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INHALTSVERZEICHNIS Hat
Israel keine Hoffnung mehr?
Wie wir gesehen haben, bilden die Kapitel
neun bis elf den dispensationalen oder haushaltsmäßigen Teil dieses
Briefes. In ihnen entwickelt der Apostel das Handeln Gottes in Seinen
Wegen mit Israel und den Nationen und kommt dabei in Kapitel elf auf
einen „edlen Ölbaum“ zu sprechen, in den Zweige eines „wilden Ölbaumes“
eingepfropft worden sind. Was bedeutet dieser bildliche Vorgang? Wovon
redet der edle Ölbaum, wovon der wilde? Ist der edle Ölbaum ein Symbol
der Versammlung, der Kirche Gottes? Ist die Kirche nach allem nicht doch
nur eine Fortsetzung Israels, wenn auch vielleicht mit besserem,
christlichem Vorzeichen? Kann ein Gläubiger schließlich doch
„ausgeschnitten“ werden und verlorengehen? Diese Fragestellungen machen
deutlich, dass ein Missverstehen der Bedeutung des Ölbaumes
verhängnisvolle Folgen haben kann. Deswegen möchte ich kurz auf dieses
wichtige elfte Kapitel des Briefes an die Römer eingehen und versuchen,
auf die angedeuteten Fragen klare, schriftgebundene Antworten zu geben.
Sie zu verstehen wird dem Leser umso leichter fallen, als er durch das
bereits Gesagte dafür vorbereitet ist.
HAT ISRAEL KEINE HOFFNUNG MEHR? Im neunten Kapitel skizziert der Apostel die
Geschichte Israels in der Vergangenheit, in Kapitel zehn den
gegenwärtigen Zustand dieses Volkes: Er ist durch Untreue und Unglauben
gekennzeichnet. Und weil sich dieses Volk an dem „Stein des Anstoßes“
und dem „Fels des Ärgernisses“ – an Christus – gestoßen und Ihn
verworfen hat (Kapitel 9,33), hat Gott Seine in Güte gegen dieses
ungehorsame und widersprechende Volk ausgestreckte Hand von ihm
zurückgezogen, um Sich solchen zuzuwenden, die nicht nach Ihm fragten,
den Nationen (Kapitel 10,20–21). Israel ist als Nation, ist in seiner
Masse beiseite gesetzt worden und dem Gericht Gottes verfallen. Wir
haben das schon kurz berührt: In heilsgeschichtlicher Sicht wendet Sich
Gott heute allen Völkern der Erde ohne Unterschied zu. Israel hat seine
besondere Position auf der Erde verloren. Es hat seinen Platz als Zeuge
Gottes, als Gegenstand der Verheißungen Gottes auf der Erde eingebüßt. Ja, es hat sich Im höchsten Maß schuldig
gemacht, weil es seinen ihm von Gott gesandten Messias gekreuzigt und
gerufen hat: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Mt
17,25). Hat nun dieses Volk gar keine Hoffnung mehr?
Diese Frage behandelt, wie bereits bemerkt, das elfte Kapitel des
Römerbriefes. Nun, aufgrund dessen, was dieses Volk getan hat, hat es
tatsächlich keine Anrechte mehr. Sämtliche an Bedingungen geknüpfte
Verheißungen Gottes hat es verwirkt. Und doch: Weil die Gnadengaben und
die Berufung Gottes unbereubar sind (V. 29), weil Gott dieses Volk zu
einem bestimmten Zweck berufen hat (die Verherrlichung Christi auf der
Erde und die Segnung der Erde) und Seine Gnaden-Absichten nicht
durchkreuzt werden können, hat Israel eine Hoffnung. Das macht die
Beantwortung von zwei Fragen deutlich, die in den Versen i und ii in
unserem Kapitel gestellt werden. Auf die erste Frage in Vers i „Hat Gott etwa
sein Volk verstoßen?“ antwortet der Apostel, inspiriert durch den Geist,
entschieden mit: „Das sei ferne!“ Allein die Tatsache, dass er selbst,
Paulus, ein Israelit aus dem Samen Abrahams war und errettet worden ist,
machte deutlich, dass Gott Sein Volk nicht ganz und gar verstoßen hat.
