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Dritte allgemeine Antwort von Peter  an Matthias Müller

Lieber Matthias    

Ich bin froh, dass ich nun doch eine Gelegenheit habe, auf Deine
Ausführungen nochmals etwas einzugehen. Das gibt mir die Möglichkeit, einige
der vorigen Themen ein wenig zu vertiefen. Fangen wir dabei mit Fragen des
Verstandes an. Du sagst am Anfang Deiner Ausführungen über Deine Abkehr vom
christlichen Glauben folgendes:

"Das einzige Instrument, welches uns unser Schöpfer zur Beurteilung von
Aussagen und Theorien gegeben hat, ist unser Verstand. Natürlich sind dem
menschlichen Verstand Grenzen gesetzt. Aber mit ihm können wir auf ehrliche
Art Argumente abwägen und Schlüsse ziehen. Unser rationales Denken kann
nicht gänzlich objektiv sein, aber es strebt in dieser Richtung."

Hier möchte ich einige Fragezeichen setzen. Ist der Verstand wirklich das
einzige Instrument, welches der Schöpfer uns gegeben hat, um etwas zu
erkennen und zu beurteilen? Ich wage das zu bezweifeln. Schon aus der Bibel
selbst erhalten wir hier einige Hinweise. Das griechische Wort für
"erkennen" (gignosko) beschränkt sich nicht, wie unser armseliges, deutsches
Wort, auf ein rein verstandesmässiges Erkennen. Das griechische Wort
beinhaltet eine Erkenntnis, welche alle Aspekte des Menschseins umfasst.
Hierzu gehören Wahrnehmungen, Empfindungen, Erfahrungen, usw. Dies wird auch
deutlich in der Art, wie das Wort in der Bibel verwendet wird, z.B. für die
innige Vereinigung zwischen Mann und Frau (Mtth. 1, 25).

Beim griechischen Wort für "beurteilen", "richten", "prüfen" (krino) haben
wir ein ähnliches Problem, nämlich dass die Bibel in ihrer Verwendung des
Wortes viel weiter geht als nur ein rein verstandesmässiges Beurteilen, wie
wir das vielleicht manchmal gerne hätten (z.B. 1. Kor. 2, 14-15). Im Alten
Testament kommt dies noch viel mehr zur Geltung, da dem Hebräischen ein
solches - rein vernunftmässiges - Beurteilen/Erkennen völlig fremd ist. Im
AT wird immer der ganze Mensch angesprochen, mit all seinen Empfindungen,
Gefühlen und Erfahrungen. Es geht um den ganzen Menschen, mit Leib, Seele
und Geist.

Die Bibel wurde uns ja gegeben, um uns zu helfen, Gott zu erkennen und Sein
Wesen und Handeln zu verstehen. Ich habe nun den Eindruck, Du möchtest
dieses Erkennen auf einen rein vernunftmässigen Prozess beschränken. Da
möchte ich mich aber ganz heftig dagegen wehren. Ich will meine Bedenken
aber noch etwas genauer erklären. Nehmen wir als Beispiel einen Teddybär.
Wir können die Beschaffenheit dieses Teddybärs chemisch und physikalisch
untersuchen. Wir können seine Grösse und sein Gewicht messen. Wir können
sogar rein optisch seine Farbe bestimmen. Und nun? Ist damit der Teddybär in
seiner Gesamtheit erfasst und alles erschöpft, was darüber zu sagen ist? Wie
beschreibe ich z.B. die Weichheit seines Fells, wenn ich mit meinen Fingern
darüber streiche? Seine Wärme, wenn ich ihn an mich drücke? Erschöpft sich
das wenn ich den Reibungskoeffizienten seines Fells berechne oder seine
Temperatur messe? Wie reagiert dieser Teddybär mit seiner Umwelt? Ich meine
damit nicht, wie nass er wird wenn es regnet, sondern was z.B. ein kleines
Kind empfindet, wenn es diesen Teddybär an sich drückt und bei ihm
Geborgenheit sucht.

