die das gute Teil erwählt hatte. Dann das zweite, das zu unserer Verfügung steht (11, 1‑12): nicht nur das Wort, das wir zu den Füßen des Herrn lernen, sondern auch das Gebet, das wir zu dem Vater sprechen dürfen. Alles, was wir den Vater bitten, wird Er geben, wenn es gut für uns ist, weil Er voller Liebe für uns sorgt. Wir sind Himmelsbürger, unsere Namen sind im Himmel angeschrieben; doch solange wir auf der Erde sind, dürfen wir auf einen Vater rechnen, der dro­ben ist und auf Seine Kinder hört. Den dritten Segen haben wir in Vers 13: Der Vater, der im Himmel ist, wird den Heiligen Geist denen geben, die Ihn darum bitten. Sehen wir, daß wir uns auf christlichem Boden befinden? Wir dürfen diese Vorrechte kennen: das Wort, das wir lernen dürfen zu den Füßen des Herrn, die Gebete, die wir zu unserem Vater hinaufsenden dürfen, und den Besitz des Heiligen Geistes, den der Vater gegeben hat ‑ denn dieser Vers ist längst am Pfingsttag erfüllt worden ‑ denen, die Ihn darum gebe­ten haben (Apg 1, 14).

 

Unmittelbar darauf finden wir einen neuen Gegensatz. Lukas ist reich an auffallenden Kontrasten. Nachdem wir gesehen haben, was unser himmlisches Teil ist und welches die Segnungen sind, die wir nun bereits auf der Erde besitzen, werden wir plötzlich wieder in das Judentum mit all sei­nen Gebrechen und seiner Verdorbenheit zurückversetzt (11, 14 f). Wir sehen, wie die Volksmengen von dem Herrn sagen, daß Er die Dämonen durch den Obersten der Dämo­nen austreibt und wie der Herr sie warnt und ihnen das Zei­chen Jonas vorstellt (V. 30). Hier bedeutet das Zeichen nicht, daß Er drei Tage und Nächte im Bauch des Fisches sein würde; das war in Matthäus der Fall. Sondern hier steht, daß Jona selbst für die Niniviten ein Zeichen war; so war der Herr Selbst für Israel und für die ganze Welt ein Zeichen, von Gott gegeben, damit die Gnade Gottes nicht verachtet würde. Mehr als Jona ist hier, sagt der Herr, ja, mehr als Salomon. Darauf folgt eine scharfe Verurteilung der Phari­säer, ja, des gesamten jüdischen Systems.

 

Nun folgt ein neuer Gegensatz in Kapitel 12. Kapitel 11 ist eigentlich eine Einschaltung, worin der sittliche Zustand des Judentums völlig bloßgelegt wird, und ich denke, daß der Heilige Geist dies tut, um desto deutlicher den Charakter des christlichen Zeugnisses zu zeigen, das wir gerade in Ka­pitel 12 auf solch schöne Weise beschrieben finden. Zuerst ist es ein einfaches, unscheinbares Zeugnis, das leicht ge­waltsam unterdrückt werden kann. Der Herr sagt zu Seinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten (V. 4), und stellt Sich dann Selbst als ihr Tröster vor: a) Er würde sie beschützen, denn sie waren vorzüglicher als die Sperlinge, und selbst die werden doch von Gott beschützt 249 (V. 7); b) Er würde sie als der Sohn des Menschen anerkennen, sie vor den Engeln Gottes "bekennen" (V. 8); und c) Er würde ihren Dienst so wertschätzen, daß ‑ obwohl man dem Sohn des Menschen noch widersprechen konnte und das vergeben werden würde ‑ demjenigen, der das Wort der Jünger lästern würde, nicht vergeben werden würde, denn es war eine Lästerung des Heiligen Geistes, der in ihnen sprechen würde (V. 10‑12). Solch einen Wert mißt der Herr Jesus diesem christlichen Zeugnis bei!

 

Die irdischen Dinge haben darin keine Anziehungskraft mehr. In dem Gleichnis (V. 16 f.) wird die Seele, die sich auf irdische Dinge stützt, verworfen. Der Herr sagt: Sammelt euch keine irdischen Schätze. Bemerken wir die große Ver­änderung? Für Israel richtete sich jede Hoffnung auf irdische Dinge, denn darauf bezogen sich die Verheißungen, die Gott gegeben hatte; wenn es das Gesetz erfüllte, sollte es diese irdischen Segnungen empfangen ‑ und nun mußte es das alles preisgeben! Sie mußten die irdischen Dinge sogar ver­gessen und ihr Herz auf das richten, was wir auch in Ka­pitel 10 gesehen haben: das himmlische Gut. "Machet euch Säcke!, die nicht veralten, einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln, wo kein Dieb sich naht und keine Motte ver­derbt. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein" (V. 33. 34). Das bedeutet eine völlige Veränderung ihrer Hal­tung: sie mußten sich die irdischen Segnungen völlig aus dem Kopf schlagen; Gott war imstande, ihnen die hinzuzu­fügen, wenn sie nur zuerst das Himmlische suchten. Einen Schatz im Himmel zu haben, darum geht es. Unmittelbar da­mit in Verbindung steht die Erwartung des Kommens Christi, der uns in diesen Himmel einführen, uns in den völligen Ge­nuß dieser Segnungen bringen wird, wie wir das so wunder­schön in Vers 37 finden: "Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen und wird hinzutreten und sie bedie­nen." Da sehen wir den Herrn als Den, der uns im Himmel mit all den Segnungen bedienen wird, die es im Himmel gibt. Merken wir, wie das auf das vorausgreift, was später durch Paulus vollkommen geoffenbart wurde? Doch hier in Lukas, wo wir den Herrn als Menschen sehen, der Menschen mit der Gnade Gottes bekanntmacht, finden wir es auch schon bis zu einem gewissen Grad entfaltet, allerdings auch hier wie­der (nach einer weiteren Beschreibung des christlichen Zeugnisses, auch unter dem Gesichtspunkt der Verantwort­lichkeit) in Verbindung mit den Leiden, die der Herr dazu auf Sich nehmen mußte. Beachten wir diesen vortrefflichen Vers50:"lch habe aber eine Taufe, womit ich getauft werden muß, und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht ist!" Das war die Folge für Ihn. Bei allen Segnungen, die Er aufzählt, wer­den wir immer neu daran erinnert, daß wir sie nur aufgrund der Leiden empfangen können, die dafür Sein Teil waren. Es ist sehr bezeichnend zu sehen, wie oft und wie früh in Lukas daran erinnert wird.

 

Lukas 12, 54 ‑ 13, 35 bildet wieder einen Gegensatz zu dem Vorhergehenden. Es ist eine Darlegung des damaligen Zu­standes Israels, mit dem Gott abrechnen mußte. Dies wird in Kapitel 12, 59 bereits im Vorbild angedeutet; und in Ka­pitel 13, 3 sagt der Herr: "Sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen." In dem darauf folgen­den Gleichnis von dem Feigenbaum wird die Beiseiteset­zung Israels vorgebildet (wenn auch noch unter bestimmten Bedingungen). Wenn es schon Segen für einen Israeliten gibt wie bei dieser zusammengekrümmten Frau (Verse 10‑17), dann allein aufgrund der Gnade, wie es dort heißt, daß sie eine „Tochter Abrahams" ist (V. 16), aufgrund der gnädigen Verheißungen Abraham gegenüber, aber nicht aufgrund irgendeines Verdienstes, das Israel aufgrund des Gesetzes geltend machen könnte.*) In Vers 22 haben wir wieder solch ein Wort, worin wir den Herrn Jesus hier bereits auf dem Weg zum Kreuz sehen:" ... indem er ... nach Jeru­salem reiste." Der Gedanke an die Leiden, die Ihm bevor­standen, zieht sich wie ein roter Faden durch dieses ganze Evangelium. So sagt Er in Vers 33 sogar als eine Botschaft an Herodes: "Doch ich muß heute und morgen und am fol­genden Tage wandeln; denn es geht nicht an, daß ein Pro­phet außerhalb Jerusalems umkomme"! Er ist von Anfang an auf dem Weg zum Kreuz; Er Selbst kündigt es Herodes an ‑ der gerade hier in Lukas an Seiner Verurteilung mitwirkt ‑, daß Er als Prophet auf dem Weg nach Jerusalem war, um

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*) In diesem Kapitel über die Regierungswege Gottes mit Israel und der Erde sind die Verse 18 und 19 ein Hinweis auf die äußere Form, die das Königreich in unserer Zeit hat, und die Verse 2B‑30. 35 weisen auf das Königreich In seiner zukünftigen Form hin, wenn der Herr zurückgekehrt sein wird.

 

dort umzukommen. So klar läßt der Heilige Geist uns von Anfang an sehen, wie die Leiden und der Tod den Ausgang Seines Weges bildeten, "seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte" (9,31), damit wir nicht auf den Gedanken kommen, daß die Gnade Gottes billig ist und daß Er sie außerhalb des Opfers Christi erweisen kann.

 

Kapitel 13 ist wieder eine Einschaltung, denn Kapitel 14 zeigt uns erneut den Platz des christlichen Zeugnisses: einen Platz der Selbstverleugnung und nicht das Streben nach den ersten und höchsten Plätzen (V. 1‑14). Es ist der Platz des Armen, des Krüppels, des Lahmen und des Blinden, wie Vers 21 in dem Gleichnis zeigt. Es ist der Platz für den Jün­ger, der sein Kreuz aufnimmt und nötigenfalls seine Fami­lienbande verleugnet (V. 25‑35). Das ist der Platz völliger Selbstverleugnung, des Aufgebens aller eigenen Wertschät­zung, ja, wir können sagen, eines tiefen Bewußtseins reicher Gnade. Denn nur wenn wir wissen, daß wir Gegenstände dieser Gnade sind, können wir wirklich zu dem christlichen Zeugnis gehören. Das ist der Grund, daß hier die bekannten Gleichnisse von Kapitel 15 folgen; sie sollen uns ein noch tieferes Bewußtsein der Gnade geben. Die Gleichnisse in Lukas haben eine völlig andere Funktion als in Matthäus. Dort sind es Gleichnisse des Königreiches, die uns immer wieder die Veränderung der Haushaltung vorstellen: Israel, ersetzt durch das Königreich in seiner heutigen Form, näm­lich die Christenheit. Doch in Lukas sind es Stück für Stück "Gnaden‑Gleichnisse". Der Ausgangspunkt ist hier, daß der Herr Jesus mit Sündern ißt, und das führt zu einer Entfaltung dieser Gnade, die sich zu Sündern herabneigt: der Gnade des Herrn Jesus, der Sich zu dem verlorenen Schaf herab­neigt, um es auf Sich zu nehmen; der Gnade des Heiligen Geistes, der sich alle Mühe gibt, das Verlorene, das kraftlos im Dunkeln liegt, zu suchen; und der Gnade Gottes, des Va­ters, der Sich über den verlorenen Sohn erbarmt und sogar nach ihm Ausschau hält, um ihn wieder aufzunehmen. Das ist eine Gnade, von der Israel nichts weiß, denn der ältere Sohn (ein Bild Israels) zeigt überhaupt kein Verständnis für das Erbarmen, das Gott in dem Menschen Jesus Christus er­weist. Der ältere Sohn beruft sich lediglich auf seine An­sprüche und Verdienste, doch auf dieser Grundlage ist kein Raum für Gnade, und also auch nicht für Errettung. Das ist äußerst wichtig, denn wir sind ganz auf die Gnade ange­wiesen.

 

Kapitel 16 schließt daran unmittelbar an. Der ältere Sohn dachte nicht an Gnade für Sünder, sondern nur an irdischen Segen, ein Böcklein, um damit ein Fest zu feiern; weiter reichte die Erwartung des Israeliten nicht. Doch was kenn­zeichnet nun den wahren Christen im christlichen Zeugnis? Wir haben es in den Kapiteln 10 und 12 gesehen: das himm­lische Teil! Und das himmlische Teil bedeutet eine Verleug­nung der irdischen Güter. Es ist für einen Juden schwierig zu lernen ‑ und häufig auch für uns ‑, daß wir nur Verwalter der irdischen Dinge sind (V. 1‑13). Für Israel war das sehr schwierig, denn Gott hatte Israel gerade die Wohlfahrt, die irdischen Dinge, als Lohn für ihren Gehorsam verheißen als etwas, was sie empfangen und bleibend besitzen würden. Doch nun sagt der Herr: Nein, fortan seid ihr nur Verwalter; die irdischen Güter, die Gott euch anvertraut hat, gehören durchaus nicht euch, ihr dürft sie nur für Ihn verwalten. Und ein kluger Verwalter tut, was dieser hier tut ‑ beachten wir es gut: Wir dürfen allein seiner Weisheit, nicht seiner Unge­rechtigkeit folgen, denn was tut dieser kluge Verwalter? Er gebraucht die Güter seines Meisters, die ihm also nicht ge­hören, und verteilt sie frei an andere, um dafür etwas Blei­bendes zurück zu empfangen. Genau das ist unsere Verant­wortung. Wir haben die irdischen Dinge als Verwalter empfangen; sie gehören uns nicht, sondern Gott gibt sie uns, damit wir damit freigebig sind und ihnen ohne weiteres ent­sagen können. 1. Timotheus 6, 18. 19 sagt: Wir dürfen sie genießen, indem wir Gutes damit tun und sie weggeben. Und weshalb? Damit Gott uns etwas anderes, etwas Besseres an­vertrauen kann, und wie wunderschön finden wir das (nur in Lukas, es könnte auch nirgendwo anders stehen) in Vers 11: "Wenn ihr nun in dem ungerechten Mammon nicht treu ge­wesen seid, wer wird euch das Wahrhaftige anvertrauen? Und wenn ihr in dem Fremden nicht treu gewesen seid, wer wird euch das Eurige geben?" Was ist denn wohl das "Wahr­haftige" und das "Unsrige"? Das sind nicht die irdischen Dinge, denn die gehören uns nicht. Ober die irdischen Dinge, die wir besitzen, sind wir nur Verwalter; sie gehören dem Herrn, und Er gibt sie uns, damit wir sie für Ihn gebrauchen. Aber das Wahrhaftige, das Unsrige, das sind die himmli­schen Segnungen. Bist du jemals einem Gläubigen begeg­net, der eine tiefe Einsicht in die himmlischen Dinge hatte, der nicht zuerst gelernt hatte, moralisch den irdischen Din­gen zu entsagen und als ein kluger Verwalter über das, was einem anderen gehörte, treu zu sein? Danach erst kann der Herr uns Aas Unsrige" geben. Er kann uns um so mehr in unser wahrhaftiges, himmlisches Teil einführen, in die Schätze, die wir im Himmel haben, je treuer wir in den ir­dischen Dingen sind.

 

Das himmlische Teil ist unser Ziel und unser Teil. Deshalb folgt hier (nach einer kurzen Einschaltung) die Geschichte, durch die wir in etwa einen Einblick in unser himmlisches Teil nach dem Sterben bekommen (V. 19‑31). Sehen wir, in welch völligem Gegensatz das zu den Gedanken Israels steht? Die Erwartung eines Juden ist irdischer Segen, und wenn nicht jetzt, dann in der Auferstehung, mit dem Messias; für das, was dazwischen liegt, hat er kein Verständnis und kein Interesse. Seine Hoffnung ist auf die Erde gerichtet, ob nun vor dem Tod oder nach der Auferstehung. Doch hier sagt der Herr gleichsam: Für einen Christen ist es völlig anders; für ihn gibt es überhaupt keine Erwartung im Blick auf diese Erde. Ja, es kann sogar sein, daß er auf der Erde lediglich einen Platz hat wie der arme Lazarus, hungrig und voller Geschwüre ‑ der übrigens durchaus nicht arm war in der wirklichen Bedeutung des Wortes, denn Gott hatte ihm "das Seine" gegeben (vgl. V. 12), und das war das himm­lische Teil. Lazarus starb und empfing einen bevorrechtigten Platz: im Schoße Abrahams; und das nicht erst in der Auf­erstehung, sondern unmittelbar nach seinem Heimgang. Und das, während der Reiche, der alles genossen hatte, was die Erde zu bieten hatte ‑ und zwar die Segnungen, die Gott Israel im Gesetz verheißen hatte! ‑ im Jenseits sein Teil am Ort der Pein hatte, weit entfernt von Lazarus und dessen Segnungen. Einem Christen kann es wie Lazarus ergehen: auf der Erde vielleicht das Teil der Armen, der Selbstver­leugnung, der Verwerfung, sogar des Kreuzes, doch nachher ein himmlisches Teil. Ja, noch höher ‑ wir werden es so­gleich bei dem Mörder am Kreuz sehen ‑, für uns ist es nicht einmal der Schoß Abrahams, sondern bei Christo zu sein im Paradies. Und wo anders hätten wir erwartet, das zu lesen, als hier bei Lukas, der uns zeigt, wie Gottes Gnade in Chri­stus uns ein himmlisches Teil bereitet hat?

 

Kapitel 17 gibt uns dazu wieder neue Unterweisungen. Jede neue Entfaltung der Gnade und unserer Stellung führt auch zu neuen praktischen Anwendungen. Kapitel 17 zeigt uns einige praktische Aspekte unseres Platzes als Christen auf der Erde.

 

a) Wir dürfen keines dieser Kleinen ärgern (V. 2), b) wir sol­len unserem Bruder allezeit vergeben und c) Glauben wie ein Senfkorn haben, um dem Herrn treu zu sein; und dabei sind wir doch nur unnütze Knechte (V. 5‑10) und d) lernen (V. 15), wo wir Gott Lob und Dank bringen dürfen, wie es der Sama­riter (der Nichtjude) verstanden hatte. Die neun Geheilten waren dem Gesetz gehorsam, sie taten, was der Herr ihnen aufgetragen hatte, nämlich sich dem Priester zeigen; doch diese Art gesetzlichen Gehorsams wünscht der Herr nicht. Er möchte so gern diese spontane Anbetung, die wir Ihm zu Seinen Füßen bringen dürfen. Es ist das fünfte Mal, daß wir in Lukas von den Füßen des Herrn Jesus lesen, immer ein Ort großen Segens, wo wir Teilhaber Seiner Gnade werden. Nicht sich dem Priester zeigen, sondern Lob und Dank dem Menschen Jesus Christus entgegenbringen, der Sich Selbst als Lösegeld für viele gegeben hat ‑ darauf kommt es an.

 

Fünftens (e) ist Er Selbst Derjenige, der als Quell des Se­gens inmitten Seines Volkes ist: "Das Reich Gottes ist mitten unter euch" (V. 21). Alle Hoffnung für jeden, der seine Erwar­tung auf Gott setzte, war nun auf das Reich Gottes gerichtet, das in Gestalt des Herrn Jesus Selbst inmitten des Volkes war. Doch in Verbindung damit wird (f) auch unmittelbar auf das Kommen des Sohnes des Menschen hingewiesen, wenn (g) alles durch das Gericht entschieden werden wird (V. 24), und nicht allein über Israel, sondern über die ganze Welt. Der letzte Vers sagt darüber‑ "Wo der Leichnam ist, da wer­den auch die Adler versammelt werden." Wir werden jedoch errettet werden, weil wir zu dem wahren christlichen Zeugnis gehören trotz (h) aller Schwachheit, in der wir uns befinden können (Kap. 18, 1‑8); in allem Elend, sogar wenn wir eine arme Witwe sind, dürfen wir uns auf die Gnade Gottes stüt­zen. Wenn selbst der ungerechte Richter hört, sollte Gott dann Seinen Auserwählten kein Recht verschaffen, die Tag und Nacht zu Ihm rufen? Wer sind denn die Auserwählten? Das finden wir (i) in dem Gleichnis von dem Zöllner und dem Pharisäer (18, 9‑14). Vor Gott können wir nur in einer voll­ständigen Verurteilung unserer selbst bestehen; also nicht aufgrund des Gesetzes (wie dieser Pharisäer meint, der Gott für das, was er unter dem Gesetz zustande gebracht hat, dankt), sondern als ein Sünder, der sich an die Brust schlägt und sagt: "0 Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!"