Hatte nicht auch er Christus gehasst und die Versammlung Gottes
verfolgt? Aber ihm war Barmherzigkeit zuteil geworden „zum Vorbild für
die, welche an ihn glauben werden zum ewigen Leben“ (1. Tim 1,16). Seine
beispiellose Bekehrung ist gewiss auch ein prophetischer Hinweis auf die
Bekehrung des Überrestes aus Israel bei der Ankunft des Herrn in Macht
und Herrlichkeit. Gott hat Sich in Seinem Erbarmen aus diesem
Volk immer einen Überrest übriggelassen, auch in der jetzigen Zeit –
einen „Überrest nach Wahl der Gnade“ (V. 5). Das ist nur vom Volk Israel
wahr, von keinem anderen Volk der Erde. Sollte uns das nicht zu denken
geben und bescheiden machen? Als Beispiel für einen Überrest aus der
Vergangenheit werden der Prophet Elias und die Siebentausend angeführt,
die nicht ihre Knie vor den Götzen gebeugt hatten. Selbst in der bösen
Zeit des gottlosen Königs Ahab hatte Gott Sich solche übrigbleiben
lassen, die Ihm in Treu anhingen und sich nicht dem Götzendienst
hingaben. Tatsächlich gab es zu jeder Zeit in diesem
Volk einen treuen Überrest, wie weit sich das Volk selbst auch von Gott
entfernt haben mochte. Das war so in der Zeit der Wegführung nach
Babylon. Denken wir nur an Daniel und seine Freunde am Hof
Nebukadnezars! Das war so in der Zeit Esras und Nehemias, als einige
Zehntausend in das verheißene Land zurückkehrten. Das war auch so in der
durch Abfall gekennzeichneten Zeit Maleachis: „Da unterredeten sich
miteinander, die den HERRN fürchten, und der HERR merkte auf und hörte;
und ein Gedenkbuch ward vor ihm geschrieben für die, die den
HERRN fürchten und welche seinen Namen achten“ (Mal 3,16). Auch als der Herr Jesus auf die Erde kam,
fand Gott einen Überrest in Israel, solche, die „auf Erlösung warteten
in Jerusalem“ (Lk 2,38). Zacharias und Elisabeth, die Hirten auf dem
Feld, Simeon und Anna, sie alle gehörten dazu (Lk 1 und 2). Auch in der
jetzigen Zeit gibt es einen Überrest aus diesem Volk. Zu Anfang des
christlichen Zeugnisses wurden viele Gläubige aus den Juden errettet und
der Versammlung hinzugetan (Apg 2,47). So geschieht es auch heute noch.
Und auch dann, wenn die Versammlung entrückt worden und die Gnadenzeit
damit zum Abschluss gekommen ist, wird es aus dem Volk Israel einen
treuen Überrest auf der Erde geben, der nicht das „Tier“ und sein Bild
anbeten und dafür durch unvergleichliche Drangsale gehen wird, wie uns
das Buch der Offenbarung zeigt. Die Tatsache, dass Gott immer einen Überrest
aus diesem Volk hatte und haben wird, ist etwas überaus Beglückendes.
Ist sie doch ein nicht zu übersehender Beweis der Güte und Treue Gottes.
