Home       Bibelkreis.ch

Lieber HP

wie ich gehoert habe, gewinnt Deine Page mit unserer Diskussion langsam
an Bekanntheit. Da Herr Tschui auch noch Vortraege an verschiedenen
Orten haelt, moechte ich doch nochmals auf das Thema Apologethik
eingehen. Ich bitte Dich, dieses Mail auch auf Deiner Seite zu
platzieren. Ich werde mir dieses Mal die Muehe nehmen, Dan Barkers Text
ins Deutsche zu uebersetzen, sodass er von allen verstanden wird.

Herr Tschui wirft mir vor, viele meiner Argumente anderen Buechern
entnommen zu haben. Es ist richtig, dass ich dies getan habe und ich
habe auch nicht die Absicht, dies zu verheimlichen. Das Thema
"Unfehlbarkeit der Bibel" wird schon seit Jahrhunderten oder besser
Jahrtausenden diskutiert! Es gibt also keinen Grund, das Rad neu zu
erfinden. Im Gegenzug moechte ich aber erwaehnen, dass die meisten
Argumente von Herrn Tschui in folgendem Werk zu finden sind:

  Hard Sayings of the Bible - Walter Kaiser, Peter Davis, F. Bruce,
  M. Brauch

Die Autoren dieses Buches gehoeren zu den bekanntesten Apologethen
unserer Zeit (Apologethik = Verteidigung des Glaubens). Das Buch ist wie
ein Lexikon aufgebaut. Es fuehrt die schwierigen Stellen der Bibel der
Reihe nach auf und enthaelt zu jeder Passage einen meist mehrseitigen
Abschnitt mit moeglichen Erklaerungen. Die Frage ist also nicht:

  - Gibt es eine Erklaerung, die diesen oder jenen Widerspruch
aufzuloesen versucht?

sondern

  - Ist die Erklaerung plausibel/ernst zu nehmen/fundiert/genuegend
abgestuetzt?

Natuerlich kann ich in meiner Antwort nicht auf alle problematischen
Stellen eingehen. Ich ermutige aber jeden Leser, das oben erwaehnte oder
aehnliche Buecher der Apologethik zu studieren. Ja, ich als Agnostiker
moechte auffordern, die Verteidiger des Glaubens zu lesen und selbst zu
urteilen,
wie stichhaltig die Erklaerungshilfen sind! Das Studium speziell dieses
Werkes hat bei mir zwei Dinge ausgeloest: Einerseits das Erstaunen
darueber, wieviele schwierige Stellen es in der Bibel gibt und
andererseits, wie hilflos machne Erklaerungen erscheinen. Ich will auch
gerne eingestehen, dass es tatsaechlich scheinbare Widersprueche gibt,
die man echt aufloesen kann und die auch stichhaltig aufgeloest werden.
Ich behaupte also nicht, dass keine einzige Erklaerung ernstzunehmen
sei. Ganz im Gegensatz zu den Apologethen, fuer die ALLE Erklaerungen
gelten muessen, denn ein einziger Widerspruch oder eine einzige
fehlgeschlagene Prophetie wuerde ja die Idee der Unfehlbarkeit der Bibel
umstossen.

Um etwas konkreter zu werden, nehme ich jetzt die Stammbaeume Jesu
nochmals hervor. Ich bitte den Leser, die Erklaerung von Herrn Tschui zu
lesen und eventuell auch andere Apologethen dazu zu konsultieren. Die
Antworten der Skeptiker auf alle diese Erklaerungen fasst Dan Barker in
seinem Buch "Losing Faith in Faith" sehr schoen zusammen. Nach dem Lesen
von Dan Barker und den Erklaerungsversuchen der Apologethen ermutige ich
jeden Leser, sein eigenes Urteil zu faellen. Die Stammbaeume stellen nur
ein exemplarisches Beispiel dar, von denen es duzende gibt!

Gruss

  Matthias

Hier also Dan Barker:

Die Stammbaeume Jesu zeigen in eindruecklicher Weise, weshalb die
Evangelisten keine vertrauenswuerdigen Historiker sind. Matthaeus gibt
uns einen Stammbaum, der 28 Namen von David bis Joseph enthaelt. Lukas'
Stammbaum enthaelt dagegen 43 Namen in umgekehrter Reihenfolge von
Joseph zurueck bis David. Beide versuchen zu beweisen, dass Jesus von
koeniglichem Blut war. Keiner der beiden erklaert jedoch, weshalb
Joseph's Stammbaum relevant sein soll, wenn Joseph nicht der Vater von
Jesus war. Jesus war das Kind einer Jungfrau und des Heiligen Geistes.

Die Linie von Matthaeus laeuft ueber Davids Sohn Salomo waehrend
diejenige von Lukas ueber David's Sohn Nathan laeuft. Die zwei
Stammbaeume koennen nicht Stammbaeume der gleichen Person sein.
Matthaeus' Linie sieht so aus: David, Salomo, elf weitere Namen, Josia,
Jojachin, Schealtiel, Serubbabel, Abihud, sechs weitere Namen, Mattan,
Jakob, Joseph. Und dies ist Lukas' Linie: David, Nathan, siebzehn
weitere Namen (keiner davon identisch mit Matthaeus' Liste), Melchi,
Neri, Schealtiel, Serubbabel, Resa, fuenfzehn weitere Namen (keiner
davon identisch mit Matthaeus' Liste), Mattat, Eli, Joseph.

