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Jüngerschaftsbeziehungen im Gemeindebau



(ein leicht ueberarbeiteter Auszug aus einem Manuskript von Guido Wolff und Hans-Werner Deppe)
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Wie kann ein junger Christ im Glauben wachsen und selber zu einem dienenden, reifen Mitarbeiter werden? Die uebliche Antwort ist, durch Integration in die Gemeinde, also durch verbindliche und regelmaessige Teilnahme am Angebot der Gemeindeveranstaltungen. Doch ist dieses passive Konsumieren tatsaechlich der von Gott vorgesehene Weg zur Reife?
Eine andere Moeglichkeit ist das persoenliche Anleiten in einer Juengerschaftsbeziehung (ein Lehrer leitet einen Schueler an). Solche Beziehungen stellen wir uns meistens als etwas ausserhalb der Gemeinde vor. Koennen diese beiden Ansaetze miteinander kombiniert werden und findet sich ein solcher Gedanke im neutestamentlichen Gemeindemuster?
Das Leben eines Christen lässt sich grundsätzlich unter zwei Gesichtspunkten beschreiben: zum einen als ein Jünger Jesu Christi (um dies nicht mit der Juengerschaftbeziehung zu verwechseln, wollen wir das hier als Nachfolge bezeichnen) und zum anderen als Glied der Gemeinde.
Diese beiden Gesichtspunkte, die Nachfolge Jesu und die Gliedschaft am Leib Jesu, gehören zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, vielmehr ergänzen sie sich wunderbar. Dieses ergänzende Bild stellt uns das Neue Testament selber vor Augen. Ein Leben der Nachfolge wird hauptsächlich in den Evangelien vorgestellt, ein Leben als Glied der Gemeinde hingegen in den Paulus- und Petrusbriefen. In der Apostelgeschichte finden wir die harmonische Kombination aus beidem; hier werden alle Christen ausdrücklich als "Jünger" bezeichnet und zugleich finden wir einen lebendigen Einblick in Ursprung und Praxis der Gemeinde und ihrer Glieder. Die Gliedschaft am Leib Jesu ist in den Evangelien noch ein Geheimnis, das erst durch Paulus geoffenbart werden sollte. "Nachfolge" hingegen wird in den Briefen nicht mehr ausdrücklich erwähnt, das Wort "Jünger" kommt hier nicht mehr vor.
Bei den Erweckungsbewegungen der letzten Jahrhunderte, in denen bedeutende Wahrheiten der Briefe und insbesondere das neutestamentliche Gemeindemuster wiederentdeckt wurden, geriet die Seite der Nachfolge zugunsten dieser neuen Prioritäten etwas ins Hintertreffen. Das ist einerseits nicht so tragisch wie der umgekehrte Fall, da der Gedanke der Gemeinde der fortgeschrittenere Gedanke im Ratschluss Gottes ist und in der lebendigen Gemeinde nach Gottes Plan eigentlich die persönliche Nachfolge Jesu mit inbegriffen ist. Andererseits hatte dieses - somit eigentlich unnötige - Ungleichgewicht in den Erweckungsbewegungen einen Nachteil, der auf die traditionsgemäße Praxis zurückging: "Gemeinde" oder "Kirche" wurde nämlich, bewusst oder unbewusst, in den letzten Jahrhunderten häufig als eine Institution verstanden, bei der eine Minderheit von "Geistlichen" aktiv und die große Mehrheit der "Laien" passiv ist. Für den gewöhnlichen Gläubigen hat "Gemeinde" allzu oft den Beigeschmack von stundenlangem Dasitzen und Zuhören. Solche Zusammenkünfte sind im Neuen Testament zwar tatsächlich vorgesehen und praktisch auch nicht anders durchführbar, als dass die meisten Anwesenden die längste Zeit über still sitzen und zuhören, doch ist das längst nicht alles, was Gott sich unter "Gemeinde" gedacht hat.