Aber sie beweist zugleich aufs deutlichste, dass Gott Sein Volk nicht
verstoßen hat, wenngleich die große Masse des Volkes als Gericht Gottes
der Verstockung und Schlafsucht hingegeben worden ist. Doch die
Propheten des Alten Testaments hatten auch das vorhergesagt (Verse
8–10). Die zweite Frage „Sind sie etwa gestrauchelt,
damit sie fallen sollen?“ wird ebenso entschieden mit „Das sei ferne!“
beantwortet (Vers ii). Das will sagen: Der Gedanke, dass Israel deswegen
gestrauchelt ist, damit es für immer verloren sei (das ist wohl die
Bedeutung von „fallen“ hier), ist falsch. Wohl ist ihr Fall der Anlass
dafür geworden, den Nationen das Heil zu bringen, aber es geschah, wie
wir hier erfahren, „um sie zur Eifersucht zu reizen“. Die Verwerfung
Israels war also nicht nur nicht vollständig – das haben uns die ersten
zehn Verse gezeigt –, sondern auch nur für eine Zeit; das machen die
Verse ab Vers 11 deutlich. Denn wenn Gott durch Seine Hinwendung zu den
Helden das Volk Israel zur Eifersucht reizen will, dann tut Er das
gewiss nicht, um sie für immer zu verwerfen. Nein, Er wird sie einmal
wieder annehmen, als Nation annehmen, und das wird wie „Leben aus den
Toten“ sein (V. 15). Davon reden auch die Propheten Hesekiel (Kapitel
37,1–17 und 39,25–29) und Hosea (Kapitel 5, 15 bis 6,3) in
eindrucksvoller, bildhafter Sprache. Der Apostel scheint die Geschichte Josephs
vor sich zu haben. jedenfalls ist sie eine wunderschöne Illustration
dessen, was wir hier vor uns haben. Denn nachdem Joseph von seinen Brüdern
verworfen, in die Grube geworfen und ins Gefängnis gelegt worden war,
war er auf den Thron der Welt erhoben worden, er war der nächste nach
dem Pharao. Sein Aufstehen war der Reichtum der Welt während der sieben
Jahre des Überflusses. Und als dann seine Brüder in Buße zu ihm
zurückkehrten in den Jahren der Hungersnot, war es wie Leben aus den
Toten. Geradeso wird es sein, wenn Israel am Ende der Tage
wiederhergestellt wird. Doch das alles hat auch für uns aus den
Nationen eine Stimme, die wir nicht überhören sollten. Der Fall Israels
ist der Reichtum der Welt, seine Verwerfung die Versöhnung der Welt
(Verse 1–2 und 15). Sind wir wohl dankbar genug dafür, dass Gott den
Fall Israels und seine Verwerfung zum Anlass nahm, nun uns, den
Nationen, den Reichtum Seiner Gnade anzubieten? Das übrigens meint
„Versöhnung (der) Welt“. Im Gegensatz zu Kapitel 5, Vers 10, spricht
hier der Heilige Geist nicht von Versöhnung als der Frucht des Werkes
Christi und damit von echten, wirklichen, ewigen Ergebnissen für den
einzelnen, sondern von Versöhnung als Ausdruck der Wege Gottes in Seiner
Vorsehung mit den Menschen. Sie ist hier das Ergebnis des Falls Israels.