 

Der folgende Aspekt des christlichen Zeugnisses (j) legt Nachdruck darauf, wie wir uns als Kinder dieses Reiches zu betragen haben (V. 16.17). Und weiter (k) wie wir, geradeso wie der Oberste in Vers 18, alles preisgeben müssen, was von dieser Erde ist, um dem Herrn Jesus nachzufolgen. Er wird hier nicht ein reicher Jüngling genannt, sondern jemand mit einer hohen Stellung inmitten des Volkes; doch selbst ein Oberster konnte nur einen Schatz im Himmel finden (V. 22), wenn er die Schätze der Erde preisgab. Im folgenden (1) zeigt der Herr, daß dort, wo dies so schrecklich schwierig ist, wir die Lektion lernen müssen, daß Errettung allein aus Gott ist (V. 27), und (m) im Zusammenhang damit gibt Er die Verheißung, daß, wenn wir das Irdische preisgeben, wir be­reits jetzt vielfältig zurückempfangen und im zukünftigen Zeitalter ewiges Leben (V. 29). Und schließlich sehen wir als 14. Punkt (n), daß auch hier alles auf die Leiden des Herrn Jesus gegründet ist, auf Seine Hingabe und Seine Aufer­stehung, wie die Verse 31‑34 das deutlich machen.

 

Mit Kapitel 18, 35 beginnt der letzte Teil dieses Evangeliums. In den ersten drei Evangelien beginnt der endgültige Weg nach Jerusalem und an das Kreuz jedesmal mit Jericho und mit der Heilung des Blinden, wie auch hier. Doch gerade hier ‑ und so ist es bis zum Ende, sogar bis zum Kreuz ‑ wird der Weg des Herrn Jesus in besonderer Weise durch die Gnade, die Er Sündern erweist, gekennzeichnet. Wo an­ders hätten wir die Geschichte von Zachäus antreffen kön­nen, als hier (19, 1‑10)? Der Herr erbarmt Sich über diesen kleinen, armen Zöllner ‑ nicht arm an Gütern, sondern im Blick auf seinen geistlichen Zustand ‑ und schenkt diesem Haus Errettung, "denn der Sohn des Menschen ist gekom­men, zu suchen und zu erretten, was verloren ist" (V. 10). Das ist Errettung für einen armen Sünder; doch das darauf folgende Gleichnis zeigt uns, wie das Gericht an denen sein wird, die Ihn abweisen. "Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche", sagen Seine Bürger in Vers 14. Diese Feinde würden getötet und Israel damit abgeschnitten werden (V. 27). Ist es nicht schrecklich, das zu sehen? Es ist auch nicht zufällig, daß hier unmittelbar darauf der Bericht vom Einzug in Jerusalem folgt, was zeigt, daß der Herr sie nicht haßte, sondern sie trotzdem liebte: nur hier lesen wir ja, daß Er weinte, als Er sah, daß diese Stadt Ihn nun so umjubelte, obwohl ihr Herz völlig unverändert war und sie einige Tage später ausrufen sollten: "Kreuzige ihn!" Auch nur hier finden wir dieses besondere Zeugnis über den Herrn (V. 38): "Friede im Himmel und Herrlichkeit in der Höhe!" Das sind die bemerkenswerten Worte, die der Heilige Geist in den Herzen dieses ungläubigen Volkes bewirkt. Wie einmal die Engel gejubelt hatten: "Friede auf Erden" ‑ das war damals nach den Gedanken Gottes ‑ so sagen hier diese Menschen (ohne es selbst zu verstehen), daß da, wo die Zeit für Frieden auf der Erde noch nicht gekommen war, es doch Frieden im Himmel geben würde. Was auch auf der Erde stattfinden würde: die Verwerfung, ja der Tod des Messias ‑ im Himmel würde Friede sein. Das Friedensopfer, das der Herr Jesus bringen würde, würde einen himmlischen Frieden bereiten, woran diejenigen teilhaben, die ihre Zuflucht zu Ihm neh­men. Doch leider ‑ Israel stand außerhalb; es besang das, was es selbst weder besaß noch verstand, denn der Herr übernimmt gerade dieses Wort "Friede" in Vers 42: "Wenn auch du erkannt hättest, und selbst an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden dient... "

 

Wie schrecklich ist es, von einem Frieden zu singen, der im Himmel bereit liegt und an dem jedes Kind Gottes teilhaben darf, aber selbst kein Teil an diesem Frieden zu haben. Wir lesen im Neuen Testament nur zweimal, daß der Herr Jesus weint. Er weint am Grab des Lazarus, als er dort bei einem Freunde den traurigen Folgen der Sünde und des Todes gegenübergestellt wird. Doch hier weint Er über eine ganze Stadt, eine Stadt, die von einem Frieden singt, an dem sie kein Teil hat. Es sollte kein Stein auf dem anderen gelassen werden "darum", wie Vers 44 sagt, "daß du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast." Wie schrecklich ist es doch, die Gnadenzeit, in der Gott Sich mit dem Menschen beschäftigt, gleichgültig abzuweisen!

 

Auf Kapitel 20 will ich hier nicht ausführlich eingehen. Wir sehen dort die verschiedenen Gruppen in Jerusalem, die zu dem Herrn kommen, alle mit ihren eigenen Versuchungen, und die alle von dem Herrn eine Antwort bekommen und in ihrem wahren Charakter offenbar werden. Was wir in Ka­pitel 21 finden, ist nun für unseren Gegenstand wichtiger und ist auch hier in vollkommener Übereinstimmung mit dem Charakter dieses Evangeliums. In Matthäus hatte diese Rede den Zweck, uns zu zeigen, was den zukünftigen Überrest Israels (wovon die Jünger ein Vorbild waren) treffen würde; dort spricht der Herr im besonderen über die Verwüstung Jerusalems in der fernen Zukunft (die noch kommen muß), dort nennt Er den Propheten Daniel, den Greuel der Ver­wüstung, den Sabbath, alles also in einem ausdrücklich jü­dischen Charakter und zudem in Verbindung mit der End­zeit. Das steht in Verbindung mit dem, was ich soeben ge­sagt habe, daß der Herr dort zwar zu den Jüngern spricht, doch eigentlich in ihnen die Kinder des Königreiches sieht, letztlich sogar den jüdischen Überrest, der erst am Ende gefunden wird. Doch in Lukas spricht der Herr sie als das an, was sie in Wirklichkeit sind: der Kern des kommenden christ­lichen Zeugnisses. Deshalb spricht Er hier nicht über die Verwüstung Jerusalems in der Endzeit (wie in Matthäus), sondern über die Verwüstung, die unter Titus stattfinden sollte, die diese Jünger also selbst miterleben würden. Wenn wir die Kapitel sorgfältig vergleichen, werden wir diesen Unterschied deutlich sehen. Es sind hier direkte Hinweise für diese Jünger selbst; sie würden Jerusalem von Heeren umzingelt sehen (V. 20). "Alsdann erkennet, daß ihre Ver­wüstung nahe gekommen ist." Und dann steht dort, daß nicht nur die, die in Judäa sind, auf die Berge fliehen sollten, sondern auch die, die in Jerusalem sind. So geschah es auch tatsächlich im Jahre 70, doch wir wissen, daß in der Endzeit in Jerusalem selbst wohl ein Überrest zurückbleiben wird.*) Erst in Vers 24 verbindet der Herr dies mit der Endzeit, denn dort steht, daß Jerusalem zertreten werden wird (das ist ab ihrer Verwüstung), bis "die Zeiten der Nationen erfüllt" sind. Und das verbindet Er dann mit der Ratlosigkeit der Völker in dieser Zeit (das ist unsere Zeit) und mit Seiner Wieder­kunft in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit (V. 27). Das bringt uns also an denselben Punkt wie Matthäus und Markus. Wir haben gesehen, daß Markus allerdings wie­der ein anderes Ziel hat; er zeigt uns, wie der wahrhaftige Diener Seine eigenen Diener, die Jünger, auf ihren Dienst zubereitet, den sie ausüben sollten, ebenfalls in Verbindung mit der Verwüstung Jerusalems.

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*) vgl. mein Buch Die Zukunft der Stadt des großen Königs", Seite lo6‑111.

 

Nun kommen wir zu den letzten Kapiteln 22‑24, auf die, wie wir gesehen haben, dieses ganze Evangelium hinzielt: auf die Augenblicke, wo der Herr die schrecklichen Leiden auf Sich nimmt. Ich möchte besonders die Aufmerksamkeit dar­auf richten, wie der Herr Jesus hier in diesen Leiden bestän­dig, bis zum bitteren Ende, beschäftigt ist mit den Seinen, mit Sündern, ja mit allen, die ein Verlangen nach der Gnade Gottes haben. Das ist hier sehr bezeichnend. In Matthäus sehen wir Ihn als Denjenigen, von dem der Engel gesagt hatte: "Er wird sein Volk erretten von ihren Sünden.'. Dort sehen wir Ihn als das Schuldopfer am Kreuz, nicht in erster Linie mit den Seinen beschäftigt, sondern mit dem abscheu­lichen Problem unserer Sünden. Dort ruft Er: Mein Gott, warum hast du Mich verlassen? Denselben Ausruf finden wir auch in Markus. Doch hier finden wir ihn nicht; hier sehen wir nicht die Verlassenheit von Gott, sondern einen Men­schen, der im Auftrag Gottes gekommen ist, der in vollkom­mener Hingabe an Gott den Weg zum Kreuz geht, um dort eine Grundlage zu legen, auf der Gott mit dem Menschen Gemeinschaft haben kann. Denn laßt es uns gut bedenken: Gott braucht nicht versöhnt zu werden, sondern es ist der Mensch, der mit Gott versöhnt werden muß. Hier sehen wir, wie Gott Selbst in dem Herrn Jesus Sich die Grundlage dazu bereitet. Deshalb finden wir hier nicht die Verlassenheit von Gott (die mit der Genugtuung für die Sünde zu tun hat), hier finden wir den Menschen, der in Abhängigkeit von Gott, nach Seinen Gedanken, Ihm ein Fundament bereitet, um den Men­schen an Sein Herz bringen zu können. Deshalb finden wir hier in jedem Aspekt Seiner Leiden Sein besonderes Mitge­fühl und Sein Erbarmen gegenüber den Seinen, ja, gegen­über dem Menschen im Allgemeinen. Wie trifft das unsere Herzen!

 

Es gibt kein Evangelium, das so sehr die Leiden des Herrn beschreibt wie gerade Lukas. Denn diese Leiden sind nicht nur Leiden um der Sünde willen ‑ wie schwach würde unser Verständnis über dasjenige sein, was der Herr erduldet hat, wenn wir in Seinen Kreuzesleiden nicht mehr sähen, als die Genugtuung für die Sünde. Wie viele Menschen tun das, die sogar so weit gehen, daß sie sagen, daß alle Leiden, die der Herr Jesus auf der Erde erduldet hat, "sühnende" Leiden waren. Das ist keine fromme Auffassung, denn sie bedeutet lediglich, daß man kein rechtes Verständnis davon hat, was die Versöhnung beinhaltet; denn eigentlich zieht man sie damit auf ein sehr niedriges Niveau. Die Versöhnung (Ge­nugtuung) finden wir in Matthäus und Markus, wo der Herr die Sünden in der Verlassenheit von Gott trägt; dort macht Gott Ihn zur Sünde und legt die Sünden der Seinigen auf Ihn. Hier finden wir die Leiden unter einem anderen Gesichts­punkt, nämlich die Leiden um der Gerechtigkeit willen, Lei­den, die aus der Tatsache folgerten, daß Er als gehorsamer Mensch inmitten eines ungehorsamen und verwerflichen Volkes Seinen Weg ging. Das waren die Leiden, die Er von seiten der Menschen erduldete und inmitten derer Er ‑ und das ist um so ergreifender ‑ denselben Menschen, die Ihn verwarfen, Gottes Gnade erwies (wir werden das so sehen).

 

Als erstes finden wir in Kapitel 22, wie der Herr Jesus durch das Passahmahl mit den Seinen Gemeinschaft hat und wie Er am Schluß dieses Mahles das Abendmahl einsetzt. Wir haben das bereits an anderen Stellen gesehen, doch nir­gends wird das Abendmahl so unmittelbar auf die Jünger bezogen (hier gesehen als die ersten Christen), wie in Lukas:

"Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird." Der Herr ist hier ‑ das soll uns hier gezeigt werden ‑ eigentlich be­reits in der Mitte Seiner Versammlung, die um Ihn versam­melt ist. Hier wird die Begebenheit nicht, wie vor allem in Matthäus, im besonderen auf den zukünftigen jüdischen Oberrest angewendet, wobei das Blut des neuen Bundes für die "Vielen" vergossen wird, die bald an dem Königreich Gottes teilhaben werden; nein, hier sagt der Herr: "Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute, das für euch ver­gossen wird." Hier geht es um die Jünger selbst. Nur hier finden wir am Ende von Vers 19 die Worte: "Dieses tut zu meinem Gedächtnis". Hier finden wir das Verlangen Seines Herzens, daß es Gläubige auf der Erde geben möge, die ein Verständnis haben über Seinen Weg, Seine Umstände, Seine Leiden, Seinen "Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte", die etwas von dem Mitempfinden eines Moses und Elias kennen, um mit Ihm über diesen "Ausgang" zu spre­chen, ja, über Ihn Selbst, der diesen Weg bis zum Ende ge­gangen ist. Nur hier finden wir diese demütige und ergrei­fende Bitte. Nur hier stellt Er Sich als Derjenige vor, der in ihrer Mitte war wie der Dienende (V. 27), und als Derjenige, der für Simon Petrus gebetet hat (V. 32). Wir sollten denken, daß Er genug mit Sich Selbst zu tun hatte, mit Seinen bevor­stehenden Leiden, doch da sehen wir, wie Er Petrus liebevoll warnt, daß Satan begehrt habe, ihn zu sichten wie den Wei­zen; "ich aber habe für dich gebetet, auf daß dein Glaube nicht aufhöre." Hier sehen wir, wie der Herr nicht so sehr mit Sich Selbst beschäftigt ist, sondern mit dem, was den Jüngern begegnen würde, vor allem, da sie nun allein zu­rückbleiben würden (V. 35 f).

 

Hier sehen wir den Herrn auch in Gethsemane als den ab­hängigen Menschen; Er ging in den Garten, um zu Gott, dem Vater, zu beten. Hier sehen wir deutlicher als irgendwo an­ders die Leiden, die Er als Mensch erduldete. In den Versen 43 und 44 sehen wir ja, wie vollkommen Mensch Er war, so vollkommen, daß manche in der frühen Christenheit diese Worte herausnehmen wollten, weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß der Heilige Geist uns eine derartige Beschrei­bung über den Herrn Jesus geben konnte. Doch beweisen nicht gerade solche Worte, daß Er wirklich Mensch war? "Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel, der ihn stärkte" ‑stellen wir uns vor: der Schöpfer der Menschen und Engel ist so wahrhaftig Mensch geworden, daß ein Engel Ihn stär­ken kann! So sehr war Er ein Mensch von gleichen Gemüts­bewegungen wie wir, doch ausgenommen die Sünde, in jeder Hinsicht Gott geweiht: "Doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!" Danach steht Er von Seinem Gebet auf als ein wahrhaftiger Mensch, der zu Seinem Gott um Erret­tung aus diesen schrecklichen Stunden gebetet hat. Diese Stunde, von der Er in Vers 53 sagt, daß es die Stunde Seiner Feinde ist ‑ "eure Stunde und die Gewalt der Finsternis." Doch Er bleibt Derselbe in Seiner Güte: Er heilt den Knecht des Hohenpriesters.

 

Nur in Lukas lesen wir, nachdem Petrus den Herrn verleug­net hat (V. 61): "Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus an." Das finden wir hier, denn hier sehen wir Ihn, der Sich in Erbarmen und Gnade zu dem Menschen herabneigt, um ihn zu dem Herzen Gottes zu bringen; Er, der Selbst in den tiefsten Erprobungen von seiten der Menschen ist, Sich aber doch mit den Seinen beschäftigt und Petrus ansieht, um ihn in seinem Herzen zu treffen, damit Petrus sich bewußt wird, was er getan hat.

 

Andererseits wird in Kapitel 23 auch erwähnt, wie der Herr, nachdem Er vor den Hohenpriester und Pilatus gebracht war, auch vor Herodes geführt wird, um völlig zu zeigen, was Menschen Ihm antaten. Alle Sünder werden hier offenbar, doch ebenso auch die ganze Liebe zu Sündern. Beachten wir auch, wie häufig der Herr hier als Mensch bezeichnet wird. Pilatus nennt Ihn so in den Versen 4, 6 und zweimal in Vers 14. Doch nicht nur das: Siebenmal wird von diesem Menschen bezeugt, daß keine Schuld an Ihm gefunden wird (V. 4. 14. 15a. 15b. 22. 41. 47). Das ist ein vollkommenes Zeugnis, daß dies der Mensch war, der die große Ausnahme von Psalm 14 bildete. Dies war ein Mensch, der nur Gutes getan hat, der vollkommen nach den Gedanken Gottes ge­wandelt ist. Und gerade diesen Menschen sehen wir hiervon Sündern umringt; nirgends finden wir das so deutlich. Herodes tritt auf, um lediglich seine eigene Verdorbenheit gegen­über der Vollkommenheit des Herrn ans Licht treten zu las­sen. Auch Petrus, obwohl ein Gläubiger, versagt Ihm gegen­über jämmerlich. Auch die klagenden Frauen (die nur hier genannt werden) sind lediglich dürres Holz, wo der Herr Jesus das grüne Holz war (V. 31).

 

Alle Menschen werden hier in ihrer elenden Sündhaftigkeit  beschrieben, doch gleichzeitig als Gegenstände der Gnade Gottes. Wo anders als in Lukas finden wir die Worte Herrn, als man Ihn an das Kreuz nagelte: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" Hier sehen einen sündlosen Menschen, der Sich bei Gott für sündige Menschen verwendet, sogar für heidnische Soldaten; der bei Gott, dem Vater, eintritt, den Er als Mensch so gekannt hat. In dem ersten und dem letzten Wort am Kreuz, das Er ausspricht, redet Er Gott als Seinen Vater an. Nicht in dem Charakter des ewigen Sohnes, der zum Vater spricht, wie in Johannes, sondern als der Mensch Jesus Christus, von Gott, dem Vater, hier auf der Erde gezeugt, der als Mensch in vollkommener Gemeinschaft mit diesem Gott Seinen Weg ging; der wußte, was es war, als Mensch solch einen innigen Umgang mit Gott zu haben und der diese Gemeinschaft auch dem armen Sünder gönnte, so daß sich selbst am Kreuz Sein Mitgefühl und Seine Gnade zu den Sündern um Ihn her erstreckte. Wo anders als in Lukas lesen wir, daß einer der Räuber am Kreuz anerkennt, daß er gerechterweise das Gericht verdient hat und nun die Gnade des Herrn anruft? In Übereinstimmung mit seiner jüdischen Erwartung bitte er daß, wenn der Herr in Seiner königlichen Herrlichkeit zur zurückkomme, er dabei sein dürfe, um in der Auferstehung an den Segnungen des Königreiches teilzuhaben. Und wo an als in Lukas treffen wir dieses Wunderschöne an, daß der Herr Jesus ihm zeigt, daß diejenigen, die mit Ihm verbunden sind, ein himmlisches Teil haben: mit Christus im Paradies zu sein ‑ und das nicht erst nach Seinem Wiederkommen sondern "heute"? Hätte uns das Matthäus sagen können? Uns ist nach dem Entschlafen ein himmlisches Teil bereit, mit dem Herrn im Paradies, so wie wir nach Seinem Kommen ein himmlisches Teil im Vaterhaus haben werden.

 

Schließlich sehen wir, wie Er als abhängiger, vollkommener Mensch Seinen menschlichen Geist den Händen Gottes, des Vaters, anbefiehlt. Das ist der wahre Mensch Jesus Christus, und deshalb wird hier nicht, wie in Matthäus, gesagt: "Wahr­haftig, dieser war Gottes Sohn", denn das ist hier nicht an­gebracht, sondern: „Fürwahr, dieser Mensch war gerecht." Wenn jemals ein Mensch auf der Erde gelebt hat, der den Gedanken Gottes entsprochen hat, war es dieser. Dieser Mensch war gerecht! Insgesamt siebenmal mußte Pilatus mit Herodes und den anderen das anerkennen, und nun sagt auch dieser heidnische Hauptmann bei dem Kreuz dasselbe. Das ist unser Herr; Er ist der Mensch Jesus Christus, der Gerechte, der für die Ungerechten Sein Leben gegeben hat, auf daß Er sie durch Gnade zu Gott führe.

