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Können Kinder Gottes in diesem Leben sündlos werden?

(Sonderdruck aus „Die letzte Stunde“)
R. Müller, Kersting, Verlag. Zürich, Höngg, Limmattalstr. 28

 

Kann der Gläubige in diesem Erdenleben zur völligen Sündlosigkeit gelangen, d. h. praktisch so heilig sein, wie es unser Herr war? Diese Frage wird oft bejaht und von verschiedenen christlichen Gemeinschaften gelehrt.

Vorab stellen wir fest, dass jeder an Christus Glaubende mit Ihm gestorben und auferweckt, also durch den Heiligen Geist zu neuem Leben aus Gott wiedergeboren ist. Dieses göttliche Werk in uns und an uns ist ein durchaus vollkommenes. Durch die Kraft des in uns wohnenden Heiligen Geistes haben wir die Macht erhalten, die Sünde zu überwinden, die Versuchung siegreich zu bestehen. Da wir noch versuchlich sind , was wohl niemand bestreiten wird ,, k ö n n e n  wir zwar noch „in Sünde“ fallen, wie die Praxis es zeigt, aber wir  m ü s s e n  keineswegs sündigen.

 

„Fleisch und Blut“

 

Ja, wir sind noch versuchlich, aber warum? Man sagt ganzrichtig, weil wir noch „Fleisch und Blut“ haben. Aber was will dies sagen? Doch nichts anderes, als dass durch die Wiedergeburt zwar unsere Seele und unser Geist erlöst und erneuert wurden, aber noch nicht unser Leib. Wir bleiben ja, solange wir auf dieser Erde pilgern, in demselben Leib, in dem uns unsere Mutter „in Sünde empfangen und geboren“ hat (Psalm 51, 5). Unser in Sünden verlornes Leben ist dem Gesetz des Todes unterworfen und darum müssen wir sterben. Unsere äußeren Lebensumstände; sind durch die Bekehrung und Wiedergeburt keine anderen geworden, unsere ganze Schwachheit mit ihren Schranken und ihrer Mangelhaftigkeit der irdischen Natur ist noch da und neben der neuen göttlichen in uns wirksam. Dies ist es, was Gottes Wort als „Fleisch in uns“ bezeichnet, das in uns wirken will und dem Feinde Anhaltspunkte zur Versuchung, zur Weckung der Lust findet und das darum im Tode gehalten werden muss. Das ist aber etwas ganz verschiedenes von „im Fleische sein“, welches, sagen will, dass man sich noch in der Natur des allen Menschen befindet, trotzdem dieser in der Tat am Kreuze sein Gericht gefunden hat.

 

Der noch unerlöste Leib.

 

„Das Fleisch in uns“ ist vermöge unseres Leibeslebens noch in uns wirksam, kann nicht, wie manche das tun wollen, vom Leibe getrennt werden, wiewohl es nicht mit diesem gleichbedeutend ist. Fleisch in uns kann keineswegs, wie es verschiedene auslegen, nur in Regungen der Seele bestehen, sondern beim Sündigen ist jeweils unsere ganze Dreieinheit: Leib, Seele und Geist beteiligt; denn die Versuchung zur Sünde, welche ihrerseits nach 1. Johannes 2, 16 ebenfalls eine Dreiheit ist: Lust des Fleisches, Lust der Augen, Hochmut des Lebens, richtet ihren Angriff gegen unser ganzes Ich, also gegen alle drei Teile der menschlichen Dreieinheit. Dies ist in manchen Fällen in der Schrift, so bei Eva, David, Petrus, unschwer zu erkennen. Die Achillesferse (der verwundbare Teil) dabei ist die Schwachheit unseres noch unerlösten Leibes. Die Seele ist ja durch das Sühnungswerk am Kreuz erlöst worden und hat durch die Wiedergeburt eine neue, gottwärts gerichtete Gesinnung und Lebensrichtung und einen neuen Geist von Gott empfangen, oder um mit Römer 6 zu reden, der alte Mensch ist mit Christus gestorben und ein ganz neuer, von Gott gezeugter ist auferstanden mit Ihm, aber eben nur Seele und Geist, noch nicht aber der Leib.

Man erwidert dagegen, dass auch der Leib und die Glieder rein und heilig seien, ein für allemal heilig gemacht durch die Wiedergeburt, aus der Folgerung heraus, dass wir Glieder des Christus seien und unheilige Glieder doch nicht als Waffen der Gerechtigkeit benutzen können. Gewiss, der Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes (l. Kor. 3, 16 und 6, 19), weshalb es unsere heilige Pflicht ist, unsern eigenen Leib als solchen zu behandeln und zu behüten, damit der Sieg über die Sünde auch dem Leib zugute kommen möchte. Aber eine einmal geschehene definitive Heiligwerdung des Leibes vorauszusetzen, ist eine kurzsichtige, verstandesmässige Scheinlogik; denn der im 1. Korintherbrief und im Epheserbrief beschriebene Leib des Christus ist doch nicht ein materieller Leib mit materiellen Gliedern, sondern ein geistlicher (vergl. 1. Kor. l2 und Eph. 5), und die Glieder in Kolosser 3 und Römer 6 sind auch keine leiblichen, sondern geistliche Glieder. Wir möchten den lieben gläubigen Leser nun bitten, die folgenden Fragen zu beantworten:

1.  Wenn unsere ganze Dreieinheit, Seele, Geist und Leib, heilig geworden ist, worin besteht dann noch das versuchliche Fleisch? Es muss dann doch noch etwas Unerlöstes in uns sein.