Ich glaube, Du verstehst jetzt vielleicht langsam, was ich meine. Mit der
Mathematik hast Du eine logische Sprache, mit der Du rein quantitative Dinge
beschreiben kannst. Du wirst aber grosse Mühe haben, mit Logik und Vernunft
die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind zu beschreiben. Selbstverständlich kann
die Vernunft hier auch ihren Dienst tun, doch wie weit wird sie reichen? Und
nun willst Du durch reine Vernunft ein solch unendlich komplexes Wesen wie
Gott zu erklären versuchen? Ist das nicht geradezu eine lächerliche
Vorstellung? Ich bin, wie Du, ebenfalls davon überzeugt, dass wir unseren
Verstand keinesfalls ausschalten sollen, wenn wir die Bibel betrachten, aber
wenn wir uns nur auf unseren Verstand verlassen wollen, um alles zu
erklären, was die Bibel uns zu beschreiben versucht, dann haben wir ein sehr
unzulängliches Werkzeug ausgewählt. Dies ist auch der Grund, warum die Bibel
uns davor warnt, uns in unserer Auseinandersetzung mit Gott nur auf unseren
Verstand verlassen zu wollen. Sie sagt uns, wir müssen auch mit unserem
Herzen, mit unserer Seele, an Ihn glauben (Spr. 3, 5).

Die Bibel versucht nun in einer recht einfachen Sprache, ewige, göttliche
Wahrheiten weiterzugeben, damit alle Menschen sie möglichst verstehen
können. Doch ist leider die menschliche Sprache ebenfalls ein sehr
unzulängliches Mittel für eine solch fast unmögliche Aufgabe. Deshalb hat
Gott viele verschiedene Menschen verwendet, um die Erkenntnisse über IHN auf
viele verschiedene Arten weiterzugeben. Jeder dieser Menschen hat Gott
wieder ein wenig aus einer anderen Sicht gesehen und versucht, die
Wahrheiten, die er erkannt hat, zu beschreiben. Darum glaube ich auch, dass
jede Darstellung in sich wieder wahr ist. Der Mensch, der in einer Sprache
etwas aufgeschrieben hat, hat sicher immer gewusst, was er damit ausdrücken
wollte. Doch wie oft verstehen wir einander schon nur in alltäglichen Dingen
falsch? Und nun sollen wir uns in die Gedankengänge und Sprache von Menschen
hineinarbeiten, die bereits mehrere Jahrtausende tod sind. Mit diesen
Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten haben wir zu kämpfen, wenn wir an die
Bibel herangehen wollen. Eine fast unmögliche Aufgabe, wenn uns da der
Heilige Geist nicht zur Hilfe kommt.

Nun sagst Du noch, dass wir mit unserem Verstand auf ehrliche Art Argumente
abwägen und Schlüsse ziehen können, und dass unser rationales Denken nicht
gänzlich objektiv sein kann, aber in dieser Richtung strebt. Da möchte ich
vehement widersprechen. Bereits die Geschichte der wissenschaftlichen
Forschung beweist zur Genüge, wie unehrlich der Mensch ist, wenn er
Argumente abwägt und Schlüsse zieht. Er ist selbstsüchtig, berechnend und
sieht nur auf seine persönlichen Vorteile. Auf dieses Problem bin ich ja
bereits in meinem zweiten Beitrag ein wenig eingegangen. Das ist es, was ich
bei der täglichen Arbeit erlebe. Willst Du mir weissmachen, dass Du es
anders erlebst? Das könnte ich Dir kaum abnehmen.

Ich fasse also diesen Teil meiner Ausführungen zusammen:

a) Wir haben in unserem Verstand ein völlig unzulängliches Instrument, um
Gott, die Bibel und die ewigen, göttlichen Wahrheiten zu erforschen. Der
Verstand muss hierzu durch unser Erleben, unser Empfinden und unsere
Wahrnehmung ergänzt werden, d.h. durch den ganzen Menschen, mit all seinen
Möglichkeiten in Geist, Seele und Leib. "Du sollst den Herrn Deinen Gott
lieben aus Deinem ganzen Herzen und mit Deiner ganzen Seele und mit Deiner
ganzen Kraft und mit Deinem ganzen Verstand" (Luk. 10, 27).

b) Der Verstand ist keineswegs objektiv, sondern sehr subjektiv und auf
unser persönliches, egoistisches Wohlergehen bedacht. Wenn wir uns, ohne
Korrektur unseres Charakters, auf ihn verlassen, werden wir niemals zur
Erkenntnis der Wahrheit kommen können, weil wir uns selbst wie auch Andere
mit unseren Ergebnissen betrügen werden.