 

Sogar Kapitel 24, das Kapitel der Auferstehung, beabsich­tigt vor alleR1, uns einen gnädigen Herrn vorzustellen, der danach verlangt, Menschen in die wunderbaren, verborge­nen Gedanken Gottes einzuweihen, der Sich in Gnade zu den Sündern niederbeugt. Auch hier ist es wieder so wun­derschön, das mit den anderen Evangelien zu vergleichen. Wir können das jetzt am leichtesten tun, weil wir uns mit Matthäus und Markus bereits beschäftigt haben. In Matthäus finden wir die Frauen, die zu dem Herrn kommen und Seine Füße umfassen; sie sind ein Vorbild des jüdischen Über­restes, der zu Recht dankbar ist, daß der Herr in ihrer Mitte zurückgekehrt ist: dort bringt der Herr dann diesen Oberrest nach Galiläa. Wir finden dort auch nicht die Himmelfahrt, denn der Herr wird in Verbindung mit dieser Erde gesehen, mit dem Königreich; wir sehen Ihn als den König, der sagt: "Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden." In Markus sehen wir den Diener, der seinen Dienern letzte Anweisungen gibt und danach vom Himmel aus Seinen Die­nern Kraft und Unterstützung darreicht, damit sie ihren Dienst erfüllen können.

 

Doch Lukas gibt uns ein letztes Bild von dem Herrn Jesus auf der Erde als Dem, der Sich liebevoll mit den Seinen be­schäftigt, um sie in die wahre, volle Bedeutung Seiner Leiden einzuführen. Dies ist das am meisten "christliche" der letzten Kapitel der drei Evangelisten, denn hier finden wir das volle, christliche Evangelium. Hier spricht der Herr mit den Emmausjüngern, nicht um sie wegen ihrer jüdischen Erwar­tungen zu tadeln, sondern um ihnen die Bedeutung Seiner Leiden anhand der Schriften zu verdeutlichen: Leiden, die die kostbare Grundlage waren für die Verherrlichung des Christus (V. 26). Dort offenbart Er Sich auch im Brechen des Brotes; es war zwar keine richtige Abendmahlsfeier, aber es war doch ein Hinweis auf den Platz der Gemeinschaft, den der Herr bereitet hatte und im Blick auf den Er Selbst gesagt hatte: "Dieses tut zu meinem Gedächtnis." Dort möchte Er Sich uns auch heutzutage immer noch im Brechen des Brotes zu erkennen geben (vgl. V. 35), um uns an diesem Platz, wie Er es hier bei den Emmaus‑Jüngern tut, in die wunderbare Tragweite Seiner Leiden einzuführen und unsere Herzen brennend zu machen (V. 32). So kommt Er am ersten Tag der Woche zu uns. 0 wir sehen Ihn nicht persönlich ‑ auch hier sehen wir übrigens schon, daß Er nicht mehr beständig unter den Jüngern bleibt (V. 31) ‑ und doch möchte Er uns durch Seinen Geist in Seine Leiden einführen, in die Herr­lichkeit Seiner Person, damit wir Seiner gedenken und Ihn "erkennen", wenn Er in unsere Mitte kommt.

 

Und was teilt Er Seinen Jüngern hier mit? Ich spreche nun nicht über die anderen Evangelien; was der Herr hier entfal­tet, ist das reine, christliche Evangelium. Es ist nicht ohne bestimmte Absicht, daß gerade Lukas die Apostelgeschichte geschrieben hat (sie ist die Fortsetzung seines Evangeli­ums), denn in der Apostelgeschichte sehen wir, wie die christliche Botschaft gepredigt und von Jerusalem aus unter den Heiden verbreitet wird. Hier lesen wir, wie der Herr Selbst den Auftrag dazu gibt (V. 47). Er spricht erneut Über das, was von Ihm im Alten Testament geschrieben stand, und öffnet ihr Verständnis, damit sie das Wort verstehen können. Und dann sagt Er wiederum: "Also steht geschrie­ben, und also mußte der Christus leiden und am dritten Tage auferstehen aus den Toten, und in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem." Das ist ein völlig anderer Sen­dungsauftrag als in Matthäus; dort wird der Auftrag nicht in Jerusalem, sondern in Galiläa gegeben, und dort gibt der Herr keinen Auftrag in bezug auf Israel (Jerusalem), wie hier, sondern nur für die Völker. Israel ist dort als Ganzes für eine Zeit beiseite gesetzt, und die Botschaft, die dort verkündigt werden muß, ist die Botschaft von dem König und dem Kö­nigreich und dient dazu, alle Völker zu Jüngern des Königs zu machen.

 

Hier hingegen haben wir das christliche Evangelium, das nicht an Jerusalem vorbeigeht, sondern das gerade in Je­rusalem beginnt. Zuerst den Juden und dann den Griechen, wie Paulus gesagt hat; und es ist nicht ein Evangelium, das den König vorstellt, sondern das zeigt, wer der Mensch in sich selbst ist: er muß sich bekehren, damit seine Sünden vergeben werden, indem er die Bedeutung der Leiden des Herrn Jesus kennenlernt, seine Hand gleichsam auf das Opferlamm legt und mit Gott in Verbindung kommt. Deshalb finden wir hier noch etwas, was wir in Matthäus nicht finden, nämlich den Heiligen Geist: die Kraft aus der Höhe, mit der sie angetan werden sollten (V. 49). Als der Herr Jesus zu dem Oberrest Israels sprach (wie in Matthäus), sprach Er nicht über den Heiligen Geist, denn dieser Oberrest, der nach der Entrückung der Versammlung gebildet wird, wird den Heiligen Geist nicht vor dem Wiederkommen Christ! be­sitzen. Doch hier finden wir das christliche Zeugnis, das die Kraft des Heiligen Geistes empfängt, wie wir auch in Kapi­tel 11, 13 und anderswo gesehen haben, um in dieser Kraft das Evangelium zu verkündigen. Deshalb ist es dieser Auf­trag, den die Jünger in der Apostelgeschichte ausgeführt haben, und nicht der Auftrag aus Matthäus; dieser Auftrag wird erfüllt, wenn der Oberrest das Evangelium des König­reiches predigen wird (vgl. Mt 24, 14). Was auch heutzutage immer noch gepredigt wird, ist: Buße und Vergebung der Sünden.

 

So sehen wir auch, daß dieses Evangelium schließlich mit der notwendigen Erwähnung Seiner Himmelfahrt endet. In Matthäus ist das nicht nötig; dort finden wir einen unmittel­baren Sprung von der damaligen Zeit in die Zukunft, wenn der Herr Jesus aufs neue bei dem Überrest auf der Erde sein wird. Doch hier ist es notwendig, daß uns der Herr vorge­stellt wird als Derjenige, der in den Himmel aufgenommen wurde, denn das christliche Zeugnis ist mit einem verherr­lichten Herrn im Himmel verbunden, der den Heiligen Geist aus der Höhe gesandt hat. Das alles bedeutet große Freude für die Christen: nach der Himmelfahrt kehrten die Jünger mit großer Freude zurück, waren beständig im Tempel und priesen und lobten Gott.

 

Ist es nicht ergreifend, so den Herrn in diesem Evangelium zu sehen?

 

Auch wenn wir den Schluß der anderen Evangelien nicht so gut verstehen sollten, dann muß dies doch in jedem Fall un­mittelbar zu unseren Herzen sprechen: Hier sehen wir einen Menschen wie wir, aber einen vollkommenen Menschen, denn Er kannte die Sünde nicht und war von Gott Selbst gezeugt auf dieser Erde; und doch ein Mensch, der unser Vorbild ist, der uns vorstellt, daß wir vollkommen sein kön­nen wie Er (6, 40), wenn unser Auge allein auf Ihn gerichtet ist und wir Ihm allein folgen; der uns als unser Erbe ein himmlisches Teil vorstellt, nicht irdische Segnungen ‑ die werden uns hinzugeschenkt werden in dem Maß, wie wir sie nötig haben ‑ sondern ein himmlisches Teil: unsere Namen im Himmel angeschrieben, himmlische Dinge, die Gott uns entfaltet hat (10, 20. 24), einen Schatz in den Himmeln (12, 33), "ewige Hütten" in Aussicht (16, 9), das Paradies, wo wir bei Ihm sein dürfen, wenn wir entschlafen sind, ja, ein Teil bei dem Herrn Jesus in alle Ewigkeit im Himmel. Muß das nicht unmittelbar zu unseren Herzen sprechen, so daß auch unsere Herzen brennend werden, daß wir Gott preisen und loben?

 

Am Ende dieses Evangeliums möchte ich noch kurz auf einen kennzeichnenden Aspekt in allen vier Evangelien eingehen, der das Verständnis der verschiedenen Charaktere dieser Evangelien erleichtern kann. In jedem dieser vier finden wir nämlich eine besondere, kennzeichnende Segnung, die der Herr uns geschenkt hat, und in allen vier Fällen ist dies eine 289 Segnung, die uns (was die Regierungswege Gottes betrifft) gerade als Folge Seiner Verwerfung durch Israel zugefallen ist.

 

In Matthäus ist die Folge der Verwerfung durch Israel, daß der Herr Jesus uns zeigt, was die Versammlung ist (16, 18). Menschlich gesprochen wäre die Versammlung nicht zustan­de gekommen, wenn Er nicht von Israel verworfen worden wäre, denn dann wäre das Friedensreich gekommen. Doch nachdem Israel Ihn verworfen hat, setzt auch Er Israel bei­seite und zeigt uns die Versammlung, die Er bauen würde, gegründet auf Ihn Selbst als den Sohn des lebendigen Got­tes. Diese Versammlung war die kostbare Perle (13, 46), für die Er Sein Leben hingeben würde, um sie für Sich Selbst zu besitzen. Das ist unser erster Segen: daß wir ein Teil dieser Versammlung sein dürfen.

 

In Markus ist der Herr Derjenige, der als Diener kam, um im Auftrag Gottes Seinen Dienst gegenüber Israel auszuüben. Doch Israel hat den Diener verworfen, und das bedeutet, daß der Herr ans Kreuz gebracht wurde. Das beinhaltet zu­gleich, daß jeder Diener, der dem Herrn nachfolgen will, den­selben Weg zu gehen hat. Die Verwerfung durch Israel be­deutet für den Herrn das Kreuz und bedeutet auch für uns das Kreuz. Das ist an sich keine schöne Belehrung, und doch ist es Segen, denn das Kreuz auf unserem Rücken zu tragen, bedeutet für uns eine vollständige Verurteilung dessen, was der natürliche Mensch ist, und daß wir keine einzige Erwar­tung für dieses Leben mehr haben, sondern anstelle davon Seine Hilfe und Gemeinschaft vom Himmel her genießen, und daß wir in der Zukunft ewiges Leben empfangen (10, 30).

 

Was ist in Lukas die Folge, daß der Herr Jesus durch Israel verworfen worden ist? Die Folge ist, daß der Herr mit Israel nicht entsprechend den Verheißungen und Prophezeiungen Gottes handeln kann, nicht entsprechend ihren Ansprüchen und Verdiensten, sondern aufgrund der Gnade. Eine Gnade, die also nicht zu einem verdienstvollen Volk kommt, sondern zu Sündern. Doch wenn sie zu solchen, zu Sündern kommt, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Völ­kern, und so ist es eine Gnade, die auch zu uns kommt, die wir in uns selbst Sünder aus den Nationen sind. Nach der Verwerfung durch Israel gab es nur noch Raum für Gnade, und zwar für einen armen Oberrest wie auch für uns arme, rechtlose, verlorene Sünder aus der Völkerwelt.

 

Und was hat Johannes uns in diesem Punkt zu sagen? Er zeigt uns, daß der Herr Jesus von Anfang an der Verworfene ist (1, 10. 11). Seine Verwerfung wird dort nicht ausführlich beschrieben, sondern unmittelbar vorausgesetzt; die Seinen haben Ihn nicht angenommen. Doch was ist dort die Folge? Von Anfang an wird uns die völlige Beiseitesetzung dessen, was der Mensch ist, gezeigt, auch dessen, was diese Schöp­fung ist, um uns einen Einblick in die Verlogenheiten des Vaterherzens und des Vaterhauses zu schenken. Das ist nicht ein Segen, den wir erst in der Zukunft besitzen werden, sondern Johannes zeigt uns, daß alles, was in dem Vater­haus einbegriffen ist, nun bereits unser Teil ist in der reichen Form des ewigen Lebens. Dort sehen wir, daß der Herr Sich Selbst, nachdem Er von den Seinigen (1, 11) verworfen ist, in dieser Welt offenbart als der ewige Sohn des Vaters, der bei dem Vater war; Ihn will der Vater uns als das ewige Leben schenken. Damit hoffen wir uns das nächste Mal zu be­schäftigen.

 

Matthäus zeigt mir: Ich bin ein Teil der Versammlung, die für den Herrn Jesus so unendlich kostbar war. Markus zeigt mir: Ich darf ein Diener des Herrn Jesus sein, und dann achte ich nicht auf die Schmach, sondern auf das Ziel. Lukas zeigt mir: Auch ich darf durch den Herrn Jesus teilhaben an Gottes Gnade und einem himmlischen Teil mit dem Herrn entgegen­sehen. Johannes zeigt mir: Ich bin ein Kind Gottes gewor­den, denn ich habe den Sohn als mein Leben empfangen und darf nun für ewig mit dem Sohn in dem Haus des Vaters verkehren.

 

Brüder, zählt eure Segnungen!

 

4. Johannes

 

Wir kommen heute abend zum vierten und letzten Evan­gelium. Wer es liest, bemerkt bereits bald, daß es einen völlig anderen Charakter hat als die ersten drei Evangelien. In diesen dreien finden wir weitaus mehr Geschichte, mehr Ereignisse, an denen der Herr Jesus auf der Erde beteiligt war, während wir hier viel mehr Betrachtungen finden, Ent­faltungen tiefer Wahrheiten, in mancher Hinsicht tiefer als in den vorhergehenden Evangelien. Johannes hat dieses Evangelium wahrscheinlich auch als allerletztes Buch der Bibel geschrieben (der Oberlieferung nach beinahe am Ende des ersten Jahrhunderts), als die anderen drei bereits lange in Umlauf waren und von dem Apostel als bekannt voraus­gesetzt werden konnten. Dieses Evangelium baut auf dem auf, was die anderen drei Evangelien berichten, und zwar um einer besonderen Problematik, die bereits in jener Zeit aufkam, zu entsprechen. Es waren nämlich Strömungen ent­standen, die leugneten, daß der Herr Jesus wahrhaftig Mensch war. Sie hielten zwar daran fest, daß Er eine gött­liche Person war, anerkannten aber nicht, daß Er wahrhaftig im Fleisch gekommen war. Sie behaupteten, daß Er hier lediglich in einer äußeren, menschlichen Gestalt erschienen sei, aber nicht wirklich Mensch geworden sei mit einer menschlichen Seele, einem menschlichen Geist und einem menschlichen Leib. Es gibt daher auch kein Evangelium, das so deutlich ins Licht stellt, daß der Herr Jesus wahrhaftig und vollkommen Mensch war.

 

Andererseits sagen wir jedoch tatsächlich von diesem Evan­gelium: Hier finden wir den Herrn Jesus als den Sohn Got­tes. Und das ist richtig, denn von Demjenigen, von dem hier so eindeutig gesagt wird, daß Er Fleisch wurde (1, 14), wird zugleich im ersten Kapitel bestätigt und beschrieben, was Er als göttliche Person ist, als der eingeborene Sohn des Va­ters, der im Schoß des Vaters war und ist. Und damit be­schreibt dieses Evangelium ein Terrain, das viel weiter reicht als die früheren drei Evangelien. Dort haben wir im besonderen gesehen, weiche Ämter der Herr Jesus als Mensch bekleidete: als Messias (Matthäus) und als Diener und Prophet für Israel (Markus) und als "Sohn des Men­schen" für die gesamte Menschheit (Lukas), also stets in Verbindung mit der Menschheit des Herrn und zudem in al­len drei Fällen, wie Er den Bedürfnissen des Menschen entspricht: um Sein Volk von ihren Sünden zu erlösen (Matthäus), um den Dienst Gottes an ihnen auszuüben als Prophet ‑ Propheten wurden nur dann gesandt, wenn der Zustand des Volkes schlecht war ‑ (Markus), und um einer sündigen Menschheit Gottes Gnade zu bezeugen (Lukas).

 

Dieses Evangelium reicht darüber hinaus. Es ist sehr bemer­kenswert, daß wir hier die Lösung des Sündenproblems Überhaupt nicht genannt finden (mit einer Ausnahme in Ka­pitel 20 in einem anderen Zusammenhang). Wir finden zwar das Problem der Sünde als Macht im Kosmos (1, 29), aber nicht die sündigen Taten des Menschen und auch nicht das Problem der Erlösung und Versöhnung ‑ das alles wird als bekannt vorausgesetzt aus den vorangehenden Evangelien. Was hat denn der Herr Jesus in diesem Evangelium auf der Erde entfaltet? Ja, gerade das, was so sehr mit der Tatsache zusammenhängt, daß Er eine göttliche Person ist, der Sohn des Vaters; denn was Er hier entfaltet, ist nichts weniger als die Dinge, die Er als Sohn des Vaters im Schoß des Vaters gekannt und genossen hat als Derjenige, der von Ewigkeit im Vaterhaus verkehrte und der kam, um uns mit den Dingen bekanntzumachen, die dort gefunden werden. Das geht weit über unsere Bedürfnisse als Menschen auf der Erde hinaus, übersteigt bei weitem das, was wir als Sünder nötig haben. Wir haben diese himmlischen Segnungen nicht nötig als Antwort auf unsere Not als Sünder, sondern es sind die Dinge, die Gott uns nach Seinen ewigen Ratschlüssen aus unumschränkter Gnade schenken wollte, über das hinaus, was wir als Sünder nötig hatten. Es sind die Freuden Seines eigenen Herzens, Dinge, die in dem Herrn Jesus Selbst gefunden werden. Denn alle Segnungen des Vaterhauses sind die Segnungen Seiner eigenen Person und sind in diesem einen Wort zusammengefaßt: das ewige Leben, das in Ihm war, ja, das Er Selbst ist. 1. Johannes 5, 20 sagt: "Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben" ",das bei dem Vater war und uns geoffenbart worden ist“, fügt Kapitel 1, 2 hinzu. Wir dürfen dieses Leben nun besitzen; wir haben den eingeborenen Sohn des Vaters als unser Leben empfangen. Und dieser Besitz des ewigen Lebens bedeutet (Joh 17, 3), daß wir Gott kennen in dem, was Er wirklich ist: der Vater des Sohnes, und daß wir Jesus Christus, den von Gott Ge­sandten, kennen in dem, was Er wirklich ist: der ewige Sohn des Vaters.

 

Deshalb beginnt dieses Evangelium auf solch eine bemer­kenswerte Weise, nämlich nicht mit Seiner menschlichen Ab­stammung. Matthäus führt ein Geschlechtsregister an, um zu zeigen, daß der Herr Jesus wirklich der Messias ist. Markus enthält kein Geschlechtsregister, Lukas hingegen bringt eines, um zu zeigen, daß der Herr Jesus wahrhaftig Mensch ist. Hier aber finden wir eine "Abstammung" von Ewigkeit an (also ohne Anfang). "Seine Ausgänge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her" (MI 5, 1). Im Anfang ‑ nicht dem von 1. Mose 1, sondern von Ewigkeit ‑ war das Wort. Dieses Evangelium versetzt uns mit einem Schlag in die Ewigkeit, in das Vaterhaus, als noch keine Schöpfung be­stand. Was wir dann in Kapitel 1 finden ‑ und das ist eine sehr wichtige Einleitung zu diesem Evangelium ‑ sind vor allem die persönlichen Herrlichkeiten des Herrn Jesus. Die sieben genannten Herrlichkeiten sind nicht Seine amt­lichen Herrlichkeiten, wie wir sie in den anderen Evangelien fanden, mit Ausnahme der Tatsache, daß Er der König Isra­els, der Messias ist, wie wir sehen werden.