2.  Wenn der Leib heilig ist, warum ist er denn noch unter dem Gesetz. des Todes und der Verwesung, und warum muss er bei der Entrückung in einen  n e u e n,  verklärten Leib verwandelt werden? Ein heiliger Leib würde doch dem Tode nicht unterliegen, da der Tod der Lohn der Sünde ist, und ihretwegen in die Welt gekommen. ist.

3.      Warum heisst es in 1. Korinther 15, 50: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben?“ Dies bezieht sich unmissverständlich auf den Leib; denn das ganze Kapitel redet ja ausschliesslich von der Auferstehung des Leibes. Wie würde sich, das mit einem heiligen Leibe reimen?

4.  Was will uns, wenn der Leib heilig ist, Römer 8, 23 sagen: „Wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes“! Hier haben wir es ja wörtlich, dass der Leib noch nicht erlöst ist, somit kann er auch noch nicht heilig sein. Warum seufzen wir denn so nach der Erlösung unseres Leibes? Doch deshalb, weil wir seinetwegen so sehr unsere Schwachheit und Unzulänglichkeit gegenüber der Macht der Sünde und deren Folgen fühlen müssen.

 

Wer trägt die Schuld, Satan oder ich!

 

Da wir also das Fleisch noch in uns haben, weil wir noch im Leibe sind, und das Fleisch wirken möchte, ist auch die Möglichkeit gegeben, dass wir versucht werden und bei unserer Schwachheit auch sündigen können, aber keineswegs müssen. Die Vertreter der „Fleischesheiligung“ machen einen Unterschied zwischen „sündigen“ und in „Sünde fallen“. Insofern man unter „sündigen“ das fortgesetzte Sündigen, das „Sünde tun“ (1. Joh. 3, 4.8) versteht, also einen bösen Zustand, stimmen wir überein, dass ein solcher bei Kindern Gottes nicht vorausgesetzt wird. Es kommt aber leider doch oft genug vor und das muss dann unweigerlich zur Zucht Gottes führen. Aber die Möglichkeit, in Sünde zu fallen, von Fehltritten übereilt zu werden, ist bei unserer Schwachheit und der ungeheuren List und Macht des Teufels (Eph. 6, 11,13; 2. Kor. 2, 11; 1. Petrus 5, 8) eben vorhanden. Darum findet sich auch im Wort Gottes soviel Ermahnung zur Wachsamkeit. (Vergleiche Matth. 26, 41; 1. Kor. 16, 13; Eph. 6, 18; Kol. 4, 2; 1. Petrus 5, 8.) Das kann niemand bestreiten. Ein solcher Gläubiger, der behauptete, Gläubige sündigen nicht mehr, musste die Frage, ob ihm denn nie ein Fall von Sünde vorgekommen sei seit seiner Bekehrung, zugebend beantworten, redete sich aber aus: „Ja, das habe dann nicht ich, sondern der Teufel getan“. Das muss aber ein Auskneifen vor der Wahrheit und ein nicht geringer Selbstbetrug genannt werden; denn der Teufel kann mich auch in einem Einzelfall, mag es auch eine Übereilung sein, nicht sündigen machen, ohne mein persönliches Mitmachen. Vor Gott habe ich gesündigt und ich bin dafür verantwortlich und werde mich vor Gott und Menschen nicht mit dem Teufel ausreden können, sondern ich muss mich gemäss 1. Johannes 1, 9 in Selbstgericht und Bekenntnis davon reinigen und mir vom Herrn vergeben lassen.

 

Eine grosse Gefahr.

 

Solche traurige Ausflüchte sind allerdings die zwangsmäßige Folge einer Lehre, welche behauptet, dass man auf einmal ganz von der Sünde frei, also sündlos werde, und dabei nicht einmal ein fortschreitendes Wachsen gelten lassen will. Denn auch diese Lehrer müssen eben trotz ihren Behauptungen die gleichen gegenteiligen Erfahrungen machen, die eben mit ihrer Lehre nicht in Harmonie zu bringen sind. Gottes Wort aber gibt nirgends die geringste Berechtigung zur Annahme der Sündlosigkeit, sondern es betont im Gegenteil vielfältig und mit großem Ernst, wie gross auch für Kinder Gottes die Gefahren sind, in Sünde zu fallen, selbst in schwere Sünden sogar, und legt die Verantwortlichkeit für unser Verhalten, unser Überwinden oder Fallen durchaus uns selber und nicht dem Teufel auf. Nicht umsonst sind der Bibelstellen Legion, welche von den Möglichkeiten, in Sünde zu fallen, reden und dabei das Mittun des Ichs betonen. Das biblische Gesamtbild zeigt uns ja einen steten Kampf zwischen Fleisch und Geist, d. h. zwischen der alten schwachen Natur und dem neuen Leben im Heiligen Geiste. Eine Auslese aus den verschiedenen Darstellungen möge dies bezeugen:

 

Sünde und Sünden

 