Auch heute wird von Gläubigen häufig nur erwartet, dass sie zur Gemeinde "kommen", "da sind", und man meint, in unserer Zeit des Rückgangs und Verfalls sei das wohl alles, was man erhoffen könne. Als Gradmesser für den geistlichen Zustand eines Gläubigen wird die Regelmäßigkeit seiner (passiven) Teilnahme an den Gemeindeveranstaltungen herangezogen. Oder wir fragen einander "in welche Gemeinde gehst du", anstatt zu fragen, "in welcher Gemeinde dienst du?", "wo hast du deine Aufgaben?", "wo bist du Mitarbeiter?" Und wenn wir sagen, dass wir in einer Gemeinde "unseren Platz" haben, meinem wir damit im Unterbewusstsein vielleicht mehr einen angestammten Sitz- und Ruheplatz als einen Arbeitsplatz.
Das Neue Testament präsentiert uns mit der Gemeinde etwas ganz anderes, als das Ein-Mann-Szenario vor einer großen Zuschauermenge, wie es die meiste Zeit der Kirchengeschichte über praktiziert wurde. Sicherlich ist die Gemeinde zuerst der Quell- und Ruheort, die Oase, wo wir zu den Füßen des Herrn Jesus sitzen, um Ihn geschart, um Ihn anbetend zu bewundern, auf Ihn zu hören und Ihn an uns dienen zu lassen. Das gilt für alle Gemeindeglieder, einschließlich den Leitern. Doch leider gleichen Gemeinden oft dem Schema eines Bundesliga-Fußballspiels, bei dem 23 völlig abgekämpfte Profis, die dringend Erholung brauchen, eine Show vor 23.000 Zuschauern ableisten, die dringend Bewegung nötig haben.
Als ein lebendiger, harmonischer Leib ist die Gemeinde das organische Gefüge, bei dem jedes Glied, jede Einzelheit, eine von Gott zugedachte Funktion ausübt. Jedes Glied hat eine Gabe, die es zum Nutzen der anderen Glieder einsetzen soll (1Petr 4,10). Der Sinn dieser Gaben ist gerade der Dienst aneinander, in der von Gott eingerichteten Ordnung (1Kor 12; Röm 12). Dieser Vergleich mit dem Leib ist keineswegs "nur ein Bild", sondern eine geistliche, himmlische Realität - Gottes neue, reale Schöpfung. Ebenso eine Realität ist die Gemeinde als der wahre Tempel Gottes, an dessen Bau jeder Gläubige ein lebendiger Stein ist - und darin zugleich ein Priester, der Gott anbetet, ihm dient und ihn auf dieser Erde repräsentiert (1Petr 2,5). Eine lebendige Gemeinde ist nach Gottes Gedanken die wirkliche Stiftshütte (von der die Stiftshütte im Alten Testament ein Abbild war), wo seine Herrlichkeit in der Wolke offenbar wird, wo der Herr Jesus der Mittelpunkt ist und sich alles um ihn dreht. Außerdem ist die Gemeinde das Haus Gottes mit einer Ordnung unter den einzelnen Hausgenossen. Dieses Thema ließe sich beliebig ausdehnen.
Jedenfalls wird deutlich, dass innerhalb der Gemeinde jeder einzelne Gläubige Aufgaben von Gott zugedacht bekommen hat, die sich nicht nur auf die Außenwelt (Evangelisation, Zeugen sein) beziehen, sondern insbesondere auf den gegenseitigen Dienst unter Gläubigen. Das ist das Erkennungsmerkmal der Gemeinde der Jünger Jesu: dass sie einander dienen und somit hingegebene Liebe untereinander zeigen (Joh 13,35). Die Gemeinde ist ein äußerst eng geknüpftes, komplexes Beziehungsnetz. In der Jerusalemer Gemeinde war eine Menge von etlichen Tausend Jungbekehrten "ein Herz und eine Seele" (Apg 4,32). Es ist ein ausführliches Bibelstudium wert, das Vorkommen des Wortes "einander" bzw. "gegenseitig" im Neuen Testament zu untersuchen. Die einzelnen Glieder der Gemeinde sind z.B. aufgefordert: einander zu lieben (Röm 13,8) einander zu ermahnen (Röm 15,14); einander zu dienen (Gal 5,13); einander zu ermuntern (1Thes 4,18) uvm. Und geistliches Wachstum - hoffentlich das Ziel jeder Gemeinde - ist nur durch solch innige Zuwendung zueinander und ein intensives Mitander möglich. Im Epheserbrief ist das sehr schön ausgedrückt: Durch den Herrn Jesus ist jedes einzelne Glied der Gemeinde zum Leib zusammengefügt und verbunden, und "entsprechend der Wirksamkeit nach dem Maß jeden einzelnen Teils (jedes einzelnen Gläubigen)" "wirkt er (der Herr) das Wachstums des Leibes zu seiner Selbstauferbauung in Liebe" (Eph 4,16). Auf diesen letzten, sehr wichtigen Vers werden wir unten noch einmal zurueckkommen.