 

Die erste Herrlichkeit ist die, daß Er das Wort Gottes ist. Das "Wort" (der Logos) bedeutet den Ausdruck eines tieferen, inneren Gedankens. Er war das Wort, das bei Gott war, d. h. daß Gott von Ewigkeit her nur gekannt werden konnte und noch gekannt wird durch das Wort. Er ist eine Person, in der allein Gott Sich geoffenbart hat. So war das bereits im Alten Testament: wo Gott offenbar wurde, geschah das durch Ihn, der das Wort genannt wird, das »Instrument", durch das Gott Sich ausdrückt; doch ein "Instrument" (mit Ehrfurcht gesagt), das Selbst zur gleichen Zeit Gott ist: das Wort war Gott. Das heißt, daß wir es mit einer göttlichen Person zu tun haben, die von Ewigkeit war und in der Sich der dreieinige Gott offenbart und geoffenbart hat. Hat Gott die Welten ge­schaffen? Dann geschah es durch das Wort, denn wo Gott Sich offenbart, dort geschieht es durch das Wort. Ist Gott ein Gott, der Licht verbreitet? Dann geschieht das durch das Wort, denn das Wort ist eine göttliche Person, die Leben ist und Leben gibt, und als solcher war Er das Licht der Men­schen, d. h. der das Licht Gottes auf die Menschen scheinen ließ.

 

Doch dann finden wir gleich zu Beginn dieses Evangeliums eine andere Seite, die ebenfalls wie ein roter Faden durch dieses Evangelium läuft, nämlich, daß die Weit, in der der Herr Jesus dieses göttliche Licht offenbarte, Ihn verworfen hat. Die Finsternis hat es nicht erfaßt (V. 5), die Welt kannte Ihn nicht (V. 10). Und die Seinen ‑ das ist Israel ‑ haben Ihn nicht angenommen (V. 11). Das ist hier von Anfang an eine feststehende Sache. Die Welt hat ihren Schöpfer nicht an­genommen. Doch diese Tatsache führt in Vers 12 gleich­zeitig etwas völlig anderes ein, nämlich daß es dennoch in diesem "Kosmos" eine (neue) Familie gibt, bestehend aus allen denjenigen, die an den Namen des Herrn Jesus glau­ben, die Ihn angenommen haben und aus Gott geboren sind, denn solche haben das Recht, Kinder Gottes zu werden. Hier wird noch nicht weiter erklärt, wie sie genau die Familie Gottes bilden; das kommt später. Doch hier wird von An­fang an festgestellt, daß die Welt (und auch Israel) Ihn ver­worfen hat und daß der Herr doch in dieser Weit Seine eigene Familie hat, die alle diejenigen umfaßt, die durch den Glauben Kinder Gottes geworden sind.

 

Doch damit ist etwas völlig Neues entstanden, und das findet seinen Ursprung hierin: Wenn auch das Wort im Alten Testa­ment Gott geoffenbart hat, indem es schuf, indem es Licht und Leben verbreitete, so ist doch etwas vollständig Neues eingetreten dadurch, daß das Wort Fleisch geworden ist.

 

Das Wort ist Mensch geworden, hat also nicht eine mensch­liche Gestalt angenommen, sondern ist Selbst Fleisch ge­worden, hat (wenn ich so sagen darf) einen neuen Daseins­zustand begonnen. Und das nicht für eine Zeit; das Wort ist für ewig Fleisch geworden, denn in alle Ewigkeit wird diese göttliche Person, die bei Gott war und die Selbst Gott war und ist, Mensch bleiben. Er ist Fleisch geworden, um bis in Ewigkeit Mensch zu sein. Und als Mensch auf der Erde ist Er in einer ganz besonderen Weise die Offenbarung dessen geworden, was Gott ist, denn hier steht, daß durch Ihn die Gnade und die Wahrheit geworden ist. Und zwar nicht so, wie durch den Mittler Moses das Gesetz gegeben wurde; diese göttliche Person war nicht einfach ein Mittler, sondern in Ihm Selbst war Gnade und Wahrheit, denn das Wort war Gott.

Dazu kommt eine zweite Herrlichkeit. Das fleischgewordene Wort hat auf der Erde eine Herrlichkeit geoffenbart: die eines Eingeborenen vom Vater (V. 14). Das ist etwas Neues. Nicht nur eine göttliche Person, die Gott offenbarte, kam auf die Erde, sondern der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, hat den Vater geoffenbart. Das Wort hat Gott ge­offenbart, der Sohn hat den Vater geoffenbart. Das ist ein völlig neuer Gedanke, denn der Vater war bis dahin weder geoffenbart noch bekannt. Gott war nicht bekannt in dem, was Er im tiefsten Wesen ist: ein dreieiniger Gott. Der drei­einige Gott ist nun in dem Sohn, der auf die Erde gekommen ist, geoffenbart worden. Den Vater haben wir in Ihm kennen­gelernt: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (14, 9). In Ihm haben wir auch den Sohn kennengelernt, und auch der Heilige Geist als eine göttliche Person ist in dem Herrn Jesus geoffenbart; der dreieinige Gott ist geoffenbart in Ihm, der im Schoß des Vaters ist und war (auch als Er auf der Erde war). Er hat Gott kundgemacht, so wie allein Er Gott kannte. Er, der am Herzen des Vaters war, der von Ewigkeit der Gegenstand der Liebe des Vaters war, der ge­fühlt hatte, wie das Herz des Vaters schlug, Er hat den Vater in dieser Weit geoffenbart, und Er allein konnte das tun, denn nur Er kannte die Liebe und das Herz des Vaters.

 

Nach diesem Zeugnis, das Johannes der Täufer in den fol­genden Versen von Ihm gibt, sehen wir einen neuen Ge­danken, eine dritte Herrlichkeit in Vers 29, nämlich daß Er das Lamm Gottes ist, das die Sünde der Weit wegnimmt. Wir haben soeben gesehen, daß die Welt Ihn verworfen hat, und das weist auf das größte Problem in dem Kosmos hin, nämlich das Problem der Sünde, die als eine Macht alles durchdringt. Hier wird nicht gesagt, wie die Sünde dorthin gekommen ist und wie sie weggetan werden wird. Hier wird allein festgestellt, daß diese göttliche Person, der Sohn des Vaters, das Lamm Gottes ist, das die Sünde aus dem Kos­mos fortschaffen wird. Und das ist eine ganz besondere, neue Herrlichkeit von Ihm. 1. Petrus 1 sagt, daß der Herr Jesus das Lamm Gottes war und vor Grundlegung der Weit zuvorerkannt war. Hier wird nicht über Ihn gesprochen als einen Ziegenbock, nämlich das Tier des Sündopfers; hier wird auch nicht über Sünder gesprochen, die mit Gott ver­söhnt werden müssen. Hier wird das Lamm Gottes genannt, also das Brandopfer. Das haben wir in den anderen Evan­gelien nicht gefunden. Matthäus und Markus zeigen Ihn als das Schuld‑ und Sündopfer und Lukas als das Friedens­opfer, als die Person, durch die Gott mit denen, die aus die­ser Welt gerettet sind, Gemeinschaft haben kann. In Johan­nes finden wir jedoch das Brandopfer. Hier geht es nicht um die Sünden derer, die gerettet werden mußten, sondern um die Tatsache, daß Er das Sündenproblem als Anlaß genommen hat, Gott zu verherrlichen. Dazu ist dieser Mensch auf der Erde: um Gott zu verherrlichen. Der Sohn ist hier, um den Vater zu verherrlichen und aufgrund davon aus diesem Kosmos eine Familie für Gott zu bereiten. So ist Er zuvorerkannt als das Lamm Gottes, als das Brandopfer, das Sich Selbst Gott zu einem lieblichen Geruch darbringt, damit die Sünde aus dieser Welt weggenommen wird in einer Weise, durch die Gott wunderbar verherrlicht wird.

 

Doch Er wurde auch in einer anderen Weise gekannt, näm­lich so, wie Er von den Juden erwartet wurde. In den drei Herrlichkeiten, in denen ich Ihn nun beschrieben habe, wurde Er nicht erwartet, denn sie waren völlig neu. Wie Er erwartet wurde, finden wir in den Worten des Andreas: als der Messias (V. 42), und in den Worten des Nathanael (V. 49): "Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels."

 

Das entsprach völlig den Erwartungen des Volkes. Wenn es Über den Sohn Gottes sprach, meinte es damit etwas völlig anderes als das, was wir zu Beginn dieses Kapitels gefun­den haben: den Eingeborenen des Vaters, den ewigen Sohn, der im Schoß des Vaters war. Diese Juden meinten dagegen, daß Er der Sohn Gottes war, wie Er bereits im Alten Testa­ment, in Psalm 2, geoffenbart worden war: Sohn Gottes sollte Er auch als Derjenige sein, der von Gott auf der Erde als Mensch gezeugt war in Verbindung damit, daß Er der Messias war, der König, der über Zion gesalbt werden sollte.

 

Vielleicht hat Johannes daran auch in Vers 34 gedacht, Der Heilige Geist, der auf den Herrn Jesus herniederkam, sollte der Beweis von seiten Gottes sein, daß Dieser der Sohn Gottes war (nämlich durch Geburt). Doch für das Herz des Vaters ging es viel mehr darum, daß Er bei dieser Gelegen­heit aufgrund des Lebens Christi bis zu diesem Augenblick sagen konnte: Dieser ist Mein geliebter Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen gefunden habe. Das kommt auch in dem, was der Herr weiter sagt, zum Ausdruck; als es sich heraus­stellte, daß Nathanael Ihn entsprechend seiner eigenen, jü­dischen Erwartung lediglich als Sohn Gottes in der Bedeu­tung des Messias, als König von Israel kannte, sagt der Herr: Nathanael, Ich werde dir eine Wahrheit offenbaren, eine Herrlichkeit in Meiner Person, die weit darüber hinausgeht. Diese Herrlichkeit (die siebte) finden wir in Vers 52: Er ist der Sohn des Menschen. Doch wie kann Er nun als Sohn des Menschen herrlicher sein als der Sohn Gottes? Und doch ist das so, d. h. als "Sohn Gottes" nicht in dem Sinn, daß Er der Ewige Sohn des Vaters ist, sondern der von Gott gezeugte Messias aus Psalm 2, der als König über Zion gesalbt war. Als solcher hatte Er lediglich eine Beziehung zu dem Volk Israel (wie auch Nathanael sagt). Doch der Herr sagt gleich­sam zu ihm: Ich werde nicht nur als Sohn Gottes (als Mes­sias) mit Israel verbunden sein, sondern Ich werde der Sohn des Menschen sein, der eine Beziehung zur gesamten Menschheit hat, also im Sinn von Psalm 8: Seinen Füßen wird die ganze Schöpfung unterworfen sein, so daß Engel auf Ihn auf ‑ und niedersteigen werden als "dienende Geister".

 

In der Zeit des kommenden Friedensreiches wird dies alles erfüllt werden. Er ist nicht nur der Messias Israels, sondern Derjenige, dessen Füßen die ganze Schöpfung unterstellt werden wird aufgrund des einen großen Werkes, das Er als das Lamm Gottes hier auf der Erde erfüllt hat. Die Einleitung dieses Evangeliums wird deshalb mit dem Weinwunder während der Hochzeit zu Kana (2, 1 ‑11) abgeschlossen, wo­von wir in Vers 11 lesen, daß es das erste "Zeichen" war, das Jesus tat, und wo Er Seine Herrlichkeit offenbarte. Wir sehen häufiger in Johannes, daß er in aufeinanderfolgenden Ereig­nissen auch eine vorbildliche, symbolische Darstellung der Regierungswege Gottes gibt, also dessen, was Gott in Zu­kunft aufgrund des Werkes des Herrn Jesus tun wird. Das wird hier deutlich in den verschiedenen Jagen" angege­ben, die hier genannt werden: erst das damalige Zeugnis in Israel (1, 29. 30), dann ist die Rede von dem „folgenden Tag" in Vers 35, wo der Herr Jesus mit Seinen Jüngern einen abgesonderten Platz in dieser Weit einnimmt (wie wir das gegenwärtig in dem christlichen Zeugnis verwirklicht finden). Wir haben wieder einen „folgenden Tag" (V. 44) in dem Zeugnis von Philippus und Nathanael, ein Hinweis auf das Zeugnis, das in Zukunft in Israel abgelegt werden wird, wenn dort ein wahrhaftiger jüdischer Oberrest abgesondert wer­den wird, "in welchem kein Trug ist" (vgl. V. 47). Das wird abgeschlossen mit dem "dritten Tag" (2, 1), der Hochzeit zu Kana, einem Bild des Friedensreiches, wenn Christus den Wein der Freude bereiten wird. Dieses Friedensreich be­ginnt mit einer Hochzeit, die auf der Erde gefeiert werden wird, wenn der Herr Jesus Sich mit Seiner irdischen Braut, Jerusalem, verbinden wird.

 

So finden wir hier kurz zusammengefaßt eine Vorausschau auf die Erfüllung aller Wege Gottes. Doch ab Kapitel 2, 13 wird uns die harte Wirklichkeit beschrieben, nämlich daß der Herr Jesus verworfen ist. Was bereits in Kapitel 1 fest­gestellt wurde, wird hier bewiesen, denn Er kommt zum Passah nach Jerusalem, und wir sehen, wie der Eifer für Sein Haus Ihn verzehrt: Er wirft die Tische der Geldwechsler um, spricht vor allen Dingen von Seinem Geheimnis: daß der Tempel Seines Leibes abgebrochen werden würde und daß Er am dritten Tag aus den Toten auferstehen werde. So finden wir hier auf der einen Seite die Entfaltung der Wege Gottes, die zeigen, was Er verwirklichen wird, doch auf der anderen Seite die Bosheit der Weit. Der Herr würde zu Tode gebracht werden, allerdings am dritten Tage auf­erstehen, doch sie, die Juden, würden für Seinen Tod verant­wortlich sein und so beweisen, daß sie Ihn nicht wirklich kannten. Vielleicht "glaubten" sie wohl an Ihn; Vers 23 sagt, daß viele an Seinen Namen glaubten, d. h. mit dem Verstand, angezogen durch die Zeichen. Doch wir lesen: "Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an ... denn er selbst wußte, was in dem Menschen war" (V. 24. 25). Er kannte den Men­schen, seine Verdorbenheit, und Er wußte, daß Er von dem Menschen als solchem nichts zu erwarten hatte. Damit wird erneut festgestellt, daß die Welt und Israel Ihn verworfen haben.

 

Doch dann dürfen wir in den Kapiteln 3 und 4, ausgehend von der Verwerfung, erneut einen Blick tun in das, was Gott mit der Einführung Seines eingeborenen Sohnes in der Schöpfung beabsichtigt, und in die Grundsätze, die Er offen­baren will. In Johannes 3 steht das in Verbindung mit dem Zeugnis, das der Herr Jesus damals in Israel ablegte, und in Johannes 4 steht das, wie wir sehen werden, in Ver­bindung mit dem Zeugnis, wie wir es nun unter den Gläubi­gen aus den Nationen kennen. Wir finden hier unter den Israeliten, die Ihn verworfen hatten, einen einzelnen, der zu Ihm kam, Nikodemus. Nicht der erste beste, sondern je­mand, der eine sehr hohe Stellung inmitten des auserwähl­ten Volkes und damit in der ganzen Welt einnahm. Dieser bevorrechtigte Mann mußte jedoch diese Wahrheit lernen: daß sogar der allerhöchste und bevorrechtigtste Mensch auf der Erde von neuem geboren werden muß. Das war an sich keine neue Offenbarung, sondern eine Tatsache, die schon im Alten Testament bekannt war (siehe Hes 36). Jeder Mensch kann nur mit Gott in Verbindung gebracht werden, nicht aufgrund von Vorrechten, Abstammung oder Stellung, sondern aufgrund der neuen Geburt aus Wasser und Geist. Nachdem der Herr diese einfachen, irdischen Dinge darge­legt hat, die bereits im Alten Testament bekannt waren, fügt Er allerdings etwas völlig Neues hinzu. Dieses Neue war nicht von dieser Erde, sondern vom Himmel (V. 12). Und wer konnte das besser mitteilen als der Sohn des Menschen, der aus dem Himmel herniedergekommen und zugleich im Him­mel war? (V. 13). Die Voraussetzung dafür, daß wir das Reich Gottes sehen dürfen, ist auch heute immer noch, daß wir von neuem geboren werden müssen; doch wir sind damit zu­gleich in einen Zustand gekommen, daß wir erkennen kön­nen (durch die Kraft des Geistes), was es bedeutet, daß der Herr Jesus auf die Erde gekommen ist, um uns vom Himmel her himmlische Dinge zu entfalten.

 

Das ging weit über das hinaus, was Nikodemus wußte und was im Alten Testament entfaltet war. Was war denn das Neue? Einfach zusammengefaßt in zwei Worten: das "ewige Leben". Der Sohn des Menschen mußte erhöht werden, das Lamm Gottes mußte Sich Gott zu einem duftenden Wohl­geruch darbringen, und aufgrund davon sollte geschenkt werden, was hier steht: ewiges Leben (V. 15.16). Wer an den Sohn glaubt, sollte nicht nur Erlösung und Vergebung von Sünden haben ‑ das sind Dinge, die hier nicht einmal ge­nannt werden ‑, sondern vor allem das ewige Leben. Was ist das? Ich habe es bereits gesagt: es ist der Sohn des Va­ters Selbst. Er ist das ewige Leben, das bei dem Vater war und uns geoffenbart worden ist, nicht nur damit wir es ken­nenlernen können, sondern damit wir es besitzen können. Das ist das völlig Neue: den Sohn als unser Leben zu besit­zen. Nikodemus verstand nicht einmal die irdischen Dinge, nämlich daß ein Mensch von neuem geboren werden mußte. Doch wer das versteht, ist auch in der Lage, nun durch den Geist die himmlischen Dinge verstehen zu lernen, nämlich daß wir das ewige Leben empfangen, das ist der Sohn des Vaters Selbst.

 

Dies ist, wie gesagt, eine völlig neue Wahrheit. Es ist hier das große Ziel der Sendung Christi von seiten Gottes, nicht. die Weit zu verderben, sondern sie zu erretten und sie das wunderbare ewige Leben besitzen zu lassen. Das ist ein Zeugnis, das nicht nur der Herr Jesus gibt, sondern Vers 22 und die folgenden Verse zeigen uns, daß auch Johannes das bezeugt und bestätigt. Er sagt in Vers 31: "Der von oben kommt, ist über allen" (auch er spricht also über Ihn als Den, der aus dem Himmel herniedergekommen ist), und in Vers 32: "Und was er gesehen und gehört hat, dieses be­zeugt er; und sein Zeugnis nimmt niemand an." Hier finden wir wieder dieselben beiden Hauptlinien: einerseits daß der Herr hier auf der Erde das bezeugt hat, was Er bei dem Vater gesehen und gehört hat, die himmlischen Dinge des Vater­hauses, die große Wahrheit dieses ganzen Evangeliums; andererseits daß die Welt Ihn nicht erkannt hat und also "niemand" ‑ nach der Verantwortlichkeit des Menschen ge­rechnet ‑ das Zeugnis angenommen hat. Johannes bestätigt das; zugleich nennt Er Christus Denjenigen, der von Gott gesandt ist, um die Worte Gottes zu reden (V. 34). Und was sind die Worte Gottes, was ist das Große, das Er entfalten wird? Johannes sagt es in Vers 36 (wie der Herr zuvor auch gesagt hat): "Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, wird das Leben nicht se­hen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm."