Römer 5,8 erläutert den Grundsatz der Errettung und Rechtfertigung aus Glauben (nicht aus Gesetzeswerken) nach verschiedenen Gesichtspunkten. Kapitel 7 bespricht den Widerstreit Zwischen zwei Lebensgesetzen in uns, dem Gesetz des Geistes und dem der alten sündigen Natur. Denn wir haben es nicht allein mit den persönlichen Tatsünden, sondern auch mit der von Adam ererbten sündigen Natur zu tun. Römer 7 tut uns nun kund, dass nicht nur unsere Sünden durch das Blut des Christus abgewaschen sind, sondern auch die Sünde, die in uns wohnende Macht, in Christus ihr Gericht gefunden hat. Es kann sich hier nicht um einen unbekehrten Menschen handeln; denn ein solcher hätte ja kein erneuertes Gewissen noch erneuerten Willen, weshalb es keinen Widerstreit gäbe zwischen Geist und Fleisch. Ein solcher könnte nicht von sich sagen: „Nun aber vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde“ (Vers 17); denn im unbekehrten Menschen stellt sich das Ich der Sünde ja nicht entgegen, vermag dies auch nicht; für ihn gibt es nur das eine Gesetz der Sünde. Wir haben hier vielmehr eine Seele, die zwar bekehrt ist und deren Sünden vergeben sind, die aber noch die Macht der Sünde in ihrem alten Fleisch spürt, aber noch nicht erfasst hat, dass auch diese durch das Kreuz des Christus überwunden ist und ihr Ende im Gericht gefunden hat und die darum in sich selber diesen Sieg noch nicht erkannt und verwirklicht hat, also praktisch noch nicht befreit ist. Es ist dies ja sicherlich nicht der Normalzustand eines Christen. Dennoch gibt es unzählige Christen, die sich aus diesem Grunde ihrer Errettung nie so recht erfreuen können, obwohl man ihnen ihre Gotteskindschaft nicht absprechen kann.

 

Die zwei Naturen.

 

Auch aus dem Römerbrief ist deutlich ersichtlich, dass die ganze Frage der zwei Naturen infolge der noch nicht erfolgten Erlösung unseres Leibes ein Dualismus ist, ein Nebeneinanderhergehen und ,wirken der göttlichen, vollkommenen und der menschlichen, noch unvollkommenen Natur. Die Auferweckung der menschlichen, noch unvollkommenen Natur. Die Auferweckung des neuen Menschen, die Wiedergeburt zum Leben aus Gott, die Wohnungnahme des Heiligen Geistes in uns, betrifft die göttliche Seite, die selbstverständlich allein Gottes vollkommenes Werk ist, ein Vorgang, der von uns unbemerkt erfolgt. Bekehrung, Erfassung der Sündenvergebung im Glauben, Heilsgewissheit, Befreiung usw. bezeichnen den Vorgang im Menschenherzen selbst, der infolge der unvollkommenen menschlichen Natur eine Entwicklung von kürzerer oder längerer Dauer ist. Dass der Leib noch nicht erlöst, die alte Natur der Schwachheit und des Fleisches noch in uns wirksam ist, zeigt uns, dass wir zwei Naturen, die miteinander im Kampfe liegen, in uns haben. Gewisslich können und sollen wir durch die Kraft des Heiligen Geistes in uns zum Siege des neuen Menschen aus Gott über die alte sündhafte Natur gelangen. Dies aber bedeutet noch lange nicht eine absolute Sündlosigkeit, solange wir noch in unserm Erdenleibe sind.

 

Der schwere Kampf.

 

Dieser Kampf in uns wird z. B. auch in Galater 5 dargestellt und in Epheser 6 wird sogar eine ganze Waffenrüstung von sieben Stücken beschrieben, welche zu diesem Kampfe unbedingt nötig ist. Es handelt sich in beiden Abschnitten um einen Kampf, der sich durch unser ganzes Erdenleben hindurch immer neu fortsetzt. Epheser 6, 13 zeigt, auf welch hinterlistige Art der Teufel diesen Kampf gegen uns führt und wie gefährlich es ist, jemals diesen Kampf als ausgekämpft zu betrachten. Wenn wir auch durch Gottes Kraft sogar zu einem mehr oder weniger konstanten Sieg gelangen können, geht dieser doch niemals so weit, dass wir auch nur ein einziges Stück der Waffenrüstung ablegen dürften. Denn niemals kann es von uns heissen, was der Herr von Sich sagt: „Der Fürst dieser Welt kommt und hat nichts in Mir“. Gerade dann, wenn man sich sicher wähnt, ist bekanntlich die Gefahr am grössten: „Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle!“ Ist die Behauptung, sündlos geworden zu sein, nicht gerade so ein Dünkel, eine Überhebung, also auch eine Sünde, die Gott missfällt?

 

Stellung und Zustand.

 