Nun sind wir aber mir unserer Diskussion betreffend Glaube noch lange nicht
fertig, sondern diese Erkenntnisse eröffnen uns ganz neue Perspektiven. Ich
möchte damit beginnen, indem ich auf die grundlegenden Axiome unseres
Weltbildes zurückkomme. Die wesentlichste Eigenschaft eines Axioms ist, dass
es nicht beweisbar ist. Unsere Erfahrung und unser Instinkt sagt uns
einfach, dass es so etwa stimmen muss. Wir glauben also daran. Wir sind
davon überzeugt, dass zwei parallele Linien sich in der Unendlichkeit
niemals treffen. Wir glauben, dass die Zahl eins zu irgend einer Zahl
addiert, die nächste Zahl ergibt, und das für alle Zahlen, bis in die
Unendlichkeit. Wir können diese Axiome nicht beweisen, weil wir nicht alle
unendlich vielen Zahlen mit eins addieren können, oder zwei Linien zeichnen
können, die unendlich lang wären.

Desgleichen ist es mit solchen Modellen wie der Evolution. Wir können die
Evolution nicht beweisen, weil wir nicht in die Zeit zurückgehen können, um
sie zu beobachten. Wir können nicht einmal vernünftig abwägen, ob sie
plausibel ist, weil wir nicht die Fähigkeit haben, sämtliche Informationen
gegeneinander abzuwägen. Hier reicht die Kapazität unseres Gehirns
schlichtweg nicht aus. Ob wir der Evolution vertrauen oder nicht, hängt also
auch z.T. von unserem Gefühl ab. Desgleichen gilt übrigens auch für die
Schöpfungslehre.

Damit will ich nur klar machen, dass der Glaube eine fundamentale
Eigenschaft unseres Wesens ist. Jeder Mensch glaubt, ja er muss sogar
glauben, sonst könnte er kaum überleben. Er muss glauben, dass irgend eine
Annahme einfach einmal stimmt, er ist überzeugt davon (weil er entsprechende
Erfahrungen gemacht hat), und er hofft, dass er sich auch in Zukunft darauf
verlassen kann. In etwa also die Definition, die ich in meinem letzten
Beitrag vom Glauben gegeben habe.

Im Allgemeinen wenn wir vom Glauben reden, meinen wir den Glauben an ein
Höheres Wesen, an Gott. Ich habe hier die Definition noch etwas erweitert,
indem ich gesagt habe, dass der Glaube nur dort wirklich wirksam wird, wo
ich dem vertraue, was Gott mir sagt. Echter Glaube steht in direkter
Beziehung zum Objekt des Glaubens.

Auf diesen Glauben kann ich jetzt mit dem Instrument des Verstandes etwas
aufbauen, genauso wie ich auf den Axiomen mit meinem Verstand meine
mathematischen und physikalischen Modelle aufbaue. Doch als Menschen kommt
bei uns noch mehr hinzu. Beim Glauben beschränken wir uns nicht nur auf
unseren Verstand, es spielt hier der ganze Reichtum unseres Menschseins
hinein: unsere Gefühle, unsere Empfindungen, unsere Wahrnehmungen, etc. Dies
alles wirkt auf das, was aus der Ewigkeit von Gott zu uns Menschen
herüberdringt. Unser Glaube, bzw. das Objekt unseres Glaubens bildet also
die Grundlage für all unser Denken, Verstehen, Erkennen, Empfinden, etc. Wir
lassen uns davon beeinflussen und verändern.

Du versuchst nun den umgekehrten Weg zu gehen. Wie wäre das, wenn ich
versuchen würde, einzig mit meinem beschränkten und unzulänglichen Verstand
gewappnet, zu Gott vorzudringen? Kannst Du Dir das wirklich vorstellen? Das
hat bereits Thomas von Aquin versucht und ist kläglich gescheitert, weil er
meinte, der Verstand sei ein hinlängliches Instrument für diesen Zweck.

So, nun habe ich aber genug geschrieben für diesen Abend. Ich bin gespannt,
was Du darauf erwidern wirst.

Ganz liebe Grüsse

Peter