 

Das Zeugnis, das der Herr Jesus damals in Israel ablegte, war, daß sogar der bevorrechtigtste Israelit von neuem geboren werden mußte; und wenn das bei ihm der Fall war und er den Sohn kennenlernte und an Ihn glaubte, empfing er sogar die wunderbare himmlische Gabe des ewigen Le­bens. In Kapitel 4 sehen wir ‑ geradeso wie in Kapitel 1 ‑eine neue Entwicklung: wenn der Herr nämlich diesen himm­lischen Schatz anbietet, kann der nicht nur für Israel be­stimmt sein, sondern ist für die ganze Welt. Wir sehen das hier bei der samaritischen Frau. Das ewige Leben ist nicht auf Israel beschränkt, nein, die Familie Gottes besteht sogar zum größten Teil aus solchen, die nicht aus Israel sind. Wir hören hier in Kapitel 4, 42, "daß dieser wahrhaftig der Hei­land der Weit ist." Die Schätze des Vaterhauses können nicht auf ein einzelnes Volk beschränkt bleiben. Er ist der Heiland der Weit; und so kommt Er zu dieser halb‑heidni­schen Frau, nicht um ihr die Wiedergeburt darzulegen, son­dern die tiefste christliche Wahrheit, die wir eigentlich be­reits in Vers 10 angedeutet finden: "die Gabe Gottes." Gott offenbart Sich als der große Geber, und was gibt Er? Das, was Er in Seinem eigenen Haus besitzt, die Schätze des Vaterhauses, des ewigen Lebens, das wir jetzt in Ihm besit­zen, der das ewige Leben ist. Er gibt hier dieser Frau das lebendige Wasser, von dem wir später in Kapitel 7 lesen, daß es der Heilige Geist ist; und zwar in Verbindung mit dem Wort Gottes, denn davon ist Wasser an sich ein Bild. Der Heilige Geist ‑ diese typisch christliche Wahrheit erklärt der Herr Nikodemus noch nicht genauer ‑ ist ausgegossen und wird in uns eine Quelle Wassers. Mit welchem Ergebnis? Wie Vers 14 sagt: "Eine Quelle Wassers, das ins ewige Le­ben quillt." Durch die Kraft des Heiligen Geistes können wir alle diese Schätze kennen ‑ und verstehen lernen, die enthal­ten sind in diesen beiden Worten: das ewige Leben. Durch den Heiligen Geist dringen wir in die wunderbaren Güter des Vaterhauses ein, denn diese Quelle lebendigen Wassers quillt ins ewige Leben, um uns mit all den Schätzen, die sich im Vaterhaus vorfinden, in Verbindung zu bringen.

 

Dazu gehört in diesem Kapitel auch ein neuer Platz der An­betung, denn wo der Heilige Geist uns mit diesen Schätzen in Verbindung bringt, dort weckt er auch eine Anbetung des Vaters, der sie gegeben hat. Nicht mehr eine Anbetung, die an den Berg Gerisim oder an Jerusalem gebunden ist, son­dern eine Anbetung in Geist und Wahrheit: an einem geist­lichen Platz, in einer geistlichen Weise und vor allem auf die Wahrheit gegründet, die der Sohn im Blick auf den Vater vollkommen entfaltet hat. Auf dieser geistlichen, christlichen Grundlage haben wir als die Familie Gottes ‑ größtenteils aus den Nationen, wie diese samaritische Frau ‑ die Kennt­nis der vollen Wahrheit Gottes, und in der Kraft des Heiligen Geistes dürfen wir den Vater und den Sohn anbeten. Der Herr Jesus legt weiterhin dar, daß dies für die ganze Welt ist ‑ die Felder sind weiß zur Ernte (V. 35), und die Frucht für den, der erntet, ist Frucht zum ewigen Leben (V. 36) ‑ und bleibt noch zwei Tage dort (V. 43); viele sind der Meinung, daß sie auf die zweitausend Jahre der christlichen Haushal­tung hinweisen.

 

Hiernach finden wir schließlich wieder dasselbe wie in den "Tagen" von Johannes 1 und 2: Nach der Haushaltung der Christenheit wird erneut ein Zeugnis in Israel entstehen. Wir sehen, daß der Herr Jesus wieder nach Kana zurückgekehrt ist (siehe den "dritten Tag" in Kapitel 2), wo Er das ­Wasser zu Wein gemacht hatte (V. 46). Dort war ein königlicher Beamter in Kapernaum, dessen Sohn krank war. In der Heilung dieses Sohnes haben wir im Bild einen Hinweis, wie der Herr Sich nach der christlichen Haushaltung wieder über Israel erbarmen wird. Hier in Galiläa wird immer der jüdische Oberrest gesehen, den Er heilen und in die Segnun­gen einführen will; deshalb wird dieser Abschnitt auch mit den Worten von Vers 54 abgeschlossen: "Dies tat Jesus wiederum als zweites Zeichen, als er aus Judäa nach Galiläa gekommen war." Daran erkennen wir, daß wir den ersten Teil dieses Evangeliums in Kapitel 1, 1‑2,12 und den zwei­ten Teil in Kapitel 2, 13 ‑ 4, 54 finden. Dieses Evangelium ist recht schwierig in seinen Besonderheiten, doch seine Einteilung ist verhältnismäßig einfach.

 

In Kapitel 5 beginnt ein neues Thema, das bis Kapitel 7 einschließlich durchläuft; diese Kapitel führen einen neuen Gedanken ein, und zwar diesen: Wenn der Sohn des Vaters auf die Erde gekommen ist, gibt Gott Zeugnis über Ihn; der Heilige Geist zeigt uns das ewige Leben, und wir werden entdecken, daß dies nichts anderes ist als der Sohn des Vaters Selbst. Um zu verstehen, was die Schätze des Vater­hauses sind ‑ und sie sind nichts anderes als der Sohn des

Vaters Selbst ‑ ist es notwendig, zuerst die Herrlichkeiten des Sohnes Gottes kennenzulernen, und zwar in drei Phasen (Kap. 5; 6; 7). Jedes Kapitel enthält eine neue Beschreibung des Sohnes Gottes, veranlaßt durch ein bestimmtes Ereig­nis; in Kapitel 5 ist das die Heilung eines Kranken, der acht­unddreißig Jahre krank war. Diese achtunddreißig Jahre waren auch die Zeitspanne, in der sich das Volk Israel in der Wüste unter dem Gesetz befand. Wir sehen hier jemanden im Griff des Gesetzes, eines heiligen, gerechten und guten Gebotes, das jedoch durch das Fleisch kraftlos war. Dieser Mann wird von dem Herrn Jesus am Sabbath geheilt, denn durch den Sohn Gottes sind Gnade und Wahrheit geworden, die außerhalb des Systems des Gesetzes in der Lage sind, einen Lahmen zu heilen. Daraufhin sehen wir, wie die Juden die richtige Schlußfolgerung ziehen (V. 18), nämlich daß Er nicht nur den Sabbath brach, also das System des Gesetzes beiseite setzte, sondern auch sagte, daß Gott Sein eigener Vater ist und Sich damit Gott gleich machte. Letzteres ver­standen sie besser als viele "Christen": daß Gott Sein Vater war, bedeutete tatsächlich, daß Er Selbst Gott war!

 

Das ist auch genau das, was Kapitel 5 uns deutlich machen will. Es zeigt uns eine göttliche Person auf der Erde, dem Vater gleich und doch abhängig vom Vater ‑ abhängig ist nicht dasselbe wie niedriger in einer Rangordnung ‑, voll­kommen eines Willens und in Harmonie mit dem Vater. So sagt Er Selbst: "Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den Vater tun sieht" (V. 19); doch auch der Va­ter tut nichts außerhalb des Sohnes (V. 21f. 26). Nicht ein Mensch, Gott unterworfen auf der Erde, sondern der Sohn wird uns hier vorgestellt, dem Vater gleich. Und nicht nur das: Der Vater gibt Ihm auch zwei Dinge; da der Sohn voll­kommen abhängig ist, nimmt Er alles, sogar wenn es um die Dinge geht, die Er von Ewigkeit besitzt, aus der Hand des Vaters an. Wir sehen hier, daß der Sohn zwei Dinge tut: Er macht lebendig, welche Er will (V. 21. 26), und Ihm ist das ganze Gericht übergeben (V. 22. 27‑30). Gibt es einen deut­licheren Beweis, wer Er ist? Er hat Leben in Sich Selbst, sagt Vers 26, ebenso wie der Vater Leben in Sich Selbst hat, denn beide sind göttliche Personen. Gott der Sohn hat unum­schränkte Gewalt, Leben zu geben, wem Er will. Doch der Vater hat Ihm auch das ganze Gericht gegeben, und das ist ebenfalls ein Beweis, daß Er eine göttliche Person ist, denn das ganze Gericht kann nur von Gott ausgeübt werden. Hier wird jedoch auch noch ein zweiter Grund angegeben. In Vers 27 steht: "Und er hat ihm Gewalt gegeben, auch Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist." Nicht: Der Sohn des Menschen, als ginge es um diesen Titel, sondern: weil Er des Menschen Sohn ist, das will sagen, weil Er wahrhaf­tig geborener Mensch ist. Der Vater hat Ihm das Gericht gegeben, nicht nur, weil der Sohn der Schöpfer ist (1, 3) ‑obwohl Er aufgrund davon auch ein Recht auf die ganze Schöpfung hat ‑, sondern das Besondere ist hier gerade, daß es ein Mensch ist, der die ganze Schöpfung richten wird. Die Welt hat Ihn verworfen ‑ nun, es ist dieser Mensch, der das Gericht über diese Welt ausüben wird. Er hat Leben in Sich Selbst und teilt es nun als Mensch mit Mitmenschen, und Er hat alles Gericht empfangen, nicht nur, weil Er der Sohn des Vaters ist, sondern weil Er Mensch geworden ist. Und dann sehen wir, wie Er dieses Gericht ausübt: in der Stunde der Auferstehung wird es eine Auferstehung zum Leben und eine Auferstehung zum Gericht geben.

 

Dies ist die Seite der Allmacht Gottes; Er gibt Leben, wem Er will, und Er richtet entsprechend Seiner souveränen Macht. Es gibt aber auch eine andere Seite, nämlich die der menschlichen Verantwortlichkeit; dafür gilt, was in Vers 24 steht: "Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich ge­sandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht." Dieser bekommt mit dem Sohn zu tun als Dem, von dem er das Leben empfängt, und andererseits als Dem, der ihn vor dem Gericht bewahrt. Diese Seite der Verantwortlichkeit ist auch wichtig, und deshalb ist der weitere Verlauf dieses Ka­pitels aufgebaut auf eine Schilderung der vier großen Zeug­nisse, die von dem Herrn Jesus gegeben sind, so daß wir uns unmöglich entschuldigen könnten. Das erste ist das Zeugnis Johannes des Täufers (V. 33): "Er hat der Wahrheit Zeugnis gegeben." Das zweite ist in Vers 36: "Die Werke selbst, die ich tue, zeugen von mir, daß der Vater mich ge­sandt hat." Das dritte ist in Vers 37: "Und der Vater, der mich gesandt hat, er selbst hat Zeugnis von mir gegeben." Und das vierte ist in Vers 39: "Ihr erforschet die Schriften ... und sie sind es, die von mir zeugen", wie das später auch von Mose steht: "Denn er hat von mir geschrieben" (V. 46). Vier mächtige Zeugnisse, denen ein Mensch sich nicht entziehen kann, ohne das Gericht auf sich zu ziehen. Johannes hatte zuvor von Ihm gezeugt, in den Werken des Herrn wurde of­fenbar, wer Er war, der Vater hatte von Ihm gezeugt bei Sei­ner Taufe, indem der Himmel sich öffnete und die Stimme des Vaters erklang, und die Schriften hatten Ihn lange zuvor angekündigt. Und das letzte ist durchaus nicht das geringste Zeugnis, denn in Vers 47 heißt es: "Wenn ihr aber seinen [Moses] Schriften nicht glaubet, wie werdet ihr meinen Wor­ten glauben?" Das bedeutet, daß der Herr sogar die Schrif­ten des Alten Testamentes über Seine eigenen Worte stellte, so wichtig ist das Zeugnis der Schriften.

 

Kapitel 6 zeigt uns eine völlig andere Seite der Wahrheit: nicht den Sohn Gottes, der Leben hat und Leben gibt, son­dern den Sohn des Menschen, der Sein eigenes Leben in den Tod gibt. Der Anlaß für diese Entfaltung ist das Passah (der Tod des Passahlammes!) und die Speisung der Fünftausend. Diese Speisung entsprach der Erwartung Israels, daß der Messias kommen würde, um sie mit Brot zu sättigen (vgl. Ps 132,15). Sie knüpfen auch sofort daran an und nennen Ihn den Propheten, "der in die Weit kommen soll" (V. 14), und in Vers 15"den König". Aufgrund dieses Bekenntnisses kann der Herr jedoch nicht mit ihnen in Verbindung treten. Er zieht Sich zurück und geht "wieder auf den Berg, er selbst allein". Die Funktion, die der Herr in diesem Augenblick ausübt, ent­spricht nicht der des Propheten, auch nicht der des Königs, sondern allein der des Priesters: betend auf dem Berg, die Seinen vertretend, die auf dem Wasser vom Sturm umtost sind. Das zeigt dann zugleich wieder in dieser Geschichte ‑ denn deshalb werden die Ereignisse in diesem Evange­lium beschrieben ‑ eine Reihe von Grundsätzen, die der Herr Jesus ausschließlich in Seinen eigenen Worten entwik­kelt, nämlich daß Er nicht aufgrund der Erwartung Israels mit ihnen in Verbindung sein kann, sondern daß Er Sein Le­ben auf der Erde geben muß und daß Er zurückkehrt zum Himmel und Seine eigene Familie hier auf der Erde besitzen wird, für die Er Sich völlig einsetzen wird.

 

Hier finden wir Ihn also nicht als den Sohn Gottes, der Leben hat und Leben gibt, sondern als den Sohn des Menschen, der Blut und Fleisch angenommen hat, um es in den Tod zu geben. "Die Speise, die da bleibt ins ewige Leben, welche der Sohn des Menschen euch geben wird", sagt Vers 27; doch wie? Die Antwort steht in Vers 32: "Sondern mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel", und in Vers 35: "Ich bin das Brot des Lebens", und in Vers 51: Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herniederge­kommen ist." Das ist also nicht der Messias, der Sein Volk mit gewöhnlichem Brot speist, sondern es ist viel mehr; hier haben wir das lebendige Brot selbst, das aus dem Himmel herniedergekommen ist; nicht, um Brot zu geben, sondern um Sich Selbst als das Brot zu geben. Und wie? Wie es hier  steht: "Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch,  welches ich geben werde für das Leben der Welt" (V. 51). Und in Vers 53: "Es sei denn, daß ihr das Fleisch des Sohnes des Menschen esset und sein Blut trinket, so habt ihr kein Leben in euch selbst." Das ist eine völlig neue Offenbarung. Wir haben bis hierher gesehen, daß der Sohn des Vaters auf die Erde gekommen ist, um das wahre Leben zu entfalten und uns dieses Leben zu schenken, doch nun lernen wir etwas Neues; nämlich daß ein Mensch dieses ewige Leben nur dadurch empfangen kann, daß der Herr Jesus nicht nur der Sohn Gottes ist ‑ als solcher hat Er das ewige Leben in Sich Selbst ‑, sondern daß Er auch der Sohn des Menschen geworden ist, wahrhaftig Mensch von Fleisch und Blut, um Sein Fleisch und Blut in den Tod zu geben. Denn dieses ewige Leben haben wir empfangen als ein Leben, das durch den Tod gegangen ist; das ewige Leben ist uns erst ge­schenkt worden, nachdem es Auferstehungsleben geworden ist, nachdem das Leben den Tod überwunden hatte.

 

Das ist eine besondere, neue Belehrung. Es reicht nicht aus, daß der Sohn Leben gibt, wem Er will; dazu kommt die Not­wendigkeit, daß Er als Sohn des Menschen in den Tod ging. Menschen wie du und ich sollten sich von einem gestorbenen Christus nähren, um aufgrund Seines Todes das ewige Le­ben zu besitzen, während der Herr Selbst in der Zwischenzeit zum Himmel zurückgekehrt ist: "Wenn ihr nun den Sohn des Menschen dahin auffahren sehet, wo er zuvor war" (V. 62). Hier finden wir den vollständigen Gedankengang: Er ist ge­storben, Er ist auferweckt und zum Vater zurückgekehrt und läßt hier auf der Erde die Familie Gottes zurück. Sehen wir, wie wir jedesmal mehr über diese Familie Gottes erfahren? Es begann in Kapitel 1 mit der Feststellung, daß sie durch den Glauben an den Namen des Herrn Jesus Kinder Gottes waren; dort [ernten wir sehen, daß das Leben, das die Kinder Gottes besitzen, das ewige Leben des Sohnes ist, und nun lernen wir, wie sie es bekommen, nämlich dadurch, daß der Herr gestorben ist und das Leben durch den Tod gegangen und Auferstehungsleben geworden ist. Das ist nun der Besitz der Familie Gottes ‑ also der Versammlung, obwohl Johan­nes sie selbst niemals so nennt ‑ während der Herr dorthin aufgefahren Ist, wo Er zuvor war.

 

Das steht in Verbindung mit der dritten Phase, die wir in Ka­pitel 7 haben. Wir finden dort wieder eine neue Wahrheit, nämlich daß der Herr Jesus nun in der Tat droben im Himmel ist, nicht nur als der Sohn, der im Schoß des Vaters ist, son­dern als verherrlichter Mensch im Himmel. Das wird auch wieder in Verbindung gebracht mit einem Ereignis, nämlich dem Laubhüttenfest. Wie das Passahfest in Kapitel 6 in Ver­bindung gebracht wurde mit dem Tod des Lammes Gottes, so wird das Laubhüttenfest, das die Erfüllung aller Regie­rungswege Gottes ist, in Verbindung mit dem verherrlichten Menschen im Himmel gebracht. Das sehen wir, als der Herr schließlich auch Selbst nach Jerusalem hinaufgeht und dort sehr viel über Seine Person diskutiert wird ‑ worüber ich nun nicht sprechen möchte ‑, die Er beschließt mit den Wor­ten in Vers 33: "Noch eine kleine Zeit bin ich bei euch, und ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat" usw. Doch dann zeigt Er in den folgenden Versen, was die Folgen dieses Hingehens sein würden. Er sollte verherrlicht werden; (vgl. V. 39): "Weil Jesus [damals] noch nicht verherrlicht worden war", doch Er sollte verherrlicht werden. Was das in sich schloß, offenbart Er an diesem achten, dem großen Tag des Laubhüttenfestes. Nachdem die sieben Tage vollendet sind, die den Abschluß der Wege Gottes mit Israel bilden, kommt der achte Tag, der eine völlig neue Ordnung einleitet, neue Grundsätze Gottes, die einmal in einem neuen Himmel und auf einer neuen Erde gelten werden, im ewigen Zustand, wenn der Heilige Geist auf alles Fleisch ausgegossen sein wird (mit Ausnahme natürlich der Ungläubigen). Doch wir, die Familie Gottes, gehören bereits jetzt zu diesem letzten, dem großen Tag des Festes, zu diesem neuen Zustand der Dinge. Wir gehören nun bereits nicht mehr zu diesem Kos­mos (17, 4), dieser Schöpfung, sondern zu der Sphäre und der Ordnung des Vaterhauses. Und was haben solche für ein Kennzeichen? Wenn sie an Christus glaubten, würden Ströme lebendigen Wassers aus ihrem Leibe fließen. Das sagt Er von dem Heiligen Geist, der auf solche ausgegossen werden würde, nachdem der Herr verherrlicht war, denn hier steht: "Noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war." Wenn Er als Sohn für Sein Werk von dem Vater verherrlicht werden und zur Rechten Gottes sein würde, dann sollte als Ergebnis davon der Heilige Geist herniederkommen, um in den Seinen zu wohnen. Das geht also weiter als Johannes 4: Dort ist der Heilige Geist eine Quelle, die uns mit den Segnungen des ewigen Lebens in Verbindung bringt; doch hier wird der Geist in uns selbst eine Quelle, die zu anderen Ströme lebendigen Wassers ausströmt, um auch andere mit diesen Segnungen in Verbin­dung zu bringen.