Dass der Gläubige zwei Naturen hat, eine alte und eine neue, wird uns durch manche parallele Ausdrücke im Neuen Testamente bestätigt, welche deutlich den Zwiespalt zwischen der vollkommenen Stellung vor Gott als vollendete Tatsache und deren praktischen Verwirklichung durch uns illustrieren. Römer 6 und Kolosser 2, 12 zeigen unsern alten Menschen als mit Christus am Kreuz gestorben und begraben, in Kolosser 3 aber werden wir sehr ernstlich aufgefordert, unsere Glieder, welche auf der Erde sind, zu töten (eben die dort aufgezählten sündlichen Glieder). Kolosser 3, 9 sagt, dass wir den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen hätten und dicht daneben ist die Aufforderung, die alten Glieder zu töten und in Neuheit zu leben. Auf der einen Seite sagt der Herr, dass wir als die Seinen rein seien (Joh. 13, 10), auf der andern Seite vollzieht sich eine fortlaufende Reinigung (2. Kor. 7, 1; 1. Joh. 3, 3). In zahllosen Stellen, so in den meisten Briefanfängen, werden die Gläubigen insgesamt als Heilige, Geheiligte angeredet, sogar die Korinther, in deren Mitte sogar viel Unheiliges zu rügen war. (Vergl. 1. Kor. 1, 2; 2. Kor. 1, 1; Eph. 1, 1; Phil. 1, 1; 1. Petrus 1, 2; ferner Eph. 2, 19; 5, 27; 1. Kor. 14, 33; Kol. 1, 22; 3, 12; 1. Thess. 5, 27; Hebr. 3, 1; 10, 10; 1. Petrus 2, 9 usw.) Daneben enthalten manche Stellen auch die Ermahnung zu fortgesetzter Heiligung, z. B. 1. Thess. 5, 23; 1. Petrus 1, 15‑16; 3, 15; 2. Petrus 3, 11. In Hebräer 10, 14 heisst es, dass wir, die geheiligt werden, auf immerdar vollkommen gemacht seien, in 2. Korinther 13, 11 aber ermahnt Paulus die Korinther, vollkommen zu werden. Alles dies beweist, dass Gottes Wort unter Heiligung noch etwas anderes versteht als Sündlosigkeit. Hierauf kommen wir noch zurück.

 

Es gibt keine sündlosen Gotteskinder.

 

Alle apostolischen Briefe, die ja an Versammlungen oder einzelne Gläubige gerichtet sind, also an Gotteskinder, sind voll von ernsten Ermahnungen und Warnungen, sogar vor groben Sünden. Gerade im Epheserbrief, wo die Versammlung als in die himmlischen Örter versetzt gesehen wird, und im Kolosserbrief, wo sie mit ihrem Haupte Christus in Lebensverbindung steht, sind diese besonders angehäuft. Man sollte doch meinen, dass an Gläubige in solch hoher Stellung keine Ermahnungen gerichtet werden müssten.

 

Gottes Wort zeigt eben weder in den Belehrungen, noch in den Lebensbeschreibungen Gerechter sündlose, sondern vielmehr fehlbare Menschen wie wir, die höchstgestellten nicht ausgenommen. Denken wir an David, Petrus usw.; alle waren unzweifelhaft Gerechte, die Gott als solche anerkannte. In welch tiefe Sünde sind aber die beiden genannten gefallen! Und doch sehen wir, wie der Herr in Liebe und Gnade mit ihnen handelte, bis sie wieder zurecht gebracht waren. Wie oft kommen ähnliche Fälle auch heute vor, gewöhnlich dann, wenn Gläubige (wie jene auch) in gewisse Selbstsicherheit geraten.

Wie viele Ermahnungen zeigen auch, dass wir, trotz unserer vollkommenen Stellung, praktisch in einem fortschreitenden Wachstum zum Herrn hin begriffen sind, einem Kleinerwerden und Sterben unseres Ichs. (Vergl. 2. Kor. 3, 18.) Da ist die Ermahnung, zu wachsen (Eph. 4, 15; Kol. 1, 10; 1. Petrus 2, 2; 2. Petrus 3, 18), zuzunehmen (l. Thess. 4, 1. 10), fortzuschreiten (Hebr. 6, 1) usw. Solche Ermahnungen wären doch nicht nötig, wenn wir praktisch völlige Reinheit und Vollkommenheit erlangt hätten. Auf dieses Wachstum bezieht sich das von den Vertretern der Vollkommenheitslehre beanstandete Wort: „dass wir immer besser erkennen lernen, wie sündig unsere Natur sei“. Es will sagen, dass wir durch das Betrachten des Herrn in Seinem Wort erst recht die Sünde erkennen, beurteilen und als solche unterscheiden und ablegen lernen. Als durch die Sünde geblendete Menschen vermögen wir ja gar nicht richtig zu sehen und können erst durch fortgesetzte Unterweisung durch den Heiligen Geist geöffnete Augen bekommen. Darum ist es überheblicher Dünkel, Hochmut und Blindheit, zu behaupten, man sei sündlos, man habe seit Wochen usw. nicht mehr gesündigt, und solch menschlicher Stolz und Überhebung wird in der Schrift gerade als etwas Gott besonders Ärgerliches bezeichnet (l. Joh. 1, 8. 10). Nicht umsonst wird so grosser Nachdruck auf Demut gelegt, sie ist unser wichtigster und sicherster Schutz vor Überheblichkeit (Eph. 4, 2; Kol. 3, 12; 1. Petrus 3, 8; 5, 5).