Von einer angeblichen „Allversöhnung“ ist an dieser Stelle also mit
keiner Silbe die Rede! Diese Lehre ist eine böse Irrlehre, die der
ganzen Heiligen Schrift fremd und zuwider ist. Nein, dieser Ausdruck, in dem
bezeichnenderweise der Artikel vor „Welt“ fehlt, bezeichnet vielmehr
einen Wandel der Haushaltungen, das Sich-Hinwenden Gottes zu den
Nationen in Seinen Wegen mit den Menschen; denn bis dahin waren ja die
Nationen in dieser Hinsicht völlig unbeachtet geblieben. Gott gefiel es
in Seiner Gnade, den Fall und das Versagen Israels zum Anlass dafür zu
nehmen, aufgrund des Werkes Christi jetzt auch den Nationen das Licht
des Evangeliums der Gnade anzubieten. „Ihr Fall ist der Reichtum der
Welt und ihr Verlust der Reichtum der Nationen“ – wahrlich, wie
unermesslich reich ist die einst heidnische Welt durch das Licht des
Christentums geworden! So brachte dieses Handeln Gottes die aus den
Nationen in eine Stellung großer Vorrechte, mit der allerdings auch
ernste Verantwortlichkeit verbunden ist. Um das zu verdeutlichen,
benutzt der Apostel das Bild eines edlen Ölbaumes, in den wilde
Ölbaumzweige eingepfropft worden sind. Doch hören wir die Worte der
Heiligen Schrift selbst: „Wenn aber der Erstling heilig ist, so auch
die Masse, – und wenn die Wurzel heilig ist, so auch die Zweige. Wenn
aber einige der Zweige ausgebrochen worden sind, und du, der du ein
wilder Ölbaum warst, unter sie eingepfropft und der Wurzel und der
Fettigkeit des Ölbaumes mitteilhaftig geworden bist, so rühme dich nicht
wider die Zweige- Wenn du dich aber wider sie rühmst – du trägst nicht
die Wurze4 sondern die Wurzel dich. Du wirst nun sagen: Die Zweige sind
ausgebrochen worden, damit ich eingepfropft würde. Recht, sie sind
ausgebrochen worden durch den Unglauben; du aber stehst durch den
Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich; denn wenn Gott der
natürlichen Zweige nicht geschont hat, dass er auch deiner etwa nicht
schonen werde. Sieh nun die Güte und die Strenge Gottes:
gegen die, welche gefallen sind, Strenge; gegen dich aber Güte Gottes,
wenn du an der Güte bleibst; sonst wirst auch du ausgeschnitten werden.
Und auch jene, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft
werden; denn Gott vermag es, sie wiederum einzupfropfen. Denn wenn du
aus dem von Natur wilden Ölbaum ausgeschnitten worden und wider die
Natur in den edlen Ölbaum eingepfropft worden bist, wie viel mehr werden
diese, die natürlichen Zweige, in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft
werden! Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses
Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst klug dünkt.- dass
Verstockung Israel zum Teil widerfahren ist, bis die Vollzahl der
Nationen eingegangen sein wird, – und also wird ganz Israel errettet
werden“ (Röm 11,16–26). Um zu erfassen, was der edle Ölbaum bedeutet,
ist es gut, erst einmal zu erfragen, wer oder was die „Wurzel“ ist. Von der Wurzel empfängt der Ölbaum seine
Nahrung und Fettigkeit. Ist Christus die Wurzel? Oder ist es Abraham?
Wir kommen der Lösung dieser Fragen dadurch näher, dass wir uns eben
einmal ansehen, was von den „Zweigen“ gesagt wird. Von einigen, nicht von allen, Zweigen hören
wir, dass sie in Verbindung mit der Wurzel blieben. Sie waren von Natur
her Teil des Ölbaumes. Aber dann hören wir auch von solchen Zweigen,
die, obwohl sie der Natur nach zum Ölbaum gehörten, ausgebrochen worden
sind; sie würden aber, wenn es Gott gefiele, wieder in ihren eigenen