Wir sehen, daß diese Offenbarung nur den Haß der Juden noch steigert, so daß sie Ihn greifen wollen, doch der Herr zieht Sich zurück. Damit enden diese drei Kapitel, in denen wir eine Entfaltung der verschiedenen Aspekte Seiner Herr­lichkeit haben: Einmal ist Er der Sohn Gottes, der das Leben ist, dann der Sohn des Menschen, der Sich in den Tod ge­geben hat, und schließlich Derjenige, der nun bei Gott ver­herrlicht ist und den Heiligen Geist gegeben hat. Doch da­nach finden wir einen neuen Gegenstand, und wieder in drei Kapiteln: acht, neun und zehn. Darin sehen wir die traurigen Konsequenzen dieser Entfaltung Seiner Herrlichkeit, nämlich (wie wir bereits früher gesehen haben) daß Sein Zeugnis und Seine Person verworfen werden. Auch das wird hier in drei Phasen geschildert. Wir haben zuerst eine Einleitung, nämlich die Begebenheit mit der Ehebrecherin. Der Herr nimmt dieses Ereignis zum Anlaß, um zu zeigen, daß das ganze Volk unter der Sünde lag: alle, die die Frau angeklagt hatten, wurden in ihren Gewissen getroffen, und zwar zuerst die Ältesten. Dieser allgemeine Grundsatz, daß der Mensch in der Sünde [legt und also das Zeugnis des Herrn nicht an­nehmen kann, wird dann weiter entfaltet.

In Kapitel 8, 12‑30 wird das erste verworfen, das Wichtig­ste: die Person des Herrn Selbst. Dort geht es darum, was Er in Sich Selbst ist; Er ist das Licht der Welt und der Ge­sandte des Vaters. Und wenn man fragt: "Wer bist du?" sagt Er in Vers 25: "Durchaus das, was ich auch zu euch rede." Das will sagen: Was Er auch sagte, war die vollkommene Entfaltung dessen, was in Ihm war; und gerade das verwar­fen sie. Deshalb war dies das Ärgste, denn es bedeutete die Verwerfung Seiner eigenen Person. Er hatte Sich als das geoffenbart, was Er in Sich wirklich war: als das Licht, das Leben, der Gesandte des Vaters, als Der, der von oben war, der nicht von dieser Weit war; doch jede Herrlichkeit Seiner Person war verworfen. Sie würden jedoch einmal selbst er­kennen müssen, wer Er war, nämlich (V. 28) wenn Er als der Sohn des Menschen erhöht sein würde.

 

Danach wird von Vers 31 bis zum Ende dieses Kapitels das zweite verworfen, und das ist Sein Wort, das Er gesprochen hat. Das Wort, das Er sprach ‑ nicht nur "die Worte", son­dern "Sein Wort", wie in Kapitel 1 steht, daß Er das Wort Gottes war ‑, war gerade die Entfaltung dessen, wer der Vater, wer Gott war. Es war die volle geoffenbarte Wahrheit, von der Er sagt: "Die Wahrheit wird euch frei machen" (V.32) und: "Der Sohn wird euch frei machen" (V. 36). Die volle Wahrheit konnte sie von der Macht der Sünde, in der sie sich als Sklaven befanden, frei machen. Doch sie verwarfen diese Wahrheit, und zwar in einer solch schrecklichen Weise, daß der Herr sie nicht nur nicht Kinder Abrahams nennen wollte, sondern sie sogar Kinder des Teufels nennt (V. 44): Sie hat­ten den Teufel zum Vater. Aus der Reaktion des Volkes ist wirklich ersichtlich, was in ihren Herzen war: sie nennen Ihn einen Samariter (V. 48) und sagen von Ihm, daß Er einen Dä­mon hat. So haben sie sogar Seine Offenbarung der Wahr­heit, alles dessen, was Er nach dem Ratschluß des Vaters entfalten sollte und weswegen Er gekommen war, verworfen, und das in einer solch groben, lästerlichen Weise.

 

In Kapitel 9 finden wir die dritte Verwerfung, nämlich die Ver­werfung dessen, was Er tat, Seines Werkes. Wir sehen also zuerst die Verwerfung Seiner Person, dann die Seines Wor­tes und dann die Seines Werkes. Was war das Werk, das Er tat? Es wird hier in der Begebenheit mit dem Blindgebore­nen erläutert, nämlich die Absonderung der Seinen aus dem Volk, hinein in die Familie Gottes. Das war gerade das Kenn­zeichnende Seines Werkes, und darin halfen sie Ihm sozu­sagen in ihrem Haß, indem sie nämlich die Seinen hinaus­warfen. Nachdem dieser Blindgeborene geheilt und ins Licht gekommen war und immer weiter in diesem Licht wuchs, so daß er immer besser lernte, wer der Herr Jesus war, betete er Ihn schließlich als den Sohn Gottes an. Das ist es, was der Herr ganz allgemein tut: Er bringt einen Menschen ins Licht, wie hier im Volk Israel, und dieses Licht führt schließlich dazu, daß dieser Mensch den Herrn kennenlernt als Den, der Er wirklich ist, als den Sohn des Vaters, und Ihn als solchen anzubeten lernt. Doch was tut das Volk Israel als Ganzes? Sie warfen den Geheilten aus der Synagoge. Das steht dort mit einem einzigen Wort, doch es ist von allergrößter Bedeu­tung in diesem Evangelium. Die Tatsache, daß sie ihn aus der Synagoge warfen, bedeutet, daß jemand, der zur Familie Gottes gehört, keinen Platz mehr in der Mitte des Volkes Israel hat. An diesen wichtigen Punkt schließt Kapitel 10 genau an.

 

In Kapitel 10 lehrt der Herr Jesus, daß das, was die Juden getan haben ‑ nämlich den Blindgeborenen aus ihrer Syna­goge werfen ‑ eigentlich das ist, was Er beabsichtigt. Er hat nämlich keine Verbindung mehr mit "dem Hof" als Ganzem (der Hof ist Israel), sondern ruft als der gute Hirte Seine eigenen Schafe aus dem Hof heraus. Er kann Sich nicht mehr dem Volk als Ganzem anschließen ‑ die Seinen haben Ihn nicht angenommen ‑, sondern Er ruft gerade aus diesem Volk Israel diejenigen, die Ihm angehören, Seine eigenen Schafe, die Seine Stimme kennen, nach draußen. Und wo­durch kennen sie Seine Stimme? Dadurch, wie später in die­sem Kapitel steht, daß der Sohn ihnen das ewige Leben gibt. Dadurch, daß sie den Sohn als ihr Leben besitzen, kennen sie Seine Stimme und sind fest mit Ihm verbunden, in Seinen Händen geborgen, und niemand kann sie aus Seiner Hand und aus der Hand des Vaters rauben.

 

Doch wenn Israel Ihn so vollständig verworfen hat, wie wir das bis hierher gefunden haben, so daß Er schließlich sogar mit dem Hof als Ganzem nichts mehr zu tun haben kann und Seine eigenen Schafe aus diesem Hof nach draußen führt, dann ist es klar, daß Er Sein Zeugnis nicht (mehr) auf Israel beschränkt, sondern auf alle Völker ausdehnt. Was im Vor­bild in Kapitel 1, 35‑42 angedeutet wurde und der Herr in Kapitel 4, 21‑24. 35. 42 in Verbindung mit der samaritischen Frau andeutete, finden wir hier noch direkter in Kapitel 10: Er hat noch andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind. Das hören wir nun erst deutlich, nachdem Er in Israel voll­ständig verworfen ist; nun hören wir, daß Er nicht nur Seine Schafe in Israel hat, die Er davon löst, absondert, sondern daß Er auch andere Schafe hat, die Er aus allen Nationen zu­sammenbringen und zu e i n e r Herde unter e i n e m Hir­ten vereinigen wird. Und was wird sie verbinden? Die Tat­sache, daß sie alle den Sohn Gottes, der Sich für sie in den Tod geben wird, als das ewige Leben besitzen werden. Es wird e i n e Familie werden, gekennzeichnet durch das eine neue, ewige Leben, das ihr Teil sein wird. Hier finden wir einen Hinweis darauf, daß dies geschehen wird. Doch wir lesen hier auch, geradeso wie in Kapitel 6, wie das gesche­hen wird. Wie werden die Schafe dieses Leben empfangen? Dadurch, daß der gute Hirte zuerst Sein Leben für die Schafe ließ. Sie werden das Leben empfangen, nachdem es durch den Tod gegangen und Auferstehungsleben geworden ist.

 

Daß Er Sein Leben ließ, geschah nicht nur aus Liebe zu den Schafen, sondern war auch das Gebot des Vaters (V. 17f). Ist das nicht wunderschön? Es war nicht nur das Gebot des Vaters, daß Er das wahre Leben hier auf der Erde entfalten sollte, sondern es war auch Sein Gebot, daß der Sohn das Leben lassen sollte. Denn erst, wenn das Leben durch den Tod gegangen war, konnte es Menschen wie du und ich, die von Natur im Tod lagen, geschenkt werden. Nur so können wir das ewige Leben empfangen. Deshalb mußte Er Sein Le­ben darlegen; doch darin gab Er zugleich Seinem Vater eine besondere Gelegenheit, Ihn zu lieben, wie Dieser Ihn noch niemals früher hatte lieben können; denn noch niemals war der Sohn auf der Erde gewesen, um Sein Leben zu lassen. Dies weckte in einer völlig neuen Weise die Liebe des Vaters.

 

Nachdem der Herr Jesus dies noch weiter entfaltet hat (Vers 25‑38), könnten wir denken, daß damit das Zeugnis in Israel vollendet ist, daß es nun für sie ein für allemal vorbei ist und daß Er mit Israel nichts mehr zu tun hat. Doch Gott hat noch nicht das letzte Wort gehabt! Gott hat vor dem Kreuz noch eine letzte Botschaft an dieses Volk als Ganzes, nicht so sehr, um sie zur Bekehrung zu bringen, sondern um ihnen ein absolutes Zeugnis der Herrlichkeit Seines Sohnes zu ge­ben, ein Zeugnis, das sie dem Herrn schuldig waren, das sie Ihm jedoch vorenthalten hatten. Sie haben Ihn nicht ange­nommen als den Sohn des Vaters, als Den, der gekommen ist, um die Herrlichkeit Gottes zu entfalten, der gekommen ist, um das ewige Leben zu offenbaren. Nun, sagt Gott, dann werde Ich dieses Zeugnis von Ihm ablegen. Das finden wir in den Kapiteln 11 und 12; zuerst in Kapitel 11 die Auferwec­kung des Lazarus. In Vers 4 haben wir den Schlüssel, wo der Herr sagt: "Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, auf daß der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde." Das ist das Ziel; Gott wird verherr­licht, aber auf daß der Sohn verherrlicht wird. Und was will Gott in dem Sohn verherrlichen? Daß der Sohn das Leben ist und das Leben gibt, wem Er will. Israel hatte Ihn als solchen nicht anerkannt, deshalb legt Gott dieses Zeugnis von Ihm ab. Zuerst deutet der Herr es selbst in Vers 25 an, daß Er die Auferstehung und das Leben ist und daß Er die Macht hat, Leben zu geben, das bleibt, sogar wenn jemand gestorben ist. Das wird von Martha und Maria nicht verstanden, bis der Herr es schließlich Selbst beweist, indem Er Lazarus aus dem Grabe herausruft. Er sagt in Vers 40: "Habe ich dir nicht ge­sagt, wenn du glauben würdest, so würdest du die Herrlich­keit Gottes sehen?" Und sie sahen sie: Gott wurde verherr­licht, der Vater wurde verherrlicht (V. 41f), und der Sohn wurde verherrlicht, indem Er Lazarus auferweckte durch Seine Macht als Gott der Sohn und doch nicht unabhängig vom Vater, sondern in vollkommener Willenseinheit mit Ihm (V. 41 f). Der Sohn handelt aus Gehorsam zum Vater, und der Vater handelt, um den Sohn darin zu verherrlichen.

 

Das wird in bezeichnender Weise durch das Zeugnis des Menschen selbst bestätigt; Gott ruft durch ihn ein Zeugnis hervor, das dieser aus eigenem Antrieb nicht hatte ablegen wollen. Ich meine damit das, was der Heilige Geist durch Kajaphas In Vers 50 sagt: "Es ist euch nützlich, daß ein Mensch für das Volk sterbe und nicht die ganze Nation um­komme." Gott gebraucht zu diesem Zeugnis sogar den Mund eines Ungläubigen, denn dieses Wort war nach dem Herzen Gottes: einen Menschen hinzugeben, damit Er für das Volk stürbe, und nicht nur für das Volk, sondern auch, auf daß die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelt würden (V. 52): die zerstreuten Kinder Gottes, sowohl die aus Israel als auch die "anderen Schafe", die nicht aus dem "Hof" Israels waren, damit sie zu e 1 n e r Herde mit diesem e i n e n Menschen als Hirten zusammengefügt werden konnten.

 

Das ist die liebliche Familie Gottes, die der Herr Jesus bilden wollte; Er würde allen das ewige Leben schenken, und sie würden auf diese Weise zu einer Familie zusammengefügt werden. Wieder sehen wir, wie Johannes dies in Bildern dar­legt, und zwar am Anfang von Kapitel 12. Dort sehen wir eine Szene, wie wir sie heute in der Versammlung finden, der Familie Gottes: wir sehen den Herrn Jesus in der Mitte; Maria, Martha und Lazarus, jeder in verschiedener Weise, sind ein Bild der Gläubigen der christlichen Haushaltung. Dort bringt Maria dem Herrn ihre Narde dar, worin sie die Herrlichkeit ausdrückt, die sie in dem Herrn gefunden hat, im besonderen Seine Herrlichkeit in Seinem Tod und Seiner Auferstehung, denn sie salbt Ihn auf den Tag Seines Begräb­nisses (V. 7). Das ist auch unser herrliches Vorrecht heutzu­tage: In einer Welt, in der Er keine Herrlichkeit gefunden hat, die Ihn nicht erkannt hat, dort sind wir die Familie Gottes, abgeschieden von dem Getümmel der Weit, wo wir Ihm die Herrlichkeit darbringen, die wir zuvor in Ihm gefunden haben.

 

Doch geradeso wie in den ersten Kapiteln dieses Evangeli­ums, finden wir hier im Vorbild wiederum die verschiedenen Aspekte der Wege, die Gott nach der christlichen Haushal­tung gehen wird. Wir sehen, wie Er als der Sohn Davids Sei­nen Einzug in Jerusalem hält. Er ist nicht nur verherrlicht als der Sohn Gottes und der Sohn des Vaters (Kap. 11 und An­fang Kap. 12), sondern Gott bewirkt durch die Kraft des Hei­ligen Geistes auch ein Zeugnis in bezug auf Ihn als den Sohn Davids. Sehen wir, wie Gott alles in der Hand hat? In diesem ablehnenden Volk bringt Gott trotzdem ein herrliches Zeug­nis zustande, sowohl von Ihm als dem Sohn des Vaters wie auch als dem Sohn Davids, indem Er im Herzen dieser Men­schen wirkt, den Herrn Jesus mit den Worten zu empfangen: "Hosanna! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels!" Das ist Gottes Allmacht.

 

Dieser Einzug ist natürlich ein Bild der künftigen Einführung des Friedensreiches, wenn der Herr Jesus wiederkommen und erneut Seinen Einzug halten wird. Deshalb finden wir hier auch noch eine dritte Phase (V. 20f): Ins Friedensreich werden auch die Völker eingeführt werden, wie hier diese Griechen, die kommen werden, um die Herrlichkeit des Herrn Jesus zu bewundern. Und was ist eigentlich die Herrlichkeit, die sie sehen werden? Davon spricht der Herr in Vers 23: Er geht einerseits auf ihre Erwartung ein, indem Er sagt: "Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen ver­herrlicht werde." Doch Er gibt zugleich an ‑ wir haben das bereits früher gesehen ‑, auf weichem Weg der Sohn des Menschen verherrlicht wird: indem Er durch den Tod geht. Der Sohn des Menschen ist Derjenige, dessen Füßen alles unterworfen werden wird; doch Er kommt zu dieser Krone über das Kreuz, denn Er muß zuerst als das Weizenkorn in die Erde fallen und sterben, denn nur so kann Er Frucht bringen. Das ist also wieder das Zeugnis von Johannes 6: Es kann allein dann eine Familie Gottes geben, wenn das Weizenkorn stirbt; nur so kann Er das Brot des Lebens sein, um uns das Leben zu geben.

 

Und nicht nur das. Nur so wird auch der Vater verherrlicht (V. 27f): Der Herr sagt, daß Er in diese schreckliche Stunde gekommen ist, um den Namen des Vaters zu verherrlichen. Bei diesem Wort öffnet sich der Himmel und Gott sagt: "ich habe [ihn] verherrlicht", das will sagen: Ich habe Meinen Namen verherrlicht am Grabe des Lazarus, als Lazarus von Meinem Sohn herausgerufen wurde, als Er Seine göttliche Herrlichkeit durch Totenauferstehung bewies, da habe Ich Meinen Namen verherrlicht, und darin wird Mein Sohn ver­herrlicht. "Und", sagt der Vater, "werde [ihn] auch wiederum verherrlichen": Ich werde Meinen Namen wiederum verherr­lichen, indem der Sohn nicht nur den Toten das Leben geben wird, sondern indem der Sohn Selbst durch den Tod gehen und das Leben wieder nehmen wird. Das ist die Verherrli­chung in der Auferstehung. Der Vater sagt: Ich werde Meinen Namen wiederum verherrlichen, dadurch, daß der Sohn Sein Leben in den Tod gibt und es wieder nimmt (wie der Herr Selbst in Kapitel 10, 18 angekündigt hatte). Dadurch wird der Vater in noch herrlicherer Weise verherrlicht als am Grab des Lazarus.

 

Das bringt uns zu dem Kernpunkt in diesem Evangelium, dem endgültigen Abschluß des Zeugnisses in Israel. Alles steht nun fest: Der Herr muß sterben und wird auferweckt werden, und der Vater wird dadurch Seinen Namen verherr­lichen. Damit (wie V. 31f. zeigt) ist dann auch alles entschie­den. Wenn Er von der Erde erhöht sein wird, wird Er alle zu Sich ziehen. Er wird die Familie Gottes um Sich versammeln; gleichzeitig ist damit das Urteil über diese Welt gefällt (V. 31) und der Oberste dieser Weit wird hinausgeworfen. Der Ver­lauf der weiteren Ereignisse liegt fest. Nun kommt auch die göttliche Herrlichkeit des Herrn noch klarer ans Licht, indem der Heilige Geist Ihn in den Versen 37‑43 als den Jehova des Alten Testamentes vorstellt in der Herrlichkeit Dessen, der in Jesaja 6 auf dem himmlischen Thron saß, und dieselbe Schriftstelle wird gebraucht, um zu zeigen, daß Sein Volk diese Herrlichkeit verworfen hatte. Deshalb spricht der Herr schließlich Seine letzten Worte inmitten des Volkes aus, und der Inhalt dieser Worte ist ganz einfach der: Wer glaubt, der wird errettet, und wer nicht glaubt, wer schließlich das letzte Zeugnis verwirft, geht verloren.

 

Das sind tatsächlich die letzten Worte an dieses Volk. Was wir in den Kapiteln 13‑16 finden, sind die Worte, die der Herr nur zu den Seinen gesprochen hat. Das Zeugnis ist vollendet, die Familie Gottes ist abgesondert, wenigstens diejenigen, die den allerersten Teil der Familie ausmachen. Er hat im Augenblick weder mit der Welt noch mit dem "Hof", Israel, etwas zu tun. Er hat Seine eigene Familie abgesondert, das sind diejenigen, denen Er unmittelbar nach Seiner Auferste­hung das ewige Leben, das Er verheißen hat, schenken wird. Und warum versammelt Er nun (in Kapitel 13) diese Familie um Sich? Weil Er sie verlassen wird: Er wird sterben, aufer­stehen und verherrlicht werden. Alles, was wir in den Kapiteln 13‑16 finden, wird in dem ersten Vers zusammengefaßt: die Stunde war gekommen, daß Er aus dieser Welt zu dem Vater hingehen sollte. Das ist das erste: Seine Stunde war gekommen, Er würde zum Vater in das Vaterhaus zu­rückkehren, und die Seinen würden auf der Erde zurück­bleiben. Sie würden nur scheinbar allein gelassen wer­den, und das machte sie traurig. Doch in all den Be­lehrungen, die Er hier gibt, entfaltet Er, daß es keine Verarmung für sie bedeutete, daß Er zum Vater zurück­kehrte, sondern gerade eine Bereicherung. Nur so, zum Beispiel (vgl. Kap. 7, 39), konnte Er den Heiligen Geist auf die Erde senden. In der Liebe Seines Herzens entfaltet Er all die Segnungen, die die Folge der Tatsache sein würden, daß Er zum Vater zurückkehrte. Ja, das war tatsächlich Seine Liebe, denn der zweite Teil dieses Verses sagt: Er hat die Seinen, die in der Welt waren, geliebt, und zwar geliebt bis ans Ende. Bis ans Ende des Kreuzes, bis in die tiefste Tiefe, doch auch bis ans Ende des Vaterhauses; Er würde selbst dort, wenn Er scheinbar weit von ihnen entfernt sein würde, ihnen die ganze Liebe bezeugen, die in Seinem Herzen war.