 

„Der aus Gott Geborene sündigt nicht.“

 

Ganz wichtige Belehrungen gibt uns auch der erste Brief des Johannes. Er ist deutlich und einwandfrei an Kinder Gottes gerichtet und bezieht sich nur auf solche. Johannes gibt uns Belehrungen über das ewige Leben, das in uns ist, worin es sich zeigen muss und was ihm nicht entspricht. Johannes redet in abstrakter Weise, d. h. er stellt die Gegensätze in äusserster Konsequenz einander gegenüber. Er spricht in Kapitel 3, 4‑12 vom tatsächlichen Charakter des neuen aus Gott geborenen Menschen und stellt ihm den natürlichen gegenüber, um jenen zu kennzeichnen. Dabei sagt er: „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde“ (1. Joh. 3, 9). Wohlgemerkt, es steht nicht da: „der Erlöste tut nicht Sünde“, oder „Wir sündigen nicht“; es wäre dies ja gar nicht möglich, weil er in Kapitel 1, 8 betont hat: „Wenn wir sagen, dass wir (Kinder Gottes) keine Sünde haben, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“. (Vergleiche auch Vers 10.) Wie müssen wir nun aber obige Stelle verstehen, dass der „aus Gott Geborene“ nicht sündigen kann? Die Erklärung liegt in der Begründung, die der Apostel anfügt: „denn Sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“. Der Apostel schaut hier den Gläubigen in seiner Natur. Es ist nicht die Rede von Wachstum, sondern um die Art (Same). Die Art wird durch die Geburt oder Herkunft bestimmt. Eine Eichel wird nie anderes als eine Eiche geben, sie ist von der Eiche und wird zur Eiche werden. Wir sind durch die Wiedergeburt der göttlichen Natur leibhaftig geworden. Klar, diese kann nicht sündigen. Wenn wir sündigen, ist es aus unserer Natur, aber nicht aus Gott. Aber wer wollte nun davon ableiten, dass wir nicht mehr sündigen? da wir doch wiederholt dargetan haben, dass trotz der neuen Geburt die alte Natur noch in uns wirksam sein kann, wenn wir nicht wachen. Wie töricht und grundverkehrt ist es daher, von Sündlosigkeit der Gotteskinder zu reden! Dann wäre es ja nicht nötig gewesen, dass Gott uns einen Sachwalter gab. „Wenn jemand gesündigt hat , wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (l. Joh. 2, 1). „Sündlose“ brauchen keinen Sachwalter; da müsste sich also Gott geirrt haben! Nur Kinder Gottes haben einen Vater im Himmel. Er weiss, dass wir Fehler machen, wie auch Jakobus, der den Beinamen „der Gerechte“ trug, aber das Bekenntnis ablegte: „Wir alle straucheln oft“ (Jak. 3, 2). Wer möchte sich diesem heiligen Manne gleichstellen? Ist es nicht ein sträflicher Leichtsinn und eine sündhafte Oberflächlichkeit, von Sündlosigkeit zu reden? Wo ist der Mann, der nur die göttliche Natur wirken lässt, die , wir haben es klargelegt , nicht sündigen kann, und seinem Fleische, seiner Natur, seinem Bösen in ihm, nie Raum lässt?

 

O lasst uns, wenn wir von einer Sünde übereilt werden, dieselbe in sofortigem Selbstgericht vor Gott bringen und bekennen! Er wird uns vergeben und die unterbrochene Gemeinschaft wird wiederhergestellt sein. Ein Unbekehrter aber kann nicht zum Vater kommen; er hat keinerlei Gemeinschaft mit Ihm solange er in der Sünde lebt; er muss zum Kreuze kommen und in Jesu kostbarem Blut Heil, Rettung und Vergebung suchen. Für den Gläubigen aber ist der Herr Jesus der Sachwalter (Fürsprecher) bei dem Vater, für Sünder der Erlöser und Sündentilger. Wie ganz anders lautet dies als „sündlos“ sein!

 

Wer wird entrückt!

 

Es bleibt uns noch übrig, einige Ausdrücke und Redensarten zu besprechen, welche in Verbindung mit der Lehre der Sündlosigkeit stehen. Da hört man z. B. oft sagen: "Nur die ganz Treuen werden entrückt werden“. Man versteht aber unter solchen Reinen und Heiligen fast durchweg die „Sündlosen“. 1. Korinther 15, 23 sagt aber: „Die des Christus sind bei Seiner Ankunft“, dies sind aber alle, welche Er durch Sein Blut Gott erkauft hat und die durch den Heiligen Geist wiedergeboren und versiegelt sind. Wenn man Unterschiede zwischen Kindern Gottes in bezug auf die Entrückung macht, vergisst man die folgenden sechs wichtigen und ausschlaggebenden Wahrheiten:

 

1.  Alle Stellen, welche von der Entrückung der Gläubigen. handeln (z. B. Joh. 14, 3; 1. Kor. 15, 51,56; 1. Thess. 1, 10; 4, 13‑17; Römer 8, 11; usw.), reden klipp und klar von Allen, die Sein sind, ohne die geringste bedingende oder einschränkende, Klausel. Wer oder was gibt uns ein Recht, unsererseits Vorbehalte hinzuzufügen? Eine derartige Scheidung der Kinder Gottes in bezug auf die Verheißungen kennt Gottes Wort nirgends.. Wohl gibt es in Lohn und Kronen Unterschiede, aber nicht in bezug auf die Entrückung; denn die Belohnung (Preisverteilung) findet doch vor dem Preisgericht (Richterstuhl) des Christus statt (2. Kor. 5, 10).

 

2.  Vor allem müssen wir auch daran denken, dass die Entrückung die Vollendung des Triumphes des Herrn und Seiner Liebe sein wird und sein muss. Würde aber dieser Triumph ein vollständiger sein, wenn Er auch nur ein einziges Seiner Schafe zurücklassen müsste? Wäre es nicht vielmehr ein Triumph Satans, dem Herrn doch noch etwas abgejagt zu haben? Nein, des Herrn Triumph muss ein vollständiger, restloser sein; das ist aber nur dann der Fall, wenn Er alle Seine Schafe vollzählig jenseits des Todes in Sicherheit gebracht hat. Nichts und niemand wird auch nur eines Seiner Schafe aus Seiner Hand reissen!