Ölbaum eingepfropft werden. In der Zwischenzeit war noch etwas anderes
geschehen: Zweige eines wilden Ölbaumes waren unter die natürlichen
Zweige eingepfropft worden. Diese haben nun zusammen mit den Zweigen,
die stets in Verbindung mit dem Ölbaum geblieben waren, Anteil an der
Wurzel und Fettigkeit des Ölbaumes. Nun, Christus kann nicht die Wurzel des
Ölbaumes sein. Denn niemand ist von Natur aus mit Ihm in Verbindung. Das
ist ganz und gar unmöglich. Er hat selbst gesagt: „Wahrlich, wahrlich,
ist sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt,
bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh
12,2–4). Zudem spricht der Herr Jesus in Johannes
15 von Sich als dem wahren Weinstock und von Seinen Jüngern als den
Reben. Diejenigen, die sich zu Ihm als Messias auf der Erde bekannten,
waren Reben an dem Weinstock. Das Bedeutsame nun für unseren Gegenstand
ist: Von den fruchtlosen Reben (von Jüngern also, die nur äußerlich, nur
dem Bekenntnis nach mit Ihm in Verbindung standen, ohne wirklich Leben
zu haben) wird wohl gesagt, dass sie „weggenommen“ werden (VerS2), aber
es wird nicht die geringste Andeutung gemacht, dass sie wieder
eingepfropft werden würden. Ganz im Gegenteil: Man wirft sie ins Feuer,
und sie verbrennen (V. 6)! Nein, Christus ist nicht die Wurzel, Er ist
der Weinstock. Aber kann nicht Abraham die Wurzel sein? Stehen nicht mit
ihm von Natur aus solche in Verbindung, die zu Recht „natürliche“ Zweige
genannt werden (Verse 21 und 24)? Sind es nicht seine Nachkommen, die
Kinder Israel? Alles spricht dafür. Der Ölbaum wird ihr „eigener Ölbaum“
genannt (V. 24). An diesem edlen Ölbaum, dessen natürliche Zweige die
Israeliten sind, hatten die Heiden keinen Anteil. Unschwer erkennen wir
daher in dem wilden Ölbaum ein Bild der Nationen, die außerhalb des
edlen Ölbaumes waren. Der edle „Ölbaum“, der Öl hervorbringt und
dessen Blatt nicht verwelkt, ist in sich selbst durchaus ein Bild des
Segens und des Zeugnisses, aber er ist nicht direkt ein Bild von Israel;
davon reden vielmehr seine natürlichen „Zweige“. Aber Abraham, der
Wurzel“, waren Verheißungen gegeben worden: „Und ich will dich zu einer
großen Nation machen und dich segnen ... Und in dir sollen gesegnet
werden alle Geschlechter der Erde“ (1. Mo 12,2–3). Und Galater 3, Vers
14, sagt uns: „damit der Segen Abrahams in Christus Jesus zu den
Nationen käme.“ Wir können also sagen: Wohin immer sich die Verheißungen
auf Segen, die Gott dem Abraham gegeben hat, erstrecken, dort ist der
„edle Ölbaum“. Oder anders ausgedrückt: Der „edle Ölbaum“ ist ein Symbol
von dem Besitz der Verheißungen und des Zeugnisses Gottes auf der Erde.
Er zeigt uns die „fortgesetzte Kette derer, die die Verheißungen in
dieser Welt genießen“. So ist er der Baum der Verheißung. Er zeigt die
Linie der Verheißung, die von Abraham bis auf Christus und Sein Kommen
zur Aufrichtung Seines Friedensreiches auf der Erde geht. Mit diesem „Rüstzeug“ in der Hand wollen wir
noch einmal den zitierten Abschnitt aus Römer 11 über den Ölbaum
überfliegen, und wir werden erstaunt sein, wie ungezwungen und
folgerichtig sich die darin enthaltenen Belehrungen in die Hauptlinie
des ganzen Kapitels einfügen und das bestätigen, was wir schon gesehen
haben. Die „Wurzel“, Abraham, war heilig, das heißt
von und für Gott abgesondert. Auch die „Zweige“, seine natürlichen
Nachkommen, waren ein für Gott abgesondertes Volk. In diesem Sinn waren
auch sie heilig – heilig, nicht ihrem Wesen, sondern ihrer äußeren