Einige Verteidiger des Christlichen Glaubens versichern, dass es sich
hier nicht um einen Widerspruch handelt, weil Matthaeus' Linie ueber
Joseph laeuft, waehrend Lukas die Linie ueber Maria beschreibt, obwohl
ein kurzer Blick in den Text zeigt, dass beide Joseph erwaehnen. Kein
Problem, sagen die Apologethen: Lukas erwaehnt Joseph, meint aber
eigentlich Maria. Weil Joseph der rechtliche Vater von Jesus war und
weil juedische Stammbaeume ueber die maennliche Linie laufen, ist es
natuerlich zu sagen, dass Heli (gemaess ihrer Wahl Marias Vater) einen
Sohn mit Namen Joseph hatte, der wiederum einen Sohn namens Jesu hatte.
Es ist unglaublich, aber viele Christen koennen solche Aussagen machen
ohne Wimpernzucken, obwohl nicht der Hauch eines Hinweises fuer eine
solche Interpretation existiert!

Es gibt aber noch ein viel schwerwiegenderes Problem mit diesem
Argument: Die zwei Stammbaeume ueberschneiden sich. Neben der Tatsache,
dass sie beide mit David beginnen und mit Joseph enden, besitzen die
Linien noch zwei gemeinsame Namen: Schealtiel und Serubbabel, beide
bekannt aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Wenn Matthaeus
und Lukas zwei verschiedene Stammbaeume beschreiben wie die Apologethen
behaupten, dann duerften sich diese nicht ueberschneiden.

In ihrer Verzweiflung behaupten einige sehr kreative Apologethen,
Schealtiels Grossmutter habe zwei Ehemaenner gehabt und ihre Soehne
Jojachin und Neti repraesentierten zwei verschiedene vaeterliche Linien,
aber dies ist auesserst spekulativ. Die zwei Staemmbaeume sind sehr
verschieden in ihrer Laenge. Man muesste annehmen, dass etwas in Nathans
Genen bewirkt hat, dass seine Nachkommen sich 50 Prozent schneller
fortpflanzten als diejenigen in Salomos Linie.

Matthaeus' Linie unterschlaegt vier Namen des Stammbaumes des Alten
Testamentes (zwischen Joram und Jotham). Der Grund fuer diese
Unterschlagung liegt darin, dass Matthaeus versucht, seine Liste in vier
huebsche Gruppen von je 14 Namen zu bringen (Sieben ist die heiligste
Zahl der Hebraeer). Er laesst genau die richtige Anzahl Namen aus um
dies zu tun. Es gibt das Argument, dass es ueblich war, Generationen zu
ueberspringen und das sowas den Stammbaum nicht fehlerhaft mache. Ein
Ururgrossvater ist genauso ein Vorfahr wie ein Grossvater. Das mag
stimmen, wenn nicht Matthaeus explizit erwaehnen wuerde, dass es exakt
14 Generationen waren: "So sind alle Geschlechter von Abraham bis auf
David vierzehn Geschlechter und von David bis zur Wegfuehrung nach
Babylon vierzehn Geschlechter und von der Wegfuehrung nach Babylon bis
auf den Christus vierzehn Geschlechter" (Matth.1.17). Wir haben
Matthaeus ertappt beim manipulieren von Fakten. An seiner
Glaubwuerdigkeit als Historiker darf mit recht gezweifelt werden!

Die Tatsache, dass Lukas' Stammbaum von Jesus ueber Nathan laeuft,
stellt ein weiteres Problem dar. Nathans Linie war nicht die
koenigliche. Genausowenig kann Matthaeus' Linie die koenigliche sein
nach
Jojachin, weil die Goettliche Prophetie sagt ueber Jojachin sagt: "Denn
von seinen Nachkommen wird es nicht einem gelingen, auf dem Thron Davids
zu sitzen, und weterhin ueber Juda zu herrschen" (Jer.22.30). Auch wenn
Lukas' Linie tatsaechlich ueber Maria laufen wuerde, behauptet Lukas,
dass Maria die Cousine von Elisatbeth von Stamm Levi war, also nicht der
koeniglichen Linie. Einige Christen schlagen verweifelt vor, dass das
Wort "Cousine" eine allgemeinere Interpretation zulasse wie "Frau vom
Lande", genaus wie Glaeubige sich gegenseitig "Bruder" und "Schwester"
nennen, aber dieses Argument ist natuerlich hoechst zweifelhaft.

Da Jesus nicht der Sohn Josephs war und weil er selbst seine Abstammung
von David verlaeugnet (Matth.22.41-46) ist der gesamte Stammbaum
sinnlos. Statt Jesus in der israelitischen Geschichte zu verankern,
geben diese Stellen dem Skeptiker Einblick in den Entstehungsprozess
eines Mythos. Die Evangelisten wollten aus ihrem Helden nichts weniger
machen als was von Rettern anderer Religionen behauptet wird: Ein Koenig
geboren von einer Jungfrau!