 

3.      Beachten wir auch die Stelle Römer 8, 11: „Wenn aber der Geist Dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird Er, der Christus aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen Seines in euch wohnenden Geistes“. Dies bedeutet, dass auch der Heilige Geist, der jetzt auf Erden in den Heiligen wohnt, darauf harrt, mit diesen baldigst zum Herrn zurückkehren zu können. Wenn nun nur die sogenannten „Treuen“ entrückt würden, dann wäre dies nichts anderes als ein Zerreissen des einen Leibes, den der Heilige Geist gebildet hat. Ja, dann müsste doch ein Teil des Heiligen Geistes mit den zurückgelassenen Gläubigen hienieden bleiben. Welch eine unsinnige, ja unmögliche Konsequenz bedeutet demnach die Lehre der Sündlosigkeit.

 

4.  Dann aber, lieber Leser, lasst uns eingedenk sein, dass als Maßstab unserer Treue nur das vollkommene Beispiel des Herr selber gelten könnte. Das heisst aber, dass dann als „Treue“ nur hundertprozentige Heilige mitgehen könnten. Wo sind diese in Wahrheit zu finden? Vielleicht bei den „Perfektionisten“? Nicht wahr, kein aufrichtiger, demütiger Knecht oder Magd des Herrn wird sich für treu genug halten, sondern empfindet stets die grossen Mängel, das stete Zukurzkommen, seine Unvollkommenheit usw. Nun, Hand aufs Herz, wie viele Treue würden bei dem Maßstab: „Heilig wie Er“ zu finden sein? Du nicht und ich nicht; keiner, auch nicht einer!

 

5.  Nun bitte ich dich, diese Frage ernstlich für deine eigene Person zu erwägen und dabei noch etwas weiter zu denken: Da du nicht zu diesen „Treuen“ gehörst, weil solch absolute Vollkommenheit, solange wir in diesem Leibe pilgern, nicht möglich ist, welche Verheissung Gottes bleibt dann für dich als Gottes Kind noch übrig? Das Wort Gottes kennt keine. Aber noch mehr, mit dieser Vollkommenheitslehre stempelst du die Verheissung der Entrückung als unerreichbar. Damit aber tastest du die Vollkommenheit des Wortes Gottes gerade in einem seiner wichtigsten Punkte an!

 

6.  Und dann, was denkst du von den schon entschlafenen Gläubigen; waren diese alle vollkommen, alle restlos treu? Nein, Gottes Wort gibt uns keine Beispiele von absolut sündlosen Menschen, sondern alle, selbst die Besten, sogar „Grosse im Reiche Gottes“ haben gefehlt und geirrt. Was geschieht nun mit diesen allen? Gottes Wort kennt ja nur zwei Auferstehungen, die eine zum Leben und die andere zum Gericht. Zu welcher wären dann diese Toten einzureihen? Man glaubt, für die nicht völlig Treuen nach der Entrückung eine Läuterungszeit einschieben zu sollen, entgegen dem Worte in 1. Petrus 4, 17. „Denn die Zeit ist gekommen, dass das Gericht anfange bei dem Hause Gottes“. Damit wird doch gesagt, dass das läuternde Gericht (Zucht) jetzt, d. h. zu Lebzeiten eines jeden Gläubigen beginnt, und dies bestätigt doch das göttliche Wort und die tausendfältige Erfahrung.

 

Kann ein Kind Gottes verloren gehen!

 

Eine andere, oft gehörte Behauptung ist die, dass ein wiedergeborener Christ durch Fehltritte wieder verloren gehen könne, und dann genau so wie der unbekehrte Sünder dem Gericht verfalle.

Diese Leute geben sich nicht Rechenschaft über das Wesen der Wiedergeburt, sonst würden sie wissen, dass sie ein Vorgang ist, der sich nicht wiederholen kann. Denn dabei ist doch der alte Mensch gestorben und ein neuer auferstanden, der von Gott dem Vater durch den Heiligen Geist zum ewigen Leben und zur Gotteskindschaft wiedergezeugt ist. Das ist doch etwas, das nicht wieder annulliert noch wiederholt werden kann! Das wäre geradezu mit dem Heiligen Spiel treiben! Zudem haben wir so bestimmte und klare Versicherungen von seiten des Herrn, z. B. Joh. 10, 27‑30: „Sie gehen nicht verloren ewiglich und niemand wird sie aus Meiner Hand rauben. Mein Vater ... ist grösser als alles, und niemand kann sie aus der Hand Meines Vaters rauben“. „Gott ist treu, dass unser Wort an euch nicht ja und nein ist ... So viele der Verheissungen Gottes sind, in Ihm ist das Ja und in Ihm das Amen“ (2. Kor. 1, 18‑20). „Gott hat das Pfand des Geistes in unsere Herzen gegeben“ (2. Kor. 1, 22). Auch Römer 8, 31‑39 und Hebräer 6, 13‑20 sind voll kostbarer Zusicherungen, dass Seine so unendlich teuer Erkauften niemals verloren gehen können. Beachten wir mit Sorgfalt, wie der Herr z. B. mit dem Ihn verleugnenden Petrus verfährt, nicht wie mit einem verlornen Sünder, sondern wie mit einem irrenden Kind, das Er mit zarter Liebe zurechtbringt. Verfolgen wir nur die Reihe der Stellen Lukas 22, 31‑34. 61‑62: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre ... der Herr wandte sich um und blickte Petrus an ... Petrus ging hinaus und weinte bitterlich“; Markus 16, 7: „saget Seinen Jüngern und Petrus“; Joh. 20, 3‑10; Lukas 24, 34: "der Herr ist wahrhaftig auferweckt worden und dem Simon erschienen“; Joh. 21: dreimal „Hast du Mich lieb?“. Schon zum voraus (Lukas 22, 31‑34; Joh. 13, 36‑38) warnt Er vorsorglich Petrus und in Johannes 13, 1‑11 gibt Er gerade dem Petrus eine wunderbare Belehrung im Blick auf seinen bevorstehenden Fall. Dabei ist wohl zu beachten, dass Er nicht sagt: Du wirst kein Teil an Mir, sondern mit Mir haben! d. h. die praktische Gemeinschaft mit dem Herrn wird unterbrochen, weil die Sünde dazwischen gekommen ist, aber die Errettung wird keineswegs in Frage gestellt. (Vergl. Vers 10.) Gerade die Fusswaschung gibt uns den rechten Fingerzeig, wie es sich mit den Kindern Gottes verhält, die gesündigt haben.