Stellung nach. Aber in ihrer Mehrheit entsprachen sie dieser von Gott
verliehenen Stellung nicht, und Gott musste in Seinen Wegen der
Regierung einige der Zweige aus dem edlen Ölbaum „ausbrechen“ – „durch
den Unglauben“ geschah das, war das nötig, belehrt uns Vers 2o. Aber es
waren nur einige der Zweige, die ausgebrochen wurden. Ein Teil blieb am
Ölbaum, blieb im Besitz der Verheißungen – der Überrest, von dem in den
ersten sieben Versen bereits gesprochen und der dort „die Auserwählten“
genannt worden war. Nun war es die Absicht Gottes in Seiner
Gnade, die Nationen in die Linie der Verheißungen für die Erde
einzuführen. So nahm Er vom wilden Ölbaum Zweige, die nicht wie Israel
in einer natürlichen Verbindung mit der Wurzel, dem Vater der Gläubigen,
standen, und pfropfte sie „wider die Natur“ (Gnade ist eigentlich immer
wider die Natur) unter die Zweige des edlen Ölbaumes ein. So wurden auch
solche aus den Nationen „der Wurzel und der Fettigkeit des Ölbaumes
mitteilhaftig“. Hier wollen wir in unserem Vorüberflug über
das prophetische Bild zunächst einmal eine kleine Besinnungspause
einlegen. Denn wir sind jetzt bei der bildlichen Darstellung der
heutigen Zeit, der Haushaltung der Gnade, angelangt, und es scheint
notwendig, einige grundsätzliche Erwägungen einzufügen, um das Bild
recht zu verstehen, ehe wir den „Flug“ fortsetzen. An den Platz von Vorrechten versetzt zu sein
schließt unbedingt Verantwortlichkeit mit ein, die Verantwortlichkeit
nämlich, den verliehenen Vorrechten praktisch zu entsprechen. Aber an
einem Platz der Vorrechte zu sein und Verantwortlichkeit zu haben
schließt nicht unbedingt mit ein, dass der einzelne auch wirklich Leben
aus Gott hat. Das wird oft nicht richtig verstanden und
auseinandergehalten. Israel war am Ölbaum, besaß kostbare Verheißungen;
und doch war die große Masse des Volkes ungläubig. Beachten wir indes: Am Ölbaum zu sein
bedeutet also durchaus nicht, in einer lebendigen Verbindung mit Gott zu
stehen. Gewiss, Gott ist langmütig, und in Seiner Langmut ertrug Er
lange diesen Zustand, um sie zu erproben. Von dieser Langmut hatten wir
bereits in Kapitel 9 gehört. Aber schließlich trat Er doch mit Gericht
ins Mittel und brach einige der Zweige aus. An ihrer Stelle brachte Er nun Menschen aus
den Helden an den Platz der Segnung auf der Erde, indem Er ihnen die
Schleusen Seiner Gnade öffnete und ihnen das Evangelium der Gnade
verkündigen ließ. Diejenigen aus den Nationen, die sich nun zum
Christentum bekannten und bekennen, die also ablehnen, Mohammedaner oder
Juden oder dergleichen zu sein, befinden sich – zumindest äußerlich – an
dem Platz der Segnungen des Christentums, und sie sind verantwortlich
für das, was Gott ihnen anvertraut hat. Davon redet das
Eingepfropft-sein in den Ölbaum. Aber das heißt nicht, dass sie alle auch
wirklich von neuem geboren und damit wahre Kinder Gottes sind. Gewiss
gehören auch solche heute zum Ölbaum, die die wahre Kirche bilden, aber
eben nicht nur sie. Alle getauften Christen, alle, die sich – und sei es
nur äußerlich – zum Christentum bekennen und durch die Unterwerfung
unter die christliche Taufe ablehnen, Juden oder Helden zu sein, gehören
in der heutigen Zeit zum Ölbaum. Sie sind am Platz der Segnung und der
Vorrechte, sind der Fettigkeit des Ölbaumes teilhaftig geworden. Es geht hier also nicht um die Versammlung
Gottes, sondern es ist alles ganz eine Frage des Bekenntnisses, des
Besitzes von Verheißungen und des Zeugnisses Gottes hier auf der Erde.