 

Und deshalb ist es so schön, daß diese Kapitel mit der Fuß­waschung beginnen. Sie ist, für sich selbst gesehen, ein Bei­spiel für die Jünger ‑ so wird sie auch beschrieben (V. 4f) ‑doch sie ist vor allem ein Hinweis auf das, was der Herr Selbst für die Seinen tun würde. Er weist Petrus darauf hin, wenn Er sagt: "Du wirst es aber hernach verstehen", d. h. wenn Er zum Vater zurückgekehrt wäre. Wenn der Heilige Geist dann gekommen ist, würden sie verstehen, was der Herr hier tat; und wenn Er bei dem Vater ist, wird Er Sich Tag und Nacht in dieser Weise für sie einsetzen. Und weshalb? Hier nicht im Blick auf ihren Wandel ‑ dazu dient das Reinigungswasser in 4. Mose 19, jemanden reinzuhalten in seinem Wandel durch die Wüste ‑ hier finden wir nicht einmal das, was dem ehernen Waschbecken entspricht, denn das dient dazu, daß wir als Priester fähig sind, den Dienst am Altar zu tun und in das Heiligtum einzutreten. Hier bedeutet es etwas, das noch darüber hinausgeht: Hier ist es nicht eine Reinigung in Verbindung mit unserem Wandeln in der Wü­ste oder mit unserem Stehen im Heiligtum, sondern in Ver­bindung mit unserem L 1 e g e n im Schoß des Herrn Jesus, um in Seiner Gemeinschaft und Seiner Liebe zu ruhen. Dazu wäscht Er uns die Füße, denn anders können wir nicht prak­tischerweise Teil mit Ihm haben (das ist Gemeinschaft ha­ben). Wohl Teil an Ihm; jemand, der gebadet ist (wie hier steht), also ein Gläubiger Ist, hat für ewig Teil an dem Herrn. Doch um auch Teil mit Ihm zu haben, praktische Gemein­schaft mit Ihm auszuüben, dazu ist mehr nötig: dazu ist Er täglich beschäftigt, das Wasser des Wortes auf uns anzuwen­den, so daß wir alles zu verurteilen lernen, was uns hindert, mit Ihm in dieser wunderbaren Gemeinschaft zu verkehren.

 

Und obwohl der Sohn im Vaterhaus ist und wir auf der Erde sind, ist es möglich, daß diese Gemeinschaft genossen wird, und Er tut alles dafür, um das zu bewirken.

 

Nachdem dann Judas hinausgegangen ist, sehen wir, daß der Herr Jesus tiefer auf das eingeht, was nun geschehen würde. Der Herr stellt Sich in Seinen Gesprächen hier immer hinter das Kreuz, und deshalb kann Er in Vers 31 sagen: "Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm." Das Kreuz war die wunderbare Gele­genheit, wo der Sohn verherrlicht wurde, ja, wo auch Gott Selbst in Ihm verherrlicht wurde. Der Vater hatte den Sohn gesandt, damit Dieser Ihn während Seines ganzen Lebens auf der Erde verherrlichen sollte (17, 4); doch auf dem Kreuz würde Er in besonderer Weise als Sohn des Menschen den heiligen und gerechten Gott verherrlichen.*)

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*) Es Ist gut, hier Immer auf den Unterschied zwischen dem zu achten, was Christus als Mensch gegenüber Gott tut und was Er als der Sohn (also als gött­liche Person) gegenüber dem Vater tut.

 

Gott ist verherrlicht worden auf dem Kreuz, mit als herrliche Folge davon, daß Gott Seinerseits den Herrn Jesus verherr­lichte (V. 32): "Wenn Gott verherrlicht ist in ihm, so wird auch Gott ihn ‑ also Christus ‑ verherrlichen in sich selbst, und alsbald wird er ihn verherrlichen." Gott würde den Herrn Jesus vor den Augen der ganzen Welt verherrlichen; die "Griechen" würden tatsächlich kommen und Ihn in Seiner Herrlichkeit als Sohn des Menschen anschauen, erhaben Über die ganze Schöpfung. Das sollte jedoch noch zweitau­send Jahre dauern. Doch Gott würde Ihn auch alsbald ver­herrlichen. Der Herr Jesus brauchte nicht zweitausend Jahre zu warten, um als Sohn des Menschen über die ganze Schöp­fung verherrlicht zu werden. Gott hat Ihn alsbald verherrlicht, indem Er Ihn aus den Toten auferweckte und Ihn zu Seiner Rechten erhöhte. So würden die Jünger Ihn kennenlernen, so würde die Familie Gottes Ihn kennenlernen, als Den, den wir nun zur Rechten des Vaters finden. Der Herr sagt Selbst: "Wo ich hingehe, könnt ihr nicht hinkommen." Er würde sie als die Familie des Vaters zurücklassen, eine Familie, in der al­les regiert wird durch das Gebot der Liebe, denn es war die Liebe des Vaters, die Er in ihre Herzen ausgießen würde.

 

Wenn wir gesehen haben, daß der Sohn im Vaterhaus sein würde und die Jünger ‑ die Familie Gottes, zu der auch wir nun gehören ‑ auf der Erde sein würden, verstehen wir, was wir in den Kapiteln 14 und 15 finden. Hier finden wir nämlich die zwei Aspekte dieses bemerkenswerten Verhältnisses: Der Sohn, dessen Leben wir empfangen haben, im Vater­haus, und wir als Zeugnis auf der Erde. Doch obwohl der Sohn im Vaterhaus ist und wir noch auf der Erde sind, ist unser Platz auch bereits in diesem Vaterhaus; denn Er ist Selbst dorthin gegangen, um uns dort eine Stätte zu be­reiten.

 

Wir werden hier nicht selbst im Vaterhaus gesehen ‑ es ist hier nicht Paulus, der uns sagt, daß wir in Christus in den himmlischen Örtern sind ‑, aber es wird wohl festgestellt, daß unser Platz dort ist, denn dieser Platz ist für uns bereitet. Die Stellung, die der Herr dort vor dem Vater hat, ist im Grundsatz die Stellung, die wir vor dem Vater haben, denn wir haben den Sohn als unser Leben empfangen. Kapitel 15 zeigt uns die andere Seite, wir sind auf der Erde ein Zeug­nis, das an die Stelle Christi getreten ist; wir dürfen nun in der Kraft des Geistes bezeugen, was Er hier bezeugt hat. Johannes 14 belehrt mich über den Platz, den ich im Vater­haus habe, Johannes 15 sieht mich hier auf der Erde durch die Kraft des Geistes als einen Zeugen des Herrn.

 

Um weiter darauf einzugehen: Daß wir einen Platz im Vater­haus haben (14, 2f .), bedeutet, daß wir vor dem Vater stehen wie der Sohn Selbst. Wir dürfen in Seinem Namen alles bit­ten, wie Vers 12 sagt, denn wir stehen in der Stellung des Sohnes vor dem Vater. Wir sind angenehm gemacht in dem Geliebten und versetzt in das Reich des Sohnes der Liebe Gottes. Der Sohn ist das Wohlgefallen des Vaters, und so dürfen wir im Namen des Sohnes zu dem Vater kommen. Hier besteht eine vollkommene Harmonie und Vereinigung, ob­wohl der Sohn im Vaterhaus ist und wir auf der Erde sind. Ja, Er würde Selbst zu den Seinen kommen (V. 18), und zwar in der Person des Heiligen Geistes. Und wenn der Geist ausgegossen ist, würde der herrliche Zustand von Vers 20 Wirklichkeit werden. Dann würden sie erstens erkennen, daß ErinSeinemVaterwar.SohatteEresindenVersen10 und 11 gesagt: Ich bin in dem Vater, und der Vater ist in Mir; doch nun sagt Er: Dann werdet ihr "erkennen" (das ist, durch den Geist bewußt verstehen), daß Ich in Meinem Vater bin, doch darüber hinaus auch, daß ihr in Mir seid und Ich in euch bin.

 

Sehen wir, daß trotz der Tatsache, daß der Sohn im Vater­haus ist, und wir auf der Erde sind, doch eine wunderbare Verbindung besteht? Wenn wir den Geist und wenn wir den Sohn als das ewige Leben empfangen haben, verstehen wir, daß Der, der in dem Vater ist, Derselbe ist, in Dem wir nun sind. In Ihm haben wir das ewige Leben, und Er ist das Leben in uns. Trotz der scheinbaren Entfernung zwischen uns auf der Erde und Ihm im Vaterhaus besteht diese vollkommene Einheit, denn wir sind in Ihm (als Mensch), und Er ist in uns, Er, Derselbe, der (als Sohn) in Seinem Vater ist. Hätten wir näher hinzugebracht werden können? Und dies gilt auch sehr praktisch: Wenn wir Ihn lieben, Seine Gebote und Sein Wort bewahren, kommt Er mit dem Vater zu uns, um Ge­meinschaft mit uns zu haben ‑ "Wohnung" bei uns zu ma­chen (V. 23). Und obwohl Er im Himmel ist, sendet Er uns den Heiligen Geist, der uns mit allen Dingen des Herrn bekannt­macht (V. 26)‑, ja, der Herr läßt uns Seinen eigenen Frieden (V. 27). So zeigt Er in all diesem, daß es für die Seinen keinen Nachteil bedeutet, wenn Er sie verließ, sondern daß sie da­durch nur Vorteile haben.

 

Kapitel 15 zeigt uns die andere Seite: Nicht unseren Platz im Vaterhaus und unsere Verbindung mit dem Sohn dort, sondern unseren Platz als Zeugnis Gottes auf der Erde. Israel hatte als Weinstock versagt, und der Herr Jesus war als der wahre Weinstock an ihre Stelle gesetzt worden; doch Er würde diese Erde verlassen und Seine Jünger als das Zeugnis Gottes auf der Erde zurücklassen, als fruchtbrin­gende Reben an Ihm als dem Weinstock. So wie Er entfaltet hatte, was von dem Vater war, und wie Er Selbst die Gebote Seines Vaters bewahrt hatte (V. 10), so mußten auch sie in Seiner Liebe bleiben und die Gebote bewahren, die sie von Ihm empfangen hatten. So wie Er den Vater geoffenbart hatte, so mußten auch sie hier auf der Erde den Vater und den Sohn dieser Welt vorstellen, als Seine Zeugen, in einer lebendigen Verbindung mit Ihm. Deshalb werden sie hier in erster Linie mit Reben verglichen, die aus ihrer Verbindung mit dem Weinstock Frucht hervorbringen. In Vers 8 werden sie die Jünger des Herrn genannt ‑ Seine Schüler, die Seine Gedanken kennenlernen sollten. In den Versen 13 und 14 sind sie Seine Freunde, für die Er Sein Leben lassen würde, und weil sie Seine Freunde waren, würde Er keine Geheim­nisse vor ihnen haben. Alles, was Er von Seinem Vater ge­hört hatte, hatte Er ihnen kundgetan (V. 15). Doch in einer anderen Hinsicht (V. 20) würden sie auch Seine Knechte sein; und weil Er verfolgt wurde, würde auch ihnen als Zeugnis Gottes auf der Erde dasselbe begegnen und ein Weg der Schmach sie erwarten. Schließlich finden wir in den Versen 26 und 27 das letzte: Ihr werdet Meine Zeugen sein.

 

Sie sollten das bezeugen, was sie an dem Herrn gesehen hatten: Seine Leiden, Seinen Tod und Seine Auferstehung. Und wir sehen, daß daneben der Heilige Geist mit einem eigenen Zeugnis kommen würde, nicht mit Bezug auf das, was der Herr auf der Erde war, sondern der Heilige Geist würde aus dem Himmel von einem verherrlichten Herrn zur Rechten Gottes herniedergesandt werden und würde des­halb bezeugen, wer der Herr im Himmel war, während die Jünger (allerdings auch durch die Kraft des Geistes) bezeu­gen würden, wer der Herr Jesus auf der Erde war.

 

Dieses Zeugnis des Heiligen Geistes wird in Kapitel 16 wei­ter beschrieben. Obwohl die Jünger traurig waren, mußten sie verstehen, daß es sogar nützlich für sie war, wenn der Herr sie verlassen würde, denn erst nachdem Er verherrlicht war, konnte der Tröster kommen (V. 7), und dieser würde ein herrliches Zeugnis ablegen. Die Jünger sollten davon zeugen, was der Herr Jesus auf der Erde gewesen war, doch der Tröster (der Heilige Geist) würde davon zeugen, was der Herr Jesus nun im Himmel ist und was die Folgen davon sind (V. 8‑11). Die Anwesenheit des Geistes auf der Erde würde der absolute Beweis der Sünde in dieser Welt sein, weil man nicht an den Sohn geglaubt hatte. Sie würde weiterhin ein Beweis der Gerechtigkeit Gottes sein, denn die Tatsache, daß der Heilige Geist auf der Erde ist, beweist, daß der Sohn in gerechter Weise verherrlicht ist bei und von dem Vater. Und schließlich würde sie ein Beweis des ge­rechten Gerichtes sein, denn die Tatsache, daß der Heilige Geist auf der Erde ist, beweist, daß das Werk vollbracht ist und daß damit auch das Urteil über die Welt und ihren Für­sten gefällt ist.

 

Danach sehen wir noch deutlicher, was der Heilige Geist selbst tun wird (V. 13): Er führt die Kinder Gottes in die ganze Wahrheit ein, d. h. er verkündigt ihnen das, was sie früher noch nicht gehört hatten und was der Herr ihnen damals auch noch nicht sagen konnte (V. 12), weit sie den Geist nötig hatten, um diese Wahrheit zu verstehen. Der Geist würde die himmlische Herrlichkeit des Sohnes beschreiben: "Denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen" (V. 14). Das alles bedeutet für sie einen großen Segen, den sie nun noch nicht verstehen konnten, so daß ihre Herzen voll Trauer waren. Doch sie würden voller Freude sein, wenn ihnen, nachdem der Herr tatsächlich von ihnen weg­gegangen war, der verheißene Tröster zuteil wurde. Damit sollten sie nicht nur das wunderbare Geschenk des Heiligen

 

Geistes empfangen und die Herrlichkeit des Sohnes ken­nenlernen, sondern auch in einer völlig neuen Weise mit dem Vater in Verbindung gebracht werden (V. 23f). Sie würden den Sohn als das ewige Leben besitzen und Ihn deshalb nicht mehr als Zwischenperson nötig haben, sondern in Sei­nem Namen unmittelbar zum Vater gehen, wie in Vers 26 steht: "Und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten werde"; sie hatten nicht mehr die Mittlerschaft des Sohnes nötig, um dem Vater zu nahen, denn sie waren selbst Kinder des Vaters geworden. Ja, der Vater Selbst hatte sie lieb (V. 27) und würde ihnen Seine Liebe bezeugen. Sie soll­ten alles bitten dürfen in dem Namen des Herrn Jesus als solche, die in dem geliebten Sohn angenehm gemacht waren. Das alles war die Folge der Tatsache (V. 28), daß Er von dem Vater ausgegangen und in die Welt gekommen war, aber darüber hinaus die Welt wieder verlassen und zum Vater hingehen würde. Und für die Jünger, die zurückblieben, galt, daß sie in Ihm Frieden haben (V. 33) und daß sie in dieser Welt zwar Drangsal haben, aber daß sie die Welt kennen als etwas, worüber das Urteil gefällt war und das der Herr Jesus überwunden hatte.

 

Das führt schließlich dazu, daß wir in Kapitel 17 dieses wun­derbare Gespräch zwischen dem Vater und dem Sohn hören dürfen, nicht ein Gebet (wie häufig gesagt) eines Hohen­priesters zu Gott, sondern den Sohn, der zum Vater spricht über all die Dinge, die wir bereits in diesem Evangelium ge­sehen haben, doch über die Er nun zu dem Vater spricht, damit Dieser erfüllt, was Er verheißen hat und was der Sohn zu verkündigen gekommen ist, und zwar: erfüllt aufgrund des Werkes, das der Sohn vollbracht hat (denn auch hier stellt Er Sich hinter dieses Werk), wie Er in Vers 4 sagt: "ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich voll­bracht, weiches du mir gegeben hast." Das Werk bestand darin, den Vater zu verherrlichen ‑, aufgrund davon bittet Er nun, verherrlicht zu werden mit derselben Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, bevor die Weit war (V. 5), eine Herrlich­keit, die Er damals besaß als der Sohn beim Vater, doch die Er nun von dem Vater erbittet als der Mensch, der das Werk vollbracht hat. Er wünschte als Mensch diese Herrlichkeit als Belohnung zu besitzen, denn dann konnte Er als Mensch tun, was Vers 22 sagt, nämlich die Herrlichkeit mit anderen Men­schen teilen, mit Gläubigen, mit der Familie Gottes. Das fin­den wir bereits im ersten Vers: Er bittet, Selbst verherrlicht zu werden, auf daß Er den Vater verherrliche. Und wie würde Er das tun? Indem Er das ewige Leben allen denen gab, die der Vater Ihm gegeben hatte (V. 2). Sogar jetzt noch ver­herrlicht der Sohn den Vater im Himmel, also lange nach dem Kreuz, nämlich jedesmal, wenn der Sohn denen das ewige Leben schenkt, die der Vater Ihm aus der Weit gegeben hat. Und was ist das ewige Leben? Vers 3 sagt: Gott zu kennen in dem, was Er im Tiefsten ist, also als den Vater des Sohnes, und Jesus Christus zu erkennen, den Er gesandt hat, in dem, was Er im Tiefsten ist, also als den Sohn des Vaters, als Den, der Selbst der wahrhaftige Gott und das ewige Leben ist (l. Joh 5, 20).

 

Dann spricht der Herr weiter über die, die der Vater Ihm gegeben hatte, die Sein Wort angenommen hatten (V. 6f.). Er bittet für sie, weil sie in dieser Welt zurückblieben (V. 11). Er bittet für sie an erster Stelle ‑ und Er spricht dabei den heiligen Vater an ‑ daß sie in diesem Kosmos einen völlig abgesonderten (heiligen) Platz einnehmen möchten (V. 15f.). Und das Gebet ist erhört worden, denn auch wenn wir prak­tisch vielleicht nicht immer abgesondert sind, so sind wir es doch in dem Sinn, wie der Herr es hier meint; denn dadurch, daß wir das Leben des Sohnes empfangen haben und neue Geschöpfe in Ihm geworden sind, haben wir nichts mehr mit diesem Kosmos zu tun.*)

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* ) Wörtlich geht es In diesen Versen noch um die zwölf Jünger, doch wir kön­3l65 nen diesen Grundsatz allgemein anwenden.

 

Wir sind kein Teil dieser Welt mehr ‑, nicht nur dieser bösen Welt, sondern der Weit als Ganzem, des Kosmos, der ersten Schöpfung. So sagt Er hier: "Sie sind nicht von der Weit, gleichwie ich nicht von der Welt bin" (obwohl sie zur gleichen Zeit wohl in diese Weit gesandt werden, V. 18). Nein, wir sind mit dem heiligen Vater in Ver­bindung gebracht, der Selbst vollkommen getrennt ist von allem, was in der ersten Schöpfung ist. Auch der Herr Selbst heiligt Sich für uns, wie hier steht: "Und ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit" (V. 19; vgl. V. 17). Er nimmt eine geheiligte (d. 1. abge­sonderte) Stellung im Blick auf diesen Kosmos ein, getrennt von diesem Kosmos, im Vaterhaus, damit auch wir im Grund­satz vor dem Vater stehen können in dieser Stellung, in der Er nun ist: getrennt von dem Kosmos und in Gemeinschaft mit dem Vater im Vaterhaus.