 

Ganz gewiss redet die Heilige Schrift sehr ernst über die Sünde, ja sie zeigt, dass sie unfehlbar Zucht nach sich ziehen muss. Wie ernst redet 1. Korinther 11, 27‑34, wo davor gewarnt wird, das Abendmahl unwürdig zu geniessen, da sonst Gottes Zucht eingreifen müsste. Auch da heisst es aber nicht „unwürdig sein zu essen“, sondern „unwürdig essen“. Wer könnte sich selber für das heilige Mahl würdig taxieren? Aber es ist ein unwürdiges Essen und Trinken, wenn irgend etwas nicht in Ordnung ist, wenn eine Verunreinigung vorhanden oder etwas zwischen den Kindern Gottes liegt. Aber der Herr weist solche nicht einfach vom Tische, sondern Er will, dass alles zuerst in Ordnung gebracht werde, damit Er die Gemeinschaft mit dem Essenden geniessen kann. Selbst in ernsteren Fällen (z. B. in 1. Kor. 5 oder 2. Thess. 3) sagt sich der Herr nicht einfach los, sondern Er führt die Seelen zum Selbstgericht, und wenn dieses nicht erfolgt, zum Ausschluss von Tisch und Gemeinschaft, oder zur Meidung des Umgangs. Wir sehen aber, dass die Zucht auch im schwersten Falle stets die innere Wiederherstellung der gefallenen Seele und die Verherrlichung des Herrn bezweckt. (Vergl. 1. Kor. 5 mit 2. Kor. 2, 5‑11 und 7, 8‑12.)

 

Laugewordene Christen.

 

Leider kommt es ja vor, dass Gläubige im Eifer, in der Liebe usw. nachlassen, lau werden, auf einen Abweg geraten oder in eine Sünde fallen, ohne in Busse umzukehren, ja dass sie den bisher Gott zugewandten Pfad verlassen und jahrelang so verharren, dass man in bezug auf ihren Gnadenstand vor einem Rätsel steht. Dennoch müssen wir mit unserm Urteil, dass sie verloren gegangen seien, vorsichtig sein und die Frage Gott und Seinen Regierungswegen überlassen. Wir sind zu wenig Herzenskündiger, um die verschlungenen Wege des trotzigen und verkehrten Menschenherzens zu ergründen und mit Sicherheit urteilen zu können. (Vergl. Jer. 17, 9.) Wer aber einmal von Gott als Sein Kind wiedergeboren ist, den lässt Er bestimmt nicht fahren, sondern Seine Regierungswege werden ihn sicherlich wieder zurückführen, wenn Er ihn vielleicht auch lange seinen eigenen Wegen überlassen muss. Allerdings wird es dann meist nur eine Rettung sein gleich einem aus dem Feuer gerissenen Brandscheit (1. Kor. 3, 15; Sach. 3; vergl. auch 2. Tim. 2, 13).

 

Was sagt die Schrift über „Heiligung“!

 

Wir möchten nun noch ein Wort über „Heiligung“ hinzufügen. Es ist sehr wichtig dass man richtig erfasst, was der Heilige Geist darunter versteht. Es ist keineswegs etwas, das der Gläubige durch eigene Anstrengungen, "gute Werke“, Askese, Kasteiungen usw. in einem gesetzlichen Training erlangen soll. Auf diese Weise gelangt man lediglich zu einer wertlosen Heiligung des Fleisches und zu unheiligem Dünkel und Überhebung. Ist es nicht eben dies, was oft derartige Leute charakterisiert? Der aufrichtige Christ, der ernstlich Gott und nicht sich selber zu gefallen sucht, wird zu seiner Betrübnis erkennen müssen, dass er das Gewünschte nie erreicht.