Und wer sich zu Christus bekennt, steht nominell auf dem Grundsatz des
Glaubens. Doch das bedingt die Verantwortlichkeit, nach diesem Grundsatz
zu leben. Haben nun die Christen, die aus dem wilden Ölbaum
eingepfropften Zweige, dieser Verantwortlichkeit entsprochen? Leben sie
nach dem Grundsatz des Glaubens? Wenn Gott die natürlichen Zweige, die
ungläubigen Israeliten, nicht verschonte, wird Er dann die ungläubige
Christenheit verschonen, die eine weit größere Verantwortlichkeit hat? Deswegen wird auch in Bezug auf sie von der
Möglichkeit des „Ausschneidens“ gesprochen. Vom Leib Christi wird kein
Glied je ausgeschnitten werden, wohl aber werden Zweige vom Ölbaum
ausgeschnitten. Das ist bereits geschehen – mit Israel in seiner Masse.
Wie ernst sind daher die Ermahnungen an die aus den Nationen, sich nicht
zu rühmen und nicht hochmütig zu sein! Denn wenn sie nicht an der Güte
Gottes bleiben, werden auch sie ausgeschnitten werden. So redet diese
Stelle keineswegs davon, dass ein Gläubiger schließlich doch
verlorengehen könnte, sondern davon, dass bekennende Christen ohne Leben
aus Gott aus dem Bereich der Segnung, in den sie die Güte und Vorsehung
Gottes gebracht hat, entfernt werden, um nie mehr dahin zurückzukehren.
Denn erinnern wir uns: Für sie gibt es nie mehr ein Eingepfropft-Werden!
Mit Israel dagegen verhält es sich anders. Halten wir, diese grundsätzlichen Belehrungen
zusammenfassend, noch einmal fest: Bei diesem ganzen Bild handelt es
sich nicht um die geistliche Segnung des einzelnen Gläubigen, sondern es
geht um die Wege Gottes mit den Menschen, wie Er das Volk Israel als
solches beiseite gesetzt und Sich stattdessen den Nationen zugewandt
hat; und es geht um die Verantwortlichkeit solcher, die an den Platz des
Segens und der Verheißungen auf der Erde gekommen sind. Doch damit wollen wir unseren „Flug“ über die
prophetische Szene fortsetzen und zu Ende führen. Wenn Gott der
natürlichen Zweige nicht geschont hat, wird Er auch die wider die Natur
eingepfropften nicht schonen. Dass Er leblose christliche Bekenner, die
ihrer Verantwortlichkeit nicht entsprochen haben, ausschneiden wird,
wird hier nicht direkt gesagt. Aber andere Stellen zeigen uns das
(z.B. Mt 24,15–25.30). Wenn die wahre Versammlung schon im Himmel ist,
wird der Herr Jesus das christliche Bekenntnis in seiner letzten Phase
aus Seinem Mund ausspeien, weil Er es weder kalt noch warm gefunden hat
(Off 3,16). Der Ölbaum jedoch – das wird hier vollkommen
deutlich – wird weiterhin Bestand haben, und das „Ausschneiden“ des
abgefallenen christlichen Bekenntnisses wird den Weg für das
Wieder-Einpfropfen Israels ebnen. So wie die Christenheit nicht im Glauben geblieben ist (kann man darüber
überhaupt den geringsten Zweifel hegen, wenn man ihren heutigen Zustand
sieht?), so wird Israel nicht im Unglauben bleiben. Die natürlichen
Zweige werden wieder in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft werden, „denn
Gott vermag sie wiederum einzupfropfen“. Und auf einmal lässt der
Apostel die bildhafte Sprache fallen und redet direkt und offen von der
Zukunft Israels: „Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses
Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst klug dünkt: dass
Verstockung Israel zum Teil widerfahren ist, bis die Vollzahl der
Nationen eingegangen sein wird; und also wird ganz Israel errettet
werden“ (V. 25–26). Die heutige Zeit, die Zeit der Gnade, ist
dadurch gekennzeichnet, dass Israel „zum Teil“ – eben mit Ausnahme des
stets vorhandenen Überrestes – Verstockung widerfahren ist; aber das
wird nicht so bleiben. Wenn die Vollzahl der Nationen eingegangen sein
wird, das heißt, wenn die Zahl derer, die sich heute von den Völkern der
Erde erretten lassen und die Versammlung Gottes bilden, gemäß dem
Ratschluss Gottes voll sein wird, dann wird Sich der Herr nach der
Entrückung der Heiligen der Jetztzeit (1. Thes 4,17) wieder dem Volk
Israel zuwenden und erneut mit ihm anknüpfen. „Es wird aus Zion der
Erretter kommen, er wird die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden“ (V.