Würde die Gemeinde hier auf der Erde tatsächlich so funktionieren, dass "jedes einzelne Teil" sich "entsprechend seiner Wirksamkeit" einbringt (d.h. wenn jeder Gläubige dem Herrn entsprechend gehorchen und seine Aufgabe erfüllen würde), - Evangelisten, Hirten und Lehrer (Eph 4,12) - dann wäre die Gemeinde ein Missionswerk und eine Bibelschule zugleich. Ja, dann wären sogar keine Missionswerke und Bibelschulen nötig, denn diese sind von Gott eigentlich gar nicht vorgesehen. Die einzige "christliche Institution", die von Gott im Neuen Testament vorgesehen ist, ist die Gemeinde. Sie ist die einzige "Firma der Reichsgottesarbeit", hier wird die Herrlichkeit und Weisheit Gottes verkündet (Eph 3,10). Wenn Gemeinde so funktioniert, ist sie ein lebendiger Organismus, der wächst und sich vermehrt, ein Organismus aus hingegebenen, gefestigten Jüngern, die einander im Glauben erbauen und zugleich als Menschenfischer hinausgehen und weitere lebendige Steine zum Tempel Gottes hinzufügen.
Wenn wir uns dies alles so vor Augen führen, scheint es äußerst rätselhaft, warum in den Gemeinden meistens so viele Gläubige untätig und unmotiviert herumsitzen und offenbar nicht wissen, welche Herausforderung die Nachfolge des Herrn Jesus im Dienst für Ihn in Seiner Gemeinde darstellt!
Eine christliche Jugendfreizeit stand unter dem Thema "Herausforderungen". An einem Abend sollten die jungen Leute sich in Gruppen zusammensetzen und aufschreiben, welche Herausforderung sie in der Nachfolge Jesu sehen - z.B. jemand anderem zum Herrn führen oder in der gottlosen Welt gegen den Strom schwimmen. Beim Vortragen der Ergebnisse stellte sich dann heraus, dass einer Gruppe sage und schreibe keine einzige Herausforderung eingefallen war! Welch ein Jammer in einer Zeit, wo händeringend Jünger und Mitarbeiter gesucht werden! Im Reich Gottes gibt es keine Arbeitslosigkeit, im Gegenteil. Es gibt Äcker zu bestellen, Häuser zu bauen und Kriege zu führen. Mitarbeiter werden gebraucht in der Mission und deren Unterstützung, in der Organisation, in der Seelsorge, in der Kinder- und Jugendarbeit, in Hauskreisen und anderen Formen von Verkündigung und Unterweisung. Und Mitarbeiter vor allem in persönlichen Beziehungen. Mitarbeiter, denen Menschen wichtiger sind als Dinge, denen die Heiligung der Geschwister mehr am Herzen liegt als ein volles Aktionsprogramm oder ihr beschaulich-bürgerliches Wohlergehen.