Gottes Wort, zeigt etwas ganz anderes als Heiligung, und zwar im Beispiel des Herrn selbst, indem Er von sich sagte: „Ich heilige Mich selbst für sie“ (Joh. 17, 19). Denn für den Herrn kam ja nicht asketische Bekämpfung von Begierden, Lüsten, Sünde usw. in Betracht, denn solches gab es nicht bei Ihm (vergl. Matth. 4, 1‑4; 11, 19), sondern es war die völlige innere und äussere Absonderung von der Welt und Ihren Wegen, die restlose Hingabe an Gott und Seinen Dienst, das wahre geistliche Nasiräat (4. Mose 6). Dies ist es, was der Herr auch von uns erwartet, und dies ist die Heiligung, von der Gottes Wort redet.

 

Die Heilige Schrift redet von der Heiligung in zweierlei Hinsicht. Einmal redet sie, vor allem in den Briefen der Apostel, von allen Kindern Gottes als "Heilige“ oder „Geheiligte“, wie wir es bereits ausgeführt haben. In der Tat ist schon die Wiedergeburt eine Heiligung im biblischen Sinn, eine Umstellung und Sinnesänderung zur Nachfolge des Christus, zum Leben, Wandeln und Dienen für und mit Gott, eine völlige Abkehr von den Wegen und dem Trachten der Welt und den Begierden des alten Menschen. Daneben enthalten andere Stellen ernste Ermahnungen an die Gläubigen, zu einer wachsenden, fortlaufenden Heiligung. Wiederum ist damit keine eigene gesetzliche Anstrengung gemeint, wiewohl darunter das Ablegen und Sich,Enthalten von Sünden verstanden ist. Gottes Wort zeigt auch da den rechten Weg: „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden. verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor. 3, 18). Das heisst, die fortschreitende Heiligung erfolgt durch die fortgesetzte innige Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus Christus und das aufmerksame Betrachten Seiner Person. Das ist wahre Nachfolge in Seinen Fußstapfen und wahrer Gehorsam gegen Seine Leitung. Das Mittel dazu ist Gottes Wort selbst, aufgeschlossen durch den Heiligen Geist. (Vergl. Joh. 17, 17.) Es bedarf also sowohl eines ernsten persönlichen Willens und Strebens, als auch des Wirkens und der Leitung von seiten des Heiligen Geistes.

 

Fassen wir das Gesagte noch kurz zusammen und wir finden:

 

1.  Dass es das Bestreben jedes wahren Christen sein muss, sich der Sünde für tot zu halten (Römer 6, 11). Es ist dies ein unbestrittenes Erfordernis und eine ernste Pflicht.

 

2.  Dass uns der Sieg über Welt und Sünde gegeben ist und zwar durch den Glauben (l. Joh 5, 4); und dass wir durch den Geist die Handlungen des Leibes töten.

 

3.  Dass wegen der menschlichen Schwachheit niemand in diesem Leibe zur praktischen Sündlosigkeit gelangen kann, obgleich der Sieg Jesu über Tod und Sünde ein völliger ist.

 

Schlusswort.

 

Bei den mancherlei auseinandergehenden und sich zum Teil widerstreitenden Ansichten über den in dieser Schrift behandelten Irrtum, drängt sich uns der Gedanke auf, dass nämlich alle Verirrungen , abgesehen von krassen Irrlehren, die sich überhaupt nicht mehr auf Gottes Wort stützen , ihre Ursache immer wieder darin haben, dass die vorgefasste Lehre sich nur einseitig auf die Heilige Schrift stützt. Einseitigkeit ist ein Hang, der dem Menschen und auch den Gläubigen anklebt; also auch im geistigen Leben eine grosse Rolle spielen kann. Darum ist die Gefahr, die Wahrheiten der Heiligen Schrift einseitig, vielleicht nur auf der Linie irgend einer Lehre unter Ausserachtlassung der praktischen Auswirkung im Leben zu betonen, sehr gross. Eine solche Lehre wird bald zu einer kalten, toten Theorie werden. Graue Theorie ist alles, wenn die Lehre nicht Lebenselement, nicht die Kraft ist, die in Liebe und Freude sich der Souveränität und Göttlichkeit der Heiligen Schrift unterwirft. Einseitig hat man auch den Ruf erhoben: "Nicht Lehre, sondern Taten; nicht Theorie, sondern Leben!“

 

Diese Einseitigkeit ruft gewöhnlich weitere Einseitigkeiten hervor. Man betont einseitig eine Lehre, ohne sie in die göttliche Harmonie der anderen Lehren des Wortes Gottes zu bringen. Auf diese Weise kann eine Lehre nie den Anspruch auf biblisches Begründetsein erheben. Sie wird lediglich zum Steckenpferd dessen, der auf solcher ausserbiblischer Lehre reitet, wie sehr dieser vielleicht versucht, sie durch diese und jene göttliche Wahrheit zu tarnen. Hüten wir uns vor rein menschlicher, verstandesmässiger Scheinlogik! Lasst uns nicht in einseitigem Eifer die Grenze der gesunden Lehre überschreiten! Einseitige Befunde werden gerne in starre Dogmenform geprägt; auf der einen Seite sagt man zu wenig, auf der anderen zu viel, und statt des „Bildes gesunder Worte“ (2. Tim. 1, 13) gelangt man zu einer ungesunden oder gar irrigen Lehre. Hierin liegt wohl auch der Keim des Irrtums, den wir behandelt haben; er ist der Keim allen Abirrens von der klaren Lehre der Heiligen Schrift.

Möchte der Herr in Seiner Gnade es schenken, dass manche Irregeführte zur wahren göttlichen Erkenntnis zurückgeführt werden!