2,6). Das wird geschehen, wenn der Herr Jesus in Macht und großer
Herrlichkeit aus dem Himmel sichtbar auf die Erde kommt (Mt
24,27–31; Off 19,11ff). „Und also wird ganz Israel errettet werden.“ Der Ausdruck „ganz Israel“ besagt nicht, dass
jeder einzelne Israelit, der dann in jener Zeit leben wird, persönlich
errettet werden wird; denn wir wissen, dass der überwiegende Teil des
Volkes ungläubig sein, den Antichristen anbeten und in den Gerichten
umkommen wird. Nein, er besagt, dass Israel als Ganzes, als Nation
errettet werden wird. Heute ist das anders: Der Herr errettet
einzelne aus der Welt und fügt sie der Versammlung zu. Ich verwies schon
auf Apostelgeschichte 2, Vers 47. Dann aber wird Israel als Ganzes
errettet werden. Und dennoch handelt es sich im absoluten Sinn
nur um einen Überrest, der Errettung finden wird; denn wir lesen in
Kapitel 9, Vers 27: „Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des
Meeres, nur der Überrest wird errettet werden.“ „Ganz Israel“ -“nur der
Überrest“ wird errettet werden! Das zeigt einen überaus interessanten
und wichtigen Grundsatz auf. In den Augen Gottes steht der Überrest
stets für das ganze Volk. Der Herr verbindet mit ihm alle Rechte und
Pflichten. Dass Gott aufgrund des neuen Bundes Sein
irdisches Volk wieder in die Segnungen des 1000-jährigen Reiches
einführen wird, hatten wir schon eingangs dieser Arbeit gesehen. Noch
sind die Israeliten hinsichtlich des Evangeliums Feinde, und zwar um
unsertwillen, sagt uns Vers 28; das heißt, damit wir unter die
Begnadigung kämen. Dennoch liebt Gott sie noch immer um der Väter
willen. Nein, Er hat Sein Volk nicht verstoßen. Auch
Israel wird unter die Begnadigung kommen (V. 31). Gott bereut weder
Seine Gnadengaben (über die in Kapitel 9, Verse 4 und 5, gesprochen
wurde) noch Seine Berufung (über die ebenfalls in Kapitel 9, aber V. 7,
gesprochen wurde). Er will das sündige Geschöpf segnen, und Er wird das
ausführen, was von Anfang an in Seinem Herzen war. Aber die letzten
Verse des Kapitels machen unmissverständlich klar, dass das nur auf dem
Boden Seiner unumschränkten Gnade geschehen kann. Können wir nach all diesen wunderbaren
Gedanken und Wegen Gottes nicht gut verstehen, dass der Apostel am Ende
dieses Kapitels und damit dieses Teiles des Römerbriefes in einen
Lobgesang über die Weisheit und Erkenntnis Gottes ausbricht? „Denn von
ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge.“ Von Herzen wird jede
gläubige Seele in den Lobpreis Gottes miteinstimmen: Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen. |