Unsere Gemeinden kranken und siechen oft, weil es an Orientierung, Motivation und praktischer Anleitung zu solchen Aufgaben fehlt. Die Leute, die passiv in den Gemeinden sitzen, werden nie zu tatkräftigen Jüngern werden, wenn sie nur einmal pro Woche von der Kanzel eine Predigt hören, die mitunter nicht einmal aus der Vollmacht Gottes gesprochen ist. Sie brauchen Aufmerksamkeit, Beziehungen, Vorbilder und Anleitung, damit ihnen geistlich auf die Sprünge geholfen wird. Das ist Dienst aneinander und Hinwendung zueinander. Jüngerschaftsbeziehungen sind lebensnotwendige Elemente in der Gemeinde. Das ist übrigens der wesentliche Kern des oben unvollständig zitierten Verses Epheser 4,16: Die einzelnen Glieder der Gemeinde sind vom Herrn "verbunden durch jedes der Unterstützung dienende Gelenk" (siehe auch Kol 2,19). Gelenke sind die Verbindungen der Glieder untereinander, die unbedingt funktionieren müssen, damit der Leib agieren kann. Wenn sie gestört sind, wird das Gefüge des Leibes starr und steif, wie bei Arthritis. Verstehen wir, was das für den Leib der Gemeinde und seine Glieder bedeutet? Der Unterarm kann nur gebraucht werden, wenn seine Beziehung zum Oberarm stimmt, wenn der Oberarm die Signale vom Haupt weiterleitet und in einer richtigen Beziehung (Gelenk) zum Unterarm steht. Und vom Oberarm kommt die Kraft, um den Unterarm in Bewegung zu setzen. Durch den Oberarm wird sogar der Impuls vom Kopf an den Unterarm weitergeleitet. So ist jedes Körperteil, das nicht unmittelbar an der Peripherie arbeitet wie die Fingerspitzen, zwischen zwei anderen Gliedern eingebunden: Eins, von dem es Bewegung, Kraft und Impuls empfängt, und eines, an das sie diese weitergibt.
Der zitierte Vers entstammt einem aeusserst wichtigen NT-Abschnitt ueber Funktion, Ziel und Wachstum der Gemeinde. Wenn wir dieses Bild von Gliedern und Gelenken auf uns Gläubige als Glieder der Gemeinde anwenden, fällt es uns wie Schuppen von den Augen, wie wichtig impulsgebende, anleitende Beziehungen unter uns Gläubigen sind. Paulus hatte solch eine Beziehung offensichtlich zu Timotheus, oder auch zu Aquila und Priszilla, mit denen er anderthalb Jahre zusammen gelebt und gearbeitet hat. Dieses Ehepaar wiederum nahm einen glaeubigen Juden namens Apollos in ihr Privatleben auf. Als Apollos dadurch zu einem reifen Christen geworden war, ging er nach Korinth, und diente dort den Glaeubigen (Apg 19,1; 1Kor 3,6). Das ist nur ein biblisches Beispiel vom Prinzip der Multiplikation durch persoenlichen Anleitung. Das beste Beispiel ist natuerlich der Herr Jesus selbst, der seine kostbarste Zeit in das Training von zwoelf erlesenen Maennern investierte.
Diese persoenlichen Beziehungen, durch die wir die Befehle vom Herrn, die wir selbst durch andere Glieder empfangen haben, an andere weiterleiten, sind nichts anderes als Jüngerschaftsbeziehungen. Sie funktionieren wie Gelenke am Koerper, ueber welche ein Glied mittels der Nerven (die eigene "Beziehung zum Haupt") den Impuls an das naechste Glied weitergibt. Und nicht nur Impulse, sondern alle Naehrstoffe, die Kraft, der Rueckhalt, alles wird ueber das Glied auf der anderen Seite des Gelenks vermittelt. Was für eine Bedeutung von Jüngerschaft für die Gemeinde und ihr Wachstum!
Jüngerschaftsbeziehungen sind also alles andere als etwas, das außerhalb der Gemeinde angesiedelt wäre oder sich auf den Privatbereich von zwei Menschen beschränkte. Wie wir am Bild der Gelenke und deren Wichtigkeit fuer das Funktionieren des Leibes sehen, sind Jüngerschaftsbeziehungen von Gott fuer die Gemeinde vorgesehen und aeusserst wichtig. So wichtig wie die Glieder selbst sind ihre Beziehungen untereinander. Die oertliche Gemeinde, und insbesondere ihre Leiter, sorgt also fuer die Bereitstellung des Rahmens solcher Beziehungen, sie ist Nährboden und zugleich Wirkungsfeld dieser Beziehungen. Dann wird sie daraus profitieren, durch reife Mitarbeiter (und moeglicherweise spaetere Aelteste) und Anbeter, die ihren Herrn und Gott kennen und mit einem hingegebenen, christusaehnlichen Leben verherrlichen. So wird das Ziel erreicht: Wachstum des Leibes Jesu ­ zu seiner Selbstauferbauung in Liebe (Eph 4,16).


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