 

Welch eine wunderbare Familie ist das, die Familie Gottes, welch eine wunderbare Einheit haben sie in dem Sohn und in dem Vater! Das erste Kennzeichen dieser Einheit wird be­reits in Vers 11 genannt: "Auf daß sie eins seien, gleichwie wir." Dort geht es noch um die zwölf Jünger, die eine herr­liche Einheit in ihrem christlichen Zeugnis offenbarten, wie wir das vor allem im Neuen Testament haben. Doch dann lesen wir zweitens von denen, die durch ihr Wort an Ihn glau­ben würden (V. 20), daß auch sie eins seien, und dann geht es also um die gesamte christliche Familie Gottes. Und in wel­cher Weise sind sie eins? In einer so innigen Weise eins mit dem Sohn und dem Vater, daß dies unseren Verstand über­steigt: "Gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir." Kann man sich eine engere Harmonie denken als die Gemeinschaft zwi­schen dem Vater und dem Sohn? Der Vater ist in dem Sohn, und der Sohn ist in dem Vater. Nun, in diese enge, innige Harmonie sind wir eingeführt, denn der Herr sagt: "Auf daß auch sie in uns eins seien." In uns, die so eng eins sind, daß Du in Mir bist und Ich in Dir bin, in Uns sind auch sie eins. So sagt Johannes (l. Joh 1, 3), daß wir Gemeinschaft mitein­ander haben, und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesus Christus. Das Ziel dieser Ein­heit besteht darin, daß durch diese wunderbare Gemein­schaft ein Zeugnis in dieser Weit abgelegt wird und Men­schen aus dieser Welt zum Glauben kommen (V. 21).

 

Schließlich hat Er uns die Herrlichkeit gegeben, die Er Selbst empfangen hat (V. 22), damit auch in Zukunft ein Zeugnis im Blick auf die Weit vorhanden ist (V. 23). Wenn wir verherr­licht mit Ihm wiederkommen, wird die Welt unsere Einheit erkennen müssen, wie hier steht: Auf daß die Weit erkenne, daß du mich gesandt und sie geliebt hast, gleichwie du mich geliebt hast. "Und welchen Charakter hat diese Einheit? Wie in Vers 22 und 23 steht: "Auf daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind; ich in ihnen und du in mir, auf daß sie in eins voll­endet seien." Das ist eine stufenweise Einheit: gleichwie der Vater in dem Sohn ist und der Sohn also die vollkommene Entfaltung der Herrlichkeit des Vaters ist, so ist nun der Sohn in uns, auf daß wir die Herrlichkeit entfalten, die in dem Sohn ist, denn diese Herrlichkeit ist uns geschenkt. Diese Herrlichkeit werden wir auch sichtbar gegenüber der Welt widerspiegeln, wenn wir mit dem Herrn wiederkommen. Dann wird die Welt erkennen müssen ‑ nicht nur glauben (vgl. V. 21) ‑ wer Er ist als der Gesandte des Vaters. Doch die Herrlichkeit, die der Herr uns gegeben hat, wird noch über­troffen von Seiner eigenen, persönlichen, inneren Herrlich­keit, über die Er in Vers 24 spricht: eine Herrlichkeit, die wir nicht mit Ihm teilen können, sondern die wir nur bewundern und anschauen können, wenn wir bei Ihm sind, dort, wo Er ist. Darauf spricht Er seine Schlußworte, nicht zu dem heili­gen Vater, sondern zu dem gerechten Vater, der Gerechtig­keit übt im Blick auf Seine Kinder, die inmitten der Welt, die Ihn nicht erkannt hat, Ihn wohl erkannt haben und Ihm ange­hören und die Liebe in sich haben, mit der der Vater den Sohn geliebt hat (V. 25f.).

 

Damit ist das Zeugnis beendet, das der Sohn von dem Vater abgelegt hat. Das einzige, was nun noch zu tun übriggeblie­ben ist, ist der Weg, der zum Kreuz führt, wo Er als das Lamm Gottes geopfert wird. Dort wollte Er das Werk der Verherrlichung des Vaters vollenden und Sich dort auch zur Verherrlichung eines heiligen und gerechten Gottes hin­geben. Hier finden wir nicht so sehr die Aktivität von Men­schen, wie in den anderen Evangelien. Hier verschwinden die Menschen völlig im Hintergrund, damit die Herrlichkeit des Herrn Jesus um so mehr zum Ausdruck kommt. Hier fin­den wir nicht Seine Angst als Mensch im Garten Gethsemane ‑ dies ist das einzige Evangelium, wo das nicht erwähnt wird ‑, sondern stattdessen finden wir in Kapitel 18, 11: "Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?" Eine vollkommene Hingabe des Einen, der voll­kommen wußte, was über Ihn kommen würde (siehe V. 4). Hier sehen wir nicht, wie Er durch den Kuß des Judas ver­raten wird, sondern hier finden wir Ihn als Den, der Sich ZU erkennen gibt und der lediglich durch das Nennen Seines göttlichen Namens JCH BIN" (so steht hier wörtlich), d. i. Jehova, in der Lage ist, diese Hunderte von Männern vor Sich zur Erde fallen zu lassen, unter ihnen Judas. So offenbart Er sogar auf Seinem Weg zum Kreuz diese göttliche Herrlich­keit, die Er als der Sohn des Vaters hat.

 

Gleichzeitig sehen wir auch, wie Er Sein Zeugnis bis zum Ende erfüllt. Er zeugt gegenüber den Hohenpriestern in Vers 20: Er hatte Sein Zeugnis vor der Weit frei und offen ab­gelegt, und sie brauchten nicht danach zu fragen, denn sie kannten es, und sie konnten nichts Übles darüber sagen (V. 23). So zeugt Er auch gegenüber Pilatus, als Er vor ihn gebracht wird. Pilatus wollte Ihn verurteilen, doch konnte er keine Schuld an Ihm finden. Er mußte das auch anerkennen (18, 38; 19, 4. 6), während dieser Mensch Selbst ihm gegen­über Zeugnis ablegte, wozu Er in diese Welt gekommen war (18, 36f) ‑ Er hat das gute Bekenntnis bezeugt vor Pontius Pilatus (l. Tim 6, 13). Er bezeugte, daß Er ein König war, doch von einem Königreich, das nicht von dieser Weit war; und dann sagt Er: "lch bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, auf daß ich der Wahrheit Zeugnis gebe." Das war Sein Leben: die Wahrheit zu bezeugen, die Wahrheit über den Vater (4, 23; 17, 17), die Wahrheit über Seine eigene Person (1, 14; 14, 6), die Wahrheit, die die Menschen frei­macht (8, 32), die das ewige Leben denen schenkt, die an Ihn glauben (3,14‑21); das war die Wahrheit, die zu bezeugen Er in diese Weit gekommen war. Aber es war auch eine Wahrheit, die die Juden nicht verstanden hatten und für die auch Pilatus kein Interesse oder Verständnis aufbringen konnte.

 

Wenn er hier anerkennen muß, daß Christus keinerlei Schuld hatte, so ist das gerade hier so wichtig, weil allein im Johan­nesevangelium dadurch deutlich festgestellt wird, aus wel­chem Grund der Herr Jesus dann trotzdem verurteilt wird: nicht, weil Er Sich als Messias ausgegeben hatte, der König der Juden, sondern hier lesen wir (Kap. 19, 7): "Wir haben ein Gesetz, und nach unserem Gesetz muß er sterben, weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hat." Das ist hier der Kernpunkt in der Verurteilung; Er wird hier ausdrücklich ver­urteilt, weil Er der Sohn Gottes ist; als Sohn Gottes wird Er verworfen und ans Kreuz gebracht. Doch als Er zum Kreuz geht, ist das trotzdem nicht die Aktivität Seiner Feinde. Er geht hinaus; wie Er hinausging in den Garten (18, 1. 4) und aus dem Palast des Pilatus hinausging (19, 5), so ging Er auch hinaus nach Golgatha (V. 17). Dadurch bewies Er zur gleichen Zeit, daß Er der Sohn Gottes war. Niemand hatte irgendwelche Macht über Ihn, wie Er zu Pilatus sagt: "Du hättest keinerlei Gewalt wider mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre" (V. 11). Und der sie von oben gab, war der Sohn Selbst. Er dreht die Rollen um, als wäre Er Selbst der Richter, und Er war auch in der Tat der Richter über Pila­tus. Einmal wird Pilatus vor Ihn gestellt werden und mit sei­nem Richter zu tun haben. Der Herr Jesus hat hier alle Initia­tive in Seinen eigenen Händen, denn Er ist Gott, bekleidet mit Macht. Er geht hinaus, Sein Kreuz tragend, hin zu dem Ort, genannt Schädelstätte, um sogar an diesem schreck­lichen Ort der herrliche Mittelpunkt zu sein: "Jesus aber in der Mitte."

 

Wie bezeichnend ist hier diese Zufügung! "Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen" (12, 32). Dort ist es das Lamm Gottes, das Sich opfert, um Gott zu verherrlichen (13, 31). So bildet Er den Mittelpunkt, nicht nur von Israel oder der Erde, sondern von dem ganzen Kosmos: erhöht von der Erde. So sehen wir Ihn dort, wie Er Sich vollkommen Gott dem Vater darbringt. Wie könnten wir dann jemals hier den drei Stunden der Finsternis begegnen? Die finden wir nur in Matthäus und Markus, wo es darum geht, Ihn als Sündopfer vorzustellen, als Den, der die Sünden getragen hat, für die Sünde des Menschen gestorben ist und dazu von Gott verlassen werden mußte. Doch das finden wir hier nicht, hier finden wir Ihn als Den, der Sich vollkom­men Gott übergibt bis in den Tod, um Ihn zu verherrlichen. Wir finden hier nicht die Leiden eines Menschen, sondern eine göttliche Person, die ihr Leben läßt, um es wiederzu­nehmen (10, 17f.). Sogar die Ereignisse, die hier beschrieben werden, dienen lediglich dazu, das zum Ausdruck zu bringen.

 

Das ersieht man aus solch einer Einzelheit wie dem Verteilen des Rockes, worauf hier der Nachdruck gelegt wird (V. 23f.), vor allem auch, um in diesem Rock, der von oben bis unten in einem Stück gewebt war, symbolisch das Zeugnis des Herrn anzudeuten, das von oben gekommen war und voll­kommen war, ohne jeden Makel.

 

Auch sehen wir, wie Er Sich nun erst, nachdem das Werk so gut wie vollbracht ist, über Seine Mutter erbarmt. Vorher konnte Er nicht zulassen, daß sie sich in irgendeiner Weise um Sein Werk kümmerte oder zwischen Ihn und den Vater trat (2, 4). Nun, da das Werk vollendet ist, kann Er, um die Schrift völlig zu erfüllen, rufen: "Mich dürstet", um danach mit lauter Stimme zu rufen: "Es ist vollbracht." Es geht hier nicht so sehr um das Werk der Erlösung oder der Versöh­nung; natürlich ist auch das vollbracht, aber darauf liegt hier nicht der Nachdruck. Hier ist es das vollbrachte Werk, von dem Er in Kapitel 17, 4 sagte: "ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir ge­geben hast, daß ich es tun sollte" (siehe auch 13, 31). Denn das war Sein Leben: den Vater zu verherrlichen. Dazu war Er in diese Stunde gekommen (12, 27f.), und dieses Werk war nun vollbracht. Und wenn Er Seinen Geist übergibt, ist Er nicht Jemand, der an Erschöpfung stirbt, sondern dann ist Er der Sohn des Vaters, der von dem Vater geliebt wird, weil Er in Allmacht, und doch gehorsam, Sein Leben darlegt, auf daß Er es wiedernimmt (10, 17f.). Darauf folgt ein mächtiges Zeugnis, das wir auch nur in Johannes finden. Aus Seiner Seite strömt Blut und Wasser (V. 34) als ein Zeugnis der gewaltigen Folgen des Werkes, das Er auf dem Kreuz voll­bracht hat: Wasser, das uns von dem Bösen reinigt, und Blut, das uns mit Gott versöhnt.

 

Schließlich finden wir dann, nach dem Begräbnis, all die Fol­gen dieses großen Werkes in den beiden letzten Kapiteln noch weiter entfaltet. Nur hier werden so ausführlich zwei Kapitel der Auferstehung gewidmet. Hier werden all die Fol­gen Seines Werkes beschrieben in Verbindung mit dem be­sonderen Zeugnis, das Er in diesem Evangelium auf der Erde abgelegt hat. Was das Zeugnis ist, wiederholt der auferstandene Herr hier ausdrücklich, und das nicht gegenüber gro­ßen, Eindruck erweckenden Männern, sondern dieser Frau, Maria, die an Seinem Grab weint. Sie bekommt als erste zu hören, was die herrlichste und bedeutsamste Folge des Todes und der Auferstehung des Herrn ist, denn sie ver­nimmt aus Seinem Mund, daß Er auffahren würde zu Seinem Vater, der nun auch der Vater der Seinen sein würde, so daß der Herr nun Seine Jünger Seine Brüder nennen konnte (20, 17). Den Vater, zu dem Er auffahren würde, konnte Er nun auch ihren Vater nennen, und Sein Gott war nun auch ihr Gott. So hatte Er das niemals zuvor gesagt. Doch nun, da Er, das ewige Leben, durch den Tod gegangen und auferstanden war und Er das Leben Selbst wiedergenommen hatte, nun war dieses Leben Auferstehungsleben geworden, und so konnte Er es den Seinen, die nun auch der Macht des Todes entrückt waren, mitteilen. Das Weizenkorn war in die Erde gefallen, es war gestorben, aufgesproßt und trug viel Frucht. Das ewige Leben konnte nun vielen mitgeteilt werden, so daß nun Sein Vater auch ihr Vater wurde. Und Er beweist das, als Er in die Mitte der Jünger kommt und in sie haucht und sagt: "Empfanget Heiligen Geist" (V. 22). Das ist noch nicht die Person des Heiligen Geistes, denn die kam erst am Pfingsttag auf die Erde, sondern hier ist es "Heiliger Geist“ (ohne Artikel) als das neue, geistliche, göttliche Le­ben, das Er ihnen schenkt: Sein eigenes Leben, ewiges Le­ben, Auferstehungsleben.

 

So sehen wir hier die Familie Gottes, die den Sohn als ihr Leben empfangen hat und Gott "Vater" nennen darf. Und wieder sehen wir, wie Johannes im Vorbild all die Folgen dieser Tatsache schildert. Zuerst, wie am ersten Tag der Wo­che die Familie Gottes sich versammelt, wie die Gläubigen sich nun bereits zweitausend Jahre versammeln dürfen, ab­gesondert von der Weit (vgl. V. 19), wo der Herr in ihre Mitte kommt, um die Herzen auf das zu richten, was Er gelitten hat; wo sie zusammen sind als die, die das Leben von Ihm emp­fangen haben, der in uns gehaucht hat als ein lebendig­machender Geist. Doch eine Woche danach finden wir ein zweites Vorbild in Thomas, nämlich wie nach der Haus­haltung der Versammlung der Herr ein letztes Zeugnis in Israel bilden wird, das nach düsterem Unglauben schließlich den Herrn kennenlernen wird, nicht durch Glauben, wie die Christen, sondern nachdem es Ihn mit eigenen Augen ange­schaut hat; dann werden sie Ihn anerkennen und sagen: "Mein Herr und mein Gott!" (V. 28. 29). Alle diese Dinge, sagt der Apostel, bevor er endet, "sind geschrieben, auf daß ihr glaubet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und auf daß ihr glaubend Leben habet in seinem Namen" (V. 31): Ihn kennenlernen als den Sohn Gottes und nicht nur als Gegenstand des Glaubens, sondern Teil an Ihm haben, doch glaubend das Leben des Sohnes Gottes zu haben, Ihn Selbst als das ewige Leben zu besitzen.

 

Kapitel 21 zeigt uns schließlich die dritte Phase. Wenn in Thomas ein Überrest vorgestellt wird, der in der Zukunft in Israel gefunden werden wird, dann sehen wir schließlich, wie auch aus den Völkern eine große Ernte eingesammelt wer­den wird, hier vorgestellt in dem großen Fischfang aus den Wassern des Sees (ein Bild der Völkerwelt; siehe z. B. Offb 17, 15). Nach der Aufnahme der Versammlung wird die­se "Volksmenge, weiche niemand zählen konnte" (Offb 7) in das Friedensreich eingeführt werden. Alle diese Ergeb­nisse: die Versammlung, der Überrest Israels und schließlich die große Ernte aus den Nationen sind gegründet auf die Tatsache, daß Er das Werk der Verherrlichung vollbracht hat, damit Menschen zu Gott gebracht werden konnten.

 

Schließlich werden ab Kapitel 21,13‑23 noch einige wichtige Grundsätze angedeutet im Blick auf den Dienst innerhalb der Familie Gottes, nachdem der Herr aufgefahren ist. Wir finden hier den Dienst des Petrus und den Dienst des Johannes. Petrus wird hier öffentlich in der Gemeinschaft mit dem Herrn wiederhergestellt (was im Verborgenen bereits früher geschehen war) und bekommt einen besonderen Auftrag, nämlich die Lämmlein und die Schafe des Herrn zu weiden und zu hüten. Das ist also ein besonderer Dienst unter den Schafen, die der Herr aus Seinem Hof herausgerufen hat, aus den Schafen Israels (siehe 10, 1‑4). Wir sehen auch tat­sächlich in der Apostelgeschichte und in den Briefen des Petrus, daß er einen besonderen Dienst unter den Gläubigen aus Israel hatte. Doch der Herr zeigt auch, daß Johannes, der Schreiber dieses Evangeliums, einen anderen Dienst bekom­men würde, der bis zu dem Kommen des Herrn fortdauern würde. Das galt nicht für den Dienst des Petrus; dieser Dienst ist dadurch zu Ende gekommen, daß das jüdische Christentum bei der Zerstörung Jerusalems auseinanderge­schlagen und unter alle Völker zerstreut wurde. Doch der Dienst des Johannes würde bleiben, wie, der Herr sagt: "Wenn ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?" (V. 22) Das ist durchaus kein Wortspiel, sondern außerordentlich wichtig, denn es bedeutet, daß der Dienst des Johannes Gültigkeit hat, solange die Familie Gottes auf der Erde ist. Deshalb ist es auch nicht Paulus oder Petrus, der das Buch der Offenbarung geschrieben hat, sondern Jo­hannes! Er beschreibt nicht nur den Anfang der christlichen Haushaltung (siehe neben seinem Evangelium z. B. 1. Joh 1, 1‑3), sondern auch deren Ende und wie der Herr Jesus nach Seinem Wiederkommen das ganze Gericht über die ganze Schöpfung ausüben wird ‑ denn Er hat aufgrund Seines Werkes ein Recht auf die Schöpfung (Offb 5) ‑ und wie Er schließlich nach dem Friedensreich die Sünde aus dem Kos­mos abschaffen wird. Dann wird das Wort erfüllt, das Johan­nes der Täufer gesprochen hat: "Siehe das Lamm Gottes, weiches die Sünde der Weit wegnimmt" (1, 29).

 

Der Jünger, der diesen bedeutsamen Dienst empfängt, ist derselbe wie der, "der von diesen Dingen zeugt und der die­ses geschrieben hat" (V. 24), Dinge, die tiefer und herrlicher sind als die, die wir in den vorhergehenden Evangelien ge­funden haben. Und doch, wenn wir wirklich alles wissen und verstehen wollten, was der Herr getan und gesagt hat, dann könnte die Welt die geschriebenen Bücher nicht fassen (V. 25). So groß, so herrlich ist Seine Person. Wir haben ge­sehen, daß wir mindestens vier dieser Evangelien nötig ha­ben, um die verschiedenen Herrlichkeiten Seiner Person wenigstens einigermaßen zu übersehen; doch wenn wir wirk­lich Seine Herrlichkeit ergründen wollten, würden alle Bü­cher der Welt nicht ausreichen. Und wir werden sie auch niemals ergründen können, doch das ist auch nicht nötig: Wir werden ewig in der Sphäre sein dürfen, wo wir das, was wir nicht beschreiben und ergründen können, anschauen und bewundern und anbeten werden. Er wollte, daß wir bei Ihm sind, um Seine Herrlichkeit anzuschauen, die der Vater Ihm gegeben hat. Gepriesen sei Sein Name!